Die
hl. Mutter ANNA
DIE
GESCHICHTE IHRER VEREHRUNG
völlig überarbeitet,
ergänzt und neu herausgegeben von Klemens Kiser.
Nachdruck und Vervielfältigung jeder Art
vorbehalten!
©
Copyright
INHALTSVERZEICHNIS
1. Kap.
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Die ältesten
Nachrichten über die hl. Anna,
Das Protoevangelium des Jakobus
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2. Kap.
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Die Verehrung
der hl. Anna im Orient
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3. Kap.
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Die hl.
Anna in der altchristlichen und orientalischen
Kunst
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4. Kap.
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Die Verehrung
im Abendland bis zum Ende der Kreuzzüge
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5. Kap.
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Die hl.
Anna in der abendländ. Kunst vom 8.
bis zum 14. Jh.
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6. Kap.
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Die Verehrung
der hl. Anna am Ende des Mittelalters
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7. Kap.
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Die hl.
Anna in zyklischen Darstellungen des
Mittelalters
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8. Kap.
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Die liturgische
Verehrung der hl. Anna im Mittelalter
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9. Kap.
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Abt Trithemius
und sein Kreis
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10. Kap.
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Ursache
der wachsenden Annaverehrung
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11. Kap.
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Das Trinubium
Annas und die heilige Sippe
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12. Kap.
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Die Annaverehrung
in der Neuzeit
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13. Kap.
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Volkstümliche
Art und Weise der Annaverehrung
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14. Kap.
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Wallfahrtsorte,
Kirchen und Reliquien der hl. Anna
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15. Kap.
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Die hl.
Anna als Schutzpatronin und in Volksbräuchen
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Gebete |
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Buchdeckel Aussagen Heiliger |
Quellen:
P. Dr. Beda Kleinschmidt OFM, Die heilige
Anna, Ihre Verehrung in Geschichte, Kunst und
Volkstum. 1930, 447 S., L. Schwann-Verlag,
Düsseldorf
Pfr. Alfons Maria Weigl, Mutter Anna wir
rufen zu Dir, 1970, Grignion-Verlag
Pfr. Alfons Maria Weigl, Gebetsschatz
1976, Grignion-Verlag
Prof. Dr. Holböck, Der Schlüssel zu den Schätzen
Gottes, 1986, Parvis-Verlag
Aus den letzteren sind die Gebete entnommen,
die auch Imprimatur haben. Beiden Verlagen sei
Dank für die Genehmigung des Abdrucks der Gebete.
Ebenso Dank dem Franziskanerorden, zu dem P.
Dr. Beda Kleinschmidt gehörte.
Titelbild: Hl. Mutter ANNA mit Maria, Beaupré,
Kanada
© François-Marie Héraud, Sanctuaire Sainte-Anne-de-Beaupré
EINLEITUNG
Lange habe
ich nach Literatur über die hl. Mutter Anna
gesucht. Es war nur das Büchlein von Pfr. Alfons
Maria Weigl, Mutter Anna wir rufen zu Dir
von 1970 zu finden. Davon sind einige Gebete
im Gebetsanhang. So suchte ich weiter und stieß
auf das Werk von P. Dr. Beda Kleinschmidt OFM,
Die heilige Anna, Ihre Verehrung in Geschichte,
Kunst und Volkstum. Dieses umfangreiche
geschichtliche Werk erschien 1930 mit 447 Seiten
im Format DIN A4 und ist nur selten antiquarisch
erhältlich. Daraus hatte schon Pfr. Weigl, den
ich noch kannte, zitiert. Es ist sehr aufschlußreich
und bildet die Grundlage dieses Buches. Vieles
ist daraus wörtlich übernommen, ergänzt, auch
gekürzt, einige Kapitel sind ganz weggelassen.
Leider ist der gute Franziskaner, der wohl jahrelang
an diesem Werk mit 350 Bildern geschrieben hat,
bereits 1932 verstorben. Die alten schwarzweiß
Fotos wurden nicht übernommen.
Nach langem Suchen konnte ich dieses Buch
ausleihen, um daraus eine Zusammenstellung der wichtigsten
Fakten zu erstellen.
Wenn P. Kleinschmidt vor 90 Jahren in seiner
Einleitung schreibt, daß es eine reiche Literatur
über die hl. Mutter Anna gibt, so ist heute
leider kaum etwas zu finden. Doch sein Buch
ist eine wahre Fundgrube, welche die ganze Geschichte
der Annaverehrung, auch ihre Kontroversen, deren
Höhen und Tiefen darlegt. Wir sehen, daß sich
sogar große Heilige widersprechen und es schon
zur Zeiten der Kirchenväter eine Verehrung der
hl. Anna gab, diese dann durch die Kreuzzüge
bei uns größere Verbreitung fand, durch die
unselige Reformation leider vielerorts unterging
und durch den Glaubensschwund der letzten 50
Jahre noch mehr in Vergessenheit geriet.
Die vielen Exkurse in die Kunstgeschichte mögen
für manche vielleicht ungewöhnlich sein, doch
sie beweisen uns die alte und weitverbreitete
Verehrung der hl. Anna und zeigen oft unerkannte
Zusammenhänge. Bilder und plastische Darstellungen
prägen sich besser ins Gedächtnis als Bücher
und Worte. Der Schmuck der Kirchen war früher
oft eine Art Bilderbibel.
Die hl. Mutter
Anna und ihr Gemahl, der hl. Joachim, gehören
wesentlich zum Erlösungswerk Jesu. Sie ist die
Mutter der Gottesgebärerin und damit die Großmutter
Jesu. Damit ist sie Trägerin der Verheißung,
die einst an Abraham erging. Sie stammt aus
dem königlichem Geschlecht Davids und steht
mit dem hl. Joachim Jesus noch näher als der
hl. Josef. Auch wenn die Hl. Schrift über sie
schweigt, nicht einmal ihre Namen erwähnt, berichtet
uns die Überlieferung von Anna und Joachim.
Die seriösen Apokryphen, die Heiligen und Mystiker
geben uns weitere aufschlußreiche Hinweise.
Die Heiligenverehrung
ist sehr wichtig. Papst Benedikt XVI.
sagte: ‘Die Schar der Heiligen Gottes schützt
und stützt und trägt mich. Erst, wenn, wir
die Heiligen wiederentdecken, werden wir die
Kirche wiederfinden.’ - Die Kirche ist ja
die Gemeinschaft der Heiligen, d.h. aller Gottliebenden.
Diese Freunde Gottes, sollten auch unsere Freunde
sein.
Inhaltsverzeichnis
1. Kap.
Die
ältesten Nachrichten über die hl. ANNA
Die Evangelisten
berichten sehr wenig über die Kindheit Jesu.
Fast dreißig Jahre seines Lebens übergehen sie
mit Stillschweigen. Noch weniger Worte widmen
sie seiner Mutter Maria und seinem Nährvater
Joseph. Sie erzählen uns, daß Maria in Nazareth
in Galiläa wohnte, und daß sie von hier aus
ihre ältere Base Elisabeth besuchte. Das sind
wenige Informationen. Wir würden gern Näheres
über das Leben der Gottesmutter hören, über
ihre Geburt und Erziehung und auch über ihre
Eltern; aber nicht einmal der Name ihrer Eltern
ist genannt.
Schon in der Frühzeit des Christentums war dieser
Wunsch vorhanden, damals vielleicht noch mehr
als heute. Weil die Evangelien diese Lücke nicht
ausfüllen, hat man schon frühzeitig angefangen,
Bücher über das Jugendleben Marias, über ihre
Eltern und Verwandten abzufassen, welche sich
als Evangelien ausgaben, die wir aber als Pseudoevangelien
oder als Apokryphen bezeichnen.
Die Kirche hat diesen Apokryphen niemals das
Ansehen der Evangelien beigelegt. Papst Innozenz
I. (417) hat sie dann verworfen und vor allem
hat der hl. Hieronymus gegen sie geeifert. Zum
Teil mit Recht. Denn die Apokryphen haben
zum Teil Irrlehrer oder Juden zu Verfassern,
die unter dem Deckmantel der Namen der Apostel
ihren falschen Lehren mehr Glauben verschaffen
oder der katholischen Lehre die Makel der Lächerlichkeit
anhängen wollten.
Es ist jedoch eine Unterscheidung zwischen den
Apokryphen zu machen. Einige reichen bis in
die älteste Zeit des Christentums hinauf und
enthalten nichts, was mit dem Glauben in Widerspruch
steht oder den Stempel der Unwahrheit an der
Stirn trägt. Sie dürfen daher nicht, wie schon
Origenes (+ 255) bemerkt, unterschiedslos mit
den anderen Apokryphen vermengt werden. Wir
wissen, daß manche dieser Apokryphen von gottlosen
Menschen verfaßt sind und andere von Juden:
aber deshalb dürfen wir sie nicht ohne weiteres
verwerfen, können vielmehr aus ihnen einigen
Nutzen ziehen. Eine ähnliche Bemerkung macht
Hieronymus über das „Evangelium von der Geburt
Marias" des Pseudo-Matthäus.
Zu diesen besseren Apokryphen gehört besonders
das sogenannte Protoevangelium des Jakobus.
Die Bezeichnung Protoevangelium hat man der
Schrift erst seit dem 16. Jh. gegeben, sie selbst
nennt sich Erzählung und ist in griechischer
Sprache abgefaßt, wurde aber schon im 4. und
5. Jh. (unechtes) Evangelium genannt. Sie entstand
um das Jahr 150. Ihr Zweck war, die unbefleckte
Reinheit Marias bei der Geburt ihres göttlichen
Sohnes deutlicher zu machen, als es die echten
Evangelien tun. Dadurch tritt Maria, nicht Jesus
in den Vordergrund dieses „Evangeliums". Ihre
Kindheit, ihr Aufenthalt im Tempel und ihr Schicksal
bis zum Kindermord von Bethlehem werden ausführlich
erzählt. Da durften natürlich ihre Eltern nicht
fehlen. Und so kommt es, daß sie uns eine umständliche,
legendenhafte Erzählung bringen.
Der Verfasser des Protoevangeliums nennt sich
selbst Jakobus, ‘Bruder des Herrn’, wahrscheinlich
stammte er aber nicht aus Palästina, sondern
aus Syrien oder Ägypten und war auch kein Judenchrist.
Wie viel er aus der Phantasie geschöpft, wie
viel er älteren Traditionen entnommen hat, können
wir nicht festzustellen. Nur dürfen wir dieses
„Protoevangelium Jakobi" mit den anderen Apokryphen
nicht auf die gleiche Stufe stellen. Denn in
den ersten Jahren des Christentums entstand
auch die mündliche Überlieferung, vor allem
in der Heimat der Jungfrau Maria, wo sich über
ihre Kindheit und ihre Eltern manche Nachrichten
von Mund zu Mund fortpflanzten und dann zur
Belehrung und Erbauung der Christen niedergeschrieben
wurden. So schreibt auch F. Vigouroux, es sei
schwer zu entscheiden, was Geschichte und was
Legende sei. Dictionnaire de la Bible I, Paris
1895, 629.
Hiermit soll keineswegs gesagt sein, daß alle
Angaben des Jakobusevangeliums aus sicherer
mündlicher Überlieferung geschöpft worden sind.
Es enthält offenbar Erdichtetes; trotzdem hat
es fast die Wirkung wie die echten Evangelien
gehabt. Selbst so angesehene Kirchenschriftsteller
wie Klemens von Alexandrien, Origenes und Epiphanius
rechnen damit. Es wurde sogar öffentlich
in der Kirche vorgelesen. Seit Gregor
von Nyssa (+395) haben es viele Prediger
ausgiebig benutzt. Von besonderer Bedeutung
sollte es werden für die Eltern Marias, deren
Namen es uns zuerst nennt und deren Verehrung
es begründete.
Die späteren Apokryphen haben sich die Angaben
des Jakobusevangeliums zu eigen gemacht, sie
teilweise geändert und weiter ausgeschmückt.
Die Prediger und Lobredner der hl. Anna des
Altertums und des Mittelalters haben daraus
geschöpft. Welch große Verbreitung das Protoevangelium
in der orientalischen Kirche fand und welch
hohes Ansehen es genoß, zeigen die zahlreichen
Abschriften und Übersetzungen in syrischer,
slavischer, koptischer, armenischer und arabischer
Sprache. Es sind nicht weniger als fünfzig
griechische Handschriften vorhanden.
Nach dem Bericht
des Jakobus stammte Maria nicht von armen Leuten.
