Verwandtschaft Jesu: Kap. 11

Die hl. Mutter
ANNA

  
  


 


 


 

 

 

Die hl. Mutter ANNA

DIE GESCHICHTE IHRER VEREHRUNG

völlig überarbeitet, ergänzt und neu herausgegeben von Klemens Kiser.  
Nachdruck und Vervielfältigung jeder Art vorbehalten!
© Copyright

INHALTSVERZEICHNIS

1. Kap.

Die ältesten Nachrichten über die hl. Anna,
Das Protoevangelium des Jakobus

2. Kap.

Die Verehrung der hl. Anna im Orient

3. Kap.

Die hl. Anna in der altchristlichen und orientalischen Kunst

4. Kap.

Die Verehrung im Abendland bis zum Ende der Kreuzzüge

5. Kap.

Die hl. Anna in der abendländ. Kunst vom 8. bis zum 14. Jh.

6. Kap.

Die Verehrung der hl. Anna am Ende des Mittelalters

7. Kap.

Die hl. Anna in zyklischen Darstellungen des Mittelalters

8. Kap.

Die liturgische Verehrung der hl. Anna im Mittelalter

9. Kap.

Abt Trithemius und sein Kreis

10. Kap.

Ursache der wachsenden Annaverehrung

11. Kap.

Das Trinubium Annas und die heilige Sippe

12. Kap.

Die Annaverehrung in der Neuzeit

13. Kap.

Volkstümliche Art und Weise der Annaverehrung

14. Kap.

Wallfahrtsorte, Kirchen und Reliquien der hl. Anna

15. Kap.

Die hl. Anna als Schutzpatronin und in Volksbräuchen

Gebete

 

 

Buchdeckel Aussagen Heiliger


Quellen:
P. Dr. Beda Kleinschmidt OFM, Die heilige Anna, Ihre Verehrung in Geschichte, Kunst und Volkstum. 1930, 447 S., L. Schwann-Verlag, Düsseldorf

Pfr. Alfons Maria Weigl, Mutter Anna wir rufen zu Dir, 1970, Grignion-Verlag

Pfr. Alfons Maria Weigl, Gebetsschatz 1976, Grignion-Verlag

Prof. Dr. Holböck, Der Schlüssel zu den Schätzen Gottes, 1986, Parvis-Verlag

Aus den letzteren sind die Gebete entnommen, die auch Imprimatur haben. Beiden Verlagen sei Dank für die Genehmigung des Abdrucks der Gebete. Ebenso Dank dem Franziskanerorden, zu dem P. Dr. Beda Kleinschmidt gehörte.

Titelbild: Hl. Mutter ANNA mit Maria, Beaupré, Kanada
© François-Marie Héraud, Sanctuaire Sainte-Anne-de-Beaupré

EINLEITUNG

Lange habe ich nach Literatur über die hl. Mutter Anna gesucht. Es war nur das Büchlein von Pfr. Alfons Maria Weigl, Mutter Anna wir rufen zu Dir von 1970 zu finden. Davon sind einige Gebete im Gebetsanhang. So suchte ich weiter und stieß auf das Werk von P. Dr. Beda Kleinschmidt OFM, Die heilige Anna, Ihre Verehrung in Geschichte, Kunst und Volkstum. Dieses umfangreiche geschichtliche Werk erschien 1930 mit 447 Seiten im Format DIN A4 und ist nur selten antiquarisch erhältlich. Daraus hatte schon Pfr. Weigl, den ich noch kannte, zitiert. Es ist sehr aufschlußreich und bildet die Grundlage dieses Buches. Vieles ist daraus wörtlich übernommen, ergänzt, auch gekürzt, einige Kapitel sind ganz weggelassen. Leider ist der gute Franziskaner, der wohl jahrelang an diesem Werk mit 350 Bildern geschrieben hat, bereits 1932 verstorben. Die alten schwarzweiß Fotos wurden nicht übernommen.

Nach langem Suchen konnte ich dieses Buch ausleihen, um daraus eine Zusammenstellung der wichtigsten Fakten zu erstellen.

Wenn P. Kleinschmidt vor 90 Jahren in seiner Einleitung schreibt, daß es eine reiche Literatur über die hl. Mutter Anna gibt, so ist heute leider kaum etwas zu finden. Doch sein Buch ist eine wahre Fundgrube, welche die ganze Geschichte der Annaverehrung, auch ihre Kontroversen, deren Höhen und Tiefen darlegt. Wir sehen, daß sich sogar große Heilige widersprechen und es schon zur Zeiten der Kirchenväter eine Verehrung der hl. Anna gab, diese dann durch die Kreuzzüge bei uns größere Verbreitung fand, durch die unselige Reformation leider vielerorts unterging und durch den Glaubensschwund der letzten 50 Jahre noch mehr in Vergessenheit geriet.

Die vielen Exkurse in die Kunstgeschichte mögen für manche vielleicht ungewöhnlich sein, doch sie beweisen uns die alte und weitverbreitete Verehrung der hl. Anna und zeigen oft unerkannte Zusammenhänge. Bilder und plastische Darstellungen prägen sich besser ins Gedächtnis als Bücher und Worte. Der Schmuck der Kirchen war früher oft eine Art Bilderbibel.

Die hl. Mutter Anna und ihr Gemahl, der hl. Joachim, gehören wesentlich zum Erlösungswerk Jesu. Sie ist die Mutter der Gottesgebärerin und damit die Großmutter Jesu. Damit ist sie Trägerin der Verheißung, die einst an Abraham erging. Sie stammt aus dem königlichem Geschlecht Davids und steht mit dem hl. Joachim Jesus noch näher als der hl. Josef. Auch wenn die Hl. Schrift über sie schweigt, nicht einmal ihre Namen erwähnt, berichtet uns die Überlieferung von Anna und Joachim. Die seriösen Apokryphen, die Heiligen und Mystiker geben uns weitere aufschlußreiche Hinweise.

Die Heiligenverehrung ist sehr wichtig. Papst Benedikt XVI. sagte: ‘Die Schar der Heiligen Gottes schützt und stützt und trägt mich. Erst, wenn, wir die Heiligen wiederentdecken, werden wir die Kirche wiederfinden.’ - Die Kirche ist ja die Gemeinschaft der Heiligen, d.h. aller Gottliebenden. Diese Freunde Gottes, sollten auch unsere Freunde sein.

    Inhaltsverzeichnis

1. Kap.
Die ältesten Nachrichten über die hl. ANNA

Die Evangelisten berichten sehr wenig über die Kindheit Jesu. Fast dreißig Jahre seines Lebens übergehen sie mit Stillschweigen. Noch weniger Worte widmen sie seiner Mutter Maria und seinem Nährvater Joseph. Sie erzählen uns, daß Maria in Nazareth in Galiläa wohnte, und daß sie von hier aus ihre ältere Base Elisabeth besuchte. Das sind wenige Informationen. Wir würden gern Näheres über das Leben der Gottesmutter hören, über ihre Geburt und Erziehung und auch über ihre Eltern; aber nicht einmal der Name ihrer Eltern ist genannt.

Schon in der Frühzeit des Christentums war dieser Wunsch vorhanden, damals vielleicht noch mehr als heute. Weil die Evangelien diese Lücke nicht ausfüllen, hat man schon frühzeitig angefangen, Bücher über das Jugendleben Marias, über ihre Eltern und Verwandten abzufassen, welche sich als Evangelien ausgaben, die wir aber als Pseudoevangelien oder als Apokryphen bezeichnen.

Die Kirche hat diesen Apokryphen niemals das Ansehen der Evangelien beigelegt. Papst Innozenz I. (417) hat sie dann verworfen und vor allem hat der hl. Hieronymus gegen sie geeifert. Zum Teil mit Recht. Denn die Apokryphen haben zum Teil Irrlehrer oder Juden zu Verfassern, die unter dem Deckmantel der Namen der Apostel ihren falschen Lehren mehr Glauben verschaffen oder der katholischen Lehre die Makel der Lächerlichkeit anhängen wollten.

Es ist jedoch eine Unterscheidung zwischen den Apokryphen zu machen. Einige reichen bis in die älteste Zeit des Christentums hinauf und enthalten nichts, was mit dem Glauben in Widerspruch steht oder den Stempel der Unwahrheit an der Stirn trägt. Sie dürfen daher nicht, wie schon Origenes (+ 255) bemerkt, unterschiedslos mit den anderen Apokryphen vermengt werden. Wir wissen, daß manche dieser Apokryphen von gottlosen Menschen verfaßt sind und andere von Juden: aber deshalb dürfen wir sie nicht ohne weiteres verwerfen, können vielmehr aus ihnen einigen Nutzen ziehen. Eine ähnliche Bemerkung macht Hieronymus über das „Evangelium von der Geburt Marias" des Pseudo-Matthäus.

Zu diesen besseren Apokryphen gehört besonders das sogenannte Protoevangelium des Jakobus. Die Bezeichnung Protoevangelium hat man der Schrift erst seit dem 16. Jh. gegeben, sie selbst nennt sich Erzählung und ist in griechischer Sprache abgefaßt, wurde aber schon im 4. und 5. Jh. (unechtes) Evangelium genannt. Sie entstand um das Jahr 150. Ihr Zweck war, die unbefleckte Reinheit Marias bei der Geburt ihres göttlichen Sohnes deutlicher zu machen, als es die echten Evangelien tun. Dadurch tritt Maria, nicht Jesus in den Vordergrund dieses „Evangeliums". Ihre Kindheit, ihr Aufenthalt im Tempel und ihr Schicksal bis zum Kindermord von Bethlehem werden ausführlich erzählt. Da durften natürlich ihre Eltern nicht fehlen. Und so kommt es, daß sie uns eine umständliche, legendenhafte Erzählung bringen.

Der Verfasser des Protoevangeliums nennt sich selbst Jakobus, ‘Bruder des Herrn’, wahrscheinlich stammte er aber nicht aus Palästina, sondern aus Syrien oder Ägypten und war auch kein Judenchrist. Wie viel er aus der Phantasie geschöpft, wie viel er älteren Traditionen entnommen hat, können wir nicht festzustellen. Nur dürfen wir dieses „Protoevangelium Jakobi" mit den anderen Apokryphen nicht auf die gleiche Stufe stellen. Denn in den ersten Jahren des Christentums entstand auch die mündliche Überlieferung, vor allem in der Heimat der Jungfrau Maria, wo sich über ihre Kindheit und ihre Eltern manche Nachrichten von Mund zu Mund fortpflanzten und dann zur Belehrung und Erbauung der Christen niedergeschrieben wurden. So schreibt auch F. Vigouroux, es sei schwer zu entscheiden, was Geschichte und was Legende sei. Dictionnaire de la Bible I, Paris 1895, 629.

Hiermit soll keineswegs gesagt sein, daß alle Angaben des Jakobusevangeliums aus sicherer mündlicher Überlieferung geschöpft worden sind. Es enthält offenbar Erdichtetes; trotzdem hat es fast die Wirkung wie die echten Evangelien gehabt. Selbst so angesehene Kirchenschriftsteller wie Klemens von Alexandrien, Origenes und Epiphanius rechnen damit. Es wurde sogar öffentlich in der Kirche vorgelesen. Seit Gregor von Nyssa (+395) haben es viele Prediger ausgiebig benutzt. Von besonderer Bedeutung sollte es werden für die Eltern Marias, deren Namen es uns zuerst nennt und deren Verehrung es begründete.

Die späteren Apokryphen haben sich die Angaben des Jakobusevangeliums zu eigen gemacht, sie teilweise geändert und weiter ausgeschmückt. Die Prediger und Lobredner der hl. Anna des Altertums und des Mittelalters haben daraus geschöpft. Welch große Verbreitung das Protoevangelium in der orientalischen Kirche fand und welch hohes Ansehen es genoß, zeigen die zahlreichen Abschriften und Übersetzungen in syrischer, slavischer, koptischer, armenischer und arabischer Sprache. Es sind nicht weniger als fünfzig griechische Handschriften vorhanden.

Nach dem Bericht des Jakobus stammte Maria nicht von armen Leuten. Ihre Mutter Anna war sogar würdig, königlichen Schmuck zu tragen. Wie einstens Isaak und Samuel war auch Maria eine Frucht des Gebetes. Erst nach langjähriger Prüfung segnete Gott die Ehe der beiden frommen Israeliten Joachim und Anna mit diesem Kind. Doch lassen wir dem Erzähler selbst das Wort, da sein Bericht für die Entwicklung der Annaverehrung von höchster Bedeutung ist und nicht nur die volkstümliche Anschauung bis auf den heutigen Tag stark beeinflußt. Übersetzung vgl. A. Meyer bei Hennecke, Neutestamentl. Apokryphen, 86f.

    Das Protoevangelium des Jakobus

In den Geschichten (Geschlechtsregistern) der zwölf Stämme heißt es: Joachim war ein sehr reicher Mann, und er brachte seine Opfergaben doppelt dar, indem er sich sagte: Was ich zuviel gebe, soll dem ganzen Volk zugute kommen, mein Sühnopfer aber sei dem Herrn geweiht für meine eigenen Sünden. Es war aber der große Tag des Herrn herangekommen, und die Söhne Israels brachten ihre Gaben dar. Und der Hohepriester Ruben erhob sich gegen ihn und sprach: Es steht dir nicht zu, zuerst Opfergaben darzubringen, weil du keine Nachkommen in Israel erzeugt hast.

Darüber ward Joachim sehr traurig und ging zu den Geschlechtstafeln der zwölf Stämme des Volkes, indem er bei sich sprach: Ich will die Geschlechtstafeln Israels einsehen, ob ich allein in Israel keine Nachkommenschaft hinterlassen habe. Und er forschte und fand von allen Gerechten, daß sie Nachkommenschaft in Israel erweckt hatten. Er gedachte des Patriarchen Abraham, dem Gott noch im Alter einen Sohn geschenkt, den Isaak. Joachim betrübte sich sehr und zeigte sich nicht seiner Frau, sondern er begab sich in die Wüste, schlug dort sein Zelt auf und fastete vierzig Tage und vierzig Nächte, indem er sich sagte: Ich will nicht herabsteigen zu Speise oder Trank, bis Gott mein Herr mich heimgesucht hat; das Gebet soll mir Speise und Trank sein.

Anna aber, seine Frau, trauerte zweifache Trauer und klagte mit doppelter Klage: Beklagen will ich meine Witwenschaft und beklagen auch meine Kinderlosigkeit. Es nahte aber der große Tag des Herrn, und ihre Magd Judith sprach zu ihr: Wie lange willst du deine Seele abhärmen? Es hat sich der große Tag des Herrn genaht, und es ist dir nicht erlaubt zu trauern. Nimm vielmehr diese Kopfbinde, welche die Vorsteherin der Arbeit mir geschenkt hat. Mir ist es nicht erlaubt, sie anzulegen, weil ich eine Magd bin und sie ein königliches Abzeichen ist. Und es sprach Anna: Weiche von mir! Das tue ich nimmer; hat mich ja der Herr gar sehr gedemütigt. Es hat doch nicht ein Verführer dir dies gegeben, und bist du etwa gekommen, mich deiner Sünde teilhaftig zu machen? Und Judith erwiderte: Was soll ich dir noch übles wünschen, da du nicht auf meine Stimme hören willst; hat doch der Herr deinen Schoß verschlossen, so daß du keine Nachkommenschaft hast in Israel! Und es betrübte Anna sich sehr; sie legte ihre Trauerkleider ab und wusch ihr Haupt, zog ihr Brautgewand an und ging um die neunte Stunde in den Garten. Und sie sah einen Lorbeerbaum, setzte sich unter ihn und flehte zum Herrn, indem sie sprach: O Gott meiner Väter, segne mich und erhöre mein Gebet, gleich wie du gesegnet hast die Sara und ihr einen Sohn gegeben hast, den Isaak.

Und zum Himmel aufschauend sah sie ein Sperlingsnest auf dem Lorbeerbaum, und sie stimmte bei sich eine Klageweise an folgendermaßen:

 

Weh mir, wer hat mich erzeugt,
und welcher Mutterschoß mich hervorgebracht?

Denn als ein Fluch bin ich geboren vor den Kindern Israels,
und sie haben mich geschmäht und verhöhnt vom Tempel des Herrn!

   

 

Weh mir, wem bin ich gleich geworden?
Nicht den Vögeln des Herrn bin ich gleich geworden;
denn auch die Vögel des Himmels sind fruchtbar vor dir, Herr!

   

 

Weh mir, wem bin ich gleich geworden?
Nicht den Tieren des Feldes bin ich gleich geworden;
denn auch die Tiere des Feldes sind fruchtbar vor dir, Herr.

   

 

Weh mir, wem bin ich gleich geworden?
Nicht diesen Wassern bin ich gleich geworden;
denn auch diese Wasser sind fruchtbar vor dir, Herr!

   

 

Weh mir, wem bin ich gleich geworden?
Nicht diesem Land bin ich gleich geworden;
denn auch dieses Land bringt Früchte zur Zeit und lobt dich, Herr.

Und siehe, ein Engel des Herrn trat vor sie hin und sprach zu ihr: Anna, Anna, der Herr hat deine Bitte erhört, du wirst empfangen und einem Kind das Leben schenken, das auf der ganzen Welt gepriesen wird. Und es sprach Anna: So wahr der Herr mein Gott lebt, wenn ich ein Kind erhalte, sei es ein Knäblein oder ein Mädchen, so will ich es als Opfergabe dem Herrn weihen, und es soll ihm alle Tage seines Lebens dienen. Und siehe, es kamen zwei Boten und sprachen zu ihr: Siehe, Joachim, dein Mann, kommt zurück mit seinen Herden. Denn ein Engel des Herrn stieg zu ihm herab und sprach: Joachim, Joachim, erhört hat Gott der Herr dein Flehen, steig herab von hier, denn siehe, Anna, deine Frau, wird empfangen. Und Joachim stieg herab, rief seine Hirten und sprach: Bringt mir her zehn fleckenlose und tadellose Lämmer, sie sollen für den Herrn meinen Gott sein; und bringt mir zwölf fette Kälber, sie sollen sein für die Priester und Ältesten, und hundert Böcke für das ganze Volk. Und siehe, Joachim kam mit seinen Herden, und Anna stand an der Tür und sah Joachim kommen, und sie ging und fiel ihm um den Hals und sprach: Nun weiß ich, daß Gott der Herr mich reichlich gesegnet hat; denn siehe, die Witwe ist nicht mehr Witwe, und die Kinderlose wird ein Kind erhalten. Und es ruhte Joachim den ersten Tag in seinem Haus. Tags darauf brachte er seine Opfergabe dar, indem er bei sich sprach: Wenn Gott der Herr sich meiner erbarmt hat, so wird das Stirnband des Priesters es mir offenbaren. Und Joachim opferte seine Gaben und gab acht auf das Stirnband des Priesters, als er zum Altar des Herrn trat, und er sah kein Fehl daran. Und Joachim sprach: Nun weiß ich, daß der Herr sich meiner erbarmt und all meine Sünden nachgelassen hat.

Und gerechtfertigt stieg er vom Tempel des Herrn herab und ging in sein Haus. Es hatte sich aber ihre Zeit erfüllt und sie schenkte im neunten Monate einem Mädchen das Leben. Und sie sprach zur Hebamme: Was habe ich geboren? Und sie sprach: ein Mädchen. Und Anna sprach: Mein Herz ist erhoben an diesem Tag, und sie legte sich nieder. Nachdem aber ihre Tage vorüber waren, ward Anna rein und sie nährte ihr Kind und nannte es Maria.

Das Kind erstarkte von Tag zu Tag. Als es aber sechs Monate alt geworden war, stellte es die Mutter auf den Boden, um zu sehen, ob es wohl stehen könne. Und es machte sieben Schritte und kehrte zur Mutter zurück. Anna aber hob es auf und sprach: So wahr der Herr mein Gott lebt, du sollst nicht mehr wandeln auf dieser Erde, bis ich dich gebracht habe in den Tempel des Herrn. Und sie machte einen heiligen Raum in seinem Schlafgemach und nichts Gemeines und Unreines ließ sie hineingehen zu ihm. Und sie rief die reinen Töchter der Hebräer herbei, die sorgten für seine Zerstreuung.

Als das erste Jahr vollendet war, veranstaltete Joachim ein großes Mahl, und er lud dazu ein die Priester und die Schriftgelehrten und die Ältesten und das ganze Volk Israel. Und er reichte das Kind den Priestern, und sie segneten es und sprachen:

Du Gott unserer Väter, segne dies Kind und gib ihm einen Namen, der genannt wird unter allen Geschlechtern ewiglich. Und das ganze Volk sprach: Es geschehe, es geschehe. Und Joachim reichte das Kind den Hohenpriestern und sie segneten es und sprachen: Du Gott in der Höhe, schaue nieder auf dieses Kind und segne es mit dem höchsten Segen, der kein Ende nimmt. Und die Mutter nahm es hinweg und brachte es in das Heiligtum des Schlafgemaches und nährte es. Sie stimmte einen Lobgesang an und sprach:

Singen will ich ein Lied dem Herrn meinem Gott. Denn er hat mich heimgesucht und von mir genommen das Schmähen meiner Feinde. Und gegeben hat mir der Herr eine „Frucht der Gerechtigkeit", einfältig, vielgestaltig vor ihm. Wer verkündigt den Söhnen Rubens, daß Anna stillt? Hört, hört, ihr zwölf Stämme, daß Anna stillt.

Und sie brachte es zur Ruhe in das Heiligtum des Schlafgemaches und kam heraus und diente den Gästen. Als das Mahl geendigt war, gingen diese freudig nach Hause und priesen den Gott Israels.

Die Monate des Kindes mehrten sich. Als es zwei Jahr alt wurde, sprach Joachim zu Anna seiner Frau: Wir wollen es in den Tempel des Herrn hinaufführen, auf daß wir das Gelübde erfüllen, das wir getan haben, damit nicht etwa Gott der Herr sich abwende und unsere Gabe unwillkommen werde. Anna sprach: Warten wir das dritte Jahr ab, damit nicht etwa das Kind Vater und Mutter vermisse. Und Joachim sprach: Gut, warten wir ab.

Als das Kind drei Jahr alt geworden, sprach Joachim: Ruft die unbefleckten Töchter der Hebräer, sie sollen jede eine Fackel nehmen und diese sollen angezündet sein, damit das Kind sich nicht rückwärts wende und sein Herz dem Tempel nicht entfremdet werde. Und sie taten so, bis sie hinaufkamen in den Tempel des Herrn. Und der Priester nahm das Mädchen in Empfang, küßte und segnete es und sprach: Der Herr hat groß gemacht deinen Namen unter allen Geschlechtern der Erde; denn in dir wird am Ende der Tage der Herr seine Erlösung den Söhnen Israels offenbaren. Und er setzte das Kind auf die dritte Stufe des Altares, und Gott goß seine Gnade über das Kind aus und es tanzte auf seinen Füßen einher und das ganze Haus Israel gewann es lieb.

Die Eltern gingen voll Verwunderung weg und lobten Gott den Allmächtigen, weil das Kind sich nicht rückwärts gewandt hatte. Maria aber wurde in dem Tempel des Herrn aufgezogen wie eine pickende Taube und empfing Nahrung aus Engelshand.

Da sie aber zwölf Jahre alt ward, fand eine Beratung der Priester statt, die da sprachen: Siehe, Maria ist in dem Tempel zwölfjährig geworden, was sollen wir nun mit ihr machen, damit sie nicht das Heiligtum des Herrn unseres Gottes beflecke? Und sie sprachen zu dem Hohenpriester: Du stehst an dem Altar des Herrn, geh hinein in das Heiligtum und bete ihretwegen, und was immer dir der Herr offenbaren wird, das laß uns tun. Und der Hohepriester nahm das Amulett mit den zwölf Glöckchen und ging in das Allerheiligste und betete ihretwegen. Und siehe, ein Engel des Herrn trat herzu und sprach zu ihm: (Zacharias, Zacharias), gehe heraus und versammle die Witwer des Volkes und sie sollen je einen Stab mitbringen, und wem der Herr ein Zeichen gibt, dessen Frau soll sie sein. Es gingen aber die Herolde aus durch die ganze Umgegend von Judäa, und es erscholl die Posaune des Herrn, und alsbald liefen alle herzu. Joseph aber warf sein Beil weg und eilte, mit ihnen zusammenzutreffen, und nachdem sie versammelt waren, nahmen sie die Stäbe und gingen zum Hohenpriester. Er nahm die Stäbe von allen und ging in den Tempel und betete. Nachdem er aber das Gebet vollendet hatte, nahm er die Stäbe, ging heraus und übergab sie ihnen und keinerlei Zeichen erschien an ihnen.

Den letzten Stab aber bekam Joseph, und siehe, eine Taube kam aus dem Stab heraus und flog auf das Haupt Josephs. Und es sprach der Hohepriester zu Joseph: Du bist durchs Los dazu bestimmt, die Jungfrau des Herrn in deine Hut zu nehmen. Und Joseph redete dagegen und sprach: Ich bin ein alter Mann, sie aber ist jung; ich fürchte, ich werde lächerlich für die Kinder Israels. Und es sprach der Hohepriester zu Joseph: Fürchte den Herrn deinen Gott und gedenke daran, was Gott dem Dathan und Abiron und Korah getan hat, wie die Erde sich spaltete und sie verschlungen wurden wegen ihres Widerspruches. Und nun fürchte Gott, Joseph, damit so etwas nicht an deinem Hause geschehe. Und Joseph fürchtete sich und nahm sie in seine Obhut.

Hiermit schließt der Bericht des Protoevangeliums über die Eltern und die erste Jugend Marias bis zu ihrer Vermählung. Wegen seiner würdevollen Erzählung genoß es im Morgenland hohes Ansehen. An dem Festtag der hl. Anna (25. Juli und 9. September), ebenso am Geburtstag Marias (8. September) wurde es öffentlich in der Kirche vorgelesen. Für die Verehrung der hl. Anna ist es von höchster Bedeutung gewesen und hat sie im wesentlichen begründet. Wie sehr Prediger und Künstler aus ihm geschöpft haben, werden wir wiederholt sehen.

Ähnlich war es im Abendland, obwohl der hl. Augustin und der hl. Hieronymus eine ablehnende Stellung gegenüber den Apokryphen einnahmen. Und doch mußte gerade des letztgenannten Kirchenlehrers berühmter Name zur Verbreitung einer anderen apokryphen Schrift und dadurch zur Verehrung der hl. Anna nicht wenig beitragen. Es kommen hier vornehmlich zwei Schriften in Betracht, das Evangelium des Pseudo-Matthäus und das Evangelium von der Geburt Mariä.

Das Evangelium des Pseudo-Matthäus entstand kurz nach der Mitte des 5. Jahrhunderts und führt seinen Namen nach Tischendorf, der zuerst den vollständigen Text herausgab und der ihm auf Grund einer vatikanischen Handschrift den Titel gab: Buch von der Geburt der seligen Maria und der Kindheit des Erlösers. Der Verfasser entnimmt seinen Inhalt dem Protoevangelium und der „Kindheitsgeschichte des Thomas", einem ursprünglich wohl gnostischen Machwerk, das von dem Knaben Jesus allerlei „Kinderstreiche" und seltsame Geschichten zu berichten weiß. Maria erscheint als das Vorbild klösterlichen Lebens.

Wichtiger für unsere Unternehmung ist das „Evangelium von der Geburt Mariä", das dem 6. Jh. seinen Ursprung verdankt. In zehn Kapiteln erzählt es die Geschichte von Joachim und Anna, die Verkündigung und Geburt Mariä, ihre Kindheitsgeschichte und Vermählung mit Joseph und zum Schluß die Geburt Jesu. Seinen Stoff nimmt er aus dem Protoevangelium, dem Evangelium des Peudo-Matthäus, aus dem aber die glaubens-widrigen Stellen fortgelassen sind, und auch aus den echten Evangelien des Matthäus und Lukas. Indem es sich unter dem Namen des hl. Hieronymus einführt, fand es im Abendland eine weite Verbreitung. Vincenz von Beauvais nahm es um die Mitte des 13. Jahrhunderts teilweise (Kap. 1-8) in seinen „Geschichtsspiegel" auf und Jakob von Voragine fast ganz in seine berühmte legenda aurea - „Goldene Legende". Ohne in die Wundersucht der orientalischen Berichte zu verfallen, gibt der unbekannte Bearbeiter in schlichter und auch nordischem Empfinden ansprechender Weise Auskunft über die Herkunft der Eltern und die Geburt Mariä. Seine Erzählung erfreute sich beim christlichen Volk stets großer Beliebtheit und wird auch jetzt noch gern von ihm gehört. Wir lassen deshalb hier einen Auszug aus dem Büchlein folgen, und zwar besonders jene Stellen, welche von dem Protoevangelium abweichen.

Der Vater der Jungfrau Maria hieß Joachim, ihre Mutter Anna. Er stammte aus Nazareth in Galiläa, sie aus Bethlehem. Sie führten ein Leben in Einfachheit und Gerechtigkeit vor Gott und erfreuten sich bei den Menschen eines unbescholtenen Rufes. Ihren Besitz teilten sie in drei Teile; den einen verwendeten sie für den Tempel und die Priester, den zweiten zu wohltätigen Zwecken, den dritten für die eigenen Bedürfnisse. So lebten sie ungefähr zwanzig Jahre in frommer, aber kinderloser Ehe. Sie gelobten, falls Gott ihnen ein Kind schenken würde, es dem Dienst des Herrn weihen zu wollen und machten zu diesem Zweck auch jährliche Wallfahrten zum Tempel.

Als Joachim einstens wieder zu Jerusalem am Fest der Tempelweihe mit seinen Landsleuten ein Opfer darbringen wollte, seiner Kinderlosigkeit wegen aber von dem Hohenpriester öffentlich gescholten und zurückgewiesen wurde, wagte er aus übergroßer Scham nicht, in sein Haus zurückzukehren, sondern begab sich zu den Hirten auf das Feld. Hier erscheint ihm nach einiger Zeit mit hellem Lichtglanz ein Engel und tröstet ihn; auch Sara, Rachel, die Mutter Samsons und Samuels seien lange kinderlos gewesen. Seine Gattin werde ihm eine Tochter schenken, die er Maria nennen solle; diese werde schon im Mutterschoß vom Heiligen Geist erfüllt und einstens als unvergleichliche Jungfrau Jesus dem Erlöser der Welt das Leben schenken. Auch gibt der Engel ihm ein Zeichen für die Wahrheit seiner Aussage: Sobald Joachim zu Jerusalem bei der Goldenen Pforte des Tempels anlangt, wird ihm die über sein Ausbleiben beunruhigte Anna entgegenkommen, hocherfreut, ihn wiederzusehen.

Die gleiche Belehrung und Verheißung machte der Engel darauf der betrübten Anna. Seinem Befehl Folge leistend, begaben sich beide nach Jerusalem und trafen sich an dem bezeichneten Ort. Nachdem sie dem Herrn gebührend Dank gesagt hatten, kehrten sie freudig und hoffnungsfroh in ihr Haus zurück. Des Engels Verheißung erfüllte sich, und sie nannten das Kind Maria.

Nach drei Jahren brachten sie ihre Tochter zum Tempel nach Jerusalem, zu dem fünfzehn Stufen emporführen. Als sie das Kind auf die unterste Stufe stellten und der Sitte gemäß ihre geringen Reisekleider mit bessern Gewändern vertauschten, steigt die Kleine ohne Beihilfe zum Tempel hinauf, als wäre sie bereits erwachsen. Die Eltern kehren nach Erfüllung ihres Gelübdes in die Heimat zurück, wo sie bald darauf von Gott abberufen werden. Maria machte in allen Tugenden große Fortschritte. Täglich stiegen Engel zu ihr hernieder. Engel hielten alles Ungemach von ihr fern und förderten sie in allem Guten, so daß ihr Leben und ihre Aufführung allgemeine Bewunderung erregten.

Das sind also die ältesten Nachrichten über die Mutter Anna; zwar apokryph und legendenhaft ausgeschmückt, in ihrem Kern aber nicht ohne einigen Wahrheitsgehalt.

Was den Namen unserer Heiligen anlangt, so stützt er sich wie ihre ganze Lebensbeschreibung lediglich auf die Apokryphen. Und wie diese Apokryphen offenbar großenteils der biblischen Erzählung von Anna, der Mutter Samuels, nachgebildet ist, so hat man von dort auch ihren Namen übergenommen. Doch ist es nicht aus-geschlossen, daß durch die älteste Überlieferung wenigstens die Namen der Eltern Marias sich fortgepflanzt haben, wenn wir auch keinen eigentlichen Beweis dafür beizubringen wissen. Immerhin ist es eine sehr ehrwürdige Tradition, die für diesen Namen spricht, da sie schon in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhnderts, im Protoevangelium, so genannt wird.

In der Erklärung dieses Namens herrscht volle Übereinstimmung. Joachim, so spricht Epiphanius in einer Lobrede auf Maria, heißt soviel als „Bereitung des Herrn", weil aus ihm der Tempel des Herrn bereitet worden ist, die Jungfrau. Anna aber bedeutet Gnade, weil Joachim und Anna die Gnade erhielten, eine so edle Frucht zu empfangen, nämlich die hl. Jungfrau. Diese Deutung des Namens Anna kehrt bei allen Vätern wieder. So erklärt Johannes von Damaskus: „Anna empfing durch inständiges Gebet und durch göttliche Verheißung die Gottesgebärerin, damit die Großmutter des Herrn auch in dieser Beziehung hinter keiner der berühmten Frauen zurückstehe. Es gebar also die ‘Gnade’, das bedeutet Anna, ‘die Herrin’, was die Bedeutung des Namens Maria ist."

Es liegt dieser Interpretation die gemeinsame Anschauung zugrunde, welche der Kirchenlehrer Beda mit den Worten ausspricht, Christus wollte in diese Welt durch jene Patriarchen (Joachim und Anna) kommen, deren Name schon unser Heil bedeute.

Dieser Name begegnet uns durch das ganze Mittelalter und die Neuzeit ohne irgendwelches Schwanken. In Italien verbindet man ihn gern mit Maria, in Frankreich bildete sich daraus Marianne.

    Inhaltsverzeichnis

2. Kap.
Die Verehrung der hl. ANNA im Orient

An der Spitze aller Heiligen, denen die katholische Kirche Verehrung zollt, steht Maria, die Mutter des Erlösers. Ihr Lob wurde frühzeitig in Wort und Bild laut verkündet. Zu ihrer Ehre erhoben sich in frühchristlicher Zeit an den verschiedensten Orten prachtvolle Kirchen. Daneben galt die Verehrung des gläubigen Volkes besonders jenen christlichen Helden, die für den Glauben an Christus Gut und Blut geopfert hatten. So wurde von den Christen zu Antiochien alljährlich das Fest des Bischofs und Märtyrers Ignatius (+107) feierlich begangen.

Das älteste Heiligenverzeichnis stammt aus dem Jahre 336, es enthält nur Namen von Märtyrern und zählt im ganzen 53 Heiligenfeste auf. Nach dem Aufhören der blutigen Verfolgungen durch die römischen Kaiser dehnte sich die Verehrung der Gläubigen auch auf jene aus, die nicht zwar durch ihr Blut, wohl aber durch ihr heldenmütiges Tugendleben für Christus Zeugnis abgelegt hatten. Einer der gefeiertsten Heiligen war im Abendland der hl. Martin von Tours (+ 397).

Auch jenen Personen wandte sich die Verehrung des christlichen Volkes zu, die mit dem Heiland seiner leiblichen Herkunft nach verwandt waren. Da stand ihm nun nach seiner hl. Mutter Maria niemand näher als die hl. Anna. Daher wurde ihr ohne Zweifel frühzeitig die Verehrung der Gläubigen zuteil. Als man noch lange nicht daran dachte, Joseph, den Nährvater Jesu, in außergewöhnlicher Weise zu verehren, genoß Anna schon vielerorts die Verehrung der Gläubigen. Dazu hat gewiß der Bericht des weitverbreiteten und angesehenen Protoevangeliums viel mitgewirkt. Haben doch die Prediger immer nur wiederholt, was das Evangelium Jakobi von den Eltern Mariens berichtet.

Nachdrücklicher wurde die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf diese begnadigten Eltern hingelenkt durch die Glaubensstreitigkeiten über die Muttergotteswürde Mariens, welche zu Beginn des 5. Jahrhunderts die Kirche beunruhigten. Nachdem aber die Väter des Konzils von Ephesus (431) den Irrtum des Nestorius verworfen und Maria feierlich den Titel „Gottesgebärerin" zuerkannt hatten, mußte notwendigerweise ein Lichtstrahl dieser Auszeichnung auf die Eltern fallen, namentlich auf die hl. Anna. Kein Lobredner der Gottesgebärerin, der von Mariä Geburt sprach, konnte die Mutter Anna übergehen.

       Die Annakirche in Jerusalem

Nicht weniger hat zur Verbreitung ihrer Verehrung die Kirche beigetragen, die schon in altchristlicher Zeit an jener Stätte erbaut wurde, wo nach der Überlieferung das Wohnhaus der hl. Anna gestanden und wo sie möglicherweise der allerseligsten Jungfrau Maria das Leben geschenkt hat. Es lag, wie man glaubte, zu Jerusalem in der Nähe des Schafteiches, wo der Heiland den achtunddreißigjährigen Kranken heilte. Seit Kaiser Konstantin der Große dem Christentum die staatliche Anerkennung gewährt und er und seine Mutter Helena die ehrwürdigen Stätten Palästinas mit wunderbaren Prachtbauten geschmückt hatten, zog es viele Christen des Morgen- und Abendlandes mit unwiderstehlicher Gewalt zu jenen Orten, an denen der Heiland der Welt für uns gelebt und gelitten. Mächtig und unvergeßlich waren die Eindrücke, die sie dort empfingen. Im größeren Umfang fanden diese Pilgerzüge jährlich zweimal statt, im Frühjahr und im Herbst. Namentlich aus dem Morgenland strömten die Gläubigen in großen Scharen nach Jerusalem, um das hl. Kreuz zu verehren.

Bei dieser Gelegenheit besuchten sie natürlich auch die Marienkirche, d. h. die an jener Stätte erbaute Kirche, wo vermutlich Anna Maria zur Welt gebracht hatte. Die alten Pilgerberichte lassen an dem Glauben an diese Überlieferung keinen Zweifel aufkommen. So bemerkt um das Jahr 800 eine Beschreibung der hl. Orte kurz: „In (der Kirche) Sankta Maria, wo sie (Maria) geboren wurde."

Daß sich in der Nähe des Schafteiches eine Marienkirche befand, berichtet schon um 570 der Pilger Antonin von Piacenza, der noch hinzufügt, es geschehen dort viele Wunder. Ebenso weiß vierzig Jahre zuvor der Pilger Theodosius zu melden, daß sich die Marienkirche am Schafteich befindet. Zwar erwähnen diese beiden Pilger nicht, daß hier die Geburtsstätte Mariens verehrt werde, aber bereits mehrere Jahrzehnte nach dem Pilger Antonin spricht davon Sophronius, der spätere Patriarch von Jerusalem (+638) in einer dichterischen Beschreibung der hl. Orte:

 

Laßt betreten mich den heiligen Schafteich,
Wo Maria einst von Anna uns geboren ward.
Wie? Den Markt der Stadt durchschreitend
Sollt' stolz ich vorübergehen
An der Stätte, wo im elterlichen Haus
Unsre Königin das Licht der Welt erblickte?
Der geweiht der makellosen Gottesmutter,
Nein, betreten will den Tempel ich,
Und will küssen und in meine Arme schließen
Seine Marmorwände, die mir über alles lieb.

Es ist bemerkenswert, daß in diesem Gedicht die hl. Anna ausdrücklich erwähnt wird. Wie hätten die Pilger, die hierher kamen, jene hehre Frau vergessen können, die der Gottesmutter das Leben gegeben! Im Lauf der Zeit nahm die Verehrung der hl. Anna so zu, daß ursprünglich Maria geweihte Kirche nach ihr benannt wurde, was zumindest seit dem 6. Jh. geschah. Der genaue Zeitpunkt dieser Namensänderung ist unbekannt, uns genügt zu wissen, daß um das Jahr 500 den Pilgern zu Jerusalem eine Kirche gezeigt wurde, in der man der hl. Anna besonders gedachte. Daß man dann zu ihr auch betete, zumal wenn es Frauen waren, die gleich ihr lange Zeit des Kindersegens entbehrten, ist ein naheliegender Schluß. Anna genoß also um 500 gewiß Verehrung seitens der Gläubigen und Pilger, die sie um ihre Fürsprache anflehten.

Jerusalem genießt nun allerdings nicht ohne Widerspruch den Ruhm, die Geburtsstätte der Gottesmutter gewesen zu sein, diesen Ruhm macht ihr seit langem das zwei Stunden von Nazareth gelegene Sephora (Sephoris) streitig. Sephoris, nach einer Zerstörung von Herodes Antipas wieder aufgebaut und dem Kaiser Augustus zu Ehren Diöcäsarea genannt, war Bischofssitz. 518 wird ein Marcellinus, 536 ein Cyriacus als Bischof erwähnt. Hier sollen Joachim und Anna ein Haus besessen und längere Zeit gewohnt haben. Heute befinden sich dort noch Überreste einer Kirche, deren Ursprung einige Archäologen ins 4. oder wenigstens ins 5. Jh. setzen. Von dem Perserkönig Chosroes II. 614 der Zerstörung preisgegeben, wurde diese Kirche zur Zeit der Kreuzfahrer als dreischiffige Basilika wieder aufgebaut, um unter Sultan Saladin 1127 abermals der Vernichtung anheimzufallen. Nur die drei Apsiden blieben erhalten und wurden von der türkischen Bevölkerung des Ortes bis in die neueste Zeit unberührt gelassen. Im Jahr 1880 gelangten die Ruinen in den Besitz der Franziskaner und wurden von ihnen restauriert.

Bei der Restauration fand man mitten in den dicken Mauern der Apsis (auf der Evangelienseite), in denen auch eine alte schmale Steintreppe nach oben führt, deutlich die dünnere Wand eines Hauses, von beiden Seiten mit den Quadern der Kirchenmauer umfaßt, so daß offenbar zu sehen ist, wie man beim ersten Bau hier die Mauern eines alten Hauses konservieren wollte. Seitdem findet alljährlich am 26. Juli eine größere Feierlichkeit zu Ehren der hl. Anna statt.

Die Tradition, daß Joachim und Anna in Sephora Eigentum besaßen, hat zwar nicht ein so ehrwürdiges Alter für sich wie das Haus zu Jerusalem. Doch Eugesippus (11. Jh.) kennt sie bereits, er berichtet, daß dort Anna und ihre Schwester Hermana geboren wurden. Pilgerziel war der Ort aber sicher schon im 6. Jh., da Antonin von Piacenza dorthin kam. Wenn man bedenkt, daß Nazareth, wo Maria vom Engel die Botschaft erhielt, nur zwei Wegstunden von Sephora entfernt liegt, dann scheint die Tradition nicht ohne Fundament zu sein. Hatte diese Überlieferung aber bei den Gläubigen einmal Anklang gefunden und zog sie Pilger nach Sephora, wie Antonin bezeugt, so war bis zur Verehrung der hl. Anna nur ein Schritt. - Die beiden Traditionen schließen sich nicht aus. Denn Joachim konnte für die jährlichen Pilgerfahrten nach Jerusalem für sich und seine Familie dort ein Haus als Absteigequartier haben.

Die Annakirche hatte ein sehr wechselvolles Schicksal. Als König Chosroes II. von Persien 614 Jerusalem eroberte und fast 10.000 Christen ermordete, ließ er die schönsten Kirchen zerstören, darunter auch die Annakirche. Doch schon bald wurde sie wieder aufgebaut, wenn auch nur in bescheidenem Ausmaß.

Die Eroberung Jerusalems durch die Mohammedaner 635 verursachte dem Heiligtum neuen Schaden; blieb es auch im Besitz der Christen, so verlor es doch viel von seiner alten Bedeutung. Erst die Gaben und Geschenke Karls des Großen, der mit dem Kalifen Harun al Raschid freundschaftliche Beziehungen unterhielt, ließ es zu neuem Glanz erstehen. Neben der Kirche befand sich wenigstens schon um das Jahr 808 ein Kloster, das auch den Namen St. Anna erhielt und in dem damals 25 Nonnen lebten.

Indes konnten sich die Christen auch jetzt nicht dauernd eines ungestörten Besitzes des Heiligtums erfreuen. Als die Seldschucken sich Palästinas bemächtigten und die hl. Stätten jeglicher Greuel und Verwüstung preisgaben, mußte die Annakirche als mohammedanisches Kolleg dienen, bis die Kreuzfahrer unter Gottfried von Bouillon die heilige Stadt den Ungläubigen entrissen und die Kirchen dem christlichen Gottesdienst zurückgaben. In das Kloster neben der Annakirche hielten abendländische Nonnen ihren Einzug; sie beobachteten die Regel des hl. Benedikt und zählten unter sich Mitglieder aus den ersten fürstlichen Häusern. Damals begann für Kirche und Kloster eine glückliche Zeit. Im Jahre 1104 wurde nämlich Arda, die Tochter des armenischen Fürsten Taphnuz, die König Balduin als Gattin aber später verstoßen hatte, in das Kloster verwiesen, das aus diesem Anlaß beträchtliche Güter erhielt, die es gestatteten, Kirche und Kloster bedeutend zu erweitern. Die Kirche wurde ungefähr um die Hälfte verlängert und mit einem neuen Chor versehen, der drei Apsiden hatte. Damals wohl erhielt die Kirche jene Gestalt wie im wesentlichen noch heute, abgesehen von der Fassade, und deren Aussehen uns P.Horn in seiner „Iconographie" der hl. Orte Palästinas aufbewahrt hat. Sie ist das Werk eines Architekten, der mit den Kreuzfahrern nach Palästina gekommen war. Im Innern wurde sie mit Gemälden aus der Legende der hl. Anna und Joachim ausgeschmückt. Auch Königin Melisenda, deren Schwester Judith, Tochter Balduins II., hier den Schleier nahm, wandte dem Kloster ihre Gunst zu.

Ihrem Beispiel folgte später Theodora, Witwe Balduins III. Man beging damals das Fest der hl. Anna am 25. Juli mit großer Feierlichkeit, wie uns der Pilger Johannes von Würzburg berichtet.

Wie in früheren Zeiten, so ward die Kirche wieder von andächtigen Pilgern besucht. Sie erachteten es für ein Glück, wenn sie zum Andenken Blätter von einem Baum vor der Kirche erhielten, der nach einer alten Legende gerade in dem Augenblick hervorsproßte, als Anna ihrer Tochter das Leben schenkte. Christliche Mütter, die am Fest der Geburt Mariä von der Frucht des Baumes genaßen, wurden dadurch des Kindersegens teilhaftig. So meldet es wenigstens der griechische Dichter Perdiccas von Ephesus im 12. Jh.:

 

Wo sich der beiden Eltern heilig Grab erhebt,
Ragt stolz ein großer, schattenreicher Baum empor,
Der an dem Tag, an dem die Unbefleckte einst
Geboren ward, den Unfruchtbaren Frucht verleiht,
Wenn fest im Glauben sie genossen von der Frucht.

Kaum zwei Jahrhunderte blieb die Kirche im Besitz der Christen. Sie wurde in eine Moschee verwandelt, als Sultan Saladin nach der Besiegung der Kreuzfahrer 1187 die Stadt Jerusalem eroberte. In dem Kloster der Benediktinerinnen ließ er eine türkische Prophetenschule einrichten. Nur mit Mühe und unter Gefahr vermochten sich seitdem einzelne Pilger Eintritt in das Heiligtum zu verschaffen. Es mußte meistens heimlich geschehen. So berichtet der Pilger Bernhard Breidenbach im Jahre 1484: Auf St. Annen, unser lieben Frauen Fest und Hochzeit, was am 26. des Monats Juli, wurden wir durch die Gunst eines Heiden in St. Annas Haus eingelassen, da vor Zeiten eine schöne Kirche ist gestanden, zu ihrer Ehre erbaut, woraus die Heiden zu ihrem Gebrauch eine Moschee gemacht haben, darum sie keinen Pilger darin lassen, es geschehe denn heimlich. Aus derselben Kirche kamen wir in einen daranstoßenden Kreuzgang; und da stiegen wir in etliche finstere und dunkle Grüfte, und brennende Kerzen tragend kamen wir an die Stelle, wo sant Anna die Jungfrau und Gottesmutter Maria hat geboren, und an dem Ende nahe dabei, wo sant Anna mittels des Todes aus dieser Zeit geschieden ist.

Doch konnten die Franziskaner, die als Wächter der hl. Stätten zur Zeit des Quaresimus (1616-1626) in Palästina weilten, am Fest der hl. Anna in der Krypta die hl. Messe lesen und der spanische Franziskaner Antonio von Castillo, der 1628 sich daselbst aufhielt, berichtet, daß er am Feste Mariä Geburt in der Krypta die hl. Geheimnisse gefeiert habe. Wie aus der Zeichnung des P. Horn vom Jahr 1725 hervorgeht, besaß die Krypta damals noch drei Altäre, davon einer an der Stätte, wo die Geburt Mariä stattgefunden haben soll. Nach dem Palästinareisenden Ludolf von Suchem war die Außenseite der Kirche mit der Geschichte Annas und Joachims geschmückt.

Es sollten indes für das altehrwürdige Heiligtum noch traurigere Tage kommen. Zwar gelang es den Franziskanern, nach dem Sieg der Österreicher über die Türken und nach dem Frieden von Karlowitz (1699) durch die Vermittlung des Kaisers Leopold die Erlaubnis zu erwirken, in der unterirdischen Kirche zweimal im Jahr die hl. Messe zu feiern, später aber nahmen die Türken diese Erlaubnis zurück und verwandelten das Heiligtum in einen Pferdestall. In dem ehemaligen Nonnenkloster wohnten nur Männer; denn wie P. Horn schreibt, starben die Frauen und deren Mägde immer eines schnellen Todes, wenn sie das Kloster bezogen. Gott wollte nicht, fügt er bei, daß dort gemeine und schmutzige Weiber hausten, wo die allerseligste Jungfrau Maria, ihre Eltern und andere heilige Jungfrauen und Frauen gewohnt hatten.

Und als 1840 Ibrahim Pascha, der Herrscher Ägyptens, auch Palästina unter seine Herrschaft brachte, ließ er nicht nur das alte Benediktinerinnenkloster abbrechen, um daraus neben dem Schafteich eine Kaserne zu bauen, er gab auch den Befehl zum Abbruch der als Moschee dienenden Annakirche. Doch der Befehl kam nicht zur Ausführung. Als man mit dem Abbruch beginnen wollte, wurde Ibrahim Pascha gestürzt. Die Kirche war damit vor der Zerstörung bewahrt, blieb aber noch immer in den Händen der Mohammedaner.

Als die Türken mit Unterstützung der Franzosen im Krimkrieg die Russen besiegten, äußerte Kaiser Napoleon III. den Wunsch nach Zurückgabe einer alt-christlichen Verehrungsstätte in Jerusalem. Und da er ausdrücklich die St. Annakirche nannte, kam das altehrwürdige Heiligtum mit Zustimmung des türkischen Sultans nach einer mehr als sechshundertjährigen Profanation wieder in den Besitz der Christen.

Charland glaubt, daß die Türkei von selbst die Kirche angeboten habe. Das verfallene Gebäude wurde mit Unterstützung der französischen Regierung wieder hergestellt. P. Vincent bemerkt, die Türkei habe die Kirche zuerst England angeboten, aber Lord Palmerston habe abgelehnt. Die Übergabe geschah am 29. Oktober 1856. De Vogue war der erste, der ihre archäologische Bedeutung erkannte und ihr in seinen „Kirchen des Heiligen Landes" ein ausgezeichnetes Kapitel widmete. Der Architekt Mauß wurde mit ihrer Wiederherstellung betraut. Sie liegt in der Nähe des St.-Stephanstores und mißt in der Länge 40 m, in der Breite 19,28 Meter. Aus dem Südschiff führt eine Treppe von 23 Stufen zur Krypta hinab, wo Anna ihre Tochter geboren haben soll. Seit 1878 ist sie wieder dem Gottesdienst übergeben, und die Feste der unbefleckten Empfängnis und der Geburt Marias werden neben denen der Mutter Anna in feierlicher Weise begangen.

Man wollte sogar die Gräber der hl. Joachim und Anna wiedergefunden haben (?), und zwar in ihrem eigenen Haus, d. h. unter der jetzigen Annakirche. Diese Entdeckung schrieb sich der französische Assumptionist P. Cre zu. Als er 1888 unter der Kirche Ausgrabungen veranstaltete, entdeckte er daselbst eine mit Trümmern angefüllte Höhle; er ließ sie zu einer Totenkammer ausstatten und mit zwei Wandgräbern versehen, um dann 1893 bekanntzugeben, daß hier die hl. Joachim und Anna nach ihrem Tod beigesetzt worden seien.

Die Meinung, daß Anna an der Stelle, an der sie angeblich Maria geboren, auch gestorben sei, ist nicht ganz neu. Zuerst tritt sie bei dem russischen Pilger Daniel (1112) auf, der sie in Jerusalem selbst vernahm; sie muß also schon älter gewesen sein. Seitdem begegnet sie uns in ungefähr sechzehn Reiseberichten. Diesen sechzehn stehen aber wohl zweihundert andere gegenüber, die des vermeintlichen Annagrabes keine Erwähnung tun. Auch der hervorragende Kenner der Lokaltradition Quaresimus spricht nicht davon, und nicht nur P. Meistermann hat sie abgelehnt, auch tüchtige Kenner der altchristlichen und jüdischen Gebräuche wie Lagrange, Vailhe und Leclercq haben sich dagegen ausgesprochen, da die Toten bei den Juden nicht innerhalb der Stadt, also noch weniger innerhalb der Wohnungen begraben worden sind.

Nach diesen Ausführungen über die Bedeutung der Annakirche für die Entwicklung der Annaverehrung kehren wir in das christliche Altertum zurück.

Die Verbreitung der Annaverehrung in der orientalischen Kirche

Die Verehrung der hl. Anna blieb nicht lang auf Jerusalem und seine Umgebung beschränkt. In ihre Heimat zurückgekehrt, erzählten die Pilger, was sie in der Ferne gesehen und gehört hatten. Auch die Kirche, „wo Anna Maria geboren" hatte, blieb gewiß nicht unerwähnt. Mancher wird daheim ihre Verehrung fortgesetzt und andere dazu ermuntert haben. Einen glänzenden Beweis für die Ausbreitung ihrer Verehrung bildet die Tatsache, daß vor dem Jahre 550 in Konstantinopel durch Kaiser Justinian I. zu ihrer Ehre eine Kirche erbaut wurde, die „ein wahres Wunder von Schönheit und Pracht” war. Es war wohl die erste Kirche, die nach ihrem Namen benannt war, und lag im Stadtviertel, das Deuteron hieß. Durch Erdbeben oder andere Verheerungen zerstört, ließ Kaiser Justinian II. sie hundertfünfzig Jahre später (710) wieder herstellen und schenkte ihr bei dieser Gelegenheit die Reliquien der hl. Anna, welche angeblich aus Palästina herübergebracht worden waren. Abermals in Verfall geraten gab ihr im 9.Jh. Kaiser Basilius ihre frühere Pracht und Schönheit zurück.

Ein deutliches Zeugnis für die Verehrung, deren sich die Mutter Marias in Konstantinopel erfreute, ist die Tatsache, daß außer der Kirche in Deuteron noch mehrere andere Gotteshäuser nach ihr benannt wurden. Das zweite erbaute ebenfalls ein Mitglied der kaiserlichen Familie, nämlich Anna, Gemahlin Leos des Isauriers (714-741), die auch ein Kloster zu Ehren ihrer Namenspatronin gründete. Zu dieser Gründung wurde sie durch die unerwartete Geburt eines Kindes veranlaßt. Als sie aus den Blachernen heimkehrte, wurde sie unterwegs von Geburtswehen überfallen, kehrte bei einem Protospathar ein, brachte hier ein Kind zur Welt und verwandelte das Haus in ein Kloster. Keine hundert Jahre später wurde eine dritte Annakirche in Konstantinopel erbaut, und wieder war es eine Kaiserin, die den Bau aufführen ließ, nämlich Theodora, Mutter des Kaisers Theophilus.

Die Verehrung der hl. Anna wurde in der kaiserlichen Familie stark gepflegt. Hierfür spricht auch der Umstand, daß in der von Konstantin gegründeten und von Justinian erweiterten Hofburg eine Kapelle nach unserer Heiligen benannt worden war. Diese Burg lag in der Nähe der Hagia Sophia. Kaiser Leo VI. (886-912), von dem noch mehrere Homilien erhalten sind, ließ in der Nähe seiner Gemächer ein Oratorium der hl. Anna einrichten, von dem eine Beschreibung auf uns gekommen ist. Derselbe Leo VI. errichtete in der Nähe des Klosters „von der Quelle" eine Kapelle der hl. Anna, um ein Unrecht wieder gutzumachen, das er sich gegen den Verwalter des Klosters hatte zuschulden kommen lassen. Es wurde von Kaiser Justinian errichtet und ist eines der wenigen Klöster aus dieser frühen Zeit Konstantinopels, die noch erhalten sind. In einem Kloster der hl. Anna namens Rigidion verlebte die hl. Theodora, Gemahlin des Kaisers Theophilus und Freundin der hl. Bilder, ihre letzten Jahre. Auch Galata, die Vorstadt Konstantinopels, besaß eine Annakirche, deren Erbauungszeit jedoch nicht sicher feststeht.

Dieser Bestand von fünf Kirchen oder Kapellen in Konstantinopel, die den Namen der hl. Anna trugen, sind ein starkes Zeugnis der blühenden Annaverehrung, der sich im Laufe der zweiten Hälfte des l. Jahrtausends in der Hauptstadt des byzantinischen Kaiserreiches entwickelt hat.

Die eifrige Verehrung der hl. Anna innerhalb der kaiserlichen Familie und in der Hauptstadt des Reiches übte natürlich weithin seinen Einfluß aus. Er dehnte sich bald auf die von Byzanz abhängigen oder mit ihm in geistiger Beziehung stehenden Länder aus. Es fließen hier allerdings die Quellen nicht so zahlreich, um dessen Höhe und Tiefe verfolgen zu können. Ganz fehlen sie allerdings nicht. Es sind besonders die begeisterten Lobreden und die herrlichen Loblieder, die sich bis heute erhalten haben und teilweise noch jetzt in den Kirchen des Morgenlandes ertönen. Aus der großen Anzahl dieser Lobsprüche können wir hier nur einige Proben anführen.

Andreas, Erzbischof von Kreta, + um 730, singt in einer seiner Oden:

 

Heute, fromme Anna, feiern wir deine Empfängnis (der Jungfrau Maria); denn von den Banden der Unfruchtbarkeit befreit, hast du diejenige in deinem Schoß empfangen, die den umfangen konnte, der niemals erfaßt werden kann.

Von den Rednern nennen wir an erster Stelle den Bischof Petrus von Argos (Griechenland), der in Konstantinopel geboren und dort schon in der Jugend mit Liebe zur hl. Anna erfüllt war. Von ihm stammt die älteste Lobrede auf die hl. Anna, welche wir besitzen. Gestorben ist der Bischof, den die griechische Kirche unter die Heiligen zählt, vor dem Jahr 920. Sie feiert sein Fest am 3. Mai. Da die Lobrede sehr umfangreich ist, wollen wir wenigstens einige Teile zitieren:

Im Begriff, das Lob der großen hl. Anna zu verkündigen, fürchte ich, es möchte mich der Vorwurf treffen, daß ich mich vermessen an das Unerreichbare wage und ein Ziel verfolge, das über meine Kräfte hinausgeht... Doch es trifft mich, wofern ich mein Möglichstes getan, kein Tadel in den Augen desjenigen, der nicht die Beschaffenheit der Gabe in Anschlag bringt, sondern den guten Willen des Gebers.

Das macht mir bei diesem Gegenstand Mut und spornt mich an, die hl. Anna, deren Namen Gnade bedeutet, mit meinem Lob zu verherrlichen, das ist jene, die durch ihre Tochter die ganze Welt mit jeder Gnade erfüllt hat, jene, die sich unter dem Gesetz als die gerechteste und im Reich der Gnade als die heiligste erwies; jene, welche wegen ihres untadeligen Wandels das Ende des Gesetzes erlebte und den freudevollen Anfang des Reiches der Gnade, den so viele Propheten umsonst zu sehen gewünscht, nicht bloß sah, sondern auch dazu mitwirkte.

Anna, gleichsam der Beginn und das letzte Anzeichen der nahenden Erlösung, sah den Mond abnehmen und jene Sonne, die an Größe und Glanz jede andere überstrahlt, aus ihrem eigenen Lichtherd hervorgehen oder vielmehr aus dem Schoß ihrer Tochter, gleichwie „aus einem Ausgang aus der Höhe" (Luk. 1,78). Aus ihrer Tochter entsprang wie aus einer unversieglichen und übersprudelnden Quelle der Strom, der die vom Pesthauch der Sünde ausgedorrte Erde mit seinen Wassern wieder neu belebte.

Anna schaute in sich nicht nur ein Bild, sondern die Wahrheit selbst, unmittelbar sah sie das Urbild. Mittels ihrer Tochter schenkte sie uns den Schöpfer und Herrn des Weltalls. Durch sie begann sich der ewige Ratschluß Gottes in bezug auf uns zu erfüllen. Durch sie wurden uns Güter zuteil, welche über jeden Begriff und Ausdruck erhaben sind. Sie ist das Paradies Gottes, das uns mit den herrlichsten Früchten jeglicher Art erfreute. Sie ist der gutgründige und getreidespendende Acker, die fruchtbare und allernährende Erde. Sie ist der reichgesegnete Ölbaum, der die Frucht der Barmherzigkeit hervorgebracht und durch die Tochter in reichster Fülle über die ganze Menschheit ausgegossen hat. Sie ist der von Gott gepflanzte Weinstock, der uns die Traube geschenkt, die alle mit Freude erfüllt und die Trauer der Sünde getilgt hat.

Anna ist die echte Tochter Abrahams, überstrahlt ihn aber an Ruhm...
Anna ist die edelste Tochter des Stammes Juda, die Quelle seines Ruhmes und der Schrecken seiner Feinde... Anna ist die schönste Zierde des hocherlauchten David, dessen Ruhm groß und herrlich ist unter den Propheten und Königen, sie ist die Erfüllung der Weissagungen, die er von dem Herrn in den Psalmen verkündet. So stieg Anna, von Abraham, Juda und David ihr Geschlecht ableitend, zum höchsten Gipfel der Tugend empor, nicht sowohl von jenen zu solcher Höhe des Ruhmes erhoben als vielmehr sich selbst zu derselben erhebend, durch den Besitz nämlich aller jener mannigfachen Grundtugenden, denen die besonderen selbstredend zur Seite gehen.

So hat Anna, in allem die Vollkommenheit zur Richtschnur nehmend, alle diejenigen, Männer wie Frauen, die auf dem gleichen Weg zu wandeln bestrebt waren, in dem Grad übertroffen, wie die Frucht ihres Schoßes jede andere Leibesfrucht an Glanz überstrahlt. Hierfür legen die außerordentlichen und jede Fassungskraft übersteigenden Tatsachen, die in der Folge sich an ihr verwirklichten, ein beredtes Zeugnis ab.

Denn welche andere Mutter unter allen jenen, die von Anbeginn der Welt ihr Leben heilig beschlossen, ist die Mutter der Mutter Gottes und die unmittelbare Stammutter des Herrn geworden? Welche andere wurde je gewürdigt, bei einem so hohen Geheimnisse als Werkzeug zu dienen? Allein obgleich ein Muster der Tugend, schon bevor sie zu hoher Würde erhoben wurde, blieb sie dennoch bis in ihr hohes Alter kinderlos, und es schmerzte sie gar sehr, des Kindersegens sich beraubt zu sehen. Es war nämlich jenem Volk verheißen, daß diejenigen, die eine Nachkommenschaft zurückließen, gesegnet würden, wohl aus dem Grund, damit das auserwählte Volk Gottes sich soviel als möglich vermehrte und, der erhaltenen Verheißung gemäß, sich soweit ausdehnte als die Sterne des Himmels und der Sand des Meeres.


Anna aber, zur Kinderlosigkeit verurteilt und bereits in ein hohes Alter getreten, sucht nicht Trost wie Sara in Ismael, noch denkt sie daran, nachdem der Himmel ihr eine Tochter geschenkt, dieselbe durch die gesetzliche Ehe zu binden - die Vermehrung des von Gott geliebten Volkes war nämlich ein Erfordernis jener Zeit -, sondern sie brachte sie schon als Kind dem Herrn dar, der sie ihr gegeben, und es flößte ihr auch das zarte Alter desselben weder Bedenken noch Besorgnis ein. Darum wurde Anna zur Mutter der Mutter Gottes auserkoren, und darum ist sie auch über alle Mütter erhaben, einzig nur ihre Tochter ausgenommen.


So ist denn Anna über alle Väter und Mütter erhaben, mögen sie ihres großen Ruhmes wegen als Propheten und Patriarchen noch so sehr bewundert werden: einzig nur ihre Tochter steht über ihr, so wie auch diese über alles Geschaffene hoch erhaben ist, ausgenommen nur ihren Sohn, den sie vom Heiligen Geist empfangen hat.


Solcher Auszeichnungen wird Anna von Christus, ihrem Enkel, dem Fleisch nach gewürdigt; ein solcher Ehrenpreis wurde ihr im Hinblick auf ihren makellosen und sozusagen überirdischen Wandel zuteil. Das ist gleichsam der ihr zuerkannte Siegespreis für die vielen Kämpfe, welche sie für die Tugend überhaupt und für die Keuschheit insbesondere überstanden; das ist die Glorie der unerschütterlichen Hoffnung, welche sie auf Gott gesetzt; das ist die volle Wirklichkeit dessen, was ihr lauterer Glaube gehofft.


Und wer nun ist die Anführerin des Festes? Es ist Anna, „die Gnade", von der uns die Herrin und Gebieterin des Weltalls geschenkt worden ist. Es ist Anna, die diejenigen, die der erste Sündenfall aus dem ursprünglichen Sitz des Paradieses vertrieben, durch die Frucht ihres Schoßes dorthin wieder zurückgeführt. Es ist Anna, die die zur Trauer Verurteilten mit unaussprechlicher Freude und Wonne erfüllt. Es ist Anna, die durch ihre Tochter über diejenigen, die der Finsternis der Sünde überantwortet waren, die große Sonne ausgestrahlt hat. Es ist Anna, die den durch Armut an Tugend ins Elend Gestürzten die aus der Tugend entspringende Fülle unentreißbarer und unversieglicher Glückseligkeit mitgeteilt und sie wieder zur ursprünglichen Heimat zurückgeführt hat. Es ist Anna, die das ganze Menschengeschlecht, das durch die Stammmutter Eva gefallen, durch ihre Tochter wieder aufgerichtet. Es ist endlich Anna, die den Schatten, da nunmehr sein Ende gekommen, für immer verscheucht und uns das Licht der neuen Gnade geschenkt hat.

Das ist der Willkomm, den uns die Großmutter des Herrn bereitet; das sind die Güter, die sie uns als ihren Gästen mitteilt. Sie führt auch ihre Tochter, die Gebieterin des Weltalls, herbei, die, weil von Liebe zur Mutter, vereint mit ihr uns Beistand und Hilfe leistet. Mit der Tochter führt Anna zugleich auch deren göttlichen Sohn herbei, ihren Enkel nach seiner irdischen Abstammung. Oder werden sie sich etwa heute nicht vereinen und miteinander sich freuen, die Mutter mit der Tochter und der Enkel mit der Großmutter? Ist es doch er selbst, der uns in diesen Geboten, die er aufgestellt, nach dem Schöpfer, dem Vater aller Väter, auch die Eltern zu ehren befohlen hat. Und wer dürfte zweifeln, daß auch die ganze himmlische Heerschar herbeieilen wird, um ihrem und unser aller Gott und Schöpfer gleichsam als Gefolge und Ehrengeleit zu dienen? Denjenigen aber, die sich hier versammelt, werden Ehrengeschenke ausgeteilt, damit die Festfeier um so freudenvoller und glänzender werde und damit die Teilnehmer an derselben eine um so größere Wonne und Seligkeit genießen.