Ihre Mutter Anna war sogar würdig, königlichen
Schmuck zu tragen. Wie einstens Isaak und Samuel
war auch Maria eine Frucht des Gebetes. Erst
nach langjähriger Prüfung segnete Gott die Ehe
der beiden frommen Israeliten Joachim und Anna
mit diesem Kind. Doch lassen wir dem Erzähler
selbst das Wort, da sein Bericht für die Entwicklung
der Annaverehrung von höchster Bedeutung ist
und nicht nur die volkstümliche Anschauung bis
auf den heutigen Tag stark beeinflußt. Übersetzung
vgl. A. Meyer bei Hennecke, Neutestamentl. Apokryphen,
86f.
Das Protoevangelium
des Jakobus
In den Geschichten
(Geschlechtsregistern) der zwölf Stämme heißt
es: Joachim war ein sehr reicher Mann,
und er brachte seine Opfergaben doppelt dar,
indem er sich sagte: Was ich zuviel gebe, soll
dem ganzen Volk zugute kommen, mein Sühnopfer
aber sei dem Herrn geweiht für meine eigenen
Sünden. Es war aber der große Tag des Herrn
herangekommen, und die Söhne Israels brachten
ihre Gaben dar. Und der Hohepriester Ruben erhob
sich gegen ihn und sprach: Es steht dir nicht
zu, zuerst Opfergaben darzubringen, weil du
keine Nachkommen in Israel erzeugt hast.
Darüber ward
Joachim sehr traurig und ging zu den Geschlechtstafeln
der zwölf Stämme des Volkes, indem er bei sich
sprach: Ich will die Geschlechtstafeln Israels
einsehen, ob ich allein in Israel keine Nachkommenschaft
hinterlassen habe. Und er forschte und fand
von allen Gerechten, daß sie Nachkommenschaft
in Israel erweckt hatten. Er gedachte des Patriarchen
Abraham, dem Gott noch im Alter einen Sohn geschenkt,
den Isaak. Joachim betrübte sich sehr und zeigte
sich nicht seiner Frau, sondern er begab
sich in die Wüste, schlug dort sein Zelt auf
und fastete vierzig Tage und vierzig Nächte,
indem er sich sagte: Ich will nicht herabsteigen
zu Speise oder Trank, bis Gott mein Herr mich
heimgesucht hat; das Gebet soll mir Speise und
Trank sein.
Anna aber, seine Frau, trauerte zweifache Trauer
und klagte mit doppelter Klage: Beklagen will
ich meine Witwenschaft und beklagen auch meine
Kinderlosigkeit. Es nahte aber der große Tag
des Herrn, und ihre Magd Judith sprach zu ihr:
Wie lange willst du deine Seele abhärmen? Es
hat sich der große Tag des Herrn genaht, und
es ist dir nicht erlaubt zu trauern. Nimm vielmehr
diese Kopfbinde, welche die Vorsteherin der
Arbeit mir geschenkt hat. Mir ist es nicht erlaubt,
sie anzulegen, weil ich eine Magd bin und sie
ein königliches Abzeichen ist. Und es sprach
Anna: Weiche von mir! Das tue ich nimmer; hat
mich ja der Herr gar sehr gedemütigt. Es hat
doch nicht ein Verführer dir dies gegeben, und
bist du etwa gekommen, mich deiner Sünde teilhaftig
zu machen? Und Judith erwiderte: Was soll ich
dir noch übles wünschen, da du nicht auf meine
Stimme hören willst; hat doch der Herr deinen
Schoß verschlossen, so daß du keine Nachkommenschaft
hast in Israel! Und es betrübte Anna sich sehr;
sie legte ihre Trauerkleider ab und wusch ihr
Haupt, zog ihr Brautgewand an und ging um die
neunte Stunde in den Garten. Und sie sah einen
Lorbeerbaum, setzte sich unter ihn und flehte
zum Herrn, indem sie sprach: O Gott meiner Väter,
segne mich und erhöre mein Gebet, gleich wie
du gesegnet hast die Sara und ihr einen Sohn
gegeben hast, den Isaak.
Und zum Himmel
aufschauend sah sie ein Sperlingsnest auf dem
Lorbeerbaum, und sie stimmte bei sich eine Klageweise
an folgendermaßen:
|
Weh mir,
wer hat mich erzeugt,
und welcher Mutterschoß mich hervorgebracht?
Denn als ein Fluch bin ich geboren vor
den Kindern Israels,
und sie haben mich geschmäht und verhöhnt
vom Tempel des Herrn!
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Weh mir,
wem bin ich gleich geworden?
Nicht den Vögeln des Herrn bin ich gleich
geworden;
denn auch die Vögel des Himmels sind
fruchtbar vor dir, Herr!
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Weh mir,
wem bin ich gleich geworden?
Nicht den Tieren des Feldes bin ich
gleich geworden;
denn auch die Tiere des Feldes sind
fruchtbar vor dir, Herr.
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Weh mir,
wem bin ich gleich geworden?
Nicht diesen Wassern bin ich gleich
geworden;
denn auch diese Wasser sind fruchtbar
vor dir, Herr!
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Weh mir,
wem bin ich gleich geworden?
Nicht diesem Land bin ich gleich geworden;
denn auch dieses Land bringt Früchte
zur Zeit und lobt dich, Herr.
|
Und siehe,
ein Engel des Herrn trat vor sie hin und
sprach zu ihr: Anna, Anna, der Herr hat deine
Bitte erhört, du wirst empfangen und einem
Kind das Leben schenken, das auf der ganzen
Welt gepriesen wird. Und es sprach Anna: So
wahr der Herr mein Gott lebt, wenn ich ein Kind
erhalte, sei es ein Knäblein oder ein Mädchen,
so will ich es als Opfergabe dem Herrn weihen,
und es soll ihm alle Tage seines Lebens dienen.
Und siehe, es kamen zwei Boten und sprachen
zu ihr: Siehe, Joachim, dein Mann, kommt zurück
mit seinen Herden. Denn ein Engel des Herrn
stieg zu ihm herab und sprach: Joachim, Joachim,
erhört hat Gott der Herr dein Flehen, steig
herab von hier, denn siehe, Anna, deine Frau,
wird empfangen. Und Joachim stieg herab, rief
seine Hirten und sprach: Bringt mir her zehn
fleckenlose und tadellose Lämmer, sie sollen
für den Herrn meinen Gott sein; und bringt mir
zwölf fette Kälber, sie sollen sein für die
Priester und Ältesten, und hundert Böcke für
das ganze Volk. Und siehe, Joachim kam mit seinen
Herden, und Anna stand an der Tür und sah Joachim
kommen, und sie ging und fiel ihm um den Hals
und sprach: Nun weiß ich, daß Gott der Herr
mich reichlich gesegnet hat; denn siehe, die
Witwe ist nicht mehr Witwe, und die Kinderlose
wird ein Kind erhalten. Und es ruhte Joachim
den ersten Tag in seinem Haus. Tags darauf brachte
er seine Opfergabe dar, indem er bei sich sprach:
Wenn Gott der Herr sich meiner erbarmt hat,
so wird das Stirnband des Priesters es mir offenbaren.
Und Joachim opferte seine Gaben und gab acht
auf das Stirnband des Priesters, als er zum
Altar des Herrn trat, und er sah kein Fehl daran.
Und Joachim sprach: Nun weiß ich, daß der Herr
sich meiner erbarmt und all meine Sünden nachgelassen
hat.
Und gerechtfertigt stieg er vom Tempel des Herrn
herab und ging in sein Haus. Es hatte sich aber
ihre Zeit erfüllt und sie schenkte im neunten
Monate einem Mädchen das Leben. Und sie sprach
zur Hebamme: Was habe ich geboren? Und sie sprach:
ein Mädchen. Und Anna sprach: Mein Herz ist
erhoben an diesem Tag, und sie legte sich nieder.
Nachdem aber ihre Tage vorüber waren, ward Anna
rein und sie nährte ihr Kind und nannte es
Maria.
Das Kind erstarkte von Tag zu Tag. Als es aber
sechs Monate alt geworden war, stellte es die
Mutter auf den Boden, um zu sehen, ob es wohl
stehen könne. Und es machte sieben Schritte
und kehrte zur Mutter zurück. Anna aber hob
es auf und sprach: So wahr der Herr mein Gott
lebt, du sollst nicht mehr wandeln auf dieser
Erde, bis ich dich gebracht habe in den Tempel
des Herrn. Und sie machte einen heiligen Raum
in seinem Schlafgemach und nichts Gemeines und
Unreines ließ sie hineingehen zu ihm. Und sie
rief die reinen Töchter der Hebräer herbei,
die sorgten für seine Zerstreuung.
Als das erste Jahr vollendet war, veranstaltete
Joachim ein großes Mahl, und er lud dazu ein
die Priester und die Schriftgelehrten und die
Ältesten und das ganze Volk Israel. Und er reichte
das Kind den Priestern, und sie segneten es
und sprachen:
Du Gott unserer Väter, segne dies Kind und gib
ihm einen Namen, der genannt wird unter allen
Geschlechtern ewiglich. Und das ganze Volk sprach:
Es geschehe, es geschehe. Und Joachim reichte
das Kind den Hohenpriestern und sie segneten
es und sprachen: Du Gott in der Höhe, schaue
nieder auf dieses Kind und segne es mit dem
höchsten Segen, der kein Ende nimmt. Und die
Mutter nahm es hinweg und brachte es in das
Heiligtum des Schlafgemaches und nährte es.
Sie stimmte einen Lobgesang an und sprach:
Singen will ich ein Lied dem Herrn meinem Gott.
Denn er hat mich heimgesucht und von mir genommen
das Schmähen meiner Feinde. Und gegeben hat
mir der Herr eine „Frucht der Gerechtigkeit",
einfältig, vielgestaltig vor ihm. Wer verkündigt
den Söhnen Rubens, daß Anna stillt? Hört, hört,
ihr zwölf Stämme, daß Anna stillt.
Und sie brachte es zur Ruhe in das Heiligtum
des Schlafgemaches und kam heraus und diente
den Gästen. Als das Mahl geendigt war, gingen
diese freudig nach Hause und priesen den Gott
Israels.
Die Monate des Kindes mehrten sich. Als es zwei
Jahr alt wurde, sprach Joachim zu Anna seiner
Frau: Wir wollen es in den Tempel des Herrn
hinaufführen, auf daß wir das Gelübde erfüllen,
das wir getan haben, damit nicht etwa Gott der
Herr sich abwende und unsere Gabe unwillkommen
werde. Anna sprach: Warten wir das dritte Jahr
ab, damit nicht etwa das Kind Vater und Mutter
vermisse. Und Joachim sprach: Gut, warten wir
ab.
Als das Kind
drei Jahr alt geworden, sprach Joachim: Ruft
die unbefleckten Töchter der Hebräer, sie sollen
jede eine Fackel nehmen und diese sollen angezündet
sein, damit das Kind sich nicht rückwärts wende
und sein Herz dem Tempel nicht entfremdet werde.
Und sie taten so, bis sie hinaufkamen in den
Tempel des Herrn. Und der Priester nahm das
Mädchen in Empfang, küßte und segnete es und
sprach: Der Herr hat groß gemacht deinen Namen
unter allen Geschlechtern der Erde; denn in
dir wird am Ende der Tage der Herr seine Erlösung
den Söhnen Israels offenbaren. Und er setzte
das Kind auf die dritte Stufe des Altares, und
Gott goß seine Gnade über das Kind aus und es
tanzte auf seinen Füßen einher und das ganze
Haus Israel gewann es lieb.
Die Eltern gingen
voll Verwunderung weg und lobten Gott den Allmächtigen,
weil das Kind sich nicht rückwärts gewandt hatte.
Maria aber wurde in dem Tempel des Herrn
aufgezogen wie eine pickende Taube und empfing
Nahrung aus Engelshand.
Da sie aber zwölf Jahre alt ward, fand
eine Beratung der Priester statt, die da sprachen:
Siehe, Maria ist in dem Tempel zwölfjährig geworden,
was sollen wir nun mit ihr machen, damit sie
nicht das Heiligtum des Herrn unseres Gottes
beflecke? Und sie sprachen zu dem Hohenpriester:
Du stehst an dem Altar des Herrn, geh hinein
in das Heiligtum und bete ihretwegen, und was
immer dir der Herr offenbaren wird, das laß
uns tun. Und der Hohepriester nahm das Amulett
mit den zwölf Glöckchen und ging in das Allerheiligste
und betete ihretwegen. Und siehe, ein Engel
des Herrn trat herzu und sprach zu ihm: (Zacharias,
Zacharias), gehe heraus und versammle die Witwer
des Volkes und sie sollen je einen Stab mitbringen,
und wem der Herr ein Zeichen gibt, dessen Frau
soll sie sein. Es gingen aber die Herolde aus
durch die ganze Umgegend von Judäa, und es erscholl
die Posaune des Herrn, und alsbald liefen alle
herzu. Joseph aber warf sein Beil weg und eilte,
mit ihnen zusammenzutreffen, und nachdem sie
versammelt waren, nahmen sie die Stäbe und gingen
zum Hohenpriester. Er nahm die Stäbe von allen
und ging in den Tempel und betete. Nachdem er
aber das Gebet vollendet hatte, nahm er die
Stäbe, ging heraus und übergab sie ihnen und
keinerlei Zeichen erschien an ihnen.
Den letzten Stab aber bekam Joseph, und siehe,
eine Taube kam aus dem Stab heraus und flog
auf das Haupt Josephs. Und es sprach der Hohepriester
zu Joseph: Du bist durchs Los dazu bestimmt,
die Jungfrau des Herrn in deine Hut zu nehmen.
Und Joseph redete dagegen und sprach: Ich bin
ein alter Mann, sie aber ist jung; ich fürchte,
ich werde lächerlich für die Kinder Israels.
Und es sprach der Hohepriester zu Joseph: Fürchte
den Herrn deinen Gott und gedenke daran, was
Gott dem Dathan und Abiron und Korah getan hat,
wie die Erde sich spaltete und sie verschlungen
wurden wegen ihres Widerspruches. Und nun fürchte
Gott, Joseph, damit so etwas nicht an deinem
Hause geschehe. Und Joseph fürchtete sich und
nahm sie in seine Obhut.
Hiermit schließt der Bericht des Protoevangeliums
über die Eltern und die erste Jugend Marias
bis zu ihrer Vermählung. Wegen seiner würdevollen
Erzählung genoß es im Morgenland hohes Ansehen.
An dem Festtag der hl. Anna (25. Juli und 9.
September), ebenso am Geburtstag Marias (8.
September) wurde es öffentlich in der Kirche
vorgelesen. Für die Verehrung der hl. Anna ist
es von höchster Bedeutung gewesen und hat sie
im wesentlichen begründet. Wie sehr Prediger
und Künstler aus ihm geschöpft haben, werden
wir wiederholt sehen.
Ähnlich war es im Abendland, obwohl der hl.
Augustin und der hl. Hieronymus eine ablehnende
Stellung gegenüber den Apokryphen einnahmen.
Und doch mußte gerade des letztgenannten Kirchenlehrers
berühmter Name zur Verbreitung einer anderen
apokryphen Schrift und dadurch zur Verehrung
der hl. Anna nicht wenig beitragen. Es kommen
hier vornehmlich zwei Schriften in Betracht,
das Evangelium des Pseudo-Matthäus und das Evangelium
von der Geburt Mariä.
Das Evangelium des Pseudo-Matthäus entstand
kurz nach der Mitte des 5. Jahrhunderts und
führt seinen Namen nach Tischendorf, der zuerst
den vollständigen Text herausgab und der ihm
auf Grund einer vatikanischen Handschrift den
Titel gab: Buch von der Geburt der seligen
Maria und der Kindheit des Erlösers. Der
Verfasser entnimmt seinen Inhalt dem Protoevangelium
und der „Kindheitsgeschichte des Thomas",
einem ursprünglich wohl gnostischen Machwerk,
das von dem Knaben Jesus allerlei „Kinderstreiche"
und seltsame Geschichten zu berichten weiß.
Maria erscheint als das Vorbild klösterlichen
Lebens.
Wichtiger für unsere Unternehmung ist das „Evangelium
von der Geburt Mariä", das dem 6. Jh. seinen
Ursprung verdankt. In zehn Kapiteln erzählt
es die Geschichte von Joachim und Anna, die
Verkündigung und Geburt Mariä, ihre Kindheitsgeschichte
und Vermählung mit Joseph und zum Schluß die
Geburt Jesu. Seinen Stoff nimmt er aus dem Protoevangelium,
dem Evangelium des Peudo-Matthäus, aus dem aber
die glaubens-widrigen Stellen fortgelassen sind,
und auch aus den echten Evangelien des Matthäus
und Lukas. Indem es sich unter dem Namen des
hl. Hieronymus einführt, fand es im Abendland
eine weite Verbreitung. Vincenz von Beauvais
nahm es um die Mitte des 13. Jahrhunderts teilweise
(Kap. 1-8) in seinen „Geschichtsspiegel" auf
und Jakob von Voragine fast ganz in seine
berühmte legenda aurea - „Goldene Legende".
Ohne in die Wundersucht der orientalischen Berichte
zu verfallen, gibt der unbekannte Bearbeiter
in schlichter und auch nordischem Empfinden
ansprechender Weise Auskunft über die Herkunft
der Eltern und die Geburt Mariä. Seine Erzählung
erfreute sich beim christlichen Volk stets großer
Beliebtheit und wird auch jetzt noch gern von
ihm gehört. Wir lassen deshalb hier einen
Auszug aus dem Büchlein folgen, und zwar
besonders jene Stellen, welche von dem Protoevangelium
abweichen.
Der Vater der Jungfrau Maria hieß Joachim, ihre
Mutter Anna. Er stammte aus Nazareth in Galiläa,
sie aus Bethlehem. Sie führten ein Leben in
Einfachheit und Gerechtigkeit vor Gott und erfreuten
sich bei den Menschen eines unbescholtenen Rufes.
Ihren Besitz teilten sie in drei Teile; den
einen verwendeten sie für den Tempel und die
Priester, den zweiten zu wohltätigen Zwecken,
den dritten für die eigenen Bedürfnisse. So
lebten sie ungefähr zwanzig Jahre in frommer,
aber kinderloser Ehe. Sie gelobten, falls Gott
ihnen ein Kind schenken würde, es dem Dienst
des Herrn weihen zu wollen und machten zu diesem
Zweck auch jährliche Wallfahrten zum Tempel.
Als Joachim einstens wieder zu Jerusalem am
Fest der Tempelweihe mit seinen Landsleuten
ein Opfer darbringen wollte, seiner Kinderlosigkeit
wegen aber von dem Hohenpriester öffentlich
gescholten und zurückgewiesen wurde, wagte er
aus übergroßer Scham nicht, in sein Haus zurückzukehren,
sondern begab sich zu den Hirten auf das Feld.
Hier erscheint ihm nach einiger Zeit mit hellem
Lichtglanz ein Engel und tröstet ihn; auch
Sara, Rachel, die Mutter Samsons und Samuels
seien lange kinderlos gewesen. Seine Gattin
werde ihm eine Tochter schenken, die er Maria
nennen solle; diese werde schon im Mutterschoß
vom Heiligen Geist erfüllt und einstens als
unvergleichliche Jungfrau Jesus dem Erlöser
der Welt das Leben schenken. Auch gibt der Engel
ihm ein Zeichen für die Wahrheit seiner Aussage:
Sobald Joachim zu Jerusalem bei der Goldenen
Pforte des Tempels anlangt, wird ihm die über
sein Ausbleiben beunruhigte Anna entgegenkommen,
hocherfreut, ihn wiederzusehen.
Die gleiche Belehrung und Verheißung machte
der Engel darauf der betrübten Anna. Seinem
Befehl Folge leistend, begaben sich beide nach
Jerusalem und trafen sich an dem bezeichneten
Ort. Nachdem sie dem Herrn gebührend Dank gesagt
hatten, kehrten sie freudig und hoffnungsfroh
in ihr Haus zurück. Des Engels Verheißung erfüllte
sich, und sie nannten das Kind Maria.
Nach drei Jahren brachten sie ihre Tochter zum
Tempel nach Jerusalem, zu dem fünfzehn Stufen
emporführen. Als sie das Kind auf die unterste
Stufe stellten und der Sitte gemäß ihre geringen
Reisekleider mit bessern Gewändern vertauschten,
steigt die Kleine ohne Beihilfe zum Tempel hinauf,
als wäre sie bereits erwachsen. Die Eltern kehren
nach Erfüllung ihres Gelübdes in die Heimat
zurück, wo sie bald darauf von Gott abberufen
werden. Maria machte in allen Tugenden große
Fortschritte. Täglich stiegen Engel zu ihr hernieder.
Engel hielten alles Ungemach von ihr fern und
förderten sie in allem Guten, so daß ihr Leben
und ihre Aufführung allgemeine Bewunderung erregten.
Das sind also die ältesten Nachrichten über
die Mutter Anna; zwar apokryph und legendenhaft
ausgeschmückt, in ihrem Kern aber nicht ohne
einigen Wahrheitsgehalt.
Was den Namen unserer Heiligen anlangt, so stützt
er sich wie ihre ganze Lebensbeschreibung
lediglich auf die Apokryphen. Und wie diese
Apokryphen offenbar großenteils der biblischen
Erzählung von Anna, der Mutter Samuels, nachgebildet
ist, so hat man von dort auch ihren Namen übergenommen.
Doch ist es nicht aus-geschlossen, daß durch
die älteste Überlieferung wenigstens die Namen
der Eltern Marias sich fortgepflanzt haben,
wenn wir auch keinen eigentlichen Beweis dafür
beizubringen wissen. Immerhin ist es eine sehr
ehrwürdige Tradition, die für diesen Namen spricht,
da sie schon in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhnderts,
im Protoevangelium, so genannt wird.
In der Erklärung dieses Namens herrscht volle
Übereinstimmung. Joachim, so spricht
Epiphanius in einer Lobrede auf Maria, heißt
soviel als „Bereitung des Herrn", weil aus
ihm der Tempel des Herrn bereitet worden ist,
die Jungfrau. Anna aber bedeutet Gnade,
weil Joachim und Anna die Gnade erhielten, eine
so edle Frucht zu empfangen, nämlich die hl.
Jungfrau. Diese Deutung des Namens Anna kehrt
bei allen Vätern wieder. So erklärt Johannes
von Damaskus: „Anna empfing durch inständiges
Gebet und durch göttliche Verheißung die Gottesgebärerin,
damit die Großmutter des Herrn auch in dieser
Beziehung hinter keiner der berühmten Frauen
zurückstehe. Es gebar also die ‘Gnade’, das
bedeutet Anna, ‘die Herrin’, was die Bedeutung
des Namens Maria ist."
Es liegt dieser Interpretation die gemeinsame
Anschauung zugrunde, welche der Kirchenlehrer
Beda mit den Worten ausspricht, Christus wollte
in diese Welt durch jene Patriarchen (Joachim
und Anna) kommen, deren Name schon unser Heil
bedeute.
Dieser Name begegnet uns durch das ganze Mittelalter
und die Neuzeit ohne irgendwelches Schwanken.
In Italien verbindet man ihn gern mit Maria,
in Frankreich bildete sich daraus Marianne.
Inhaltsverzeichnis
2. Kap.
Die
Verehrung der hl. ANNA im Orient
An der Spitze
aller Heiligen, denen die katholische Kirche
Verehrung zollt, steht Maria, die Mutter des
Erlösers. Ihr Lob wurde frühzeitig in Wort und
Bild laut verkündet. Zu ihrer Ehre erhoben sich
in frühchristlicher Zeit an den verschiedensten
Orten prachtvolle Kirchen. Daneben galt die
Verehrung des gläubigen Volkes besonders jenen
christlichen Helden, die für den Glauben an
Christus Gut und Blut geopfert hatten. So wurde
von den Christen zu Antiochien alljährlich das
Fest des Bischofs und Märtyrers Ignatius (+107)
feierlich begangen.
Das älteste Heiligenverzeichnis stammt aus dem
Jahre 336, es enthält nur Namen von Märtyrern
und zählt im ganzen 53 Heiligenfeste auf. Nach
dem Aufhören der blutigen Verfolgungen durch
die römischen Kaiser dehnte sich die Verehrung
der Gläubigen auch auf jene aus, die nicht zwar
durch ihr Blut, wohl aber durch ihr heldenmütiges
Tugendleben für Christus Zeugnis abgelegt hatten.
Einer der gefeiertsten Heiligen war im Abendland
der hl. Martin von Tours (+ 397).
Auch jenen Personen wandte sich die Verehrung
des christlichen Volkes zu, die mit dem Heiland
seiner leiblichen Herkunft nach verwandt waren.
Da stand ihm nun nach seiner hl. Mutter Maria
niemand näher als die hl. Anna. Daher wurde
ihr ohne Zweifel frühzeitig die Verehrung der
Gläubigen zuteil. Als man noch lange nicht
daran dachte, Joseph, den Nährvater Jesu, in
außergewöhnlicher Weise zu verehren, genoß Anna
schon vielerorts die Verehrung der Gläubigen.