Darum wollen wir allesamt, die wir uns nach der Fülle geistlicher Gnadengeschenke sehnen, mit freudigem Herzen zu ihrem Fest hineilen und die vielleicht etwas Säumigen durch Worte der Belehrung und Ermunterung anspornen. Hat uns doch Anna nicht etwa eine Gnadenwonne bereitet, die wie ein Nebel zerrinnt, der Verderbnis anheimfällt und jenen, die sie kosten, wenig oder gar nichts des Guten bringt, sondern eine Wonne, die festen Bestand hat und der Verderbnis unzulänglich ist, eine Wonne, sage ich, die jene, denen sie zuteil wird, mit der Hoffnung auf noch Höheres erfreut und zum Gipfel der wahren Glückseligkeit emporführt; eine Wonne endlich, welche diejenigen, die derselben würdig erfunden werden, instandsetzt, das ewige Freudenfest im Himmel mit geläutertem Herzen zu feiern.


Ähnliche Lobreden, die zumeist am Fest Mariä Empfängnis oder Geburt gehalten wurden und darum gewöhnlich auch den hl. Joachim einbegreifen, ließen sich zahlreich aus dem Orient zusammenstellen, z. B. von Johannes von Euböa (um 750), von Tarasius, Patriarch von Konstantinopel (+ 806), dem bekannten Photius (+891).


Wir begnügen uns damit, hier einige Stellen aus den Schriften des hl. Kirchenlehrers Johannes von Damaskus folgen zu lassen, dessen Lobsprüche auf die hl. Anna teilweise in das Römische Brevier aufgenommen waren.


„O glückliches und wahrhaft fleckenloses Ehepaar Joachim und Anna! Aus eurer Frucht werdet ihr erkannt. Da ihr einen reinen und heiligen Wandel geführt, habt ihr die Perle der Jungfrauschaft hervorgebracht, jene nämlich, die vor der Geburt, bei der Geburt und nach der Geburt Jungfrau war, jene, sage ich, die allein ihrem Geist, ihrer Seele und ihrem Leib nach allzeit Jungfrau war und blieb. O reinstes, geistiges Taubenpaar, Joachim und Anna! Weil ihr dem Gesetze der Natur, das ist der Keuschheit, treu nachgelebt, wurdet ihr der Dinge gewürdigt, die über die Grenzen der Natur hinausgehen; denn ihr habt diejenige hervorgebracht, die, von keinem Mann erkannt, die Mutter Gottes geworden. O schönstes und süßestes Töchterlein! Glücklich die Arme, die dich getragen, und glücklich die Lippen, die deine heiligen Küsse empfangen, ein Glück indes, das nur deinen Eltern zuteil geworden ist, damit du in allem jungfräulich bleibest.

Heute hat das Heil der Welt seinen Anfang genommen. Es jauchze dem Herrn die ganze Erde auf! Singt, frohlockt und laßt ertönen die Saiten der Zither! Erhebt eure Stimme, erhebt sie! Bannt die Furcht aus dem Herzen, weil uns beim heiligen Schafteich die Mutter Gottes geboren worden, von der das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt, geboren werden sollte."


Schließlich führen wir noch ein altes Kirchenlied an, das man im Orient zu Ehren der Mutter Anna sang und das in deutscher Übersetzung lautet:

  Weil du, Anna, treu des Herrn Gesetz erfüllt,
Und weil makellos dein ganzes Leben war,
Hat dein Schoß der Welt die reine Frucht enthüllt,

Die den Geber des Gesetzes uns gebar.
Deshalb wir mit frommen Liedesweisen
Dich von allen Frauen glücklich preisen.

   Inhaltsverzeichnis


3. Kap.

Die hl. Anna in der frühchristlichen und orientalischen Kunst

Bei der hohen Verehrung, die St. Anna schon früh im Orient genoß, konnte es nicht ausbleiben, daß auch die bildende Kunst, die treue Begleiterin der Religion, sich in ihren Dienst stellte. Und nicht nur der Orient, auch der Okzident hat uns aus frühchristlicher Zeit wenigstens ein kostbares monumentales Zeugnis der Annaverehrung hinterlassen.

Das älteste Bild der hl. Anna befindet sich zu Rom in der Kirche S. Maria Maggiore unter den zur Zeit Sixtus III. (432-440) angefertigten Mosaiken. Diese ikonographisch sehr wertvollen Malereien bringen u.a. das Jugendleben Jesu zur Anschauung, an fünfter Stelle die Huldigung der Magier. Das göttliche Kind sitzt feierlich auf einem sofaähnlichen, reich geschmückten Thron, hat die Rechte etwas erhoben und blickt nach links hinüber, wo ein (jetzt teilweise verschwundener) Magier steht, mit dem es sich anscheinend unterhält. Rechts stehen die beiden anderen Magier in ihrer phrygischen Tracht und mit den Gaben. Hinter dem Thron sieht man vier Engel und zwischen ihnen einen großen Stern. Unmittelbar neben dem Thron sitzen zwei weibliche Personen, zur Rechten des Kindes auf dem Ehrenplatz seine Mutter (teilweise zerstört) in großer, goldener Gewandung und mit dem Lorum geschmückt, während die gegenüber sitzende Person als ehrwürdige Matrone in der kostbaren Purpurpalla erscheint. Als Oberkleid trägt sie das orientalische Maphorion von roter Farbe, wie auch im Menologium Basilius II. Auf dem Schoß hält sie eine Schriftrolle, mit der Rechten stützt sie nachdenklich das Haupt, das gleichfalls von der Palla bedeckt ist. Während man früher geneigt war, diese seltsame Figur als Personifikation der Kirche anzusehen, gilt sie heute als die Mutter Mariä und Großmutter Christi. Daher auch der ehrenvolle Platz und die kostbare Kleidung. Auf die Darstellung haben offenbar die Apokryphen ihren Einfluß ausgeübt. So dürfte die Erzählung von ihren Gesängen die Buchrolle veranlaßt haben. Auch lassen sie durchblicken, daß Anna bei der Geburt des Erlösers noch lebte; daraus zieht der Künstler den Schluß, daß sie bei ihrer Tochter manchmal auf Besuch weilte, bei dieser Gelegenheit traf sie dann mit den Magiern zusammen. Der Künstler hat ihre hohe Stellung und ihr visionäres Schauen vorzüglich wiedergegeben; letzteres deuten die Apokryphen mit den Worten an, sie habe erkannt, „die Freude und das Entzücken Israels geboren zu haben". Diese musivische Darstellung Annas bildet eine prachtvolle Einleitung zu den unzähligen Bildern, welche die Liebe und Verehrung des christlichen Volkes ihr in den späteren Jahrhunderten weihen sollte.
     

     Die Altarsäule im Markusdom zu Venedig

Ungefähr aus gleicher Zeit hat uns der Orient, wo die Annaverehrung ihre erste Blüteperiode erlebte, eine Darstellung Annas oder vielmehr ihres ganzen Lebens hinterlassen. Es befindet sich heute an der linken hinteren Altarsäule im Markusdom zu Venedig, deren Entstehung um 450 bis 500 angenommen wird. Die Säulen sind aus orientalischem Alabaster hergestellt und wurden wahrscheinlich von den Venezianern zur Zeit der Kreuzzüge aus dem Orient mitgebracht; sie tragen den Baldachin des Hauptaltars und sind mit Szenen aus dem Leben Mariä und Jesus geschmückt, die auf neun gleich breiten, horizontalen Streifen angebracht sind. Jeder Streifen trägt neun Nischen, in denen je eine Figur steht. Später, womöglich wurden sie im 12. Jh. mit lateinischen Inschriften versehen, die aber den Inhalt nicht immer genau wiedergeben. Da es sich hier um die ältesten Darstellungen aus dem Leben Annas handelt, solten wir sie wegen ihrer Bedeutung etwas näher ins Auge fassen. Wir führen zuerst die Inschriften an und lassen dann eine kurze Beschreibung folgen.

1. Isachar pontifex despexit Joachim et munera eius sprevit. - Der Hohepriester verachtet Joachim und weist seine Gaben zurück.

Der Hohepriester mit Spitzbart, in der Rechten ein Rauchfaß, in der Linken eine Pyxis, begleitet von einem Leviten in Tunika und antiker Mantelstellung, weigert sich, von Joachim, dem zwei Diener mit je einem Lamm folgen, Gaben entgegenzunehmen, was ein anderer Jude mit Staunen beobachtet. - Joachim sitzt mit einem Buch auf einem Stuhl; ihm wendet sich Anna mit einer Buchrolle zu, während sie die Rechte erhoben hat. Hier wie stets auch auf den folgenden Darstellungen ist sie mit einem langen Gewand und einem Mantel bekleidet, der über Kopf und Schulter fällt. Zu diesen sechs Figuren kommen noch zwei Jünglinge, von denen einer auf den Hohenpriester zeigt, und ein bärtiger Mann vor halbgeöffneter Tür. Die Deutung dieser zweiten Szene könnte einige Schwierigkeiten machen. Sie stellt offenbar die Unterredung der beiden Gatten nach Zurückweisung des Opfers dar. Sie prüfen die heiligen Schriften über die Nachkommenschaft heiliger Israeliten.

Das Protoevangelium berichtet zwar nichts über eine Besprechung der beiden Gatten, es sagt vielmehr, Joachim sei von Jerusalem in die Wüste gegangen; dagegen kennt eine spätere abendländische rhythmische Darstellung des Lebens Mariä diese Zusammen-kunft, und auch im Orient war diese legendarische Einzelheit nicht unbekannt. Als Miniatur begegnet sie uns später tatsächlich in den Homilien des Jakobus Monakus. Aus dieser ersten Figurenreihe sehen wir also bereits, daß der Künstler sich nicht sklavisch an das Protoevangelium gehalten hat.

2. Adhortatur angelus Joachim et Annam praedicens eis filiam nascituram. - Der Engel ermuntert Joachim und Anna und sagt ihnen die Geburt einer Tochter voraus.


Der Inhalt der Darstellung geht über die Inschrift hinaus, die nur von der Ankündigung des Engels an Joachim und Anna spricht, während tatsächlich auch die vom Protoevangelium erwähnte Unterredung zwischen Anna und ihrer Dienerin Judith vorgeführt wird. Der Engel, hier, wie immer an den Säulen, mit großen Flügeln und in ein langes Gewand gehüllt und in einen Mantel, der über die linke Schulter geworfen und unter dem rechten Arm hervorgezogen ist, erscheint zweimal. Zuerst, wie er der stehenden Anna, dann wie er dem sitzenden, bärtigen Joachim die Nachricht von der Geburt einer Tochter überbringt. In der Judith-Szene sitzt Anna auf einem Stuhl mit Fußgestell und hält die Hände nach rechts ausgestreckt, wo die Dienerin ohne Mantel und mit dem Fächer steht. Auch der von dem Protoevangelium erwähnte Baum mit zwei sich schnäbelnden Tauben fehlt nicht. Es sind noch zwei sitzende Frauen dargestellt; eine von ihnen dürfte uns die betende Anna vorführen, so daß also in dieser zweiten Figurenreihe drei Ereignisse erzählt werden.


3. Item fatur angelus ad Joachim et ad Annam de fecunditate ferenda. - Auch spricht der Engel zu Joachim und Anna von der Empfängnis.


Nicht ein, sondern zwei Engel sprechen mit Anna, die auf einem Stuhl sitzt und die Rechte mit auswärts gewandter Handfläche vor der Brust hält. Außerdem erscheint sie nochmals in Orantenstellung. Joachim, auf den gleichfalls ein Engel einredet, ist von drei Hirten begleitet, von denen einer ein Schaf neben sich gelegt hat.


4. Joachim et Anna. Munera offeruntur in templo. Mater Dei nascitur. - Joachim und Anna. Sie opfern Gaben im Tempel. Die Gottesmutter wird geboren.


Joachim umarmt Anna, womit die später so beliebte Begegnung an der Goldenen Pforte dargestellt wird. Auch die spätere byzantinische Kunst kennt die schlichte Darstellung wie an den Altarsäulen, selbst in den Fresken der Athosklöster kommt sie noch vor. Die sich anschließende Geburt des Kindes hält sich in den einfachsten Formen. Die auf dem Bett sitzende Anna stützt den Kopf auf die linke Hand und wendet sich nach rechts, wo Maria von einer Dienerin in eine vasenartige Badewanne getaucht wird, während eine zweite Dienerin das Badetuch hält. Es fehlen hier also, schon aus Raumgründen, die später zur Bedienung der Wöchnerin hinzugesellten Dienerinnen. - Der von einem Leviten begleitete Hohepriester nimmt das Opfer Joachims entgegen, das als Lamm von einem Hirten überreicht wird. Zur Ausfüllung einer Nische hat der Bildhauer eine Palme nebst Stier und Widder benutzt.

5. Offertur sacrificium deo pro beata prole recepta. - Für das neugeborene Kind wird Gott ein Opfer dargebracht.

In der ersten Nische sehen wir, wie ein Jüngling einem Kalb den Hals abschneidet, das in der zweiten Nische mit gefesselten Beinen auf einem Tisch liegt und in der dritten von dem Jüngling mit einem Strick gehalten wird. In der achten Nische reicht Anna dem Kind die Brust. Auch in den anderen Nischen sind weibliche Personen aufgestellt, unter denen in der vierten Nische Anna mit ausgestreckten Händen nochmals auftritt. Hiermit bricht die Erzählung ab.

An ein eigentliches Opfer ist hier natürlich nicht zu denken. Es handelt sich vielmehr um das ausführlich vom Protoevangelium erzählte Mahl, zu dem Joachim die Priester und Ältesten aus Israel einlädt. Diese Szene konnte der Bildhauer ebensowenig übergehen, wie sie später von den Malern in ihren zyklischen Darstellungen übergangen worden ist. Der Künstler hat sie mit der dreimaligen Vorführung des Mastkalbes so ausführlich begonnen, daß für die Hauptsache kein Raum mehr blieb. Anna führt, wie das Protoevangelium weiter erzählt, nach dem Mahl das Kind in die Kammer, nährt es und hält einen Lobgesang, wie der Bildhauer mit kleiner Umstellung erzählt.

6. Mater salutis nostrae ducitur cum muneribus in templum. - Die Mutter unseres Heiles wird mit Gaben zum Tempel geführt.

In der ersten Nische hält Anna das Kind vor sich, womit wohl die Liebkosungen angedeutet sind, die später in der Malerei einen besonderen Platz einnehmen. In den folgenden Nischen erscheint das Kind noch dreimal; zuerst wie es aus dem Haus herausschreitet, sodann wie es von einer Dienerin getragen und von einer zweiten an der Hand gehalten wird; und endlich wie Joachim, begleitet von der zwei Tauben als Opfer tragenden Anna, es dem Hohenpriester überreicht; neben letzterem steht ein Levit. Auffällig ist besonders, daß Maria in der vierten Nische aus dem basilikaartigen Haus zu Fuß herauskommt, während sie sonst auf den Händen getragen wird. Auch auf den späteren Fresken geht sie aus dem Haus heraus und schreitet dann selbständig zum Hohenpriester hin. Wie es scheint, ist sie beim Herauskommen von den Eltern begleitet, wie es auch auf den Fresken häufig der Fall ist.

7. Munera cum lampadibus offeruntur deo pro virgine nata. - Es werden Gott Gaben mit Fackeln für die Jungfrau dargebracht.

Nicht so sehr Gaben werden, wie die Inschrift sagt, Gott für die Jungfrau geopfert, die Jungfrau macht vielmehr ihren Tempelgang, den die orientalische, weit mehr noch die abendländische Kunst später häufig zu einem glänzenden Aufzug gemacht hat; denn diese Figurenreihe steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der folgenden achten Reihe.

8. Isachar virginem recipit in templo, quae illo iuvante per se gradus ascendit. - Isachar nimmt die Jungfrau in den Tempel auf, den sie mit seiner Hilfe allein auf den Stufen ersteigt. In der siebenten Reihe bilden Anna und Joachim den Schluß des Zuges, der sich aus Jungfrauen mit Fackeln und einem Mann zusammensetzt; die beiden Gatten tragen eine Gabe in der Hand. In der achten Reihe erscheinen sie wieder und bilden jetzt den Anfang. Joachim überreicht dem Hohenpriester das Kind, das er vor sich hält; zu ihnen gesellen sich noch drei Jungfrauen mit Fackeln. Den Schluß der ganzen Erzählung bildet die Darstellung, wie Maria hinter dem Altar von dem Engel wunderbarerweise ihre tägliche Nahrung erhält.

Hiermit schließt das Leben Annas und das Jugendleben Marias, deren Vermählung mit Joseph in der neunten und letzten Reihe dieser Säule dargestellt wird.

Ohne auf Einzelheiten weiter einzugehen, heben wir nur nochmals hervor, daß der Künstler sich nicht genau an das Protoevangelium gehalten hat. Zweifellos waren im Orient damals noch andere Versionen im Umlauf, die der Künstler benutzte, falls er nicht aus eigener Phantasie manches hinzufügte. Einer genauen Erklärung jeder einzelnen Figur steht die manchmal nur schwer erkennbare Zusammengehörigkeit entgegen, da sie ja alle in Nischen untergebracht und von einander getrennt sind. Allein es kommt uns hier nicht so sehr auf Einzelheiten als vielmehr auf den ganzen Zyklus an. Und da treten uns bereits fast alle Szenen im Leben Annas entgegen, die auch später von den Künstlern in ihren zyklischen Darstellungen verwertet wurden.

Von größter Bedeutung ist die Frage nach dem Ursprung der Säulen. Wie wir bereits oben bemerkten, ist es heute fast allgemein angenommene Überzeugung der Forscher, daß es sich um ein Werk orientalischer Kunst handelt. Viele Einzelheiten weisen mit größter Wahrscheinlichkeit auf den syrisch-palästinensischen Raum hin, also auf jene Gegend, wo wir auch den Ursprung des Protoevangeliums zu vermuten. So schließt sich der Kreis, um uns in der Säule der Markuskirche ein höchst wertvolles Monument der Annaverehrung im Orient erblicken zu lassen. Und es ist gewiß von Bedeutung, daß von dort, wo zuerst die Annaverehrung entstand, auch die erste künstlerische Darstellung ihres Lebens stammt.

Von einer Elfenbeintafel abgesehen sind das Mosaik in Maria Maggiore und diese Säule in Venedig die einzigen Monumente, die uns das christliche Altertum von der hl. Anna hinterlassen hat. Erst zu Beginn des Mittelalters treten uns wieder und abermals fast zu gleicher Zeit zwei wertvolle monumentale Denkmäler ihrer Verehrung entgegen, das eine im Morgenland, das andere im Abendland.

Im Orient hat es uns die Koimesiskirche zu Nicäa aufbewahrt, deren Mosaiken wohl noch um 800 zur Zeit der Kaiserin Irene entstanden sind. Es ist ein Brustbild, das zugleich mit den Bildern der hl. Joachim und Johannes des Täufers und des Erlösers in dem Narthex der Kirche angebracht ist. Leider hat das Mosaik stark gelitten, doch lassen sich die weiße Haube, das hellblaue Maphorion und das rote Kleid mit den goldenen Lichtern noch gut erkennen. Zwei Darstellungen aus dem 11. und 12. Jh. bieten dazu Parallelen. In dem von Kaiser Konstantin IX. (+1054) zu Ehren der Gottesmutter gegründeten Katholikon des großen Klosters Nea Moni auf der Insel Chios finden sich Anna und Joachim zu den Seiten der Portallünette über der Königstür in den Zwickeln des Innennarthex, aus der Zeit um 1100.

In der 1199 ausgemalten Salvatorkirche zu Neredizy bei Nowgorod haben Anna und Joachim sogar am Zwickelgewölbe der Hauptkuppel einen Platz erhalten, was wohl mit Rücksicht auf die den Raum beherrschende Gottesmutter in der Apsis geschehen ist; ferner als Pendant zur Aufopferung Christi der Tempelgang Mariä, die auf ebenem Boden, begleitet von ihren Eltern und zwei Gespielinnen, dem Hohenpriester entgegengeht.

Diesen Wandmosaiken reihen wir hier ein fast gleichzeitiges, tragbares Wachsmosaik im Athoskloster Watopädi an, wohin es vielleicht als Geschenk aus Byzanz gelangte. Es ist eine stehende Anna, die ihr Kind auf dem Arme trägt und es liebevoll anschaut, während sie die Rechte wie fürbittend erhoben hat. Das Gesicht zeigt ein breites Oval, die Nase leichte Krümmung. Man könnte die große, stattliche Figur für eine Madonna (Hodegetria) halten, wenn nicht das Kind auf ihrem Arm deutlich als weibliches Wesen zu erkennen wäre. Außerdem steht oben rechts deutlich ihr Name.

Das Bild der Koimesiskirche ist der Vorläufer der großen Zyklen aus dem Leben Annas, die um die Mitte oder gegen Ende des 11. Jahrhunderts auftreten und bis zum 14. und 15. Jh. eine stets wachsende Entfaltung finden. An der Spitze steht, zeitlich und auch der Ausführung nach, der Zyklus in der Klosterkirche zu Daphni, die, drei Stunden von Athen gelegen, im 11. Jh. erbaut und mit einem Mosaikzyklus geschmückt wurde, der die üblichen Anschauungen über die Starrheit und Unveränderlichkeit der byzantinischen Kunst Lügen straft. Diese Mosaiken stammen aus der ersten Komnenenzeit (11.Jh.); es geht durch sie ein Zug ins Monumentale, ja Klassische, wie wir ihn auch in den zeitgenössischen literarischen Werken des Psellus und der Anna Komnena beobachten. Die Kirche ist der Gottesmutter geweiht. Das war Anlaß, sie u. a. mit Darstellungen aus ihrem Jugendleben auszuschmücken, wobei man unwillkürlich zu einer künstlerischen Verherrlichung der hl. Anna gelangte.

Betritt man durch das Haupttor die Vorhalle (Narthex) der Kirche, so sieht man rechts ein prächtiges Bild aus dem Protoevangelium: in der Mitte ein sprudelnder Brunnen, neben dem rechts Joachim sitzt, wie er gerade den Besuch des Engels empfängt, der hochaufgerichtet vor ihm steht und ihm die freudige Meldung von der Erfüllung seiner Bitte macht. Links von dem Brunnen steht Anna mit zum Gebet erhobenen Händen. Ihr Flehen war nicht umsonst. Ein Engel verkündet es ihr. Erstaunt schaut die verführerische Magd dem Vorgang zu.

Ein zweites Bild zeigt uns die Erfüllung der Botschaft des Engels. Anna sitzt aufrecht auf einem kostbaren Bett, bekleidet mit Mantel und Schleier. Zwei Dienerinnen bringen ihr auf Schüsseln Speise und Trank. Zum Zeichen ihrer Würde hat der Künstler noch eine dritte Dienerin hinter das Bett gestellt, die mit einem großen Fächer die lästigen Fliegen verscheucht. Vor dem Bett sind zwei Frauen damit beschäftigt, das neugeborene Kind zu baden, eine Szene, die uns bei Geburtsdarstellungen immer wieder begegnet. Während die ältere Frau fühlt, ob das Wasser die richtige Wärme besitzt, gießt die zweite aus einem Krug noch etwas Wasser hinzu - das Ganze ein wahrhaft köstliches und klassisches Bild. Als drittes wichtiges Ereignis im Leben der hl. Joachim und Anna ist die Segnung des Kindes durch die Priester dargestellt. Joachim trägt das Kind aufrecht in den Händen und hält es den Priestern entgegen. Anna steht hinter ihm und schaut dem Vorgang zu; mehr ist von der Szene leider nicht auf uns gekommen. Gut erhalten ist dagegen die vierte Szene, der Tempelgang des Kindes. Es wird von Anna und Joachim, die hinter ihm stehen, dem Hohenpriester vorgeführt, der es liebevoll empfängt. Sieben Mädchen mit brennenden Kerzen begleiten es. Im Tempel (hinter dem Hohenpriester) erhält es Speise aus der Hand des Engels. - Man sieht, wie treu der Künstler der Erzählung des Protoevangeliums gefolgt ist.

Ohne hier die zyklischen Darstellungen an den Kirchenwänden weiter zu verfolgen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit jetzt den Miniaturen zuwenden, da sie einen der vollständigsten Zyklus des Lebens der hl. Anna bieten, die je geschaffen worden sind. Er befindet sich in den Homilien des Mönches Jakobus von Kokkinobaphus, der um 1100 in Konstantinopel lebte; seine Homilien behandeln besonders das Leben der Gottesmutter und sind in einer Handschrift zu Rom und in einer zweiten in Paris erhalten, die reich mit Miniaturen ausgestattet wurden. Die Miniaturen dieser beiden Handschriften sind zwar von verschiedener Größe, aber von derselben Hand. In Kleinigkeiten weichen sie voneinander ab, stimmen aber nach Stil und Inhalt so vollkommen überein, daß man denselben Künstler annehmen muß.

Nicht weniger als sechzehn Miniaturen beziehen sich auf Joachim und Anna.

1. Joachim und Anna opfern ihre Gabe, werden aber von dem Hohenpriester abgewiesen. Der hinter Anna stehende Rubens bemerkt nämlich eifersüchtig, daß Joachim wegen der Sterilität Annas das Opfer nicht darbringen dürfe. Unten befinden sich Propheten und Gerechte, die die schmähliche Zurückweisung der beiden Gatten mit Staunen beobachten.

2. Anna betet im Garten und wird von der Dienerin auf das Vogelnest hingewiesen, unten links; rechts empfängt sie vom Engel die Verheißung, sie steht neben einem Springbrunnen und streckt dem Engel dankbar die Hände entgegen. Oben verläßt Anna schnell ihre Wohnung, zwei Dienerinnen heben, den Vorhang empor, und beglückt eilt sie in die Arme ihres Mannes. Ihre Köpfe berühren sich, während die Körper weit voneinander getrennt sind.

3. Wochenstube Annas; sie liegt, halb aufgerichtet, mit bloßen Füßen auf einem großen weißen Bett. Vertreter der zwölf Stämme Israels sind herbeigeeilt, um ihr zu dem frohen Ereignis Glück zu wünschen, sie umgeben das Bett von drei Seiten. Ihre lebhaft bewegten Hände, teils ausgestreckt, teils mit dem griechischen Segensgestus, bekunden ihre große Anteilnahme. Auffällig ist bei einigen der lange, weiße Spitzbart. Oben links sind zwei Dienerinnen mit dem ersten Bad des Kindes beschäftigt. In einem seltsamen Mißverhältnis stehen Bett und Gebäude.

4. Die Freude der Eltern über die Geburt des Kindes, das links in einem goldenen Bettlein liegt, bedient von zwei Dienerinnen; eine trägt das Flabellum (Fächer), die andere Speise. Freudig bewegt sitzen Anna und Joachim neben dem Bett und unterhalten sich über das ihnen zuteil gewordene Glück. Mehrere Frauen nehmen an ihrer Freude Anteil.

5. Der Freudengesang Annas, die mit dem bekleideten Kind auf einem Sessel sitzt. Ihr gegenüber König David mit dem griechischen Rotulus: Haec porta Domini, nisi iusti intrabunt - Hier ist die Pforte des Herrn, nur Gerechte treten hier ein. (Ps. 117,20). Anna streckt dem Psalmisten die Hand entgegen. Mehrere Frauen dienen auch hier zur Ausfüllung des Raumes.

6. Die Eltern besuchen das schlafende Mädchen und weihen es Gott. Die Dienerinnen und Frauen rechts unterhalten sich über das Geschehnis.

7. Anna lädt unten das Kind ein, aus dem Bettlein in ihre Arme zu kommen, während Joachim rechts den Dienerinnen Anweisung erteilt. Oben überreicht Anna das Kind dem ersten zu Tisch geladenen Priester, was die anderen mit Staunen betrachten und besprechen.

8. Auf der entgegengesetzten Seite, also nachdem es durch die Hände der fünf Priester gegangen ist, nimmt Anna das Kind wieder in Empfang, herzt es und legt es wieder in das Bettlein, um dann mit erhobenen Händen den Lobgesang anzustimmen. Wir sehen also auf dieser einen Miniatur eine ganze Anzahl von kleinen Familienszenen.

9. Männer und Frauen kommen aus den Häusern, um die Prozession zu sehen, die oben gleich ihren Anfang nehmen wird. Ein Mann steigt auf der Treppe nach oben. In der Hand hält er ein Bündel Kerzen, die er rechts an die Jungfrauen verteilt. Links sitzen Anna und Joachim auf Sesseln, letzterer ermahnt das Kind, wobei er auf die Begleiterinnen hinweist.

10. Die Prozession zum Tempel. Voran schreiten die Kerzen tragenden Jungfrauen. In der Mitte folgt, durch einen angemessenen Raum von ihnen wie auch von den Eltern getrennt, die kindliche Maria. Hinter ihr schreitet zuerst die Mutter, dann der von Freunden und Bekannten begleitete Vater. Die Gerechten der Vorhölle, Erwachsene und Kinder, beobachten den Vorgang, freuen sich und drücken ihr Staunen aus.

11. Die Wiederholung der Prozession, vermehrt durch die aus den Wolken ragende Hand Gottes. Die Gerechten des Limbus sind hier nur Männer und teilweise charakterisiert (zwei Könige). Ihre Freude nimmt bestimmtere Form an, denn sie sind über die Bedeutung der Prozession durch vier Engel unterrichtet.

12. Nochmals die Prozession, aber die hl. Jungfrau ist umgeben von 60 Bewaffneten, denen die Eltern voll Staunen sich anschließen, gefolgt von einer großen Volksschar. Maria erscheint hier nicht mehr als Kind, sondern als gereifte Jungfrau; sie schaut empor zu der aus den Wolken ragenden Hand Gottes.

13. Ankunft beim Tempel, an dessen Eingang der Hohepriester erscheint, um das Kind in Empfang zu nehmen. Es scheint sich aber zu sträuben und wird von Anna und auch von Joachim auf den Hohenpriester hingewiesen. Die Begleiterinnen hat der Künstler wegen Mangels an Raum unten dargestellt, ebenso wie eine Anzahl ehrwürdige Männer.

14. Das Kind Maria hat die Scheu überwunden, ist dem Hohenpriester entgegengeeilt und wird von ihm aufs herzlichste empfangen, was die Eltern und ihre Begleiterinnen voll Staunen betrachten.

15. Maria wird von dem Hohenpriester Zacharias auf die dritte Stufe des Tempels gestellt, und es steigt selbständig empor. Mit Dank gegen Gott beobachtet Anna, die immer dem Vater vorangeht, den Vorgang. Unten zündet ein Levit die Lampe an, ein Bild der unbefleckten Reinheit. Zacharias hebt den Vorhang hinweg und beobachtet, wie das Kind von einem Engel wunderbar gespeist wird.

16. Zacharias inzensiert den Altar, der von einem Baldachin überragt ist. Die Jungfrau geht im Tempel ihrem Dienst nach. Sie weist daher die Eltern zurück, als sie zu einem Besuch zum Tempel kommen.

Aus dieser Aufzählung sieht man, wie ungemein reich das Leben der hl. Anna hier illustriert ist. Eine Illustration, die sich, wie die Homilien, auf das Protoevangelium stützt. Eine so reiche künstlerische Verherrlichung Annas findet sich später nur noch auf den mittelalterlichen Flügelaltären. Wichtiger ist, daß die Maler des Kodex sich wahrscheinlich auf ältere Vorbilder stützen. Leicht erklärlich bei dem Ansehen, welches das Protoevangelium seit langem in der orientalischen Kirche genoß. Und wahrscheinlich sind es Vorlagen oder wenigstens Anregungen, die aus der syrisch-palästinensischen Kunst stammen.

Daß solche Vorlagen aus altchristlicher Zeit vorhanden waren, beweist das Elfenbeinrelief der Sammlung Potkin in St. Petersburg, falls es aus dem 5. oder 6. Jh. stammt, wie von Kennern des Originals behauptet wird. Es bildete wahrscheinlich den Buchdeckel eines Evangeliars, das sich ehedem in S. Michele auf Murano bei Venedig befand. Es zeigt Anna neben einem Baum mit drei Tauben, vor ihr steht der geflügelte Engel. Ein zweites Relief zeigt die Ankündigung der Geburt und die Begegnung an der Goldenen Pforte. (Das Elfenbeinrelief ist 17 x 7 cm groß. Nach Strzygowski Byzant. Zeitschr. 8, 1899, ist es zu Theben in Ägypten entstanden.)

Wir fügen hier gleich ein zweites kleines Relief hinzu, das sich früher in der Sammlung Barberini befand und 1902 in das Kaiser-FriedrichMuseum zu Berlin gelangte. Es sind zwei Ikonentafeln aus Lithographiestein, die das Leben Christi und Mariä mit den zugehörigen Zyklen schildern, aus dem 12. Jh. Auf der einen Tafel finden wir die Gottesmutter (Hodegetria), umgeben von zehn Szenen; die drei oberen Reliefs zeigen die Begegnung an der Goldenen Pforte, die Geburt Marias und ihren Tempelgang. Bei der Geburtsszene ist nur eine Dienerin, bei dem Tempelgang sind nur vier Gespielinnen anwesend. Die fünfte Szene, die man sich nicht recht zu erklären wußte, dürfte die zweite Einführung Marias in den Tempel darstellen, die zwar das Protoevangelium nicht kennt, von einigen griechischen Vätern aber in ihr siebentes Jahr versetzt wird...

Auch Miniaturen aus der Zeit vor den Homilien des Jakobus Monacus haben sich erhalten, die wohl auf ältere Quellen zurückgehen. Wir finden sie in dem berühmten Menologium des Kaisers Basileios II. (976-1025), das durch Papst Paul V. in die Vatikanische Bibliothek gelangte (Nr. 1613). Diese Handschrift bzw. die Miniaturen sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil alle Miniaturen durch
die Maler signiert sind. Für uns kommen aus der reich illustrierten Handschrift nur vier Miniaturen in Betracht. Die Unterhaltung der beiden Gatten, die vor dem Tempel mit Kuppel stattfindet, vielleicht nach Zurückweisung des Opfers. Es ist eine seltene Darstellung, die uns sonst nicht begegnet. Ferner ihre Begegnung an der Goldenen Pforte. Dieses Zusammentreffen nach langer Trennung vollzieht sich sehr stürmisch. Noch glaubt man in der Haltung Annas und Joachims die Eile herauszufühlen, mit der sie den Weg zurückgelegt haben. Rechts scheint der Garten angedeutet zu sein, in dem Anna um Erhörung ihrer Wünsche gefleht hat; links weisen Berg und Bäume auf die Einsamkeit hin, in der Joachim geweilt hat.

Viel einfacher als in den Homilien des Jakobus führt uns der Maler des Menologiums die Szene der Geburt vor. Anna liegt aufrecht auf einem weißen Bett, das an ein Gebäude stößt, wie es uns auch auf der vorhergehenden Miniatur begegnet. Es nahen sich zwei Dienerinnen mit Speise, während eine dritte mit der Hand das Badewasser prüft, in das sie die neugeborene Maria tauchen will. Die Stelle, die meistens eine zweite Dienerin bei der Badeszene einnimmt, wird hier durch einen Henkelkrug ausgefüllt. Die vierte Miniatur ist der Tempelgang Mariä und ihre Speisung durch Engelshand. Der Hohepriester steht neben dem Altar, der sich über zwei Stufen erhebt. Etwas linkisch streckt er die Arme dem Kinde entgegen, das von seinen Eltern und den Gespielinnen begleitet ist. Rechts hinter dem Altarziborium empfängt Maria aus Engelshand die wunderbare Speise.

Wichtiger für die Geschichte der Annaverehrung als die Miniaturen wertvoller Bücher, die nur in wenige Hände gelangten, und als die kostspieligen Mosaiken war ihre Darstellung durch die Freskomalerei. Zweifellos wurde unsere Heilige schon frühzeitig den Gläubigen an den Kirchenwänden vor Augen gestellt. Als älteste derartige Darstellung ist wohl ein Gemälde in der Paulushöhle des Stylosklosters am Latmosgebirge im südwestlichen Kleinasien erhalten, das um die Wende des 11. Jahrhunderts entstanden ist und den Tempelgang Marias darstellt. Das wichtigste der 13 mit Namen überlieferten Klöster war das des hl. Paulus d. J. (+959), des Gründers von Stylos.


Als Pendant hat es die Verkündigung Mariä. Die Komposition zeigt, wie die hl. Jungfrau von ihren Eltern dem Hohenpriester zugeführt wird. Im Hintergrunde erscheint der Tempel als ein von außen gesehenes Haus mit der Überschrift „Das Heilige der Heiligen" und die Freundinnen in zwei Reihen; sie folgen in der üblichen Zahl, die auf den Altarraum zuschreitende Jungfrau und die Eltern. Sowohl diese wie die Gefährtinnen sind in lebhafter Unterhaltung begriffen, wodurch belebende Kontrast-bewegungen der Köpfe entstehen. Während Joachim auf den Ziboriumaltar hinweist, erhebt Maria unter dem Mantel die Hände empor zum Hohenpriester, der ihr mit ausgestreckten Händen entgegenkommt; durch eine Inschrift wird er als Zacharias bezeichnet. Wie fast immer bei diesem Gegenstand wird Maria rechts auf dem Thron nochmals dargestellt, wie sie mit beiden Händen von dem Engel das Brot entgegennimmt. In beiden Fällen hat der Künstler die Inschrift (Gottesmutter) beigefügt. Wenn wir hier in der Höhle auch keine hohe Kunst vor uns haben, so verfügt der Maler doch über ein ungewöhnliches Maß von Ausdruckskraft. Ähnliche Darstellungen des Tempelganges finden sich in der Chorakirche (Moschee Kahrije-Djami) in Konstantinopel und in Nereditsy bei Nowgorod. Doch weisen nicht alle die gleiche Zahl der Freundinnen auf, bald sind es mehr, bald weniger.

Einen Schritt weiter führen uns die Mosaiken in der soeben genannten Chorakirche zu Konstantinopel, die um 1300 entstanden sind und deren Stifter der letzte Klitor Theodor Metochites unter Kaiser Andronikus II. (+1328) war, als er sich gegen Ende seines Lebens in das Kloster zurückzog. Die auf Anna und Joachim bezüglichen Mosaiken befinden sich in den Zwickeln der Ostseite und sind nur unvollständig erhalten, wie die Geburt der Jungfrau im Bogenfeld unter dem anschließenden Gewölbe; ferner wird der Priestersegen dargestellt, die Einführung der Jungfrau in den Tempel und ihr Aufenthalt daselbst.

In diesen Mosaiken tritt uns ein ganz anderes und neues Leben entgegen, sehr verschieden von den klassischen Werken in Daphni. Sie wirken als innerlich empfunden; alle Ruhe und „Starrheit" ist verschwunden. Die Kunst hat sich verjüngt und sucht der Wirklichkeit gerecht zu werden. Die alte Feierlichkeit der Vorgänge hat ihr Ende gefunden, um so mehr hat das dramatische Leben gewonnen. Das sehen wir besonders an einem der besterhaltenen Gemälde: dem Tempelgang. Mit lebhaftem Schritt nähert sich Maria, gefolgt von ihren Eltern, dem Hohenpriester. Die Freundinnen begleiten sie nicht im geschlossenen Zug, sondern sie kommen einzeln von der Gegenseite herzu, eine ikonographische Neuerung, die uns sonst nicht begegnet.


Wieder hundert bis zweihundert Jahre später führen uns zu den Fresken in der wichtigen Ruinenstadt Mistra, der stolzen fränkisch-byzantinischen, im Herzen von Lakonien gelegenen Festung, deren zahlreiche Wandgemälde uns in neuerer Zeit durch treffliche Abbildungen genauer bekannt geworden sind. In vier Kirchen der Stadt begegnen wir Darstellungen aus dem Leben der hl. Anna.

In der Peribleptoskirche (14./15. Jh.) sind es folgende: Zurückweisung Joachims (mit Lamm) und Annas durch den Hohenpriester, der innerhalb ovaler Altarschranken steht. Anna wird von zwei Engeln benachrichtigt. Joachim kommt, aus dem Tempel verstoßen, mit Anna und den beiden Lämmern und erscheint vor den Vertretern der zwölf Stämme, die auf runder Bank sitzen und durch ziemlich gleichmäßige Handbewegungen ihr Erstaunen ausdrücken. Rede und Antwort steht nur Joachim, der deshalb auf dem Fresko noch ein zweites Mal erscheint. Es folgt die überaus stürmische Umarmung und Begegnung der beiden Gatten an der Goldenen Pforte, ihr zweites Opfer im Tempel, das der Hohepriester ohne Begleitung entgegennimmt, ferner das Gebet des Hohenpriesters, die Geburt des Kindes, nach der fünf Dienerinnen Speise bringen, während links eine es in die Wiege legt und eine andere rechts es Joachim übergibt. Anna trägt das Kind, während vier weibliche Personen tanzen. Ernährung des Kindes. Leider sind diese seltenen Darstellungen nur in den Konturen erhalten geblieben. Segnung des Kindes durch die Priester bei Tisch (nur teilweise erhalten). Joachim und Anna sitzen auf einem breiten Stuhl und beraten über das weitere Schicksal des Kindes, das zwischen ihnen steht und dem der Vater die Hand auf die Schultern legt. Einführung in den Tempel. Es ist also ein reiches Programm, das der Künstler hier ausgeführt hat.

In der Sophienkirche, die von Manuel Kantakuzmos um 1350 erbaut wurde, blieben zwei Fresken erhalten, nämlich die Geburt der Jungfrau, wie in Peribleptos (mit sechs Dienerinnen) und ihr Eintritt in den Tempel in Begleitung der Gespielinnen.

Ebenso in der Pantanassakirche (gegen 1450). Wir sehen da die großen Einzelfiguren von Joachim und Anna im flatternden Mantel, wie sie staunend ihre Hände erheben. In der Metropolkirche die Verkündigung, die Annahme der Gaben, die Segnung Mariä durch drei Priester. Bei der Geburt Mariä sitzt Anna auf dem rechtwinklig gebrochenen Bett, von rechts kommen drei Frauen, um ihr Speise zu reichen. Vor dem Bett liegt das Kind in der Wiege, von einer Dienerin bewacht.

Nirgends aber treffen wir mehr Darstellungen aus dem Leben der hl. Anna, als in den Klosterkirchen des Berges Athos, über die wir jetzt durch die Publikation Millets eine Vorstellung gewinnen können. Sie bietet uns allein im ersten Band fünfundzwanzig Darstellungen Annas, angefangen von ihrem Gebet bis zum Tempelgang Marias.

Bei diesen Annadarstellungen des hl. Berges ist ein Doppeltes zu beachten: ihre Raumverteilung in der Kirche und ihre Auswahl. Wie fast alle Darstellungen seit dem 10. und 11. Jh. eine bestimmte Stelle in den Athoskirchen erhalten, so auch die hl. Anna; sie erscheint meistens an der Westwand des Mittelschiffes. Diese Wand war der Gottesmutter vorbehalten, und da die Annadarstellungen fast nur im Jugendleben Marias auftreten, erhielten sie, wie die Gottesgebärerin, einen hervorragenden Platz in der Kirche. Die Auswahl der Szenen aber wurde nicht mehr durch das Protoevangelium bestimmt, sondern durch die Traditionen, wie sie in dem 1839 von Durand aufgefundenen und seitdem berühmt gewordenen
Malerbuch vom Berg Athos" zusammengefaßt sind. Siehe G. Schäfer, Das Handbuch der Malerei vom Berge Athos, Trier 1855, 276f.

In der heutigen Fassung stammt es aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts, aber die Zusammenstellung geschah auf Grundlage von jahrhundertelangen Überlieferungen. Für die Ikonographie der hl. Anna haben diese Überlieferungen bzw. das „Malerbuch" eine große Bedeutung. Die Vorschriften des Buches haben folgenden Wortlaut:

1. Die Empfängnis der Gottesmutter. Ein Haus und ein Garten mit verschiedenen Bäumen, und darin betet die hl. Anna. Ein Engel über ihr segnet sie. Außerhalb des Gartens befindet sich ein Berg, auf dem Joachim betet; ihn segnet ebenfalls ein Engel.

2. Die Geburt der Gottesgebärerin. Ein Haus, in dem die hl. Anna auf dem Bett und auf Decken liegt; sie stützt sich auf ein Kopfkissen, und zwei Mädchen halten sie von hinten. Vor ihr befindet sich ein anderes Mädchen, das ihr mit einem Fächer Kühlung zufächelt. Und wieder ein anderes Mädchen kommt von der Tür her mit Speisen. Andere, die vor ihr sitzen, waschen das Kind in einer Wanne. Eine andere setzt das Bettchen in Bewegung, in dem das Kind liegt.

3. Die Gottesgebärerin wird von den Priestern gesegnet. Ein Haus und ein Tisch mit Speisen. Vor dem Tisch steht Joachim und hält die Heiligste als Kind in seinen Armen; die hl. Anna befindet sich hinter ihm. An dem Tisch sitzen drei Priester, schauen auf die Heiligste und segnen sie.

4. Der Tempelgang der Gottesmutter. Der Tempel und vor seinem Haupttore mächtige Treppenstufen. Der Prophet Zacharias steht im hohenpriesterlichen Gewand am Tor und streckt seine Hände nach vorne aus. Die Heiligste, drei Jahre alt, geht vor ihm die Stufe hinauf, die eine Hand hat sie gegen ihn ausgestreckt, in der anderen hält sie eine Kerze. Hinter ihr stehen Joachim und Anna, schauen einander an und zeigen auf sie. Neben ihnen ist eine Schar Jungfrauen, die Kerzen tragen. Oben in dem Tempel befindet sich eine prächtige Kuppel, in deren Mitte Maria sitzt und das Brot entgegennimmt, das ihr der Erzengel Gabriel bringt und sie segnet.

Waren so die Gegenstände und selbst viele Einzelheiten im wesentlichen auch festgelegt, so blieb dem ausführenden Künstler doch noch genug Freiheit, um von seinem Können Rechenschaft abzulegen. Und so herrscht selbst in der absterbenden byzantinisch-griechischen Kunst durchaus nicht jene stereotype „Starrheit", die man ihr allgemein zuschreibt. Ein Blick auf die Annadarstellung der Athosklöster wird uns davon überzeugen.

Im Katholikon von Chilandari kommen Joachim und Anna von rechts, diese mit einer Flasche, jener mit einem Lamm. Der Hohepriester Zacharias, dessen Name man auf seinem Mantel liest, steht hinter den Schranken des von einer Kuppel überdeckten Altares; von der Kuppel schlingt sich ein Tuch zu dem Tempelgebäude im Hintergrund. In Dionysiu treten sie dagegen von links an den Hohenpriester heran, wodurch sich eine nicht unwesentlich verschiedene Komposition ergibt.

Noch größer sind die Variationen bei dem „Gebet Annas". Am meisten stimmt wohl die Darstellung in Chilandari auf dem Athos mit den Angaben des „Malerbuches" überein. Anna, im Mantel, betet neben einem Haus, über das sie hervorragt, in einem Garten mit einem Baum und einem Brunnen, der fast niemals fehlt. Rechts oben neben ihrem Haupt erscheint der segnende Verkündigungsengel. Im Vordergrund erhebt sich der Berg, an dessen Fuß Joachim, sein Geschick betrauernd, Platz genommen hat, während ihm ein Knecht zuredet und der Engel die frohe Botschaft bringt.

Wesentlich weicht davon die Darstellung in Moliwoklissa ab. Hier sind die beiden Ehegatten durch den Berg völlig voneinander geschieden: Anna, eine schlanke, schmale Figur, steht neben dem Brunnen, während der Engel mit einem Zepter links erscheint. Deutlich ist das vom Protoevangelium erwähnte Vogelnest sichtbar. Überhaupt ist diese Seite des Freskos mit sichtbarer Liebe ausgeführt. Im Hintergrund sieht man sogar einen pflügenden Bauer. Jenseits des Berges, den man von oben sieht, sitzt Joachim vor einem großen Strauch und lauscht den Worten, die der Engel zu ihm spricht. Auch hier ist die Landschaft durch Menschen und Tiere belebt.


Der große Unterschied zwischen dieser und der Darstellung in Chilandari braucht nicht erst besonders hervorgehoben werden. Ein ähnlicher Unterschied obwaltet in Dionysiu, wo Anna ganz allein in einer Baumlandschaft erscheint, und in Vatopädi, wo sie links an der äußersten Bildfläche mit erhobenen Händen die Botschaft des Engels entgegennimmt, während die Magd Judith vor dem Haus steht. Joachim erscheint hier auf demselben Bild sogar zweimal: stehend und gleichfalls mit erhobenen Händen des Engels Botschaft empfangend, und dann sitzend, wie zwei Knechte auf ihn einreden. Auch im Refektorium von Lawra sind es zwei Knechte.


Über das Mosaik von Daphni war man also inhaltlich stark hinausgekommen, hatte allerdings die klassische Würde des griechischen Künstlers bei weitem nicht erreicht. Auch in den Einzelheiten sieht man stete Abwechslung und Verschiedenheit. Wie ganz anders ist z. B. der dreistufig sich aufbauende Brunnen der Chorakirche und jener in Chilandari oder Vatopädi.

Die Begegnung an der Goldenen Pforte, die weder im Protoevangelium ausdrücklich erwähnt noch auch im „Malerbuch" aufgeführt wird, die uns aber schon an der Tabernakelsäule in Venedig begegnet ist, wird in den zyklischen Darstellungen vielfach übergangen oder nur als Nebenszene behandelt. So reiht sich in Chilandari unmittelbar an die Botschaft des Engels die Segnung der kleinen Maria durch die Priester; oberhalb der diese Szene abschließenden Architekturen sieht man aber Joachim und Anna, wie sie sich zärtlich umschlungen halten. In dem umfangreichen Zyklus von Dionysiu fehlt sie ganz. Einen um so breiteren Raum hat man ihr in der Peribleptoskirche zu Mistra zugestanden. Mit stürmischer Zärtlichkeit haben sich, wie bereits erwähnt, die beiden Gatten umfangen, aber so, daß nur ihre Köpfe sich nähern und die Leiber fast eine Rundung bilden. Durch das Stufenmotiv wird hier und in anderen gleichzeitigen Fresken Mistras eine dem italienischen Trecento parallel gehende illusionistische Wiedergabe der Geschehnisse angestrebt, die sonst der byzantinischen Kunst fremd ist. Verstärkt wird dieses Streben durch die kleinen Gestalten im Hintergrund.

In der ebengenannten Peribleptoskirche begegnen wir einer weiteren Szene, die im Protoevangelium, nicht aber im „Malerbuch" erwähnt wird und sich unmittelbar an die Heimkehr Joachims anschließt, weshalb sie der Maler sofort auf die Begegnung an der Goldenen Pforte folgen läßt. Es ist das zweite Opfer Joachims und Annas, das wir schon an der Säule in Venedig beobachten, und das Gebet des Hohenpriesters. Nach der Erscheinung des Engels fordert Joachim seine Knechte auf, ihm zehn „tadellose und fleckenlose Lämmer" „für den Herrn" zu bringen. Diesen Bericht hat der Maler von Mistra offenbar vor Augen, wenn er ihn, begleitet von Anna, mit einer großen Gabe vor den Priester hintreten läßt.

Das Protoevangelium fährt dann fort: Joachim opferte seine Gaben und gab acht auf das Stirnband des Priesters, als er zum Altar trat, und er sah kein Fehl daran. Auf unserem Fresko verrichtet der Hohepriester sein Gebet im Innern des Tempels, was sich bei der bekannten byzantinischen Aufsicht fast ausnimmt, als ob es sich um ein oben angebrachtes Spiegelbild handele.

Eine der beliebtesten Darstellungen aus dem Leben Annas war in den Zyklen die Einführung ihrer Tochter in den Tempel. War ja im Protoevangelium diesem Vorgang ein breiter Raum gewidmet, wie denn auch das Malerbuch dem Künstler ausführliche Anweisungen erteilt. Mit vollendeter Eleganz wird dieser Vorgang in der Sophienkirche in Kiew im 11. Jh. dargestellt, wo zum ersten Mal das Leben der Jungfrau in breiter Ausführlichkeit nach dem „Evangelium" ihrer Geburt dargestellt wird. Der Hohepriester steht hinter Schranken, um das Kind zu empfangen, das ebenso wie die Eltern und die beiden Begleiterinnen auf ebener Erde steht. Den Vortritt hat hier Anna, die mit der Rechten die Schulter der Tochter leise berührt, wie um sie dem Hohenpriester darzubieten. Hinter dem Hohenpriester sitzt sie auf erhöhten Stufen, aber noch nicht unter einer Kuppel, und nimmt das Brot aus der Hand des Engels entgegen...

Neben diesen Darstellungen finden sich andere, auf denen Maria dreimal erscheint, Anna aber nur einmal. Sie führen uns nämlich vor, wie Maria in Begleitung von Joachim und Anna das elterliche Haus verläßt. Auf demselben Bild erscheint sie ohne die Eltern nochmals vor dem Hohenpriester und dann drittens unter der Kuppel sitzend. So im Katholikon von Dionysiu und ähnlich in Protaton; sieben Jungfrauen mit Kerzen bilden die Begleitung Marias, vier andere folgen nach, hinter Joachim einherschreitend. Während hier der Zug sich von links nach rechts bewegt, schreitet er in Chilandari von rechts nach links. Anna und Joachim bilden den Schluß des Zuges, an dessen Spitze die kleine Maria schreitet, auch hier gefolgt von der typischen Siebenzahl der Jungfrauen, von denen mehrere hinter ihr ein Tuch ausbreiten. Der Name des Hohenpriesters steht mit großen Buchstaben auf seinem Mantel.

Natürlich war es die Miniatur-, Mosaik- und Freskomalerei nicht allein, die das Leben der hl. Anna vor Augen führte. Für das Haus und die Ikonostase der Kirchen kam an erster Stelle und fast ausschließlich die Tafelmalerei in Frage. Auch ihr wollen wir noch kurz unsere Aufmerksamkeit schenken, soweit das Material publiziert und uns zugänglich ist. Manches haben Wulff und Alpatoff veröffentlicht, anderes ist in russischen Publikationen versteckt. Eine dieser tragbaren Ikonen aus Wachsmosaik haben wir oben schon kennengelernt. Da haben wir zunächst zwei Wochenstuben, die eine in der Sammlung Rjabusinskij (Rußland) aus dem 14. Jh., die andere im Bayerischen Nationalmuseum zu München aus dem 15. Jh.

Ikonographisch greift erstere auf ältere Typen zurück; ist sie ja in einer russischen Provinzstadt entstanden, die am Alten zäher festhielt, als es z. B. in Byzanz oder selbst in Mistra der Fall war, wo die Geburtsszene schon mehr zu einem heiteren Sittenbild geworden ist.

Die schweren Gestalten füllen in aufrechter Staffelung die Bildfläche. Joachim steht fast regungslos am Kopfende des Bettes, auf dem Anna wie gebrochen ruht. Ihr rechter Arm entbehrt der Stütze, die er eigentlich haben müßte. Ihr Blick schweift in die Ferne, gilt nicht dem Kindlein, dem das erste Bad zuteil wird. Die Dienerinnen sind hier auf vier beschränkt, aller Augen sind auf den Beschauer gerichtet. Es mangelt dem Bild die feinere Durchbildung. Der Verzicht auf die Zickzacklinien des Gewandes und dessen Wiedergabe in farbigen Flächen bekunden die Abwendung von dem älteren linearen Stil und den Einfluß der Paläologenkunst auf die russische. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Werk, das einstens rechts von der Königstür in einer Kirche Nordrußlands aufgestellt war.

Die Ikone in München erinnert uns an Fresken auf dem Athos, obwohl sie in Rußland entstanden sein dürfte. Wie auf manchen Fresken wird die Begegnung an der Goldenen Pforte als Nebenszene unmittelbar mit der Geburt verbunden. Ebenso erscheint Joachim auch hier noch ein zweites Mal, wie er gerade in die Wochenstube getreten ist und fragend und verwundert beide Hände ausstreckt. Die beiden Architekturen rechts und links gestatteten nur, drei Dienerinnen anzubringen, die neben dem uns bereits bekannten Speisetische stehen. Die kistenförmige Wiege mit dem eingehüllten Kind und die spinnende Wärterin haben wir gleichfalls schon kennengelernt. Der byzantinisch geschulte Meister hat anscheinend auch der italienischen Trecentokunst manches abgeschaut; so besonders die hintereinander aufgestellten Gegenstände, Wiege, Bett, Tisch, die den Bildraum vertiefen. Bei den Köpfen und den Gewändern hält der Maler sich an die reife Paläologenkunst des 14. Jahrhunderts.

Echt moskowitischen Charakter zeigt eine Ikone aus dem 16. Jh. im Kaiser- Friedrich-Museum zu Berlin, die wie der Flügel eines mittelalterlichen Altares vier Szenen auf sich vereinigt: Begegnung an der Goldenen Pforte, Geburt, Tempelgang und Tod Mariä. Was auf den Bildern auffällt, das ist das erfolgreiche Streben des Malers, freie Räume zu schaffen und von der Fläche loszukommen. Die neue Raumgewinnung zeigt gleich die erste Szene. Wie verschieden ist sie von der gleichen Darstellung in Mistra! Hatten sich hier die Gatten kaum mit den Köpfen genähert, so sind sie auf der Berliner Ikone völlig aneinandergerückt und halten sich eng umschlungen. Die Geburtsszene gleicht der Münchener; doch sind die Dienerinnen auf unserer Ikone auf zwei zurückgegangen, und Joachim betrachtet Anna von einem Söller aus, die Wochenstube ist zum Freiraum geworden. Auch beim Tempelgang ist der Tempel in den Hintergrund gerückt, der Hohepriester tritt aus engen Schranken heraus, um das von Anna und Joachim und den Gespielinnen begleitete Kind zu empfangen. Die alte typische Form der Speisung durch den Engel ist beibehalten.

Älter und schematischer ist dieselbe Szene auf einer Ikone in Moskau aus einer Kirche des Dorfes Kriwoje (Gouv. Archangelsk), 14. Jh. Die Figuren sind ohne jedes räumliche Empfinden vor den mit drei Kuppeln versehenen Tempel gestellt. Die kleine Maria wird durch ihre Stellung vor einer dunklen Bogentür kräftig hervorgehoben.

Obwohl von halber Größe wie die übrigen Figuren bildet sie doch den Mittelpunkt; rechts und links stehen zunächst Joachim und der Hohepriester, dann Anna und Joseph. Das ist eine ikonographische Seltenheit, die uns sonst nicht wieder begegnet. Joseph ist wohl nur der Symmetrie wegen beigefügt worden. Eine weitere symmetrische Eigenheit bilden die Jungfrauen rechts und Maria links hoch oben unter dem glänzenden Baldachin. Dieser starren Symmetrie entspricht die schematische Stellung und Haltung der Personen, die alle ihre Hände wie zum Gebete ausgestreckt haben. Nur Joachim weist mit einer Hand auf das Kind hin. Die Ikone ist das schlichte Erzeugnis einer nordrussischen Provinzschule.

Auf einer Ikone des Therapontes-Klosters (Rußland) befindet sich Anna auf dem Bette, umgeben von vier Dienerinnen, von denen eine sie stützt. Rechts sitzt Joachim mit der Gebärde des Staunens. Dieses Hauptbild ist von vielen kleinen umgeben; unten: Opferung, Zurückweisung, Verkündigung an Joachim und Anna; oben: Joachim hält das Kind und läßt es segnen, Anna trägt das Kind auf dem Arm und herzt es, daneben Joachim. Die Eltern beratschlagen.

Überblicken wir zum Schluß nochmals die vorgeführten Denkmäler, ihr Alter, ihre Zahl, ihr Material und die Verschiedenheit der Objekte, so sind sie ein kräftiges Zeugnis für das frühe Auftreten und die weite Verbreitung der Annaverehrung im Orient und auch in der russischen Kirche, zumal wenn man die geringe Zahl der uns im Orient überhaupt erhaltenen bildlichen Darstellungen berücksichtigt.

    Inhaltsverzeichnis

4. Kap.
Die Verehrung der hl. ANNA im Abendland bis zum Ende der Kreuzzüge

Während die frühzeitige Verehrung der hl. Anna im Orient schon seit langem bekannt war, hat man lang fast allgemein angenommen, das Abendland hat ihr erst viel später eine besondere Verehrung gewidmet. Ihre kirchliche Verehrung sei erst im 14. Jh. ins Leben getreten, als Papst Urban VI. (+1389) den Engländern auf Bitten des Königs Richard II. ihr Fest zu feiern gebot. Indes hat das Abendland nicht dreizehn Jahrhunderte gewartet, um der Ahnfrau unseres Erlösers eine Huldigung darzubringen, wie sie seit langem vielen anderen Heiligen zuteil wurde. Manche wertvolle Entdeckungen der letzten Jahrzehnte lassen keinen Zweifel bestehen, daß die hl. Anna bereits zu Beginn des Mittelalters auch im Westen verehrt wurde.

Schon in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts besaß und verehrte man in Rom Reliquien der hl. Anna. Es hat sich in der Kirche S. Angelo in Pescheria zu Rom, die 770 gegründet wurde, ein steinernes Reliquienverzeichnis erhalten, in welchem auch die hl. Anna und Elisabeth aufgeführt sind, und zwar unter den dort aufgezählten Reliquien heiliger Frauen an erster Stellen. Besaß man damals zu Rom Reliquien der hl. Anna, so wird ihr eine wenn auch noch so bescheidene Verehrung nicht gefehlt haben. Laut einer in S. Nicola in Carcere von Kardinal Mai entdeckten Inschrift wurde dieser Kirche im 9. Jh. zu Ehren der hl. Anna eine größere Schenkung gemacht, auch ein Zeichen einer gewissen Verehrung.

Wenn man die damaligen kirchlichen Verhältnisse Roms und der Christenheit ins Auge faßt, können wir mit einiger Sicherheit auch die näheren Umstände bezeichnen, unter denen die Annaverehrung in Rom eingeführt wurde. Von 685 bis 741 saßen auf dem päpstlichen Stuhl nicht weniger als elf Päpste, die orientalischer Herkunft waren, zum Teil waren es Syrer. Einer von ihnen, Papst Konstantin, ein Syrer, folgte im Jahre 709 einer Einladung des Kaisers Justinian II. nach Konstantinopel, wo die Annaverehrung durch die Restaurierung der von Justinian I. erbauten Annakirche und die Übertragung ihrer Reliquien neue Anregung empfing. Der Papst verließ Rom am 7. Oktober 709, überwinterte in Otranto und kam 710 nach Konstantinopel, wo er anderthalb Jahre als Gast des Kaisers verweilte. Vielleicht nahm er die Weihe der neu restaurierten Annakirche vor und wohnte der Einbringung ihrer Reliquien bei; jedenfalls aber sah er während seines Aufenthalts am Bosporus die zu neuem Glanz erstandene Kirche der hl. Anna. Nach Rom zurückgekehrt, führte er ihre Verehrung auch in Rom ein oder beförderte ihn, wenn er dort schon bestand.

Wenn wir aus dem Reliquienverzeichnis und der steinernen Schenkungsurkunde auf eine Annaverehrung zu Rom im 8. und 9. Jh. schließen, so hat dieser Schluß eine glänzende Bestätigung gefunden durch die Entdeckung zwei Darstellungen der hl. Anna in der ältesten römischen Marienkirche. Ein anderes, allerdings nicht erhaltenes Monument ist jene Altardecke, die Leo III. (+816) der Basilika Santa Maria Maggiore zum Geschenk machte, und die außer der Verkündigung Mariä die Geschichte der hl. Joachim und Anna in künstlerischer Darstellung aufwies.

An diese monumentalen Zeugnisse reihen sich zwei schriftliche aus dem 9. und 10. Jh. an. Nach einem Rituale der Abtei Grotta ferrata bei Rom, die von griechischen Mönchen bewohnt wurde, betete der Priester bei Einsegnung einer Ehe: „Segne, Gott, diese Brautleute, wie du Joachim und Anna gesegnet hast." Dieser Ehesegen gehört noch dem 9. Jh. an. In einem Sakramentar aus dem 10. Jh, das zwar stadtrömischen Ursprunges ist, aber für griechische Mönche geschrieben wurde, findet sich die Anrufung der hl. Anna in der Karfreitagslitanei, und zwar zugleich mit dem Namen der hl. Elisabeth. Bemerkenswert ist, daß ihre Namen sogar den römischen Jungfrauenmärtyrinnen vorangehen. In beiden Fällen haben wir orientalischen Einfluß anzunehmen. Im 12. Jh. begegnen wir dem Namen unserer Heiligen sogar in einer Litanei, die in der Peterskirche verrichtet wurde. Ebenso wie für Rom läßt sich die Annaverehrung in Neapel nachweisen, wo man sie schon im 9. Jh. durch ein Fest feierte. Daß die Verehrung der hl. Anna damals nicht auf Rom und Neapel beschränkt blieb, darf von vornherein angenommen werden.

In Frankreich begegnet uns der Name der hl. Anna noch früher. 701 gründete der Edelmann Freric zu Floriac bei Rouen ein Kloster, das der hl. Anna wie auch den hl. Petrus und Amianus geweiht wurde. Freric übergab es dem Hausmeister Pipin von Heristal, „damit er es zu größerem Glanz erhebe und mit Mönchen bevölkere". Zweifellos werden diese Mönche die Patronin ihres Klosters nicht ohne Verehrung gelassen haben, diese Verehrung vollzog sich gewiß auf liturgische Weise; sie weihten ihr sehr wahrscheinlich einen Tag im Jahr, an dem sie zu ihrer Ehre das hl. Meßopfer darbrachten. Aus demselben Jahrhundert stammt nach Mabillon eine von ihm aufgefundene Litanei, die unter den angerufenen hl. Frauen an erster Stelle den Namen der hl. Anna enthält.

Um 600 soll Theodolinde, Königin der Longobarden, zu Asti in Oberitalien gleichfalls eine Klostergründung zu Ehren Annas vorgenommen und den Klosterfrauen eine Reliquie der Heiligen, ihr Gewand, geschenkt haben.

Schon lange vor der Gründung des Klosters zu Floriac hören wir, daß Anna als Ruf- oder Taufname gebraucht wurde, was zweifellos auch als ein Zeichen einer gewissen Verehrung angesehen werden muß. So berichtet Venantius Fortunatus im Leben des hl. Germanus von Paris (+576), eine ältere Frau namens Anna habe ihm in seiner Bedrängnis eine Menge Brote gebracht; ein anderes Mal sieht dieselbe Anna sein Haupt von hellen Strahlen umgeben. Es darf doch wohl als sicher angenommen werden, daß diese Frau nicht eine der alttestamentlichen Frauen namens Anna als ihre himmlische Patronin verehrte, sondern die Mutter Mariä. Ebenso wird sie auch nicht die einzige gewesen sein, die diesen Namen trug.

Wie in Rom so hat man wohl auch in Frankreich die Anregung zur Annaverehrung aus dem Orient empfangen. Orientalische, besonders syrische Christen, waren damals vielfach im Abendland in Handelsgeschäften tätigt. In Paris erlangte sogar ein Syrer den Bischofsstuhl, seine Landsleute übten als Pfarrer die Seelsorge aus. Da konnte es nicht ausbleiben, daß sie auch den kirchlichen Gewohnheiten des Orients in dem Bereich ihrer Amtstätigkeit Eingang verschafften.

Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Seit den Tagen, da durch Kaiser Konstantin und die hl. Helena in Palästina mehrere prachtvolle Kirchen entstanden und das hl. Kreuz Christi alljährlich zweimal, in der Karwoche und am Auffindungstag, den Gläubigen gezeigt und zum Kuß dargereicht wurde, sandte auch das Abendland seine Pilger zu den hl. Stätten. Selbst Frauen scheuten nicht die lange und gefahrvolle Reise. Noch heute lesen wir mit hohem Interesse die Reisebeschreibung, die eine vornehme Dame Aetheria aus Spanien an ihre daheim gebliebenen Gefährtinnen geschickt hat. Mit Staunen und Bewunderung sahen die abendländischen Pilger die prachtvollen Kirchen, betrachteten den glänzenden Gottesdienst, betraten und verehrten die hl. Orte, über denen sich zumeist schöne Gotteshäuser erhoben. Auf ihrem Weg kamen sie auch zur Kirche der hl. Anna. Wie hätten sie, in ihre Heimat zurückgekehrt, die Großmutter des Heilandes vergessen können, die Mutter der Gottesgebärerin, deren Geburtsumstände in dem Büchlein „Von der Abstammung Marias" im Abendland so gern gelesen wurden. So zeigt auch diese geschichtliche Erwägung, daß es der Orient (mit der Hauptstadt Konstantinopel) war, von wo das Abendland die erste Anregung zur Verehrung der hl. Anna empfing.

Fragen wir nach der Erwähnung der hl. Anna bei den Kirchenvätern und bei den Schriftstellern, so findet sich bei ihnen in vorkarolingischer Zeit im Abendland nichts. Weder Ambrosius noch Augustinus nennen sie, obwohl letzterem das Protoevangelium nicht unbekannt gewesen zu sein scheint. Bei Hieronymus kann dieses nicht auffallen, da er sich gegen die Apokryphen ausgesprochen hat. Aber auch in den Reden Leos des Großen über die Geburt Christi oder in denjenigen des Petrus Chrysologus, in den Homilien des Maximus von Tours oder den Erzählungen Gregors von Tours findet sich keine Erwähnung des Protoevangeliums oder der hl. Anna.

Wenn ihr Name von den vorkarolingischen Schriftstellern des Abendlandes aber nicht erwähnt wird, so darf man daraus nicht den Schluß ziehen, er sei ihnen oder dem christlichen Volk unbekannt gewesen. Die unter dem Namen des hl. Hieronymus gehende Schrift von der „Geburt Marias und der Kindheit des Erlösers" stammt aus dem 5. Jh., und in einem dem Papst Gelasius (+496) zugeschriebenen Dekret wird „das Evangelium des hl. Jakobus" ausdrücklich verboten, wozu kein Grund vorgelegen hätte, wäre es nicht bekannt und verbreitet gewesen. Dieses Verbot konnte wohl die Prediger veranlassen, es in ihren Reden nicht zu erwähnen, im Volk aber blieb die Erzählung des „Evangeliums" lebendig. Manche Gläubigen nahmen diese Erzählung gewiß als Tatsache hin, in gebildeten Kreisen aber blieb man sich ihres apokryphen Charakters bewußt.

Aus karolingischer Zeit erfahren wir dies durch eine Begebenheit im Leben des Erzbischofs Hinkmar von Reims. 862 schenkte er der von ihm geweihten Marienkirche „ein Büchlein über die Geburt der heiligen Gottesgebärerin Maria", jedenfalls das Evangelium von der Geburt Marias und der Kindheit Jesu. Ein Mönch von Alt-Corbie, vielleicht Ratamnus, machte den Einwand, das Büchlein sei wertlos, worauf ihm Hinkmar erwiderte, man gebrauche es „nur zur Lektüre, nicht als Beweisquelle".

Eine schärfere Stellung nahm Petrus Damiani (+1072) zu Beginn des 11. Jh. dem apokryphen Bericht gegenüber ein. In einer Homilie auf Mariä Geburt spricht er von der unberechtigten Neugierde gewisser Personen, die nach dem Namen der Eltern Mariä forschten; falls uns die Kenntnis dieser Namen nützlich wäre, meint er, würden die Evangelisten sie uns gewiß überliefert haben.

Auch Bischof Fulbert von Chartres (+1028) hegt in der ersten seiner drei Predigten auf dasselbe Fest Bedenken, die bekannten Legenden von Joachim und Anna dem Volk vorzutragen, aber in einer zweiten Predigt überwindet er diese Bedenken, und er erzählt den Gläubigen, daß „nach dem Bericht und den Schriften der hl. Väter Maria in Nazareth geboren sei; von dort stammt auch ihr Vater Joachim, ihre Mutter Anna aber von Bethlehem". In einer dritten Predigt läßt er deutlich durchblicken, daß die Gläubigen die Erzählungen von Joachim und Anna gern hörten, wenn auch die Ansichten über deren Glaubwürdigkeit geteilt seien.

Auch ein provencalischer Priester oder Bischof hat uns drei Predigten hinterlassen, die er am Fest Mariä Geburt gehalten hat, wobei er von der Legende des Protoevangeliums ausgeht. In seiner weit verbreiteten Predigtsammlung erzählt auch Honorius von Autun (+1152), dessen Werke besonders in Deutschland handschriftlich erhalten sind, in einer Predigt auf Mariä Geburt kurz die Legende ihrer Eltern, und Petrus Comestor (+1179) nennt wenigstens den Namen Annas, alles Zeichen, daß diese Erzählungen dem Volk geläufig waren. Wurde Anna aber als Mutter Mariä und als Großmutter Christi in der Predigt genannt, so konnte bei dem schlichten und gläubigen Sinne des mittelalterlichen Volkes ihre Verehrung nicht ausbleiben.

Strenger verhielt sich der Legende gegenüber der hl. Bernard von Clairvaux, dieser begeisterte Lobredner Mariä, der für ihre Mutter Anna ebensowenig ein Wort findet wie Hugo und Richard von St. Viktor, Bruno von Asti (+1123), Guibert von Nogent (+1124), Anselm von Canterbury (+1109).

Dagegen überwindet Papst Innozenz III. die Scheu vor den apokryphen Berichten, und er kommt den Wünschen seiner Zuhörer entgegen, wenn er in einer Predigt auf Mariä Geburt auch den Namen ihrer Eltern nennt.

Festeren Boden gewinnen wir für den Nachweis einer weiter verbreiteten Annaverehrung erst im 2. Jahrtausend. 1130 erbaute Liutolf von Regensburg und seine Gattin Judinta beim Kloster der Benediktinerinnen Fahr bei Zürich eine der hl. Anna geweihte Kirche und wählte unter ihrem Schutz seine letzte Ruhestätte.

Bald darauf, im Jahre 1153, wird zu Hagenau im Elsaß eine St.-Anna-Kirche erwähnt, die den Augustiner-Eremiten gehörte. In der Kapelle der Kaiserpfalz zu Hagenau befand sich im 12. Jh. eine Annareliquie, die wahrscheinlich ein Hohenstaufer aus dem Orient mitgebracht hatte. Das große Benediktinerkloster Weingarten in Württemberg erhielt bei der Weihe der Martinsbasilika eine Annareliquie, welche Bischof Bertold von Konstanz am 12. November 1182 nebst anderen Reliquien in den Kreuzaltar legtet. Die Verehrung der Heiligen hat seitdem im Kloster nie aufgehört. Es ist auch wahrscheinlich, daß vor 1176 zu Schönfeld, Diözese Speyer, ein der hl. Anna geweihtes Kloster bestand.

Auch die Schweiz empfing durch Martin Lintz, Abt von Paris, eine Reliquie der hl. Anna. Lintz brachte 1205 zahlreiche in Konstantinopel erbeutete Reliquien heim, die unter die bedeutendsten Kirchen der Diözese Basel verteilt wurden; die Reliquie der hl. Anna gelangte nach Lützel. Es war allerdings nicht die erste Reliquie der Heiligen, welche die Schweiz erhielt. Bereits im 11. Jh. befanden sich in der Heiligengeistkirche zu St. Gallen unter den Kostbarkeiten aus dem Hl. Land eine Reliquie der hl. Anna und Teilchen von ihrem Haus.

In Deutschland sind wir besonders über die frühe Verbreitung der Annaverehrung in Mainz und Umgegend unterrichtet. Die Stadt Mainz erhielt 1212 eine Reliquie der hl. Anna, welche der Kreuzzugsprediger und Domscholaster Theobald aus dem Orient mitgebracht hatte, wo sie ihm vom Prior von Bethlehem geschenkt worden war. Im gleichen Jahr zog er mit dem Kaiser und einer großen Schar in Jerusalem ein und kehrte reich an Reliquien nach Deutschland zurück, die ihm außerdem der Abt von St. Johann im Gebirg und der Deutschordensprior Theodorich geschenkt hatten. Dies mußte der Verehrung der hl. Anna in Mainz einen mächtigen Anstoß geben, wenn sie nicht bereits vorher üblich war. Tatsächlich hören wir auch 1233 von der Feier eines Annafestes,wo für der Stiftscholaster Arnold eine Stiftung machte, indem er den Geistlichen eine Vergütung zuwies, die an der Feier teilnahmen.

In Norddeutschland soll Paderborn, wie der französische Benediktiner Martene berichtet, noch im 18. Jh. eine Statue der hl. Anna besessen haben, die angeblich Bischof Imand (+1076) anfertigen ließ. Paderborn dürfte demnach für sich die Ehre in Anspruch nehmen, unter allen deutschen Städten zuerst die Annaverehrung gepflegt zu haben. Erklärlich, wäre es schon. Hatte doch Bischof Meinwerk (+1036) einige Jahrzehnte vorher den Benediktinerabt von Abdinghof nach Jerusalem geschickt, um von dort die Maße der Grabeskirche zu einem ähnlichen Bau in Paderborn zu holen. Mit den Maßen der Kirche könnte der Abt zugleich von Jerusalem die Verehrung der hl. Anna hinübergebracht haben. Leider ist die Figur, die aus massivem Gold war, heute nicht mehr vorhanden.

Gehen wir noch nördlicher, so hören wir 1176 in Braunschweig von einer Prozession, welche am St.-Anna-Tag stattfand; Abt Wolfram von Kirgburg bedachte sie mit einer Stiftung für die Pilger. Bis zum Ausbruch der Reformation blieb Braunschweig eine treue Verehrerin der hl. Anna und führte deren Bild sogar in ihrem Wappen. Die Stadt Bremen erhielt 1199 durch seinen Erzbischof Hartwich eine Reliquie unserer Heiligen, die er von einer Reise nach dem Hl. Land mitgebracht hatte.

Auch Frankreich gelangte damals in den Besitz einer Annareliquie, und zwar ihres Hauptes durch den Grafen Ludwig von Blois, das er 1204 bei der Eroberung Konstantinopels erworben hatte und seiner Gemahlin in der Heimat sandte. Klerus und Volk von Chartres empfingen es mit großer Ehrfurcht, die Kanoniker stellten ein eigenes Offizium zusammen, und ihr Fest wurde alljährlich feierlich begangen. Die Bibliothek von Chartres enthält eine Handschrift aus dem 13. Jh. mit einer Festrede auf die hl. Anna. Es wurde für das Haupt ein kostbares Reliquiar angefertigt, von dem in den Inventaren der Kirche oft die Rede ist.

Die Verehrung der hl. Anna blieb nicht auf das Festland beschränkt. Im alten katholischen England wurde sie ebenso verehrt. Von Bischof Hugo von Lincoln, erzählt sein Hofkaplan (1200), daß er nach Maria stets ihre Mutter Anna verehrt und in jeder Not und Gefahr schnelle Hilfe von ihr erfahren habe; so verschaffte sie ihm einmal, wie derselbe Biograph ausführlich erzählt, eine günstige Fahrt übers Meer. „Alle, so fügt derselbe Autor hinzu, die das Meer befahren, pflegen, um die rechte Richtung einzuhalten, auf Maria als den Meeresstern hinzuschauen, wenn aber Windstille eintritt, die hl. Anna, ihre Mutter, anzurufen und durch Opfergaben ihre Hilfe zu erbitten, um ungehindert weiterfahren zu können." Anna war also damals Patronin der Schiffer.

Spanien und Portugal, die damals in ständigem Kampf mit den Mauren lagen, blieben in der Verehrung der hl. Anna nicht zurück. Der kleine Ort Santillana del Mar (Nordspanien) besitzt sogar die älteste plastische Darstellung unserer Heiligen, die wir überhaupt besitzen, eine echt romanische Anna mit dem Kind Maria. Und zu Coimbra in Portugal gründete König Sancho I. (1185-1206) ein St-Anna-Kloster. Der Name Anna kommt in Spanien schon 562 und dann wieder 989 vor.

Kehren wir nach Italien zurück. Dieses Land stand besonders in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Zeichen der Kreuzzüge. 1204 eroberten die Venetianer auf dem sogenannten vierten Kreuzzug Konstantinopel und brachten von dort ungeheure Schätze heim. Kaiser Friedrich II. trat 1228 von Süditalien seinen Kreuzzug an, der Jerusalem mit seiner Umgebung kurze Zeit wieder in den Besitz der Christen brachte. In Messina entstand schon 1176 ein Annakloster, welches von Basilianerinnen bewohnt wurde. Bischof Johannes von Ancona baut 1235 in der Kirche des hl. Cyriacus „der glorreichen hl. Anna eine Kapelle, damit sie ihm einen Platz im Himmel bereite".

In Faenza gründeten die Benediktiner 1268 eine Abtei und weihten sie der hl. Anna. In dieser Stadt wurde 1220 auch die hl. Umilitas geboren, die eine glühende Verehrerin der hl. Anna war und uns folgendes Gebet zu ihr hinterlassen hat:

  „Dich will ich verehren, o hl. Anna, weil du jene gekrönte Königin getragen hast, die über allen Engeln thront und die Mutter und Braut Gottes ist und mit ihrer großen Schönheit den ganzen himmlischen Hof erfreut. Gebenedeit sei deine Milch, mit welcher du sie genährt hast. Wahrlich, selig ist dein Leib, welcher geboren hat jenes glorreiche Kind, dessen Antlitz reizender ist als Lilie und Rose. Da du es auf deinen Schoß genommen und mit deinen Händen bewahrt hast, so danke ich dir und lobe dich."

Die Mehrzahl der Tatsachen, welche die Verehrung der hl. Anna nördlich der Alpen bezeugen, stammt aus der Zeit um 1200; besonders sind es die verschiedenen Reliquien, die damals aus dem Orient in das Abendland kamen. Die Ursache für die Ausbreitung der Annaverehrung waren die Kreuzzüge im 12. und 13. Jh. Das ganze Abendland geriet in Bewegung. Die christlichen Völker wollten den Ungläubigen das Hl. Land entreißen. In Konstantinopel und in Palästina sahen sie die zu Ehren der hl. Anna erbauten Kirchen und verehrten dort ihre Reliquien.

Mancher war glücklich, sogar eine Reliquie zu erwerben, wie wir berichteten von Abt Lintz, Erzbischof Hartwich, Graf Ludwig, Domscholaster Theobald. Solch wertvolle Schätze regten die Verehrung der hl. Anna an! Mancher den Gefahren glücklich entgangene Kreuzfahrer wird in der Heimat den Ruhm der Großmutter des Heilandes laut verkündet haben, deren Kirchen er besucht hatte. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn wir diese Periode als den Beginn einer Blütezeit der Annaverehrung im Abendland bezeichnen, die drei Jahrhunderte später ihren Höhepunkt erreichen sollte.

Einen Schluß auf die Popularität unserer Legende gestatten auch deren poetischen Bearbeitungen. Und da sind besonders vier zu nennen. Die erste ist das umfangreiche Gedicht, welches Robert Wace, Kanonikus zu Bayeux, um 1175 über das Leben Marias verfaßte, indem er von ihren Eltern Joachim und Anna ausgeht und deren Schicksal und Prüfungen erzählt. Noch heute zeugen mehrere Handschriften von der Beliebtheit dieser poetischen Schilderung, der Klerus und Volk mit gleicher Freude lauschten.

Schon zwei Jahrhunderte vorher hat Deutschlands erste Dichterin, die Benediktinerin Hroswitha von Gandersheim (+1010), die Legende in gefälligen lateinischen Distichen behandelt. Als Vorlage diente ihr, wie sie selbst bemerkt, die Geschichte Marias „unter dem Namen des hl. Jakobus, des Bruders des Herrn" (in einer späteren Bearbeitung). Nachdem sie zuerst die Gottesmutter „die einzige Hoffnung der Welt, des Himmels erhabene Herrscherin, des Königs heilige Mutter und des Meeres leuchtenden Stern, um Beistand angefleht hat, schildert sie, wie ihr „Heros" Joachim ein ländliches, frommes Leben führt. Schon lebte er vier Lustren (je 5 Jahre) in der Ehe mit der bildschönen und tugendreichen Anna, aber die Ehe
ist kinderlos geblieben, und daher erfährt er am Festtag vom Hohenpriester Ruben eine schmähliche Zurückweisung, weshalb er sich zu seinen Herden ins Gebirge zurückzieht.

  Als schon fünf der Monde durchmessen die Laufbahn,
Alsdann bangte der Anna, ihr Mann sei auf immer verschwunden;
Laut sie klagte und weinte, beraubet jeglichen Trostes,
Und vom Schmerz gebeugt, begann sie also zu sprechen:
„Israels Herr, der du liebst das Volk, das du selbst dir erwähltest,
Du, der alle erquicket mit Trost, die von Trauer befallen:
Warum hast du den lieben Gemahl der Gemahlin entrissen
Und vermehrest den Schmerz, der so lange mein Inneres zernagt,
Weil verschlossen mein Schoß und nimmer ihm Segen erblüht?
Jetz blutet mein Herz an desto tieferer Wunde,
Weil ich nimmermehr weiß, was tun, so lange vermissend
Meinen von Gott geliebten Gemahl, den Gefährten des Lebens.
O wie fühlt ich mich glücklich, wenn einer die Kunde mir brächte.
Ob ihn erfaßte der bittere Tod und als Beute entführte,
Oder ob froh er noch schaut das Licht der freundlichen Sonne;
Würde nur dieses mir kund, ich wollte ja nimmermehr klagen.
Groß zwar wäre mein Schmerz, wenn des Todes finsteres Grauen
Ihn schon umfing; doch ich würde mit Pracht des Verblichenen Hülle
Hingeleiten zum Grab, wie dem Hocherlauchten geziemte."
Als sie gesprochen das Wort, den Blick zum Himmel gerichtet,
Sieh, da gewahrt ihr Auge ein Paar befiederte Sänger,
Welche mit lautem Geschrei die Brut umflattern, die lustig
Auf den Zweigen des Lorbeers sich wiegt, der zur Seite ihr steht.
Tief im Herzen betrübt, begann sie also zu sprechen:
„König des Himmels, der du mit Kraft regierest das Weltall,
Der du alles zum Heil und alles zum Besten uns lenkest:
Dank sei dir immer und Preis für die unaussprechliche Güte,
Mit der alle belebten Geschöpfe du segnest und mehrest
Und den Fischen, dem Vieh, dem Schlangengezücht und den Vögeln
Nimmer versagest die Lust, sich liebender Frucht zu erfreuen.
Nur mir Armen allein verweigerst du jeglichen Sprossen:
Doch gerecht und weise, o Herr, regierest du alles!
Dir, Allvater, gelob ich entschlossenen Herzens von neuem,
Was ich damals versprach, als ich schloß den heiligen Ehebund,
Wenn du in Liebe und Huld mit Frucht den Schoß mir gesegnet,
Dir dieselbe zu weihen zum heiligen Dienst des Tempels."
Kaum war entflogen das Wort den reinen Lippen der Anna,
Siehe, da stieg ein Engel herab vom Gezelte des Himmels
Und erfüllte mit Trost die von Trauer Daniedergebeugte.
Ihr zu Häupten sich stellend, begann er mit freundlicher Rede:
„Schlag aus dem Sinn den Gram, und nimmer gedenke des Kummers!
Wisse, daß dir, wenn erfüllt die Zeit, durch göttlichen Ratschluß
Eine Tochter erblüht, die dich und den Erdkreis erfreuet ..."

Neun Monate später erblickt Maria das Licht der Welt. Die ganze Erzählung, welche im weiteren Schicksal Mariä ihre Fortsetzung findet, ist in so fließenden Versen abgefaßt, daß sie nicht nur für die Bewohnerinnen von Gandersheim eine Lieblingslektüre bilden mußte, auch wir erfreuen uns noch heute an der Dichtung der gewandten Nonne. Worauf es uns hier aber hauptsächlich ankommt, ist die Feststellung, daß im 10. und 11. Jh. Anna als Mutter Mariä in Predigten und Gedichten gefeiert wurde, was sicher ihre Verehrung zur Folge und auch zur Voraussetzung hatte.

Auch im ersten deutschen Marienleben, das der Priester Wernher 1172 herausgab, wird die Geschichte Joachims und Annas nach den Apokryphen, und zwar nach dem Pseudo-Matthäus erzählt: Es ist eine der lieblichsten Schöpfungen der geistlichen Poesie, und wir möchten daher nicht unterlassen, hier einige Auszüge mitzuteilen, und zwar zunächst, wie der Dichter das Leben der jungen züchtigen Ehefrau schildert:

Ein Kind er (Joachim)
sich zur Eh' erkor:
Traun! wähn' ich, nicht nach noch vor
Ward jemals keuschre Braut geboren.

Er hatte sich das Gemahl erkoren
Aus Davidis Geschlechte,
Daß er mit ihr vermöchte
Bewahren Seel' und Leib.
Also schöne war das Weib,
Daß alle, die sie je angesehen,
Ehren und Heil ihr mußten zugestehen
Und ihr auch trugen Minne zart
Ob ihrer tugendlichen Art ;
Ihr Lieben kehrten sie zu ihr
Ohne wechselnde Begier.
Sie hatte reines Leben
Und begann Almosen viel zu geben
Und brachte Opfer viele dem Herrn
Als Kind und auch als Jungfrau gern...
Anna war sie mit Recht genannt,
Anna bedeutet gratia.
Viel große Gnad', die war da,
Weil jene Frucht, die von ihnen kam,
Die Frauen Evas Schuld benahm
Und sie das Mägdlein sollt gebären,
Der Gott selbst niemals kann verwehren
Eine Bitte, die sie an ihn tut:
Ihre Gnaden anflehen ist drum uns gut.

Nach der Geburt des Kindes, die der Engel ihr und Joachim ankündigte, verrichtete sie folgendes Gebet:

Frau Anna sprach da erfreut:
Gott schiebt auf lange Zeit
Seine Gnade, wenn er will,
Und gibt ihrer zusammen viel,
Daß sie niemand kann ergründen
Noch fürbaß ausverkünden,

Noch zählen noch auch messen,
Wer sollt ihm das vergessen!
Die feindlich gegen mich entbrannten,
Die stehen nun mit Schanden;
Die mich höhnten mit Lästerungen, Stumm sind jetzt ihre Zungen !
Da unfruchtbar ich bin gewesen
Und danach schier genesen

Der herzelieben Tochter mein,
Da mußte allen klar wohl sein,
Daß das war Gottes Zeichen,
Das er mir wollte reichen..

Dieser der hl. Anna in den Mund gelegte Lobgesang des Priesters Wernher, den man lange Zeit mit Unrecht Wernher von Tegernsee (in Oberbayern) genannt hat, zeigt zur Genüge, daß man sein Gedicht mit Recht als die reizvollste Schöpfung der geistlichen Poesie des 12. Jahrhunderts bezeichnet hat.

Noch eine poetische Bearbeitung der Legende sei hier in Übersetzung teilweise mitgeteilt. Sie stammt aus der Feder des sächsischen Priesters Gottfried, der, in Bamberg gebildet, Kaplan Friedrichs I. war und nach Viterbo in Italien kam, wo er 1191 starb. Im 1186 dem Kaiser Heinrich VI. gewidmeten „Pantheon"', der Überarbeitung einer in Prosa und Poesie abgefaßten Weltgeschichte, finden sich folgende Verse:

  Als einst Anna im Garten gelagert im Schatten der Bäume
Junge Sperlinge sah, die munter im Nest sich wiegten,
Ward sie mit Trauer erfüllt, brach in den Klageruf aus:
Nur mir Armen allein hat Sprossen verweigert der Höchste,

Während er lustige Brut geringsten der Vögel verlieh:
Vater, erbarme dich meiner, blicke vom Himmel auf mich.
Segne den Schoß und tilge die Schmach, die am Herzen mir nagt,

Dir, o Schöpfer, nicht mir, sei Ruhm beschieden und Ehre:
Ich gelobe die Frucht einzig zu weihen nur dir.
Wenn du den Wunsch mir erfüllest, den lange vergeblich ich hegte,

Weihe ich dir den Sprossen und deinem heiligen Tempel,
Gebe sofort dir zurück, was ich empfangen von dir.
Sieh, da erscheint ihr ein Engel, Gabriel, also beginnend:

Was du, Anna, verlangest von Gott, wird er huldvoll gewähren,
Glaub dem untrüglichen Wort: Mutter in Bälde wirst du.

Heilige Frucht wirst du schenken der Welt und Maria sie heißen.
Aus jungfräulichem Schoß wird das ewige Wort sie gebären,
Welches Messias sich nennt, allen ein rettender Stern.

In den mittelalterlichen Marienspielen Englands, die der Gottesmutter Abkunft ausführlich erzählen, treten natürlich auch Joachim und Anna auf, wobei bemerkenswert ist, daß in dem Ludus Conventriae Joachim auch als Priester erscheint und nicht bloß als Schäfer; dadurch wollte man offenbar ausdrücken, daß Jesus nicht nur von königlichem, sondern auch von priesterlichem Geschlecht abstamme. Die Begegnung an der Goldenen Pforte hat der unbekannte Verfasser dieses Spieles mit einer Zartheit geschildert, die an den naiven Reiz einer alten Miniatur erinnert..
J. Vriend SJ, The blessed Virgin Mary in the medieval Drama of England, Purmerend 1928, 35ff.

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5. Kap.
ANNA in der abendländischen Kunst vom 8. bis zum 14. Jahrhundert

Fast gleichzeitig mit den schriftlichen beginnen in der karolingischen Zeit auch die monumentalen Quellen über die Annaverehrung nach langer Pause wieder zu fließen. Wie in der frühchristlichen, so ist es auch in dieser Periode Rom, das uns die ältesten Darstellungen der hl. Anna aufbewahrt hat. Jahrhundertelang dem Anblick entzogen, wurden sie im Jahre 1900 der Öffentlichkeit wieder zurückgegeben. Sie befinden sich in der ältesten Marienkirche Roms, in Maria antiqua auf dem Forum, die von dem alten Schutt befreit wurde und uns damit eine Anzahl wertvoller Fresken schenkte. Der größte Teil der Malereien stammt aus der Zeit des Papstes Johannes VII. (705), der von griechischen Eltern, dem Palatinvorsteher Plato und seiner Frau Blatta, abstammte, aber eine gute römische Erziehung und Ausbildung erhielt.

Von den Eltern erbte er wohl die Liebe zur hl. Anna, die er in einer wahrhaft klassischen Schönheit neben dem Eingang zur „Kapelle der Ärzte" darstellen ließ. Als stattliche Frau in den reifsten Jahren steht sie da. Sie trägt ein gelbliches Kleid und darüber einen roten Mantel, der zugleich als Kopfbedeckung über die weiße Haube geschlagen ist. Auf dem rechten Arm hält sie ihre prächtig gekleidete Tochter, die ein kleines Handkreuz, das Abzeichen der Märtyrer, in der Hand trägt, wohl eine Hinweis auf das unsägliche Herzeleid, das sie erdulden und sie zur „Königin der Märtyrer" machen sollte. Neben ihrem Kopf stehen die Worte: Η Ayια Αννη (heilige Anna). Leider hat die rechte Seite der Figur etwas gelitten, wir würden hier sonst eine Darstellung der Heiligen besitzen, der aus den folgenden Jahrhunderten nur wenige ebenbürtig an die Seite gesetzt werden könnten. Ein solches Bild mußte allein schon genügen, den Frauen Roms Vertrauen und Liebe zur Mutter Anna einzuflößen und sie zu ihrer Verehrung anzueifern.


Maria Antiqua, so bedeutungsvoll für die Geschichte der Annaverehrung, besitzt noch ein zweites Bild unserer Heiligen, das unter Papst Paul I. (757-767) entstanden ist. Ikonographisch darf es großes Interesse beanspruchen, da es uns drei heilige Mütter mit je einem Kind vorführt. In der Mitte thront Maria mit Jesus, der von einem Strahlennimbus umgeben ist. Rechts steht die hl. Anna mit Maria, als solche gekennzeichnet durch Sca Anna und links Elisabeth mit dem kleinen Johannes - Sca Elisabeth. Die Mütter wie auch die Kinder sind durch den Nimbus (Heiligenschein) ausgezeichnet. Das Fresko befindet sich am Ende des rechten Seitenschiffes in einer Nische, wo der Altar stand. Priester wie Volk hatten es also während des hl. Opfers ständig vor Augen. Im linken Seitenschiff haben sich einige Überbleibsel der Umarmung Joachims und Annas und der Geburt Marias erhalten. Daß diese ältesten Darstellungen aus dem Leben Annas in so geringen Überresten erhalten blieben, ist um so mehr zu bedauern, da wir hier offenbar den Einfluß der Apokryphen auf die künstlerische Verherrlichung der hl. Anna vor uns haben. Auch diese Fresken entstanden unter Papst Paul I.

Maria Maggiore und Antiqua sind nicht die einzigen Kirchen Roms, die von dem Einfluß der Apokryphen auf die Vorstellungen der Gläubigen des 8. Jahrhunderts Zeugnis ablegen. In S. Saba befinden sich gleichfalls einige Reste von Fresken aus der Geschichte von Joachim und Anna. Doch das heißt nicht, daß nur die genannten Kirchen einen solchen oder ähnlichen Schmuck erhielten. Berichtet uns doch das „Papstbuch", Papst Leo III. hat der Basilika S. Maria Maggiore ein Altartuch geschenkt, das mit der Geschichte Joachims und Annas verziert gewesen sei.

Ein etwas besseres Geschick als über die erwähnten Fresken waltete über die wiederentdeckten Wandgemälde in der St.-Johannes- Kirche an der Lateinischen Pforte. In dem rechten Seitenschiff, das in eine Kapelle der Muttergotteskirche auslief, war deren Leben und Vorleben gemalt, und zwar letzteres auf Grund der Apokryphen. Wenn auch nur in Bruchstücken erhalten, ist die Malerei für die Geschichte der Annaverehrung im Mittelalter von hoher Bedeutung.

Es sind Fragmente von vier Szenen erhalten, und zwar die drei ersten an der Eingangswand: das Opfer Joachims, die Verkündigung des Engels an Joachim und Anna und die Geburt Mariä. In der zweiten Szene steht rechts der Engel [Gabriel] mit mächtigen Flügeln, von denen der eine erhoben, der andere gesenkt ist, und verkündet Anna, daß sie Mutter werden soll. Ihr Blick ist flehentlich nach oben gerichtet, wo auf dem Baum, der die beiden Personen trennt, das von den Apokryphen erwähnte Sperlingsnest sichtbar ist. Von der prächtigen Gestalt unserer Heiligen blieb leider nur ein Teil erhalten. Daneben erscheint der Erzengel nochmals, der Unterkörper ist durch den emporragenden Berg verdeckt; er macht dem Joachim die gleiche tröstliche Mitteilung. Erschreckt ist dieser auf die Knie gefallen und hebt flehentlich die Hände empor. Sein Name, der rechts oben neben seinem Kopfe steht, ist vollständig erhalten: Joachim.

Das letzte der für uns hier in Betracht kommenden Fresken ist die Geburt Marias. Anna liegt, wie man aus anderen gleichzeitigen Darstellungen schließen darf, mit emporgerichtetem Oberkörper innerhalb eines reichen Hauses auf einem Bett. In ihrer Nähe befinden sich zwei Dienerinnen, im Vordergrund war jedenfalls die Waschszene dargestellt. Außer der Architektur hat sich von dem Fresko nur der nimbierte Kopf Annas und einer Dienerin nebst Schulteransatz erhalten. Die Anfertigung dieser Fresken fällt in die Zeit von Papst Cölestin III. (1191-98).

Auch dem größten Maler Roms im Mittelalter, Pietro Cavallini, verdanken wir am Ende der uns hier beschäftigenden Epoche eine Annaszene, die des hervorragenden Meisters würdig ist. 1291 begann er im Auftrag des Bertoldo di Pietro, Bruders des Kardinals Jacopo Gaetano Stefaneschi, in der Kirche Maria in Trastevere sechs Szenen aus dem Leben der Gottesmutter Maria. Anna liegt halb aufgerichtet in einem prächtigen Zimmer auf einem Paradebett, nicht müde und abgespannt, sondern in vornehmer, edler Haltung. Nur zwei Dienerinnen widmen sich ihrem Dienst, die eine bringt ihr Trank, die andere Speise. Zu ihren Füßen ist eine dritte Dienerin bereit, das übliche Bad des Kindes vorzunehmen. Sie prüft die Temperatur des Wassers, während eine vierte Dienerin noch Wasser hinzugießt. Es ist eine der ansprechendsten Geburtsdarstellungen, die uns das Mittelalter hinterlassen hat...

Als byzantinische Arbeit auf italienischem Boden ist auch ein Annabild zu Patu bei Kap Leuca zuerwähnen, das aus dem 11. Jh. stammt. Wie in den Höhlenklöstern Kleinasiens, so haben auch in den Lauren Palästinas und in den einsamen Tälern Süditaliens, das ja bis tief ins Mittelalter unter byzantinischer Herrschaft stand und noch bis heute an einigen Orten griechische Sitten und Gewohnheiten beibehalten hat, die Mönche ihre Kirchen schlecht und recht mit Darstellungen aus der Heilsgeschichte verziert. Ein solches, heute als Stall benutztes und Cento Pietre genanntes Kirchlein findet sich südlich von Ruffano bei Patu; ihre Malereien sind größtenteils verschwunden, nur eine sitzende Frau im roten Mantel ist erhalten geblieben; ihre Gesichtsbildung verrät sofort den byzantinischen Maler, und man könnte sie für die Madonna halten, wenn nicht das Kind auf ihrem Schoß, das ähnlich wie sie gekleidet ist, sie als Mutter Anna kennzeichnete, was auch die
Inschrift bestätigt.

Desgleichen besitzt das Kirchlein San Stefano zu Soleto in der Terra d'Otranto ein später leider fast ganz erneuertes und daher zeitlich schwer bestimmbares Bild der hl. Anna, wie sie Maria auf den Knien trägt, umgeben von Joachim, Maria Magdalena, Thekla, Katharina, Simon und dem Erzengel Michael.

Eine der großartigsten Darstellungen Annas hat uns die byzantinische Kunst zu Palermo hinterlassen in der Kirche Martorana bzw. wie sie eigentlich heißt in Santa Maria dell' Ammiraglio, dieser wunderbaren Schöpfung des Georgios Antiochenos, des Großadmirals Rogers II. von Sizilien (1143). Wie ihr Name schon sagt, war die Kirche, die nur einen Teil ihrer einstigen Schönheit zeigt, der Gottesmutter geweiht; es durften also auch ihre Eltern nicht fehlen. Im rechten Kreuzarm ragt die hl. Mutter Anna hervor, die neben Christus und Maria durch ihre schöne Kleidung ausgezeichnet ist. Es braucht wohl nicht extra betont werden, wie byzantinisch diese Darstellung anmutet.

Wenden wir uns nach dem Norden Italiens, wo in frühchristlicher Zeit Ravenna und im Mittelalter Venedig ein stets unter byzantinischem Einfluß gewesen ist, so finden wir in der Lagunenstadt ein kleines Bild unserer Heiligen, das allerdings in Konstantinopel entstanden ist. Es befindet sich auf der berühmten Altartafel (Pala d'oro), das von dem Dogen Pietro Orfeolo (976-978) in Konstantinopel bestellt, später aber mehrfach erneuert bzw. ergänzt worden ist. Diese mit 1200 kostbaren Steinen und Perlen und 64 Emailbildchen verzierte Tafel trägt auch eine hl. Anna in betender Stellung; sie wurde erst später hinzugefügt, und zwar wahrscheinlich aus der 1204 in Konstantinopel gemachten Beute.

Bedeutungsvoller sind zwei Tafelgemälde im Städtischen Museum zu Pisa, das in jener Zeit einen regen Handelsverkehr mit dem Orient unterhielt. Das eine Gemälde stellt die thronende Gottesmutter dar; nach der damals üblichen Weise ist sie von Ereignissen aus dem Leben ihrer Eltern und des eigenen umgeben. Gewissermaßen als Einleitung dient die Verkündigung an Anna. Auf die Abweisung des Opfers durch Ruben läßt der Maler die Verteilung der Almosen an die Armen erfolgen, die Joachim nach dem Protoevangelium vornimmt, ein Vorgang, der hier wohl zum ersten Mal künstlerischdargestellt wird. Da der Maler mit dem Raum nicht auskam, hat er auf den folgenden Bildern meistens zwei Ereignisse miteinander verbunden. So gleich auf dem nächsten. Anna empfängt von dem Engel die frohe Botschaft, sie ruht auf dem Lager, wird von der Dienerin getröstet und im Glauben an die empfangene Verheißung bestärkt. Daneben Botschaft. Künstlerisch steht das Bild nicht hoch. Die Raumbildung hat der Maler noch nicht erfaßt. Anna steht da in drückender Enge; sie klebt fast am Felsen. Es folgen mehrere Ereignisse aus dem Leben Joachims, die Verheißung des Engels, das Opfer, die Erscheinung des Engels während des Schlafes und die Mitteilung der erhaltenen Aufforderung an die Diener sowie deren Ermunterung. Auf dem folgenden Bild sind wieder zwei Ereignisse zusammengedrängt. Links die Ermahnung des Engels an Anna, sich nach Jerusalem zu begeben und gleich daneben die Begegnung an der Goldenen Pforte, die von zwei Personen mit Erstaunen beobachtet wird; Joachim steht ruhig da, Anna aber, froh, nach so langer Zeit ihren Mann wohlbehalten wieder zu finden, eilt stürmisch auf ihn zu und schließt ihn in ihre Arme. Ist Form und Lage auch ungeschickt, so hat der Künstler das stürmische Umfangen doch glücklich zum Ausdruck gebracht.

In der Geburtsszene folgt der Maler dem üblichen Schema. Aufgerichtet, mit übereinander gelegten Beinen sitzt Anna im Bett und wird von Dienerinnen betreut; zwei andere bereiten, rechts vor dem Bett, dem Mägdlein das erste Bad; eine prüft mit der Hand die Temperatur, die zweite gießt Wasser hinzu.

Die dritte Frau, vielleicht auch die zweite mit dem Tüchlein in der Hand, wie wir es schon auf dem berühmten Zeremonienbild der Kaiserin in Ravenna sehen, scheint mir eine Freundin Annas zu sein, die ihr Glück wünscht; es wäre also eine Vorwegnahme jener Wöchnerinnenbesuche, wie wir sie später besonders in der italienischen, und zwar besonders in der florentinischen Kunst kennen lernen.

Das letzte Bild zeigt den Tempelgang Marias, die von ihrer Mutter dem Hohenpriester vorgeführt wird. Anna hat selbst die Stufen zum Tempel bestiegen und legt ihre Hand auf das Töchterlein, das von dem Hohenpriester in Empfang genommen wird. Hinter ihr stehen Joachim und die Begleiterinnen.

Das Gemälde, das um 1250 gemalt wurde, erscheint zwar als ein Bild der Madonna, ist in Wirklichkeit aber ein Werk zu Ehren ihrer Eltern, deren Schicksal nach dem „Evangelium von der Geburt Marias" erzählt wird. Ikonographisch ist es von hervorragender Bedeutung, da es uns das Leben Annas und ihres Mannes in einer Breite erzählt, wie es uns nur selten begegnet. Es dürfte als Ancona (Altarbild) gedient haben und zeigt, daß Anna damals in Pisa verehrt wurde. Noch deutlicher beweist dies ein zweites großes Gemälde im selben Museums, das die Mutter Anna mit der kleinen Maria auf dem Arm darstellt. Man möchte das Bild auf den ersten Blick für eine Madonna mit dem Jesuskind halten, aber das Kind segnet nicht, es betet mit ausgebreiteten Ärmchen und trägt das gleiche Gewand wie die Mutter. Daß ein solches Bild nur dort entstehen konnte, wo die hl. Anna verehrt wurde, liegt auf der Hand.

Diesen Gemälden sei noch ein echt abendländisches Relief hinzugefügt. Es befindet sich an der Fassade der um 1250 erbauten Kirche S. Andrea in Pistoja, und zwar an einem Kapitell des Hauptportals. Die beiden Kapitelle tragen als Schmuck Darstellungen des Zacharias und der Elisabeth, der Verkündigung und der hl. Anna. Daß es sich wirklich um die Mutter Marias handelt, bezeugt die beigefügte Inschrift: S. ANNA. Der Meister hat seinen Namen neben seine schlichte Arbeit geschrieben: Magister Enriques me fecit. Wir erinnern uns, daß der Name der hl. Anna bereits gegen Ende des 12.Jahrhunderts zu Bologna in einer Litanei angerufen wurde.

In Frankreich, wo Bischof Fulbert von Chartres im 9. Jh. den Gläubigen nur mit einigem Zögern die Legende von der Geburt Marias vorzutragen wagte, sind uns einige monumentale Zeugen von dem Fortleben dieser Legende an den Kathedralen von Chartres und Paris erhalten geblieben. Paris hat an seiner berühmten Kathedrale Notre-Dame auch der Mutter Marias ein ehrenvolles Denkmal gesetzt und eines der großen Portale nach ihr benannt. Wenn es auch erst aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammt, so bezeugen doch einige Darstellungen aus früherer Zeit, daß Künstler und Auftraggeber mit den legendenreichen Erzählungen bekannt waren. Es handelt sich um das „Portal der hl. Anna", rechts von dem Hauptportal; es hat einen doppelten Türsturz, der untere wurde um 1160 für den älteren Bau des Mauritius de Sully (+1192) angefertigt, kam aber erst später bei dem erweiterten Bau zur Verwendung und ist mit kleinen Darstellungen ganz bedeckt. Es sind Szenen aus dem Leben Annas und Joachims. Sie greifen noch auf die Skulpturen des Rundbogens über. Man sieht hier einige ikonographische Einzelheiten, die uns sonst nirgendwo begegnen und daher unsere Aufmerksamkeit erheischen.

Die Erzählung beginnt rechts vom Beschauer. Anna und Joachim stehen zusammen und sind bekümmert ob der Unfruchtbarkeit ihrer Ehe. Doch geben sie die Hoffnung nicht auf, des Kindersegens teilhaftig zu werden. Sie gehen deshalb, das zeigt das zweite Bild, mit Opfergaben zum Tempel, der durch zwei auf dünnen Säulchen ruhenden Kleeblattbögen bezeichnet wird. Joachim, durch den Spitzhut als Jude gekennzeichnet, schreitet voran. Aber zur ersten Betrübnis kommt jetzt ein neuer Schmerz, indem Ruben ihre Gaben zurückweist, weil die auf dem Altar ausgebreitete Gesetzesrolle es so verlangt. Joachim macht sich deshalb mit einem Begleiter - die beiden letzten Personen des Türsturzes - auf den Weg, um in die Wüste zu wandern.

Die Begebenheit, wie er einsam die Herden bewacht, hat der erste Meister übersprungen, sie wurde deshalb später an dem Gurtbogen des Tympanon angebracht. Da ihm ein Engel die Geburt eines Kindes verkündigt, kehrt er eilends zurück und begegnet an der Goldenen Pforte seiner Gattin Anna. Diese bedeutungsvolle Szene hat der Meister in den Mittelpunkt gerückt. Beide Gatten danken zuerst dem Herrn für die wunderbare Fügung der Dinge; dann erst begrüßt Joachim die hl. Anna, aber seltsamerweise nicht durch Umarmung oder eine andere Zärtlichkeit; er fällt ihr zu Füßen, und Anna neigt sich zu ihm herab. Ein Engel, dessen Arm abgebrochen ist, scheint sie einander nähern zu wollen. Diese Art der Begegnung ist wohl ein ikonographisches Unikum.

Die Geburt Marias hat der Künstler übersprungen, er geht sofort zu ihrer Vermählung über, der auch Anna und Joachim beiwohnen. Rechts steht ein Ziboriumaltar, von welchem eine Ampel herabhängt; auf dem Altar ruhen die Stäbe der Jünglinge, die sich um Marias Hand beworben haben; nur ein Stab hat gegrünt, und einer der Jünglinge überzeugt sich durch Betasten von der Wirklichkeit des Wunders. Es ist der Stab Josephs, der links zu Pf erde herankommt, eine ikonographische Seltenheit. Auch Anna ist hinzugetreten; nicht um das Geschehnis zu beobachten, sondern um ihren künftigen Schwiegersohn zu begrüßen. Die Vermählung nimmt der Hohepriester vor, der Joseph und Maria bei der Hand faßt, ersterer schon bei Jahren, letztere noch eine zarte Jungfrau, die schüchtern und schamhaft mit geneigtem Haupt den feierlichen Akt geschehen läßt, an dem ihre Eltern den innigsten Anteil nehmen. Joachim hält die Hand seiner Tochter fest, als könnte er sich von ihr nicht trennen. Mutter Anna, die mit der Rechten das Gewand etwas emporhebt, als wäre sie eilig herangekommen, blickt voll zärtlicher Teilnahme auf ihr Kind, das sie nunmehr einem Mann anvertrauen soll; eine fein empfundene Szene. Man sieht aus diesen Angaben, wie sehr man berechtigt war, das Portal von Notre-Dame nach der hl. Anna zu benennen, deren Lebensschicksal mit seltener Liebe und mit psychologischer Feinheit dargestellt sind.

Auch in Chartres hatten die apokryphen Berichte über die Mutter des Heilandes im 12. Jh. über die Bedenken Bischofs Fulbert längst gesiegt, und Künstler konnten sie an der mit sechstausend Figuren geschmückten Kathedrale unbedenklich anbringen. Von diesen zahlreichen Figuren erzählen allein mehr als 200 die Geschichte des Heilandes, anfangend mit dem Leben seiner Mutter und deren Eltern, das in neun Szenen am Hauptportal vorgeführt wird.

1. Zurückweisung Joachims und Annas, von denen ersterer ein Lamm, letztere zwei Tauben als Opfer anbietet.

2. Beide begeben sich voll Scham über diese Abweisung von dannen.

3. Joachim, der mitten zwischen seinen Schafen sitzt, empfängt den Besuch und die Botschaft des Engels, ebenso die hl. Anna, die soeben auf einem Betschemel gekniet hat.

4. Begegnung an der Goldenen Pforte, eine Darstellung, die sich in der Kathedrale nicht weniger als viermal findet, ein Zeichen für ihre Beliebtheit.

5. Geburt Marias, die in einem Gefäß gebadet wird.

6. Joachim und Anna sitzen auf einer Bank und überlegen; sie fassen den Entschluß, Maria im Tempel Gott zum Opfer zu bringen.

7. Sie begeben sich mit der dreijährigen Maria zum Tempel, ein mit Gaben beladener Esel folgt ihnen.

8. Maria steigt die beiden Stufen des Tempels hinan, die Eltern bleiben unten zurück.

9. Joachim und Anna kehren heim und loben Gott.

Einen neuen Impuls empfing die Verehrung Anna in Chartres durch den Erwerb ihres Hauptes. Eine Folge davon war es wohl, daß man ihre Statue an dem Pfeiler des Nordportals anbrachte. Es ist eine großartige, würdevolle Erscheinung diese Mutter Anna, die an Maria Antiqua in Rom erinnert. Wir dürfen hier sofort hinzufügen, daß diese wachsende Verehrung unserer Heiligen sich auch in einem wunderbaren Glasgemälde der Kathedrale widerspiegelt, obgleich es wohl aus etwas späterer Zeit stammt. Es zeigt uns die Mutter Anna wie am Portal. Aufrecht steht sie da als kräftige und prächtige Frau mit einer Lilie in der Hand in lang herabwallender Kleidung, die ihre Füße umspielt, wo man auch ihren Namen liest. Das Kind auf ihren Armen, dem es allerdings an kindlichem Aussehen gebricht, wird gleichfalls von dem Mantel verhüllt. Wie wenn es ein Heiligtum wäre, trägt die Mutter es mit verhüllten Händen. Maria hält in beiden Händen ein Buch. - Auch der künstlerischen Darstellung Annas gaben hier also die Zeit der Kreuzzüge und der Erwerb neuer Reliquien neue Anregungen.

Spanien besitzt eine gut erhaltene Skulptur der hl. Anna mit Maria in dem kleinen Ort Santillana de Mar, unweit Bilbaos, die früher schon erwähnt wurde, eine prächtige Arbeit, die man für eine Madonna mit Kind halten könnte, wäre des letzteren weibliches Geschlecht nicht stark betont worden. Am Ende unserer Periode steht dann in Spanien die gleichfalls gut erhaltene Anna selbdritt zu Silos, von einem Meister, der dem Kinde eine imponierende Größe gibt, Anna aber noch stärker hervorhebt.

In Deutschland besitzt der Ort Saerbeck im Münsterland (Westfalen) eine plastische Holzfigur der hl. Anna mit Maria, die wohl die älteste ihrer Art sein und um 1250 entstanden sein dürfte. Auffällig ist die Gestalt des Kindes, das in der weit ausgestreckten Hand ein Buch hält. Nicht viel jünger ist eine Anna selbdritt im Nationalmuseum zu München, von der später die Rede sein wird. Wo solche Bildwerke entstanden, herrschte selbstverständlich auch schon eine Verehrung der Heiligen.

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6. Kap.
Die Verehrung der hl. Anna am Ende des Mittelalters

Waren es bisher nur einzelne und verhältnismäßig wenige Spuren der Anna- verehrung, welche wir bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts nachweisen konnten, so ändert sich das Bild wesentlich seit der Mitte des 13. und besonders seit Beginn des 14. Jahrhunderts. Ein Zeichen der wachsenden Verehrung der hl. Anna sind zunächst die vielen Kirchen, Kapellen und Klöster, welche nach ihr benannt wurden bzw. welche sie zur Patronin erwählten, und die Altäre, die zu ihrer Ehre errichtet wurden. Ihr Patrozinium wurde natürlich in Kirche und Kloster durch ein Fest gefeiert, an welchem auch die umwohnenden Gläubigen teilnahmen.

Gern wählten die Frauenklöster Sankt Anna zu ihrer Patronin. So gründeten Zisterzienserinnen vor 1230 das Kloster Langendorf, Diözese Naumburg, und nicht viel später Annenrode (Anrode) bei Mühlhausen in Thüringen; von letzterem ging wieder vor 1276 die Niederlassung Witzenhausen aus. Zisterzienserinnen waren es ebenso, welche um 1253/58 das Kloster St. Maria und St. Anna zu Vlotho (Hannover) ins Leben riefen. Das zu Brankenberg, Diözese Bremen, von Meinhard von Bederkesa gestiftete Kloster der Dominikanerinnen hatte zu Patronen Anna, Maria und Johannes Bapt., Braunschweig besaß einen 1326 errichteten Annakonvent der Beghinen, desgleichen Helmstedt, Diözese Halberstadt, wenigstens seit 1436.

1322 wurde das Kloster Annenborn in Mellrich/ Westfalen, gegründet, ein Name, der uns dort schon 1308 begegnet, woraus man schließen darf, daß sich dort bereits vorher eine der hl. Anna geweihte Kapelle befand. Die Gründung des Annaklosters Rosengarten zu Lippstadt in Westfalen fällt in die Jahre 1431/35. In Hildesheim gründete Bischof Otto II. 1321 eine Annakapelle „in ambitu ecclesiae"; in Braunschweig 1326 Ritter Ludolf von Veltheim einen Annakonvent zur Aufnahme alter Leute.

In der Nähe von Weingarten, das 1182 eine Annareliquie erhielt, liegt Amtzell, dessen alter Name Anncelle oder Annencelle wohl auch mit der hl. Anna in Verbindung steht; jedenfalls hat Amtzell eine Anna-Kaplanei, die uns in einem Subsidienregister aus dem Ende des 15. Jahrhunderts begegnet! Das Annakloster Tännikon, Diözese Konstanz, wurde 1249 gegründet. In Wolfhagen, Diözese Mainz, wurde 1408 durch Johann, Pfarrer in Schätzelberg, ein Kollegiat der hl. Anna gegründet; das 1437 zu Hirzenhain, Diözese Mainz, gegründete Kloster der Augustinerchorherren hatte zu Patronen Maria, Anna und Antonius.


Die Zahl solcher Gründungen ließe sich leicht vermehren. Die erwähnten dürften genügen. Wir wollen allerdings nicht verschweigen, daß einzelne Kirchen und Klöster später ihren Patron wechselten, besonders war dieses in der Zeit der Hochblüte der Annaverehrung der Fall, wie wir noch sehen werden. So z. B. das Kloster der Zisterzienserinnen Heiligkreuztal, als deren Patron Anna angegeben wird; denn 1256 wurde die in der Hauptsache noch erhaltene Klosterkirche zu Ehren der hl. Jungfrau Maria und des hl. Kreuzes, daher der Name Heiligkreuztal, geweiht.

Wie Kirchen und Klöster, so wurden der hl. Anna in unserer Periode auch zahlreiche Altäre und Kapellen geweiht. Aachen besaß im 13. Jh. eine Annakapelle, die sich an die karolingische Palastkapelle anlehnte und die 1302 einen eigenen Rektor in der Person des Heinrich Palme hatte. Münster in Westfalen erhielt 1377 unter Bischof Florenz von Wevelinghofen eine Annakapelle, die man an den Dom anbaute, bald darauf wurde auch das Annafest eingeführt. In Alme bei Paderborn finden wir im Jahre 1425 eine Vikarie der hl. Anna. Die berühmte Marienkirche zu Lübeck hatte bereits 1406 eine Annakapelle, die in diesem Jahr einen den hl. Bartholomäus, Katharina, Dorothea und der Mutter Anna geweihten Altar erhielt; bei der dortigen Petrikirche wird 1452 eine Annakapelle erwähnt, deren Erbauung schon früher erfolgte. Die Augustinerkirche zu Stargard i.P. besaß einen Altar zur Verkündigung Mariä und der hl. Anna, errichtet im 15. Jh. von Graf Simon von Guntersburg.1311 stiftete der Stadtrat von Braunschweig einen Annaaltar in der St. Martinikirch.In Erfurt wurde bei der Weihe einer Kapelle 1304 u. a. eine Reliquie der hl. Anna in den Altar gelegt.

Mainz besaß in der St. Stephanskirche 1277 einen Annaaltar. Und im Anfang des 14. Jahrhunderts wurde das Annafest daselbst bereits allgemein gefeiert, denn von dem Stiftsscholaster Jakob von Liebfrau heißt es einfach: er starb 1323 am St. Annafest. Von Mainz verbreitete sich die Annaverehrung in der weiteren Umgehung. 1299 vermachte Ritter Dirolf und seine Gemahlin Agnes, welcher schon das Kloster Himmelskrone in Hochheim bei Worms gestiftet hatte, 1300 Malter Weizen für gute Zwecke, u. a. für die Unterhaltung von Altären in der Klosterkirche, und es werden genannt die Altäre Marias und Annas, Jakobus und Paulus usw.

Frankfurt hatte 1342 einen Altar; denn in dem Bericht über die große Überschwemmung wird gesagt, auch die Annakapelle des Deutschen Hauses sei unter Wasser gesetzt worden. Um dieselbe Zeit, 1344, wird eine Altarstiftung in Butzbach erwähnt, da Landgraf Philipp V. für einen von seiner Gemahlin gestifteten Altar einen Ablaß erbat und erhielt. Ebenso gewährte Kardinal Pileus 1380 einen Ablaß für diejenigen, welche an einem der Jungfrau Maria, Anna und anderen Heiligen gewidmeten Altar Gebete verrichten würden.


In Süddeutschland wurde um 1300 ihre liturgische Verehrung eingeführt und gegen Ende unserer Periode war er in fast allen Diözesen verbreitet, wie wir im folgenden Kapitel aus den Missalien und Brevieren nachweisen werden.


Im Dom zu Regensburg wird 1355 eine Annakapelle erwähnt, die schon eine Zeitlang existiert haben muß; gleichzeitig wird ein eigener Kaplan der Kapelle genannt, er hieß Konrad der Held. In Esslingen (Württemberg) besaß die Frauenkirche 1335 einen Annaaltar, 1341 wurde vor demselben eine Ampel und ein Ewiges Licht gestiftet; auch in der Dionysiuskirche daselbst ist 1346 ein Annaaltar nachweisbar.


Besonders in Schlesien, hat die Verehrung Annas frühzeitig Wurzel gefaßt, und zwar in auffällig starker Weise. Nicht weniger als ungefähr 50 mittelalterliche Kirchen der Diözese Breslau verehren sie als ihre Patronin. Mögen auch manche dieser Kirchen sie erst später zur Patronin erwählt haben, so spricht diese Zahl immerhin für eine so ausgedehnte Annaverehrung im Osten, daß Schlesien hinter den westlichen Provinzen nicht zurücksteht. Fast als ein Wahrzeichen dieser Verehrung erscheint das steinerne Annaselbdritt-Bild vom Jahr 1507 an der Fassade der
Adalbertkirche zu Breslau. Vielleicht übte die in Böhmen stark gepflegte Annaverehrung auf Schlesien ihren Einfluß aus. Auch der Umstand, daß die Landesfürstin, Herzogin Anna (+1284), den Namen der Mutter Marias führte, wird nicht ohne Einwirkung gewesen sein, wie wir das auch anderswo beobachten.


1360 wird in der Maria-Magdalena-Kapelle zu Breslau ein Altar zu Ehren Annas und anderer Heiligen erwähnt. Abt Johannes von Prag (1375-86) erbaute zu Breslau eine Annakapelle und erwählte sie zu seiner Begräbnisstätte. In Liegnitz hören wir 1395 von einem Spital der hl. Anna, in Glatz wurde 1432 von den Franziskanern ein Annakloster mit Kirche gegründet. Annaaltäre (teilweise mit anderen Heiligen vereint) finden sich 1436 in Ratibor, 1437 in Glogau, 1441 in Freiburg, 1442 in Breslau zu St. Elisabeth, 1447 in Zillichau. Eine Annakapelle bestand bereits 1448 auch in der Franziskanerkirche in Zittau, denn im gleichen Jahr stiftete an deren Altar Katharina Polack mit 40 Zittauischer Mark eine ewige Messe.

Böhmen besitzt heute noch Spuren einer frühen Annaverehrung in manchen Miniaturen kirchlicher Bücher. Wir erwähnen nur die Anna selbdritt in dem Liber viaticus des Johann von Neumarkt um 1360 (Prag, Böhm. Mus.) und im sogenannten Missale des Bischofs von Olmütz um 1370 (Prag, Metropolitanbibliothek).

Ungarn hat neben dem Portal seiner romanischen Kirche zu Jak eine St. Annastatue, vor der Maria als Mädchen steht; leider beide ohne Kopf, da sie 1532 von den Türken verstümmelt wurden.

In den für die Kenntnis der religiösen Heilstatsachen und Legenden so wichtigen geistlichen Schauspiele des Mittelalters, die gewöhnlich mit der Weltschöpfung beginnen, tritt Anna nicht auf, wohl aber in einem Schauspiel des 15. Jahrhunderts aus Eger. Nach den alten Propheten kommen Anna und Joachim aus ihren Wohnungen; letzterer begibt sich nach Jerusalem, um zu opfern, wird aber zurückgewiesen. Er geht jedoch nicht sofort in die Einsamkeit, sondern eilt erst nach Hause, um von Anna Abschied zu nehmen. In der Einsamkeit mahnt ihn der Engel, sich zur Goldenen Pforte zu begeben. Von dort machen sie sich beide auf den Weg nach Jerusalem, wo das Kind geboren wird, für das sie im Tempel eine Turteltaube darbringen.

Hier sei noch Tirol erwähnt, speziell die Diözese Brixen, über deren
Kirchenpatrozinien wertvolle Studien vorliegen; so erhielt Niederdorf (Südtirol)
1500 eine Annakapelle am Friedhof, ebenfalls eine Friedhof-Annakapelle St. Ulrich in Gröden schon 1425, Pill und Achornach im Pustertal eine Annakirche 1518, Schwarz in der Kirche U. L. Frau 1478 ein Altar der hl. Anna.


In der Schweiz, wo die Annaverehrung eine frühe und weite Verbreitung fand, gründete der Domdekan Johann Kamerarii (+1337) in der Krypta des Münsters zu Basel einen Altar und bereits vor dem großen Erdbeben 1356 befand sich vor dem Blasiustor der Stadt eine Annakapelle. In folgenden Orten des Kantons Graubünden wurden bis 1500 Kirchen oder Kapellen der hl. Anna errichtet: Morissen-Pfeil (zugleich mit St. Jakobus, 1345), Truns (1425), Parpan (1456), Igels (1491, Anna Mitpatronin). In der alten Diözese Lausanne erscheint sie als Patronin zu Bern (Kirche auf der Nydeck, 1346), Li Derrey (Pfarrei Charmey, 1410), Bürgeln bei Freiburg (1441), in Croy bei Romainmotier.


In Schweden war es besonders die weitgereiste hl. Brigitta (+1373), die für die Verehrung der hl. Anna tätig gewesen ist. In Rom erhielt sie in der St.-Pauls-Basilika eine Reliquie Annas und in die Heimat zurückgekehrt, arbeitete sie hier mit Erfolg für deren Verehrung. Ein Zentrum der Annaverehrung wurde das Kloster Vadstena, das sie stiftete und das auch ihre irdischen Überreste bewahrt. Benno Hindrik Korps, Bischof von Westeras, weihte 1383 zu Ehren der hl. Anna eine Kapelle an der Domkirche zu Skara ein, am Dom zu Westeras aber stiftete er eine Annapfründe mit vier Messen wöchentlich. In Linköping machten die Eheleute Andreas und Caecilia Jonason eine solche Stiftung. Bischof Nikolaus von Skara gewährte 1386 allen Gläubigen einen Ablaß von 40 Tagen, die in der Annakirche die üblichen Gebete verrichteten oder eine Gabe spendeten. Als Philippine, Gemahlin des Königs Erich, 1415 nach Vadstena kam, um die Reliquien der hl. Brigitta zu verehren, veranlaßte sie den Neubau des Kirchenchores zu Ehren der hl. Anna.


In Finnland läßt sich die Verehrung der hl. Anna auch vor Ausgang des 14. Jahrhunderts nachweisen, 1398 wird Anna als Schutzpatronin der Kirche von Hartola genannt und den Besuchern dieser Kirche am Annatag ein Ablaß gewährt. Im 15. Jh. wuchs ihre Verehrung so, daß sie alle andere weibliche Heiligen übertraf. In Abo hatte sie einen Altar sowohl im Dom wie im Olafskloster; auch wurden ihr viele Kirchen geweiht. Ebenso wurde auf ihren Namen eine Gilde getauft, und aus dem Kloster der Dominikanerinnen, dessen Gründung man damals in Finnland betrieb, sollte ein Annakloster werden.


Noch früher als in Schweden und Finnland sind wir über die Annaverehrung im Baltikum unterrichtet. Der Rat von RevaI datiert 1354 ein Schriftstück „am Tag der hl. Anna", was uns zu der Annahme berechtigt, daß das Fest schon einige Zeit im Diözesankalender stand. Dasselbe war in Riga der Fall, denn eine von 17 Erzbischöfen und Bischöfen am 15. Januar 1359 zu Avignon unterzeichnete Bulle gewährt dem Zisterzienserinnenkloster Maria Magdalena in Riga allen Gläubigen einen Ablaß von 40 Tagen, welche die Klosterkirche an bestimmten Tagen, u. a. am Annafest, besuchen.


Denselben Ablaß erhielt für den Annatag der Dom zu Riga von Papst Innozenz VI. am 17. August 1360. Am 23. Dezember 1364 genehmigte Erzbischof Trombold von Riga dem Ritter Bartholomaeus von Phisenhusen im Dom die Errichtung eines Anna-altares, den er mit acht Mark jährliche Rente dotierte. Im deutschen Ordensland Preußen war ihr die Pfarrkirche zu Rheden sogar schon 1285 geweiht, die Kapelle zu Lobau 1326, im Hochschloß zu Marienburg 1394, im ganzen bis 1525 nicht weniger als 18 Kirchen bzw. Kapellen. Dies hängt wohl mit der Verehrung zusammen, die der Deutsche Orden seiner Schutzpatronin, der Tochter Annas, entgegenbrachte. Wilna besitzt eine 1392 von Anna, Gemahlin des Großfürsten Witold von Litauen, gegründete Annakirche, der man um 1500 eine vielbewunderte Schauseite der spätesten deutschen Gotik gegeben hat, die Napoleon am liebsten nach Paris versetzt hätte.


Die Verehrung der hl. Anna blieb nicht auf das Festland beschränkt.


Auch England und Irland brachten ihr Beweise der Verehrung dar. Hugo, Bischof von Lincoln(1200) hat nach Maria stets besonders ihre Mutter Anna verehrt und in jeder Not und Gefahr schnelle Hilfe von ihr erfahren. Siehe 4.Kap.

Doch war ihre Verehrung nicht etwa auf einzelne Personen beschränkt, sie hatte im ganzen Volk Wurzel gefaßt, was für die liturgische Verehrung der Heiligen später von Bedeutung werden sollte. Von der Verbreitung dieser Verehrung zeugen noch heute eine Anzahl Hymnen und Gebete, und namentlich die zahlreichen Bruderschaften und Stiftungen, Kirchen und Altäre, die ihr geweiht wurden. So wurde in der Kathedrale um 1330 der Altar der hl. Guthlac der hl. Anna geweiht und wenigstens seit 1362 ihr Fest feierlich begangen.

Hiermit beenden wir unseren Rundgang durch die Länder diesseits der Alpen. Er hat uns deutlich gezeigt, wie grundlos die Behauptung ist, die Annaverehrung habe erst gegen Ausgang des Mittelalters seinen Anfang genommen. Eine Heilige, der so viele Kirchen und Klöster geweiht, deren Fest öffentlich gefeiert und deren Reliquien sehr geschätzt wurden, stand gewiß bei den Gläubigen hoch in Ehren. Ihre Verehrung konnte zwar eine Steigerung erfahren, wie es später tatsächlich der Fall war, aber neue Länder hat er kaum erreicht außer die neue Welt - Amerika.

Wenden wir uns wieder nach Italien, wo wir den ersten Spuren der Annaverehrung im Abendland begegnet sind, so machen wir hier die gleiche Beobachtung. Dieses Land stand besonders in dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts unter dem Zeichen der Kreuzzüge. 1204 plünderten die Venetianer auf dem sog. vierten Kreuzzuge Konstantinopel und brachten von dort ungeheure Schätze heim. Kaiser Friedrich II. trat 1228 von Süditalien aus jene Fahrt an, der Jerusalem mit seiner Umgebung kurze Zeit wieder in den Besitz der Christen brachte. In diese Zeit fallen auch einige Tatsachen, die einen neuen Aufschwung der Annaverehrung bezeugen.

Pisa, das uns in der Geschichte der Annaverehrung wiederholt begegnet, erhielt schon vor 1086 in der Nähe der Stadt ein Benediktinerkloster mit einer der hl. Anna geweihten Kirche und 1228 eine zweite ihr gewidmete Kirche innerhalb der Stadt.

In Treviso verfügte Perolino von Constantini, Doktor der Rechte, 1320 testamentarisch, daß seine Erben in der St. Michaelskirche zu Ehren der hl. Anna einen neuen Altar errichteten, ihn mit den notwendigen Paramenten ausstatteten und eine Lampe unterhielten. In Florenz wurde um 1350 bei der Dominikanerkirche S. Maria Novella eine Annakapelle erbaut. In Faenza gründeten die Benediktiner eine Abtei und weihten sie der hl. Anna. 1235 baute Bischof Thomas von Ancona in der Kirche des hl. Cyriacus „der glorreichen hl. Anna eine Kapelle, damit sie ihm einen Platz im Himmel bereite, wie eine 1893 aufgefundene Inschrift sagt.