Dazu hat gewiß der Bericht des weitverbreiteten
und angesehenen Protoevangeliums viel mitgewirkt.
Haben doch die Prediger immer nur wiederholt,
was das Evangelium Jakobi von den Eltern Mariens
berichtet.
Nachdrücklicher wurde die Aufmerksamkeit der
Gläubigen auf diese begnadigten Eltern hingelenkt
durch die Glaubensstreitigkeiten über die Muttergotteswürde
Mariens, welche zu Beginn des 5. Jahrhunderts
die Kirche beunruhigten. Nachdem aber die Väter
des Konzils von Ephesus (431) den Irrtum des
Nestorius verworfen und Maria feierlich den
Titel „Gottesgebärerin" zuerkannt hatten, mußte
notwendigerweise ein Lichtstrahl dieser Auszeichnung
auf die Eltern fallen, namentlich auf die hl.
Anna. Kein Lobredner der Gottesgebärerin,
der von Mariä Geburt sprach, konnte die Mutter
Anna übergehen.
Die Annakirche in Jerusalem
Nicht weniger
hat zur Verbreitung ihrer Verehrung die Kirche
beigetragen, die schon in altchristlicher Zeit
an jener Stätte erbaut wurde, wo nach der Überlieferung
das Wohnhaus der hl. Anna gestanden und
wo sie möglicherweise der allerseligsten Jungfrau
Maria das Leben geschenkt hat. Es lag, wie man
glaubte, zu Jerusalem in der Nähe des Schafteiches,
wo der Heiland den achtunddreißigjährigen Kranken
heilte. Seit Kaiser Konstantin der Große dem
Christentum die staatliche Anerkennung gewährt
und er und seine Mutter Helena die ehrwürdigen
Stätten Palästinas mit wunderbaren Prachtbauten
geschmückt hatten, zog es viele Christen des
Morgen- und Abendlandes mit unwiderstehlicher
Gewalt zu jenen Orten, an denen der Heiland
der Welt für uns gelebt und gelitten. Mächtig
und unvergeßlich waren die Eindrücke, die sie
dort empfingen. Im größeren Umfang fanden diese
Pilgerzüge jährlich zweimal statt, im Frühjahr
und im Herbst. Namentlich aus dem Morgenland
strömten die Gläubigen in großen Scharen nach
Jerusalem, um das hl. Kreuz zu verehren.
Bei dieser Gelegenheit
besuchten sie natürlich auch die Marienkirche,
d. h. die an jener Stätte erbaute Kirche, wo
vermutlich Anna Maria zur Welt gebracht hatte.
Die alten Pilgerberichte lassen an dem Glauben
an diese Überlieferung keinen Zweifel aufkommen.
So bemerkt um das Jahr 800 eine Beschreibung
der hl. Orte kurz: „In (der Kirche) Sankta Maria,
wo sie (Maria) geboren wurde."
Daß sich in der Nähe des Schafteiches eine Marienkirche
befand, berichtet schon um 570 der Pilger
Antonin von Piacenza, der noch hinzufügt,
es geschehen dort viele Wunder. Ebenso
weiß vierzig Jahre zuvor der Pilger Theodosius
zu melden, daß sich die Marienkirche am Schafteich
befindet. Zwar erwähnen diese beiden Pilger
nicht, daß hier die Geburtsstätte Mariens verehrt
werde, aber bereits mehrere Jahrzehnte nach
dem Pilger Antonin spricht davon Sophronius,
der spätere Patriarch von Jerusalem (+638)
in einer dichterischen Beschreibung der hl.
Orte:
|
Laßt
betreten mich den heiligen Schafteich,
Wo Maria einst von Anna uns geboren
ward.
Wie? Den Markt der Stadt durchschreitend
Sollt' stolz ich vorübergehen
An der Stätte, wo im elterlichen Haus
Unsre Königin das Licht der Welt erblickte?
Der geweiht der makellosen Gottesmutter,
Nein, betreten will den Tempel ich,
Und will küssen und in meine Arme schließen
Seine Marmorwände, die mir über alles
lieb.
|
Es ist bemerkenswert,
daß in diesem Gedicht die hl. Anna ausdrücklich
erwähnt
wird. Wie hätten die Pilger, die hierher kamen,
jene hehre Frau vergessen können, die der Gottesmutter
das Leben gegeben! Im Lauf der Zeit nahm die
Verehrung der hl. Anna so zu, daß ursprünglich
Maria geweihte Kirche nach ihr benannt wurde,
was zumindest seit dem 6. Jh. geschah. Der genaue
Zeitpunkt dieser Namensänderung ist unbekannt,
uns genügt zu wissen, daß um das Jahr 500 den
Pilgern zu Jerusalem eine Kirche gezeigt wurde,
in der man der hl. Anna besonders gedachte.
Daß man dann zu ihr auch betete, zumal wenn
es Frauen waren, die gleich ihr lange Zeit des
Kindersegens entbehrten, ist ein naheliegender
Schluß. Anna genoß also um 500 gewiß Verehrung
seitens der Gläubigen und Pilger, die sie
um ihre Fürsprache anflehten.
Jerusalem genießt nun allerdings nicht ohne
Widerspruch den Ruhm, die Geburtsstätte der
Gottesmutter gewesen zu sein, diesen Ruhm macht
ihr seit langem das zwei Stunden von Nazareth
gelegene Sephora (Sephoris) streitig.
Sephoris, nach einer Zerstörung von Herodes
Antipas wieder aufgebaut und dem Kaiser Augustus
zu Ehren Diöcäsarea genannt, war Bischofssitz.
518 wird ein Marcellinus, 536 ein Cyriacus als
Bischof erwähnt. Hier sollen Joachim und
Anna ein Haus besessen und längere Zeit gewohnt
haben. Heute befinden sich dort noch Überreste
einer Kirche, deren Ursprung einige Archäologen
ins
4. oder wenigstens ins 5. Jh. setzen. Von dem
Perserkönig Chosroes II. 614 der Zerstörung
preisgegeben, wurde diese Kirche zur Zeit der
Kreuzfahrer als dreischiffige Basilika wieder
aufgebaut, um unter Sultan Saladin 1127 abermals
der Vernichtung anheimzufallen. Nur die drei
Apsiden blieben erhalten und wurden von der
türkischen Bevölkerung des Ortes bis in die
neueste Zeit unberührt gelassen. Im Jahr 1880
gelangten die Ruinen in den Besitz der Franziskaner
und wurden von ihnen restauriert.
Bei der Restauration fand man mitten in den
dicken Mauern der Apsis (auf der Evangelienseite),
in denen auch eine alte schmale Steintreppe
nach oben führt, deutlich die dünnere Wand eines
Hauses, von beiden Seiten mit den Quadern der
Kirchenmauer umfaßt, so daß offenbar zu sehen
ist, wie man beim ersten Bau hier die Mauern
eines alten Hauses konservieren wollte. Seitdem
findet alljährlich am 26. Juli eine größere
Feierlichkeit zu Ehren der hl. Anna statt.
Die Tradition, daß Joachim und Anna in Sephora
Eigentum besaßen, hat zwar nicht ein so ehrwürdiges
Alter für sich wie das Haus zu Jerusalem. Doch
Eugesippus (11. Jh.) kennt sie bereits, er berichtet,
daß dort Anna und ihre Schwester Hermana geboren
wurden. Pilgerziel war der Ort aber sicher schon
im 6. Jh., da Antonin von Piacenza dorthin kam.
Wenn man bedenkt, daß Nazareth, wo Maria vom
Engel die Botschaft erhielt, nur zwei Wegstunden
von Sephora entfernt liegt, dann scheint die
Tradition nicht ohne Fundament zu sein. Hatte
diese Überlieferung aber bei den Gläubigen einmal
Anklang gefunden und zog sie Pilger nach Sephora,
wie Antonin bezeugt, so war bis zur Verehrung
der hl. Anna nur ein Schritt. - Die beiden Traditionen
schließen sich nicht aus. Denn Joachim konnte
für die jährlichen Pilgerfahrten nach Jerusalem
für sich und seine Familie dort ein Haus als
Absteigequartier haben.
Die Annakirche hatte ein sehr wechselvolles
Schicksal. Als König Chosroes II. von Persien
614 Jerusalem eroberte und fast 10.000 Christen
ermordete, ließ er die schönsten Kirchen zerstören,
darunter auch die Annakirche. Doch schon bald
wurde sie wieder aufgebaut, wenn auch nur in
bescheidenem Ausmaß.
Die Eroberung Jerusalems durch die Mohammedaner
635 verursachte dem Heiligtum neuen Schaden;
blieb es auch im Besitz der Christen, so verlor
es doch viel von seiner alten Bedeutung.
Erst die Gaben und Geschenke Karls des Großen,
der mit dem Kalifen Harun al Raschid freundschaftliche
Beziehungen unterhielt, ließ es zu neuem
Glanz erstehen. Neben der Kirche befand
sich wenigstens schon um das Jahr 808 ein Kloster,
das auch den Namen St. Anna erhielt und in dem
damals 25 Nonnen lebten.
Indes konnten sich die Christen auch jetzt nicht
dauernd eines ungestörten Besitzes des Heiligtums
erfreuen. Als die Seldschucken sich Palästinas
bemächtigten und die hl. Stätten jeglicher Greuel
und Verwüstung preisgaben, mußte die Annakirche
als mohammedanisches Kolleg dienen, bis die
Kreuzfahrer unter Gottfried von Bouillon
die heilige Stadt den Ungläubigen entrissen
und die Kirchen dem christlichen Gottesdienst
zurückgaben. In das Kloster neben der Annakirche
hielten abendländische Nonnen ihren Einzug;
sie beobachteten die Regel des hl. Benedikt
und zählten unter sich Mitglieder aus den ersten
fürstlichen Häusern. Damals begann für Kirche
und Kloster eine glückliche Zeit. Im Jahre 1104
wurde nämlich Arda, die Tochter des armenischen
Fürsten Taphnuz, die König Balduin als Gattin
aber später verstoßen hatte, in das Kloster
verwiesen, das aus diesem Anlaß beträchtliche
Güter erhielt, die es gestatteten, Kirche und
Kloster bedeutend zu erweitern. Die Kirche wurde
ungefähr um die Hälfte verlängert und mit einem
neuen Chor versehen, der drei Apsiden hatte.
Damals wohl erhielt die Kirche jene Gestalt
wie im wesentlichen noch heute, abgesehen von
der Fassade, und deren Aussehen uns P.Horn in
seiner „Iconographie" der hl. Orte Palästinas
aufbewahrt hat. Sie ist das Werk eines Architekten,
der mit den Kreuzfahrern nach Palästina gekommen
war. Im Innern wurde sie mit Gemälden aus der
Legende der hl. Anna und Joachim ausgeschmückt.
Auch Königin Melisenda, deren Schwester Judith,
Tochter Balduins II., hier den Schleier nahm,
wandte dem Kloster ihre Gunst zu.
Ihrem Beispiel folgte später Theodora, Witwe
Balduins III. Man beging damals das Fest
der hl. Anna am 25. Juli mit großer Feierlichkeit,
wie uns der Pilger Johannes von Würzburg berichtet.
Wie in früheren Zeiten, so ward die Kirche wieder
von andächtigen Pilgern besucht. Sie erachteten
es für ein Glück, wenn sie zum Andenken Blätter
von einem Baum vor der Kirche erhielten, der
nach einer alten Legende gerade in dem Augenblick
hervorsproßte, als Anna ihrer Tochter das Leben
schenkte. Christliche Mütter, die am Fest der
Geburt Mariä von der Frucht des Baumes genaßen,
wurden dadurch des Kindersegens teilhaftig.
So meldet es wenigstens der griechische Dichter
Perdiccas von Ephesus im 12. Jh.:
|
Wo sich
der beiden Eltern heilig Grab erhebt,
Ragt stolz ein großer, schattenreicher
Baum empor,
Der an dem Tag, an dem die Unbefleckte
einst
Geboren ward, den Unfruchtbaren Frucht
verleiht,
Wenn fest im Glauben sie genossen von
der Frucht.
|
Kaum zwei Jahrhunderte
blieb die Kirche im Besitz der Christen. Sie
wurde in eine Moschee verwandelt, als
Sultan Saladin nach der Besiegung der Kreuzfahrer
1187 die Stadt Jerusalem eroberte. In dem Kloster
der Benediktinerinnen ließ er eine türkische
Prophetenschule einrichten. Nur mit Mühe und
unter Gefahr vermochten sich seitdem einzelne
Pilger Eintritt in das Heiligtum zu verschaffen.