Sizilien empfing nach einer Lokaltradition 1242 einen Teil des Hauptes der hl. Anna, der zuerst nach Gerace und später nach Castelbuono hei Cefalu übertragen wurde. Schon 1176 entstand in Messina ein Annakloster, das von Basilianerinnen bewohnt wurde. Die Kirche Martorano (S. Maria dell'Ammiraglio), deren Bau 1113 begonnen und 1143 vollendet war, besitzt ein Annabild, eine vornehme und majestätische Halbfigur von edler Größe in Mosaikarbeit. 1224 verfügt Papst Honorius über die Kirche Sancta Anna de Camara.. Wenn auf Sizilien die Annaverehrung sehr früh zur Blüte gelangte, war das zweifellos eine Folge der engen Verbindung, welche die Insel von jeher mit dem Orient unterhielte. In Rom errichtete man 1378 an der Peterskirche eine Erzbruderschaft der hl. Anna, woraus man mit Recht schließen kann, daß die Verehrung der Heiligen damals bereits eine größere Verbreitung gefunden hatte. Die Bruderschaft hatte bei St. Peter eine eigene Kapelle. Doch darf man zum Beweis dieser weiten Verbreitung nicht die alte Kirche S. Anna dei Funari oder dei Falegnani heranziehen; denn ursprünglich hieß diese Kirche S. Maria in Julia und erhielt erst im Anfang des 16. Jahrhunderts den Namen Annakirche.

In Spanien endlich, das heute noch Tausende von monumentalen Zeugnissen eines früher sehr blühende Annaverehrung besitzt, begegnet uns das älteste Zeugnis der Annaverehrung in einem Dekret des Königs Jaime vom Jahr 1239, das ein Annakloster in Valencia erwähnt. Wenigstens seit 1514 gibt es dort einen Platz der hl. Anna und noch heute sind nach ihr zwei Plätze benannt, was alles auf eine alte Verehrung hindeutet. Desgleichen bestand in der Kathedrale schon 1305 eine der hl. Anna geweihte Kapelle, ebenso zwei Benefizien. Kurz nach 1250 machte König Alfons X. der Weise von Kastilien (1253-84) das Gelübde, er wolle zu Ehren der Mutter der allerseligsten Jungfrau Maria eine Kirche hauen, wenn er von einem schweren Augenleiden geheilt wurde. Als die Heilung erfolgte, erbaute er in Triana, der Vorstadt von Sevilla, im Mudejar-Stil die prächtige St.-Anna-Kirche. Andalusien hat sich seitdem wie das Baskenland als eine treue Verehrerin der hl. Anna bewährt und offenbar bestand dort schon vorher eine Verehrung der hl. Anna.

Ihr Fest wurde in Sevilla, wie ein Missale zeigt, mit eigener Messe gefeiert. Eine besondere Stätte der Annaverehrung scheint die Schloßkirche des Königs auf Mallorca gewesen zu sein, deren spätromanisches Portal noch heute ein Bild unserer Heiligen ziert; sie wird als solche 1307 in einem Dekret des Papstes Klemens V. erwähnt. Kurze Zeit darauf verordnete der König, daß am Fest der Geburt des Herrn, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Fronleichnam, St. Anna usw. beim Gottesdienst sechs Chormäntel gebraucht und in der königlichen Kapelle gepredigt werden soll. Man beachte, wie das Annafest in gleicher Reihe mit den höchsten Festen des Kirchenjahres genannt wird. Diese Bestimmung wurde von den Herrschern 1347 gegeben. Das Bild aus der Diözese Vich, also aus dem nordöstlichen Spanien, zeigt gewiß auch die Verehrung der hl. Anna. Die Kathedrale von Las Palmas auf den Kanarischen Inseln, 1497 unter Didakus Alonso begonnen, ist der hl. Anna geweiht; der vornehmste Platz der Stadt nach ihr benannt. Zu Coimbra in Portugal gründete Anna Alfonso 1367 eine Kapelle und ein Hospiz der hl. Anna.


Als Zeichen der wachsenden Annaverehrung darf es gewiß auch angesehen werden, daß seit dem 12. Jh. der Name Anna häufig als Taufname auftritt, während er vorher im Abendland nur selten vorkommt. Namentlich gilt dies, wenn dieser Taufname sich bei den Töchtern fürstlicher und königlicher Häuser findet, die später als Landesmütter auf die Namenswahl der Landeskinder indirekt einen großen Einfluß ausübten. In den Herrscherfamilien von Ungarn, Österreich, Böhmen und Bayern sowie in Nonnenklöster begegnen uns seit den Kreuzzügen zahlreiche Trägerinnen des Namens Anna. Das läßt uns darauf schließen, daß es auch bei den Töchtern des einfachen Volkes vielfach der Fall war. Wir nennen Anna von Zähringen, Gemahlin Ulrichs von Kiburg (um 1218), Anna, Tochter des 1263 verstorbenen Grafen Hartmann von Kiburg, Anna von Rapperswyl (1230), Gründerin des Klosters Wettingen, Anna, Herzogin von Breslau, Anna, Herzogin von Bayern (+1271), Anna, Tochter Albrechts I. von Österreich, Gemahlin des Markgrafen Hermann von Brandenburg und später des Herzogs Heinrich von Breslau (+1326), Anna von Hohenburg, erste Gemahlin Rudolfs von Habsburg (+1281), Anna, Tochter Belas IV. von Ungarn (12. Jh.), Anna, Herzogin von Ungarn, Gemahlin Konrads von Österreich, Anna, Tochter des Königs Wenzel II. von Böhmen (+1305), vermählt mit Heinrich von Kärnthen, Anna, Schwester Wenzels von Böhmen, 1381 vermählt mit Richard II. von England, Anna, Tochter des Fürsten Gedemin von Litauen (+1339), Anna, Gattin Ottos von Österreich, Tochter des Königs Johann von Böhmen, geb. 1322. Die zweite und dritte Gemahlin Kaiser Karls IV. von Böhmen et 1378); Anna, Gemahlin König Wladislaus von Ungarn. In der königlichen Familie der Piasten von Polen kommt der Name seit 1253 bis zu ihrem Aussterben (1370) 17 mal vor.


Nonnen mit dem Namen Anna begegnen uns sehr oft, z. B. Anna im Kloster Odilienberg im Elsaß, welche die gelehrte Äbtissin Herrad von Landsberg (1167-95) in ihrem berühmten, 1870 zu Straßburg verbrannten „Lustgarten (Hortus deliciarum) mit den übrigen Schwestern abgebildet hat, Anna Gräfin von Fürstenberg, Priorin von Neidingen (+1391), Anna, Äbtissin des Klarenklosters zu Breslau (1330).

Im Nekrolog von Günterstal (Freiburg i.Br.) aus dem 14. Jh. ist Anna nicht weniger als 78 mal vertreten, was auf die Beliebtheit dieses Namens ein helles Licht wirft.

Auch die Gewohnheit, die Glocken auf den Namen eines oder mehrerer Heiligen zu weihen, verschafft uns neues, bisher noch nicht beachtetes Material, um die Ausdehnung der Annaverehrung genauer kennen zu lernen. Eine Glocke zu Meirup in Dänemark von 1364 trägt u. a. den Namen Anne. In Deutschland besitzt die älteste bekannte Annaglocke Erbach im Rheingau mit der Inschrift: Anno mccc LXXVII festo S. Aegidij fundata P.O.Z. [pio omnium zelo] Anna Mater Mariae per manus Joannis de Francfort" (Im Jahr 1377 am Fest des hl. Ägidius wurde Anna, Mutter Marias, mit frommer, allgemeiner Unterstützung gegossen von Johannes von Frankfurt.)


Zahlreich sind die Glocken, welche auf den Namen unserer Heiligen im 15. Jh. „getauft" wurden; und ihre Zahl wird um so größer, je mehr wir uns dem Ende des Mittelalters nahen. Hier haben wir uns bis auf das Jahr 1450 zu beschränken. Die Bürgerglocke der Ägidienkirche zu Lübeck vom Jahre 1412 (1905 eingeschmolzen) trug auf dem Glockenfeld den Namen Anna und neben den Evangelistennamen die Inschrift: sonte anna sulf derde [St. Anna selbdritt] und am Unterrand die beiden ersten Strophen des Hymnus Anna stellam matutinam. Zeigerheim (Thüringen) besitzt eine Glocke aus dem Jahre 1429 mit der Inschrift: helf sancta Anna selbdritte. 1429. Eine Glocke zu Allrath (Rheinprovinz) aus demselben Jahr trägt die Inschrift: Anna heißen ich, meit Gott luden ich, Meister Henrich gois mich 1429. Eine verschwundene Glocke zu Dottendorf bei Bonn trug neben den Namen der vier Evangelisten an erster Stelle den der hl. Anna. Westfalen hat eine Annaglocke von 1441 zu Elsoff bei Arnsberg.


Zur Verehrung Annas gehören zweifellos auch die Bruderschaften, welche ihren Namen trugen und sich zu ihrer Verehrung bildeten. Sie haben wohl schon im 13. Jh. ihren Anfang genommen. Die älteste sichere Nachricht, die ich anzuführen vermag, stammt allerdings erst aus dem 14. Jh., und zwar aus der Hansestadt Bremen, wo sie unter dem Erzbischof Burchard Grelle bei der Liebfrauenkirche gegründet wurde. Am 24. Juli 1328 bezeugen die Grafen Johann und Christian von Delmenhorst, daß die Brüder Erpo und Johann von Elmelo dem Domvikar Selandus und der Annabruderschaft in Bremen Land verkauft haben. Sie wurde im Lauf der Zeit die angesehenste Bruderschaft Bremens und umfaßte Erzbischöfe, Kanoniker, Priester, Ritter; ihre Zahl war von Anfang an auf vierzig festgesetzt. Sie hatte vornehmlich einen religiösen Charakter, da man für die Verstorbenen alljährlich Gottesdienste abhielt, an die sich ein Gastmahl anschloß, dessen Reste an die Armen verteilt wurden.


Zu Beginn des 15. Jahrhunderts mehren sich die Nachrichten über Gründung der Annabruderschaften. 1418 wurde sie zu Hamm in Westfalen errichtet durch den Kölner Weihbischof Konrad. 1428 wird sie bei den Dominikanern in Mainz erwähnt. In Ermland wurde sie bald nach der unglücklichen Schlacht von Tannenberg (1410) in Marienburg eingeführt und vom Bischof Johann von Pomesanien (1409-17) bestätigt und fand dann später in der Diözese eine große Verbreitung.


Von ausländischen Bruderschaften seien hier zunächst die zu Gent und zu Rom erwähnt. Ersterer gehörten viele berühmte Männer und Frauen an, so Philipp der Kühne und Margarethe von Flandern (1384), Philipp der Gute, Herzog von Burgund, Karl der Kühne und seine Gemahlin Katharina und später Philipp II. von Spanien, Margaretha von Parma, Königin Maria von England. Angeblich wurde sie 1101 gestiftet, als Balduin von Flandern eine von Gottfried von Bouillon geschenkte Reliquie Annas nach Gent sandte.


Die Erzbruderschaft zu Rom, deren Mitglieder anfangs aus Kutschern und Stallknechten des Papstes bestand, wurde 1378 unter Papst Urban VI. gegründet zu dem doppelten Zweck, den Verstorbenen durch Gebet und den lebenden Mitgliedern durch Unterstützung zu Hilfe zu kommen. Sie hielten ihre Versammlungen in der Annakapelle der Peterskirche ab. Später zählte sie hohe Prälaten zu ihren Mitgliedern und genoß zahlreiche Privilegien.

England besaß Annabruderschaften (vor der Reformation)u. a. in Lincoln, Wigford und Knowle hei Birmingham, letztere wurde 1398 von Papst Bonifatius IX. bestätigt; Irland hatte u. a. eine Bruderschaft in Dublin, bestätigt 1430 von König Heinrich VI.

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7. Kap.
Die hl. Anna in zyklischen Darstellungen des Mittelalters

Die weitverbreitete Verehrung Annas außerhalb Italiens und Frankreichs läßt vermuten, daß sie außerhalb dieser Länder auch künstlerisch frühzeitig verherrlicht worden ist. Diese Annahme wird durch zahlreiche Monumente der Plastik und Malerei bestätigt. Namentlich ist es die Miniaturmalerei, welche unsere Heilige sehr häufig dargestellt hat. Es handelt sich dabei hauptsächlich um deutsche Kunstwerke. Es sind allerdings weniger Darstellungen, welche die Heilige um ihrer selbst willen wiedergeben, als vielmehr Szenen aus ihrem Leben als Einleitung zum Leben ihrer Tochter oder auch ihres Enkels Christi. Das gilt gleich von den beiden bedeutenden Zyklen, die wir an den Anfang dieses Kapitels setzen. Es empfiehlt sich, die Darstellungen als Zyklen zu behandeln und sie nicht in die einzelnen Begebenheiten aus dem Leben Annas aufzulösen bzw. sie darin einzureihen.

An erster Stelle verdient hier erwähnt zu werden das schon besprochene Marienleben des Priesters Wernher von 1172 bzw. die Handschrift in Berlin. Es ist eine Pergament-handschrift mit 97 Blättern, kleinquart, aus der Zeit um 1200. Sie ist mit 85 Bildern geschmückt, die etwa je die halbe Seite einnehmen. Es sind Federzeichnungen in schwarzer und roter Farbe auf farbigem Grund. Gold ist bei den Heiligenscheinen, Kronen und Säumen verwendet, Silber bei den Waffen. Bei den menschlichen Figuren vermißt man noch die Kenntnis der Verhältnisse und das Ebenmaß, doch versteht es der Maler, seine Absichten überall klar zum Ausdruck zu bringen, die Gebärden sind ihm gut gelungen.

Die Teile des Gedichtes, die uns zunächst interessieren, sind mit einer Vollständigkeit illustriert, die an den Bilderreichtum der Markussäulen im Dom zu Venedig oder an griechische Miniaturen erinnern. Dem Text über das Leben Annas und Joachims fügte der Maler nicht weniger als dreizehn Miniaturen bei, von denen die erste die große Freigebigkeit Joachims zeigt, der seine Habe in drei gleiche Teile teilte und nur einen davon für sich behielt. Anna tritt uns zuerst entgegen, wie Joachim, „als er nun zwanzig Jahre alt war und kaum am Kinn das erste Haar ihm sproßte, sie sich zur Braut und Frau erkor. Beide stellen sich dem Hohenpriester vor, der ihre Hände zum hl. Ehebund zusammenlegt. Es ist eine hohe, schlanke Gestalt, dieser Priester, wie der Maler sie auch sonst liebt. Joachim überragt seine Frau fast um Kopfeslänge...

Die zweite Miniatur zeigt Anna einsam in ihrem Garten voll Trauer über ihre Unfruchtbarkeit und die Abwesenheit ihres Mannes. Doch bereits hat sich der Künder der Freude genaht, der Engel Gottes steht neben ihr und bringt ihr die frohe Botschaft, daß sie eines Mägdleins genesen soll, das zu hohen Dingen auserkoren ist. Die eine Hand an die Wange, die andere auf die Brust haltend sitzt Anna auf dem Boden ihres Gartens; vielleicht ist nicht ohne Grund hinter ihr eine grüne Rankenverschlingung mit Blättern angebracht, die wie eine Initiale erscheint. Gut hat der Maler ihre Trauer und ihren anfänglichen Zweifel an dieser Meldung zum Ausdruck gebracht. Prächtig ist auch der Engel, dessen kräftige Gestalt den Raum glücklich ausfüllt.

Mit ihrer Magd im Wortstreit sehen wir Anna auf der folgenden Miniatur. Sie ruht nach langem Fasten auf dem Bett und ruft nach einer der Mägde. „Jedoch bei der sich der Trotz regte, so daß sie mehrfach rufen mußte, eh sie sich bequemen mußte, zu ihr zu kommen endlich dar." Da sprach die Tochter Isachar, Anna, die Reine, unmutsvoll: „Sag, was ich davon denken soll." „Die Magd brummt mürrisch vor sich hin in störrisch ungezogenem Sinn." Beide, Anna und die Magd, halten in der Hand große Schriftbänder, die zur Belebung der Fläche nicht wenig beitragen.

Indem wir die Miniaturen übergehen, die uns Joachim in der Einsamkeit vorführen, bilden wir hier die Begegnung des frommen Ehepaares an der „Goldenen Pforte" ab, wohin Anna in Begleitung mehrerer Frauen ihrem Manne entgegengeeilt war. Hoch zu Roß kommt Joachim in Begleitung heran; anders kann der deutsche Maler jener Tage sich den reichen Joachim nicht vorstellen. Frau Anna lief entgegen ihm und um den Hals sie ihn umfing / und Hand in Hand sie mit ihm ging. / Es küßte ihn die Reine, Gute mit heiterem Blick und frohem Mute / empfing sie ihn so freudenvoll / wie Lieb ihr Herzlieb grüßen soll / ganz ohne sündiges Begehren weil sie nur strebte Gott zu ehren / den wahren Schirmherrn aller Frommen. Die Miniatur ist deshalb beachtenswert, weil es eine ähnliche Auffassung dieser häufig dargestellten Szene nicht gibt. Hier wie auch auf anderen Miniaturen sprengt der Maler den Rahmen und läßt unten die Gewänder der Frauen über ihn hinausfallen,
während oben das Spruchband weit empor flattert.

Prächtig ist auch die folgende Miniatur, die Geburt Mariäs. Noch erschöpft von den Schmerzen des Vorganges, liegt Anna mit abgewandtem Antlitz auf dem Himmelbett, dessen Kopfkissen mit Blattmustern verziert ist. Eine Wärterin hält mit beiden Händen das Wickelkind aufrecht vor sich hin und betrachtet es mit aufmerksamem Blick. Mehr als auf einer anderen Miniatur bot sich hier dem Maler Gelegenheit, seiner Neigung zu gebrochenen Linien, wie sie uns aus der „Thüringischen Malerschule" bekannt sind, bei dem Vorhang und dem Bett nachzugeben.

„Als nun verging das dritte Jahr, seitdem das Kind geboren war, da dachten sie dem Herrn zu weihen als Opfer dies ihr Töchterlein zum Dienst in dem Haus des Herrn. Maria folgte ihnen gern und ging mit züchtig ernstem Schritte mit ihnen durch der Leute Mitte. Sie sah sich dabei niemals um, ja selbst zur Mutter blieb sie stumm und unterließ es bei dem Gehen, zum Vater grüßend aufzusehen, wie sie's sich auch nicht unterwand, nach einem, der bekannt ihr sei, sich forschend umzuschauen. So schritt sie denn vor allen Frauen willfährig zu des Tempels Veste.”

Dieser anmutigen Schilderung entspricht die ihr beigegebene Miniatur. Schon ist Maria im Tempel angelangt, sie ist vor dem Altar niedergekniet und weiht sich mit erhobenen Händen dem Allerhöchsten. Hinter ihr die Mutter mit einer Kerze, wie auch die Begleiterin eine solche trägt, die aber außerhalb des Bildrahmens sichtbar wird. Es war ein bedeutender Meister, der diese zarten Miniaturen schuf, von deren Feinheit unsere farblosen Abbildungen nur eine schwache Vorstellung vermitteln.

An diesen Zyklus reihen sich sofort einige Miniaturen aus dem „Heilsspiegel", den nach den neuesten Forschungen der zuerst dem Dominikanerorden angehörende Kartäuser Ludolph von Sachsen schrieb. Es ist eine Darstellung der Heilsgeschichte vom Beginn der Welt und schließt mit deren Ende. Der Text ist durch Bilder erläutert, und zwar so, daß von je vier Miniaturen je zwei am Kopf zweier sich gegenüber befindlichen Seiten stehen. Von diesen vier Bildern illustriert in Wirklichkeit nur eines das geschichtliche Ereignis, die drei anderen sind Vorbilder. Für uns kommen hier außer der Verkündigung an Anna noch die Geburt Marias, ihr Tempelgang und ihre Vermählung in Betracht.

Bei der Verkündigung hat Ludolph von Sachsen drei Vorbilder aufgestellt, die der Maler durch Bilder veranschaulicht hat. König Astyages sieht im Traum, wie seine Tochter Mutter eines Knäbleins wird. Dieser Sohn ist Kyrus, der das Volk Israel von der Gefangenschaft freimachen sollte. Diese Deutung wird gegeben nach Petrus Comester. In manchen Handschriften heißt es etwas züchtiger, daß Astyages aus dem Schoß seiner Tochter einen Weinstock hervorgebracht sieht. Das zweite Vorbild ist der verschlossene Garten und die versiegelte Quelle, Bilder aus dem Hohenlied, die seit langem mit Vorliebe auf Maria angewandt wurden. Das dritte Vorbild ist Balaam, der die Geburt Marias durch den Stern vorbildete.

Die Geburt Mariens weicht von dem sonst üblichen Typus bedeutend ab. Anna liegt auf dem Bett oder vielmehr sie sitzt darin. Hinter dem Bett steht der bärtige Joachim, beide durch den Nimbus ausgezeichnet. Gemeinsam halten sie ihr Kind, das ob seiner hohen Bestimmung bereits eine Krone auf dem Haupt trägt. Selbst das Geschlecht des nur bis zur Brust eingewickelten Kindes ist angedeutet. Daß es sich hier wirklich um die Geburt handelt, bezeugt die Überschrift: Nativitas beatae Mariae virginis. - Geburt der sel. Jungfrau Maria. Diese Szene tritt in den Handschriften mit manchen Varianten auf; so sieht man zuweilen statt des Bettes den bloßen Boden, statt des erwachsenen ein kleines Mädchen. Diese merkwürdige Darstellung der Geburt findet sich neben der Verkündigung auch in den Glasgemälden der Stephanskirche zu Mülhausen im Elsaß, und zwar mit den Vorbildern. In der Münchener Handschrift, der obige Miniatur entnommen ist, sind diese Vorbilder: Jesse, aus dessen Brust ein Baum mit sechs Zweigen hervor wächst und in dessen Krone innerhalb eines Kreises ein Vogel sitzt; ferner das verschlossene Tor und der Tempel Salomons.

Auch die Opferung Marias im Tempel unterscheidet sich von dem üblichen Schema. Anna hat das dreijährige Kind auf den Altar gestellt, neben welchem der Hohepriester mit einem Buch steht, um die Gabe entgegenzunehmen. Anna stützt das Kind mit beiden Händen, während Joachim mit einer Gabe hinter ihr Platz gefunden hat. Oberhalb der Zeichnung stehen die Worte: Maria virgo offertur domino in templo - die Jungfrau Maria wird im Tempel dargebracht.

Im 15. Jh. erfreute sich die Marienlegende in der Schweiz einer besonderen Gunst. Die Münster zu Basel, Zürich, Einsiedeln, Neuenburg und Lausanne sind ihr geweiht. Um die Mitte des Jahrhunderts entstand eine Marienlegende, die mit vielen Federzeichnungen verziert ist, die zwar keine hervorragende Kunstwerke sind, aber doch eine bedeutende Sicherheit in der Komposition verraten. Es fehlt natürlich nicht das Leben der Eltern Mariä, wir sehen die hl. Anna an der Goldenen Pforte, als Wöchnerin und beim Tempelgang, wobei sie einen Rosenkranz trägt.

Wie beim Marienleben und dem „Heilsspiegel", so war in vielen anderen Fällen die Darstellung des Lebens Mariä Anlaß, auch das Leben ihrer Eltern zu schildern. Gewöhnlich sind es vier Szenen: die Zurückweisung des Opfers durch den Hohenpriester, Verkündigung durch einen Engel, Begegnung an der Goldenen Pforte und die Geburt Marias, wozu sich manchmal noch ihre Opferung im Tempel gesellt.

Zyklisch ist diese Gruppe z. B. dargestellt worden im Kreuzgang des Doms zu Brixen, Ende des 15. Jahrhunderts. Außer dem Opfer Joachims, der Verkündigung durch den Engel und ihrer Begegnung interessiert uns besonders die Opferung Marias, da wir hier nicht weniger als sieben Vorbilder haben, und zwar ähnlich wie im Heilsspiegel, nämlich Jephtes Opfer, die schwebenden Gärten der Semiramis, die beiden Fischer, der verschlossene Garten, der versiegelte Brunnen, Balaam, Jesse.

Wie in Frankreich, so hat auch in Deutschland die Monumentalplastik das Leben Annas dargestellt; wir erwähnen nur die gotischen Darstellungen des Südportals am Dom zu Augsburg und des Marienportals am Münster zu Ulm; ferner fünf Szenen in der Münsterkrypta zu Basel, die bald nach 1356 entstanden sind.

Auch in den Glasgemälden begegnen wir der hl. Anna und ihrem Gemahl, z. B. in einem Fenster der Pfarrkirche zu Ravensburg; unten ist ihre Geschichte bis zur Geburt Marias dargestellt, dann folgt das Leben Marias bis zur Geburt Christi. Entstanden sind diese Glasmalereien um 1420. Leider sind sie in ihren Einzelheiten infolge des Alters und angesetzten Schmutzschicht so wenig zu erkennen, daß sie für die Einzelbetrachtung ausscheiden. Kurze Zeit später, um 1430, wurden die gleichen vier Ereignisse in der Sebalduskirche zu Nürnberg angefertigt.

Besonders wären hier noch die gotischen Flügelaltäre mit ihren häufig wiederkehrenden Szenen aus dem Leben der hl. Anna zu erwähnen.

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8. Kap.
Die liturgische Verehrung der hl. ANNA Im Mittelalter

So zahlreich auch die bisher angeführten Tatsachen sind, aus denen die große Verbreitung der Annaverehrung vor der Mitte des 15. Jahrhunderts zutage tritt, so würden wir davon doch ein unvollständiges Bild zeichnen, wollten wir uns auf die Verehrung beschränken, die unserer Heiligen durch die Weihe von Klöstern, Kirchen oder Altären erwuchs. Eine richtige Vorstellung ihren Verehrung gewinnen wir erst, wenn wir die liturgische Verehrung betrachten, worunter ich jene Huldigung verstehe, die einem Heiligen im Namen und im Auftrag der Kirche durch Darbringung des Meßopfers und durch das Beten des Breviers (Stundengebet) zuteil wird. Schon aus zahlreichen Mitteilungen des vorhergehenden Kapitels läßt sich diese liturgische Verehrung mit Sicherheit schließen, doch lohnt es sich, noch näher darauf einzugehen. Wir werden dabei besonders die liturgischen Bücher, das Meßbuch und das Brevier, das offizielle Gebetbuch der Priester, benutzen.

Lange Zeit hat man fast allgemein angenommen, kirchliche Verehrung sei der hl. Anna erst seit dem Ende des 14. Jahrhunderts erwiesen worden. Namentlich spielt das Jahr 1378, als Papst Urban VI. den Annatag zu einem Festtag für England erhob, in der Geschichte der Annaverehrung eine mißgedeutete Rolle. Daraus hat man geschlossen, Rom habe erst damals die öffentliche Verehrung der hl. Anna gebilligt. Dieser Schluß beruht indes auf einem Irrtum. Solange hat die „Großmutter Christi", mit deren Bildnis man bereits im 8. Jh. eine angesehene römische Kirche schmückte, die höchste kirchliche Verehrung nicht entbehren müssen. Dem Bild folgte gewiß bald das Fest. Bestimmt wissen wir dies von Neapel. Diese für die Annaverehrung sehr wichtige Tatsache bezeugt ein interessantes, 1742 aufgefundenes Marmor-kalendarium des 9. Jahrhunderts, in dem die Feste der Stadt verzeichnet sind. Unter diesen Festen findet sich auch das der hl. Anna, und zwar, was sehr beachtenswert ist dreimal im Jahr, nämlich am 25. (nicht 26.) Juli „ihre Entschlafung", am 9. September „Joachim und Anna" und am 9. Dezember „Annas Empfängnis der hl. Jungfrau Maria. Das Kalendarium wurde in der Kirche S. Giovanni maggiore (ursprünglich Praecursor D.N.J.Ch. im 6. Jh. erbaut) aufgefunden und befindet sich heute in der Kapelle des Erzbischofs. Es entstand zwischen 828 und 877, wahrscheinlich unter Bischof Johannes Scriba.

Die Veranlassung zu dieser dreifachen Festfeier können wir ohne Mühe feststellen. Im Orient beging man zu Ehren der hl. Anna eine dreifache Feier, Neapel unterhielt aber von jeher mit dem Orient eine lebhafte Verbindung, bis zum 9. Jh. wurde der Gottesdienst sogar in griechischer Sprache gefeiert. Es kann also nicht auffallen, wenn man hier die hl. Anna durch drei Feste verehrte, wie die orientalische Kirche.

Diese liturgische Feier des Annafestes blieb nicht auf Neapel beschränkt.

Eine Handschrift der Bibliothek von Cesena aus dem 11. Jh. führt dasselbe nicht nur am 25. Juli an, sondern auch am (8. und) 9. September, und ihre Empfängnis am 9. Dezember. Also auch hier ist orientalischer Einfluß wahrzunehmen. Erwähnt sei ferner, daß eine Litanei aus dem 12. Jh. aus dem Kloster S. Salvatore der regulierten Chorherren zu Bologna nach Anrufung der hl. Mönche und Einsiedler die Bitte enthält: Hl. Anna, bitte für uns; ebenso wurde sie in einer ebenso alten Litanei nach der Profession der Chorherren angerufen; desgleichen in der Karsamstagslitanei eines Missale aus einem mittelitalienischen Kloster... Es kann kein Zweifel bestehen, daß diese Verehrung in Italien bereits im 13. Jh. an verschiedenen Orten vollzogen wurde. Da haben wir aus dem genannten Jahrhundert den Liber ordinarius des Origo Scaccabaronzi, Erzpriesters von Mailand (+1292), der eine Messe zu Ehren der hl. Anna enthält mit dem Eingangsvers (Introitus): Maria tabernaculum / Anna, defende populum / Ut peccatorum scrupulum / vitemus et periculum / Esto nobis umbraculum Commissorum piaculum / De coelo habitaculum / Ad praemiorurn cumulum.

Eine wichtige Handschrift der Kapitelsbibliothek zu Verona, ein Sakramentar aus dem 12. Jh., enthält als Nachtrag aus dem 13. Jh. eine Messe zu Ehren der „S. Anna, mater Virginis". Noch häufiger finden sich natürlich solche Nachträge im 14. Jh., so in einem Missale des 13. Jahrhunderts aus der Gegend von Florenz, in Monte Cassino, aus Orvieto und Trani in Apulien. Es wurde also das Fest der hl. Anna bereits im 14. Jh. in ganz verschiedenen Gegenden Italiens gefeiert.

Deutlicher als die Missalien, deren Erhaltung von allerlei Zufällen bedingt ist, zeigen uns diese liturgische Verehrung die Verordnungen mancher religiöser Orden. Da ist an erster Stelle der Franziskanerorden zu nennen, dessen ältestes Ceremoniale vom Jahr 1254 vorschreibt, daß Sankt Anna als „Fest mit neun Lektionen" zu feiern sei, eine Vorschrift, die das Generalkapitel zu Pisa unter dem Vorsitz des hl. Bonaventura erneuerte. Mit der schnellen Verbreitung, die der junge Orden fand, wurde auch die liturgische Verehrung Annas bald in die entferntesten Länder getragen. Die Sequenz Felix Anna, iucundare wird dem Franziskanergeneral Johannes von Parma (+1289) zugeschrieben, da diesen Namen das Akrostichon nennt.

Ein wenig älter ist die Verehrung der hl. Anna womöglich bei den Karmelitern gewesen. Sie bewohnten wahrscheinlich 1229 bis 1244 die alte Abtei der Benediktinerinnen am Schafteich zu Jerusalem, von welchen sie die Verehrung der hl. Anna übernahmen, auf die sie nach ihrer Umsiedlung nach Europa natürlich nicht verzichteten und ihn hier schon seit 1238 feierten. Auch die Benediktiner haben in Subiaco, Perugia und Brescia schon im 13. Jh. und auf Monte Cassino zumindest im 14. Jh. die hI. Anna liturgisch verehrt. Die Augustinerchorherren blieben hinter den Benediktinern nicht zurück, wie ein Hymnus beweist, der uns in einer Handschrift des 12./13. Jahrhunderts aus dem Augustinerkloster St. Cheron zu Chartres erhalten blieb. Nicht viel jünger ist eine Handschrift mit dem gleichen Hymnus aus dem Augustinerkloster Sainte-Barbe zu Auge, Diözese Lisieux. Das Generalkapitel der Kamaldulenser im Jahr 1433 unter General Ambrosius (1376-1439) schrieb die Feier des Annafestes mit zwölf Lektionen für den ganzen Orden vor, dasselbe taten die Zisterzienser im Jahr 1454.

Auch einige Dominikanerbreviere aus dem 14. Jh. enthalten das Offizium der hI. Anna. Berücksichtigt man die große Verbreitung all dieser Orden, so ergibt sich die Tatsache, daß das Annafest bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts an sehr vielen Orten liturgisch gefeiert wurde, lange bevor Rom diese Feier für die ganze Kirche vorschrieb. Rom hatte lange nicht diese zentrale Rolle, wie heute, was früher mangels Kommunikations- und Verkehrnetze auch kaum machbar war.

Doch setzen wir unseren Rundgang durch die einzelnen Länder fort. In Paris machte um 1255 der Magister Peter Colonna für Notre-Dame eine Stiftung, um das Annafest, das damals schon bestand, noch festlicher zu begehen.

Fast um die gleiche Zeit hören wir von der Feier des Annafestes in der Krönungsstadt der französischen Könige, in Reims, wo es in der Kirche S. Remy „mit 9 Lektionen und 9 Kerzen" begangen wurde; ebenso beging man es in der Kathedrale. Bischof Wilhelm von Arras bewilligte 1291 auf Bitten des Magisters G. von Faronville einen Ablaß von vierzig Tagen allen Gläubigen, die am Fest der hl. Anna oder innerhalb der nächsten acht Tage die Kirche des hl. Amatus besuchen und unter den üblichen Bedingungen ein Almosen zur Anfertigung eines Reliquiars der Heiligen spenden würden. Der Tag sollte von den Gläubigen wie ein Feiertag begangen werden.

Ebenso feierte man ihr Fest zu Apt bereits im 13.Jh. Mehrere Handschriften beweisen, daß dies in Nevers und vielleicht auch in Chartres (Saint Geron) schon im 12. Jh. der Fall war. Für Nevers bezeugt es der später weitverbreitete Hymnus Clara diei gaudia. Ein Tropar von Chartres aus dem 12/13. Jh. enthält einen Hymnus, der beginnt:

1. Mater matris Domini 2a. Singularis studio 2b. Anna diu sterilis
Felix felicissimi
Joachim consocia.
Pauperum solacio
Conferens subsidia.
Apud Deum humilis
Propter virum anxia.

Seit dem 14. Jh. begegnet uns dieser liturgische Hymnus in vielen handschriftlichen und später in fast allen gedruckten französischen Meßbüchern. Ein Lektionar aus Saint-Lo zu Rouen, 13. Jh., enthält das Fest unserer Heiligen. Um dieselbe Zeit sang man im Chorherrnstift St. Victor zu Paris den Hymnus: Adsunt Annae solemnia. Ferner feierte man im 13. Jh. das Annafest zu Douai, Soissons, Toulon; im 14. Jh. in Angers, Bourges, Tours, Paris, Limoges, Clairvaux, Cambrai, Rouen, Lille, Noyon, Caen, Bayeux, Arles, Carcassone, Lyon. Man kann also im 14. Jh. von einer Verbreitung des Annafestes in fast ganz Frankreich sprechen.

Daß auch in Spanien schon im 13. Jh. die liturgische Annaverehrung an manchen Orten eingeführt war, kann nach den früheren Ausführungen keinem Zweifel unterliegen. In Sevilla, wo die Heilige wie in ganz Andalusien eine sehr starke Verehrung genossen hat, besitzt die Biblioteca Colombina ein Missale aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, in dem gegen Ende desselben Jahrhunderts das Annafest nachgetragen ist. Ein vielverbreitetes Reimoffizium der hl. Anna ist enthalten in einem Brevier der Kirche von Toledo aus dem 14. Jh. Aus dem 15. Jh. nennen wir ein zweites Missale der Biblioteca Colombina, El Cartujano genannt, ein 1450 von Gonzalo Sanches da Corboba korrigiertes und approbiertes Missale, ein Missale des Kardinals Conzales de Mendoza, ein Brevier aus Sevilla, ein Horarium im Kodex der Königin Isabella und endlich das Missale mozarabicum.

Mit besonderer Pracht wurde das Annafest auf der Insel Mallorca in der königlichen Kapelle zu Palma gefeiert; denn eine Verordnung des Königs Jakob II. von Aragonien bestimmte, daß beim Aufenthalt des Herrschers auf Mallorca das Annafest ebenso feierlich begangen werden sollte wie Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten. In dieser Verordnung ist auch die Rede von Prozessionen, die am Annafest auf Mallorca stattfinden und bei denen die Reliquien mitgetragen werden sollen, sowohl jene, die in den königlichen Kapellen, als auch jene, die in der Kapelle des Herrschers aufbewahrt werden.

Gehen wir nach Deutschland, so stoßen wir im Süden auf ihr Fest (mit neun Lektionen) in einem Brevier der Diözese Freising aus dem Ende des 13. Jahrhunderts und in einem Missale aus dem 14. Jh. Um dieselbe Zeit (13. Jh.) erscheint es in einem Kalendarium der Diözese Augsburg. In einem Brevier aus dem Stift St. Peter zu Salzburg aus dem 14. Jh. ist der 26. Juli als Festtag eingetragen, während dieses bei Mariä Heimsuchung noch nicht der Fall ist. ZuBeginn des 15. Jahrhunderts war nach den Kalendarien das Annafest in fast allen bayerischen Diözesen durch Messe und Brevier gefeiert.

ln einem Kalendarium der Diözese Passau aus dem 14. Jh. ist es ebenfalls verzeichnet, aber nicht als Festtag und nur mit drei Lektionen. Dagegen fehlt es in einem Kalendarium des Albert von Beham, Domdekans von Passau, das man um das Jahr 1246 ansetzt.

In Norddeutschland begegnet uns die liturgische Annaverehrung im 13. Jh. an einigen Orten, im 14. Jh. ist er schon weitverbreitet. So haben wir aus dem Nonnenkloster Marienberg bei Helmstedt in Braunschweig aus dem 13. Jh. ein Reimoffizium und aus Köln einen Brevierhymnus. Aus dem 14. Jh. nennen wir Breviere aus Trier, Koblenz, Münster, Lübeck. Aus dem 15. Jh. seien nur erwähnt Wernigerode, Quedlinburg, Schleswig.

In Österreich finden wir vereinzelt die liturgische Annaverehrung im 13. Jh., im 14. Jh. läßt sie sich an vielen Orten nachweisen, im 15. Jh. ist sie allgemein. Aus dem 13. Jh. haben wir den Hymnus De stella sol oriturus, aus dem 14. Jh. den weitverbreiteten Hymnus Assunt Annae sollemnia, der sich in Handschriften aus St. Florian, Axpach, Oberaltaich, Barenberg u.a. findet und wohl in der Diözese Salzburg seinen Wiege hat; ferner in Brixen, Olmütz, Lilienfeld, Sekkau, Klosterneuburg.

Was Böhmen anlangt, wo die Annaverehrung sehr in Blüte stand, so besitzen wir aus dem 14. Jh. ein Reimoffizium aus Prag und Hymnen aus Tepl und Prag. Ferner sei erwähnt, daß die Franziskaner zu Eger 1476 einen Ablaß erhielten für jene, welche die Klosterkirche am Annafest besuchten.

Dem Zisterzienserabt von St. Nepomuk, Diözese Prag, gestattete 1446 das Generalkapitel des Ordens, in dessen Kalendarium das Annafest schon lange als „festum commemorationis" verzeichnet war, es mit bedeutender Rangerhöhung zu feiern. Und da ähnliche Bitten auch von anderen Seiten kamen, sah sich das Generalkapitel 1454 veranlaßt, die Rangerhöhung für den ganzen Orden vorzuschreiben. Die Begründung dieses Beschlusses verdient, hier erwähnt zu werden. „Da kein Zweifel darüber waltet, daß was immer an Ehre und Huldigung der hl. Anna, der Mutter der allerseligsten Jungfrau Maria, dargebracht wird, diese als ihr selbst erwiesen ansieht, so beschließt, bestimmt und verordnet das Generalkapitel in dieser heiligen und frommen Erwägung, indem es die bereits erlassene Verordnung erneuert, daß künftig das Fest der hl. Anna mit zwölf Lektionen und zwei Messen von allen Konventen und von jedem einzelnen des ganzen Ordens zu feiern ist." Das Fest wurde von den Zisterziensern schon im 14. Jahrhunderts allgemein gefeiert. ln einer Hohenhofer Handschrift heißt es: „Generale Capitulum ordinavit et definivit, quatenus festum B. Annae genitricis Mariae cum 12 lectionibus et una missa et ceteris proprietatibus celebraretur per ordinem universum. Quod factum fuit anno 1354."

In Schlesien, wo die hl. Anna liturgisch längst gefeiert wurde, beschloß die Diözesansynode von Breslau 1509 eine Rangerhöhung ihres Festes, damit ihr besonderer Schutz der Kirche Frieden und allen das ewige Heil erflehen möchte. Herzog Georg I. von Brieg ging noch einen Schritt weiter, indem er den Bischof um einen Erlaß bat, kraft dessen seine Untertanen verpflichtet würden, am Annatag sich aller knechtlichen Arbeiten zu enthalten. Gern willfahrte der Bischof dieser Bitte, indem er bemerkte, St. Anna habe sich durch ihre Wunder in der ganzen Welt so verehrungswürdig gemacht, daß es kaum einen Ort gebe, der dieser heiligen Frau nicht irgendeine Wohltat zu verdanken habe.

Eine besondere Aufmerksamkeit erfordern England und Irland. Wir besitzen noch zwei Hymnen - O praeclara mater matris und O beata mater, Anna - aus Winchester und zwei gleichaltrige aus Canterbury - Ad matris Annae annua und Nardus spirat in odorem -, die die liturgischen Verehrung der hl. Anna an zwei wichtigen Stätten Englands im 12. Jh. beweisen. Es ist gewiß nicht zuviel gesagt, wenn wir behaupten, daß von Winchester und Canterbury diese Verehrung auch an andere Orte und Klöster sich verbreitete. Die Behauptung wird fast zur Gewißheit durch die Tatsache, daß schon zu Beginn dieses Jahrhunderts nach einem Brief des Osbert von Westminster an den Bischof Simon von Worcester in dessen Kathedrale das Fest der hl. Anna mit Oktav bereits um 1125 gefeiert wurde. Jetzt verstehen wir in Verbindung mit den angeführten Angaben über die Verehrung der hl. Anna in England und Irland, wie die Provinzialsynode von Dublin im Jahre 1351 unter dem Vorsitz des Erzbischofs Johannes die Bestimmung treffen konnte, daß am Tag nach St. Jakobus das Fest der hl. Anna in allen Kirchen der Provinz Dublin als duplex gefeiert werden, die Gläubigen sich der körperlichen Arbeit enthalten und dem Gottesdienst in der Pfarrkirche beiwohnen sollten, eine Verordnung, die der Erzbischof von Canterbury in ähnlicher Form auch für seinen Sprengel erließ. Das Annafest wurde schon lange in Irland und England liturgisch gefeiert, dann aber durch diese Verordnung zu einem Festtag erhoben. Wir verstehen jetzt auch, wie Papst Urban VI. am 21. Juli 1378 dieses Fest für ganz England vorschreiben konnte; der Papst dehnte nur auf das ganze Land aus, was in vielen Orten bereits gebräuchlich war.

Dieser Anordnung hatte man bisher eine viel zu große Bedeutung zugeschrieben und irrige Schlußfolgerungen daraus gezogen. Die Veranlassung zu der Verordnung gab, wie der Papst in seinem Schreiben hervorhebt, daß das englische Volk eine große Verehrung zur hl. Anna hegt, und die von ihnen gestellte Bitte, an alle Bischöfe und Gläubigen den Befehl zu erlassen, das Fest der hl. Anna andächtig und feierlich zu begehen. Der Papst ging nach einigem Zögern auf diese Bitte ein. Weil es sich um die älteste päpstliche Bestimmung bezüglich der Annaverehrung handelt, geben wir ihren Wortlaut hier vollständig wieder.

„Da vor kurzem Gläubige aus dem Königreiche England uns berichtet haben, daß das Volk dieses Landes infolge seiner innigen Hochachtung für die allerseligste Jungfrau Maria auch eine ganz besondere Andacht zur hl. Anna, der Mutter der glorreichen Jungfrau, hegt, und da man uns von dieser Seite her demütig gebeten hat, allen Seelenhirten und allen Gläubigen genannten Königreiches vorzuschreiben, das Fest derselben Heiligen feierlich zu begehen, so haben wir in Gott es passend gefunden, die fromme Bitte und die Andacht des Volkes einer Untersuchung zu unterwerfen. Und weil wir wünschen, diese Gläubigen Gott wohlgefällig zu machen und ihnen die Übung der guten Werke zu erleichtern, so befehlen wir förmlich in Kraft gegenwärtigen Schreibens euch, unsern Brüdern, daß von nun an jährlich von euch und von denjenigen, die euch unterworfen sind, genanntes Fest der hl. Anna mit festlicher Pracht und in frommer Weise begangen werde."

Wenn in dem päpstlichen Schreiben hervorgehoben wird, daß die hl. Anna schon vorher hei den Engländern hohe Verehrung genoß, so war sie nicht etwa auf die private Andacht der Gläubigen beschränkt, wie die angeführten Kalendarien und Meßbücher beweisen. Diese frühe, große Verehrung der hl. Anna hängt vielleicht zusammen mit der in lrland sehr früh üblichen Feier der unbefleckten Empfängnis Mariä, die dort schon im 8. Jh. eingeführt sein soll.

Wir vermuten, daß die Anregung vom König Richard II., der sich als eifriger Annaverehrer erwies, und von seiner Gemahlin Anna von Böhmen, in deren Heimat die Annaverehrung gleichfalls weitverbreitet war, ausging. So nahm sich König Richard auf Bitten seiner Gemahlin auch des großen St. Annaklosters der Kartäuser bei Coventry in Northampton-shire an, das von Lord William Zouch 1381 begonnen, wegen seines bald darauf erfolgten Todes aber nicht vollendet wurde. König Richard legte 1385 eigenhändig den Grundstein zur Kirche und erklärte öffentlich, daß er als Gründer des Klosters angesehen werden wolle, dem er zahlreiche Schenkungen zuwies.

Von Interesse sind besonders die Bestimmungen einer Stiftungsurkunde, welche 1336 bei Gründung des Augustinerklosters zu Mastox in Warwikshire angefertigt wurde; in derselben trifft der Gründer William Cinton, Graf von Huntingdon, folgende Anordnung: „Getrieben von Eifer und frommer Andacht, wie auch die übrigen Gläubigen, zur Mutter der Gnade, der glorreichen Jungfrau Maria und mit Rücksicht auf sie wie auch auf ihre Mutter, die hochselige Anna, will, verordne und bestimme ich, daß am Schluß der Matutin des Muttergottesoffiziums, ebenso am Schluß ihrer Messe und der einzelnen Tageszeiten der Priester, welcher die Messe gefeiert bzw. der Offiziator mit gleich lauter Stimme den Englischen Gruß und das Gebet zur Mutter Anna in alle Zukunft auf folgende Weise verrichte:

Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, gebenedeit bist du unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Amen. Und gebenedeit sei deine ehrwürdige Mutter Anna, aus welcher dein jungfräulicher und makelloser Leib hervorgegangen ist. Und der Chor soll antworten: Amen."

Gehen wir zuletzt nach Norden, so stoßen wir dort gleichfalls auf Zeichen eines weit vorangeschrittenen liturgischen Annaverehrung. Im deutschen Ordensland (Baltikum) verzeichnet bereits der älteste Kalender das Fest der hl. Anna, und ein Gesetz des deutschen Ordensmeisters Werner von Orseln (1324-30) erhob es zum Semiduplex. Der Rat von Reval stellte 1354 ein Schriftstück „am Tag der hl. Anna" aus, das Fest muß also schon einige Zeit gefeiert worden sein.

Auch in Schweden feierte man schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts am 26. Juni die Messe zu Ehren der hl. Anna. Ihr Festtag (26. Juli) steht bereits in dem Kalendarium der Kirche von Upsala vorn Jahre 1344. Zu Vadstena, dem Begräbnisort der hl. Brigitta, wurde 1406 verordnet, ihr Fest dreimal im Jahr als „Fest mit einfachem Ritus" zu begehen, und zwar am Tag nach Jakobi (26. Juli), nach der Oktav von Mariä Geburt und nach Mariä Empfängnis. Wir finden also hier hoch im Norden den orientalischen Brauch, der wohl durch die griechisch-slavische Liturgie vermittelt wurde. Die Synode von Vadstena tat noch mehr. Sie bestimmte, daß während der Oktav aller Muttergottesfeste und an allen Sonntagen des Jahres außer im Advent und von Septuaginta bis Dreifaltigkeitssonntag eine Kommemoration der hl. Anna gemacht werden sollte. Diese Bestimmung zeugt von einer außergewöhnlichen Verehrung unserer Heiligen, die ihren Impuls vielleicht der Reliquie der hl. Anna verdankt, die Brigitta von Rom mitgebracht hatte.

Die hl. Brigitta erzählt in ihren Offenbarungen von einer Vision, in der sie Anna schaute, die sie Gebete lehrte und zur Verehrung der Reliquie ermahnte.

Auch andere nordische Synoden haben sich damals mit der Annaverehrung beschäftigt. Die Synode von Kopenhagen 1425 bestimmte, das Fest der hl. Anna soll am Tag nach Mariä Empfängnis gefeiert werden. Die Provinzialsynode zu Uppsala faßte 1445 den gleichen Entschluß und dehnte ihn auf die ganze Kirchenprovinz aus, nachdem das Konzil von Süderköping sich 1436 und 1441 der Angelegenheit angenommen hatte. In dem zuerst genannten Jahre wurde bestimmt, das Annafest sollte als festum duplex gefeiert werden. 1441 dehnte man die Verordnung dahin aus, daß es wegen der Andacht des Volkes in allen Diözesen als Feiertag begangen werden sollte, und zwar am Tag nach Mariä Empfängnis (9.12.), falls es nicht gewohnheitsgemäß an einem anderen Tag geschehe. Auch in dieser Bestimmung zeigt der Norden eine Anlehnung an den griechischen Brauch.

Werfen wir einen Rückblick auf unsern Rundgang durch die verschiedenen Länder, so finden wir, daß das Fest der hl. Anna an einzelnen Orten sich schon im 12. Jh. nachweisen läßt, im 13. Jh. ist dies schon mancherorts der Fall, im 14. Jh. war es bereits in so viele Kirchen und Diözesen eingeführt, daß man fast von einer allgemeinen Verbreitung sprechen kann. In manchen Diözesen war der Annatag zum kirchlichen Feiertag erhoben, so in der Provinz Dublin 1351, in Bologna 1371. Hiermit kann man die Behauptungen widerlegen, die Verehrung der hl. Anna sei bis zum Ende des Mittelalters fast unbekannt gewesen.

Fügen wir hier die Frage an, an welchem Tag die liturgische Feier der hl. Anna stattfand. Im allgemeinen beging man sie nach dem Fest des hl. Jakobus, also am 26. Juli. So in den meisten deutschen Diözesen und Kirchen am Ende des Mittelalters. Diese Regel erlitt jedoch viele Ausnahmen. So verlegte Bischof Erich von Münster 1510 ihr Fest auf den 16. August, während es im Missale vom Jahre 1425 zu Nienberg (Diözese Münster) vor dem Fest Mariä Himmelfahrt steht. Am 26. Juli feierte man es in der Diözese Paderborn. In Augsburg, Erfurt, Halberstadt, Havelberg und anderswo geschah es am 27. Juli. Noch größer waren die Unterschiede in Frankreich, wo das Annafest zu Cambrai am 19. Juli begangen wurde, zu Arles, Bourges, Bordeaux und nach mehreren Pariser Missalien am 27. Juli; nach einem Pariser Brevier aus dem 13. Jh. am 28. Juli, nach einem Missale von St. Victor am 4. August; in Rouen am 4. Januar.

Auch in Skandinavien herrschte eine sehr verschiedene Praxis. In Schweden wurde das Annafest am 9. Dezember gefeiert, mit Ausnahme des Bistums Linköping, das am 26. Juli festhielt, also auch das Brigittenkloster Vadstena in dieser Diözese. Im Bistum Abo in Finnland beging man die Feier am 15. Dezember, also am Oktavtag von Mariä Unbefleckte Empfängnis. Den 9. Dezember, also den Tag nach Mariä Empfängnis, bestimmte die Synode von Kopenhagen für Dänemark. Dasselbe hatte schon 1417 die Synode von Aborga getan.

Mit der Steigerung der Annaverehrung nahm auch die liturgische Rangerhöhung ihres Festes zu, wie aus verschiedenen, schon mitgeteilten Quellenangaben ersichtlich ist. Von einem Fest der einfachen Erwähnung (simplex) stieg es zum Duplexgrad oder zum totum duplex, wie im 15. Jh. in Finnland, was im Brigittenkloster zu Vadstena (Schweden) schon 1413 der Fall gewesen war. Eine einfache Commemoratio S. Annae, und zwar für das Offizium der Mutter Gottes wurde z. B. durch die Diözesanordnung von Samland 1427 vorgeschrieben, während in der Diözese Pomesanien (südlich von Danzig) ihr Fest schon 1428 als totum duplex am Sonntag nach dem
26. Juli gefeiert wurde, in der Diözese Ermland erscheint es dagegen im Brevier vorn Jahre 1581 noch als Semiduplex. Man sieht daraus, wie verschieden damals noch die Praxis in einer einzigen Provinz war.

Wenngleich der hl. Anna um die Mitte des 15. Jahrhunderts in der abendländischen Kirche wohl schon in den meisten Diözesen liturgisch verehrt wurde, so fehlte an deren Einheitlichkeit doch noch viel... Denn damals besaßen die Bischöfe in der Regelung des kirchlichen Festkalenders größere Autonomie als heute.

Wie bereits erwähnt, stand der Franziskanerorden unter den Verehrern der hl. Anna in der ersten Reihe; in seinen ältesten gedruckten Meßbüchern hat das Annafest denselben hohen Rang wie die großen Ordensheiligen Franziskus und Antonius. Ein Franziskaner war es auch, der ihr Fest in den römischen Festkalender einfügte, nämlich Sixtus IV. Seine für die liturgische Annaverehrung so wichtige Anordnung fällt in das Jahr 1481; die gleiche Bestimmung traf er für das Fest des hl. Joseph, das bis dahin nur wenig gefeiert wurde. Die Neuerung erklärt sich aus dem Umstand, daß Sixtus IV. auch als Papst die liturgische Verehrung der hl. Anna nicht unterlassen mochte, den er vorher als Ordenspriester gepflegt hatte. Daher erhörte er die Bitten seines Ordens, der sich um die allgemeine Einführung der liturgischen Verehrung es der hl. Anna bemühte.

Dahin gehört besonders der Franziskaner Albert von Forli, der 1480 diesbezügliche Anstrengungen machte. Auch der Franziskaner Bernardin von Busti 1500, der viele Jahre Italien als Bußprediger durchzog, wirkte in diesem Sinn; er ist der Verfasser eines kirchlichen Offiziums von der „Unbefleckten Empfängnis Marias", das 1476 die Gutheißung des Papstes Sixtus fand. Zu Ehren der Gottesmutter schrieb er einen umfangreichen Band „Reden". Wie hätte er da ihre hochbegnadete Eltern vergessen können? Den Bitten dieser Männer kam also Papst Sixtus IV. entgegen und nahm 1481 das Annafest in den römischen Kirchenkalender auf. Seit dieser Zeit feierte somit auch Rom die hl. Anna alljährlich am 26. Juli durch Messe und Breviergebet. Im römischen Martyrologium wird der Tag mit den Worten erwähnt: Heimgang der hl. Anna, der Mutter der unbefleckten Jungfrau und Gottesgebärerin Maria. Diese Neuerung war von großer Bedeutung; denn diesem Beispiel folgten bald alle Diözesen, welche den römischen Ritus beobachten, und auch auf Diözesen, die einen eigenen Ritus hatten, hatte es Einfluß. Der ambrosianische Ritus (in Mailand) hatte das Fest schon vor Sixtus IV. aufgenommen, da es sich bereits mit eigener Präfation in dem 1475 gedruckten Missale findet.

Was die weitere Verbreitung der liturgischen Annaverehrung in Deutschland betrifft, so nahmen auch Diözesen, die bis dahin noch gezögert hatten, das Fest in ihren Kirchenkalender auf. Um das Jahr 1500 wurde es wohl in fast allen deutschen Diözesen gefeiert. Die Landesbibliothek zu Karlsruhe besitzt 33 handschriftliche Kalendarien aus dem 15. Jh. mit dem Annafest.

Erwähnt sei hier besonders die Anordnung der Provinzialsynode von Breslau unter dem Bischof Johann von Turzo 1509, welche die Feier des Annafestes beschloß (sub ritu duplici). Wie in dem Fürstentum Brieg, so wurde auch in der Diözese Münster das Annafest als öffentlicher Feiertag eingeführt, was in Irland und England schon längst der Fall gewesen war. Die Synode von Arboga hatte schon 1417 verordnet, daß das Annafest (9. Dezember) in der Kirchenprovinz Uppsala als Feiertag begangen werden sollte. In manchen Kirchen, wie z. B. in der Diözese Ermland, wurde es noch 1586 durch Bischof Cromer auf den Sonntag nach dem 26. Juli verlegte.

Da schien es, als ob der Siegeslauf, den die liturgische Annaverehrung durch alle Länder Europas angetreten hatte, plötzlich zum Stillstand gebracht, ja sogar ganz rückgängig gemacht werden sollte, und zwar durch einen Papst, den die Kirche wegen seines Glaubenseifers der Zahl der Heiligen eingereiht hat. Bei der Neuordnung der liturgischen Bücher ließ Pius V. (+1572), ein Dominikaner, leider das Fest der hl. Anna aus dem kirchlichen Kalender entfernen. Hierzu bestimmten ihn nicht prinzipielle Bedenken über diese Verehrung, sondern das Bemühen, die alte Ordnung möglichst wiederherzustellen. Alle Meßbücher, die nicht 200 Jahre alt waren wurden abgeschafft. Allerdings hatten die Dominikaner nie für das Fest geeifert.

    Inhaltsverzeichnis

9. Kap.
Abt Trithemius und sein Kreis


Man würde sehr irren, wollte man glauben, die Verehrung der hl. Anna habe nur bei dem schlichten Volk in Blüte gestanden; nein, es war die ganze Nation von einem Rausch der Begeisterung erfaßt, an ihrer Spitze die Humanisten, während manche Theologen sich abseits hielten. Keiner hat damals zu dieser Begeisterung durch seine Schriften mehr beigetragen als der schon erwähnte Abt Trithemius von Sponheim, einer der gelehrtesten und angesehensten Männer seiner Zeit. Sein Name ist mit der Blütezeit der Annaverehrung so unzertrennlich verknüpft, daß wir seiner Tätigkeit hier ausführlicher erwähnen müssen.

Geboren 1462 zu Trittenheim bei Trier als Sohn des Johannes Heidenberg, trat er mit 20 Jahren in das Benediktinerkloster Sponheim bei Mainz und wurde schon im folgenden Jahr, obwohl noch nicht Priester, wegen seiner Tugend und Gelehrsamkeit zum Abt erwählt. Dem Brauch der Zeit gemäß änderte Johannes den Namen nach seinem Geburtsort in Trithemius um. 1506 legte er sein Amt nieder und zog sich in das Schottenkloster St. Jakob zu Würzburg zurück. Bis zu seinem Tod 1516 wirkte er unablässig im Dienst der Wissenschaft und der Frömmigkeit, was ihm manche Bitterkeit zuzog. Ein Teil seiner ausgedehnten schriftstellerischen Tätigkeit galt dem Lob der Mutter Anna und der Verbreitung ihrer Verehrung. Der fromme Abt war von einem wunderbaren Eifer für die Verehrung der hl. Anna beseelt; er hielt sie für so wichtig, daß er in ihr geradezu das geeignete Mittel erblickte, um in der Zeit des absterbenden Glaubens und der erkaltenden Liebe die Menschheit vor dem völligen Verderben zu bewahren.

Die erste Schrift veröffentlichte Trithemius 1494 unter dem Titel: Lob der heiligen Anna, und zwar auf Veranlassung des bereits erwähnten Karmeliterpriors Rumold Laupach zu Frankfurt, der selbst ein begeisterter Annaverehrer war. Er teilte die ganze Schrift in sechzehn Kapitel ein, von denen die drei ersten eine feurige Aufmunterung zur Verehrung Annas enthalten; im vierten wendet er sich gegen die Widersacher dieser Andacht, im fünften hebt er hervor, daß Anna bereits vor Erschaffung der Welt von Gott zur Mutter Marias auserwählt sei. Das sechste Kapitel schildert ihr tugendhaftes Leben und das siebente gibt die Gründe für ihre Verehrung an, besonders für ihre unbefleckte Empfängnis, die er nachdrücklich verteidigt. Ferner spricht er von der Darstellung Marias im Tempel durch Anna, von der Macht ihrer Fürbitte, von den durch sie bewirkten Wundern und Wohltaten und von der Art ihrer Verehrung. Er schließt mit einer Mahnung an die Mitglieder der von Rumold Laupach zu Frankfurt eingeführten Bruderschaft, ihren Pflichten stets treu nachzukommen.

Mit großem Eifer Trithemius ermuntert die Gläubigen zur Verehrung der hl. Anna:

„Hört mich, die ihr liebt, was euch zum Heil gereicht, und die ihr den Herrn sucht. Von Andacht und Liebe getrieben, erschien ich als Abgesandter vor euch. Die Mutter der Gottesgebärerin ist es, die mich zu euch gesandt, um euch ihre hochheiligen Verdienste vor Augen zu stellen. Aber ich komme zu euch nicht mit hoher Rede, sondern als Einfältiger zu Einfältigen, als Andächtiger zu Andächtigen. Wenn ihr die Gnade der Menschwerdung des Herrn hochschätzt, warum liebt ihr denn nicht auch diejenigen, die dabei als Werkzeug gedient, das ist diejenigen, von denen der Sohn Gottes dem Fleisch nach abstammt. Wäre ihr Wandel nicht im höchsten Grad heilig gewesen, hätte er Gott unmöglich so wohlgefällig sein können. Dadurch, daß Gott wollte, daß sein Sohn aus ihrem Geschlecht hervorgehe, hat er deutlich gezeigt, wie heilig dieselben waren, und wie sein Wohlgefallen auf ihnen ruhte. Unter diesen strahlt nun vor allen anderen jene hervor, welche Gott, weil sie ihm vor allem wohlgefällig war, zur Mutter seines Eingeborenen auserwählte, das ist die allzeit reine Jungfrau Maria, von Anna ohne Makel geboren und von ihr in der Furcht des Herrn aufs heiligste erzogen. Der Sohn dieser Jungfrau, die sich durch ihre Heiligkeit vor allen auszeichnet, ist Gott, der uns durch sein bitteres Leiden und Sterben erlöst hat. Wenn ihr nun die Tochter liebt, warum ehrt ihr nicht auch die Mutter? Wäre die Mutter nicht gewesen, würdet ihr ja die Tochter nicht haben.

An euch also, die ihr dieses Tal der Tränen bewohnt, richtet sich meine Rede; an euch, ihr Kinder Adams, die ihr aus euerm Vaterland vertrieben seid, wende ich mich; für euch alle, die ihr durch das kostbare Blut des Sohnes Gottes erlöst worden, schreibe ich diese Zeilen. Euch rufe ich zu, euch ermahne und ermuntere ich, wenn ihr den Sohn Gottes liebt, auch seine Verwandten dem Fleisch nach zu verehren. Unter diesen verdient nach der hochgebenedeiten Gottesgebärerin die hl. Anna, deren erhabene Verdienste uns alltäglich durch so viele Wunder bezeugt werden, vor allen andern unsere Verehrung. Erwählt also Anna zu eurer Schutzpatronin und verehrt sie mit aller Andacht, wenn ihr Gott, dem Lenker des Weltalls, wohlgefällig sein wollt. Glaubt es mir, Brüder; denn was ich zu sagen im Begriff bin, beruht auf Wahrheit: wenn ihr diese ehrwürdige Mutter von ganzem Herzen liebt und verehrt, werdet ihr durch eigene Erfahrung kennenlernen, welche Huld der Herr des Himmels ihr erweist.

So groß ist ja ihre Macht bei Gott, daß sie ohne Verzug alles erlangt, um was immer sie bittet. Wenn wir mit Recht glauben, daß der König des Himmels seine Mutter vor allen anderen ehrt, so müssen wir auch annehmen, daß er nach derselben der Mutter Anna größere Ehre erweist als allen anderen Heiligen. Und gar oft erlangt Anna den Gläubigen etwas, was ihnen die Tochter nicht zukommen läßt; nicht etwa als ob Maria die Bitte nicht zu erfüllen vermöchte, sondern weil sie durch liebevolle Rücksicht auf ihre Mutter uns selbst auch zur Verehrung der Mutter antreiben möchte. Sollte vielleicht einer bei der hl. Anna nicht so schnelle Hilfe finden, wie ich in Aussicht gestellt, der soll uns nicht der Lüge zeihen, sondern den Grund hiervon in seinem Mangel an festem Vertrauen suchen.

Anna war heilig, bevor sie die Mutter Gottes in ihrem Schoß empfing. Nachdem sie dieselbe aber empfangen, wurde sie noch mehr geheiligt, weil sie das Wohnzelt derjenigen zu werden verdiente, welche vor allen Geschöpfen voll Gnade war. Wenn wir nun den Schrein, in welchem Reliquien von Heiligen aufbewahrt werden, für heilig und ehrwürdig halten, um wieviel mehr müssen wir dann die ehrwürdige Anna, in welcher die Gottesmutter ohne Makel ruhte, als geehrt und geheiligt verehren! Ja, wahrhaft heilig ist diejenige, von welcher ohne Makel der Erbsünde Maria, die an Heiligkeit alle Geschöpfe übertraf, geboren wurde; wahrhaft heilig ist jene, welche zur Mutter der Gottesgebärerin auserwählt wurde, bevor sie noch geboren war. O Schoß, stets mit Ehrfurcht zu nennen, weil würdig befunden, daß sich in ihm die makelreine Arche Gottes bildete! O glücklicher Leib, der die Himmelskönigin getragen ! O glückliche Brust, welche die Mutter Gottes zu nähren verdient! Eilt ihr Völker von allen Seiten herbei und empfangt Segen von dem Verdienst einer so mächtigen Schutzpatronin! Wir zweifeln nicht, daß der Allmächtige durch ihre Fürbitte den Sterblichen, welche sie mit heiliger Andacht verehren, große Gnaden verleihen wird, nicht geringer, als er mittels ihrer Tochter uns zu verleihen pflegt. Wenn ihr also, ihr gläubigen Völker, die ihr die Tochter der hl. Anna als Mutter Gottes verehrt, nun im Schatten der Heiligkeit von Mutter und Tochter Schutz und Ruhe findet, in der Liebe Gottes Fortschritte machen und ins himmlische Vaterland gelangen wollt, vergeßt die hl. Mutter Anna nicht.

Keine andere hat ja nach der Königin am himmlischen Hof so große Macht wie sie, weil aus ihr der Sohn Gottes von einer Jungfrau Fleisch angenommen. In welcher Trübsal ihr immer eure Zuflucht zu ihr nehmen mögt, ihr werdet Hilfe finden. Sie vermag für euch alles zu gewähren, um was ihr immer mit festem Vertrauen sie bitten werdet. Sie heilt die Kranken, macht uns von Sünde rein, erfüllt die Herzen der Betrübten mit heiliger Freude, stillt die Trauer, macht glatt das Rauhe, verscheucht die Gaukelbilder der höllischen Geister. Wie das Eis keinen Bestand vor dem Feuer, so entweicht auch der alte Erbfeind unseres Heiles, durch die Verdienste der hl. Anna in Schrecken gesetzt. Anna, die Arche der Frömmigkeit, hält fern von uns die Schande, wahrt den guten Ruf, macht die Herzen frei von der unlauteren Liebe.

Verehrt daher Anna ihr alle, die ihr unter der drückenden Last des irdischen Lebens seufzt. Anna erlangt den Sündern Verzeihung, rottet die Laster aus, pflanzt die Tugenden ein. Anna macht die Kranken gesund, heilt die Wunden, tilgt die Pest. Verehrt also Teuerste diese Mutter, welche euch vor das Angesicht Gottes im Himmel zu führen vermag. Derjenige, dessen Schutzpatronin Anna bei Gott ist, braucht sich vor keiner Widerwärtigkeit dieser Welt zu fürchten.

Wer immer also auf Erden ein ruhiges und heiliges Leben zu führen wünscht, wer immer von Gott Verzeihung seiner Sünden erflehen will, der sage sich von ihrem Dienst nimmer los. Sie belohnt ihre Diener schon in diesem Leben mit vielerlei Wohltaten, und denjenigen, die ihr bis zum Tod treu bleiben, erlangt sie die Krone des ewigen Lebens. Ich bin nun bereits an Jahren, und doch sah ich noch nie einen eifrigen Diener der hl. Anna von Gott verlassen oder seinen Namen mit Schande bedeckt. Deshalb bitte ich euch, ihr Gelehrten und Männer der Wissenschaft, die Andacht der Einfältigen nicht zu verachten und die der hl. Anna gezollte Verehrung nicht zu verurteilen, als wäre diese Andacht etwas Neues; bestrebt euch vielmehr, nach Möglichkeit daran teilzunehmen." (Aus der Übersetzung von H. Rickenbach, Ruhmeskranz der hl. Anna, 173 ff.).

Solche begeisterten Lobsprüche des gelehrten Benediktiners konnten nicht ohne Wirkung bleiben. Sein Buch erlebte in Mainz mehrere Auflagen und wurde noch im selben Jahr 1494 auch in Leipzig gedruckt, wo es 1497 und 1512, vermehrt mit der Legende der hl. Anna, neu aufgelegt wurde. Aber auch Widerspruch blieb nicht aus, der sich allerdings nicht gegen die Annaverehrung richtete, sondern gegen die von Trithemius stark betonte unbefleckte Empfängnis Mariä. Der Dominikaner Wigand Wirt zu Frankfurt widersprach in einer anonymen Schrift. Trithemius fertigte ihn in einer scharfen Erwiderung so gründlich ab, daß Wirt schweigen mußte.

Mit der Abfassung dieser einen Schrift begnügte sich der eifrige Abt nicht. Noch im gleichen Jahr 1494 dichtete er zwei Gedichte. Ferner verfaßte er für Richmond von Horst, Äbtissin von Seebach bei Speyer, ein Bittgebet, die Anfangsbuchstaben der einzelnen Worte ergaben den Sinn: Gib rechte Gesinnung mir armen Johannes Trithemius und der Jungfrau und frommen Braut Christi Richmond von Horst.

Für das Meßbuch der Diözese Speyer stellte er 1498 ein Meßformular für den Annatag zusammen, und unter ein Bildnis der Heiligen schrieb er folgendes Distichon:

Wer in der Not sich befindet und ruft zur heiligen Anna Andachtsvoll, der wird ruhig und sicher stets sein.

1499 verfaßte er ein neues Bittgebet, einen Kursus (kanonische Tageszeiten) und einen Rosenkranz zu Ehren Annas, Gebete, welche solchen Anklang fanden, daß der Kardinallegat Raymund von Gurk sich bei Anwesenheit auf dem Reichstag zu Frankfurt abschreiben ließ und mit einem Ablaß von achtzig Tagen versah.
Die Matutin hat nur drei Lektionen, und jede Tageszeit (Hore) wird mit einer Begrüßung Annas eingeleitet. Diese Begrüßung bildet auch die Einleitung des Rosariums, es folgen in fünf Reihen je zehn Lobpreisungen Annas mit je einem Ave; jede Dekade schließt mit einem Vaterunser und Ave; zum Schluß wird eine Oration mit Versikel und Responsorium verrichtet. Ebenso approbierte Kardinal Raymund eine Sequenz, welche Trithemius auf Bitten des Erzbischofs Johann von Trier und seiner Sekretäre gedichtet hatte; sie sollte der von ihnen in Koblenz gegründeten Annabruderschaft dienen und bei der Dienstagsmesse gesungen werden.


Bis jetzt nicht gedruckt sind des Abtes Miracula s. Annae (Wunder der hl. Anna), geschrieben 1495, und eine dritte Sequenz, welche er auf Bitten des Karmeliterprovinzials Johannes verfaßte, und die mit den Worten beginnt: Jubilemus in honore (Laßt uns jubilieren zu Ehren), und die in den Anfangsbuchstaben den Namen des Bittstellers (Joannes Fortis) enthält.

Johannes Trithemius stand mit seiner glühenden Annaverehrung unter den Humanisten seiner Zeit nicht allein da. Zahlreiche Namen gelehrter Männern kurz vor Ausbruch der Reformation könnten hier aufgezählt werden, die durch Schriften und Gedichte ihrer Liebe zur hl. Anna Ausdruck verliehen haben. Genannt seien nur der von Kaiser Friedrich III. 1497 zum Dichter gekrönte Humanist Konrad Celtis, Rudolf Lang aus Münster, Jodo Baius (+1535) aus Gent, Dietrich Gresemund (+1512) aus Mainz, Heinrich Bebel in Tübingen, Kaspar Güttel, Rudolph Agricola, Werner Themar, Johann Herst, Roger Vernrai aus Höningen bei Worms, der Laacher Prior Joh. Butzbach, Philipp Drunck.

Selbst Erasmus aus Rotterdam schrieb ein Gedicht zu Ehren der hl. Anna, das 1519 zu Basel gedruckt wurde. Eoban Hesse läßt Anna in einem langen Gedicht dem Joachim ihr Leid und ihren Kummer klagen. Hesse machte 1518 mit Magister Johann von Werter eine Reise nach Rotterdamm, um Erasmus die Huldigung der Erfurter Poeten zu überbringen. Von Bonn wandte er sich nach Düren, wo er mit seinem Begleiter die Annakirche besuchte, um die Reliquien der Heiligen zu verehren und den Schutz ihres Enkels Christus für die Weiterreise zu erflehen.

Unter den Humanisten im Elsaß war es nur Sebastian Braut, der der hl. Anna huldigte, noch mehr verehrte er freilich St. Joachim:

Fecerit Anna licet miracula multa, colatur Et Joachim: faciet plurima mira, scio. - Bewirkt Anna viele Wunder, verehrt auch Joachim, er, so weiß ich, bewirkt mehr.

Geiler von Straßburg erwähnt ihren Namen nur einmal gelegentlich in einer Predigt auf die Darstellung Mariä. Wimpfling und seine Schüler dagegen waren der Anna-verehrung nicht gewogen.

Wir möchten nicht unterlassen, hier einige Zitate dieser Dichtungen in Übersetzung zu bringen. Der 1508 zu Wien verstorbene Celtis schrieb folgende Distichen:

 

Keiner noch hat je umsonst zur heiligen Anna gerufen,
Jedem gewährt sie stets, was er verlangt von ihr.
Laßt uns also die Mutter voll Huld hoch ehren und lieben,
Da sie jeglichen Wunsch ihrer Getreuen erfüllt.

Rudolf Agricola (+1485), der berühmte Lehrer an der Universität Heidelberg, nahm in schwerer Krankheit seine Zuflucht zu Anna. Aus Dankbarkeit für die Heilung verfaßte er ein langes Lobgedicht, aus welchem wir folgende Stellen hervorheben:

 

Sei mir, o Anna, gegrüßt, der Gottesgebärerin Mutter,
Die den Völkern zuerst bahnte die Pfade zum Heil

Und uns jene gab, in deren geheiligtem Schoß
Gott, den die Erde nicht faßt, Wohnung zu nehmen geruht.
Dich besinge ich freudig, o höre mein Flehen und wecke
Zum Gesang mich auf: hauch heilige Begeisterung mir ein! ...
Dich nun, o selige Frau, die so herrlicher Frucht sich erfreut,
Bitten wir alle, daß du gnädig uns leihst dein Ohr.
Leicht ja und Wonne ist's dir, uns zu helfen, vereint mit der Tochter:
Darum bringt zumal unsere Bitten vor Gott.
Nimmer werden vereitelt wir sehen unsere Wünsche,
Wenn wir uns wenden an dich, wenn du uns redest das Wort:
Wer zur Seite dich sieht, der erhebet mutvoll die Stirn
Und verbannt die Furcht, daß er fleht umsonst.
Nichts ja versagt dir die Tochter
und nichts der Tochter der Enkel:
Wie die Tochter dich ehrt, also die Mutter er liebt.
Mutter nennest du dich, und Mutter heißt die Tochter;
Mache du geltend dein Recht, mache es geltend auch sie.
Dann wird unser Gebet erhört am Thron des Höchsten;
Denn was immer du willst, will auch die Tochter und Gott.
Jedes Geschlecht und jeglicher Stand und jegliches Alter
Ruft um Hilfe dich an, Reiche und Arme zumal.
Du verleihest Bestand den tückischen Gütern des Glückes,
Machst, daß diese uns nicht wieder entfliehen im Nu.
Reichlich gewährest du uns, was lindert die Mühsal des Lebens,
Bringst uns wieder zurück, was uns entronnen schon schien.
Zu dir fleht Hilfe die hoffende Mutter; dir weiht
Die jungfräuliche Maid ihr noch jungfräulich Gebet.
Zu dir ruft empor, wenn von lüsternen Bildern umgaukelt,
Die noch kindliche Scham fleht um Rettung und Sturm.
Siehe, die einen umstrickt der Lästerer Lügengewebe,
Schamlos und frech, und das Volk glaubt dem Gerede zumal.
Jene bedrückt ein schweres Geschick, und es bleibt ihr Auge
Immer von Tränen benetzt, gleichwie bei Tag so bei Nacht,
Andere verfolgt die Liebe mit ihren grimmen Geschossen:
Wen sie getroffen, der geht kettenbelastet einher.
Jeglicher fleht zu dir: und du zähmst der Lästerer Zunge,
Nimmst die Trauer hinweg, löschst der Liebenden Glut,
Heilst der Leidenden Schmerz und bändigst der Wütenden Ingrimm, Welcher mit Strick und mit Schwert, welcher mit Gift uns bedroht. Keiner in Not und Gefahr hat zu dir um Hilfe gerufen,
Dem du verschloßt dein Ohr, dem du nicht Rettung gebracht;
Und so nahe mein Fuß dem Rand des Grabes gestanden:
Anna, ich flehte zu dir, Anna, du hörst mein Flehen!
Du bist mein sicheres Heil, du meine Stütze des Lebens;
Du mein Leitstern und Port, meine Erquickung und Ruh!
Drum preis dich mein Sang, und nimmer verstumme mein Loblied,
Und es dringe dein Ruhm hoch zu den Sternen empor!
Was nur immer die Stimme vermag, was immer die Zunge,
Was der Odem und Geist, was meine Brust und der Mund:
Dir sei es, Anna, geweiht, dein Lob verkünde der Erdkreis,
Und dein Name fortan gelte als heilig der Welt.

Wie St. Anna selbst in den allerhöchsten Kreisen ihre Verehrer hatte, sahen wir oben aus der Tatsache, daß Kais er Maximilian sich zu Worms in ihre Bruderschaft aufnehmen ließ. Hier sei noch auf ein merkwürdiges Beispiel dieser - wir dürfen wohl sagen - Schwärmerei in der kaiserlichen Familie hingewiesen. Die Kaiserliche Gemäldegalerie zu Wien besitzt ein von B. Striegel 1515 gemaltes Bild des Kaisers Maximilian und seiner Familie; die einzelnen Familienmitglieder waren ursprünglich mit dem Namen der Mitglieder der hl. Sippe bezeichnet. Später (nach 1558), als die Annaverehrung nachgelassen hatte und man die Bezeichnung als unpassend fand, wurden die Namen übermalt und die richtigen Bezeichnungen an ihre Stelle gesetzt. Um über den Sinn der Namen keinen Zweifel zu lassen, war auf der Rückseite des Bildes eine heilige Sippe angebracht.

Das Gemälde von Lorenzo d'Alessandro von S. Severino zeigt die enge Verbindung von Anna und Maria und trägt die Inschrift: Mater Dei, memento mei.

Wir schließen dieses Kapitel über die Huldigung der hl. Anna durch Dichter und Gelehrte mit dem Sonett eines der berühmtesten italienischen Poeten.

Es ist Torquato Tasso (+1595), der Sänger des "Befreiten Jerusalem", der während seines Aufenthaltes im St. Annahospital zu Ferrara folgende Verse niederschrieb:

 

O Hehre, der geweiht diese Räume,
Dem Kranken eine süße Zufluchtsstätte,
Wenn ich mit reinem Sinn zu dir bete,
Blick hin auf mich, zu retten mich nicht säume:
Der wilden Stürme Ungetüme zäume,
Die mir das Herz durchtoben um die Wette!
An deinem Fest von der Qual mich rette:
Schenk Frieden mir, die Sehnsucht meiner Träume!
O tu, du kannst es ja, mir huldvoll dies Gefallen,
Daß neu die Liebe sich zu dir entzünde
Und dir mein Leid erkling mit reinerem Ton;
Dir, deren Enkel herrscht in des Himmels Hallen
Und deren Tochter von dem Gotteskind
Erhoben wurde zu dem höchsten Thron.

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10. Kap.
Ursache der wachsenden ANNA-Verehrung

Man fragt sich unwillkürlich, welches denn die Ursachen für die außergewöhnliche Verehrung der hl. Anna am Ende des Mittelalters waren. Um dieselben kennenzulernen, müssen wir einen ganz kurzen Rückblick auf die Entwicklung der Lehre von der unbefleckten Empfängnis Marias werfen. Obwohl seit den ältesten Zeiten in der Kirche die Auffassung herrschte, daß Maria niemals mit der Erbsünde behaftet gewesen, so war von der höchsten kirchlichen Autorität noch nicht die Entscheidung ausgesprochen, daß diese Lehre als Glaubenssatz anzusehen sei. Es hat daher auch nie an Männern gefehlt, die zwar jede Sünde von Maria ausschlossen, aber die Ansicht vertraten, sie sei wie Johannes der Täufer erst im Mutterschoß von der Erbsünde gereinigt worden. Diese Meinung wurde besonders seit dem 12. Jh. von einigen angesehenen Gelehrten vertreten, als sich das Fest der unbefleckten Empfängnis in England und Frankreich immer weiter ausbreitete.

In eine neue Phase der Entwicklung gelangte diese Frage im 13. Jh., indem von den damals entstandenen Dominikaner- und Franziskanerorden der erste gegen, der zweite für die unbefleckte Empfängnis eintrat. Schon im Jahr 1263 beschlossen die Franziskaner auf dem Generalkapitel zu Pisa, das Fest der unbefleckten Empfängnis im ganzen Orden mit großer Feierlichkeit zu begehen. Namentlich war es der sel. Franziskaner Johannes Duns Skotus (+1308), der als Professor der Theologie zu Paris und Köln, wo er auch begraben liegt, mit großem Erfolg für die unbefleckte Empfängnis tätig war. Seitdem machte der Franziskanerorden die Verteidigung dieser Lehre zu seiner Ehrensache. Bald schlossen sich ihm auch die meisten andern Orden an, die Benediktiner, Zisterzienser, Karmeliter und Augustiner. Indes schwiegen die Gegner nicht. Auf dem Konzil zu Basel (seit 1431) trat der Dominikaner Johannes von Montenegro öffentlich gegen die Lehre auf. Das Konzil tat aber das Gegenteil. Es erklärte
1439, die Lehre von der unbefleckten Empfängnis entspricht dem kirchlichen
Gebrauch, dem katholischen Glauben und der Hl. Schrift, und das Fest sollte fortan in allen Kirchen und Klöstern gefeiert werden.


Weil jedoch das Konzil zur Zeit, als es diesen Satz aussprach, mit dem Papst Eugen nicht mehr in Verbindung stand, hielten die Gegner seine Bestimmungen nicht für verpflichtend. Der Streit wurde noch heftiger und in Italien mit Erbitterung geführt.


Da erstand den Freunden der kirchlichen Lehre ein mächtiger Helfer in dem Franziskaner Francesco della Rovere, der als Sixtus IV. (1471-1484) den päpstlichen Thron bestieg. Im Jahr 1483 erließ er nacheinander drei Bullen, worin er das von dem Franziskaner Bernardin von Busti verfaßte kirchliche Officium von der unbefleckten Empfängnis guthieß und zugleich den Gegnern verbot, sich gegenseitig des Irrtums zu beschuldigen. Wenngleich er durch diese Erklärung der gegenteiligen Lehre einen gewaltigen Stoß versetzte, so dauerte es doch noch geraume Zeit, bis der Streit zur Ruhe kam. Noch 1494 geriet der Dominikaner Wiegand Wirt, wie bereits erwähnt, darüber mit Trithemius in eine heftige Fehde.

Bei diesen wissenschaftlichen Kämpfen um die unbefleckte Empfängnis Marias konnte man unmöglich diejenige vergessen, in deren Schoß sich jenes Geheimnis vollzogen hatte. Die Mutter Anna trat in der ganzen Frage vielfach sogar in den Vordergrund. In der byzantinischen Kirche hatte man überhaupt seit alters das diesbezügliche Fest „Empfängnis der hl. Anna" genannt und am Tag danach (9. Dez.) das Fest der hl. Anna gefeiert. Sie war es ja, die der Gottesmutter das Leben geschenkt, sie war gewissermaßen das neue Erdreich, aus dem Gott, wie einstens den Adam aus der noch nicht fluchbeladenen Erde, jetzt die Mutter seines eingeborenen Sohnes schaffen wollte. Aus den Früchten erkennt man den Baum. Mit welch erhabenen Tugenden mußte also Anna geschmückt sein, die einer so wunderbaren Tochter das Leben schenkte. Gebührt Lob und Ehre der Tochter, wie hätte man die Mutter übergehen dürfen. So fiel ein heller Lichtglanz von der allerseligsten Jungfrau Maria auf die Mutter Anna, besonders wenn es sich um die unbefleckte Empfängnis handelte. Man konnte davon nicht reden, ohne zugleich der Mutter zu gedenken.

In einer Zeit also, wo die Lehre der unbefleckten Empfängnis Marias immer mehr Anhänger fand und das Fest in stets weiteren Kreisen gefeiert wurde, mußte auch die Verehrung der hl. Anna in gleicher Weise zunehmen. Das war aber der Fall seit dem Ende des 14. Jh. Daher mehren sich auch seit dieser Zeit die bildlichen Darstellungen der hl. Anna, namentlich der Selbdritt, wodurch der Gedanke der unbefleckten Empfängnis einen volkstümlichen und anschaulichen Ausdruck gewann. Indem man die Mutter Anna ehrte, sie im Bild darstellte und ihr Fest feierte, feierte man auch zugleich das Geheimnis der unbefleckten Empfängnis.

Aus dem Gesagten ergibt sich von selbst, weshalb der Franziskanerorden so frühzeitig für die Verehrung Annas eintrat. Als eifriger Verteidiger der Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariä handelte er nur folgerichtig, wenn er fast von dem Beginn seines Bestehens auch die Verehrung der hl. Anna förderte, wie der Beschluß des General-kapitels zu Pisa 1263 zeigt, und wenn Männer wie Albert von Forli oder Bernardin von Busti den Papst Sixtus IV. zur Einführung des Annafestes in die römische Kirche anregten und sich dieser als eifriger Verehrer der hl. Anna erwies.

In Polen ermahnte um diese Zeit der Franziskaner Nikolaus Sokolniki, ein hervorragender Kanzelredner, in jeder Predigt seine Zuhörer zur Verehrung Annas. Als glühender Verehrer der Heiligen starb er auch an einem Dienstag.

Den Zusammenhang der Annaverehrung mit dem Geheimnis der unbefleckten Empfängnis zeigt auch ein damals verbreitetes Ablaßgebet, mit folgendem Wortlaut:

Gegrüßt bist du, Maria, voll Gnaden, der Herr ist mit dir, deine Gnade sei mit mir. Gesegnet bist du unter allen Frauen und gesegnet sei deine hl. Mutter Anna, von welcher geboren ist ohne Sünde und Unreinheit dein heiliger und gütiger Leib, aus welchem geboren ist Jesus Christus. Amen. - Auch hier finden wir wieder die drei Personen, welche die zahllosen Selbdrittbilder darstellen.

Das Gebet ist in die heutige Sprache übertragen. Es heißt auf dem Ablaßzettel weiter: Papst Alexander VI. hätte allen christgläubigen Menschen, die vor dem Bild St. Anna dies oben geschriebene Gebet dreimal sagen, gegeben 10000 Jahr Ablaß tödtlicher Sünden (Sündenstrafen) und 20000 läßlicher Sünden. Das hat er also confirmiert und bestätigt zu Rom, da man schreibt 1494. Deo gratias. Laus Deo. Es finden sich in der angeblichen Konformation einige Verschiedenheiten. Vgl. Schaumkell, Annakultus 22; Falk, „Der Katholik" 1878, 72; Schreiber, Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur metal II, n. 1191, 1195. Das Gebet ist in der vorliegenden Form gewiß fraglich. Vgl. auch Polius, Exegeticon 378, wo bereits auf dessen weite Verbreitung hingewiesen wird.

Dieses Gebet muß damals bei den Gläubigen sehr beliebt gewesen sein, denn es findet sich in dem Gebetbuch „Seelengärtlein" (Hortulus animae) aus den Jahren 1502, 1511, 1512, 1515, 1521. Auch druckte man es auf einzelne Blätter mit dem Bild Anna selbdritt. Solche Blätter klebte man an die Tür, an die Wand und an die Bettstelle. Das Museum in Nürnberg ist im Besitz eines solchen Blattes.

Abgesehen von der gegen Ende des Mittelalters allgemein wachsenden Verehrung der Heiligen, die natürlich auch der hl. Anna neue Freunde zuführte, liegt ein spezieller Grund für ihre Verehrung in ihrer Beziehung zur Schwanger- und Mutterschaft. Von jeher war die kirchliche Gesetzgebung für die Sicherheit des ungeborenen und neugeborenen Kindes eingetreten, und bereits die Synode von Ancyra (314) verhängte strenge Strafen über jene Frauen, welche durch unerlaubte Mittel die Beschwerden der Mutterschaft zu verhindern suchten. Eine besondere Sorge wandte sie den Frauen zu, deren Niederkunft bevorstand. Ohne von anderen Bestimmungen zu reden, sei hier der Erlaß der Synode von Canterbury (1236) erwähnt, welcher bestimmt, daß Frauen vor ihrer schweren Stunde beichten sollten. Die Mutterschaft stand in den Augen der Kleriker und Mönche durchaus nicht in Mißachtung, wie immer noch manche Schriftsteller uns glauben machen wollen. Scheute sich doch Erzbischof Anno von Köln (1056-1075) nicht, nachts für eine obdachlose Frau bei ihrer Niederkunft auf den eigenen Schultern eine Bahre mit Stroh herbeizutragen und für Mutter und Kind zu sorgen. Und es ist rührend zu lesen, wie besorgt und liebevoll der sel. Heinrich Seuse sich eines neugeborenen Kindleins annimmt, obwohl ihm aus dem Leben dieses Kindes die ärgste Schande droht.


Schon im 14. und 15. Jh. verrichtete man von der Kanzel öffentliche Gebete für die schwangeren Frauen. So heißt es in einem Gebet, das von der ganzen Pfarrgemeinde gesprochen wurde: „Item bittet auch um alle schwangeren Christenfrauen, daß ihnen Gott verleihe einen fröhlichen Anblick ihrer Geburt." Und war die schwere Stunde gekommen, betete man schon im 10. Jh.: „O Gott, der du von Anfang an den Menschen schufst und ihm eine Gefährtin gabst, die ihm gleich ist, verleihe dieser deiner Dienerin..., daß sie glücklich und ohne allzu große Schmerzen gebäre."


Bei den unvollkommenen Mitteln der Geburtshilfe nahm man gern zu den himmlischen Helfern seine Zuflucht und bat die hl. Agatha, Katharina, Barbara, Margarete und Anna um Schutz und Hilfe. Und gerade die mit Vorliebe als Mutter Anna bezeichnete Heilige, welche nach der Legende drei Kindern das Leben geschenkt, wurde die viel angerufene Patronin der Frauen, die auf Kindersegen harrten oder sich desselben erfreuten. Einer solchen Patronin bedurften die Frauen in einer so kinderliebenden Zeit, welches Kinder nicht als Last kannte, wie heute.

Dürers Vater hatte achtzehn Kinder von einer Frau, und ebenso viele von mehreren Frauen der Augsburger Chronist Burkard Zink; dem Hans Antaler von Entlebuch (Schweiz) schenkte seine Frau innerhalb dreizehn Jahren neunzehn Kinder; Beispiele, die sich leicht vermehren ließen. Zahlreich sind in jener Zeit Stifterbildnisse wie jene des Ulrich Schwarz von Basel mit zwanzig Kindern, den Holbein 1506 verewigte. Auch erscheinen auf vielen Gemälden aus jener Zeit die Frauen wie im gesegneten Zustand, was mit der häufigen Schwangerschaft zusammenhängen dürfte. Es ist begreiflich, daß die Frauen bei der oft schweren Stunde sich vertrauensvoll an die Heilige wandten, die solche Nöte und Gefahren kennengelernt und darum gewiß zur Hilfe bereit war, wenn man sie vertrauensvoll darum bat. Sie tranken mancherorts Wasser, das zu Ehren der hl. Anna mit vielen Gebeten eigens geweiht wurde.

Hier und da mag auch, wie bereits zur Zeit der Kreuzzüge, der glückliche Erwerb einer Annareliquie dazu beigetragen haben, der Annaverehrung neue Freunde zu gewinnen oder ihr dort, wo sie nachgelassen hatte, neuen Antrieb zu geben. Wurden doch gerade im 15. Jh. zahlreiche Wallfahrten ins Hl. Land unternommen, aus dem die Pilger vielfach mit zahlreichen Reliquien heimkehrten.

Alle überbot in dieser Hinsicht wohl Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, der 1493 in großer Begleitung nach Palästina fuhr und von dort 5005 Reliquien mitbrachte. 1430 überwies Konrad von Tannenroda und seine Gemahlin dem Elisabethkloster in der Niedecke 830 Reliquien, die die Eltern der Geschenkgeber in Jerusalem und dem Hl. Land erworben hatten.


Wenn diese Verehrung auch nicht mehr seine frühere Blüte hat, so erfreut sich die Mutter Anna doch auch heute noch einer großen Beliebtheit beim katholischen Volk. Die Ansicht Kleinschmidts, daß Anna ein Modeheilige war, teile ich nicht. Die Reformation hat noch viel mehr zerstört und hier gilt leider, was der hl. Paulus schreibt:
Wer euch ein anderes Evangelium verkündet, der sei verflucht.”

In Spanien hat ihre Verehrung erst ihren Höhepunkt erreicht, als sie in Deutschland schon erheblich zurückgegangen war. Tausende von Bildern und Statuen der Heiligen aus der Zeit der Renaissance und besonders des Barock, die sich in spanischen Kirchen und Klöstern erhalten haben, reden noch heute laut von dieser Blütezeit ihrer Verehrung. Dasselbe war in Italien und Polen der Fall.


In Polen, wo sich die Franziskaner der Annaverehrung besonders annahmen, widmeten diese vielfach der Heiligen eine besondere Kapelle an ihren Kirchen. Der Franziskaner Nikolaus von Sokolniki (+1521) predigte zu Poznan jeden Dienstag unter großem Zulauf des Volkes über St. Anna. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts dichteten und verbreiteten die Patres volkstümliche Annalieder, die wohl von dem sel. Ladislaus von Gielniow, einem Franziskaner, herstammen. Der von Papst Sixtus V. 1579 zur Erzbruderschaft erhobenen Annabruderschaft zu Warschau gehörten König Sigismund III., der Großkanzler Zamoyski, viele Prälaten und Barone an. Im 17. Jh. war die Bruderschaft, deren Leitung vielfach Franziskaner hatten, fast in jeder Stadt des Reiches verbreitet und tat sich im Kampfe gegen den Protestantismus hervor.

       Inhaltsverzeichnis

11. Kap.
Das Trinubium ANNAS und die Hl. Sippe

Dies klingt für manche vielleicht neu, hat aber seine Gründe, wir noch sehen werden. Legende heißt eigentlich das zu Lesende. Legende ist z.B. die Erklärung einer Landkarte. Johannes erwähnt, daß beim Kreuz Jesu Mutter (Maria) und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleophas stand. Matthäus erwähnt Maria, die Mutter des Jakobus und Joseph und die Mutter der Zebedäussöhne! Johannes verschweigt seine Mutter, so wie er sich auch nur indirekt erwähnt.

Bald nach der Geburt Marias, der Gottesmutter, starb Joachim. Annas sehnlichster Wunsch war es, als Witwe in der Einsamkeit nur für Gott zu leben. Ihre Verwandten rieten zu einer neuen Ehe, denn früher konnte sich eine Frau kaum allein ernähren, zumal es keine Renten gab, sie weigerte sich dessen und floh den Umgang der Menschen. Da erhielt sie durch einen Engel die Verheißung, sie soll die Mutter noch zweier Töchter werden, die gleichfalls den Namen Maria tragen sollten.

So reichte sie Kleophas, dem Bruder Joachims, die Hand zum Bund. Die Frucht dieser Verbindung ist eine Tochter, die auch Maria heißt, und die später mit Alphäus verheiratet wird, deren Söhne die Legende gleichfalls nennt. Es sind Jakob der Jüngere, Judas Thaddäus, Joseph und Simon, der spätere Bischof von Jerusalem. Aber auch Kleophas stirbt bald nach der Geburt seiner Tochter.


Wiederum weigerte sich Anna, eine neue Ehe einzugehen. Aber dem Rat des Engels mag sie nicht widerstehen. Ihr dritter Mann heißt Salome oder Salomas, ihr Kind erhält dem Befehl des Engels gemäß ebenfalls den Namen Maria. Erwachsen, vermählt sich diese mit Zebedäus, ihre Kinder sind Jakobus der Ältere und Johannes der Evangelist. Dies würde auch erklären, warum Jesus seine Mutter Johannes anvertrauen konnte. Da Johannes mit ihnen verwandt war, war es ihm erlaubt mit Maria zusammen-zuleben. Und dies erklärt auch, warum bei der Kreuzigung Maria Kleopas und Maria Salome bei Maria waren und namentlich erwähnt werden.

So war denn Anna die Ahnfrau einer großen hl. Familie geworden. In ihrem Alter kannte sie nur eine Freude, den Umgang mit Gott im Gebet, und widmete sich der Erziehung ihrer drei Töchter. Es konnte nicht ausbleiben, daß sie einen hohen Grad der Heiligkeit erlangte. Die Menschen schauten mit Bewunderung auf die gottliebende Matrone.

Damit ist die Legende nicht zu Ende. Sie nennt auch die Eltern der hl. Anna mit Namen und deren zweite Tochter Esmeria; sie heißen Stollanus und Emerentiana oder, wie andere meinten, Isachar und Susanna. Esmeria (Hismeria) (zuweilen Hysmeria; in irisch-schottischen Handschriften auch Emeria.), die Schwester Annas, so erzählt die Legende weiter, war vermählt mit einem Mann namens Ephraim, ihre Kinder waren Elisabeth und Eliud. Elisabeth heiratete Zacharias und schenkte ihm im Alter Johannes den Täufer. (Namen ändern sich in der Sprachen: Johannes = Jean - John - Ivan - Juan - Giovanni - Ian usw.)

Eliud hatte als Gattin Emerentia, ihr Sohn war Enim und ihr Enkel Servatius, der spätere Bischof von Lüttich, Maastricht und Tongern.
           Übersicht dieser Genealogie:

Diese Genealogie findet sich im wesentlichen schon in der Goldenen Legende des Dominikaners Jakob de Voragine (+1298) und wurde dadurch Gemeingut des katholischen Abendlandes. Einen Hinweis haben wir in der Hl. Schrift selbst zu sehen, welche von den „Brüdern" Jesu und von den „Schwestern" seiner Mutter spricht. Die Legende hat hier ergänzt, was das Evangelium im einzelnen verschweigt. Sie bietet uns ein interessantes Register der Verwandtschaft Jesu, welches bei Bildern und anderen Kunstwerken im späteren Mittelalter eine große Rolle spielt, und sie ermöglichte es, die Apostel Jakobus, Judas Thaddäus und Johannes als wahre Vettern Jesu anzusehen.

Von Emerentiana, der Mutter Annas, berichtet der deutsche Karmelit Peter Dorland folgendes: 77 Jahre vor der Menschwerdung Christi lebte in Judäa eine Jungfrau aus dem Geschlecht Davids, die sehr reich und von wunderbarer Schönheit war; sie brannte vor Verlangen nach der Ankunft des Erlösers. Mit Erlaubnis ihrer Eltern besuchte sie häufig die Propheten auf dem Karmel, von denen sie in der Wissenschaft des Heils unterrichtet wurde. Als sie in das heiratsfähige Alter getreten, wünschten ihre Eltern, daß sie eine Ehe eingehe. Emerentiana hatte sich aber schon so sehr mit dem Gedanken steter Jungfräulichkeit vertraut gemacht, daß sie zu den Karmelitern eilte und ihnen die Sache vortrug. Da diese mit Fasten und Gebet Gottes Willen zu erkennen suchten, wurden drei von ihnen verzückt, und sie erblickten eine sehr schöne Wurzel, aus der ein doppelter Baum hervorging, von denen der eine einen prachtvollen Zweig mit drei kleinen Zweigen trug. Das erste Zweiglein trug eine Blume von wunderbarem Geruch und köstlicher Pracht, wovon Himmel und Erde angefüllt wurden. Auch die beiden anderen Zweiglein trugen Blüten, die an sich zwar sehr schön, im Vergleich mit der ersten aber nichts waren. Desgleichen ging aus dem zweiten Baum ein schöner Zweig mit prächtiger Frucht hervor, die aber hinter der ersten weit zurückstand. Zugleich ertönte eine Stimme: Diese Wurzel ist unsere Emerentiana, welcher eine große Nachkommenschaft beschieden ist. Da die Jungfrau diese Vision erfuhr, gehorchte sie Gott und den Eltern und reichte dem Stollanus die Hand zur Ehe, aus welcher zwei Töchter hervorgingen, Esmeria und Anna.

Das griechische Kalendarium (Synaxarium) aus dem 11. Jh. kennt noch eine dritte Schwester Annas mit Namen Sobe. - Es folgt dann die Legende über das Leben Annas, wie wir es eben erzählt haben.

Die Legende von der dreimaligen Heirat Annas oder das Trinubium hat sich nicht, wie man vielfach annimmt, erst gegen Ende des Mittelalters gebildet, auch wurde sie nicht erst durch die Goldene Legende des Jakob de Voragine verbreitet. Ihr Ursprung reicht weit höher hinauf. Sie ist bereits dem Haymo von Halberstadt (+853) bekannt, der sie in seinem Auszug der hl. Geschichte mit denselben Worten erzählt wie das spätere Mittelalter; doch hat auch er dies von anderen übernommen, „welche (die Genealogie) genauer untersucht haben”. Wir führen seine Worte an, um zu zeigen, wie wenig das späte Mittelalter hinzugefügt hat. „Maria, die Mutter des Herrn, und Maria, die Mutter des Jakobus, des Bruders Christi, und die andere Maria... waren Schwestern, welche von verschiedenen Brüdern gezeugt, aber von derselben Mutter, nämlich Anna, geboren waren. Anna heiratete nämlich zuerst den Joachim und gebar ihm Maria, die Mutter des Herrn. Nach dem Tod Joachims heiratete sie Kleophas und schenkte einer zweiten Maria das Leben, welche im Evangelium Maria Cleophä genannt wird. Kleophas hatte einen Bruder Joseph, dem er seine Stieftochter, die hl. Jungfrau Maria vermählte, seine eigene Tochter aber gab er dem Alphäus zur Gattin, welche die Mutter des Jakobus Minor und eines zweiten Joseph wurde. Nach dem Tod des Kleophas heiratete Anna einen dritten Mann, nämlich Salome, und gebar eine dritte Maria, die dem Zebedäus vermählt wurde; ihre Söhne waren Jakobus der Ältere und Johannes der Evangelist."

Diese Meinung, welche schon zur Zeit Haymos Verbreitung gefunden hatte, blieb freilich nicht unwidersprochen, da Bischof Fulbert von Chartres mit Eifer die einmalige Heirat Annas verteidigte. Indessen Fulberts und seiner Gesinnungsgenossen Ansicht drang nicht durch. Trat doch später sogar ein so nüchterner und angesehener Mann wie der Sentenzenmeister Petrus Lombardus für die Dreiheirat ein. Indem er sich die Frage stellt, warum Jakobus usw. Brüder des Herrn genannt werden, sucht er die Schwierigkeit durch die Erzählung von dem Trinubium Annas zu lösen und schließt sie mit dem kurzen Wort: „Anna hatte also drei Männer und drei Töchter." Nicht weniger als Petrus Lombardus trug der Pariser Lehrer und Viktoriner Petrus Comestor (+1179) dazu bei, den Glauben an das Trinubium bei Klerus und Volk zu verbreiten, indem er es in seine Historienbibel aufnahm, einem der meist gelesensten Bücher des Mittelalters; im 13. Jh. heißt sein Verfasser einfach hin Magister historiarum, und die Universität Paris führt es 1286 unter den offiziell taxierten Büchern auf.

Diese beiden hervorragenden Lehrer entschieden damit für das ganze Mittelalter die Frage nach dem Trinubium Annas; es schlossen sich ihnen z. B. an Hugo von St. Viktor, der hl. Albert der Große, Vincenz von Beauvais, Ludolph von Sachsen, Jakob von Voragine, Gerson. Eck konnte also später nur mit Unrecht behaupten, der Glaube an die einmalige Heirat Annas verstoße gegen den Glauben der Kirche. Zu den wenigen, die sich gegen die Dreiheirat aussprachen, gehört u. a. der hl. Thomas von Aquin, und bereits im 9. Jh. der bulgar. Bischof Theophylakt, und der griech. Mönch Euthymius Zigabenus (+nach 1180).

Man faßte die Familie der hl. Anna in Gedächtnisversen zusammen, von denen der folgende einer der bekanntesten und kürzesten ist:

 

Anna tribus nupsit: Joachim, Cleophe, Salomeque.
Maria genuit Joseph, Alphei, Zebedei
Prima Deum Joseph, Jacobum, Judam Symonemque
Altera, Postrema Jacobum genuitque Johannem.

Max Förster konnte nicht weniger als zwölf verschiedene metrische Fassungen der Legende bringen, von denen allerdings schon Chevalier und Giov. Pesenti acht verzeichnet haben. Sie zählen vier bis zwölf Hexameter. Die längsten sind die ältesten und gehen bis ins 11. Jh. zurück; erhalten sind sie in Rouen und in Semur; in Oxford aus dem Anfang des, 12. Jahrhnderts..

Bei der großen Verbreitung, welche die Legende schon frühzeitig gefunden hat, darf man sich nicht wundern, daß sie auch in die Liturgie in Brevier und Missale, Eingang fand. Italien ging hierin voran, italienische Handschriften liefern den Beweis, daß man dort bereits im 13. Jh. keinen Anstoß daran nahm, die Dreiheirat der Mutter Anna in den liturgischen Gebeten zu feiern. So heißt es in einem Hymnus:

 

4. O germen beatum
Ex te propagatum
5. Prima parit Deum
Secunda Alphaeum

Trium matronarum
Vere beatarum.
Per tetrarchos ditat
Terna duos litat.

Die Handschrift, die uns diesen Hymnus überliefert hat, stammt aus einem Benediktiner-kloster zu Brescia. Nicht weit davon entstand ein anderer Hymnus, der die Dreiheirat erzählt, von Origo Scaccabarozzi, Erzpriester in Mailand (+1292), der also singt:

  2. De civitate Bethlehem
Ex Nazareno Joachim
3. Cleophae dat et Salomae
Quae pariunt apostolos
Haec Jesu matrem generat
Quo lex sancta confoederat.
Duas Marias nomine
Sorores nostrae dominae.
(9 Strophen!)

Es wäre aber weit gefehlt, die Aufnahme der Legende in das liturgische Officium einer gewissen freieren italienischen Auffassung zuschreiben zu wollen, denn wir finden das Trinubium auch in den liturgischen Büchern Deutschlands und Skandinaviens. In einem Reimofficium zu Lübeck aus dem 14. Jh. lautet die zweite Antiphon zur 1. Vesper:

  Anna de prosapia regum oriunda
Tres in Christo ducens viros per quos fit fecunda.
Tres filias genuit mundo laetabunda.

Dieses Offizium erfreute sich im Norden anscheinend einer großen Beliebtheit; denn wir finden es außer in Lübeck auch in Rostock, Schwerin, Osnabrück, Liesborn (Münster).

In Schweden, wo die Verehrung der hl. Anna frühzeitig zu hoher Blüte gelangte,feierte Bischof Hermann von Linköping das Trinubium der hl. Anna in einer Sequenz mit folgenden Worten: Magis felix Annae progenie De qua natae Tres sanctae filiae Clara gignunt sidera Astraque stellifera.

Natürlich kennt Bischof Hermann auch die Kinder der zweiten und dritten Maria, denen folgende Strophen gewidmet sind:

  Hinc Maiorem Maria Jacobum
Sequens parit Johannemque probum
Qui Christi mirificum
Scripsit evangelium
Justum parit Jacobum altera
Joseph, Judam Simonem socia
Viros apostolicos Virtute magnificos.

Zuweilen scheint es zwar, als habe einer der mittelalterlichen Hymnendichter das Trinubium nicht gekannt oder sich gescheut, es in die Liturgie einzuführen; so erwähnt der Zisterzienser Konrad von Lilienfeld in Österreich (+1332) in einem Reimofficium, das die ganze Legende der hl. Anna erzählt, ihre Dreiheirat mit keiner Silbe. Indes singt er in einem „Rhythmus" auf die hl. Anna, daß sie drei Marien empfing:

  2. Ave, tu quae concipis, Anna, tres Marias,
Cunctis per hoc proficis His ut salus fias
Inclinor, si despicis Me ad mortis vias
Hinc funde, nam sufficis Preces pro me pias.
  In einem Reimgebete aus Lehnin heißt es (15. Jh.):
  14. Sidus tu es, quod lucernas Saeculo donavit ternas
Natas dum genueras Dignior vero duabus
Est Maria filiabus Quam amavit Trinitas.


Das Brevier von Apt, welches 1532 zu Lyon gedruckt wurde, also nachdem bereits die literarische Fehde über diese Frage stattgefunden hatte, enthält in dem Hymnus Ad honorem Dei patris auf das Fest Inventio s. Annae noch folgende Strophen:

  5a. Anna mater tres maritos Virtutibus insignitos Habuisse creditum.
6a. Haec Joachim, sponso primo Post Cleophae datur bino Salomaeque tertio.
7a. Prima soror Joseph nupta Virgo manens incorrupta Per aeterna saecula.
8a. Naturali suo more De Jacobo fit minore Praegnans soror altera.
5b. Et de tribus tres Marias Sanctitate plenissimas Peperisse legitur.
6b. Istos trinos genitores Habuerunt tres sorores Divino iudicio.
7b. Desponsata et Alphaeo Bina, trina Zebedaeo Coniugali copula.
8b. Sed maiorem trina fudit Et Johannem non excludit Felix haec puerpera.

Ob die Legende schon im 12. Jh. in die Liturgie Eingang gefunden hat, vermag ich nicht zu sagen. Unter den wenigen Reimgedichten bzw. Sequenzen, welche die Analecta hymnica aus diesem Jahrhundert bringen, findet sich keines, das auf das Trinubium anspielt. Obige Beispiele ließen sich leicht vermehren, aber sie dürften genügen, um zu zeigen, welch große Verbreitung unsere Legende auch in den liturgischen Büchern gefunden hat.

Auch in der volkssprachlichen Literatur hat die Legende vom Trinubium ihren Niederschlag gefunden. Namentlich scheint das in Nordfrankreich mit seiner starken Annaverehrung der Fall gewesen zu sein. So hat der bereits früher erwähnte Normanne Wace (+vor 1183) seiner Vie de la Vierge Marie einen Abschnitt über die „Histoire de Trois Maries" beigefügt. Pierre de Beauvais aus der Pikardie dichtete zu Beginn des 13. Jahrhunderts 140 Verse über „Die drei Marien". Und Gautier de Coinci (+1236), schrieb die Genealogie Notre-Dame mit derselben Legende. Ein Karmeliter zu Paris namens Jean de Venette machte unsere Legende zur Grundlage eines 1357 vollendeten Gedichtes, das 35.000 Verse umfaßt.

Ein Engländer hat dann in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Anschluß an das „Marienleben" von Wace die Trinubium-Legende seiner Versenzyklopädie der hl. Geschichte einverleibt, die er in nordenglischer Sprache unter dem Titel Cursor Mundi verfaßt hat. Kurz darauf entstand eine mittelniederländische dichterische Bearbeitung der Legende in dem Reimgedichte Van onser vrouwen geschlacht, das als Fragment im Stadtarchiv von Oudenarde liegt. Selbst eine altisländische Prosafassung der Legende hat sich in einer Prachthandschrift vom Jahre 1387 erhalten, die im westlichen Island auf dem Gutshof Narfeyri unweit des Augustinerklosters Helgafeld entstanden ist.

Die Geistlichen haben an der Dreiheirat der hl. Anna offenbar nicht den geringsten Anstoß genommen, noch viel weniger die Laien, andernfalls würde man sie nicht so oft in Hymnen besungen und auf Bildern dargestellt haben. Selbst ein so bedeutender Prediger wie Veghe zu Münster i. W. trug kein Bedenken, von der Dreiheirat Annas in der Predigt zu sprechen und ihre beiden anderen Töchter und deren Kinder zu erwähnen. Gegen Ende des Mittelalters wurde der Widerspruch, der nie ganz verstummt war, von theologischer Seite stärker. Man hielt es für ungeziemend, daß Anna nach der unbefleckt empfangenen Tochter noch zweimal einen Ehebund eingegangen und ein mit Erbsünde empfangenes Kind geboren habe...

Nicht so ungläubig war die hl. Coleta, die Generaläbtissin und Erneuerin des Klarissenordens, welche 1447 zu Gent starb und 1807 heiliggesprochen wurde. Da sie einmal wieder mit großer Inbrunst dem Gebet oblag, erschien ihr die hl. Anna mit ihrer Nachkommenschaft. Maria führte das Jesuskind an der Hand, Maria Jacobi nahte sich ebenfalls mit ihren Kindern, ebenso Maria Salome. Anna bestätigte der Heiligen die Wahrheit ihrer dreimaligen Heirat; durch ihre zahlreiche Nachkommenschaft habe sie Erde und Himmel erfreut, und darum sei sie besonderer Verehrung würdig. Coletas Andacht zur hl. Anna wurde infolge dieser Erscheinung noch größer und sie suchte ihre Verehrung auch bei anderen zu verbreiten; zu Besançon widmete sie ihr eine Kapelle.

Wichtigere Fragen drängten indes den Streit um das Trinubium bald in den Hintergrund und ließen ihn in Vergessenheit geraten, nachdem manche Gelehrte für die Dreiheirat sehr unklug wie für Haus und Hof gekämpft hatten. Es war nicht ohne Wirkung gewesen. Der Glaube an die Dreiheirat verlor immer mehr Anhänger. Namentlich Männer wie Salmeron, Suarez, Bellarmin und Baronius sprachen sich nachdrücklich dagegen aus. Auch Petrus Canisius lehnte das Trinubium ab.

Der Glaube an die dreimalige Heirat Annas wurde fast vergessen, bis Klemens von Brentano die Offenbarungen der sel. Anna Katharina Emmerick herausgab. Diese Zusammenhänge erklären auch, warum Maria Kleopha und Maria Salome bei Maria unter dem Kreuz standen und eigens im Evangelium erwähnt werden. Weiterhin wird auch klar, warum Jesus seine Mutter dem Johannes anvertrauen konnte. Dies war nur möglich, weil er mit ihr verwandt war, denn ein Zusammenleben, wie heute, wäre damals unmöglich gewesen. Auch die stigmatisierte Resl von Konnersreuth sagt, wie Kard. Karl Kaspar von Prag im Benediktusboten 1935/36 S. 312 berichtet, daß Anna dreimal verheiratet war und daß die hl. Familie vor der Flucht nach Ägypten die Mutter Anna mit dem Jesuskind noch besucht hat.

           Die Hl. Sippe

Aus der Selbdritt ging die hl. Sippe hervor. Man bezeichnet mit diesem Wort kunstgeschichtlich die Darstellung der näheren oder entfernteren Verwandtschaft Annas. Zu Anna mit Maria fügte man zunächst ihren Mann Joachim oder auch ihre drei Männer und ferner den hl. Joseph; es waren also zwei Frauen und vier Männer; letztere stehen gewöhnlich, während erstere auf einer Bank sitzen. Auch die beiden anderen Töchter Annas, entweder allein oder mit ihren Männern, zu denen wohl noch die Kinder kommen, wurden nicht selten hinzugesellt. Es ergaben sich so bereits vier Frauen, sechs Männer und sieben Kinder, also neunzehn Personen. Damit begnügten sich manche noch nicht; sie fügten noch die Eltern Annas oder ihre Schwester Esmeria mit deren zwei Kindern hinzu, ferner die Eltern des Johannes den Täufer, und schließlich finden sich auch noch die letzten Sprößlinge der Familie Memelia und Servatius ein, so daß sich eine ganz große Familie ergibt, fast dreißig Personen. In dem bei uns üblichen Ausdruck „heilige Sippe" kommt die Ahnfrau dieser großen Familie nicht genug zur Geltung; richtiger bezeichnet man sie daher in den romanischen Sprachen als „Anna und ihre Familie".

Entwicklungsgeschichtlich liegen die Verhältnisse allerdings wohl anders. Die ersten Ansätze zur Bildung der hl. Sippe wurden nicht durch Hinzufügen der Männer gemacht, sondern, wie es scheint, durch Beigabe der beiden anderen Töchter Annas und deren Kinder. So auf einem Fresko der Karmeliterkirche zu Hirschhorn am Neckar. Anna ist als Hauptperson hervorgehoben, neben ihr stehen die drei Marien und zu diesen gesellen sich ihre Kinder, wie in einem Reigen. Die Gründung der Kirche fand 1406 statt, bald darauf dürfte auch das Gemälde entstanden sein. Das ist dasselbe Jahr, in welches die Vision der hl. Coleta Boilet, der Erneuerin der Klarissenklöster, fällt, der man die Entstehung des Glaubens an das Trinubium Annas zugeschrieben hat; dieser Glaube war, wie wir gesehen, bedeutend älter, daher gab es zweifellos auch bereits vor 1406 Darstellungen der hl. Sippe.

Indem wir im folgenden die geschichtliche Entwicklung des Sippenbildes, d. h. das Anwachsen der Personen berücksichtigen, können wir folgende Stufen unterscheiden.

Eine Vorstufe zum Sippenbild zeigt uns ein Altargemälde aus Gadebusch (im Museum zu Schwerin) mit Maria und dem Kind in der Mitte, links steht Anna und hält dem Kind einen Apfel entgegen, nach dem es greift, rechts steht Joachim mit einem Lamm. Das Museum zu Donaueschingen besitzt ein Gemälde aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts mit denselben hl. Personen, die auf einer Bank sitzen; aber hier reicht nicht Anna, sondern Joachim den Apfel, was als seltene Ausnahme anzusehen ist. Von einer wirklichen Sippendarstellung kann man hier eigentlich noch nicht reden.

Der Sippenbegriff findet erst richtig Anwendung auf jenen Darstellungen, die außer Joachim auch den hl. Joseph auftreten lassen, was die Plastik ohne Schwierigkeit künstlerisch ausführen konnte. So z.B. auf dem Annaaltar im Münster zu Freiburg. Anna und Maria sitzen im Schrein mit dem Kind, das von der Mutter zur Großmutter hinüberstrebt; hinter Maria steht Joseph, hinter Anna der greise Joachim. Die gleiche Darstellung zeigt ein Gemälde (um 1480) in der Kirche St. Jean de Joigny in L'Yonne, nur sieht man oberhalb der Selbdritt das Brustbild Gottvaters und die Taube des Heiligen Geistes, also mit dem Kind Jesus die heiligste Dreifaltigkeit.

Bei einer prächtigen niederrheinischen Plastik des 15. Jahrhunderts der (ehemaligen) Sammlung Oppenheim, Köln, sitzen Anna und Maria einander zugewandt auf einer Bank mit schräger Lehne. Anna hält das Kind auf dem Knie, hinter ihr steht Joachim, hinter Maria Joseph, sie schauen dem Spiele des Kindes zu. Aus der Holzschnittkunst, die sich das beliebte Motiv natürlich nicht entgehen ließ, erwähnen wir ein Bild von Hans Burgkmair, der besonders St. Anna prächtig herausgearbeitet hat.

In der gleichen maßvollen Auswahl der Personen bewegen sich auch Altäre, wie jener in der Heiligkreuzkirche zu Gmünd, in dessen Schrein neben Anna selbdritt Maria Cleophä und Maria Salome mit je einem Kind sitzen. Darunter ruht Jesse, aus dessen Brust ein Baum hervor wächst, der sich nach zwei Seiten teilt, den Altar umschlingt und in seinen Zweigen 30 Vorfahren Christi trägt.

Auf den engeren Familienkreis beschränkten sich auch jene Künstler, die außer Joachim noch die beiden anderen Männer Annas auftreten lassen. So tat es Anton Woensam von Worms (+1541) auf einem Bild bei Freiherrn Heil zu Herrnsheim (Worms); hinter Maria mit Jesus steht Joseph, hinter Anna Joachim, Kleophas und Salome. Auch Woensam läßt in der Höhe die beiden anderen göttlichen Personen erscheinen; über der Schulter Gottvaters schwebt die Taube des HI. Geistes. Hinter Anna breiten Engel einen Teppich aus. Eine schlichte Komposition dieser Art besitzt u. a. auch das Kaiser-FriedrichMuseum aus der Ulmer Schnitzschule.

Eine weitere Stufe der Entwickelung ist es, wenn auch die Schwiegersöhne Annas, d. h. die Männer der Maria Cleophä und Maria Salome nebst deren Kindern, also den Enkelkindern Annas, hinzugefügt werden. Dieses ist z.B. der Fall auf einem Gemälde des Quentin Massys in der Kgl. Galerie zu Brüssel. Die hl. Personen haben vor einem dreigeteilten Bogen Platz genommen, der den Durchblick auf die dahinterliegende Gebirgslandschaft gestattet. Vor dem mittleren Bogen sitzen auf einer durchgehenden Bank Anna und Maria mit dem bekleideten Kind, dem die Großmutter eine Traube reicht. Etwas tiefer, wie es der Abstand in der Rangstufe erfordert, sitzen links Maria Cleophä mit ihren vier Söhnen Jakob dem Jüngeren, Joseph, Simon und Juda; einer reicht der Mutter eine Blume, zwei lesen gemeinsam in einem Buch, der vierte beschäftigt sich allein; ihnen entspricht links Maria Salome mit dem kleinen Johannes Evangelist und Jakob dem Älteren; hinter der Bank stehen die Männer dieser vier Frauen, also von links nach rechts Alphäus, Joseph, Joachim und Zebedäus.

Sechs Männer sehen wir auf dem Gemälde eines westfälischen Meisters vom Jahr 1473. In dem geräumigen Schiff einer gotischen Kirche hat Anna auf einem hohen, breiten Thron Platz genommen; sie legt beide Hände auf die Schultern der vor ihr sitzenden Maria, welche mit der Linken das unbekleidete Kind umfaßt und in der Rechten eine Traube hält. Auf den Stufen des Thrones sitzen in weiten, eckig gebrochenen Gewändern Maria Salome und Maria Cleophä mit ihren Kindern, das jüngste auf dem Arme haltend bzw. ihm die Brust reichend; Jacobus maior, Simon, Judas, Jacobus minor vertreiben sich die Zeit mit Spielen auf dem Fliesenboden. Hinter und neben dem Thron stehen die sechs Männer Jachem (Joachim), Joseph, der Maria eine Blume reicht, Zebedäus, Salome, Kleophas. Das sehr sauber gearbeitete Werk gehört zu einem Annaaltar in Maria zur Wiesen in Soest. Erwähnt sei das Gemälde des Niedersachsen Hans Raphon um 1500, das als Längsbild von unten bis oben mit 16 Personen gefüllt ist; ferner das Gemälde des Gert van Lon (Geseke, erwähnt 1505-21), der die Kinderschar glücklicher wie manch anderer verteilt hat und Anna ruhig in ihrem Buch lesen läßt. Ein etwas infacher Holzschnitt eines unbekannten Meisters von 1500 mit sechs Männern, vier Frauen und sieben Kindern, die ihren Namen teils im Nimbus, teils auf Schriftbändern tragen, entsprach gewiß dem volkstümlichen Empfinden.

Die Mitglieder der Familie werden immer stärker vermehrt, der Kreis immer weiter gezogen, bis man über 20 Personen auf einem Bild vereinigt. So besitzt die Propsteikirche zu Dortmund ein Sippenbild der Brüder Viktor und Heinrich Dünwegge vom Jahr 1521 mit 25 Personen. Mit richtigem Blick haben die beiden Künstler, deren Werkstätte den Niederrhein und Westfalen mit zahlreichen Altargemälden versehen hat, Maria mit Jesus als Mittelpunkt gewählt, sie allein ist auch nicht mit einer Inschrift versehen, was der westfälische Meister noch getan hat.

Links sitzt mit einem Buch Anna, umgeben von ihren Männern Joachim, Kleophas und Salomas, es schließen sich an Zebedäus und Alphäus und deren Frauen Maria Salome mit Johannes Evangelist auf dem Schoß und Jacobus maior, der mit einem Vögelein spielt, ferner Maria Cleophä mit Judas Thaddäus und Joseph dem Gerechten, der von Jacobus minor ein Kirchenmodell empfängt, und Simon, der in einem Buch liest. Rechts von der thronenden Maria sieht man Joseph, neben diesem stehen Elisabeth mit Johannes Bapt. und Joachim, ihr Bruder Eliud und ihre Mutter Esmeria, ferner Emyne und Memelia mit Servatius. Hier haben wir also die große Sippe der hl. Anna mit ihren Ahnen, Verwandten und Nachkommen auf einem Bild vereinigt. Stifter des Bildes wie des Altares war ein Dominikanerprior, der sich mit dem Spruchband abbilden ließ: Salvator mundi, miserere nobis. Das glänzende Werk, das zahlreiche Porträtköpfe zeigt, hat wohl die höchste Zahl der Sippenmitglieder.

Die Kinder auf den Sippenbildern tragen zu ihrer Kennzeichnung manchmal die Werkzeuge, womit sie später gemartert wurden, oder andere Symbole, z. B. auf dem oben erwähnten Bild von Raphon - Jacobus d. Ä. die Walkerstange, Simon eine Säge, Judas eine Keule; Jacobus auch wohl eine Muschel, eine Reisetasche, oder er spielt mit einem Pferdchen oder reitet auf einem Stecken, da er später in Spanien bei den Maurenkämpfen als Reiter in den Lüften erscheint. Johannes Ev. schreibt in einem Büchlein, Servatius trägt eine Mitra.

Es ließen sich zahlreiche Beispiele ähnlicher Darstellungen anführen. Genannt sei zunächst ein kleines Sippenbild (um 1430) im Museum zu Darmstadt, gleichfalls mit Maria und dem unbekleideten Kind in der Mitte vor einem Teppich sitzend, zu beiden Seiten Anna mit einem Buch und Elisabeth mit Klein Johannes, der das Jesuskind verehrt. Hinter dem Teppich werden rechts und links von dem Kopf Mariens nicht weniger als neun Männer sichtbar, alle durch Schriftbänder bezeichnet. Im Vordergrund sitzt u.a. Servatius in bischöflicher Kleidung und mit einem Schlüssel.

Auch auf dem Ortenberger Altar, jetzt in Darmstadt (um 1420), erscheint Servatius als ergrauter Bischof, während er sonst vielfach als Kind dargestellt ist. Besonders in Tongern, wo er Bischof war, und den davon beeinflußten Gebieten liebte man es, ihn in seiner bischöflichen Würde darzustellen. Die Legende macht ihn zum Urenkel der Esmeria, Schwester Annas und Mutter Elisabeths. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts nahm seine Verehrung einen neuen Aufschwung. 1403 stiftete der Herzog von Bayern der Kirche zu Maastricht eine Silberbüste des Heiligen, deren Sockel mit Reliefs das Museum zu Hamburg bewahrt. War er der Sohn/Enkel Esmerias, so konnte man ihn ohne Schwierigkeiten auf den Sippenbildern anbringen, er galt dann ja als der Oheim des Johannes des Täufers; als Urenkel Esmerias aber war er jünger als dieser. Da auch sonst noch kirchliche Beziehungen zwischen dem Mittelrhein und den Niederlanden sich nachweisen lassen, so ist die Vermutung begründet, daß seine Darstellung als Bischof von dort beeinflußt worden ist.

Eines der frühesten und schönsten Beispiele dürfte der Altar dem hessischen Städtchen Ortenberg sein, der in das Museum zu Darmstadt gelangte und der dem mittelrheinischen Kunstkreis um 1420 angehört. Maria, mit der Krone auf dem lang herabfließenden Haar feierlich in der Mitte thronend, umfaßt mit der Linken das unbekleidete Kindlein, das von Elisabeth geherzt und von Klein Johannes verehrt wird, während sie von der hl. Agnes eine Lilie entgegennimmt. Den Ehrenplatz zu ihrer Rechten hat die in einem Buch lesende Anna inne, neben welcher der erst wohl später eingeschobene Kopf Joachims sichtbar wird. Es folgen weiterhin links durch Nimbeninschriften gekennzeichnet „maria alpheus" mit gefaltenen Händen und „maria kleophae" mit ihren Jüngsten auf den Armen, während die beiden älteren Kinder zu ihren Füßen sich beschäftigen; in der unteren Reihe schließt sich die mit ihren Kindern Jacobus maior und Johannes evangelista beschäftigte „maria salome" an. Auf der anderen Seite kniet Barbara mit Kelch und Turm und blickt freudig und gläubig zur Gottesmutter empor, während Katharina einen Kranz windet und zu den musizierenden Engeln hinüberschaut. Über ihnen sitzt die fleißige „soror sancte Anne" und ihr Urenkel Servatius als ergrauter Bischof.

Von süddeutschen Darstellungen sei ferner noch genannt ein Gemälde von Sebastian Schel (+1536) zu Innsbruck, das außer Joachim auch die beiden anderen Männer Annas zeigt, Kleophas und Salomas, die unmittelbar hinter ihr stehen. Joseph, allein barhäuptig und greis, wendet sich der kleinen Maria zu. Auffällig ist, daß die Kinder alle auf dem Schoß der Mütter Platz gefunden haben, auf den Knien von Maria Cleophä sitzen nicht weniger als vier, alle mit Schriftbändern versehen, das Schriftband von Joseph dem Gerechten liegt auf den Armen seines Vaters Kleophas. Die eng zusammengedrängten Männer erscheinen steif und mit leblosem Blick, fast alle wenden sich mit mehr oder weniger großer Aufmerksamkeit den beiden Hauptfiguren in der Mitte zu, der gekrönten Mutter Gottes und dem unbekleideten Kindlein.

In Kärnten sei genannt eine hl. Sippe von Simon von Taisten aus der Brixener Schule (vor 1520); in der Mitte Anna und Maria mit Kind, neben ihnen drei andere sitzende Frauen, hinter ihnen acht Männer und ebenso viele Kinder.

Über diesen Familienkreis geht ein Gemälde in der Sebalduskirche zu Nürnberg weit hinaus, ein Epitaphiumsbild des Johannes Löffelholz (+1504). Auch hier finden sich in der Mitte Anna und Maria, auf deren Knie das unbekleidete Kind steht; rechts von Anna deren Männer, links St. Joseph. Neben Anna sitzt Maria Cleophä mit ihren Söhnen, und hinter ihr steht ihr Mann Alphäus, rechts Maria Salome mit ihren Kindern und Zebedäus. Soweit haben wir dieselben Personen wie auf dem vorher beschriebenen Bild. Es kommen hinzu hinter Maria Cleophä noch Esmeria und Elisabeth mit ihrem Johannes auf dem Arme, hinter Maria Salome noch Eliud, Memelia mit dem kleinen Servatius, der einen Mann mit Namen Emineo (Emiu) anfaßt. Die beigefügten Namen ermöglichen es auch hier, die einzelnen Personen kennenzulernen.

Zu diesen Mitgliedern der näheren und entfernteren Verwandtschaft Annas kommen zuweilen auch die königlichen Ahnen des Geschlechts Mariä. So sind in der Predella eines der glänzendsten flämischen Altäre, des Sippenaltares in Ureden (Westf.), der u. a. auch Emiu mit seiner Frau Memelia und ihrem Sohn Servatius (mit Mitra) zeigt, im Hintergrund Aaron und David angebracht, als Zeichen, daß Christus seinen Ursprung aus priesterlichem und königlichem Geschlecht ableitet.

Nicht selten ahmt man auch den beliebten Baum Jesse nach, um die Abstammung von Anna und Joachim darzustellen, oder man nimmt die beiden Eltern direkt unter die „Ahnen Christi" auf. Eine schöne Nachahmung des Jessebaumes birgt ein Altar in der Kirche Saint Sauveur zu Brügge. Anna sitzt auf einem Stuhl, aus dem ein Baum hervorwächst; die Zweige haben Blumen, deren oberste Maria mit ihrem Kind trägt. In den Blumen zu beiden Seiten haben ihre beiden Schwestern mit den Kindern Platz gefunden, unten sind die übrigen Verwandten angebracht, wie wir sie aus den Sippendarstellungen kennen. Die Figuren sind durch Schriftbänder näher bezeichnet.

Diese Darstellung ist nicht vereinzelt. Auf einem Glasgemälde in der Kirche S. Vincent zu Rouen (Anfang des 16. Jahrhunderts) sieht man einen Baumstamm, der sich in mehrere Zweige teilt, die Zweige tragen die ganze Nachkommenschaft Annas, ihre drei Töchter und sieben Enkel. Die Gottesmutter mit dem Kind nimmt natürlich den Ehrenplatz ein. Es ist wie eine Illustration zu einem Hymnus des 15. Jahrhunderts, in dem es heißt: „Anna, die fruchtbare Wurzel, der heilbringende Baum, die du einen dreifachen Zweig hervor-gebracht hast, beladen mit sieben Früchten."

Der „Meister des hl. Blutes" schuf um 1525 ein Gemälde für die Franziskanerkirche in Brügge (jetzt in Saint Jacques), das Joachim und Anna und zwischen ihnen Maria mit dem Kind Jesus darstellt. Aus der Brust Annas geht ein Baumzweig hervor; unten sieht man Jesse und vier Propheten. Eine ähnliche Darstellung befindet sich in der Eremitage zu St. Petersburg.