Es mußte meistens heimlich geschehen. So berichtet
der Pilger Bernhard Breidenbach im Jahre 1484:
Auf St. Annen, unser lieben Frauen Fest und
Hochzeit, was am 26. des Monats Juli, wurden
wir durch die Gunst eines Heiden in St. Annas
Haus eingelassen, da vor Zeiten eine schöne
Kirche ist gestanden, zu ihrer Ehre erbaut,
woraus die Heiden zu ihrem Gebrauch eine Moschee
gemacht haben, darum sie keinen Pilger darin
lassen, es geschehe denn heimlich. Aus derselben
Kirche kamen wir in einen daranstoßenden Kreuzgang;
und da stiegen wir in etliche finstere und dunkle
Grüfte, und brennende Kerzen tragend kamen wir
an die Stelle, wo sant Anna die Jungfrau und
Gottesmutter Maria hat geboren, und an dem Ende
nahe dabei, wo sant Anna mittels des Todes aus
dieser Zeit geschieden ist.
Doch konnten die Franziskaner, die als Wächter
der hl. Stätten zur Zeit des Quaresimus (1616-1626)
in Palästina weilten, am Fest der hl. Anna in
der Krypta die hl. Messe lesen und der spanische
Franziskaner Antonio von Castillo, der 1628
sich daselbst aufhielt, berichtet, daß er am
Feste Mariä Geburt in der Krypta die hl. Geheimnisse
gefeiert habe. Wie aus der Zeichnung des P.
Horn vom Jahr 1725 hervorgeht, besaß die
Krypta damals noch drei Altäre, davon einer
an der Stätte, wo die Geburt Mariä stattgefunden
haben soll. Nach dem Palästinareisenden Ludolf
von Suchem war die Außenseite der Kirche mit
der Geschichte Annas und Joachims geschmückt.
Es sollten indes für das altehrwürdige Heiligtum
noch traurigere Tage kommen. Zwar gelang es
den Franziskanern, nach dem Sieg der Österreicher
über die Türken und nach dem Frieden von Karlowitz
(1699) durch die Vermittlung des Kaisers Leopold
die Erlaubnis zu erwirken, in der unterirdischen
Kirche zweimal im Jahr die hl. Messe zu feiern,
später aber nahmen die Türken diese Erlaubnis
zurück und verwandelten das Heiligtum in einen
Pferdestall. In dem ehemaligen Nonnenkloster
wohnten nur Männer; denn wie P. Horn schreibt,
starben die Frauen und deren Mägde immer eines
schnellen Todes, wenn sie das Kloster bezogen.
Gott wollte nicht, fügt er bei, daß dort gemeine
und schmutzige Weiber hausten, wo die allerseligste
Jungfrau Maria, ihre Eltern und andere heilige
Jungfrauen und Frauen gewohnt hatten.
Und als 1840 Ibrahim Pascha, der Herrscher Ägyptens,
auch Palästina unter seine Herrschaft brachte,
ließ er nicht nur das alte Benediktinerinnenkloster
abbrechen, um daraus neben dem Schafteich eine
Kaserne zu bauen, er gab auch den Befehl zum
Abbruch der als Moschee dienenden Annakirche.
Doch der Befehl kam nicht zur Ausführung. Als
man mit dem Abbruch beginnen wollte, wurde Ibrahim
Pascha gestürzt. Die Kirche war damit vor der
Zerstörung bewahrt, blieb aber noch immer in
den Händen der Mohammedaner.
Als die Türken mit Unterstützung der Franzosen
im Krimkrieg die Russen besiegten, äußerte
Kaiser Napoleon III. den Wunsch nach Zurückgabe
einer alt-christlichen Verehrungsstätte in Jerusalem.
Und da er ausdrücklich die St. Annakirche
nannte, kam das altehrwürdige Heiligtum
mit Zustimmung des türkischen Sultans nach einer
mehr als sechshundertjährigen Profanation wieder
in den Besitz der Christen.
Charland glaubt, daß die Türkei von selbst die
Kirche angeboten habe. Das verfallene Gebäude
wurde mit Unterstützung der französischen Regierung
wieder hergestellt. P. Vincent bemerkt, die
Türkei habe die Kirche zuerst England angeboten,
aber Lord Palmerston habe abgelehnt. Die Übergabe
geschah am 29. Oktober 1856. De Vogue war der
erste, der ihre archäologische Bedeutung erkannte
und ihr in seinen „Kirchen des Heiligen Landes"
ein ausgezeichnetes Kapitel widmete. Der Architekt
Mauß wurde mit ihrer Wiederherstellung betraut.
Sie liegt in der Nähe des St.-Stephanstores
und mißt in der Länge 40 m, in der Breite
19,28 Meter. Aus dem Südschiff führt eine Treppe
von 23 Stufen zur Krypta hinab, wo Anna ihre
Tochter geboren haben soll. Seit 1878 ist sie
wieder dem Gottesdienst übergeben, und die Feste
der unbefleckten Empfängnis und der Geburt Marias
werden neben denen der Mutter Anna in feierlicher
Weise begangen.
Man wollte sogar die Gräber der hl. Joachim
und Anna wiedergefunden haben (?), und zwar
in ihrem eigenen Haus, d. h. unter der jetzigen
Annakirche. Diese Entdeckung schrieb sich der
französische Assumptionist P. Cre zu. Als er
1888 unter der Kirche Ausgrabungen veranstaltete,
entdeckte er daselbst eine mit Trümmern angefüllte
Höhle; er ließ sie zu einer Totenkammer ausstatten
und mit zwei Wandgräbern versehen, um dann 1893
bekanntzugeben, daß hier die hl. Joachim und
Anna nach ihrem Tod beigesetzt worden seien.
Die Meinung, daß Anna an der Stelle, an der
sie angeblich Maria geboren, auch gestorben
sei, ist nicht ganz neu. Zuerst tritt sie bei
dem russischen Pilger Daniel (1112) auf, der
sie in Jerusalem selbst vernahm; sie muß also
schon älter gewesen sein. Seitdem begegnet sie
uns in ungefähr sechzehn Reiseberichten. Diesen
sechzehn stehen aber wohl zweihundert andere
gegenüber, die des vermeintlichen Annagrabes
keine Erwähnung tun. Auch der hervorragende
Kenner der Lokaltradition Quaresimus spricht
nicht davon, und nicht nur P. Meistermann hat
sie abgelehnt, auch tüchtige Kenner der altchristlichen
und jüdischen Gebräuche wie Lagrange, Vailhe
und Leclercq haben sich dagegen ausgesprochen,
da die Toten bei den Juden nicht innerhalb
der Stadt, also noch weniger innerhalb der Wohnungen
begraben worden sind.
Nach diesen Ausführungen über die Bedeutung
der Annakirche für die Entwicklung der Annaverehrung
kehren wir in das christliche Altertum zurück.
Die
Verbreitung der Annaverehrung in der orientalischen
Kirche
Die Verehrung
der hl. Anna blieb nicht lang auf Jerusalem
und seine Umgebung beschränkt. In ihre Heimat
zurückgekehrt, erzählten die Pilger, was sie
in der Ferne gesehen und gehört hatten. Auch
die Kirche, „wo Anna Maria geboren" hatte, blieb
gewiß nicht unerwähnt. Mancher wird daheim ihre
Verehrung fortgesetzt und andere dazu ermuntert
haben. Einen glänzenden Beweis für die Ausbreitung
ihrer Verehrung bildet die Tatsache, daß
vor dem Jahre 550 in Konstantinopel durch
Kaiser Justinian I. zu ihrer Ehre eine Kirche
erbaut wurde, die „ein wahres Wunder von
Schönheit und Pracht” war. Es war wohl die erste
Kirche, die nach ihrem Namen benannt war, und
lag im Stadtviertel, das Deuteron hieß. Durch
Erdbeben oder andere Verheerungen zerstört,
ließ Kaiser Justinian II. sie hundertfünfzig
Jahre später (710) wieder herstellen und schenkte
ihr bei dieser Gelegenheit die Reliquien
der hl. Anna, welche angeblich aus Palästina
herübergebracht worden waren. Abermals in Verfall
geraten gab ihr im 9.Jh. Kaiser Basilius ihre
frühere Pracht und Schönheit zurück.
Ein deutliches Zeugnis für die Verehrung, deren
sich die Mutter Marias in Konstantinopel erfreute,
ist die Tatsache, daß außer der Kirche in Deuteron
noch mehrere andere Gotteshäuser nach ihr benannt
wurden. Das zweite erbaute ebenfalls ein Mitglied
der kaiserlichen Familie, nämlich Anna, Gemahlin
Leos des Isauriers (714-741), die auch ein Kloster
zu Ehren ihrer Namenspatronin gründete. Zu dieser
Gründung wurde sie durch die unerwartete Geburt
eines Kindes veranlaßt. Als sie aus den Blachernen
heimkehrte, wurde sie unterwegs von Geburtswehen
überfallen, kehrte bei einem Protospathar ein,
brachte hier ein Kind zur Welt und verwandelte
das Haus in ein Kloster. Keine hundert Jahre
später wurde eine dritte Annakirche in Konstantinopel
erbaut, und wieder war es eine Kaiserin, die
den Bau aufführen ließ, nämlich Theodora, Mutter
des Kaisers Theophilus.
Die Verehrung der hl. Anna wurde in der kaiserlichen
Familie stark gepflegt. Hierfür spricht auch
der Umstand, daß in der von Konstantin gegründeten
und von Justinian erweiterten Hofburg eine Kapelle
nach unserer Heiligen benannt worden war. Diese
Burg lag in der Nähe der Hagia Sophia. Kaiser
Leo VI. (886-912), von dem noch mehrere Homilien
erhalten sind, ließ in der Nähe seiner Gemächer
ein Oratorium der hl. Anna einrichten, von dem
eine Beschreibung auf uns gekommen ist. Derselbe
Leo VI. errichtete in der Nähe des Klosters
„von der Quelle" eine Kapelle der hl. Anna,
um ein Unrecht wieder gutzumachen, das er sich
gegen den Verwalter des Klosters hatte zuschulden
kommen lassen. Es wurde von Kaiser Justinian
errichtet und ist eines der wenigen Klöster
aus dieser frühen Zeit Konstantinopels, die
noch erhalten sind. In einem Kloster der hl.
Anna namens Rigidion verlebte die hl. Theodora,
Gemahlin des Kaisers Theophilus und Freundin
der hl. Bilder, ihre letzten Jahre. Auch Galata,
die Vorstadt Konstantinopels, besaß eine Annakirche,
deren Erbauungszeit jedoch nicht sicher feststeht.
Dieser Bestand von fünf Kirchen oder Kapellen
in Konstantinopel, die den Namen der hl.
Anna trugen, sind ein starkes Zeugnis der blühenden
Annaverehrung, der sich im Laufe der zweiten
Hälfte des l. Jahrtausends in der Hauptstadt
des byzantinischen Kaiserreiches entwickelt
hat.
Die eifrige Verehrung der hl. Anna innerhalb
der kaiserlichen Familie und in der Hauptstadt
des Reiches übte natürlich weithin seinen Einfluß
aus. Er dehnte sich bald auf die von Byzanz
abhängigen oder mit ihm in geistiger Beziehung
stehenden Länder aus. Es fließen hier allerdings
die Quellen nicht so zahlreich, um dessen Höhe
und Tiefe verfolgen zu können. Ganz fehlen sie
allerdings nicht. Es sind besonders die begeisterten
Lobreden und die herrlichen Loblieder, die sich
bis heute erhalten haben und teilweise noch
jetzt in den Kirchen des Morgenlandes ertönen.
Aus der großen Anzahl dieser Lobsprüche können
wir hier nur einige Proben anführen.
Andreas,
Erzbischof von Kreta, + um 730, singt
in einer seiner Oden:
|
|
Heute,
fromme Anna, feiern wir deine Empfängnis
(der Jungfrau Maria); denn von den Banden
der Unfruchtbarkeit befreit, hast du
diejenige in deinem Schoß empfangen,
die den umfangen konnte, der niemals
erfaßt werden kann.
|
Von den Rednern
nennen wir an erster Stelle den Bischof Petrus
von Argos (Griechenland), der in Konstantinopel
geboren und dort schon in der Jugend mit Liebe
zur hl. Anna erfüllt war. Von ihm stammt
die älteste Lobrede auf die hl. Anna, welche
wir besitzen. Gestorben ist der Bischof,
den die griechische Kirche unter die Heiligen
zählt, vor dem Jahr 920. Sie feiert sein Fest
am 3. Mai. Da die Lobrede sehr umfangreich ist,
wollen wir wenigstens einige Teile zitieren:
Im Begriff, das Lob der großen hl. Anna zu verkündigen,
fürchte ich, es möchte mich der Vorwurf treffen,
daß ich mich vermessen an das Unerreichbare
wage und ein Ziel verfolge, das über meine Kräfte
hinausgeht... Doch es trifft mich, wofern ich
mein Möglichstes getan, kein Tadel in den Augen
desjenigen, der nicht die Beschaffenheit der
Gabe in Anschlag bringt, sondern den guten Willen
des Gebers.