Eine der schönsten Darstellungen dieser Art verdanken wir dem Augsburger Meister Adolf Dowher in dem 1522 für die Annakirche zu St. Annaberg in Sachsen gebauten Altar, der ganz aus Solnhofer Stein errichtet ist und 3000 Gulden kostete. Er zeigt in der Predella die kräftige, ruhende Gestalt des Jesse, aus dessen Brust ein Baum hervorgeht, an den sich im Altar zahlreiche Zweige und Blütenkelche ansetzen. Die zwei obersten Kelche tragen Maria mit dem Jesuskind, Klein Johannes und den hl. Joseph. Der Blumenkelch, auf welchem Maria kniet, wird getragen von Zweigen, die aus der Brust Annas und Joachims hervorgehen. Darunter sind die Ahnen Annas und Marias angebracht, nämlich David, Salomon und andere Könige. Links Jojade, aus dessen Brust ein Zweig hervorwächst, der Maria Cleophä und ihren Mann trägt, denen wiederum aus der Brust Zweige wachsen, die vereinigt ihre vier Kinder halten. Ähnlich auf der anderen Seite Sombabel, Maria Salome, ihr Mann und ihre beiden Kinder. Hier haben wir also den Baum Jesse in Verbindung mit der hl. Sippe, wie er kaum vollständiger gedacht werden kann. Die Figuren sind lebhaft bewegt, in die Modetracht gekleidet und mit stets wechselnder Kopfbedeckung versehen. Die Köpfe sind individuell behandelt, aber mit weltlichem Ausdruck. Das ganze Werk zeugt von der großen technischen Fertigkeit des Augsburger Meisters.

In eigenartiger Weise löste Geertgen tot Sint Jans aus Haarlem (2. Hälfte des 15. Jahrhunderts) das Problem, die Personen der hl. Sippe nicht zu eng zusammen-zudrängen; er verteilte sie in dem Mittelschiff einer gotischen Kirche. Links sitzt Anna, sinnend über ein Buch gebeugt, neben ihr die jugendliche Maria mit dem bekleideten Kind, hinten steht Joachim mit turbanartiger Kopfbedeckung, langem Haupt- und Barthaar, neben ihm Joseph mit der Lilie. Rechts sitzen die beiden anderen Töchter Annas und eine dritte Frau. Beide Gruppen sind miteinander in Verbindung gebracht durch das Kind auf dem Schoß dieser Frau, das lebhaft zu dem Christkind hinüberverlangt. Die fünf Männer im Hintergrund neben dem Altar sind ebenso als Mitglieder der Sippe anzusehen wie die Kinder in der Mitte des Bildes; jene sind wohl die beiden anderen Männer der Anna und ihrer Töchter. Es ist eines der ausführlichsten Sippenbilder, welches die niederländische Kunst geschaffen hat; die Figuren leiden an einer gewissen Härte des Ausdrucks, allzu großer Feierlichkeit und inneren Beziehungslosigkeit. Vielleicht empfing Geertgen die Anregung aus der Kölner Schule, in der das Sippenbild sehr beliebt war. In dieser Schule sind sogar zwei Maler nach einem ihrer Werke im Wallraf-Museum als „Meister der heiligen Sippe" benannt worden.

Der ältere Meister der hl. Sippe, um 1430, hat sieben heilige Frauen mit neun Kindern und zehn Männern fast im Halbkreis zusammengefügt, indem erstere auf einer Bank sitzen, hinter deren Lehne die Männer stehen, die teilweise mit der Hand den Nimbus der Gattin berühren. Bemerkenswert ist, in welch naiver Weise dieser Meister der älteren Schule die nackten Kindlein uns vorführt; mit Ausnahme von Klein Johannes und des Jesusknaben sind sie mit Inschriften bezeichnet, ebenso wie die Männer, deren Namen auf einem über dem Haupt flatternden Spruchband zu lesen ist. Bis zum Bild des jüngeren Sippenmeisters hat die Kölner Schule eine bedeutende Entwicklung durchgemacht. Das prächtige, um 1500 entstandene und „wie zu Brokat gewordene" Bild zeigt in der Mitte Anna und Maria, die gemeinsam das unbekleidete Kind halten; letzteres strebt nach links hinüber, wo Katharina in Festtagsgewandung sitzt und den Verlobungsring empfängt, während ihr Pendant eine lesende Heilige bildet. Auf dem Boden sitzen Maria Cleophä und Salome mit ihren Kindern, hinter den Frauen stehen die sechs Männer. Es ist eines der glänzendsten Sippenbilder, die um 1500 geschaffen wurden.

Ganz verschieden von dieser, man möchte fast sagen kirchenstrengen Auffassung hat Lukas Cranach der Ältere die hl. Sippe auf einem Flügelaltar dargestellt, der jetzt eines der kostbarsten Gemälde des Städelschen Instituts zu Frankfurt a. M. bildet. Bei geöffneten Türen sehen wir in der Mitte Anna mit dem unbekleideten Kind, das lebhaft zur Mutter hinüberverlangt und zu dem Apfel greift, den sie ihm vorhält. Maria ist in vollen, fast üppigen Formen dargestellt, hinter ihr schläft Joseph, eine Reminiszenz an mittelalterliche Darstellungen. Dahinter auf einer Tribüne die drei Männer Annas, zwei von ihnen im lebhaften Gespräch, während der dritte auf die Gruppe herabschaut. Vorn zwei spielende Kinder, die einer auf den Flügeln dargestellten Mutter angehören. Auf den Flügeln sind die beiden anderen Töchter Annas mit je zwei Kindern und ihren Männern abgebildet, der Mann links trägt die Züge Friedrichs des Weisen von Sachsen, der rechte ist sein Bruder Johann der Beständige. Auch die Wappen an der Tribüne sind sächsisch. Die hl. Anna mit Maria erscheint nochmals grau in grau auf den Außenflügeln des Altares.
Dieses bedeutende Werk Cranachs ist offensichtlich für die sächsische Herr
scherfamilie angefertigt; vielleicht ist es das Triptychon, das 1505 für die 1503 verstorbene Gemahlin des Herzogs Johannes gestiftet, aber erst 1509 aufgestellt wurde. Der Meister zeigt hier eine Monumentalität und ein Kolorit, wie er sie später kaum wieder erreicht hat, allerdings auch einen Zug ins Triviale, der den Genuß des schönen Werkes etwas beeinträchtigt. Die stillende Mutter und die Frau, die mit dem Staubkamm des fast nackten Knaben Kopf reinigt, muten uns auf einem Kirchenbild merkwürdig an.

Lukas Cranach hat auch in einem sauberen Holzschnitt die hl. Sippe verherrlicht und die Personen so verteilt, daß die Kinder der beiden Schwestern Marias teils bei den Vätern, teils bei den Müttern sind. Die Szene war seinem bürgerlichen Geist offenbar recht kongenial, und darum ist sie ihm auch so gut gelungen; ein Andachtsbild hat er freilich nicht geschaffen, das war aber auch nicht seine Absicht. Alphäus unterrichtet zwei Kinder im Lesen, und als echter Schulmeister hat er auch die Rute in der Hand. Zebedäus schickt einen Sohn zur Schule. Ähnlich ist es auf einem Gemälde Cranachs in Wien, auf dem die einzelnen Gruppen fast gar keine Verbindung untereinander aufweisen; die drei Männer Annas werden rückwärts auf einer Galerie sichtbar, St. Joseph ist in einer Nische eingeschlafen.

Meistens gruppieren sich die Kinder um die Mütter, doch gibt es, wie das letztgenannte Bild zeigt, Darstellungen, wo die Väter sich mit den Frauen in der Sorge um die Kinder teilen. Auf einem geschnitzten Sippenbild zu Burgtonne (Gotha) z. B. stehen zwei Knäblein neben dem sitzenden Alphäus und blicken in ein Buch, gegenüber schließt Zebedäus ein Kind in seine Arme. Abwandlungen des Sippenmotivs, in dem Anna die Hauptperson bildet, kommen sehr früh vor. Es tritt z. B. an Stelle der Mutter die Tochter, welcher die Verwandten und andere Heilige huldigen.

In Schweden, wo die liturgische Annaverehrung eine reiche Entfaltung erfahren hat, begegnet uns neben der Selbdritt auch die hl. Sippe, die teils durch Import flämischer Altäre dorthin gelangte, teils auch im Land selbst entstand. Als schwedische Arbeit wird z. B. eine von der sonst üblichen Weise abweichende Sippe an einem Altar zu Ahl aus dem 15. Jh. dargestellt, die sich im Schrein aus Schnitzarbeit und auf den Flügeln aus Gemälden zusammensetzt. Anna hält auf dem linken Arm Maria, diese das nackte Kind; neben ihr stehen andere Kinder und Erwachsene. Eine Sippe in der Predella der Domkirche zu Strägnäs (um 1515) ist wie der ganze Altar ein Werk des Flamen Jan Bormann. Aus dem Atelier desselben Meisters stammt ein Sippenaltar in der Brigittenkirche zu Vadstena; in der Mitte sitzen Anna und Maria, zwischen ihnen das Kind, dem erstere eine Birne reicht, letztere ein Buch zeigt.

Die Kirche des hl. Knut zu Odensee (Dänemark) besitzt einen Altar (um 1529), dessen äußere Flügel das Leben Jesu ziert, angefangen mit Joachim und Anna. Im Schrein ist ein großes Kreuz angebracht, zu dessen Seiten sich Apostel und Propheten befinden. Unter dem Kreuz sieht man die hl. Sippe; Anna zeigt das Jesuskind ihren beiden Töchtern Maria Cleophä und Maria Salome; dahinter stehen Elisabeth und die Männer dieser Frauen.

Aus Finnland gelangte ein Sippenaltar nach Brüssel in das Museum Cinquentaire, der wahrscheinlich von dem flämischen Altarbauer Bornemann stammt und Anna und Maria mit Kind auf einer Bank, umgeben von den anderen Familienmitgliedern, darstellt. Zu Wörö in Finnland befindet sich ein Altar mit der Sippe (17 Personen) und anderen Szenen aus dem Leben Annas, vom Lübecker Bildschnitzer B. Notke; in Norre Broby (Dänemark) eine Sippe mit vier Männern, vier Frauen, sieben Kindern als Predella eines Altares, ein erstaunlich gutes Werk vom Lübecker Bened. Dreyer. Die weiteste Verbreitung fand die Darstellung der hl. Sippe in Deutschland. Sie fehlt aber auch in anderen Ländern nicht.

Der italienischen Kunst ist die deutsche Auffassung und Darstellung der hl. Sippe fast fremd. Unzählige Male hat man in Italien die Madonna in der Sacra Conversazione mit anderen Heiligen zusammengestellt, sie auch häufig mit Elisabeth und Klein Johannes vereinigt, aber nur ausnahmsweise ihr die nächsten Glieder ihrer Verwandtschaft zugesellt; anscheinend ist dort die Legende von der großen Familie Annas nicht so populär geworden wie in Deutschland. Zu diesen Ausnahmen gehört u. a. ein Gemälde des Domenico Alfani, eines Mitschülers Raffaels bei Perugino; er malte 1520 ein gewöhnlich als hl. Familie bezeichnetes Bild in der Pinakothek zu Perugia, das in Wirklichkeit die hl. Sippe ist. In einer Landschaft sitzt Maria mit dem unbekleideten Kind, das nach einem von St. Joseph gereichten Apfel greift. Hinter Joseph steht Joachim, hinter Maria die Mutter Anna und schaut lächelnd auf das Kind, auf das Klein Johannes hinweist. Daß Anna und Joachim, nicht aber die Eltern des kleinen Johannes dargestellt sind, wie man leicht annehmen könnte, beweist das oben aufgehängte Täfelchen S. Annae dedicatum.

Eine hl. Sippe malte auch Alfanis Meister Perugino. Unter einem breiten Bogen mit Durchblick auf die ferne Landschaft sitzt Anna selbdritt auf einem altarähnlichen Aufbau in der bekannten italienischen Auffassung. Daneben stehen Marias Schwestern mit ihren Männern und Kindern; je eins halten sie auf dem Arm, zwei haben vor dem Aufbau Platz genommen, nur eins hat sich halb in ein Tuch gehüllt. Das Gemälde hängt im Museum zu Marseille.

Ein eigenartiges Sippenbild aus der Schule Mantegnas, das unter den zahlreichen Varianten deutscher Meister keine Parallele hat, befindet sich in der Sammlung Gardner-Boston. Vor und zwischen zwei hoch emporragenden Felsen, hinter denen sich eine lachende Landschaft mit einem Bergstädtchen ausdehnt, sitzen sieben weibliche Personen, Anna und Maria mit dem vor ihm stehenden Kind, rechts Elisabeth mit Klein Johannes; von den vier übrigen Frauen sind zwei wohl Mariens Schwestern, für eine sichere Deutung der beiden letzten liegt kein bestimmter Anhaltspunkt vor, sie blicken unverwandt auf die beiden munteren Knäblein. Durch die fremdartige Komposition, die modische Kleidung der Frauen, die eigentümliche Landschaft fällt das Bild aus der Reihe der uns bekannten Sippendarstellungen ganz heraus.

Fehlen in Italien auch Darstellungen mit der großen Sippe Annas, so fehlt es doch nicht an Gemälden, auf der sie in ihrem engeren Familienkreis dargestellt wird; vielfach handelt es sich nur um die Hinzufügung einzelner Personen zur Selbdritt. In der Kunstgeschichte gehen diese Darstellungen meistens unter dem Namen „Hl. Familie". Man könnte viele von ihnen auch als „Familie der hl. Anna" bezeichnen. So das Gemälde Raffaels „Madonna der göttlichen Liebe" in Neapel. Hier tritt Anna in der Komposition stark hervor; sie nimmt genau die Mitte des Bildes ein und stützt die segnende Hand des Kindes, das sie mit einem leichten Ausdruck der Sorge betrachtet. Als nächste Verwandte kommen Klein Johannes und Joseph hinzu.

Ebenfalls ein Familienbild der hl. Anna ist Giulio Romanos „Madonna mit der Katze". Anna kniet und stützt sich mit dem Oberkörper auf dem einen Knie der Madonna, auf deren anderen Knie das nackte Kind kniet, das von dem hl. Johannes eine Frucht entgegennimmt. Eine Wiege mit schönen Renaissanceornamenten und ein großer flacher Korb mit allerlei Familienutensilien füllen den Vordergrund. Im Hintergrund wird Joseph sichtbar. Daß wir hier Anna und nicht etwa Elisabeth vor uns haben, zeigt das vertraute Verhältnis derbeiden Frauen, von denen die Tochter der Mutter den Arm um den Hals legt.

Francesco Caroto (1544) erhebt die hl. Anna in die himmlische Atmosphäre, läßt sie auf einer lichten Wolke schweben und umgibt sie mit einem kleinen Engelreigen. Maria kniet, so scheint es, auf dem Knie Annas, die mit beiden Händen das Kind berührt. Es ist eine ältere, ehrwürdige Matrone, die mit großen Augen den Beschauer anblickt. Unten hat der Maler vier Heilige hingestellt, von denen zwei - Johannes Baptista und Sebastian - auf Anna hinweisen; die beiden anderen sind der Apostel Petrus und der hl. Rochus. Zwischen beiden sieht man im Hintergrund ganz klein die Stigmatisation des hl. Franziskus.

Eine hl. Familie in der Art der Sacra Conversazione schuf Innocenz von Imola (+1550) mit Anna und Joachim, Petrus und Paulus, die die thronende Madonna umgeben, während das Kindlein Jesu und St. Johannes sich miteinander beschäftigen. Man könnte bei den rückwärts stehenden Personen auch an die Eltern des kleinen Johannes denken, da oben in den Lüften ein Engel ein langes Schriftband mit einem Vers aus dem Lobgesang des Zacharias hält. Indes weder der Mann noch die Frau wenden dem Johannes ihre Aufmerksamkeit zu - letztere schaut deutlich auf Jesus-, weshalb wir sie für die Eltern der Jungfrau deuten, zumal solche Darstellungen damals sehr beliebt waren.

In Spanien und Frankreich begegnet uns die hl. Sippe seltener. In Spanien tritt sie besonders an den Retablen der Altäre auf. Francisco Pacheco bemerkt 1646 in seiner Malerkunst, früher sei die hl. Sippe häufig dargestellt, jetzt nicht mehr, indem er zugleich eine heftige Polemik gegen die Dreiheirat Annas führt.

Auf französischem Boden erwähnen wir die ansprechende Sippe an einem Altar der Frührenaissance in Andre-les Tryes (Aube). In der Mitte sitzen die prächtigen Gestalten der Anna selbdritt vor einer hohen Täfelung, etwas tiefer die Schwestern Marias mit ihren Kindern, während oben vier Männer sichtbar werden, alles in dem vollendeten Reiz der Frührenaissance-Plastik mit französischer Grazie dargestellt.

Der größten Beliebtheit erfreute sich die hl. Sippe, wie schon bemerkt, in Deutschland, und hier wieder mehr im Norden als im Süden. Es sind besonders die geschnitzten und gemalten Flügelaltäre, auf denen sie uns noch heute sehr häufig entgegentritt, und die teils in flämischen teils in einheimischen Werkstätten angefertigt wurden.

Schon Münzenberger-Beissel haben 13 Altäre mit der Sippe in Schlesien aufgezählt, im Freistaat Sachsen 20, in Thüringen 18; die Zahl könnte heute leicht vermehrt werden. Lübeck allein besitzt unter 13 Altären auf dem Oberchor der Katharinenkirche nicht weniger als sieben mit der Sippe. Ebenso war sie in der Provinz Brandenburg sehr beliebt. Die „Bau- und Kunstdenkmäler" Preußens und der anderen norddeutschen Staaten bieten zahlreiche Beispiele.

Nicht so stark verbreitet war die hl. Sippe in Süddeutschland. Auf den schwäbischen Schnitzaltären z. B. findet sie sich nur selten, und dort, wo sie vorkommt, hat sie meistens nicht die große Anzahl Personen wie im Norden. Dieselbe Erscheinung zeigt sich in Bayern. Neuötting besitzt einen Altar von 1515, wo Anna und Maria mit dem Kind auf einem Thron mit Balustersäulchen sitzen, hinter ihnen stehen St. Joseph und die drei Männer Annas. In Bieselbach steht ein Sippenaltar, Anfang 16. Jh., mit vier Männern und den Vorfahren Christi in Blütenkelchen, alles in Vollplastik. Eines der schönsten, die reinste Renaissance atmendes Sippenbild schuf Wolf Traut (+1520), gleich vollendet in der Komposition wie in der Ausführung und Farbenpracht. Von schwäbischen Sippenbildern sei erwähnt der Schnitzaltar von Martin Schaffner im Münster zu Ulm und eine Arbeit in Veringenstadt (Hohenzollern).

Die Blütezeit der Sippendarstellung ging ihrem Ende entgegen, als die Kontroverse über die drei Marien wegen der Unbefleckten Empfängnis Mariens für unmöglich erachtet wurde. Eine ganz natürliche Folge davon war, daß ihre beiden Schwestern von den Bildern verschwanden und damit auch deren Männer und Kinder. Der späteren Zeit ist die Sippendarstellung fremd geworden.

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12. Kap.
Die Annaverehrung in der Neuzeit

In den Religionswirren und den Kriegen, von denen Deutschland im 16. und 17. Jh. heimgesucht wurde, ist die Annaverehrung dahingeschwunden. Die Verehrung der Heiligen blieb zwar bestehen, war sie doch zu alt und zu tief verwurzelt, als daß die Angriffe der Reformatoren ihm wesentlichen Nachteil hätten bringen können, aber sie erlitt manche Einbuße. Wie ausgedehnt die Annaverehrung im 17. und 18. Jh. noch war, davon geben die zahlreichen Darstellungen der Heiligen Zeugnis.

Vom Interesse, welches das 17. Jh. noch immer der hl. Anna entgegenbrachte, zeugen schon die vielen Schriften, die zu ihrer Ehre und über sie verfaßt wurden. Waren es am Ende des Mittelalters nur kleine Büchlein, so wuchsen sich diese Schriften jetzt zu umfangreichen Werken aus. Es sind jetzt darunter auch Werke, die sich mit der Geschichte der Annaverehrung befassen und daher heute noch von einiger Bedeutung sind. In Deutschland war es der Franziskaner Jakob Polius (+1656), der als geborener Dürener von Kindesbeinen an zur Liebe der hl. Anna erzogen war und eine Verehrung gegen sie hegte, daß er dem Abt Trithemius fast zur Seite gestellt werden kann. Er verfaßte zwei geschichtliche Bücher über ihre Verehrung, die zum Besten gehören, was über diese Thematik geschrieben wurde.

Fast gleichzeitig mit Polius schrieb Th. Clisorius, Priester zu Köln, ein umfangreiches Buch „Leben und Lob der hl. Anna und Joachim", teils Lebensbeschreibung, teils Gebetbuch. Auffallend ist, daß er ausführlich gegen das Trinubium schrieb. Die Meinung, Anna habe drei Töchter geboren, schreibt er, sei „viel mehr auf der bloßen Einbildung des gemeinen Pöbels als auf der gründlichen Wahrheit gegründet”. Sie „widerstrebt den Tugenden, verletzt keusche Ohren, ist bei einer solchen Frau wider die billige Keuschheit und Ehrbarkeit und schmeckt nach fleischlicher Sinnlichkeit". Um zu ihrer Verehrung anzueifern, preist er sie als Retterin und Helferin in jeder Not, gegen Glaubenszweifel, geistliche Traurigkeit, Unkeuschheit, in Wasser- und Feuersgefahr und als Zuflucht derjenigen, „so unter die Räuber und Totschläger gefallen sind.”

Zum Schluß führt er noch fünf Freuden der Mutter Anna an, die man, wie beim Rosenkranzgebet, verehren kann, nämlich 1. ihre Auserwählung zur Großmutter Christi, 2. die Erhörung ihres Gebetes um Kindersegen, 3. die Geburt der Jungfrau, 4. die Aufopferung Marias im Tempel, 5. die Freude, die du „immer und ewiglich hast bei Gott und sonderlich, wenn du siehst deine allerliebste Tochter Maria".

Das umfangreichste Werk über die hl. Anna schrieb der Karmelit Johannes Thomas a S. Cyrillo unter dem Titel: Mater honorificata S. Anna sive de laudibus, excellentiis ac praerogativis Divae Annae usw.; es erschien 1651 in Folio zu Köln, hat 626 Seiten und wurde bereits 1665 in Neapel nachgedruckt. Dem Titelblatt geht ein Selbdrittbild voraus. Anna ist mit dem Orden des Goldenen Vließ geschmückt und das Kind Jesus setzt ihr eine Krone auf. Der eifrige Annaverehrer nimmt gegen die Dreiheirat Stellung und behauptet, Anna habe ohne jede sinnliche Lust und Begierde empfangen. Er weiß uns auch zu sagen, weshalb die Geburt Mariä gerade im Monat September stattgefunden; dann ist nämlich die Sonne im Zeichen der Jungfrau und die Hitze des Krebses und des Löwen hat sich gemildert. Er behauptet und belegt seine Behauptungen mit vielen Beispielen, daß Anna ist die „Trösterin der Betrübten, das Heil der Kranken, der Sterbenden, der Schiffbrüchigen, der Gebärenden, der Unfruchtbaren". Seine Übertreibungen brachten ihm eine Zensur der römischen Behörden ein. [Selbst Fromme oder gar Heilige können sich irren. Der größte Kirchenlehrer Thomas von Aquin war entgegen seinem Lehrer dem hl. Albert dem Großen gegen das Trinubium und auch gegen die Unbefleckte Empfängnis!]

Vornehmlich waren es neben den Heiligenlegenden zwei größere Werke, die im katholischen Volk die Legende der hl. Anna weiter lebendig erhielten: im 17. Jh. das „Große Leben Christi" von P. Martin von Cochem, im 18. Jh. die Offenbarungen der sel. Anna Katharina Emmerick. Martin von Cochem, dessen Leben Christi zum ersten Mal 1677 gedruckt wurde und dann außerordentlich oft in neuen Auflagen erschien, verbreitet sich ausführlich über die Abstammung Annas, indem er sich auf einen apokryphen Bericht des Cyrill von Alexandrien an Papst Coelestin beruft. Emerentiana, die Mutter Annas, war als Jungfrau sehr fromm, betete Tag und Nacht und fastete alle Tage mit Ausnahme des Sabbats und der Festtage. Fleißig las sie in der Hl. Schrift und mied den Umgang der Menschen.


Häufig ging sie mit Erlaubnis ihrer Eltern auf den Berg Karmel, um sich mit den dort in Felsengrotten wohnenden Propheten über die Ankunft des Messias zu unterhalten. Einer von ihnen, Archos, ein Greis von 80 Jahren, sagte es ihr voraus, daß aus ihrem Geschlecht der Erlöser geboren werde. Als sie 18 Jahre alt war und viele Jünglinge sie zur Ehe begehrten, floh sie erschreckt auf den Karmel, wo sie drei Tage und Nächte mit den Vätern in Gebet und Fasten den Willen Gottes zu erforschen suchte. Am dritten Tag wurden drei der frömmsten Einsiedler im Geist verzückt und sie sahen einen schönen Baum, aus dem zwei herrliche Äste herauswuchsen: der eine Ast trug drei schöne Früchte, der andere eine überaus edle Frucht, aus der ein schönes Blümlein hervorging, das Himmel und Erde mit seinem Wohlgeruch erfüllte. Zugleich hörte man eine Stimme: dieser Baum ist unsere Emerentiana, sie ist zu großer Fruchtbarkeit bestimmt.

Emerentiana fügte sich dem erkannten Willen Gottes und heiratete, nachdem sie sechs fleischlich gesinnten Jünglingen die Hand versagt hatte, den frommen Stollanus. Das war im 77. Jahre vor Christi Geburt. Aus ihrer Ehe ging Esmeria (oder Sobe) hervor, die später den Eliud heiratete, dem sie Elisabeth, die Frau des Zacharias gebar. Außerdem hatte Esmeria eine Tochter Emue, die mit Afras vermählt wurde, und einen Sohn Eliud, der später die vornehme Witwe heiratete, deren Sohn Martialis Christus von den Toten erweckte.

Nach der Geburt Esmerias blieb Emerentiana 20 Jahre kinderlos, was sie mit großer Trauer erfüllte. In ihrem Schmerz ging sie oft auf den Karmel zu Archos, der ihr Trost zusprach. Als sie 41 Jahre alt war, schickte Gott ihr und dem Stollanus im Traum einen Engel, der ihnen die Geburt einer Tochter ankündigte; den Namen des Kindes würden sie mit goldenen Buchstaben an der Bettstelle geschrieben finden. Emerentiana empfing und gebar an einem Dienstag ein Töchterlein Anna, das die Eltern im Alter von drei Jahren zur Erziehung in den Tempel brachten. Dort war sie wie der Mond unter den Sternen die Eifrigste im Gebet, die Fleißigste bei der Arbeit, die Bereitwilligste im Gehorsam. Zwei Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, von der sie diese Weisung erfahren hatte, heiratete sie den frommen Joachim und reiste mit ihm oftmals zum Berg Karmel.

Es folgt nun die Erzählung von der Kinderlosigkeit der beiden Gatten und dem Opfer Joachims im Tempel, das er im 18. Jahre seiner Ehe darbrachte. Über die Geburt Marias berichtete er dann „nach einer alten Legende", Joachim habe auf Annas Wunsch ihre Schwester Esmeria, die hl. Elisabeth, Emue und andere Verwandten herbeigerufen. Als dann ihre Stunde herannahte, kniete Anna mit den anderen Frauen nieder und brachte einen Teil der Nacht im Gebet zu. Um die Zeit der Morgenröte entstand im Zimmer eine große Klarheit, und Anna wurde von einem solchen Glanz umgeben, daß niemand sie ansehen konnte. Die frommen Frauen fielen nieder und wagten kein Auge zu erheben, und Anna brachte in diesem Augenblick ein Töchterlein zur Welt. Auch das Kind erstrahlte wie der aufgehende Morgenstern, und Engelsstimmen sangen: Laßt uns frohlocken, denn heute ist geboren die Königin des Himmels.

Gestorben ist Anna, als Jesus 18 Jahre alt war. Er stand ihr bei in der letzten Stunde und sprach zu ihr: weil du an einem Dienstag geboren worden und heute, an einem Dienstag, verscheiden wirst, so segne ich alle Dienstage dir zu Ehren durch deinen hl. Namen, und alle, die diesen Tag ehren, will ich besonders erhören. Bei der großen Beliebtheit, deren sich die Schriften des P. Martin erfreuten, konnte es nicht ausbleiben, daß sie die Vorstellung des katholischen Volkes in Deutschland bezüglich der Lebensumstände der hl. Anna stark beeinflußten.

In noch höherem Maß war das der Fall durch die „Offenbarungen" der seligen, stigmatisierten Anna Katharina Emmerik, Augustinernonne von Dülmen (+1824), die auch im Ausland weite Verbreitung fanden. Ganz im Geist der spätmittelalterlichen Legende und des Martin von Cochem bewegen sich diese „Gesichte", die von Klemens Brentano niedergeschrieben, bearbeitet und erst nach seinem Tod mit Unterstützung von Haneberg und Möhler 1852 zum Druck befördert wurden. In mehreren Einzelheiten weichen sie allerdings von der üblichen Version ab. Stollanus war nach Emmerick nicht der Vater, sondern der Großvater Annas; durch seine Frau, die Moruni oder Ernorum hieß, und durch ihre Güter erhielt er auch den Namen Garescha oder Sarziri. Ernorum ging häufig zum Berg Horeb, wo das Haupt der Essener Archos wohnte und befragte ihn über ihre Zukunft; auf sein Geheiß heiratete sie den sechsten Freier, der um ihre Hand anhielt, nämlich Stollanus. Archos hatte ein Gesicht und sah, wie aus Ernorum ein Rosenstock mit drei Zweigen hervorwuchs, an jedem Zweig war eine Rose und die des zweiten Zweiges war mit dem Buchstaben M bezeichnet. Ihre älteste Tochter war Emerentia, die später den Leviten Aphras heiratete und Mutter der hl. Elisabeth wurde; sie hatte noch zwei andere Töchter, Emue und Rhode. Ihre Tochter Esmeria trug bei ihrer Geburt das von Archos geschaute Zeichen, sie vermählte sich mit dem Leviten Eliud. Die dritte Tochter hieß Emue.

Eliuds und Esmerias älteste Tochter war Sobe, die später Salomo heiratete und Mutter der Maria Salome wurde, welche die Apostel Jakobus und Johannes gebar. Nach der Geburt Sobes blieb Esmeria unfruchtbar, weshalb sie in ihrer Betrübnis zu den Propheten auf dem Berg Horeb reiste. Endlich nach 18 Jahren sah sie im Traum, wie ein Engel einen Buchstaben neben ihr auf die Wand schrieb. Beim Erwachen fand sie dort ein M, das Anna auch wirklich bei der Geburt an sich trug. Mit fünf Jahren wurde diese in den Tempel gebracht, wo sie 12 Jahre blieb. Ihre Mutter gebar dann noch eine dritte Tochter, die den Namen Maraha erhielt und die Mutter der späteren Jünger Arastaria und Cocharia wurde.

Auf höhere Weisung heiratete Anna den Joachim. Die Frucht ihrer Ehe war eine Tochter, die sie Maria nannten. Aber Anna fühlte, daß es nicht das Kind der Verheißung war, das sie mit Sicherheit erwartete. Sie lebte deshalb mit ihrem Mann sieben Jahre in Enthaltsamkeit und zog dann in die Nähe von Nazareth, um hier durch einen wohlgefälligen Lebenswandel Gottes Segen auf sich herabzuziehen; die Tochter ließ sie bei ihren Schwiegereltern zurück. Aber sie blieb 19 Jahre und fünf Monate nach der Geburt dieses Kindes unfruchtbar.

Es folgt nun die Beschreibung vom Opfer Joachims, seine Zurückweisung, die Erscheinung und Verkündigung des Engels, die Begegnung an der Goldenen Pforte. A.K. Emmerik fährt dann fort: Joachim und Anna umarmten sich in heiliger Freude und teilten sich ihr Glück mit. Sie waren entzückt und von einer Lichtwolke umgeben. Ich sah dieses Licht von einer großen Schar von Engeln ausgehen, welche, die Erscheinung eines hohen leuchtenden Turmes tragend, über Anna und Joachim nieder schwebten. Dieser Turm war, wie ich in Bildern der lauretanischen Litanei den Turm Davids, den elfenbeinernen Turm usw. gestaltet sehe. Ich sah, als verschwinde dieser Turm zwischen Anna und Joachim, und es umgab sie eine Glorie von Licht. Ich erkannte hierauf, infolge der hier gegebenen Gnade sei die Empfängnis Mariä so rein gewesen, wie alle Empfängnis ohne den Sündenfall gewesen sein würde... Ich erhielt bei dieser Gelegenheit noch die Erklärung, die hl. Jungfrau sei in vollkommener Lauterkeit und heiligem Gehorsam von ihren Eltern erzeugt worden, welche sodann mit steter Enthaltsamkeit, in höchster Andacht und Gottesfurcht zusammengelebt hatten.

Am Empfängnistag Mariens (8. Dezember 1819) sah A. K. Emmerik unter der Brust Annas einen Lichtraum, etwa von der Gestalt eines Kelches, und in diesem die Gestalt eines leuchtenden Kindes sich entwickeln und größer werden. Es hatte die Händchen über der Brust gekreuzt und sein Häuptchen geneigt, und es gingen von ihm unzählig viele Strahlen nach einer Seite aus. Später (21. Nov. 1821) sah sie „Anna wieder verheiratet. Ihr Mann hatte ein Amt am Tempel, in bezug auf Opfervieh." „Sie war (vor der Niederkunft der hl. Jungfrau Maria) sehr beschäftigt; sie ging hin und wieder, Wolle zu holen und auszuteilen und den Mägden ihre Arbeit zu bestimmen." Später kam Anna mit ihrem zweiten Mann und einer Magd zur Krippenhöhle in Bethlehem, Maria legte ihrer Mutter das Kindlein in die Arme, und sie war sehr gerührt; auch hatte Anna der hl. Jungfrau und dem Kind mancherlei mitgebracht, Decken und Binden. Eliud, ihr zweiter Mann, starb bald nach Christi Geburt, und sie mußte nach Gottes Willen zum dritten Mal heiraten, aus welcher Ehe sie einen Sohn gebar, welcher auch Christi Bruder genannt ward.
[Wir finden bei Mystikern und sogar bei Heiligen (auch Päpsten) immer wieder Widersprüche!]

Hier werden wir wieder in die Legendenwelt des Mittelalters zurückversetzt, nur wird die Verwirrung in der Genealogie noch um einige Grad gesteigert. Wer am meisten dazu beigetragen hat, Katharina Emmerick oder Brentano, diese meistens zu ungunsten des letzteren entschiedene Frage hat für uns hier keine Bedeutung. Tatsache ist nur, daß die alten Legenden im katholischen Volkewieder lebendig wurden und in Verbindung mit dem Buch des Martin von Cochem ihre Wirkung ausüben.

Daß die Reformatoren die Annaverehrung diese in Deutschland wohl schwächen, aber nicht zerstören konnte, dafür zeugen auch die Glocken, Altäre, Kirchen, die man ihr nach wie vor weihte, und die Bilder, die man zu ihrer Ehre anfertigte. Es möge genügen, das eine oder andere Beispiel anzuführen. Eine Annaglocke erhielt in Baden unter anderen die Kirche zu Endingen 1714, zu Staufen 1720, mit der Inschrift: Hl. Anna, Großmutter Jesu Christi, bitte für uns (5. Anna, avia Jesu Christi, ora pro nobis), in Hohenzollern die Kirche zu Jungnau 1627, und zu Wilsingen 17583, ferner in Sechten (Rheinland) 1785 mit der Inschrift: S. Anna bei deiner Tochter Kind, bitt für die, so deine Kinder sind, zu Arnsberg eine Anna-Rochus-Glocke 16655. Steinberg in der Schweiz erhielt 1643 durch Fürstabt Placidus Raimon von St. Gallen eine Glocke mit der lateinischen Inschrift: Anna verscheucht den höllischen Feind und zerstreut die Blitze / Verderblichen Hagel löst in Regen sie auf.

Zahlreich sind auch die Kirchen und Kapellen, die St. Anna in Deutschland zur Patronin erwählten. Es seien nur genannt die Pfarrkirche zu Frauendorf (Ermland), die Bischof Kromer 1580 zu Ehren der hl. Anna und des hl. Augustinus einweihten; die Annakapelle, die der Kanonikus Andreas Wendelstein 1590 am Münster zu Konstanz stiftete und die er mit einem Renaissancealtarbild aus Stein ausstattete, das St. Anna darstellt. Heidelberg erhielt 1714 eine Annakirche.

Wie im Mittelalter so finden noch immer Stiftungen zu Ehren der hl. Anna statt. So stiftete an der Annakapelle zu Loch (Kanton Wallis) 1762 eine Frau neun hl. Messen, die an neun hintereinander folgenden Dienstagen gelesen werden müssen. An der Annakapelle zu Schwendelberg (Kanton Luzern) wurden 1766 und 1770 Stiftungen gemacht, die den Kaplan von dem nahegelegenen Eschholzmatt verpflichteten, daß er zur Messe einmal neun Personen, dann sechs und drei mitnehme, damit sie den Rosenkranz beten.

Wie früher entstanden noch im 17. und 18. Jh. Bruderschaften zu Ehren der hl. Anna, wenn auch nicht in so großer Zahl als in ihrer Blütezeit. So erhielten in der Schweiz eine Bruderschaft Steinerberg 1609, die 1627 eigens von Papst Urban VIII. die Bestätigung ihrer Satzungen erbat, und Bünzen, die 1737 durch Papst Klemens XII. mit besonderen Ablässen bedacht wurde. 1694 wurde eine solche in der Annakirche der Jesuiten zu Wien gestiftet, und zwar auf besonderes Betreiben des Kaisers Leopold I. und seiner Gemahlin Eleonora, da ihnen am St. Annatag der langersehnte Thronerbe geboren worden war, der nachmalige Kaiser Joseph I. Ebenso erfolgte 1645 eine Neugründung in Plan (Böhmen), ferner zu Koslar (1622) und Rieden (1668) in der Rheinprovinz. Auffällig stark ist die Neugründung von Annabruderschaften in Ermland, wo sich ihrer besonders die Franziskaner annahmen. Sie führten sie z. B. in Kadinen ein (1718), wo das bis 1820 fortgesetzte Bruderschaftsbuch 4000 Namen aufweist, darunter sehr viele
Frauenburger, die am Fest der hl. Anna nach Kadinen zu pilgern pflegten. Schon 1672 hatten sie die Bruderschaft in Springborn gegründet, wo noch heute an ihrem Fest (Sonntag nach 26. Juli) etwa 6000 Menschen zusammenströmen. Ferner erfolgten Gründungen in Elbing (1717), Schönbrück (1715), Wartenburg (vor 1631).

Wie in Deutschland, so beobachten wir auch in den anderen Ländern eine neue Blüte der Annaverehrung. 1641 erhielt der berühmte Wallfahrtsort Sainte Anne
d'Auray in der Bretagne seine Annabruderschaft. In ihr Register trug Königin Anna von Österreich, Gemahlin Ludwigs XIII., an erster Stelle eigenhändig ihren Namen ein. An zweiter und dritter Stelle schrieben auf ihren Befehl der Bischof von Puy und der Marquis von Molac die Namen ihrer beiden Kinder, des Dauphin Ludwig (XIV.) und des Philipp von Orleans. Auf den ersten Seiten des Registers stehen ferner die Namen: Henriette-Anna, Königin von England, Henriette-Anna, Herzogin von Orleans, Nicole, Herzogin von Lothringen, Anna von Bourbon usw. In ein anderes Register ließen sich am 15. August 1858 eintragen Napoleon II I. und seine Gemahlin. In Anjou stiftete 1654 Renee Pommier, Frau des Jean de Dose, testamentarisch eine Annakapelle an der Kirche S. Pierre de Meigne mit der Bestimmung, daß auf dem Altar eine Marmorstatue der hl. Anna aufgestellt und alle Dienstage zu ihrer Ehre eine hl. Messe gelesen werde. Im Südosten Frankreichs, in Savoyen, hatte St. Anna vor der großen Revolution nicht weniger als 79 Kapellen.

Selbst neue Wallfahrtsorte bildeten sich in dieser Periode, in der Schweiz z. B. zu Großvivers (Freiburg) 1626, Combes (Neuenburg) 1681; auch Schwanden wird urkundlich 1648 zuerst erwähnt.

In Italien und Spanien erlebte die Annaverehrung in dieser Periode, wie es scheint, jetzt geradezu seine Blütezeit. In Italien deuten darauf hin neben der umfangreichen Literatur, die über St. Anna erschien, die zahlreichen Bilder barocker Meister. Dasselbe ist in Spanien der Fall. In Italien war es besonders der ehrwürdige Franziskanerbruder Innocentius von Chiusi (+1631), der für die Verehrung Annas eiferte; er hegte gegen sie eine solche Verehrung, daß man ihn allgemein „Innocenz von der hl. Anna" nannte. Die Kirche S. Stefano zu Mailand erhielt am 11. Febr. 1681 eine Annabruderschaft.

In Spanien trug zur blühenden Annaverehrung das außerordentlich starke Interesse für die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariä nicht wenig bei . Hoch und Niedrig, und nicht zuletzt der Königliche Hof, traten für eine Lehre ein, die ihr Licht auch auf die Mutter der unbefleckt Empfangenen fallen ließ. Und wie in Italien ein Franziskanerbruder, so war in Spanien eine Schülerin der großen hl. Theresia, Anna vom hl. Augustin, mit Erfolg für die Verehrung ihrer Namenspatronin tätig.

Der Eifer, mit dem man sich der Annaverehrung hingab, wurde mancherorts zum Übereifer er und führte zu Auswüchsen und Übertreibungen, gegen welche die Kirche einschreiten mußte. Schon Erzbischof Epiphanius von Salamis auf Cypern (+403) wendet sich gegen die Ansicht, die die (legendarischen) Worte des Engels an Joachim „deine Gattin wird empfangen" so verstand, als ob diese Empfängnis ohne Mitwirkung des Mannes vor sich gegangen sei. Obwohl diese Meinung jeder Grundlage entbehrt, hielt sie sich doch durch die Jahrhunderte oder lebte wenigstens von Zeit zu Zeit wieder auf. So wird im griechischen Menologium (9. Dezember) tadelnd bemerkt, manche behaupteten, Anna habe ohne Zutun des Mannes ihre Tochter geboren, während dieses Wunder doch einzig in Maria durch göttliche Kraft geschehen sei. Auch im Abendland tritt später dieser Irrtum auf. Bernard von Clairvaux erwähnt ihn in einem Brief an die Kanoniker von Lyon, allerdings ohne ihm irgendwelche Bedeutung beizulegen.

Nicht so weit gingen jene, welche die Empfängnis Annas zwar auf natürlichem Wege erklärten, dabei aber jede Begierlichkeit ausgeschlossen wissen wollten. Dazu gehört die angesehene spanische Seherin Maria von Agreda, Äbtissin des Klosters zu Agreda in ihrer „Geistlichen Stadt Gottes", ein Buch, das in Spanien großes Ansehen genoß, von der Kirche aber zeitweise verboten war. Maria von Jesus bzw. von Agreda schrieb ein umfangreiches Werk über das Leben Mariä, in dem sie natürlich deren Voreltern nicht übergehen konnte. Ohne sich, wie später Maria Katharina Emmerik, in genealogische Aufstellungen zu verlieren, spricht sie von der Empfängnis Annas. Nach ihr waren bei der Empfängnis Annas „die Eltern ganz von der Gnade geleitet und jeder Begierlichkeit oder bösen Lust so sehr entrückt, daß jene Unvollkommenheit, die eine Folge der Erbsünde ist, und die sonst gewöhnlich mit der Materie und deren Mitteilung verbunden ist, hier nicht statt hatte. Bei der Verurteilung ihres Buches durch Papst Innozenz XI. im Jahre 1681 wird gerade diese Behauptung beanstandet.

[Maria von Agreda ist unverwest und selbst der König las ihre Bücher. Wenn aber Maria ohne Erbsünde und damit ohne Begierlichkeit empfangen wurde, warum könnte da nicht auch ein leidenschaftsfreie Zeugung stattgefunden haben? Viele Frauen berichten eh von Schmerzen. Andererseits wurde das Buch von vielen empfohlen.]

Schon dreihundert Jahre vorher sagte die sel. Luitgard von Baden (+1347), daß sie diese Lehre gleichfalls von Maria erfahren habt. Von anderen Vertretern dieser Meinung sei Clisorius zu Köln genannt, der in seinem Annabuch schreibt, Joachim und Anna „haben ihre Tochter, die Mutter der Keuschheit, gezeugt, ohne das geringste Gelüst des Fleisches, gleichwie als unsere ersten Eltern Adam und Eva Kinder im irdischen Paradies geboren hätten, wenn sie nicht durch den Ungehorsam in die Sünde gefallen, sondern immer standhaft in der Gnade geblieben wären".

Maria von Agreda weiß auch zu berichten, daß Christus bei seiner Auferstehung vielen Seelen in der Vorhölle befahl, sich mit ihren Leibern zu vereinigen, und sie zu einem unsterblichen Leben erweckte; unter ihnen befanden sich auch Anna und Joachim. Solange Maria noch auf Erden weilte, feierte sie mit besonderen Andachtsübungen das Fest ihrer Eltern, die mit dem Heiland und einer unzähligen Menge Engel in das Gebetskämmerlein ihrer Tochter kamen; bevor sie wieder in den Himmel zurückkehrten, bat Maria sie um ihren Segen. [Die sel. Anna Kath. Emmerik hatte Angst den Visionen unbewußt eigenes hinzuzufügen!]

Von dieser wachsenden Verehrung zeugt auch die Tatsache, daß gerade im 19. Jh. sich neue weibliche Ordensgenossenschaften nach der hl. Anna benannt haben und viele einzelne Klöster sie sich zur Patronin erwählten...

Von Europa wurde die Annaverehrung nach Amerika gebracht. Nach Kanada brachten ihn die Bretonen, wie wir noch hören werden, nach Südamerika kam er durch die Spanier und Portugiesen. Besonders in Brasilien erreichte er eine bedeutende Höhe. In Mexiko bestand ein Annakloster der Franziskaner bei Plaxcala im Jahr 1540.

Wie wenig im innerkirchlichen Leben der Angriff der Reformatoren der Annaverehrung Abbruch getan hatte, zeigt die Entwicklung ihrer Verehrung in der Liturgie. Der hl. (!) Papst Pius V. (+1572) merzte ihr Fest aus Meßbuch und Brevier aus. Dieser Zustand dauerte indes nicht lange. Bereits Papst Gregor XIII. führte das Fest durch eine Bulle vom 1. Mai 1584 wieder ein und schrieb es für die ganze Kirchen vor, nachdem er auf das Gebet des Franziskanerbruders Innocenz von Chiusi (+1631) von schwerer Krankheit geheilt war.

Das Meßformular des alten römischen Missale beginnt der Eingangsvers (Introitus) mit Gaudeamus (Laßt uns freudig feiern), eine Formel, die der Messe des Festes Mariä Himmelfahrt entnommen war. Das römische Brevier enthält außer einigen Abschnitten als Lesungen aus einer Rede des hl. Johannes Damaszenus keinerlei Andeutungen über ihr Leben. Anders war es im Mittelalter; die Hymnensammlung der PP. Dreves und Blume enthalten rund hundert verschiedene Hymnen und 21 Sequenzen auf die hl. Anna; desgleichen 21 verschiedene Reimoffizien, die im Mittelalter sehr beliebt waren. Das Reimoffizium des Breviers von Redon aus dem Ende des 14. Jahrhunderts bietet fast den ganzen Inhalt des Protoevangeliums.

Die letzte liturgische Ehrung erwies der hl. Anna Papst Leo XIII., der in der Taufnamen Joachim hatte. Die Verehrung, die er infolgedessen gegen den Vater der Jungfrau Maria hegte, übertrug er auch auf ihre Mutter. An ihrem Festtag hielt er 1845 seinen Einzug in Perugia als Bischof; 1857 gründete er in Perugia eine höhere Schule und gab ihr die hl. Anna als Patronin. Als Papst bestimmte er am 1. August 1879, daß das Fest der Eltern der allerseligsten Jungfrau Maria fortan auf dem ganzen Erdkreis mit doppeltem Ritus zweiten Grades gefeiert werden solle.

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13. Kap.
Die volkstümliche ANNA-Verehrung

Wir haben bereits die volkstümliche Annaverehrung kennengelernt; es bleibt also noch, von einigen Gebets- und Andachtsübungen zu sprechen, womit man früher die Großmutter Christi verehrt hat.

Die Sitte, die Heiligen an einem Tag des Jahres in besonderer Weise zu verehren, und zwar meistens an ihrem Todestag, ist ebenso alt als die Heiligenverehrung selbst. Bedeutenden Heiligen pflegt man seit langem außerdem einen besonderen Tag jeder Woche zu weihen; so der Gottesmutter Maria den Samstag, dem hl. Joseph den Mittwoch. Eine Zeit nun, welche der hl. Anna in so außergewöhnlicher Weise huldigte wie das ausgehende Mittelalter, konnte sich unmöglich damit zufrieden geben, ihrer nur an einem Tag des Jahres zu gedenken. Wie der Mutter, so mußte auch der Großmutter Würde und Hoheit allwöchentlich gepriesen werden. Man tat es an jedem Dienstag.

Weshalb dieser Tag, darüber soll uns Abt Trithemius, der große Lobredner Annas, informieren. „Zu dieser wöchentlichen Gedächtnisfeier", schreibt er, „scheint sich besonders der Dienstag zu eignen, da die hl. Anna nach der Überlieferung
an einem Dienstag zur Welt gekommen und gestorben ist. So kam an vielen Orten die lobenswürdige Sitte auf, den Dienstag zum Andenken der hl. Anna mit der gleichen Andacht zu feiern, wie der Samstag zur Ehre der Mutter Gottes in der ganzen Welt gefeiert wird. Wir selbst waren Zeugen, wie man am Niederrhein jeden Dienstag zu Ehren der hl. Anna Messen sang, Kerzen anzündete, Opfer darbrachte und den Armen reichlichere Gaben spendete. Wir kennen ebendaselbst auch einige eifrige Verehrer der hl. Anna, die jeden Dienstag drei Kerzen anzünden, drei besondere Almosen spenden und ebenso viele körperliche Bußwerke verrichten. Der Anfang dieser Sitte geht auf ein Wunder zurück, welches die hl. Anna in Ungarn gewirkt hat, wo ein Jüngling, aller Mittel und Hoffnung beraubt, durch ihre Fürbitte zu großen Ehren und Reichtümern gelangte."

Von Deutschland verbreitete sich dieser Brauch nach Frankreich, Italien und andere Ländern. In Riga findet sie sich 1487 erwähnt, da nach einer Verordnung aus diesem Jahr „die Priester mit dem Schulmeister und den Schülern Dienstags die Messen singen sollen van sante Annen. Zu Rom wurde in den Kirchen S. Giovanni in Agno und Andrea delle fratte an jedem ersten Dienstag des Monats abends eine Stunde vor dem Aveläuten zu Ehren der hl. Anna das heiligste Sakrament exponiert. In Bologna, wo der 26. Juli als gebotener Feiertag galt, fand jeden Dienstag eine besondere Anna-Andacht statt.

In Brakel im Nethegau zu Westfalen gingen an den neun Dienstagen vor dem 26. Juli in aller Früh Kinder und Erwachsene hinaus zu der 20 Minuten entfernten Annakapelle. Fromme Lieder und Gebete verkürzen den Weg. In der Kapelle wurden dann mehrere Messen gelesen, die die Gläubigen mitfeierten. Das Kirchlein wurde 1719 von einem Freiherrn von Asseburg auf Hinnenburg erbaut, aber schon vorher war sich an dieser Stelle ein kleines Heiligtum mit einem uralten Annabild.

In dem Wallfahrtsort Steinerberg (CH) begannen die neun Dienstage schon nach dem Sonntag Quinquagesima (Sonntag vor Aschermittwoch) und schloßen am Osterdienstag. Der erste, mittlere und letzte Dienstag war durch feierlichen Gottesdienst mit Predigt ausgezeichnet.

In Antwerpen fand in der Kirche der hl. Anna, die von den Redemptoristen betreut wurde, jeden Dienstag ein von den Gläubigen viel besuchter Gottesdienst statt. Eine sehr bedeutende Stätte der Verehrung unserer Heiligen ist Bottelaer bei Gent mit einer prächtigen Annakirche, die im Mittelalter selbst von Ungarn aus besucht wurde. Wie sehr hier ehedem der Dienstag als Festtag der hl. Anna galt, zeigt folgende Tatsache. Als Berthold de Paix 1667 zu Ehren der hl. Anna dort ein Karmeliterkloster gründete, wurde die Bestimmung getroffen, daß die Kirche an allen Dienstagen des Jahres vormittags geschlossen bleiben sollte. Man wollte dadurch verhindern, daß durch den Besuch der Klosterkirche die blühende Annaverehrung in der Pfarrkirche Abbruch erleide. Es kamen nämlich zuweilen an einem Tag 4000 Pilger. Kranke aller Art, Blinde, Lahme, Geisteskranke, schrieben der hl. Anna ihre Heilung zu.

Auch in Pilsen fand während eines Teiles des Jahres am Dienstag eine Votivmesse zu Ehren der hl. Anna statt, und von der Oktav des Fronleichnamsfestes bis zum Advent sang man:

Sei bei uns, o lobwerte hl. Anna! Gegrüßt bist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir; deine Gnade sei auch allezeit mit mir! Du bist gebenedeit unter den Fraurn und gebenedeit sei auch deine ehrwürdigste Mutter Anna, von welcher ohne Makel dein jungfräulicher Leib entsprossen. Steh uns gnädig bei, o hl. Mutter Anna, von welcher ohne Makel entsprossen ist die allerseligste Jungfrau Maria."

Dasselbe Gebet findet sich bereits 1336 in der Stiftungsurkunde des Klosters Maxstock in Warwickshire (England), die wegen ihrer Bestimmungen ein glänzendes Denkmal der Annaverehrung in England ist und deren bereits früher Erwähnung geschah. Es heißt in der Urkunde: „Angetrieben von dem Eifer frommer Andacht, mit dem alle Christgläubigen die glorreiche Jungfrau Maria verehren und mit Rücksicht auf ihre hochselige Mutter Anna will, verlange und verordne ich, daß am Schluß der Mette der allerseligsten Jungfrau und ebenso am Schluß ihrer Messe und nach jeder Tagzeit der Priester, der die Messe gelesen, oder der Offiziator des Chors im gleichen Ton wie die Tagzeiten den „Englischen Gruß" und das Gebet zur Mutter Anna bete, und daß man dieser Verpflichtung durch Verrichtung folgenden Gebetes nachkommen soll (folgt obiges Gebet).

Große Beliebtheit erfreute sich das bereits erwähnte Gebet zur hl. Anna:

Gegrüßt bist du, Maria, voll Gnaden, der Herr ist mit dir, deine Gnade sei
mit mir, gesegnet bist du unter allen Frauen, und gesegnet sei deine hl. Mutter Anna, von welcher geboren ist, o Maria, ohne Sünde, ohne Unreinigkeit dein heiliger und gütiger Leib, aus welchem geboren ist Jesus Christus. Amen.

In zahlreichen Annabüchlein kehrt dieses Gebet ständig wieder. Angeblich hatte Papst Alexander VI. einen ungewöhnlich großen Ablaß damit verbunden.

Unter den frommen Anrufungen findet sich die Zusammenstellung des Namens Anna mit Jesus und Maria. Wie die Katholiken heute zu sagen pflegen: Jesus, Maria, Joseph, so war früher üblich: Jesus, Maria, Anna. Diese Vereinigung der drei hl. Namen findet sich schon auf einer Glocke vom Jahre 1413 zu Danzy bei Nevers in Frankreich. Desgleichen an einem Kelchschaft zu Annaberg in Sachsen. Später erweiterte man die Anrufung und fügte noch andere Namen hinzu, z. B.: Jesus, Maria, Anna, Joseph, Joachim. Auch in den Messen des 15. Jahrhunderts kommt diese Zusammengehörigkeit zum Ausdruck. So war damals ein Offizium (Messe) der hl. Anna und ihrer gesamten Verwandtschaft" verbreitet.

Noch häufiger begegnet uns die kurze Anrufung: Hilf Sant Anna oder Hilf Sant Anna selbdritt, die wir auch oft unter Bildern der Heiligen oder an kirchlichen Gegenständen antreffen, so z. B. an einer Annastatue zu Gründstädel in Sachsen: HILF SANT ANNA SELBDRITT.

Wie die Mutter Gottes so pflegte man auch die Mutter Anna durch einen Rosenkranz zu verehren, der eine Art Loblied ist und bestimmte regelmäßig wiederkehrende Einschaltungen hatte. Abt Trithemius verfaßte ein solches Rosar zu Ehren der hl. Anna, desgleichen der Patrizier und kaiserliche Rat Jodokus Beissel aus Aachen (+1514). Obwohl es etwas lang ist, bringen wir es, um zu zeigen, wie gelehrte Männer die hl. Anna feierten.

Das Gebet, welches stets nach je zwei Versen wiederholt wurde, lautet folgendermaßen:
Sei gegrüßt, ehrwürdige Mutter der Gottesgebärerin, der heiligsten Dreifaltigkeit ein Gegenstand des höchsten Wohlgefallens, vor allen Frauen ausgezeichnet mit Ehren! Gebenedeit bist du von dem Herrn, und gebenedeit ist auch die Frucht deines Leibes, und der jungfräuliche Sohn deiner Tochter, Jesus Christus. Amen.

Der Rosenkranz selbst besteht aus mehreren Abschnitten, zu Anfang eines jeden Abschnittes wurde ein „Vaterunser" gebetet.

 

1. Anna, vergönne mir Armen, dein Lob der Welt zu verkünden,
Wenn du es huldvoll erlaubst, krön' ich mit Rosen dein Haupt.
Anna, du stammest vom edlen Geschlecht der Könige Judas
Und dein frommer Gemahl, Joachim, mehrt dein Lob.
Anna, du weintest, als Gott dich nimmer mit Sprossen beglückte:
Du der Schmuck und der Ruhm aller Vermählten zumal.
Anna, du flehtest zu Gott um ein Kind nicht aus eitler Absicht,
Einzig dem Dienst des Herrn wolltest du weihen die Frucht.
Anna, dir brachte aus himmlischer Höh ein Engel die Botschaft:
„Juble, denn siehe, dir wird Freude der Mutter zuteil."
Anna, die Frucht, die dein Schoß uns beschert,
so strahlte von Tugend,
Daß sie verdiente zu sein Jungfrau und Mutter zugleich.
Anna, du trugst die Tochter in dir, die im keuschesten Schoß
Gott umschloß, den die Welt nimmer zu fassen vermag.
Anna, dem Blut, das dir in den Adern fließt, entspringt
Jenes Blut, das die Schuld tilgte der sündigen Welt.
Anna, wohl ziemte es sich, daß so lange du harrtest der Tochter;
Denn für die Mutter des Herrn schwer ja die Mutter sich fand.
Anna, der Ruhm deiner Tochter ist über die Sterne erhaben.
Doch hochselig auch dich preisen die Völker zumal.

2. Anna, du hast ohne Makel der Sünde Maria empfangen,
Schon vom ersten Beginn war sie geheiligt dem Herrn.
Anna, du trugst die Tochter im Schoß, so die Väter der Vorzeit
Uns in Bildern gezeigt, und die besungen ihr Lied.
Anna, du faßtest in dir den „verschlossenen Garten",
der prangte Mit dem heiligen Baum, welchem das Leben erblüht.
Anna, du trugst im Schoß den Aufgang, welchen der Engel
Mit dem flammenden Schwert nachts und bei Tag bewacht.
Anna, du trugst die Blume, der weicht die Demut des Veilchens
Und der Purpur der Rose, gleichwie der Lilie Weiß.
Anna, du trugst das goldene Gefäß und die Lade des Bundes,
Welche das göttliche Brot einstens zu bergen bestimmt.
Anna, du trugst im Schoß des wahren Salomon Brautzelt,
Welches mit Edelgestein außen und innen geschmückt.
Anna, du trugst den Tempel, aus dessen geheiligten Hallen
Töne der Freude und Lust lieblich erklingen zum Ohr.
Anna, du trugst im herrlichen Bilde den Vorhang, den Gottes
Hohe Geheimnisse birgt, Taten der Väter enthüllt.
Anna, die Tochter du trugst, zu deren Haupt die goldene Sonne
Und zu Füßen der Mond strahlt im lieblichen Glanz.

3. Anna, als endlich der Himmel als Frucht Maria dir schenkte,
Da vermochte dein Herz nimmer zu fassen die Freude.
Anna, als du Maria gebarst, da jauchzte der Himmel,
Und ein neues Gestirn brach aus den Wolken hervor.
Anna, wir glauben mit Recht, daß Scharen himmlischer Geister
Deiner Tochter Geburt jubelnd gefeiert mit dir.
Anna, du brachtest durch deine Geburt Erquickung den Toten
Nimmer geschautes Licht weckte die Unterwelt auf.
Anna, du scheust dich nicht, mit der Hand zu erfassen die Tochter,
Vor der jedes Gestirn, jegliche Sonne erblaßt.
Anna, was hält dich zurück, das göttliche Kind zu berühren,
Lacht es doch freundlich dich an, fügt nichts Leides dir zu.
Anna, faß nur Mut; es streckt das Kindlein das Händchen
Lächelnd zur Mutter empor, schmiegt sich zärtlich an sie.
Anna, nun zögerst und zauderst du nimmer und nährst das Kindlein
Voll Vertrauen und Lust, drückst es traut an dein Herz.
Anna, du pflegst mit Liebe das Kind, und mit rosigem Mund
Und mit lieblichem Ton schlürft es die nährende Milch.
Anna, wenn kund dir wäre der Schmerz und die Qualen des Todes, Welche bedrohen das Kind, ständest vernichtet du da!

4. Anna, dir lag vor allem am Herzen, die Tochter zu zieren
Mit der Tugenden Schmuck und zu erziehen zu Gott.
Anna, du machtest dich auf, zu geleiten die Tochter zum Tempel,
Doch von niemand geführt, steigt sie die Stufen empor.
Anna, du folgest der Tochter, der schnellen, mit langsamem Schritt,
Hurtig dir geht sie voran, stärket die Müde mit Trost.
Anna, was wunderst du dich, an dem Kind, so zart noch an Alter,
Solche Stärke zu sehn? Gott ist es, der sie ihr gab.
Anna, du schenktest dem Haus des Herrn und den Armen gar vieles. Noch nie schenkte eine Frau, was du dem Höchsten geschenkt.
Anna, sobald du gewollt, daß das Kind dem Allmächtigen diene,
Trennt es sich freudig von dir, schließt im Tempel sich ein.
Anna, als kommen die Stunden, zu scheiden vom Kind, da netzten
Tränen dein Auge und fest hielt dich die Liebe gebannt.
Anna, gehe nach Haus und lasse die Tochter dem Höchsten:
Auf den Gesalbten, der kommt, richte sie einzig den Sinn.
Anna, die Tochter erhebe den Geist zu den himmlischen Höhen,
Nur die Liebe sie kenne, welche von oben entstammt.
Anna, dir reichlich genügen die zwei Maria zum Dienst.
Auch von diesen wirst du sorgliche Pflege empfangen.

5. Anna, durch Leiden belehrt, erweisest du Leidenden Mitleid,
Schenkest ein gnädiges Ohr allen Bedrängten zumal.
Anna, selbst das Gesetz der Natur vermagst du zu ändern,
Da du öffnest den Schoß, welcher verschlossen zuvor.
Anna, du leihst Beistand dem schwankenden Glück und sorgst,
Daß nicht entgleite der Hand, was uns dasselbe verlieh.
Anna, du zierst uns mit Ruhm und hältst von uns fern die Schande,
Du bist der Trauernden Trost, dämpfest der Liebenden Glut.
Anna, du hilfst, mag uns Feindesgewalt mit Schrecken erfüllen,
Mögen gefangen wir schon schmachten im dunklen Verließ.
Anna, du stehst dem Sterblichen bei, wenn ihn Krankheit ergriffen;
Führst zum Leben zurück, wer schon geweiht dem Tod.
Anna, auf dich vertraut auf tobendem Meer der Schiffer,
Wenn den geborstenen Kahn immer noch peitscht die Flut.
Anna, vor dir erbebt der Fürst der finsteren Mächte,
Und er entschwindet vor dir, wie vor der Sonne das Eis.
Anna, was immer wir bitten von dir, wird uns nimmer versagt,
Denn was du wünschst, das will Tochter und Enkel zugleich.
Anna, selig durch eignes Verdienst und die Würde der Tochter,
Leihe voll Gnade und Huld unsern Wünschen dein Ohr!

Einen „verdeutschten Rosenkranz der allerseligsten Mutter Sankt Anna" sandte der Franziskaner Johann Weigknaut zu Erfurt 1500 an die Gemahlin des Fürsten Ernst zu Anhalt, indem er sie zugleich in die Annabruderschaft aufnimmt, die er selbst in Erfurt gegründet hat, „drinnen Grafen, Ritter und vil guter ander Leutte sind”.

Zum Schluß sei auch noch der Lieder gedacht, die zur Ehre der Großmutter Christi gesungen wurden und teils die Macht ihrer Fürbitte, teils die Erhabenheit ihres Tugend-beispiels feierten. Als Beispiel für die Frauen wird sie in einem Lied hingestellt, das zuerst 1623 in einem Kölner Gesangbuch erscheint und also beginnt:

Catholisch Gesangbuch, gedruckt zu Nürnberg 1631, enthält mit der Überschrift: Das alte Gesang von S. Anna, Im Thon: In Gottes Namen heben wir an.

Sankt Ann die Edle Frau Sehr hochgeboren, Wol auserkohren, Hie als ein Spiegel schau! Ist aller Frauen ein Spiegel von Christal Darin die Frauen all sich können schauen.

Die Macht ihrer Fürbitte, der nichts unmöglich war, preisen folgende Verse:
Von Kindern, die sind gewesen tot - Den half Sant Anna aus aller Not
Krüppel an Füßen und von Armen, - Der sich sant Anna tat sehr erbarmen.

Besonders ertönten solche Lieder aus vieler Mund, wenn man zu ihren Gnadenorten zog, wo sie jene große Wundertaten verrichtet, von denen die vorherigen Verse melden. Da sang man gar andächtig, wie es in einem niederdeutschen Lied von 1504 heißt:

 

0 Anna zart, Zu dieser Fahrt, Laßt uns aufs neu anheben,
Ein Lobgesang, Zu Ehr und Dank, Deinem Geschlecht daneben.
Dich und die erste Tochter dein Mit ihrem lieben Sohn
Vor alles anders schon In deinem Stamm Der all voran Hoch übertritt
Mit dir selbdritt Also darbei erheben Das du wollst sein
Mit Fürbitt dein Ein Beystand unsers Lebens.

Besonderer Beliebtheit erfreute sich der „St.-Anna-Ruf", von dem Wackernagel zwei Fassungen bringt. Wir bieten hier die Fassung, wie sie das Groß Catholisch Gesangbuch zu Nürnberg 1631, enthält mit der Überschrift Das alte Gesang von S. Anna, im Ton: In Gottes Namen heben wir an.

Nun last uns all Gott rufen an, Die liebe S. Anna will uns beystan Mit Maria ihrm Kinde: Wer sich zu Gott durch sie bekehrt, Groß Gnad wird er da finden.

Sie ist ein treue Nothhelfferin Bey Gott mit Maria ihrm lieben Kind, Und wenn wir sollen sterben, So will S. Anna mit Maria Uns Gottes Huld erwerben.

Aus Königlichem Stamm ist sie geborn, Gott hats ihm selber auserkorn, Groß Heil ist von ihr entsprungen, Die Engel in dem Himmelreich Haben Gott drumb Lob gesungen.

Sie ist ein Königin im Himmelreich, Auf Erden find man nicht der gleich, Sie ist gar hoch geboren, Sie hat Maria die reine Magd, Mit Freud ohn Sünd geboren.

Und ist das nicht ein Wunder groß, Daß Jesus aus seines Vaters Schoß Aus ihrem Geblüt ist geboren? Der hat uns Sünder all erlöst, Daß wir nit würden verloren.

Sanct Anna war heilig und gerecht, Geborn von gar edlem Geschlecht,

Von König Davids Stammen, Ihr Nam hat Gnaden mit sich bracht, Drum heißt sie die heilige Anna.

S. Anna will niemand verlahn, Es sei gleich Fraue oder Man, Wer sie wird bitten eben - Und will von seinen Sünden lan, Dem wird sie Christus vergeben.

O Sünder, du sollst nicht verzagn, Sollst all dein Sünd dem Priester klagn

Und sagn dein große Schulde, So will Sanct Anna, die fromme Frau, Erwerben Gottes Hulde.

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14. Kap.
Wallfahrtsorte, Kirchen und Reliquien der hl. ANNA

Von den Wallfahrten als Äußerungen der Annaverehrung haben wir schon früher gesprochen. Wallfahrtsorte, an denen die hl. Anna in besonderer Weise verehrt wird, gibt es in allen katholischen Ländern in großer Zahl. Man kann sie nicht alle aufzuzählen, einige nehmen aber in der Geschichte der Annaverehrung eine so bedeutende Stelle ein, daß wir ihnen ein eigenes Kapitel widmen müssen. In Deutschland sind es Düren, Annaberg in Sachsen und Annaberg in Schlesien. Ihnen schließen sich andere von geringerer Bedeutung an.

Auf eine eigentümliche Weise wurde die Stadt Düren bei Köln zu einem Wallfahrtsort der hl. Anna. Der Anziehungspunkt der Wallfahrer ist das Haupt St. Annas, das einst ein kostbarer Schatz des Stiftes St. Stephan zu Mainz bildete. Es ist nur ein Teil der Hirnschale; da aber auch in den Urkunden von dem Haupt der hl. Anna die Rede ist, behalten wir hier den Ausdruck bei. Nach einem anderen, wenig glaubwürdigen Bericht soll das Haupt schon im 12. Jh. sich in Alfter bei Bonn befunden haben und von dort nach Mainz gebracht worden sein. Es war 1212 durch den Stiftsscholastiker und Kreuzzugsprediger Theobald dorthin gelangt, wie wir bereits berichtet haben. Die Reliquie wurde in der Stiftskirche hinter dem Hochaltar in einer Marmornische sorgfältig aufbewahrt. Als 1500 der Stiftsdekan Johann Fust durch den Steinmetz Leonard aus Cornelimünster eine Ausbesserung der Kirche vornehmen ließ, benutzte dieser die Gelegenheit, am Vorabend des Andreastages die Reliquie zu stehlen. Er brachte sie in seine Heimat; der Abt des dortigen Benediktinerklosters verweigerte jedoch die Annahme. Auf den Rat seiner Mutter übergab Leonard die Reliquie deshalb am 5. Januar 1501 den Franziskanern zu Düren, damit sie diese dem rechtmäßigen Besitzer zurückbringen.

In Mainz hatte man inzwischen den Verlust bemerkt. Die Boten, welche man nach Cornelimünster sandte, erfuhren hier, daß die Reliquie bereits in Düren war. Hier waren jedoch alle ihre Bemühungen umsonst. Die Franziskaner hatten sie zwar den Boten zurückgegeben, kaum erfuhr aber die Bürgerschaft Dürens davon, da widersetzte sie sich entschieden der Rückgabe; den größten Widerstand leisteten die Frauen. Die Boten mußten deshalb unverrichteter Sache nach Mainz zurückkehren. Keinen Erfolg hatten auch die Bemühungen des Dekans Fust, der selbst zur Wiedererlangung des Schatzes nach Düren eilte. Auch er vermochte bei der Bürgerschaft nichts auszurichten. Er wandte sich deshalb an Herzog Wilhelm von Jülich, der die Sache trotz aller Versprechungen in die Länge zog.

Da brachten die Stiftsherrn den Diebstahl auf dem Reichstag zu Nürnberg vor den Kaiser Maximilian, der mit seinem Kanzler, Erzbischof Berthold von Mainz, den Bewohnern von Düren die Rückgabe der Reliquie befahl. Ebenso sandte der päpstliche Kardinallegat Raymund von Gurk ein Schreiben nach Düren. Jedoch die Dürener ließen es sich nicht anfechten und mißhandelten den Boten, welcher das Schreiben an der Kirchentür anheftete. Selbst der Bann, den die Erzbischöfe von Köln und Mainz über sie verhängten, konnte sie nicht bewegen, den Schatz auszuliefern.

Die Sache kam 1503 an Papst Alexander VI. und nach dessen Tod an Julius II. Der Pfarrer von Düren, Hildebrand von Weword, reiste nach Rom und vertrat dort gegenüber zwei Mainzern Kanonikern von St. Stephan seine Sache so gut, daß der langwierige Streit endlich zugunsten von Düren entschieden wurde, zumal Kaiser Maximilian sich später selbst auf die Seite der Dürener gestellt hatte. Schien es ja, wie es in der päpstlichen Entscheidung vom 18. März 1518 heißt, als ob die Übertragung der Reliquie von Mainz nach Düren nicht ohne göttliches Eingreifen geschehen sei; in Mainz wurde sie anscheinend nicht genug verehrt, wie man auch von keinem Wunder gehört habe, während ihr in Düren durch die Andacht des Volkes und die vielen Wallfahrten eine glänzende Verehrung zuteil würde; auch könne sie ohne großes Ärgernis nicht von dort entfernt und nach Mainz zurückgebracht werden.

Julius II. bestimmte ferner, daß alle Prozesse über die Reliquie erlöschen sollten; dem Stephansstift zu Mainz wurde ewiges Stillschweigen auferlegt, während der Pastor und Kaplan, der Magistrat und die Gemeinde der Stadt Düren vom Bann befreit wurden.

„Mit Seufzen lösten die Dürener das wertvolle Pergament ein; es hatte sie schon mehr als 1600 Goldgulden gekostet." Im ganzen hatten sie 2700 Golddukaten gezahlt, bevor die Sache zu ihren Gunsten entschieden wurde. Um so größer war nun aber auch die Freude, als sie die Reliquie ihr eigen nennen durften. Es wurden öffentliche Gebete abgehalten und Prozessionen veranstaltet. Man ließ eine Annaglocke gießen und bestimmte den Dienstag zu ihrer besonderen Verehrung.

Davor mußte sich schon das französische Parlament mit einer Annareliquie befassen. Es handelte sich gleichfalls um einen Teil des Hauptes, das Mathias von Roye aus Ungarn mitgebracht und testamentarisch der Abtei Ourscamps bei Paris vermacht hatte. Da sein Sohn sich weigerte, den Schatz herauszugeben, kam die Sache vor das Parlament, das 1486 gegen die Abtei entschied, 1490 aber das Urteil zu ihren Gunsten änderte. Barbier de Montault, Oeuvres completes XVI, 50s.

In der Folge wurde die Andacht und der Zulauf der Gläubigen immer größeren. Die Martinskirche, in der die Reliquie aufbewahrt wurde, erhielt den Namen Annakirche. Die Reliquie war in einer silbernen Büste eingeschlossen, um deren Fuß man einen silbernen Gürtel mit spätgotischen Ornamenten legte. Diesen „Gürtel der um Kindersegen baten und durch die hl. Anna" legte man Frauen an, welche Fürsprache der hl. Anna diesen zu erlangen hofften.

Es war aber nicht nur das einfache Volk, welches sich in Düren einfand. Kaiser Maximilian kam dorthin, um die Reliquie zu verehren. Auch sein Nachfolger Karl V. bewies ihr seine Verehrung. Als bei der Erstürmung der Stadt durch den Kaiser in der Fehde mit Herzog Wilhelm von Jülich fast alle Häuser nebst der Kirche ein Raub der Flammen wurde, ließ Karl V. das kostbare Haupt, welches man in sein Zelt gerettet hatte, in feierlicher Prozession in das Franziskanerkloster übertragen. Der Erzbischof von Compostella, der sich beim Heer befand, trug die Eucharistie. Alle Bürgern, Geistliche und Edelleute begleiteten den Zug. Einen Glanzpunkt in der Geschichte der Dürener Annaverehrung bildete die Vierhundertjahrfeier der Übertragung der Reliquie im Jahre 1901. Wohl 100 000 Pilger fanden sich während der Festtag ein. Auch der Kölner Kardinal Fischer befand sich unter ihnen; nach der feierlichen Pontifikalmesse nahm er an der Prozession teil, die einem wahren Triumphzug zu Ehren der hl. Anna glich.

Ein sehr angesehener und vielbesuchter Wallfahrtsort war zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Stadt Annaberg in Sachsen, wie denn überhaupt die Verehrung unserer Heiligen in den sächsischen Ländern eine ungewöhnliche Höhe erreicht hatte. Noch heute zählt man in Sachsen unter den 297 spätgotischen Altären nicht weniger als 28, in denen St. Anna als Hauptbild erscheint. Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen wallfahrte 1493 als einfacher Pilger, aber mit großer Begleitung in das Hl. Land. Von Rhodus brachte er als Reliquie einen Daumen der hl. Anna mit, welchen er mit den reichen Schätzen des Allerheiligenstiftes in Wittenberg vereinigte. Er ließ nach seiner glücklichen Rückkehr eine Münze prägen mit der Aufschrift: Hilf Sancte Anna. Von Papst Alexander VI. erwirkte er 1496 ein Reskript, wodurch der 26. Juli in seinem Land als Festtag angeordnet wurde.

Als man 1492 am Schreckenberg eine neue Silberquelle entdeckte, was zahlreiche Menschen dorthin zog, betrieb Herzog Georg der Bärtige von Sachsen aus allen Kräften den Bau einer neuen Stadt, zu der am 21. September 1496 der Grundstein gelegt wurde. Das Volk nannte sie die „Neue Stadt bei dem Schreckenberg", Herzog Georg aber, der, wie kaum ein zweiter Fürst der Zeit, der hl. Anna huldigte, gab ihr aus Verehrung gegen seine Patronin den Namen Annaberg. Gleichzeitig bat er den Kaiser Maximilian um Bestätigung dieses Namens, eine Bitte, welcher der Kaiser Maximilian durch Privileg vom 22. März 1501 zu Nürnberg willfahrte. Zugleich gab er ihr ein Wappen mit dem Bild der Selbdritt, welches zwei Bergleute, die über gekreuzten Schlägeln stehen, auf einem Thron halten. Das älteste, um 1500 hergestellte Stadtsiegel zeigt den thronenden Heiland mit dem Schwert, aus dem Lilien hervor wachsen (im Anschluß an die Apokalypse); darunter Anna selbdritt mit der Umschrift: Sigillum civitatis Montis Sanctae Annae.

Die Entdeckung machte der Bergmann Daniel Knappius, den nach der Sage ein Engel zu der Erzstelle führte. Wie er dem Bergpatron Daniel eine Erzstufe überreicht, hat Meister H. W. um 1520 an dem Schlußstein des Gewölbes über dem Bergaltar in Annaberg dargestellt. Wie Annaberg, so verdanken auch andere Städte Sachsens dem Bergbau ihre Entstehung. S. Annaberg die Frau, S. Joachimsthal der Mann, / Und Mariaberg, die Tochter, sein, / Die drei Städte, die ich mein, / So innerhalb drei oder 24 Jahren aufkommen seyn. Petrus Albinus, in Annabergische Annales de anno 1492 bis 1539.

Bald genügte die hölzerne Kirche, welche man zu Ehren der hl. Anna errichtet hatte, für die zuströmenden Massen nicht mehr, und 1499 wurde durch den Bischof Johann von Meißen und den Pfarrer von Annaberg, Philipp Pfennig, in Gegenwart des Herzogs Georg und seiner Brüder Heinrich und Friedrich der Grundstein zu einer neuen Kirche aus Stein gelegt, die 65 Meter lang und 27 Meter breit ist... Die Vollendung der inneren Ausstattung fällt in das Jahr 1525, wie ein als Spruchband in der Hand eines Werkmeisters an dem Brüstungsbalken der Empore angebrachte Inschrift besagt: 1499 ist gelegt das Fundament 1525 ist das Werk vollendet.

Die erste, 1513 gegossene Glocke hieß Anna und wog 70 Zentner. Sie war mit dem Bild der Heiligen geschmückt und trug die Inschrift:

  Quae potes immensum, Anna, tu flectere Jovem,
Pelle mala, morbos contortaque fulmina pelle.
- Anna, du kannst den höchsten Gott bewegen, hilf uns aus aller Not, Vertreib Krankheit und Unglück groß, dazu die harten Donnerstoß.

Die Kirche zählt noch heute zahlreiche Darstellungen aus dem Leben der hl. Anna... Auch der Hauptaltar, welcher bereits oben beschrieben wurde, war der Mutter Anna geweiht. So fiel das Auge des Beters überall auf Bilder der hl. Frau, welcher Stadt und Kirche geweiht war... Ein um 1500 angefertigter Kelch hat unter- und oberhalb des Knaufes die Inschrift: JHS MARIA - ANNA - HILF ANNASELBDRITT. Ein Prachtwerk der Kirche war das prachtvolle Altarbild des Lukas Cranach, das später nach Spanien und von dort in jüngster Zeit in das Städelsche Institut zu Frankfurt am Main gelangte.

Eine so herrliche Kirche durfte in damaliger Zeit nicht ohne Reliquien der hl. Anna bleiben. Auch dafür sorgte Herzog Georg. Die ersten erwarb er schon 1504 unter großen Kosten aus dem Benediktinerkloster L'Isle bei Lyon, die er durch den reichen Stadtzimmermeister Johannes Weffingen und einen Freiberger Pfarrer abholen ließ...

Außer anderen Reliquien erwarb Herzog Georg 1510 einen Finger der hl. Anna, und zwar von dem König Wladislaus von Böhmen, dessen Schwester Barbara, gleichfalls eine eifrige Annaverehrerin, des Herzogs Gemahlin war; der Finger war als Geschenk Kaiser Karls IV. in das Stift Leitmeritz gelangt.

So hervorragende Reliquien zogen eine Menge Andächtige nach Annaberg. Viele, welche durch die Fürbitte der hl. Anna Heilung von ihren Gebrechen gefunden, verkündeten ihren Ruhm weithin, und es folgten stets größere Scharen nicht nur aus den Städten und Dörfern Sachsens, sondern auch aus den angrenzenden Ländern. Am zahlreichsten kamen sie am „Annentage", dem 26. Juli, der auf Anordnung des Herzogs seit 1509 mit größter Feierlichkeit begangen wurde.

Natürlich besaß dieses Zentrum der Annaverehrung in Sachsen auch drei Bruderschaften. Die angesehenste verdankte dem Herzog und dem Stadtrat ihre Gründung. Papst Leo X. hatte sie 1517 bestätigt und mit Ablässen bereichert.

Diese großartige Verehrung der hl. Anna erlitt durch die Reformation eine gewaltsame Unterbrechung. Luther, erst selbst ihr eifriger Verehrer, tat alles, um ihre Verehrung im Volk zu verhindern. So lange freilich Herzog Georg lebte, blieb das Volk im Besitz des altererbten Glaubens und pilgerte hinauf nach Annaberg. Kaum war aber nach seinem Tod (1539) sein Bruder Heinrich, ein Anhänger der neuen Lehre, zur Regierung gelangt, da war es aus mit der Verehrung der hl. Anna. Ihre Reliquien wurden verschleudert, die Lieder verstummten, die Prozessionen hörten auf, und einsam wurde es in St. Annas vielbesuchtem Heiligtum. Allerdings konnte die Liebe zur Heiligen nicht plötzlich aus den Herzen der Gläubigen gerissen werden. Aus den Nachbarländern wanderten noch im 18. Jh. einzelne Pilger nach St. Annaberg.

Die Mark Brandenburg besaß im Mittelalter in Dahlem bei Berlin einen St.-Anna- Wallfahrtsort, der im 14. und 15. Jh. großen Zulauf hatte.

Schlesien hatte mehrere Wallfahrtsorte, z. B. Rosenberg, Kursdorf, Schmiedeberg, Glogau, Annaberg. In Rosenberg (Oberschlesien) verbindet sich mit der 1444 gegründeten Annakapelle folgende Legende. Eine Jungfrau namens Anna ward im Wald von Räubern überfallen. Dem Tod nah nahm sie vertrauensvoll zur hl. Anna ihre Zuflucht. Indem sie sich unter einer Fichte zu verbergen suchte, wurde sie plötzlich den Augen der Räuber unsichtbar und entging so wunderbar dem Verderben. Man baute an dieser Stelle ein kleines Gotteshaus, und vor der entästeten Fichte errichtete man den Hochaltar. Und nun ein neues Wunder: Splitter des Baumes heilten Kranke, besonders Zahnschmerzen. Daher entwickelte sich hier bald ein Wallfahrtsort; ein Bericht von 1679 bemerkt, daß am Fest der hl. Anna 10 000 Menschen zusammen-strömten, von denen 6000 die hl. Sakramente empfingen. In dem benachbarten Ermland gab es vielbesuchte Wallfahrtsorte zu St. Anna bei Laggarben und Büsterwalde.

All die genannten Orte übertrifft an Bedeutung und Zahl der Pilger weit St. Annaberg in Oberschlesien - seit dem Krieg polnisch. Eine auf dem Chelmberg bei Leschnitz befindliche Kapelle des hl. Georg wurde um 1500 durch einen Neubau ersetzt und der hl. Anna geweiht, wodurch auch der Berg mit dem Dorf diesen Namen erhielt. Nikolaus von Strzela, Herr von Poremba, übertrug 1516 mit Gutheißung des Bischofs Johann Turzo die Kapelle der am Fuß des Berges gelegenen Pfarrei Leschnitz.

Eine größere Bedeutung erhielt das Kirchlein, als es um 1520 durch Geschenk des Nikolaus von Kochtitzky, Landeshauptmanns von Neisse, in den Besitz des heute vielbesuchten Gnadenbildes, einer Anna selbdritt, gelangte. Zahlreiche Wunder, die seit 1682 aufgezeichnet wurden, vermehrten das Vertrauen der Gläubigen und die Zahl der Pilger. 1655 übertrug der Kaiserliche Kammerpräsident Melchior Ferdinand Graf von Gaschin die Kapelle den aus Polen durch die Kriegsunruhen vertriebenen Franziskanern, die sie 1673 wegen der stets zunehmenden Pilger zu der noch heute vorhandenen Wallfahrtskirche erweiterten. Eine 1672 gegossene Glocke mit dem Bild der hl. Anna trägt die Inschrift: Sancta Anna Mater Matris Salvatoris et S. Sebastiane orate pro nobis. - Heilige Anna, Mutter der Mutter des Heilandes, und hl. Sebastian bittet für uns.

Den größten Aufschwung brachte der Wallfahrt die 1763 vorgenommene Eröffnung der sogenannten Kalvarie, d. h. Stationen, mit 37 Kapellen und wo das Leben und Leiden des Erlösers und seiner Mutter verehrt wird. 1794 schätzte man die Teilnahme an einer Prozession auf 74.000. Als 1810 die Franziskaner von der Regierung gezwungen wurden, St. Annaberg zu verlassen, wurden die Pilger auf 100.000 geschätzt. Mit der Rückkehr der Franziskaner an ihre Wirkungsstätte mehrte sich auch wieder die Zahl der Pilger, die vielfach weither kamen, aus Galizien, Polen und Rußland. Bei der zweiten Jahrhundertfeier 1864 haben mehr als 400.000 Wallfahrer den Berg der hl. Anna erstiegen.

Diesen Berichten über die drei größten Annawallfahrtsorte Deutschlands seien noch einige andere beigefügt. Annaberg bei Haltern in Westfalen wird schon seit 1556 von den Gläubigen besucht, seitdem dort bei einer neu hervorsprudelnden Quelle ein Mann wunderbar geheilt wurde. Als Bischof Bernard von Galen an Annaberg vorbeikam und von dem kleinen Bethaus hörte, befahl er, ein größeres zu bauen.

Zu der St.-Anna-Kapelle bei Brakel im Nethegau (Westfalen) muß bereits um 1500 ein starker Besuch der Annaverehrer stattgefunden haben; 1518 wurde die Kapelle durch den Bischof geweiht, was jedenfalls für deren Bedeutung spricht. Das sogenannte wundertätige Bild wurde 1750 von einem Eremiten gestohlen, um es für seine eigene neu erbaute Kapelle zu verwenden; aus diesem Anlaß wurden damals die neun Annadienstage eingeführt, die sich bis heute erhalten haben, während Wallfahrer jetzt nur noch am 26. Juli erscheinen. Wie in Annaberg bei Haltern, so befindet sich auch bei der Brakeler Kapelle ein „Annenbrunnen".

Auch an manchen anderen Wallfahrtsorten der hl. Anna findet sich eine Quelle oder ein Brunnen, z. B. in Seidorf (Schlesien) 1366 wird hier eine Quelle des hl. Bornes erwähnt, die später der hl. Anna geweiht wurde, zu Saint-Christophe-a-Berry in Frankreich oder Buxton in England.

Der älteste Wallfahrtsort der hl. Anna in Deutschland soll Unterkreuzberg in Niederbayern sein. Nach der Legende soll dort schon 910 ein Gnadenbild Annas verehrt worden sein, das man bei den Einfällen der Ungarn verbergen mußte. Als die wilden Horden 955 wieder einfielen, so erzählt eine 1719 von Martin Roy, Benefiziat in Kreuzberg, verfaßte Geschichte, und den Ort gänzlich zerstörten, rettete eine unbekannte Person das Gnadenbild an einen verborgenen Ort, wo es 42 Jahre lang verborgen blieb, bis die hl. Anna am Vorabend von St. Michael einer blinden Frau erschien und ihr diesen Ort bezeichnete; Man forschte dort nach und fand wirklich die Statue, vor welcher die Frau die Gesundheit und das Augenlicht wiedererlangte. Die erste Nachricht über den Ort stammt erst aus dem Jahr 1249, wo die Kirche ein Raub der Flammen wurde, 1313 erhielt sie eine neue Glocke. Das heute verehrte Gnadenbild ist eine um 1500 entstandene Anna selbdritt; sie sitzt, das Kind Jesus steht auf ihrem rechten Knie, Klein Maria im langen Kleid sitzt auf dem linken.

Österreich besitzt seinen ältesten Annawallfahrtsort in Annaberg bei Mariazell in Steiermark, das schon 1217 durch Abt Gebhard von Lilienfeld gegründet wurde und seine Blütezeit erlebte, als die Kaiserin 1707 eine vom Fürsten Neuberg erhaltene Reliquie der Heiligen dorthin brachte. Desgleichen gibt es in Steiermark Annawallfahrtskapellen bei Maria in der Wüste (seit 1659) und bei Straßengel, hier mit einer viel verehrten Anna selbdritt. Böhmen hat Annawallfahrtsort in Tannaberg (seit 1706) und Sudejow (mit Brünnlein unter dem Hochaltar), Mähren in Altwasser (in der Nähe Königsbrunnen) seit dem 15. Jh.

Unter den Annakirchen der Schweiz nimmt als Wallfahrtsort Steinerbergs im Kanton Schwyz die erste Stelle ein. Über seine Entstehung berichtet eine alte Überlieferung, daß zur Zeit des Bildersturmes in den Niederlanden eine Jungfrau ein vielverehrtes Anna-selbdritt-Bild der Vernichtung glücklich entzog und es zur größeren Sicherheit nach dem damals von niederländischen Pilgern häufig besuchten Einsiedeln tragen wollte. Als sie aber in der Nähe von Steinerberg ankam, wo sich seit 1400 eine Kapelle mit einem kleinen Annabild befand, vermochte sie trotz aller Anstrengung ihre Last nicht weiter zu bringen. Man ersetzte die Kapelle durch eine kleine Kirche, die am Andreastag 1501 Weihbischof Balthasar von Konstanz feierlich einweihte. 1504 sandte man den Landamman Johann Gerbrecht nach Rom, um von dem Papst Julius II. einen Ablaß zu erbitten.1628 gelangte man in den Besitz einer Annareliquie. Die Zahl der Pilger nahm beständig zu, 1684 zählte man am Annafest 5000 Kommunikanten...

In Frankreich, das fast ebenso viele Wallfahrtsorte als Reliquien der hl. Anna besitzt, ragen vor allem Apt in der Provence und Auray in der Bretagne hervor. Beide rühmen sich, schon im christlichen Altertum Stätten der Annaverehrung gewesen zu sein.

Apt will die Reliquien der hl. Anna, und zwar ihren ganzen Leib, schon bald nach Christi Tod erhalten haben. Lazarus, seine Schwestern und andere Anhänger Jesu, so erzählt die Legende, wurden von den ungläubigen Juden auf ein morsches Schiff gebracht und den Wogen des Meeres und ihrem Schicksal überlassen. Als sie aus der Heimat schieden, nahmen sie ihre teuerste Habe mit, u. a. den Leib der hl. Anna, Kleider der Jungfrau Maria und blutdurchtränkte Erde von Kalvaria. [Heute in St. Maximin beim Reliquiar der hl. Maria Magdalena]. Gott führte sie wunderbarerweise nach Marseille, wo die Geschwister sich trennten, nachdem sie jene Kostbarkeiten unter sich geteilt hatten. Dem Lazarus fielen die Reliquien der hl. Anna zu, der sie aber wegen der in Marseille herrschenden Unsicherheit dem hl. Auspicius, erstem Bischof von Apt, überließ. Bei Ausbruch der Christenverfolgung, der auch Auspicius am 2. August 102 zum Opfer fiel, barg er die Reliquien in einer Höhle. Während der Stürme der Völkerwanderung verschwand sogar das Andenken daran.

Als aber Kaiser Karl d. Gr. 792 auf seinem Zug gegen die Sarazenen Spaniens in Apt weilte, wurden sie durch die auf göttliche Eingebung gemachten Angaben des plötzlich geheilten blinden und taubstummen Sohnes des Barones von Casanova aufgefunden, und zwar unterhalb der Kirche, die über jener Höhle erbaut worden war. Köstlicher Wohlgeruch entströmte den Gebeinen, die durch eine Inschrift als Reliquien der hl. Anna bezeichnet waren. Diese Entdeckung machte ungeheueres Aufsehen in der ganzen Provence und trug zur Wiederbelebung der Annaverehrung bei.

Von nah und fern strömten nun die Gläubigen nach Apt, und bald genügte die Höhle, welche man zu einer Kapelle umgewandelt hatte, nicht mehr, sie alle aufzunehmen. Man baute deshalb neben der Kirche eine geräumige Kapelle und übertrug dorthin am 21. April 1392 die Gebeine. Apt und sein Heiligtum sah die höchsten geistlichen und weltlichen Herrscher, die zur Verehrung der Annareliquien dorthin kamen. Von den Päpsten soll als erster Urban II. dort gewesen sein, als er sich 1095 zum Konzil von Clermont begab, die Päpste von Avignon (1308-77) überhäuften das ihnen benachbarte Heiligtum mit Privilegien. 1365 weilte Urban V. in der Krypta, und ein Glasgemälde zeigt ihn kniend vor St. Anna selbdritt. Benedikt XIII. spricht in einer Bulle vom 17. April 1404 von den Reliquien der hl. Anna, die in Apt ruhen, allerdings mit der bemerkenswerten Zusage, wie man fromm annimmt (ut pie creditur). Julius II. (+1515) gestattete, die Übertragung der Reliquien nach Apt durch ein Fest mit dem höchsten liturgischen Rang zu feiern. Unter den Pilgern, die zu ihrer Verehrung herbeieilten, befanden sich 1377 König Jakob von Aragonien und seine Gemahlin, 1440 König Rene von Anjou und 1650 Königin Anna von Österreich, Gemahlin Ludwigs XIII. Zahlreiche Wunder und Schutz bei der Pest 1373 sowie in den Kalvinisten-kämpfen 1585 förderten das Vertrauen der Bewohner von Apt zu ihrer Patronin.

Wie wenig man auch anderswo an der Echtheit der Reliquien zweifelte, zeigen die zahlreichen Bitten von hoher weltlicher Seite um Überlassung von Teilchen dieser Reliquien. So erhielten Partikeln 1425 Louise von Beauveau, Frau von Sault, 1496 Simon von Roye, Statthalter der Provence, der sie der Abtei Ourscamp überließ, wo sie zu großer Berühmtheit gelangten, 1623 Königin Anna, Gemahlin Ludwigs XIII., 1713 der Großherzog von Toskana.

In der französischen Revolution wurde das Heiligtum von Apt seiner goldenen und silbernen Schätze beraubt, Pfarrer Beauchamp brachte die Reliquien in Sicherheit. 1830 fand die Restauration der Kirche statt und seitdem lebten auch die Prozessionen wieder auf. Pius IX. gestattete 1861 die Errichtung einer Erzbruderschaft der hl. Anna.

Wie Apt in der Provence, so ist Sainte-Anne d'Auray der Mittelpunkt der Annaverehrung in der Bretagne. Es gibt wohl in der ganzen katholischen Welt keinen Landstrich, wo die Annaverehrung tiefere Wurzel geschlagen und weitere Verbreitung gefunden hätte als unter den Bretonen.

Bei Vannes, so berichtet die Legende weiter, wurde an einem Ort, der Kerana (Annaort) hieß, unter dem Bischof Meriadec um 600 zu Ehren Annas eine Kapelle errichtet, und da einem solchen Bau die Verehrung immer vorausgeht, so hat man angenommen, daß die Verehrung der hl. Anna um 550 in die Bretagne eingeführt worden ist, und zwar durch Bretonen, welche entweder eine Pilgerfahrt nach Palästina gemacht und dort ihre Verehrung kennen gelernt hätten oder durch Gesandte des Königs Childeberts I., die bei einem Besuch in Konstantinopel z. Zt. Justinians I. mit ihm bekannt geworden wären. Ein Jahrhundert später wurde die Kapelle während der Kämpfe, die sich in der Bretagne abspielten, vollständig zerstört und geriet in Vergessenheit.

Im August 1623 hatte ein einfacher Landwirt und eifriger Verehrer der hl. Anna, Ivo Nicolazic eine merkwürdige Lichterscheinung, die sich bis zum 25. Juli 1624 mehrfach wiederholte. An diesem Tag, der Vigil ihres Festes, erschien ihm die hl. Anna und forderte ihn auf, den Pfarrer über die alte Annakapelle zu unterrichten und sie wieder aufzubauen. Nicolazic findet aber bei seinem Pfarrer kein Gehör; man hält ihn für überspannt und wundersüchtig. Als er aber am 7. März 1625 mit seinem Schwager Leroux und vier Nachbaren in Bocenno nach Angabe der himmlischen Erscheinung eine Statue der hl. Anna mit Klein Maria in der Erde aufdeckt, schenkt ihm endlich der Pfarrer Roduez Glauben. Bereits am 26. Juli 1625 legte der Bischof Rosmadec von Vannes nach sorgfältiger Prüfung dieser Vorgänge in Anwesenheit von 30.000 Pilgern den Grundstein zu der Kapelle, die er drei Jahre später konsekrierte.

Die Sorge für das Heiligtum übertrug er 1627 den Karmelitern. Am 1. Juli 1639 erhielt das Kloster eine Annareliquie; deren Übertragung von Paris nach Vannes glich einem Triumphzug der hl. Anna. Der kleine unbekannte Ort Auray schien plötzlich zum religiösen Mittelpunkt der Bretagne geworden zu sein.

Von allen Seiten strömten die Gläubigen in großen Scharen zum Heiligtum der Mutter Anna. Ihr Vertrauen war grenzenlos, es wurde durch zahlreiche Wunder belohnt. Die Annalen von 1625 bis 1655 wissen zu berichten, daß mehr als 30
Tote auferweckt, 27 Blinde, 25 Stumme oder Taube, 30 Lahme und 12 Fallsüchtige geheilt worden seien. Andere Wunder folgten.

Da kamen auch für Auray die Schreckenstage der Revolution. Am 26. September 1792 wurde der Kirchenschatz beraubt und die wundertätige Statue auf dem Marktplatz von Vannes verbrannt. Die Reliquie der hl. Anna entging durch einen Zufall dem gleichen Geschick. Auch ließ man die Prozessionen bestehen. Nach Wiederherstellung geordneter Verhältnisse wurde eine neue Statue nach dem Vorbild der alten angefertigt und der Wallfahrtsort bewährte seine frühere Anziehungskraft. Selbst Napoleon III. und seine Gemahlin kamen, auf der Höhe ihrer Macht am Fest Mariä Himmelfahrt 1858 nach Auray zu pilgern und ihre Namen in das Bruderschaftsbuch eintragen zu lassen.

Am 8. August 1877 konnte in Gegenwart von acht Bischöfen und 30 000 Gläubigen die Einweihung einer neuen Basilika vorgenommen werden, welcher Leo XIII. am 24. Juli 1893 aus Rom eine Reliquie der hl. Anna sandte. 300 000 Pilger, die alljährlich nach Auray kommen, sind ein lauter Beweis für die weitverbreitete Verehrung der hl. Anna in der Bretagne. Abt Gueranger hat Recht, wenn er S. Anne d'Auray zu den besuchtesten Wallfahrtsorten der christlichen Welt zählte.

Von anderen Wallfahrtsorten der hl. Anna in der Bretagne sei besonders Nantes erwähnt, wo angeblich bereits im 12. Jh. eine Annakapelle existierte. Seit 1846 besitzt es eine mächtige Annakirche im gotischen Stil und seit 1851 am Hafen eine Kolossalstatue der hl. Anna, die sich am Ende einer Treppe von 120 Stufen erhebt und die abfahrenden Schiffer segnet. 50 000 Pilger zählt man jährlich in der Festoktav. Ferner waren oder sind berühmte Wallfahrtsorte der hl. Anna in Frankreich Dijon, Lyon, Marseille und Chartres.

In Amerika hat Kanada in Beaupré (Schönwiese) den besuchtesten Annawallfahrtsort. Es ist ein 1626 gegründeter Ort, der 1910 erst 2000 Einwohner zählte, aber jährlich ungefähr 200 000 Pilger zu dem Heiligtum der hl. Anna zieht. Es waren französische Kolonisten aus der Bretagne, die im fernen Westen eine neue Heimat suchten und aus dem Mutterland die alte Liebe zur hl. Anna mitbrachten. Die 1661 errichtete Kapelle wurde wegen der zahlreichen Pilger 1676 durch eine prächtige Kirche ersetzt, in der außer den französischen Kanadiern sich auch die bekehrten Indianer in großer Menge einfanden. Ein deutscher Missionar schreibt 1833: „Wir sind hier 60 Stunden von Quebec entfernt. Unsere Wilden (Indianer) kommen fast nur als Pilger dorthin, wenn ein Gelübde sie nach St. Anna führt."

Genau zwei Jahrhunderte später, 1876, trat an ihre Stelle ein Neubau, der eine der schönsten und größten Kirchen Amerikas ist, die sich aber bald wieder als zu klein erwies und mehrmals vergrößert werden mußte und von Leo XIII. am 5. Mai 1887 den Rang einer Basilika minor erhielt. Zugleich erhob der Papst die hl. Anna zur Patronin der Provinz Quebec, und in seinem Auftrage krönte Kard Taschereau von Quebec, umgeben von sieben Bischöfen, 3.000 Priestern und einer ungeheueren Volksmenge, das alte Gnadenbild aus Holz mit einer goldenen Krone. Seitdem nahm der Zudrang der Pilger von Jahr zu Jahr zu. Während man  im Jahre 1875 erst 2.700 Wallfahrer zählte, die 1885 bereits auf 75.000 anstiegen, waren es 1895 schon 114.000, 1900 ungefähr 135.000, 1905 168.000. Auch aus den Vereinigten Staaten kommen die Pilger zum Heiligtum der hl. Anna an den Ufern des St.-Lorenz-Flusses, und eine gewaltige Statue der Heiligen auf der Fassade der Kirche begrüßt von ferne die frommen Wallfahrer. Seit 1892 besitzt Beaupré auch eine Reliquie der hl. Anna, die ihr auch von Leo XIII. geschenkt wurde. Die Überbringung der Reliquie wurde zu einem wahren Triumphzug zu Ehren der hl. Anna in der neuen Welt.

Zum Schluß dieser Ausführungen über die bedeutendsten Wallfahrtsorte der hl. Anna lassen wir das Wallfahrtslied folgen, das Klemens Brentano verfaßt hat.

  Nun ade, viel tausendmale, Anna, Gnadenmutter mein,
Von dem Berge zu dem Tale Ziehen nun die Kinder dein;
Unser Herz hast du erhoben, Unsre Seel hast du erquickt,
Weil du von dem Himmel droben Zu uns nieder hast geblickt.

Auf der Heimkehr will ich denken, Was du uns gelehret hast,

Will es üben, will es schenken; Gastfrei wird ein frommer Gast.
Als du noch ein Kind gewesen, Warst du folgsam, fromm und rein, Ach, verleih mir solches Wesen, Lehr' mich auch, ein Kind zu sein.

Eine Jungfrau in dem Tempel, Warst du, Anna, lilienrein,
Laß mich doch durch dein Exempel Keusch und ernst jungfräulich sein. Auch als Braut und Eh'frau züchtig, Wenn es Gottes Wille ist,
Rein von Herzen, fromm, aufrichtig, Du mir recht ein Muster bist.

Deine Mägde, deine Knechte, Hieltest du in Lieb' und Pflicht,

Was den Armen gab die Rechte, Das erfuhr die Linke nicht;
Ja, dein Haus war recht in Züchten, Maria ging da aus und ein;

Laß mein Haus an guten Früchten Auch wie deins gesegnet sein.

Deine Herden in drei Teile Teiltest du, den besten Teil
Triebst zum Tempel du in Eile, Flehend um der Menschen Heil. Zweiten Teil gabst du den Armen, Dritten Teil dir zugezählt,

Hast in Andacht und Erbarmen Dir den besten Teil erwählt.

Wär ich töricht doch gegangen Gnaden flehend her zu dir,
Wenn ich selbst, die Hilf' verlangen, Geizig wies von meiner Tür.

Weil Gott und Armen du geteilet, War dir Gott auch wieder mild,
Heil empfängt, wer hilft und heilet, Segen nur der Liebe quillt.

Wie ein Baum unfruchtbar steht, Und mit Blüte und mit Blatt
Betend unterm Himmel wehet, Der die Frucht verschlossen hat;

So demütig und geduldig Hast bei Gott du angesucht,
Bis dir heilig und unschuldig Unterm Herzen wuchs die Frucht.

Lehre mich auch flehen, ringen, Fasten, beten und vertrau'n,
Mein Geschrei zum Himmel dringen, Daß er mög mein Herz erbaun, Bis ich die Frucht der Buße trage, Ich, der unfruchtbare Baum,
Ach! ich wuchs schon viele Tage, Und es grünt ein Blättchen kaum.

O wie selig unterm Herzen Wuchs dir auf das Jungfräulein,
Das geholfen unsren Schmerzen Durch das süße Jesulein.
Hilf mir doch, daß mein Gewissen Neu unschuldig werd und rein, Dann leg auf dies reine Kissen Mir das Gotteskind herein.

Ist mein Herz erst aufgegangen Dem, der Reuetränen schenkt,
Werd ich Unschuld auch empfangen, Die vom Heilgen Geist empfängt; Dann wird auch in mir geboren Jesu neues Ebenbild,
Der gefunden, was verloren, Unter seines Kreuzes Schild.

Jesu, der des Himmels Gnade Nieder zu der Erde taut,

Folgt Maria auf dem Pfade, Seine Mutter, seine Braut.
Lehr mich auch mein Kreuz aufnehmen Und ihm folgen Schritt vor Schritt, Lehr mich meines Gott's nicht schämen, Geh, o Mutter Anna, mit.

 

       RELIQUIEN UND RELIQUIARE

Von jeher hat man in der katholischen Kirche die Leiber der Christen, die als Märtyrer des Glaubens oder im Ruf großer Heiligkeit starben, hoch in Ehren gehalten. Diese Ehrfurcht übertrug man auch auf Gegenstände, deren sie sich in ihrem Leben bedient hatten. Jedermann schätzte sich glücklich, wenn er in den Besitz einer solchen Reliquie gelangte. Der Wunsch, die Überbleibsel hochverehrter Personen zu besitzen, ist uralt... Emil Male hat als Kunsthistoriker über diesen Gegenstand geschrieben: „Ein gründliches und gewissenhaftes Werk über die Reliquien würde das merkwürdigste Kapitel der mittelalterlichen Geschichte bilden, und das Studium der Kulturgeschichte sowohl als der Kunstgeschichte müßte davon Nutzen ziehen. Ein solcher Stoff verlangt allerdings mehr Gelehrsamkeit und mehr Verständnis für die Vergangenheit als in dem Dictionnaire des Reliques von Collin de Plancy zu finden sind.

Plancy schreibt: „Saincte Anne, mere de la vierge Marie, a l'un de ses corps a Apt en Provence, l'autre a nostre Dame de l'Isle, a Lyon; outre cela, elle a une teste a Trier, l'autre a Duren en Jullet, l'autre en Turinge, en une ville nommee de son nom. Je laisse les pieces qui sont en plus de cent lieux; et entre autres il me souvient que i’en ay baise une partie en l'Abbaye d'Orcamps, pres Noyon, dont on faict grand festin. Finalement, elle a un de ses bras a Rome, en l'eglise sainct Paul. Qu'on prenne fondement la dessus si on peut." [Es gibt also über 100 Annareliquien! Jeder Mensch hat aber 206 Knochen]

Die Reliquien, die so viele Generationen von Menschen begeisterten, bilden in der Tat einen interessanten Stoff für das Studium. In den Reliquien wohnt wirklich eine übernatürliche Kraft, denn überall, wo der Arm eines Apostels oder das Blut eines Martyrers aufbewahrt wurde, entstand ein reiches Kloster, eine aufblühende Stadt. Der auf dem Altar aufgestellte Leichnam eines Heiligen schrieb gewissermaßen die Größenverhältnisse der Kirche vor; der Baumeister war genötigt, den Chor zu vergrößern, die Querschiffe zu erweitern, überhaupt darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Menge die Möglichkeit haben konnte, den hl. Leichnam auf dem Altar zu sehen. Die geistreichsten Schöpfungen der mittelalterlichen Schöpfungen sind aus der Notwendigkeit entstanden, einen Knochen in Gold zu fassen oder in ein kristallnes Gefäß zu verschließen... Die Kunstgeschichte darf nicht verächtlich auf die Reliquien herabblicken. Vergessen wir nicht, daß das vollendetste Denkmal des 13. Jahrhunderts, die Sainte-Chapelle in Paris, eigentlich nur ein Reliquienschrein für die Aufbewahrung der Dornenkrone ist...

Kann man sich übrigens wundern, daß die Reliquien einer so hochverehrten Heiligen, wie es St. Anna, die Großmutter Christi, war, mit Eifer gesucht, mit Sorgfalt behütet und mit Ehrfurcht behandelt wurden? Es ist daher auch leicht begreiflich, daß bei dem Mangel an kritischem Sinn und bei den vielen großen körperlichen und geistigen Leiden die einfachen Gläubigen und selbst viele Kleriker Reliquien als echt ansahen, die es in Wirklichkeit nicht waren...

Der Leib der hl. Anna ruhte ursprünglich, wie manche glaubten, in ihrem Haus zu Jerusalem. Aber eigentlich war in der Stadt kein Grab erlaubt! Von hier wurde er angeblich von Justinian II. erhoben und 710 nach Konstantinopel übertragen. Nach dem Brevier Julius II., Paris 1528, soll Kaiserin Helena die Übertragung vorgenommen haben. Außer in Jerusalem wird bereits im 8. Jh. eine Reliquie der Heiligen in Rom erwähnt, wie wir früher berichtet haben.

In größerer Zahl treten ihre Reliquien im Abendland aber erst seit den Kreuzzügen auf. Begreiflich. Auf ihren reisen kamen die Kreuzritter und Pilger zu den verschiedenen durch den Heiland und seine leiblichen Verwandten geheiligten Orten. Wie hätten sie es unterlassen können, wirkliche oder vermeintliche Reliquien zu erwerben und als kostbare Schätze in die Heimat zu bringen, wo man sie gewöhnlich zum Dank für die glückliche Heimkehr einer Kirche oder einem Kloster überließ. Auch aus der an solchen Kostbarkeiten überreichen Hauptstadt des orientalischen Kaiserreiches, aus Konstantinopel, gelangten 1204, als es auf dem vierten Kreuzzug von den Venetianern erobert und geplündert wurde, viele Reliquien in das Abendland. So kam zur Zeit der Kreuzzüge das Haupt der hl. Anna nach Mainz, und ebenso brachte, wie schon oben bemerkt wurde, Erzbischof Hartwig von Bremen eine Annareliquie mit heim. Wir geben nun ein Verzeichnis der wichtigsten uns bekannt gewordenen Reliquien und Reliquiare der hl. Anna.

In Deutschland wurden bereits die Reliquien zu Düren und Annaberg erwähnt. Düren hat für seine hochverehrte Reliquie zwei Reliquiare in Form von Büsten anfertigen lassen. Eine bedeutende Annareliquie, nämlich einen Arm, besaß die freie Reichsstadt Nürnberg. Sie gehörte zu den „Reichsheiligtümern", die Kaiser Karl IV. 1346 aus Bayern nach Böhmen brachte. 1424 gelangte sie mit anderen Reichskleinodien nach Nürnberg, wo sie neben den Reichsinsignien aufbewahrt und von Zeit zu Zeit dem Volk gezeigt wurde. Zum letzten Mal geschah dies 1524, genau hundert Jahre später, als sie unter den größten Feierlichkeiten und dem Geläute aller Glocken nach Nürnberg gebracht worden war. Man freute sich hier des neuen Schatzes so sehr, daß man den Gefangenen die Freiheit schenkte. Aufbewahrt wurde die Reliquie in einem schönen, goldenen Behälter.

Der Dom zu Trier besitzt unter seinen Schätzen ein Armreliquiar der hl. Anna, dessen unterer Teil dem 14. Jh. angehört, während der obere aus dem 16. Jh. stammt. Die Reliquie befindet sich unter Glas in dem Daumen des Reliquiars, welches folgende Inschrift trägt: Divae Annae hoc brachiale ornamentum ven. et gen. Dom. Christoph de Reineck eccl. Trevir. Decan. suo postulato argento fieri mandavit perfectum 1531. - Der hehren Anna ließ diesen Armschmuck der ehrw. und edle Christoph von Reineck, Dekan der Kirche zu Trier, auf seinen Wunsch in Silber vollenden 1531.

Solche Armreliquiare waren sehr beliebt, besonders wenn es sich um Aufbewahrung einer Arm- oder Handreliquie bzw. eines Teilchens dieser Glieder handelte. Ein silbernes, spätgotisches Armreliquiar besitzt auch Materborn am Niederrhein, das aus der Kartause auf der Grave bei Wesel stamme; ebenso der Dom zu Minden. Das Inventar des Neuen Stiftes zu Halle vom Jahre 1531 führt u. a. „ein neuer silberner Arm mit einem s. Anna-Bild und ihrem Finger" auf.

Ein prächtiges Reliquiar mit einer Reliquie der hl. Anna besitzt die Reichen-Kapelle in der ehemaligen Königlichen Residenz zu München; es ist 32 cm hoch und es wird bekrönt von einer kleinen Anna selbdritt, welche die beiden Kinder auf den Armen trägt. Das Reliquiar verdankt dem Kurfürsten Maximilian seine Entstehung. 1626 war es schon in der Kapelle aufgestellt. Das 1502 von Johann Winterburger gedruckte Heiligtumsbuch der St.-Stephans-Kirche zu Wien enthält ein Reliquiar in Form einer Monstranz mit einem „Heiltumb Sand Anna”.

Wie man Statuen und Büsten von Heiligen benutzte, um unter Glas eine Reliquie aufzubewahren, so auch die beliebte Figur der Anna selbdritt. Das 1509 von Lukas Cranach illustrierte „Heiligtumsbuch" enthält beide Formen, eine Anna selbdritt als stehende Figur und als Büste; in ersterem Fall trägt Anna, die in weite Gewandung gehüllt ist, die beiden Kinder auf den Armen, bei der Büste steht Kind Jesus auf dem Untersatz. Der Dom zu Paderborn besitzt eine silberne Anna selbdritt als Reliquiar (63 cm hoch); das Münster zu Überlingen eine barocke Selbdritt als Reliquiar.

Viel gebräuchlich als Reliquiar war auch das Kußtäfelchen, welches während der feierlichen Messe von einem Diakon bei der Erteilung des „Pax" herumgereicht wurde. Unter den in neun Gängen aufgestellten Reliquiaren und Schreinen der Stiftskirche zu Halle, welche Erzbischof Albrecht von Mainz 1518 erbaute und mit Hunderten von Reliquien beschenkte, hatte ein Reliquiar der hl. Anna die Form eines Kußtäfelchens. An den Seiten ist es mit kleinen Figuren geziert, in der Mitte sieht man Maria und Anna und zwischen ihnen das Kind, darüber die Taube des Heiligen Geistes. Die Tafel war aus Silber, die Selbdritt aus Perlenstickerei. Heiligenberg in Baden nennt noch jetzt eine Annareliquie in Form eines Kußtäfelchens vom Jahre 1629 sein eigen.

In Deutschland sind eine Annareliquie auch in Andechs, erst seit 1866, im Dom zu Halberstadt, mit vielen anderen in einer Reliquientafel, in Lichtenau (Westfalen). Außer den genannten Städten besaßen bzw. besitzen u. a. Annareliquien Köln vier, nämlich in der Dominikaner-, (alten) Franziskaner- und Kartäuserkirche und in Groß-St.-Martin, Aachen, Boppard, Frankfurt a. M.

In Österreich erfreut sich Wien mehrerer Annareliquien. Eine befindet sich seit dem 18. Jh. in der St.-Anna-Kirche; es ist eine Hand, die in einem reich mit byzantinischer Arbeit geschmückten Reliquiar aufbewahrt wird. Die Schatzkammer des ehemaligen Kaiserhauses hat ein Armknochen der hI. Anna, das in einem turmförmigen Reliquiar mit Glasbehälter aufbewahrt wird. Auf der Rückseite dieser Fassung liest man in gotischen Majuskeln die Worte: Istud est braiu scae Annae mris beae Marie (dies ist der Arm der hI. Anna, der Mutter Marias). Der Wallfahrtsort Annaberg in Steiermark erhielt durch kaiserliche Vermittlung eine Reliquie unserer Heiligen vom Fürsten Neuberg. In Böhmen, wo ungefähr 90 Kirchen der hl. Anna gewidmet waren, davon allein acht in Prag, sei erwähnt ein Finger unserer Heiligen in Prag.

Ungarn besitzt eine Annareliquie im Domschatz zu Gran. In dem Welfenschatz befindet sich eine Medaillonkapsel von 5 cm Durchmesser aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts; auf der einen Seite ist Anna selbdritt mit den beiden Kindern auf den Armen eingraviert; sie barg früher wohl auch eine Reliquie der hl. Anna.

Was Erzbischof Albrecht von Mainz für das Neue Stift in Halle tat, das tat Ritter Florian Waldauf von Waldenstein für Hall in Tirol. Dieser treue Diener Kaiser Maximilians I. und Apostolischer Protonotar sammelte mit unverdrossenem Eifer auf weiten Reisen Reliquien; er erhielt solche in Bayern, Kärnten, Krain, Ungarn, Belgien usw. und vereinigte sie zunächst in der neu erbauten St.-Anna-Kapelle seines Schlosses Rettenberg (Tirol); u. a. hatte er zwei Reliquien der hl. Anna und ein Stück von ihrem Schleier erlangt. Das „Heiltumbuch", welches er über seinen Schatz anfertigen ließ, übertraf alle anderen Bücher dieser Art an Umfang, Inhalt und Ausstattung.

Reich an Annareliquien war und ist die Schweiz. Erwähnt wurden schon die Reliquien von St. Gallen und Lützel im 11. und 13. Jh. 1491 sandte das Domkapitel von Sitten nach Mondow eine Reliquie unserer Heiligen, Zug erhielt ein „Heiltum" von St. Anna aus Savoyen. Bern rühmte sich einer solchen Reliquie, die auf einem Altar der Jakobinerkirche aufbewahrt wurde. Die Wallfahrtskirche zu Steinerberg erhielt ihre Annareliquie 1525, im Inventar der Augustiner zu Basel wird 1530 eine Reliquienmonstranz der hl. Anna erwähnt, 1535 eine im Dom zu Lausanne. 1599 legte der Generalvikar J. Jacob eine Annareliquie in den Hochaltar der Kapuzinerkirche zu Stans.

Die Schweiz wird noch übertroffen von Italien. Es ist eine große Anzahl von Städten, welche den Anspruch erheben, im Besitz einer solchen Reliquie zu sein.

In Rom und nächster Nähe glauben nicht weniger als 15 Kirchen eine Annareliquie zu haben. Am bekanntesten ist diejenige in der Basilika St. Paul (außerhalb der Mauern); hier verehrte sie bereits die hl. Brigitta (+1373), der man auch eine Partikel überließ. In der Kirche Maria Conceptione auf dem Campo Marzo bewahrt man den Ehering der hl. Anna auf. Bei der Plünderung Roms 1527 war er verloren gegangen, wurde aber später auf wunderbare Weise wiedererlangt; erst um diese Zeit wird er überhaupt erwähnt. Barbier de Montault hält ihn für den Ring einer Äbtissin des dort befindlichen Klosters. Von anderen Städten sei zunächst erwähnt Genua, das durch Handelsleute aus Konstantinopel nach der Eroberung der Stadt durch die Türken 1461 aus Pera einen Armteil erhielt; er wurde am 6. November des genannten Jahres den Franziskanern (al Monte) zur Aufbewahrung übergeben und bei Aufhebung des Klosters zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Kathedrale übertragen.

Einen Fußteil erhielt die Stadt Ancona 1380 durch Paul Paläologus, der ihn während eines Aufenthaltes im Orient erworben hatte. Pisa rühmt sich zweier Reliquien Annas, von denen die eine in der ihr geweihten Kirche, die andere in der Kathedrale aufbewahrt und um 1565 in einem Reliquienverzeichnis erwähnt wird. Bologna besitzt seit 1435 einen Teil des Hauptes, den der sel. Nikolaus Albergato, seit 1418 Bischof, erhalten hatte; er überließ es den Kartäusern, denen er früher selbst angehört hatte. Diese erbauten für die würdige Aufbewahrung eine eigene Kapelle, wo es bis zur Französischen Revolution blieb; bei der Unterdrückung der Kartause wurde es in die Kathedrale übertragen, wo es noch heute aufbewahrt wird.

Mailand besitzt eine Reliquie der hl. Anna seit 1600; damals erhielt die Kollegialkirche eine Partikel von dem Kölner Weihbischof Offenhamer; ebenso in St. Stephan (mit der Inschrift Calva Sanctae Annae). In Neapel verehrte man einen Fußteil. In Castelbuono auf Sizilien hält man einen Teil ihres Hauptes hoch in Ehren, das angeblich 1242 nach Gerace und 1465 von dort nach Castelbuono gelangte. Eine alte griechische Inschrift bezeichnet es als Haupt der hl. Anna.

In Spanien und Portugal bewahren Reliquien Annas Barcelona, Palma auf Mallorca, Saragossa, Valladolid, Valencia, Lissabon. In Belgien Antwerpen, Bottelaere, Brügge, Brüssel, Cambron, Lessines, Mons, Tournai und mehrere Abteien und Klöster.

Zahlreiche Reliquien der hl. Anna, teilweise nur ganz kleine Teilchen, die man von anderen lostrennte, sind auch nach Amerika gekommen. Sainte-Anne von Beaupre erfreut sich allein fünf dieser Kleinodien; das erste erhielt sie 1668 aus Carcassone, dessen Kapitel es dem ersten Bischof von Quebec de Laval zum Geschenk machte, das letzte kam 1892 aus St. Paul zu Rom. Ferner besitzen Reliquien unserer Heiligen in Kanada Quebec, die Kathedrale von Montreal (1841 aus Chartres) und mehrere andere Kirchen; in den Vereinigten Staaten New York (1892), Manchester (1897), Lewiston, Milton. Selbst die Insel Trinita (Antillen) erlangte eine solche Reliquie.

Zum Schluß wollen wir uns Frankreich zuwenden, das sich nicht nur des Besitzes einiger kleiner Teilchen von St. Annas Gebeinen rühmt, sondern das ihren ganzen Leib besitzen will. Wir haben früher ausführlich berichtet, wie nach der Legende der Körper Annas nach Frankreich gelangte. Apt versah zahlreiche Kirchen Frankreichs mit größeren oder kleinerenTeilchen. Ebenso war bereits die Rede von dem Haupt der hl. Anna, das Graf Ludwig von Blois 1204 nach Chartres sandte. Zu Paris gab es außer der Reliquie in der Sainte-Chapelle noch drei andere, im Besitz des Klosters von der Heimsuchung, der Prämonstratenserabtei und der Goldschmiede-Bruderschaft (alle drei vermittelt durch Königin Anna von Österreich). Drei besaß auch Valenciennes, eine Douai (einen in Kristall gefaßten und von zwei Engeln getragenen Fußteil), eine Saint-Omer, Therouanne, Bourges und Rouen, wo man jährlich am 30. Januar das Fest der Übertragung festlich beging die Kathedralen Aix und Reims, ferner Lyon (Abtei l'Isle-Barbe), die Kartause Montrieux (Provence), Orcan (Haupt, eine der wichtigsten Reliquien der Pikardie), Chiry bei Noyon Carcasonne (Kirche S. Vincent) Limoges, Toulouse (S. Sernin), Ville-neuve - lez - Avignon, Narbonne, Auray, Eymoutiers (Diözese Limoges), die Benediktinerabtei Nauteuil-en-Vallee (Diözese Poitiers), Abtei Ourscamp (seit 1490); das Reliquiar am letztgenannten Ort ist eine schöne Büste Annas, die von zwei Engeln getragen wird; darunter die Gruppe, wie Maria von Anna unterrichtet wird; vier kleine Löwen tragen das Reliquiar auf ihrem Rücken. Die Kathedrale zu Angers rühmte sich, als Reliquie eine Rippe Annas zu besitzen, die ihr im 15. Jh. von König Rene geschenkt worden war. Das silberne Reliquiar trug die Wappen des Königs und seiner Gemahlin und die Inschrift: Costa sanctae Annae, matris Virginis MariaeAuch eine so beliebte Reliquie wie das Kleid der hl. Anna oder wenigstens Stückchen davon, fehlen nicht. Angeblich soll bereits Königin Theodolinde ein solches Kleid verschenkt haben. Noch heute bewahrt man im „Welfenschatz" eine gotische Reliquienmonstranz auf mit einem Stoffstückchen, das auf einem Pergamentstreifen des 14. Jahrhunderts die Bezeichnung trägt: De tunica beate Anne, matris S. Marie Virginis.

Es ist eine stattliche Zahl von Kirchen, die sich rühmen, eine Reliquie der Großmutter Christi ihr eigen zu nennen. Unser Verzeichnis läßt sich gewiß noch vermehren und vervollständigen. Das Mittelalter, weniger kritisch als unsere Zeit, hat an ihrer Echtheit nicht gezweifelt, sondern sich über ihren Besitz gefreut. Wie damals so sind sie auch heute noch für viele Gläubige eine kräftige Anregung zur vertrauensvollen Anrufung und Verehrung der hl. Anna.

Ohne für die Authentizität auch nur einer dieser Reliquien ein Wort einlegen zu wollen, bemerken wir nur ein zweifaches: wenn manche Reliquien, z. B. ihr Haupt, an verschiedenen Orten aufbewahrt werden, so ist damit nicht gesagt, es sei an diesen Orten das ganze Haupt vorhanden. Da auch die kleineren Teile vielfach in einem Reliquiar von Kopfform aufbewahrt werden, konnte sich beim Volke leicht die Meinung bilden, es sei das ganze Haupt darin verborgen. So besitzen z. B. Düren und Amiens, wie eine Untersuchung feststellte, nur Teile eines Hauptes, die genau zusammen passen.

Zweitens sei darauf hingewiesen, daß man im Orient mehrere Heilige des Namens Anna verehrte. So berichtet Antonius von Nowgorod von einer Jungfrau Anna, deren Leib wie lebend in einer Kirche zu Konstantinopel aufbewahrt wurde; der gleiche Pilger erwähnt eine zweite Anna, die ihr Besitztum der Sophienkirche vermacht hatte und in derselben auch begraben wurde. Das Synaxarium von Konstantinopel nennt eine große Anzahl von Heiligen dieses Namens. Auch unter den abendländischen Heiligen findet sich der Name Anna. Es war also leicht eine Verwechslung möglich, und es konnten ohne bösen Willen als Reliquien der Mutter Marias angesehen werden, die in Wirklichkeit einer anderen als hl. Anna angehörten. Das Heiligenlexikon erwähnt über 20 Heilige namens Anna.

Die Bedeutung der auf der ganzen Welt zerstreuten Annareliquien leuchtet ohne weiteres ein. Wohin immer eine Reliquie kam, mochte sie auch noch so klein sein, wurde sie mit großer Freude in Empfang genommen. An dem Fest der Heiligen wurde sie meistens zur Verehrung ausgestellt. Von allen Seiten strömten die Gläubigen zusammen, um an der feierlichen Ausstellung der Reliquien teilzunehmen und sich den Schutz und die Hilfe der Heiligen zu erflehen. Daß dieses Vertrauen auch heute noch stark ist, zeigt das Bemühen mancher Kirchen in Amerika, in den Besitz einer Annareliquie zu kommen, wie auch die großen Wallfahrten nach Orten, wo ein Gnadenbild oder eine Reliquie Annas aufbewahrt wird.

   Inhaltsverzeichnis

15. Kap.
Die hl. ANNA als Schutzpatronin und in Volksbräuchen

Ein Grund zur Verehrung der Heiligen ist die zuversichtliche Hoffnung der Gläubigen, durch ihre Fürbitte bei Gott Hilfe in zeitlichen und geistigen Nöten zu finden. Wenn Gott auf die Fürsprache Abrahams Lot aus Sodom und Gomorrha gerettet hat und wenn er auf das Gebet des Moses dem sündigen Volk Israel seine Vergehen verzieh, um wieviel mehr glaubte man, durch die Unterstützung der verklärten Heiligen im Himmel von Gott Erhörung der Bitten zu erlangen. Dieses Vertrauen der Gläubigen erreichte eine besondere Stärke bei jenen Heiligen, die wegen der Größe ihrer Verdienste oder wegen leiblicher Verwandtschaft mit dem Heiland gewissermaßen mehr Anspruch haben, erhört zu werden. Zu diesen bevorzugten Heiligen gehört auch die Großmutter Christi.

Von Einzelpersonen, die sich unter ihren besonderen Schutz begaben, waren es natürlich zunächst jene, die ihren Namen trugen... Auf den Glasgemälden der Kirche St. Martin zu Montmorency, aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, kniet der Connetable Anne de Montmorency mit seinen drei Söhnen, ihm gegenüber seine Gemahlin. Beide sind begleitet von der hl. Mutter Anna; sie sitzt hinter dem Connetable und legt ihre Hand auf die Schulter der kleinen Maria, die in einem Buch liest; hinter seiner Gattin steht sie gleichfalls und weist mit der Linken nach oben, mit der Rechten auf das Buch, welches Klein Maria hält. Die mäßige Arbeit ist von Renaissance-Ornamenten umgeben. Auf einem Triptychon der Kathedrale zu Moulins (um 1498) sieht man Jesus und Maria zwischen den Donatoren Peter II. von Bourbon und Anna von Frankreich, hinter der sich ihre Patronin, die hl. Mutter Anna, befindet. Eines der schönsten Bilder dieser Art zeigt uns Markgraf Christoph I. von Baden mit seiner zahlreichen Familie, gemalt von Hans Baldung.

Wie Florenz im Mittelalter St. Anna unter ihre Schutzpatrone aufnahm, da an ihrem Namenstag der Tyrann der Stadt vertrieben worden war, so machtees Innsbruck mit dem Vorort Wilten. Als nämlich Kurfürst Max Emmanuel nach dem unglücklichen Ausgang seines Einfalls in Tirol vom Brenner zurückkehrte, schlug er am 22. Juli 1703 auf den Feldern von Wilten sein Lager auf. Sein Abzug erfolgte am Annatag. Zum Dank erwählte die Stadt Innsbruck die Heilige zu ihrer Schutzpatronin. In der Stiftskirche von Wilten aber ließ man den Abzug durch ein großes Freskogemälde von Kaspar Waldmann in den Jahren 1703-1707 darstellen.

Als 1742 in Elbogen in Böhmen französische Soldaten (für Karl VII.) einrückten, machten die Bürger am 26. Juli zu Ehren der hl. Anna ein Gelübde, und während der folgenden vierwöchigen Besatzung hatten sie keinen Grund zur Klage.

Wie einzelne Städte so haben auch zahlreiche Zünfte und Gewerbetreibende, die gewöhnlich mit Bruderschaften verbunden waren, sie zu ihrer Schutzpatronin erhoben.

Am frühesten hören wir dies von den Schiffern und von solchen, die den Gefahren des Meeres ausgesetzt waren. In dem Leben des hl. Hugo von Lincoln in England, der 1200 starb, erzählt sein Freund und Biograph Adam folgende Begebenheit: Nachdem der hl. Bischof bei dem Kastel St. Andomar mit großer Herzensfreude das Fest Mariä Geburt gefeiert hatte, begab er sich darauf mit den Seinigen zum Hafen. Als er am folgenden Tag in der Morgenfrühe das Schiff bestieg, da füllte die Mutter der Gottes-gebärerin, die sel. Anna, die Segel mit günstigem Wind, während vorher Windstille herrschte. Wie nämlich die Schiffer auf Maria als den Meeresstern ihr Augenmerk richten, um danach den Lauf der Schiffe zu lenken, so pflegen sie die Mutter Marias mit Bitten und Weihegaben anzuflehen, ihnen günstigen Wind zu senden, wenn Windstille ihnen die Ausfahrt unmöglich macht. Nach ihrer Tochter war es die hl. Mutter Anna, der Hugo mit inniger Zuneigung ergeben war. Sie hinwiederum gewährte ihm in allen Nöten und Gefahren schnelle Hilfe. Auch in diesem Fall stand sie ihm auf seine Bitte eiligst bei. Sie erfreute ihn mit einer ruhigen Fahrt, so daß er nach seiner Landung (bei Dover) sofort zur Kirche eilte, um die hl. Messe von Mariä Geburt zu feiern. - Soweit der Bericht, aus dem man sieht, daß der Brauch der Schiffer, die hl. Anna als Schutzpatronin zu verehren, sehr alt ist.

Die Bollandisten berichten, Guido Routoux aus Nantes, der in türkische Sklaverei geriet, habe mit sechs Unglücksgenossen ein Schiff aus Schilfrohr angefertigt und sei nach Anrufung der hl. Anna 1666 glücklich nach fünftägiger Fahrt auf der Insel Mallorca gelandet, wo die Patres vom Orden der Loskauf der Gefangenen das merkwürdige Schifflein in ihrer Kirche aufgehängt hätten. Nach Samson wird sie in vielen Gegenden von den Schiffern als Nothelferin angefleht; in den ihr geweihten Kapellen, die häufig in der Nähe der Häfen liegen, beten sie um glückliche Fahrt und um Abwendung der Gefahr.

Neben der hl. Barbara war und ist Anna ferner die Beschützerin der Bergleute. Daher wählten besonders Orte mit Bergbau sie zu ihrer Patronin, z. B. Eisleben, Bischofsroda, Freiburg a. d. U.; Annenrode, Annaberg wurden nach ihr benannt. „Für die Bergleute in Böhmen war der 26. Juli ein Feiertag, an welchem jede Arbeit ruhte; an manchen Orten wohnt die ganze Bergknappschaft in Feiertagskleidern der hl. Messe bei und zieht nach beendigtem Gottesdienst in Prozession, wie sie gekommen ist, ins Freie, wo ein frohes Volksfest gefeiert wird, das durch die dunklen Uniformen der Bergknappen und die bunten Trachten der Frauen einen malerischen Anblick darbietet." Daher wurden in Ländern mit Bergbau der hl. Anna auch viele Kirchen oder Altäre geweiht, z. B. in dem durch den Grafen Albrecht von Mansfeld 1511 errichteten Teile Eislebens die Kirche für die dort ansässigen Bergleute oder der Annaaltar 1492 in der Pfarrkirche zum hl. Georg in Mansfeld.