Das macht mir bei diesem Gegenstand Mut und
spornt mich an, die hl. Anna, deren Namen Gnade
bedeutet, mit meinem Lob zu verherrlichen, das
ist jene, die durch ihre Tochter die ganze Welt
mit jeder Gnade erfüllt hat, jene, die sich
unter dem Gesetz als die gerechteste und
im Reich der Gnade als die heiligste erwies;
jene, welche wegen ihres untadeligen Wandels
das Ende des Gesetzes erlebte und den freudevollen
Anfang des Reiches der Gnade, den so viele Propheten
umsonst zu sehen gewünscht, nicht bloß sah,
sondern auch dazu mitwirkte.
Anna, gleichsam der Beginn und das letzte Anzeichen
der nahenden Erlösung, sah den Mond abnehmen
und jene Sonne, die an Größe und Glanz jede
andere überstrahlt, aus ihrem eigenen Lichtherd
hervorgehen oder vielmehr aus dem Schoß ihrer
Tochter, gleichwie „aus einem Ausgang aus der
Höhe" (Luk. 1,78). Aus ihrer Tochter entsprang
wie aus einer unversieglichen und übersprudelnden
Quelle der Strom, der die vom Pesthauch der
Sünde ausgedorrte Erde mit seinen Wassern wieder
neu belebte.
Anna schaute in sich nicht nur ein Bild, sondern
die Wahrheit selbst, unmittelbar sah sie das
Urbild. Mittels ihrer Tochter schenkte sie
uns den Schöpfer und Herrn des Weltalls.
Durch sie begann sich der ewige Ratschluß Gottes
in bezug auf uns zu erfüllen. Durch sie wurden
uns Güter zuteil, welche über jeden Begriff
und Ausdruck erhaben sind. Sie ist das Paradies
Gottes, das uns mit den herrlichsten Früchten
jeglicher Art erfreute. Sie ist der gutgründige
und getreidespendende Acker, die fruchtbare
und allernährende Erde. Sie ist der reichgesegnete
Ölbaum, der die Frucht der Barmherzigkeit hervorgebracht
und durch die Tochter in reichster Fülle über
die ganze Menschheit ausgegossen hat. Sie ist
der von Gott gepflanzte Weinstock, der uns die
Traube geschenkt, die alle mit Freude erfüllt
und die Trauer der Sünde getilgt hat.
Anna ist die
echte Tochter Abrahams, überstrahlt ihn aber
an Ruhm...
Anna ist die edelste Tochter des Stammes Juda,
die Quelle seines Ruhmes und der Schrecken seiner
Feinde... Anna ist die schönste Zierde des hocherlauchten
David, dessen Ruhm groß und herrlich ist unter
den Propheten und Königen, sie ist die Erfüllung
der Weissagungen, die er von dem Herrn in den
Psalmen verkündet. So stieg Anna, von Abraham,
Juda und David ihr Geschlecht ableitend, zum
höchsten Gipfel der Tugend empor, nicht sowohl
von jenen zu solcher Höhe des Ruhmes erhoben
als vielmehr sich selbst zu derselben erhebend,
durch den Besitz nämlich aller jener mannigfachen
Grundtugenden, denen die besonderen selbstredend
zur Seite gehen.
So hat Anna,
in allem die Vollkommenheit zur Richtschnur
nehmend, alle diejenigen, Männer wie Frauen,
die auf dem gleichen Weg zu wandeln bestrebt
waren, in dem Grad übertroffen, wie die Frucht
ihres Schoßes jede andere Leibesfrucht an Glanz
überstrahlt. Hierfür legen die außerordentlichen
und jede Fassungskraft übersteigenden Tatsachen,
die in der Folge sich an ihr verwirklichten,
ein beredtes Zeugnis ab.
Denn welche andere Mutter unter allen jenen,
die von Anbeginn der Welt ihr Leben heilig beschlossen,
ist die Mutter der Mutter Gottes und die unmittelbare
Stammutter des Herrn geworden? Welche andere
wurde je gewürdigt, bei einem so hohen Geheimnisse
als Werkzeug zu dienen? Allein obgleich ein
Muster der Tugend, schon bevor sie zu hoher
Würde erhoben wurde, blieb sie dennoch bis in
ihr hohes Alter kinderlos, und es schmerzte
sie gar sehr, des Kindersegens sich beraubt
zu sehen. Es war nämlich jenem Volk verheißen,
daß diejenigen, die eine Nachkommenschaft zurückließen,
gesegnet würden, wohl aus dem Grund, damit das
auserwählte Volk Gottes sich soviel als möglich
vermehrte und, der erhaltenen Verheißung gemäß,
sich soweit ausdehnte als die Sterne des Himmels
und der Sand des Meeres.
Anna aber, zur Kinderlosigkeit verurteilt und
bereits in ein hohes Alter getreten, sucht nicht
Trost wie Sara in Ismael, noch denkt sie daran,
nachdem der Himmel ihr eine Tochter geschenkt,
dieselbe durch die gesetzliche Ehe zu binden
- die Vermehrung des von Gott geliebten Volkes
war nämlich ein Erfordernis jener Zeit -, sondern
sie brachte sie schon als Kind dem Herrn dar,
der sie ihr gegeben, und es flößte ihr auch
das zarte Alter desselben weder Bedenken noch
Besorgnis ein. Darum wurde Anna zur Mutter der
Mutter Gottes auserkoren, und darum ist sie
auch über alle Mütter erhaben, einzig
nur ihre Tochter ausgenommen.
So ist denn Anna über alle Väter und Mütter
erhaben, mögen sie ihres großen Ruhmes wegen
als Propheten und Patriarchen noch so sehr bewundert
werden: einzig nur ihre Tochter steht über
ihr, so wie auch diese über alles Geschaffene
hoch erhaben ist, ausgenommen nur ihren Sohn,
den sie vom Heiligen Geist empfangen hat.
Solcher Auszeichnungen wird Anna von Christus,
ihrem Enkel, dem Fleisch nach gewürdigt; ein
solcher Ehrenpreis wurde ihr im Hinblick auf
ihren makellosen und sozusagen überirdischen
Wandel zuteil. Das ist gleichsam der ihr zuerkannte
Siegespreis für die vielen Kämpfe, welche sie
für die Tugend überhaupt und für die Keuschheit
insbesondere überstanden; das ist die Glorie
der unerschütterlichen Hoffnung, welche sie
auf Gott gesetzt; das ist die volle Wirklichkeit
dessen, was ihr lauterer Glaube gehofft.
Und wer nun ist die Anführerin des Festes? Es
ist Anna, „die Gnade", von der uns die Herrin
und Gebieterin des Weltalls geschenkt worden
ist. Es ist Anna, die diejenigen, die der erste
Sündenfall aus dem ursprünglichen Sitz des Paradieses
vertrieben, durch die Frucht ihres Schoßes dorthin
wieder zurückgeführt. Es ist Anna, die die zur
Trauer Verurteilten mit unaussprechlicher Freude
und Wonne erfüllt. Es ist Anna, die durch ihre
Tochter über diejenigen, die der Finsternis
der Sünde überantwortet waren, die große Sonne
ausgestrahlt hat. Es ist Anna, die den durch
Armut an Tugend ins Elend Gestürzten die aus
der Tugend entspringende Fülle unentreißbarer
und unversieglicher Glückseligkeit mitgeteilt
und sie wieder zur ursprünglichen Heimat zurückgeführt
hat. Es ist Anna, die das ganze Menschengeschlecht,
das durch die Stammmutter Eva gefallen, durch
ihre Tochter wieder aufgerichtet. Es ist
endlich Anna, die den Schatten, da nunmehr sein
Ende gekommen, für immer verscheucht und uns
das Licht der neuen Gnade geschenkt hat.
Das ist der Willkomm, den uns die Großmutter
des Herrn bereitet; das sind die Güter, die
sie uns als ihren Gästen mitteilt. Sie führt
auch ihre Tochter, die Gebieterin des Weltalls,
herbei, die, weil von Liebe zur Mutter, vereint
mit ihr uns Beistand und Hilfe leistet. Mit
der Tochter führt Anna zugleich auch deren göttlichen
Sohn herbei, ihren Enkel nach seiner irdischen
Abstammung. Oder werden sie sich etwa heute
nicht vereinen und miteinander sich freuen,
die Mutter mit der Tochter und der Enkel mit
der Großmutter? Ist es doch er selbst, der uns
in diesen Geboten, die er aufgestellt, nach
dem Schöpfer, dem Vater aller Väter, auch die
Eltern zu ehren befohlen hat. Und wer dürfte
zweifeln, daß auch die ganze himmlische Heerschar
herbeieilen wird, um ihrem und unser aller Gott
und Schöpfer gleichsam als Gefolge und Ehrengeleit
zu dienen? Denjenigen aber, die sich hier versammelt,
werden Ehrengeschenke ausgeteilt, damit die
Festfeier um so freudenvoller und glänzender
werde und damit die Teilnehmer an derselben
eine um so größere Wonne und Seligkeit genießen.
Darum wollen wir allesamt, die wir uns nach
der Fülle geistlicher Gnadengeschenke sehnen,
mit freudigem Herzen zu ihrem Fest hineilen
und die vielleicht etwas Säumigen durch Worte
der Belehrung und Ermunterung anspornen. Hat
uns doch Anna nicht etwa eine Gnadenwonne bereitet,
die wie ein Nebel zerrinnt, der Verderbnis anheimfällt
und jenen, die sie kosten, wenig oder gar nichts
des Guten bringt, sondern eine Wonne, die festen
Bestand hat und der Verderbnis unzulänglich
ist, eine Wonne, sage ich, die jene, denen sie
zuteil wird, mit der Hoffnung auf noch Höheres
erfreut und zum Gipfel der wahren Glückseligkeit
emporführt; eine Wonne endlich, welche diejenigen,
die derselben würdig erfunden werden, instandsetzt,
das ewige Freudenfest im Himmel mit geläutertem
Herzen zu feiern.
Ähnliche Lobreden, die zumeist am Fest Mariä
Empfängnis oder Geburt gehalten wurden und darum
gewöhnlich auch den hl. Joachim einbegreifen,
ließen sich zahlreich aus dem Orient zusammenstellen,
z. B. von Johannes von Euböa (um 750), von Tarasius,
Patriarch von Konstantinopel (+ 806), dem bekannten
Photius (+891).
Wir begnügen uns damit, hier einige Stellen
aus den Schriften des hl. Kirchenlehrers
Johannes von Damaskus folgen zu lassen,
dessen Lobsprüche auf die hl. Anna teilweise
in das Römische Brevier aufgenommen waren.
„O glückliches und wahrhaft fleckenloses Ehepaar
Joachim und Anna! Aus eurer Frucht werdet ihr
erkannt. Da ihr einen reinen und heiligen Wandel
geführt, habt ihr die Perle der Jungfrauschaft
hervorgebracht, jene nämlich, die vor der Geburt,
bei der Geburt und nach der Geburt Jungfrau
war, jene, sage ich, die allein ihrem Geist,
ihrer Seele und ihrem Leib nach allzeit Jungfrau
war und blieb. O reinstes, geistiges Taubenpaar,
Joachim und Anna! Weil ihr dem Gesetze der Natur,
das ist der Keuschheit, treu nachgelebt, wurdet
ihr der Dinge gewürdigt, die über die Grenzen
der Natur hinausgehen; denn ihr habt diejenige
hervorgebracht, die, von keinem Mann erkannt,
die Mutter Gottes geworden. O schönstes und
süßestes Töchterlein! Glücklich die Arme,
die dich getragen, und glücklich die Lippen,
die deine heiligen Küsse empfangen, ein Glück
indes, das nur deinen Eltern zuteil geworden
ist, damit du in allem jungfräulich bleibest.
Heute hat das Heil der Welt seinen Anfang genommen.
Es jauchze dem Herrn die ganze Erde auf! Singt,
frohlockt und laßt ertönen die Saiten der Zither!
Erhebt eure Stimme, erhebt sie! Bannt die Furcht
aus dem Herzen, weil uns beim heiligen Schafteich
die Mutter Gottes geboren worden, von der das
Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der
Welt, geboren werden sollte."