Das Städtchen Schmiedeberg im Riesengebirge erhielt schon 1312 eine Annakapelle, und zwar aus folgendem Grund. Anna: Die Tochter eines reichen Mannes, hatte viele Freier, verliebte sich aber in einen armen Schmiedegesellen. Nach vielem Beten des Mädchens erschien ihr St. Anna im Traum und sagte ihr: Nimm den Hammer deines Geliebten, geh damit in die Berge, und wo er niederfällt, wird er sich in Gold verwandeln. Man fand dort gewaltige Eisensteine und erbaute zum Dank die Kapelle.

Welche Bedeutung der Bergbau für Annaberg in Sachsen hatte, und wie stark dort der Annaverehrung blühte, haben wir ausführlich mitgeteilt; hier sei noch nachgetragen, daß die Bergknappschaft 1521 einen Altar stiftete, auf dessen Rückseite der Bergbaubetrieb von der Entdeckung der Erze an dargestellt ist. Links oben sieht man den Engel, der nach der Legende den armen Daniel Knappe auf den Berg hinweist, welcher „Nester mit goldenen Eiern" bergen soll. Er hat einen Baum bestiegen und sucht in dessen Geäst, bis er durch einen anderen Engel eines Bessern belehrt wird; rechts neben dem Baum steht mit goldenen Buchstaben sein Name Knappius. Nun macht er sich eifrig an die Arbeit und sucht den verborgenen Schatz. Das ganze, an einem Bergabhang gelegene Gelände ist nach den gleißenden Schätzen durchwühlt. Eine Förderstelle sieht man neben der andern. Hier wird der Boden gelockert, dort mittels Winden das Gestein aus dem Innern der Erde emporgezogen, hier zerkleinert, mit Handkarren oder Pferden fortgeschafft, dort gewaschen. Männer und Frauen sind gleich eifrig bei der Arbeit. Aber auch der Galgen fehlt nicht. Denn der reiche Gewinn - 1501 belief sich die Ausbeute auf 102.500 Gulden - zog viel lockeres Volk herbei, das ohne Gelage und Raufereien nicht leben konnte.

Die Beziehungen zwischen Anna und dem Bergbau sind weit hergeholt; sie wurzeln in der Neigung des Mittelalters, den Gegenständen der Verehrung und selbst des täglichen Lebens eine allegorische Bedeutung unterzulegen. Maria, Annas jungfräuliche Tochter, verglich man seit Alters gern mit dem Mond, Christus, ihr Sohn, ist die Sonne, von der sie ihr Licht empfängt. Der Mond bedeutet das Silber, die Sonne das Gold. Trithemius spielt auf diese Deutung an, wenn er am Eingang eines Hymnus sagt:

  Dein edle Frucht ist unser Heil
Gott hat dich hoch gesegnet /
Um tausend Welten ist sie nit fail
Wanns ewig Silber regnet.

Die Besitzer des Silberbergwerkes St.-Annen-Grub zu Todtnau stifteten 1515 am Münster zu Freiburg Br. eine der hl. Anna geweihte Kapelle mit prächtigen Glasmalereien, welche die hl. Sippe darstellen). Eine Inschrift lautet: Gott dem Allmächtigen, der Jungfrau Maria und der Mutter Sankt Anna zu Ehren zu Lob haben die Gewerke St. Annen-Grub in Todtnau dieses Fenster machen lassen im Jahre 1515. Die „Gewerke" sind nicht etwa die Bergarbeiter, sondern die Bergwerksbesitzer, reiche Bürger zu Freiburg. Gleichzeitig wurde auch ein Annaaltar gestiftet, der, von Meister Sixt von Staufen ausgeführt, noch vorhanden ist. Einen zweiten Annaaltar stiftete der Bürgermeister Ritter Johannes Snewlin Gresser. Da schon das Jakobusevangelium die Freigebigkeit Annas und Joachims rühmt, rief man sie mit Vorliebe auch an, um zu Besitz zu gelangen.

In Trier gründete ein Offizial, der berühmte Johann von der Ecken, für die Juristen eine St.-Anna-Bruderschaft; sie hatte ihren Sitz in St. Gangolf und hieß Juratenbruderschaft, d. h. ihre Mitglieder waren Priester, Doktoren, Advokaten, Notare, Prokuratoren und Angestellte des geistlichen Gerichtes in Trier. Der Bruderschaftsaltar war den Heiligen Fakrius, Anna, Katharina und Barbara geweiht. Am 13. Mai 1483 verliehen mehrere Kardinäle den Besuchern des Annaaltares einen Ablaß von 100 Tagen (nach Empfang der Sakramente). Auch die Sekretäre und Beamten der kurfürstlichen Kanzlei in Koblenz schlossen sich um diese Zeit auf Betreiben des Kanzlers Ludolf von Enschringen einer solchen Bruderschaft an.

Daß die reichen Kaufherren in Frankfurt am Main besonders die hl. Anna verehrten, wurde früher bereits berichtet. Ebenso entstand durch Kaufleute 1508 in Ravensberg eine Annakapelle. Wenn sie sich der Annaverehrung widmeten, so geschah es deshalb, weil am Festtag Annas das Evangelium vom „Schatz im Acker" (Gewerke), der „Perle, die ein Kaufmann erwirbt", und vom „ wohlunterrichteten Schriftgelehrten, der Altes und Neues aus seinem Schatz hervorholt" spricht. (Juristen und Professoren).

Ebenso nahmen die Schreiner Anna zur Patronin, weil, wie Cahier meint, im 15. und 16. Jh. der Tabernakel vielfach als Meisterstück angefertigt wurde, Anna aber den ersten Tabernakel, ihre jungfräuliche Tochter, gebildet hatte. In den Statuten der Zimmerleute und Schreinermeister von Angers, die 1487 durch König Karl VIII. bestätigt und 1514 durch Franz I., 1550 durch Heinrich II. und 1657 durch Ludwig XIV. erneuert und vermehrt wurden, heißt es an erster Stelle, daß die Mitglieder sich jährlich am 26. Juli, am Fest der hl. Anna, versammeln sollen, da sie die Patronin der Zunft sei. Nach den „Statuten und Privilegien" der Schreinerinnung von Angouleme vom Jahre 1512 fand in der Kirche des hl. Andreas sogar jeden Sonntag eine Messe mit Gebeten zu Ehren der hl. Anna statt. In Paris hatten die Tischler und Schreiner gleichfalls die hl. Anna als Patronin; ihre Zahlmünze, die im Jahre 1748 geprägt wurde, trug auf der einen Seite das Bild ihrer Schützerin, wie sie Maria lesen lehrt, mit der Inschrift: Sic fingit tabernaculum Deo.

In Amiens erneuerte die schon im 15. Jh. existierende Bruderschaft ihre Statuten, in denen es u. a. heißt: „Die Schreinermeister und ihre Witwen versammeln sich alle Jahre am 26. Juli, dem Fest der hl. Anna, ihrer Patronin, um in der Kirche der Franziskaner dem Gottesdienst beizuwohnen". Eine in der Seine gefundene Medaille zeigt auf der einen Seite St. Anna, wie sie Maria belehrt, auf der anderen die Schreinerwerkzeuge. Mit den Schreinern vereinigten sich zu ihrer Verehrung die Drechsler, Böttcher und andere Holzhandwerker. Die Tischler nannten eine Mischung von Leim und Sägemehl, womit sie die Löcher zustopften und Löcher im Holz verdeckten, „Hirn der hl. Anna'.

Selbst in die Liturgie ist die Deutung von Anna als Tabernakel Marias übergegangen, es heißt in dem Hymnus Ad matris Annae im alten Missale von Le Mans und Freising:

Fabricatur in hac Anna
Quae virtutum causit manna
Arca novi Testamenti
O res magni sacramenti!
Manna verum, quo mundus pascitur,
Hic est puer, qui nobis nascitur
Vere felices dominae,
Per quas Deus in homine Salutem operatus est.

In Tolkemit, Ermland, erschien seit dem 16. Jh. die dort bestehende Annabruderschaft als kirchliche Vereinigung der Fischer und besaß einen Altar der hl. Anna. Sie unterhielt damals einen eigenen Vikar, der am Bruderschaftsaltar die hl. Messe lesen mußte. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bestand die Sitte, daß die Mitglieder, wenn sie mit dem Herbstgarn fischten und einen guten Fang machten, vor dem Verkauf einen schweren Fisch zurücklegten und dessen Erlös der Bruderschaft gaben.

Mancherorts verehrte die Zunft der Handschuhmacher, Seiler und Lohgerber St. Anna als ihre Schutzpatronin. In Peronne bewahrt man eine Fahne dieser Zunft vom Jahr 1636; eine Seite ist mit der hl. Anna geschmückt, die andere mit Ludwig XIII., der die Abzeichen der Zunft trägt.

Die hl. Anna galt als geschickte Hausfrau, auf die man in der Lesung ihres Festtages jenes Lob aus den Sprüchen Salomons anwandte: Sie sorgt für Wolle und Flachs und arbeitet mit kunstfertigen Händen... Sie legt ihre Hände an große Dinge und ihre Finger erfassen die Spindel... Sie fertigt sich Decken; feine Leinwand und Purpur ist ihr Gewand... Sie macht feines Linnen und verkauft es und liefert dem Chananiter Gürtel (Spr 31,13f.). Daher wurde sie die Patronin der Arbeiter und Arbeiterinnen, welche Leinen und Tuch für Kleider anfertigen oder verkaufen. Ebenso wurde sie besonders verehrt von den Näherinnen, Strumpfwirkerinnen, Spinnerinnen, Webern und Flachshändlern.

Als gute Hausfrau war Anna auf Ordnung bedacht und sorgte für Sauberkeit. Man konnte daher mit Vertrauen Zuflucht zu ihr nehmen, um verlorene Sachen wieder zufinden. Die Besenbinder, die das für die Reinlichkeit unentbehrliche Instrument anfertigten, durften sie deshalb als ihre Patronin verehren.

Noch in Vlämisch Belgien feierten die Spitzenklöpplerinnen den 26. Juli als Festtag. Das ganze Jahr hindurch wird von den geringen Ersparnissen etwas zurückgelegt für den Sankt-Anna-Tag, oder es werden auch für Versäumnisse und Fehler in den Werkstätten kleine Geldbußen auferlegt, die man sammelt, um daraus die Kosten für einen gemeinsamen Ausflug am Feste der Patronin zu bestreiten.

Überhaupt waren es vornehmlich die niederen Stände, welche die hl. Anna mit Vorliebe zur Patronin erwählten; so in manchen Gegenden die Dienstboten und Arbeiterinnen, die Krämer und Müller, die Stallknechte und Stockmacher. Weil Patronin der ärmeren Stände, wurden hier und da schon früh auch die Armenhäuser unter ihren besonderen Schutz gestellt. So schenkte Ritter Ludolf von Veltheim in Braunschweig 1326 einen Teil seiner Burg zu dem Zweck, daß er „armen Leuten zu einer ewigen Wohnung" diene; er wurde St.-Anna-Konvent genannt. Ein zweites Haus (auf dem Werder), das zur Aufnahme von zehn hilfsbedürftigen Personen diente, hieß gleichfalls Annakloster.

Besonders galt sie als Patronin der Ärmsten unter den Armen, der Kranken. Es standen deshalb im Deutschordensland Preußen unter ihrem Schutz die Hospitäler Frauenburg, Zinten und Löbau, in Schlesien zu Bielitz (1477) und Liegnitz (1395). In einem alten Segen zu Ochsfurt wird eine personifizierte Schar von Gichten (gegen 25 Arten), die im Feld umherirren, von der hl. Anna in das wilde Heer, aus dem sie gekommen, zurückverbannt. In Spanien betet man: Hl. Anna, guter Tod, kurzes Krankenlager. Heute hat man an den alten Brauch mehrfach wieder angeknüpft und die hl. Anna zur Patronin von Häusern und Kapellen der Caritas erwählt.

In einem schwedischen Brevier vom Jahr 1519 wird der Klerus besonders aufgefordert, St. Anna zu verehren, um durch ihre und ihrer Tochter Fürbitte die Gnade der Keuschheit zu erlangen.

  Annam clerus veneratur   Postulans suffragia,
Ut Mariae per hoc detur    Magna reverentia.
Anna, Maria precibus    Clerum et ecclesiam
Confortent, ut in omnibus   Servent continentiam.

Daß die Stallknechte zu Rom die hl. Anna zur Schutzpatronin hatten und ihr Fest bis zum Einzug der Piemontesen in die Ewige Stadt glänzend feierten, wurde bereits früher angedeutet. Sie wählten sie zu ihrer Patronin, weil der Heiland in einem armen Stall zur Welt kam. Es dürften gerade über diese einst sehr angesehene Bruderschaft einige genauere Angaben angebracht sein, zumal ihre Bedeutung bei uns kaum bekannt ist. Gegründet 1378 unter Urban VI. gehörten ihr ursprünglich die Parafrenieri des Papstes an, d. h. die diensttuenden Beamten und Diener in der näheren Umgebung des Papstes; auch sie wurden nicht unterschiedslos, sondern nur mit Auswahl aufgenommen. Bei den Versammlungen trugen sie ein weißes Gewand mit blauem Gürtel und einem Bild der hl. Patronin.

Zweck der Bruderschaft war gegenseitige Unterstützung in gesunden und kranken Tagen und fürbittendes Gebet für die Verstorbenen. Sie genossen große Privilegien. Papst Klemens VII. gewährte 1523 dem Dekan den persönlichen Adel und den Mitgliedern u. a. die Ernennung zu Doktoren des Rechtes und der Theologie und den Gebrauch des Tragaltares. Seit dem 15. Jh. erweiterte man den Kreis der Mitglieder und nahm auch die Parafrenieri der Kardinäle, der höheren Prälaten (seit 1696) und seit 1748 sogar weibliche Mitglieder auf.

Papst Pius IV. gestattete der Bruderschaft am 20. November 1565, im Borgo Pio eine eigene Kirche zu erbauen und die in der Vatikanstadt zur Pfarrkirche erhoben wurde. Sixtus V. gewährte ihr 1589 das Privileg, am Patronsfest einem beliebigen Gefangenen die Freiheit zu schenken. Unter Benedikt XIV. erhielt die Bruderschaft neue Statuten, die ein umfangreiches Buch ausmachen und einen Stich des Aeg. Seb. Conca enthalten: Anna belehrt Maria, die in einem Buch liest...

Die Zünfte errichteten ebenso wie die Bruderschaften ihrer Patronin natürlich Kapellen und stifteten Altäre. So besitzt die St.-Nikolai-Kirche zu Flensburg noch heute einen Annaaltar, der auf Kosten der Bäckerbruderschaft entstand, Schmöllin in Sachsen -Altenburg besaß 1522 einen Altar der Schuhmacher.

Vor allem aber war St. Anna die Patronin der Frauenvereine, deren es auch bereits im Mittelalter viele gab. Sie war ihr Vorbild besonders in der Erziehung der Kinder. Hatte sie ja das vollkommenste Kind, die allerseligste Jungfrau Maria, aufgezogen und sie in den hl. Schriften unterrichtet. Solche Vereine gab es noch im 17. Jh., und die Darstellungen auf ihren Vereinsbildern waren stets St. Anna, wie sie die Jungfrau unterrichtet.

Neben den allgemeinen Anliegen, welche man der Mutter Anna vortrug, waren es manche bestimmte Nöte und Drangsale, von denen man durch ihre Fürsprache befreit zu werden hoffte. Zu den furchtbarsten Heimsuchungen Europas gehörte gegen Ende des Mittelalters die Pest. Und da gegen sie alle menschlichen Mittel versagten, nahm man zu den Himmelsbewohnern seine Zuflucht. Am beliebtesten waren als „Pestheilige" Rochus und Sebastian. Doch auch manche andere Heilige wurden um ihre Hilfe angefleht. Bei der Verehrung, die damals Anna genoß, darf es uns nicht wundern, wenn man sich in dieser Not auch an sie wandte. So sehen wir sie auf einem Holzschnitt vom Ende des 15. Jahrhunderts, das die Selbdritt in einer damals vielfach üblichen Form zeigt. Rechts kniet ein Mann und erbittet sich die Hilfe St. Annas gegen die Pest, wie es die Unterschrift deutlich besagt: ein andächtiges Gebet zu der heiligen Frau Sant Annen vor der Seuche der Pestilenz. Es folgt weiter jenes dem Ave Maria nachgebildete Gebet, von dem früher schon die Rede gewesen ist.

In St. Pölten bei Weilheim (Oberbayern) liest man auf einer Votivtafel: Sechzehn hundert zwei und dreißig / War die Zahl zu merken fleißig / Hat hier Pest den Sitz bekommen / Viel der Menschen weggenommen. / Im größten Leid dacht jedermann / St. Anna ist, die helfen kann. / Darum der Rat ein ganzes Jahr / Versprach auf dem Kapellen-Altar / Am Mittwoch ihr zu Ehren / Ein Meß allzeit soll ghören. / Der Bruderschaft dies vorgelegt / Ganz eifrig z'halten hat bewegt. / Dazu sie noch ihr Schutzfrau gnennt / In kurzem die Pest hatte ein End. / Wenn heutigs Tag ein Not entsteht / Die Stadt zur Mutter Anna geht. / Zu jeder Zeit und Stunden / Ihr Hilf sie hat gefundene. Im Elsaß verehrte man St. Anna auch gegen Syphilis.

Ferner hoffte man durch die Fürbitte Annas jenes Familienglück zu erlangen, das sie selbst lange entbehren mußte, und dessen sie erst nach zwanzigjährigen Bitten teilhaftig wurde, das Glück des Kindersegens. Schon in dem Leben der hl. Sadalberga (+ um 670 in Belgien) lesen wir, daß sie in ihrer Kinderlosigkeit den Glauben der hl. Frauen Anna und Elisabeth nachahmte und durch anhaltendes Gebet sich von der Unfruchtbarkeit befreite. Wiederholt hören wir von Stiftungen oder Wallfahrten, welche gemacht wurden, um den Kindersegen zu erlangen, bzw. als Danksagung nach erfolgter Erhörung. So erbaute Erzherzog Leopold von Österreich aus Dankbarkeit gegen die hl. Anna zu Reute (Tirol) ein Franziskanerkloster, nachdem ihm ein Nachkomme beschert worden war. Am 15. März 1628 legte der Fürst selbst den Grundstein zu dem Gebäude. Aus demselben Grund machte die Kaiserin Eleonora von Österreich, Gemahlin Leopolds I., zu Fuß die beschwerliche Wallfahrt nach St. Annaberg in der Nähe von Wien. Am 27. März 1660 begab sich Anna von Österreich, Gemahlin Ludwigs XIII. von Frankreich, nach Apt, um dort vor den Reliquien der hl. Anna ihren Dank abzustatten, daß sie auf ihre Fürbitte Mutter geworden war; sie machte bei dieser Gelegenheit der Kirche u. a. eine sechs Zoll hohe Annastatue aus reinem Gold zum Geschenk. In der St.-Anna-Kirche zu Prag wurden am Dienstag von unfruchtbaren Frauen und von Müttern, deren Kinder krank waren, Kerzen geopfert.

Natürlich rief man St. Anna auch an, wenn die Stunde der Geburt herannahte; es haben sich aus dem 12. Jh. Gebete erhalten, welche außer anderen hl. Müttern auch Anna nennen und die vom Priester vor der schweren Stunde am Wochenbett verrichtet wurden, was später, als die Anwesenheit eines Geistlichen unpassend erschien, von Laien geschah. Namentlich seit dem 14. Jh. galt sie als die mächtige Beschützerin der Gebärenden; für schwangere Frauen las man die Messe von der hl. Anna.

In der Kirche S. Paul alla Regola zu Rom besteht eine besondere Andacht zur hl. Anna für die Frauen im Wochenbett; man verteilt dort ein kleines Bild in Medaillonform mit der hl. Anna, die in der Rechten ein Schriftband mit den Vorzügen Marias enthält, die in kleiner Gestalt mit auf der Brust gekreuzten Armen Gott für seine Wohltaten dankt; auch werden dort Kerzen gesegnet, die man während der Niederkunft anzündet. Leo XIII. gewährte 1878 eine große Audienz den Mitgliedern des frommen Instituts, das sich 1871 unter den Schutz der Jungfrau Maria und der Mutter Anna gestellt hatte, um armen Wöchnerinnen zur Hilfe zu kommen.

War St. Anna eine mächtige Helferin in den Nöten des Lebens, so durfte man auch in der Todesstunde mit Vertrauen zu ihr seine Zuflucht nehmen. In der Tat finden wir sie sowohl diesseits wie jenseits der Alpen unter den Heiligen, denen man die hinscheidende Seele besonders empfahl.

In der Litanei für die Sterbenden wird St. Anna angerufen in einem liturgischen Buch der Diözese Abo in Finnland (1522) und der Diözese Linköping in Schweden (1525)2. Dasselbe ist der Fall in einem Brevier des 14. Jahrhunderts, das sich im Besitz der Abtei Monte Cassino befindet. Hier hat man auch die Kapelle, wo die Mönche begraben werden, der hl. Anna geweiht und den Altar mit einem entsprechenden Bild geziert. In der Mitte thront die Gottesmutter, zur Rechten steht St. Benedikt, zur Linken St. Anna mit dem Jesuskind auf dem Schoß, weiterhin St. Joseph und St. Joachim. Der hl. Benedikt bittet für die verstorbenen Mönche um Einlaß in die ewige Glorie. Seine Bitte wird erfüllt, wie ein von drei Engeln gehaltenes Spruchband in der Höhe besagt: Ich werde ihn einführen in das Haus meiner Mutter und in das Gemach meiner Gebärerin. Ebenso erwählten die Großmeister des Deutschen Ordens ihre letzte Ruhestätte unterhalb der Kapelle der hl. Anna im Schloß zu Marienburg, die sich bereits 1394 nachweisen läßt.

In Colmar wurde 1504 bei den Franziskanern eine Annabruderschaft gegründet, hauptsächlich um den armen Seelen im Fegfeuer zu Hilfe zu kommen. Aus dem gleichen Grund geschah es wohl auch, daß man ihr gern die Kapellen auf den Friedhöfen weihte. Um 1320 erbaute man in Colmar auf dem Coemeterium eine Kapelle der hl. Anna, der hier somit der Platz eingeräumt wird, den sonst St. Michael innehatten. Ebenso besaß der Friedhof der Peterskirche in Erfurt im 14. Jh. eine Annakapelle. Zu Cham und Menzingen in der Schweiz wurde 1500 bzw. 1513 die Friedhofskapelle der hl. Anna gewidmet, in Württemberg zu Waldbach, Ingelfingen, Beilstein, Uttenweiler und so an vielen anderen Orten.

Jakob Fugger stiftete in Augsburg eine prachtvolle Annakapelle und bestimmte sie zur Begräbnisstätte seiner Familie. In Tolkemit bestand eine angesehene Annabruderschaft, die als Begräbnisbruderschaft in dem Städtchen eine bedeutende Rolle spielte. In Wartenberg wurde bei Begräbnissen erster Klasse das St.-Anna-Buch der Bruderschaft auf dem Sargdeckel befestigt.

Als Patronin wurde St. Anna auch sehr häufig für Kirchen, Altäre und Klöster gewählt, wie die neuere Forschung über die Patrozinien gezeigt hat. Rheinland und Westfalen zählen allein ungefähr 70 solcher Patrozinien, die noch dem Mittelalter angehören, Bayern 48, Schlesien über 50, teils älteren teils neueren Ursprungs. Ausführlich haben wir darüber bereits früher gehandelt. Aber auch ganze Städte stellten sich unter Annas Schutz und nahmen ihr Bild in ihr Wappen auf. So führte, wie Annaberg in Sachsen, auch Braunschweig die hl. Anna in seinem Stadtwappen. Außer den Städten, die sich nach ihr benannten, wählte sie z. B. Madrid 1597 während einer furchtbaren Pest zu seiner Schutzpatronin, und lange Zeit feierte die spanische Hauptstadt ihr Fest mit großer Prachtentfaltung. Ferner war oder ist sie die Schutzherrin von Apt, Aveira, Braunschweig, Ourscamp (Frankreich), Scopia (Serbien), der Bretagne und des Hennegaus. Auch die Diözesen Palma auf den Kanarischen Inseln und Veszprem in Ungarn haben sich unter ihren Schutz gestellt.

Es konnte nicht ausbleiben, daß eine so beliebte Heilige wie St. Anna auch außerhalb der Kirche und des Gottesdienstes die Phantasie des Volkes vielfach beschäftigte und zu allerlei Bräuchen und Sprüchen Anlaß gab. In der Bretagne nehmen die Landleute besonders während der Erntezeit zur hl. Anna ihre Zuflucht, was man auf den grünen Mantel zurückführen möchte, den sie vielfach auf alten Kirchenbildern trägt. In der Anna-Wallfahrtskirche zu Schwendelberg (Kanton Luzern) werden viele „Wettermessen" gelesen, um Hagelschlag von den Feldern fernzuhalten. Bruiningk findet den Grund in der 3. Antiphon zu den Landes ihres Offiziums: Labia omnium collaudant Dominum, Quia omnibus gentibus sancta Anna, Terra benedicta, dedit fructum suum.

Das hängt natürlich mit dem Umstand zusammen, daß ihr Fest in die Zeit der Ernte fällt, wie z. B. in Nordfrankreich der hl. Petrus als Patron der Schnitter und Mäher gilt, weil sie zu Beginn der Erntezeit, am 1. August, dem Fest Petri Kettenfeier, durch gemeinsames Gebet in den Kirchen Gottes Segen auf ihre Arbeiten herabflehen. Ihr Mantel war grün, weil Grün die Farbe der Hoffnung ist, Anna aber die Hoffnung der Welt in sich trug. Auch heute tragen noch in Bayern und in der Schweiz an einzelnen Orten bei Prozessionen die Mitglieder der Annabruderschaft einen grünen Mantel...

Die Stände, welche Anna als besondere Schutzpatronin verehrten, suchten sie natürlich auch als ihr Vorbild nachzuahmen. So stellt selbst der hl. Ignatius von Loyola sie in seinem berühmten Exerzitienbüchlein als Muster für das Almosengeben hin; hatte sie ja mit ihrem Mann ein Drittel des Vermögens alljährlich an die Armen verteilt. Der bedeutende Prediger Johannes Herolt OP (15. Jh.) empfiehlt die Verehrung der hl. Anna seitens der Verheirateten und stellt sie ihnen als Vorbild hing.

Als Schutz trug man im Mittelalter wie noch heute vertrauensvoll Medaille mit einem Heiligenbild. Auch von St. Anna glaubte man, daß sie auf vertrauensvollen Anruf hin Hilfe bringe, und daher führten ihre Verehrer sie wohl im Bild auf Medaillen mit sich. Ein silbernes Medaillon (5 cm Ø) aus der Mitte des 15. Jahrhundertsmit Anna selbdritt ist auch im Welfenschatz.

Bereits früher wurde erwähnt, daß bei den Wallfahrtsorten der hl. Anna sich häufig ein Brünnlein findet, mit dem sich manchmal allerlei Sagen verbinden, so z. B. in Niederzwönitz (Sachsen). Dort erkrankte Ärmchen, die Tochter eines Försters, im fünften Jahr an den Blattern und wurde blind. Nirgends konnte sie in ihrem Leid Hilfe finden. Deshalb betete sie eifrig zur hl. Anna, die ihr in der Nacht vor ihrem Fest im Traum erschien, sie in den Streitwall hinausführte, auf eine Quelle deutete und sie segnete. Als sie diesen Traum am anderen Morgen ihrem Vater erzählte, führte dieser das Kind zu der Quelle, wusch es mit dem Wasser, und Ännchen war geheilt. Man erbaute deshalb dort 1498 eine Kapelle. Wie zu Brakel im Nethegau so holt man auch in Inzikofen (Sigmaringen) die Kinder aus dem Brunnen Höll in Berbsheim; ebenso gibt es in Weingarten und Gmünd „Kindlisbrunnen". Eine Annaquelle gegen Gicht und Rheuma findet sich bei Lhota in Böhmen, ebenso eine heilkräftige Quelle bei Frankenthal.

In folgender Weise bringt Spanien mit seiner starken Annaverehrung die Kinder und St. Anna in Verbindung. Dort gibt es folgendes Kindergebet: Senora Santa Ana... Hl. Frau Anna, Christi Großmutter, schläfere mich ein in deinem Schoß, da ich sehr klein bin. Wache über meinen Schlaf, laß nicht zu, daß mich betrübe weder ein Übel, eine Sorge noch sonst ein Alptraum. - Hat sich ein Kind verletzt, so sagt die Mutter in Südspanien zu ihm: Großmütterchen Sankt Anna sorgt und heilt's.

Als ein Schutzmittel gegen allerlei Beschwerden und Krankheiten entstand während der Blüte der Annaverehrung in Deutschland das Annawasser, das vielleicht mit den früher erwähnten Annaquellen zusammenhängt. Seine Weihe war von der Rezitation von Psalmen, der Litanei mit besonderer Anrufung für das Wasser und einer Anzahl Versikeln und Orationen begleitet. Eine lange Weiheformel enthält die Agende der Kollegiatkirche des hl. Mauritius und der hl. Maria Magdalena ad Sudarium Domini in Halle. Nach der Weihe wurde das Wasser an das Volk ausgeteilt. Nach einem der Weiheformel angehängten „Verzeichnis" galt es als Heilmittel gegen alle möglichen Nöte, gegen das Fieber wie gegen „die Franzosen*'', für schwangere Frauen wie gegen Kopf- und Brustschmerzen, endlich auch für Besessene. Diese Weiheformel ist entstanden unter den Stürmen der kirchlichen Neuerung, der auch Halle sich anschloß; aber auch damals dachte man nicht daran, liturgische und volkstümliche Gebräuche von fragwürdigen Übungen zu reinigen.
*Die do Frantzosen (lues) haben. Item menschen, die do mit den Frantzosen oder blattern beladen, sollen sant Anne wasser gebrauchen, viertzig tage lang in allen yren speisen und tranck, und alle tage drei Vatterunser, drey Ave Maria und eynen Glauben betten und auff den dinstag sanct Anne vasten und die blattern mit dem wasser waschen, ydoch gantz wenig netzen... Ähnliche Anweisungen bei den anderen Kranken.

Wie die Kirche selbst sich nicht stets auf gleicher Höhe gehalten hat, im Lauf ihrer geschichtlichen Entwicklung vielmehr ein Auf und Nieder des christlichen Lebens zeigt, so geht es auch mit der Verehrung der Heiligen. St. Anna ist ein auffälliges Beispiel hierfür. Aus kleinem, aber fruchtbarem Samenkorn erwuchs im Lauf der Jahrhunderte ein gewaltiger Baum, der seine Zweige soweit ausdehnt, als Mitglieder der katholischen Kirche wohnen.

Seine Blütezeit erlebte die populäre Verehrung der hl. Anna am Ende des Mittelalters, als die Frage nach der unbefleckten Empfängnis Mariä die Aufmerksamkeit auch auf die Mutter Anna lenkte. Hoch und Niedrig erwählten sie damals zur Patronin, Zünfte und Bruderschaften stellten sich unter ihren Schutz, Gelehrte und Künstler weihten sich ihrem Dienst. Italien und Spanien, Frankreich und Polen, Schweden und die Balkanstaaten, vor allem aber Deutschland erwiesen ihr eine Verehrung, wie ihn mit Ausnahme ihrer Mutter Maria seitdem seitens des Volkes wohl keine Heilige empfangen hat. Wie aber bei Maria Ziel der Verehrung ihr göttlicher Sohn Jesus Christus ist, so auch bei Anna. Sie wird deshalb von der Kunst fast stets in Verbindung mit ihrem göttlichen Enkelkind oder wenigstens mit ihrer Tochter dargestellt.


Die Blüteperiode dieser populären Verehrung endet in Deutschland mit dem Ausbruch der Reformation. In dem Herzen des katholischen Volkes jedoch konnte die Liebe zu St. Anna wohl eine Zeitlang gemindert, nicht aber ausgelöscht werden. Auch im 16. und 17. Jh. wurden neue Annabruderschaften gegründet, neue Kirchen ihr geweiht, neue Bücher über ihre Verehrung geschrieben. Namentlich war das in Spanien, Italien, Polen, Frankreich und Belgien der Fall, wo eine neue Blüteperiode einsetzte.

Im 18. Jh. nahm mit dem Erwachen eines neuen christlichen Lebens auch die Verehrung St. Annas einen neuen Aufschwung, der anscheinend noch nicht zum Abschluß gekommen ist. Einige Zeichen dieser Neubelebung haben wir in den vorhergehenden Kapiteln schon angeführt. Namentlich in Italien ist die Verehrung St. Annas in aufsteigender Linie begriffen, besonders in Neapel. Als man bei dem furchtbaren Erdbeben 1805 ihren Schutz erfahren hatte, wuchs die Verehrung der Heiligen in außergewöhnlicher Weise. Nicht weniger als sechs Kirchen waren bereits 1872 der hl. Anna in Neapel geweiht.

In Deutschland wurden Frauenheime und Erziehungsanstalten für die weibliche Jugend nach der hl. Anna benannt. Hier gibt es nur wenige größere Kirchen, die nicht eine Statue oder ein Bild der Heiligen besitzen.

Wie die Verehrung der hl. Anna in Kanada in Blüte stand, wurde früher schon angedeutet. Mit den Kanadiern wetteifern die Brasilianer und die anderen Völker Südamerikas. Brasilien hatte 1907 nicht weniger als 175 Orte mit dem Namen Anna.

So sind denn heute die Katholiken der alten und der neuen Welt einig in der Verehrung jener gebenedeiten Frau, die der Menschheit die allerseligste Jungfrau Maria und durch sie den Heiland und Erlöser Jesus Christus geschenkt hat. Nahe bei der Gottesmutter Maria steht die Großmutter Anna.

Die große Verehrung der hl. Anna ist aus dem Volk gewachsen und vollzieht sich im wesentlichen auch in volkstümlicher Weise. Denn die katholische Kirche widmet in ihrer Liturgie unserer Heiligen nur einen Tag im Jahr, die Volksverehrung ist jedoch an keinen Tag und an keine bestimmten Formen gebunden. Treibendes Motiv für das Volk aber ist der Gedanke und das Bewußtsein, daß Sankt Anna, um mit den mittelalterlichen Hymnologen zu reden und zu schließen, die Avia (Großmutter) Christi ist.

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    Inhaltsverzeichnis

Damit die Heiligenverehrung nicht Theorie bleibt, folgen einige Gebete.

GEBETE zur hl. Mutter ANNA (Zum Privatgebrauch)

Ein junger Ungar geriet durch eigene Schuld in große Armut. Daher wollte er zum hl. Jakobus nach Compostela wallfahren. Da erschien ihm der hl. Jakobus und sprach: "Wenn Du aus Deiner großen Not erlöst werden willst, rufe die hl. Anna an, denn sie ist eine Trösterin der Betrübten und verläßt keinen, der auf sie vertraut." Als der junge Mann wissen wollte, wie er die hl. Anna verehren solle, erhielt er vom hl. Jakobus zur Antwort: "Ehre den Dienstag, an dem die hl. Anna geboren und gestorben ist, dadurch, daß Du ihr zu Ehren drei Vaterunser und drei Ave Maria betest, indem Du vor ihrem Bild eine Kerze anzündest!"

Die folgenden Gebete sind mit freundlicher Genehmigung des Parvis-Verlags aus dem Buch vom Holböck - Isenegger, Der Schüssel zu den Schätzen Gottes und haben das Imprimatur.
 

NOVENE zur hl .Mutter ANNA

Der sel. Anna Katharina Emmerich wurde offenbart, daß die hl. Mutter Anna eine besondere Patronin in hoffnungslosen Anliegen ist. Der Dienstag ist der hl. Mutter Anna geweiht. Es ist sehr segensreich, ihr zu Ehren Almosen zu spenden, da diese große, edle Frau sehr wohltätig war. Ihren Verehrern wird Mutter Anna ein gutes Sterben erflehen, besonders jenen, die jeweils am Dienstag zu ihrer Ehre 3 Vaterunser und Ave Maria beten. Es freut sie auch, wenn man zu Ehren jener neun Monate, da sie Maria im Schoß getragen hat, neun Ave Maria betet.

An den neun Tagen der Novene, oder jeweils am Dienstag bete man folgende Gebete:

O hl. Mutter Anna, mit deiner liebsten Tochter Maria und ihrem göttlichen Sohne Jesus Christus grüße ich dich. Ich bewundere die Größe, zu der dich Gott erhoben hat. Durch Maria danke ich dem Allerhöchsten für all die Gnaden, die er dir erwiesen hat. Dir empfehle ich mich sowie die Mütter und die Jugend, heute und alle Tage des Lebens. Steh mir bei in allen Versuchungen und Gefahren, besonders aber in der Stunde meines Todes. Amen.

- Freu dich, o glückselige Mutter Anna, da du eine Tochter empfangen hast, welche die Mutter des Welterlösers wurde.
Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Hl. Geist, wie im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.


- Freu dich, o glückselige Mutter Anna, Mutter der Himmelskönigin, denn aus dir ging hervor der hellglänzende Meeresstern. Ehre sei dem Vater...
Freu dich, o glückselige Mutter Anna, Mutter der allerseligsten Jungfrau Maria, die als immerwährende Jungfrau zugleich Mutter unseres Erlösers ist.
Ehre sei dem Vater...


- Freu dich, o glückselige Mutter Anna, die du allein von Gott die Gnade empfangen hast, Mutter Mariens und Großmutter Jesu Christi zu sein.

Ehre sei dem Vater...


- Freu dich, o glückselige Mutter Anna, frohlocke und freue dich ohne Ende, daß du von Gott so bevorzugt worden bist. Bitte aber und flehe für mich bei Maria, deiner reinsten Tochter, der hehren Himmelskönigin.

Ehre sei dem Vater...

Bitte für uns, o glückselige, hl. Mutter Anna, damit wir würdig werden der Verheißungen Christi.


O Gott, der du gewollt hast, daß die hl. Anna durch die Mutterschaft Mariens, der seligsten Jungfrau, Mitarbeiterin am Erlösungswerk deines eingeborenen Sohnes sei, verleihe uns, wir bitten dich, daß wir die Mutter deines Sohnes und ihre Mutter, die hl. Anna, auf Erden so verehren, daß wir in der Todesstunde uns ihrer Hilfe und ihres Beistandes erfreuen und dich im Himmel ewig loben und preisen können, durch Christus, unsern Herrn. Amen.

Gedenke, o hl. Mutter Anna, daß noch nie gehört worden ist, daß jemand, der unter deinen Schutz geflohen, dich um Beistand angerufen und um deine Fürbitte angefleht hat, verlassen worden sei. Denn du bist eine überaus barmherzige Mutter und hilfst allen Notleidenden. Von diesem Vertrauen erfüllt, nehme ich meine Zuflucht zu dir und bitte dich: O Mutter der Himmelskönigin und Großmutter Jesu Christi, des Welterlösers, komm mir mit deiner mächtigen Fürbitte zu Hilfe. Erflehe mir mit deiner glorreichen Tochter Maria von Gott die Gnade...

Zu Ehren der 9 Monate, in denen du die allerseligste Jungfrau in deinem Schoß getragen und sie ohne Makel der Erbsünde geboren hast, will ich nun 9 Ave Maria beten. - Gegrüßt seist du, Maria... mit Einfügung: Hochgepriesene hl. Anna, durch Maria sei Gott ewig Lob und Dank für alle deine Gnaden. Hl. Maria... (9 mal).

 
LITANEI zur hl. Mutter ANNA

Herr, erbarme dich unser
Christus, erbarme dich unser

Herr, erbarme dich unser,
Christus, höre uns, Christus, erhöre uns
Gott Vater im Himmel, erbarme dich unser
Gott Sohn, Erlöser der Welt
Gott Heiliger Geist
Heiligste Dreifaltigkeit, ein einziger Gott
Hl. Maria, bitte für uns
Hl. Anna,
Du Mutter der auserwählten Tochter des ewigen Vaters
Du Mutter der jungfräulichen Gebärerin des eingeborenen Sohnes
Du Mutter der Braut des Hl. Geistes
Du treue Gattin des frommen Joachim
Du leuchtendes Vorbild für Eheleute und Eltern
Du Zierde deines Geschlechtes
Du Zuflucht der Bedrängten
Du mächtige Fürsprecherin in jeder Not
Du starke Frau in allen Prüfungen
Du beharrliche Beterin In Not und Versuchung In Leid und Bedrängnis
In Krankheit und Trostlosigkeit
In der Todesstunde
Durch die Fürbitte der hl. Mutter Anna,
hilf uns, o Herr

Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt, verschone uns, o Herr. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt, erhöre uns, o Herr. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt, erbarme dich unser.

Bitte für uns, o hl. Mutter Anna, auf daß wir würdig werden der Verheißungen Christi.

Lasset uns beten: Allmächtiger Gott, himmlischer Vater, in deiner Güte hast du die hl. Anna hochbegnadigt und sie zur Mutter der reinsten Jungfrau und Gottesgebärerin erwählt. Somit wurde sie auch gewürdigt, Großmutter Jesu Christi zu werden. Lasse uns ihre kräftige Fürbitte wunderbar erfahren. Dir, dem Sohn und dem Hl. Geist sei Lobpreis und Dank gesagt für die hl. Anna in Ewigkeit. Amen.

 

ROSENKRANZ
zur hl. Mutter ANNA und zum Vater JOACHIM

1. Hochgepriesene hl. Anna, du Mutter der Himmelskönigin, bitte für uns und für die Familien der ganzen Welt.
2. Hochgepriesene hl. Anna, du große Fürbitterin, hilf der Jugend und den Müttern.
3. Hochgepriesene hl. Anna, durch Maria sei Gott ewig Lob und Dank für alle deine Gnaden.
4. Hochgepriesene hl. Anna, du mächtige Nothelferin, steh uns bei im Leben und im Sterben.
5. Hochgepriesener hl. Joachim, du Vater der Unbefleckten Empfängnis, bitte für uns und für die ganze Menschheit.

 

NOVENE zum hl. JOACHIM
- neun Tage bete man: Die Verehrung des hl. Joachim ist sehr segensreich s. S. 74!

Hl. Joachim, du ruhmreicher Patriarch, ich freue mich, daß Gott dich zum Vater der unbefleckten Jungfrau und Gottesgebärerin erkoren hat. Du besitzest großen Einfluß bei Jesus und Maria. Voll Vertrauen bitte ich dich um deine wirksame Hilfe. Dir empfehle ich die leiblichen und geistigen Anliegen meiner Familie. Ganz besonders aber erhoffe ich deinen väterlichen Beistand und deine Hilfe in meiner jetzigen großen Sorge...

Du bist ein vollendetes Vorbild für das innere Leben. Erwirke mir den Geist der Sammlung, der Losschälung von den vergänglichen Gütern und eine lebendige und beständige Liebe zu Jesus und Maria. Bitte für mich, du tugendreicher Joachim, daß ich Glaube, Hoffnung und Liebe im Leben und im Sterben treu bewahre. Tritt ohne Unterlaß für die streitende Kirche, die große Gottesfamilie auf Erden, vor Gott ein.
Vater unser... Gegrüßt seist du, Maria... Ehre sei...


Die folgenden Gebete sind mit freundlicher Genehmigung des Maristenverlags in Furth den Büchern von Pfr. Alfons Maria Weigl: Gebetsschatz und Mutter Anna, wir rufen zu Dir entnommen. Beide Bücher tragen das kirchl. Imprimatur.

Begrüßung - Tausendmal grüße ich dich, o liebreiche Mutter, hl. Anna, mit deiner liebsten Tochter Maria und ihrem göttlichen Kind Jesus Christus! Ich empfehle mich euch heute und alle Tage meines Lebens, in allen Versuchungen und Gefahren, besonders aber in der gefahrvollen Stunde meines Todes. Jetzt und immer laßt mich die Kraft eures Schutzes erfahren und bewahret meine Seele vor den Anfechtungen des bösen Feindes und vor jeder Sünde! Amen.

Kurzer Lobpreis
Gebenedeit bist du unter den Müttern, o glorreiche hl. Anna, denn du hattest die große Gnade, die unbefleckte Jungfrau und Gottesmutter in deinem Mutterschoß zu tragen. Ich bewundere deine erhabene Auserwählung und vereinige mich mit der allerseligsten Jungfrau Maria, um dich zu ehren, zu lieben und mich deinem Schutz anzuvertrauen. Amen.

Um das Feuer der Gottesliebe
Du große, allezeit gottliebende Mutter Anna, erbitte uns das Feuer der Gottesliebe! Erflehe uns die Gnade, daß unsere Seele offen werde für die geheimnisvolle Glut der göttlichen Liebe! Mag dies auch Opfer kosten, vor allem das Opfer der Eigenliebe, die Liebe Gottes ist jedes Opfer wert. O hl. Mutter Anna, erbitte uns die Gnade, daß wir täglich beten: Herr und Gott, laß uns nichts wissen als Dich, laß uns nichts lieben als Dich, laß uns nichts sein als Dein Eigentum durch alle Ewigkeit. Ja, gib uns die Kraft, doppelt lieben zu dürfen für all jene, die Dich zu wenig lieben! Unser Herr und Gott! Amen.

Standesgebet zur hl. Anna
O hl. Mutter Anna! Deine Tugend und Frömmigkeit machten dich würdig, die Mutter Mariens zu werden, die uns den Heiland der Welt geboren hat. Hl. Anna, sei du mir ein Beispiel, wie ich meinem Stand gemäß heilig leben kann! Sei meine Schutzpatronin in jeder Gefahr des Leibes und der Seele! Auch ich will die Pflichten meines Standes treu erfüllen. Keine Arbeit soll mir zu beschwerlich, keine Mühe zu hart sein, kein Leiden zu bitter werden. Erhalte mich in diesem Entschluß durch dein Beispiel und erbitte mir von Gott die Gnade, daß ich treu bleibe in der Liebe zu Gott, und daß ich so zur ewigen Seligkeit gelange! Amen.

Gedenke o hl. Mutter Anna, es ist noch nie erhört worden, daß jemand, der unter deinen Schutz geflohen, dich um Beistand angerufen und um deine Fürbitte gefleht hat, verlassen worden sei; denn du bist eine überaus barmherzige Mutter und hilfst allen Notleidenden. Von diesem Vertrauen erfüllt, nehme ich meine Zuflucht zu dir und bitte dich: durch die große Gnade, Mutter der Gottesmutter und der Königin des Himmels zu sein, komme mir mit deiner mächtigen Fürbitte in meinem großen Anliegen zu Hilfe! Amen.

Um Priesterberufe - Anna ist ja die Großmutter Jesus und einiger Apostel Hl. Mutter Anna, du Mutter der Unbefleckten Braut des Hl. Geistes, erbitte von diesem göttlichen Geiste viele und würdige Arbeiter für den Weinberg des Herrn! Erflehe deshalb allen christlichen Familien den Geist der Frömmigkeit und der hl. Zucht; erbitte allen zum Dienste des Herrn Berufenen die wahre Demut und Treue, auf daß der Hl. Geist mit Seiner Gnadenkraft in ihnen wirken könne und sie taugliche Werkzeuge werden in der Hand des ewigen hohen Priesters! Amen.

Bitte um ihren Schutz
In aufrichtiger, inniger Verehrung knie ich nieder vor dir, ruhmreiche hl. Anna. Du wurdest von Gott besonders bevorzugt und mehr als andere von Ihm geliebt. Wegen deiner hohen Tugend verdientest du von Gott die große Gnade, der Schatzmeisterin aller Gnaden, der Gebenedeiten unter den Frauen, der Mutter des menschgewordenen Wortes, der hl. Jungfrau Maria, das Leben zu geben. Gute hl. Anna, um dieses hohen Vorzuges willen gewähre mir deinen wirksamen Schutz und erbitte mir von Gott die Gnade, die Tugenden nachzuahmen, mit denen du so reich geschmückt warst. Laß mich meine Sünden erkennen und herzlich bereuen! Erflehe mir eine innige Liebe zu Jesus und Maria. Rette mich vor jeder Gefahr im Leben und stehe mir bei im Augenblick des Todes, damit ich mein ewiges Ziel erreiche! Amen.

Zu Ehren der hl. Mutter Anna
In aufrichtiger, herzlicher Verehrung knie ich nieder vor dir, ruhmreiche, hl. Mutter Anna. Du wurdest von Gott besonders bevorzugt, wurdest mehr als andere von Ihm geliebt. Wegen deiner außerordentlichen Tugend und Heiligkeit verdientest du die hohe Würde, der heiligsten Jungfrau Maria, der Schatzmeisterin aller Gnaden, der Gebenedeiten unter den Frauen, der Mutter des menschgewordenen Wortes, das Leben zu schenken.
Gute, hl. Mutter Anna, um dieses hohen Vorzugs willen nimm mich huldvoll auf in die Zahl deiner wahren Diener! Dein Diener will ich sein und bleiben mein Leben lang. Leihe mir deinen wirksamen Schutz und erbitte mir von Gott die Gnade, die Tugenden zu üben, mit denen du so reich geziert warst. Lehre mich, meine Sünden zu erkennen und sie herzlich zu beweinen! Erwirke mir eine innige Liebe zu Jesus und Maria! Hilf mir, treu und beharrlich meine Standespflichten erfüllen! Rette mich vor jeder Gefahr im Leben und stehe mir bei in der Stunde meines Todes! Dann werde ich glücklich in den Himmel gelangen und kann dort mit dir das ewige Wort Gottes preisen, das Mensch wurde im Schoß deiner reinsten Tochter, der Jungfrau Maria. Amen. Vater unser... Gegrüßet... Ehre sei... (Dreimal) (Leo XIII.)

Gebet in Not

Hl. Mutter Anna, du hast auf Gottes Ruf gehört. Du warst offen für den Weg, den Gott dich führen wollte. In all den Sorgen und Nöten des Lebens bist du ihm treu geblieben. Bitte für mich gerade jetzt in meiner tiefen Sorge - daß ich die Kraft finde, durchzuhalten und den Mut zu haben, treu zu Jesus zu stehen. Bitte du für mich, daß ich in allem Schweren Gottes wunderbare Führung und Liebe erkenne. Laß mich auch im Leiden reifer werden und in der Liebe zu Gott wachsen. Erflehe mir jenes Vertrauen zu Gott, das dich in allen Stunden des Lebens getragen hat. Begleite mich mit deiner Fürbitte durch dieses Leben und laß mich einmal heimfinden zu dem Leben, das dir von Gott geschenkt wurde. Sei du mein Vorbild und meine Begleiterin auf meinem Weg in die Ewigkeit. Amen.

Gebet einer Mutter
Hl. Mutter Anna, du bist eine gar glückliche, begnadete Mutter gewesen. Du durftest Maria, die allerseligste Jungfrau, deine Tochter nennen; sie hat uns durch Jesus, ihren göttlichen Sohn, das Heil gebracht. Mit dir lobpreise ich die Erbarmungen des Herrn. Erbitte mir von Jesus Licht und Kraft, damit ich meinen hehren Mutterberuf treu erfülle und einst mit meinen Kindern das ewige Ziel erreiche! Amen.

Mutter Anna, erbitte Kindersegen!
O Gott, Du hast den Ehestand zur Erhaltung des Menschengeschlechtes eingesetzt und mich in diesen Stand berufen. Segne mich durch die Verdienste und die Fürbitte der jungfräulichen Gottesmutter Maria und der hl. Anna mit einem Kind! Siehe herab, barmherziger Vater, auf mein sehnsüchtiges Verlangen und erfülle mir meinen Wunsch! Aus Dankbarkeit will ich die Kinder stets als Geschenk Deiner unaussprechlichen Güte betrachten und zu Deinem Dienst erziehen, damit Dein heiliger Name durch mich und meine Kinder von Geschlecht zu Geschlecht gelobt und gepriesen werde. Um das bitte ich Dich durch Christus, unsern Herrn! Amen.

Gebet einer hoffenden Mutter
Glorwürdige Mutter Anna, der gütige Gott hat dich zu einer mächtigen Beschützerin und Fürsprecherin für die gesegnete und hoffende Mutter bestellt. Inständig bitte ich dich, segne mich und mein Kind, das ich unter meinem Herzen trage, damit Gott es reichlich beschenke mit guten Anlagen. Im Bewußtsein, daß ich schon jetzt vor der Geburt verantwortlich bin für mein Kind, flehe ich um deine Hilfe. Erbitte mir ein tugendhaftes Leben, ein heiliges Beten und frommes Denken. Hl. Mutter Anna, stehe mir auch bei in der schweren Stunde der Geburt meines Kindes! In jener Stunde erfülle mich mit starker Geduld und opfervoller Liebe zu Gott! Laß mein Kind dann recht bald durch die hl. Taufe ein Kind Gottes werden und durch eine gute Erziehung ein treues Glied der hl. Kirche Gottes. Hl. Mutter Anna, ich vertraue auf dich! Amen.

Gebet der Mutter für die Kinder
Hl. Mutter Anna, du weißt, daß es meine Pflicht ist, meine Kinder zu wahren Christen zu erziehen. Erbitte du mir bei Jesus und Maria die rechte Klarsicht und Kraft für meine Aufgabe und meinen Kindern freudigen Gehorsam! Erflehe ihnen die Gnade der Reinheit und Selbstbeherrschung! Erbitte ihnen Abscheu vor der Sünde und lasse nicht zu, daß sie das Opfer der Verführung werden! Wache über sie, daß sie in Keuschheit, Gottesfurcht und Tugend heranreifen! Erflehe mir die Gnade, daß ich ihren Herzen Religion, Gottesfurcht und Tugend einpräge und in Arbeit, Sorge, Wachsamkeit und Gebet sie zu brauchbaren Menschen und zu rechten Christen heranbilde! Laß mir durch deine mächtige Fürbitte den Trost und die Hoffnung, daß ich einst zum Herrn, meinem Gott, sagen darf: Herr, von denen, die Du mir anvertraut hast, ist keines verloren gegangen! Amen.

Zur Mutter Anna für ein verirrtes Kind
Hl. Mutter Anna, du hast an deinem hl. Kind höchsten Trost und reinste Freude erlebt. O wäre doch auch ich so glücklich, an allen meinen Kindern Freude zu erleben! Schwer drückt mich die Sorge um mein verirrtes Kind.... Ich bange darum, daß es noch tiefer in die Sünde verstrickt wird und dadurch in Gefahr kommt, für ewig verloren zu gehen. Wie gerne würde ich alles tun, um mein Kind zu retten! Möchten meine Worte, mein Flehen und mein Opfern nicht vergebens sein! Darum empfehle ich dieses mein unglückliches Kind deinem Schutze, hl. Anna. Höre nicht auf, für mein Sorgenkind zu bitten, bis es zur Einsicht, zu wahrer Reue und rechter Besserung seines Lebens gelangt ist. Durch dein allerseligstes Kind Maria, bitte ich dich, teure Mutter Anna, rette mein verirrtes Kind und laß es nicht verloren gehen! Amen.

Um Standhaftigkeit

Hilf uns, hl. Anna, du hochbegnadete hl. Mutter, hilf uns besonders im Kampf um den Glauben und um die Reinheit unserer Jugend, unserer Familien, unseres Volkes, und laß uns nie verzagt und kleinmütig stehen bleiben, wo wir vorwärts sollten. Laß uns nie der Entscheidung ausweichen aus Feigheit und Bequemlichkeit, damit wir das Ziel erreichen, das Gott uns gesteckt hat. Erbitte uns die Kraft, den Weg des Opfers zu gehen, solang Gott will und wohin Gott will. Sein heiliger Wille geschehe immerdar! Amen.

Am Jahrestag der Hochzeit
Gütiger Gott, Du ordnest alles mit Weisheit. Heute ist der Tag, an dem ich vor
... Jahren das hl. Sakrament der Ehe empfangen und die Pflichten und Lasten dieses Amtes auf mich genommen habe. Ich erneuere heute meine Entschlüsse, die ich damals vor Dir und Deiner hl. Kirche abgelegt habe. Ich bitte Dich, verzeihe mir, wenn ich meine Pflichten nicht immer treu erfüllt habe. Ich nehme mir aufs neue vor, meinen hl. Stand nach dem Vorbild der hl. Anna mit möglichster Treue zu halten, die Pflichten zu erfüllen, und alle Mühsal und Beschwerden meines Standes in Geduld zu ertragen. Die Fürsprache der vorbildlichen Gattin und Mutter Anna helfe mir dazu! Amen.

Gebet für den Ehegatten
Hl. Anna, du hast mit deinem gottesfürchtigen Gatten Joachim in Liebe und Eintracht gelebt und von ihm soviel Aufmunterung zur Tugend empfangen. Erbitte meinem Gatten, den ich von Herzen liebe und ehre, die Gnade, daß er mich durch Wort und Beispiel zum Guten ermuntere und anleite, daß er meine Fehler und Schwächen in Geduld ertrage, damit wir beide ein Leben in Christus führen und unsere Pflichten getreu erfüllen zur Ehre Gottes und zur Erbauung unserer Mitmenschen! Durch deine Fürbitte wehre ab, was unseren Frieden stören, unsere Liebe schwächen und unser gegenseitiges Beispiel hindern könnte. Gib, daß wir uns gegenseitig helfen zu einem wahrhaft christlichen Leben, damit wir auch einmal mitsammen zu dir und allen Heiligen in die ewige Heimat gelangen! Amen.

Gebet für die Angehörigen
Hl. Anna, du Ahnfrau Jesu Christi und Mutter der allerseligsten Jungfrau Maria, du bist reich an Gnade und Verdiensten. Aus dir wurde Maria geboren; sie ist der Trost der Betrübten und die Zuflucht der Sünder. Ich bitte dich, glorwürdige Frau, durch die große und zärtliche Sorge, die du auf Erden für Maria und ihr göttliches Kind Jesus getragen hat, laß meine lieben Angehörigen immer deinem besonderen mütterlichen Schutz empfohlen sein! Bewahre sie vor Unglück und Sünde! Breite aus über sie deinen mütterlichen Schutzmantel und erflehe ihnen die Gnade, Gott getreu zu dienen, in Seiner Gnade zu verharren und ewig selig zu werden! Sei ihnen Fürsprecherin und Schützerin, heute und immerdar, bis sie einst in der himmlischen Herrlichkeit den dreifaltigen Gott mit dir ewig loben werden. Amen.

In schwerer Krankheit
Barmherziger Gott! Du kannst mein Leben erhalten oder nehmen; es ist in Deiner Hand. Alle Gesundheit ist Dein Geschenk. Schwer lastet die Krankheit auf mir. Nimm durch die Fürbitte der hl. Mutter Anna diese schwere Prüfung wieder von mir. Segne die Ärzte und ihre Bemühung. Segne die Heilmittel, die ich gebrauche, gib mir die Gesundheit wieder! Ist es aber Dein heiliger Wille, daß es mit meiner Krankheit noch schlimmer wird und das Tor der Ewigkeit sich öffnet, so sei in allem Dein heiliger Wille gepriesen. Du hast mir Leben und Gesundheit gegeben, Du kannst mir auch beides wieder nehmen. Ich überlasse alles willig Deiner Führung. Gib mir nur die immerwährende Bereitschaft, Geduld und Gnade, daß ich mich besser auf mein letztes Ziel vorbereite und jeden Tag und jede Stunde für den Heimgang bereit sei. Hl. Mutter Anna, du bist die Getreue, die immer wieder die Barmherzigkeit Gottes für uns erfleht, o bitte für mich! Amen.

Weihegebet
Hl. Mutter Anna! Ich erwähle dich heute für die ganze Zeit meines Lebens zu meiner besonderen Schutzherrin und Fürsprecherin in allen Anliegen und Nöten der Seele und des Leibes. Dich will ich stets andächtig verehren; deine Verehrung will ich nach Kräften fördern. Stehe mir bei, ich bitte dich, hl. Mutter Anna, in allem Tun und Lassen, jetzt im Leben und besonders in meiner Sterbestunde! Amen.

Dankgebet für erlangte Hilfe
Hl. Mutter Anna, mit dankerfülltem Herzen komme ich zu dir; ich habe Erhörung in meinem Anliegen gefunden, das ich deiner Fürbitte empfohlen hatte. Mit Zuversicht darf ich sagen, daß deine mächtige Fürsprache mir geholfen hat. Dank sei dir, hilfreiche Gnadenmutter, für deine gütige Vermittlung. Verlaß mich auch in Zukunft nicht! Dein Tugendleben, hl. Anna, soll mir stets vor Augen schweben und mir ein Ansporn sein, dir nachzufolgen; so hoffe ich, mich dir dankbar zu erweisen durch mein ganzes Leben. Deine mächtige Hand führe mich auf allen meinen Wegen, damit ich das ewige Ziel nicht verfehle. Der Segen Gottes, des Allmächtigen, komme über mich und bleibe allezeit bei mir. Amen.

Zur Namenspatronin Sankt Anna
Liebe hl. Mutter Anna! An meinem Tauftag hat dich Gott zur Patronin und zum Vorbild meines Lebens bestimmt. An diesem Tag erhielt ich als Kind Gottes deinen gesegneten Namen. Anna heißt „Gnade", Gnadengeschenk von Gott. Ich danke dem himmlischen Vater, daß ich diesen Namen tragen darf. Ich danke dir für allen Schutz, den du mir zeitlebens gewährt hast und immer wieder gewährst. Ich danke besonders für dein leuchtendes, großes Vorbild, das mir dein Leben sein darf.
Meine liebe, gute Namenspatronin! Hilf mir, daß ich das lebensfrohe Kindsein vor Gott immer mehr lerne! Erbitte mir einen demütigen, ehrfürchtigen Glauben, ein unerschütterliches Gottvertrauen, eine nie versagende Gottes- und Nächstenliebe! Hilf mir heilig werden, und zwar bald! Ich will gerne und dankbar zur Verherrlichung deines Namens beitragen. Amen.

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INHALTSVERZEICHNIS

1. Kap. Die ältesten Nachrichten über die hl. Anna,

Das Protoevangelium des Jakobus

2. Kap. Die Verehrung der hl. Anna im Orient

3. Kap. Die hl. Anna in der altchristlichen und orientalischen Kunst

4. Kap. Die Verehrung im Abendland bis zum Ende der Kreuzzüge

5. Kap. Die hl. Anna in der abendländ. Kunst vom 8. bis zum 14. Jh.

6. Kap. Die Verehrung der hl. Anna am Ende des Mittelalters

7. Kap. Die hl. Anna in zyklischen Darstellungen des Mittelalters

8. Kap. Die liturgische Verehrung der hl. Anna im Mittelalter

9. Kap. Abt Trithemius und sein Kreis

10. Kap. Ursache der wachsenden Annaverehrung

11. Kap. Das Trinubium Annas und die heilige Sippe

12. Kap. Die Annaverehrung in der Neuzeit

13. Kap. Volkstümliche Art und Weise der Annaverehrung

14. Kap. Wallfahrtsorte, Kirchen und Reliquien der hl. Anna

15. Kap. Die hl. Anna als Schutzpatronin und in Volksbräuchen

Gebete

Sollte ihnen das Buch gut getan haben, dürfen Sie zum Dank eine hl. Messe zur Ehren der hl. Mutter Anna und des hl. Vaters Joachim stiften und für den Herausgeber und Stifter dieses Buches beten.

Der hl. Kirchenlehrer Johannes von Damaskus (+414) sagte über die hohe Würde der hl. Anna aus: "Du bist in Wahrheit selig, dreimal selig, hl. Mutter Anna, die du das heilige Kind von Gott erhalten und geboren hast, aus dem Christus, die Blume des Lebens, hervorging. Auch wir, o gebenedeite Anna, wünschen dir Glück, Mutter Mariä zu sein; denn du hast unser aller Hoffnung geboren. Die Zungen aller Frommen preisen dich in deiner Tochter, alle Sprachen verherrlichen dein Kind. Würdig bist du des Lobes aller Erlösten, denn du hast jener das Leben gegeben, die uns Jesum Christum geboren hat."

Der hl. Kirchenvater Augustinus war schon ein Anna-Verehrer. Alle Jahre hielt er am Fest dieser Heiligen eine Lobrede, in der er mit dem Feuer der Beredsamkeit die zahlreichen Zuhörer zu ihrer Verehrung und Anrufung zu begeistern wußte.

Vom Bischof hl. Hugo von Lincoln in England (+1200) erzählt sein Biograph Adam, daß er nach Maria stets auch deren ehrwürdige hl. Mutter Anna verehrt und in jeder Gefahr schnelle Hilfe durch sie erfahren habe.

Der hl. Thomas von Aquin einer der größten Lehrer der Kirche war ein großer Verehrer der hl. Anna, obwohl im Gegensatz zu seinem Lehrer dem hl. Albert gegen sie dreimalige Heirat der hl. Anna war. Er versichert, ihr sei die Gnade verliehen, den Menschen in allen Nöten zu helfen. Er sagt wörtlich: "Gott gibt einzelnen Heiligen die Gnade, uns Menschen in bestimmten Anliegen zu helfen. Der hl. Mutter Anna aber ist die Gnade erteilt, in vielerlei Not zu Hilfe zu kommen."

Der hl. Birgitta von Schweden, die nach Gott auch die Gottesmutter und die Mutter Anna sehr liebte, erschien einmal während des Gebetes die hl. Mutter Anna und sprach zu ihr: "Betrachte mich, meine Tochter Birgitta; ich bin jene Anna, die du liebst, voll Barmherzigkeit, voller Güte und Huld gegen alle, die mich lieben. Ich werde jene, die keusch und friedlich leben wollen, schützen und erhören, so oft sie zu mir ihre Zuflucht nehmen."

Die hl. Theresia von Avila, die Lehrmeisterin des inneren Gebetes, war erfüllt von einer innigen Liebe zur hl. Mutter Anna. Oft und gern sprach sie von ihrer Würde, ihrer Macht und führte in allen Klöstern des Karmelitenordens besondere Andachten zu ihrer Verehrung ein. Sie schrieb: "Wir wissen und sind überzeugt, daß unsere hl. Mutter in alle Gefahren, Nöten und Widerwärtigkeiten hilft.

Abt Trithemius, ein großer Verehrer der hl. Anna, schrieb: "Ich ermuntere euch, die ihr den Sohn Gottes liebt, auch seine Verwandten zu ehren. Unter diesen verdient nach der hochgebenedeiten Gottesgebärerin Maria vor allem auch deren hl. Mutter Anna unsere Verehrung. Erwählt sie zu eurer Schutzpatronin und ehrt sie mit aller Andacht. In welcher Trübsal immer ihr Zuflucht zu ihr nehmen mögt, ihr werdet Hilfe finden. Sie vermag euch zu gewähren, um was ihr immer mit festem Vertrauen sie bitten werdet. Glaubt mir, wenn ihr die hl. Anna von Herzen liebt und ehrt, so werdet ihr erfahren, wie hoch Gott sie schätzt: Alles, was sie von Ihm begehrt, erlangt sie. Täglich erbittet sie ihren Dienern Gnaden. Diese Heilige vertreibt durch ihre Fürbitte den Trübsinn und die Begierlichkeit.

Sie kommt den Armen zu Hilfe, macht die Kranken gesund, tröstet die Ängstlichen; sie nimmt die Widerwärtigkeiten hinweg, hilft durch ihre Fürsprache die Laster ausrotten und die Tugenden einpflanzen; sie erfleht dem Verstand Licht, dem Willen Stärke und dem Herzen Rührung. Durch sie wurden schon häufig Pest, Hunger und Krieg abgewendet. Den unfruchtbaren Eheleuten erbittet sie Kinder und Gebärenden eine glückliche Niederkunft. Sie flößt den Verzweifelten neues Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit ein und erweckt die Lauen zu neuem Eifer. Viele wurden durch sie schon von den Gefängnissen und Banden erlöst, ja aus augenscheinlicher Todesgefahr errettet."

 

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