Schließlich führen wir noch ein altes Kirchenlied
an, das man im Orient zu Ehren der Mutter Anna
sang und das in deutscher Übersetzung lautet:
|
Weil
du, Anna, treu des Herrn Gesetz erfüllt,
Und weil makellos dein ganzes Leben
war,
Hat dein Schoß der Welt die reine Frucht
enthüllt,
Die den Geber des Gesetzes uns gebar.
Deshalb wir mit frommen Liedesweisen
Dich von allen Frauen glücklich preisen. |
Inhaltsverzeichnis
3. Kap.
Die hl. Anna in der
frühchristlichen und orientalischen Kunst
Bei der hohen
Verehrung, die St. Anna schon früh im Orient
genoß, konnte es nicht ausbleiben, daß auch
die bildende Kunst, die treue Begleiterin der
Religion, sich in ihren Dienst stellte. Und
nicht nur der Orient, auch der Okzident hat
uns aus frühchristlicher Zeit wenigstens ein
kostbares monumentales Zeugnis der Annaverehrung
hinterlassen.
Das älteste Bild der hl. Anna befindet sich
zu Rom in der Kirche S. Maria Maggiore
unter den zur Zeit Sixtus III. (432-440)
angefertigten Mosaiken. Diese ikonographisch
sehr wertvollen Malereien bringen u.a. das Jugendleben
Jesu zur Anschauung, an fünfter Stelle die Huldigung
der Magier. Das göttliche Kind sitzt feierlich
auf einem sofaähnlichen, reich geschmückten
Thron, hat die Rechte etwas erhoben und blickt
nach links hinüber, wo ein (jetzt teilweise
verschwundener) Magier steht, mit dem es sich
anscheinend unterhält. Rechts stehen die beiden
anderen Magier in ihrer phrygischen Tracht und
mit den Gaben. Hinter dem Thron sieht man vier
Engel und zwischen ihnen einen großen Stern.
Unmittelbar neben dem Thron sitzen zwei weibliche
Personen, zur Rechten des Kindes auf dem Ehrenplatz
seine Mutter (teilweise zerstört) in großer,
goldener Gewandung und mit dem Lorum geschmückt,
während die gegenüber sitzende Person als ehrwürdige
Matrone in der kostbaren Purpurpalla erscheint.
Als Oberkleid trägt sie das orientalische Maphorion
von roter Farbe, wie auch im Menologium Basilius
II. Auf dem Schoß hält sie eine Schriftrolle,
mit der Rechten stützt sie nachdenklich das
Haupt, das gleichfalls von der Palla bedeckt
ist. Während man früher geneigt war, diese seltsame
Figur als Personifikation der Kirche anzusehen,
gilt sie heute als die Mutter Mariä und Großmutter
Christi. Daher auch der ehrenvolle Platz und
die kostbare Kleidung. Auf die Darstellung haben
offenbar die Apokryphen ihren Einfluß ausgeübt.
So dürfte die Erzählung von ihren Gesängen die
Buchrolle veranlaßt haben. Auch lassen sie durchblicken,
daß Anna bei der Geburt des Erlösers noch lebte;
daraus zieht der Künstler den Schluß, daß sie
bei ihrer Tochter manchmal auf Besuch weilte,
bei dieser Gelegenheit traf sie dann mit den
Magiern zusammen. Der Künstler hat ihre hohe
Stellung und ihr visionäres Schauen vorzüglich
wiedergegeben; letzteres deuten die Apokryphen
mit den Worten an, sie habe erkannt, „die Freude
und das Entzücken Israels geboren zu haben".
Diese musivische Darstellung Annas bildet eine
prachtvolle Einleitung zu den unzähligen Bildern,
welche die Liebe und Verehrung des christlichen
Volkes ihr in den späteren Jahrhunderten weihen
sollte.
Die Altarsäule
im Markusdom zu Venedig
Ungefähr aus
gleicher Zeit hat uns der Orient, wo die Annaverehrung
ihre erste Blüteperiode erlebte, eine Darstellung
Annas oder vielmehr ihres ganzen Lebens hinterlassen.
Es befindet sich heute an der linken hinteren
Altarsäule im Markusdom zu Venedig, deren
Entstehung um 450 bis 500 angenommen wird. Die
Säulen sind aus orientalischem Alabaster hergestellt
und wurden wahrscheinlich von den Venezianern
zur Zeit der Kreuzzüge aus dem Orient mitgebracht;
sie tragen den Baldachin des Hauptaltars und
sind mit Szenen aus dem Leben Mariä und Jesus
geschmückt, die auf neun gleich breiten, horizontalen
Streifen angebracht sind. Jeder Streifen trägt
neun Nischen, in denen je eine Figur steht.
Später, womöglich wurden sie im 12. Jh. mit
lateinischen Inschriften versehen, die aber
den Inhalt nicht immer genau wiedergeben. Da
es sich hier um die ältesten Darstellungen aus
dem Leben Annas handelt, solten wir sie wegen
ihrer Bedeutung etwas näher ins Auge fassen.
Wir führen zuerst die Inschriften an und lassen
dann eine kurze Beschreibung folgen.
1.
Isachar pontifex despexit Joachim et munera
eius sprevit. - Der Hohepriester verachtet Joachim
und weist seine Gaben zurück.
Der Hohepriester mit Spitzbart, in der Rechten
ein Rauchfaß, in der Linken eine Pyxis, begleitet
von einem Leviten in Tunika und antiker Mantelstellung,
weigert sich, von Joachim, dem zwei Diener mit
je einem Lamm folgen, Gaben entgegenzunehmen,
was ein anderer Jude mit Staunen beobachtet.
- Joachim sitzt mit einem Buch auf einem Stuhl;
ihm wendet sich Anna mit einer Buchrolle zu,
während sie die Rechte erhoben hat. Hier wie
stets auch auf den folgenden Darstellungen ist
sie mit einem langen Gewand und einem Mantel
bekleidet, der über Kopf und Schulter fällt.
Zu diesen sechs Figuren kommen noch zwei Jünglinge,
von denen einer auf den Hohenpriester zeigt,
und ein bärtiger Mann vor halbgeöffneter Tür.
Die Deutung dieser zweiten Szene könnte einige
Schwierigkeiten machen. Sie stellt offenbar
die Unterredung der beiden Gatten nach Zurückweisung
des Opfers dar. Sie prüfen die heiligen Schriften
über die Nachkommenschaft heiliger Israeliten.
Das Protoevangelium
berichtet zwar nichts über eine Besprechung
der beiden Gatten, es sagt vielmehr, Joachim
sei von Jerusalem in die Wüste gegangen; dagegen
kennt eine spätere abendländische rhythmische
Darstellung des Lebens Mariä diese Zusammen-kunft,
und auch im Orient war diese legendarische Einzelheit
nicht unbekannt. Als Miniatur begegnet sie uns
später tatsächlich in den Homilien des Jakobus
Monakus. Aus dieser ersten Figurenreihe sehen
wir also bereits, daß der Künstler sich nicht
sklavisch an das Protoevangelium gehalten hat.
2.
Adhortatur angelus Joachim et Annam praedicens
eis filiam nascituram. - Der Engel ermuntert
Joachim und Anna und sagt ihnen die Geburt einer
Tochter voraus.
Der Inhalt der Darstellung geht über die Inschrift
hinaus, die nur von der Ankündigung des Engels
an Joachim und Anna spricht, während tatsächlich
auch die vom Protoevangelium erwähnte Unterredung
zwischen Anna und ihrer Dienerin Judith vorgeführt
wird. Der Engel, hier, wie immer an den Säulen,
mit großen Flügeln und in ein langes Gewand
gehüllt und in einen Mantel, der über die linke
Schulter geworfen und unter dem rechten Arm
hervorgezogen ist, erscheint zweimal. Zuerst,
wie er der stehenden Anna, dann wie er dem sitzenden,
bärtigen Joachim die Nachricht von der Geburt
einer Tochter überbringt. In der Judith-Szene
sitzt Anna auf einem Stuhl mit Fußgestell und
hält die Hände nach rechts ausgestreckt, wo
die Dienerin ohne Mantel und mit dem Fächer
steht. Auch der von dem Protoevangelium erwähnte
Baum mit zwei sich schnäbelnden Tauben fehlt
nicht. Es sind noch zwei sitzende Frauen dargestellt;
eine von ihnen dürfte uns die betende Anna vorführen,
so daß also in dieser zweiten Figurenreihe drei
Ereignisse erzählt werden.
3.
Item fatur angelus ad Joachim et ad Annam de
fecunditate ferenda. - Auch spricht der Engel
zu Joachim und Anna von der Empfängnis.
Nicht ein, sondern zwei Engel sprechen mit Anna,
die auf einem Stuhl sitzt und die Rechte mit
auswärts gewandter Handfläche vor der Brust
hält. Außerdem erscheint sie nochmals in Orantenstellung.
Joachim, auf den gleichfalls ein Engel einredet,
ist von drei Hirten begleitet, von denen einer
ein Schaf neben sich gelegt hat.
4.
Joachim et Anna. Munera offeruntur in templo.
Mater Dei nascitur. - Joachim und Anna. Sie
opfern Gaben im Tempel. Die Gottesmutter wird
geboren.
Joachim umarmt Anna, womit die später so beliebte
Begegnung an der Goldenen Pforte dargestellt
wird. Auch die spätere byzantinische Kunst kennt
die schlichte Darstellung wie an den Altarsäulen,
selbst in den Fresken der Athosklöster kommt
sie noch vor. Die sich anschließende Geburt
des Kindes hält sich in den einfachsten Formen.
Die auf dem Bett sitzende Anna stützt den Kopf
auf die linke Hand und wendet sich nach rechts,
wo Maria von einer Dienerin in eine vasenartige
Badewanne getaucht wird, während eine zweite
Dienerin das Badetuch hält. Es fehlen hier also,
schon aus Raumgründen, die später zur Bedienung
der Wöchnerin hinzugesellten Dienerinnen. -
Der von einem Leviten begleitete Hohepriester
nimmt das Opfer Joachims entgegen, das als Lamm
von einem Hirten überreicht wird. Zur Ausfüllung
einer Nische hat der Bildhauer eine Palme nebst
Stier und Widder benutzt.
5. Offertur
sacrificium deo pro beata prole recepta. - Für
das neugeborene Kind wird Gott ein Opfer dargebracht.
In der ersten Nische sehen wir, wie ein Jüngling
einem Kalb den Hals abschneidet, das in der
zweiten Nische mit gefesselten Beinen auf einem
Tisch liegt und in der dritten von dem Jüngling
mit einem Strick gehalten wird. In der achten
Nische reicht Anna dem Kind die Brust. Auch
in den anderen Nischen sind weibliche Personen
aufgestellt, unter denen in der vierten Nische
Anna mit ausgestreckten Händen nochmals auftritt.
Hiermit bricht die Erzählung ab.
An ein eigentliches Opfer ist hier natürlich
nicht zu denken. Es handelt sich vielmehr um
das ausführlich vom Protoevangelium erzählte
Mahl, zu dem Joachim die Priester und Ältesten
aus Israel einlädt. Diese Szene konnte der Bildhauer
ebensowenig übergehen, wie sie später von den
Malern in ihren zyklischen Darstellungen übergangen
worden ist. Der Künstler hat sie mit der dreimaligen
Vorführung des Mastkalbes so ausführlich begonnen,
daß für die Hauptsache kein Raum mehr blieb.
Anna führt, wie das Protoevangelium weiter erzählt,
nach dem Mahl das Kind in die Kammer, nährt
es und hält einen Lobgesang, wie der Bildhauer
mit kleiner Umstellung erzählt.
6.
Mater salutis nostrae ducitur cum muneribus
in templum. - Die Mutter unseres
Heiles wird mit Gaben zum Tempel geführt.
In der ersten Nische hält Anna das Kind vor
sich, womit wohl die Liebkosungen angedeutet
sind, die später in der Malerei einen besonderen
Platz einnehmen. In den folgenden Nischen erscheint
das Kind noch dreimal; zuerst wie es aus dem
Haus herausschreitet, sodann wie es von einer
Dienerin getragen und von einer zweiten an der
Hand gehalten wird; und endlich wie Joachim,
begleitet von der zwei Tauben als Opfer tragenden
Anna, es dem Hohenpriester überreicht; neben
letzterem steht ein Levit. Auffällig ist besonders,
daß Maria in der vierten Nische aus dem basilikaartigen
Haus zu Fuß herauskommt, während sie sonst auf
den Händen getragen wird. Auch auf den späteren
Fresken geht sie aus dem Haus heraus und schreitet
dann selbständig zum Hohenpriester hin. Wie
es scheint, ist sie beim Herauskommen von den
Eltern begleitet, wie es auch auf den Fresken
häufig der Fall ist.
7.
Munera cum lampadibus offeruntur deo pro virgine
nata. - Es werden Gott Gaben mit Fackeln für
die Jungfrau dargebracht.
Nicht
so sehr Gaben werden, wie die Inschrift sagt,
Gott für die Jungfrau geopfert, die Jungfrau
macht vielmehr ihren Tempelgang, den die orientalische,
weit mehr noch die abendländische Kunst später
häufig zu einem glänzenden Aufzug gemacht hat;
denn diese Figurenreihe steht im unmittelbaren
Zusammenhang mit der folgenden achten Reihe.
8.
Isachar virginem recipit in templo, quae illo
iuvante per se gradus ascendit. - Isachar nimmt
die Jungfrau in den Tempel auf, den sie mit
seiner Hilfe allein auf den Stufen ersteigt.
In der siebenten Reihe bilden Anna und Joachim
den Schluß des Zuges, der sich aus Jungfrauen
mit Fackeln und einem Mann zusammensetzt; die
beiden Gatten tragen eine Gabe in der Hand.
In der achten Reihe erscheinen sie wieder und
bilden jetzt den Anfang. Joachim überreicht
dem Hohenpriester das Kind, das er vor sich
hält; zu ihnen gesellen sich noch drei Jungfrauen
mit Fackeln. Den Schluß der ganzen Erzählung
bildet die Darstellung, wie Maria hinter dem
Altar von dem Engel wunderbarerweise ihre tägliche
Nahrung erhält.
Hiermit schließt das Leben Annas und das Jugendleben
Marias, deren Vermählung mit Joseph in der neunten
und letzten Reihe dieser Säule dargestellt wird.
Ohne auf Einzelheiten weiter einzugehen, heben
wir nur nochmals hervor, daß der Künstler sich
nicht genau an das Protoevangelium gehalten
hat. Zweifellos waren im Orient damals noch
andere Versionen im Umlauf, die der Künstler
benutzte, falls er nicht aus eigener Phantasie
manches hinzufügte. Einer genauen Erklärung
jeder einzelnen Figur steht die manchmal nur
schwer erkennbare Zusammengehörigkeit entgegen,
da sie ja alle in Nischen untergebracht und
von einander getrennt sind. Allein es kommt
uns hier nicht so sehr auf Einzelheiten als
vielmehr auf den ganzen Zyklus an. Und da treten
uns bereits fast alle Szenen im Leben Annas
entgegen, die auch später von den Künstlern
in ihren zyklischen Darstellungen verwertet
wurden.
Von größter Bedeutung ist die Frage nach dem
Ursprung der Säulen. Wie wir bereits
oben bemerkten, ist es heute fast allgemein
angenommene Überzeugung der Forscher, daß es
sich um ein Werk orientalischer Kunst handelt.
Viele Einzelheiten weisen mit größter Wahrscheinlichkeit
auf den syrisch-palästinensischen Raum hin,
also auf jene Gegend, wo wir auch den Ursprung
des Protoevangeliums zu vermuten. So schließt
sich der Kreis, um uns in der Säule der Markuskirche
ein höchst wertvolles Monument der Annaverehrung
im Orient erblicken zu lassen. Und es ist gewiß
von Bedeutung, daß von dort, wo zuerst die Annaverehrung
entstand, auch die erste künstlerische Darstellung
ihres Lebens stammt.
Von einer Elfenbeintafel abgesehen sind das
Mosaik in Maria Maggiore und diese Säule in
Venedig die einzigen Monumente, die uns das
christliche Altertum von der hl. Anna hinterlassen
hat. Erst zu Beginn des Mittelalters treten
uns wieder und abermals fast zu gleicher Zeit
zwei wertvolle monumentale Denkmäler ihrer Verehrung
entgegen, das eine im Morgenland, das andere
im Abendland.
Im Orient hat es uns die Koimesiskirche zu
Nicäa aufbewahrt, deren Mosaiken wohl noch
um 800 zur Zeit der Kaiserin Irene entstanden
sind. Es ist ein Brustbild, das zugleich mit
den Bildern der hl. Joachim und Johannes des
Täufers und des Erlösers in dem Narthex der
Kirche angebracht ist. Leider hat das Mosaik
stark gelitten, doch lassen sich die weiße Haube,
das hellblaue Maphorion und das rote Kleid mit
den goldenen Lichtern noch gut erkennen. Zwei
Darstellungen aus dem 11. und 12. Jh. bieten
dazu Parallelen. In dem von Kaiser Konstantin
IX. (+1054) zu Ehren der Gottesmutter gegründeten
Katholikon des großen Klosters Nea Moni auf
der Insel Chios finden sich Anna und Joachim
zu den Seiten der Portallünette über der Königstür
in den Zwickeln des Innennarthex, aus der Zeit
um 1100.
In der 1199 ausgemalten Salvatorkirche zu
Neredizy bei Nowgorod haben Anna und Joachim
sogar am Zwickelgewölbe der Hauptkuppel einen
Platz erhalten, was wohl mit Rücksicht auf die
den Raum beherrschende Gottesmutter in der Apsis
geschehen ist; ferner als Pendant zur Aufopferung
Christi der Tempelgang Mariä, die auf ebenem
Boden, begleitet von ihren Eltern und zwei Gespielinnen,
dem Hohenpriester entgegengeht.
Diesen Wandmosaiken reihen wir hier ein fast
gleichzeitiges, tragbares Wachsmosaik im
Athoskloster Watopädi an, wohin es vielleicht
als Geschenk aus Byzanz gelangte. Es ist eine
stehende Anna, die ihr Kind auf dem Arme trägt
und es liebevoll anschaut, während sie die Rechte
wie fürbittend erhoben hat. Das Gesicht zeigt
ein breites Oval, die Nase leichte Krümmung.
Man könnte die große, stattliche Figur für eine
Madonna (Hodegetria) halten, wenn nicht das
Kind auf ihrem Arm deutlich als weibliches Wesen
zu erkennen wäre. Außerdem steht oben rechts
deutlich ihr Name.
Das Bild der Koimesiskirche ist der Vorläufer
der großen Zyklen aus dem Leben Annas, die um
die Mitte oder gegen Ende des 11. Jahrhunderts
auftreten und bis zum 14. und 15. Jh. eine stets
wachsende Entfaltung finden. An der Spitze steht,
zeitlich und auch der Ausführung nach, der
Zyklus in der Klosterkirche zu Daphni,
die, drei Stunden von Athen gelegen, im 11.
Jh. erbaut und mit einem Mosaikzyklus geschmückt
wurde, der die üblichen Anschauungen über die
Starrheit und Unveränderlichkeit der byzantinischen
Kunst Lügen straft. Diese Mosaiken stammen aus
der ersten Komnenenzeit (11.Jh.); es geht durch
sie ein Zug ins Monumentale, ja Klassische,
wie wir ihn auch in den zeitgenössischen literarischen
Werken des Psellus und der Anna Komnena beobachten.
Die Kirche ist der Gottesmutter geweiht. Das
war Anlaß, sie u. a. mit Darstellungen aus ihrem
Jugendleben auszuschmücken, wobei man unwillkürlich
zu einer künstlerischen Verherrlichung der hl.
Anna gelangte.
Betritt man durch das Haupttor die Vorhalle
(Narthex) der Kirche, so sieht man rechts ein
prächtiges Bild aus dem Protoevangelium: in
der Mitte ein sprudelnder Brunnen, neben dem
rechts Joachim sitzt, wie er gerade den Besuch
des Engels empfängt, der hochaufgerichtet vor
ihm steht und ihm die freudige Meldung von der
Erfüllung seiner Bitte macht. Links von dem
Brunnen steht Anna mit zum Gebet erhobenen Händen.
Ihr Flehen war nicht umsonst. Ein Engel verkündet
es ihr. Erstaunt schaut die verführerische Magd
dem Vorgang zu.
Ein zweites Bild zeigt uns die Erfüllung der
Botschaft des Engels. Anna sitzt aufrecht auf
einem kostbaren Bett, bekleidet mit Mantel und
Schleier. Zwei Dienerinnen bringen ihr auf Schüsseln
Speise und Trank. Zum Zeichen ihrer Würde hat
der Künstler noch eine dritte Dienerin hinter
das Bett gestellt, die mit einem großen Fächer
die lästigen Fliegen verscheucht. Vor dem Bett
sind zwei Frauen damit beschäftigt, das neugeborene
Kind zu baden, eine Szene, die uns bei Geburtsdarstellungen
immer wieder begegnet. Während die ältere Frau
fühlt, ob das Wasser die richtige Wärme besitzt,
gießt die zweite aus einem Krug noch etwas Wasser
hinzu - das Ganze ein wahrhaft köstliches und
klassisches Bild. Als drittes wichtiges Ereignis
im Leben der hl. Joachim und Anna ist die Segnung
des Kindes durch die Priester dargestellt. Joachim
trägt das Kind aufrecht in den Händen und hält
es den Priestern entgegen. Anna steht hinter
ihm und schaut dem Vorgang zu; mehr ist von
der Szene leider nicht auf uns gekommen. Gut
erhalten ist dagegen die vierte Szene, der Tempelgang
des Kindes. Es wird von Anna und Joachim, die
hinter ihm stehen, dem Hohenpriester vorgeführt,
der es liebevoll empfängt. Sieben Mädchen mit
brennenden Kerzen begleiten es. Im Tempel (hinter
dem Hohenpriester) erhält es Speise aus der
Hand des Engels. - Man sieht, wie treu der Künstler
der Erzählung des Protoevangeliums gefolgt ist.
Ohne hier die zyklischen Darstellungen an den
Kirchenwänden weiter zu verfolgen, müssen wir
unsere Aufmerksamkeit jetzt den Miniaturen
zuwenden, da sie einen der vollständigsten
Zyklus des Lebens der hl. Anna bieten, die je
geschaffen worden sind. Er befindet sich in
den Homilien des Mönches Jakobus von Kokkinobaphus,
der um 1100 in Konstantinopel lebte; seine Homilien
behandeln besonders das Leben der Gottesmutter
und sind in einer Handschrift zu Rom und in
einer zweiten in Paris erhalten, die reich mit
Miniaturen ausgestattet wurden. Die Miniaturen
dieser beiden Handschriften sind zwar von verschiedener
Größe, aber von derselben Hand. In Kleinigkeiten
weichen sie voneinander ab, stimmen aber nach
Stil und Inhalt so vollkommen überein, daß man
denselben Künstler annehmen muß.
Nicht weniger als sechzehn Miniaturen beziehen
sich auf Joachim und Anna.
1. Joachim und Anna opfern ihre Gabe, werden
aber von dem Hohenpriester abgewiesen. Der hinter
Anna stehende Rubens bemerkt nämlich eifersüchtig,
daß Joachim wegen der Sterilität Annas das Opfer
nicht darbringen dürfe. Unten befinden sich
Propheten und Gerechte, die die schmähliche
Zurückweisung der beiden Gatten mit Staunen
beobachten.
2. Anna betet im Garten und wird von der Dienerin
auf das Vogelnest hingewiesen, unten links;
rechts empfängt sie vom Engel die Verheißung,
sie steht neben einem Springbrunnen und streckt
dem Engel dankbar die Hände entgegen. Oben verläßt
Anna schnell ihre Wohnung, zwei Dienerinnen
heben, den Vorhang empor, und beglückt eilt
sie in die Arme ihres Mannes. Ihre Köpfe berühren
sich, während die Körper weit voneinander getrennt
sind.
3. Wochenstube Annas; sie liegt, halb aufgerichtet,
mit bloßen Füßen auf einem großen weißen Bett.
Vertreter der zwölf Stämme Israels sind herbeigeeilt,
um ihr zu dem frohen Ereignis Glück zu wünschen,
sie umgeben das Bett von drei Seiten. Ihre lebhaft
bewegten Hände, teils ausgestreckt, teils mit
dem griechischen Segensgestus, bekunden ihre
große Anteilnahme. Auffällig ist bei einigen
der lange, weiße Spitzbart. Oben links sind
zwei Dienerinnen mit dem ersten Bad des Kindes
beschäftigt. In einem seltsamen Mißverhältnis
stehen Bett und Gebäude.
4. Die Freude der Eltern über die Geburt des
Kindes, das links in einem goldenen Bettlein
liegt, bedient von zwei Dienerinnen; eine trägt
das Flabellum (Fächer), die andere Speise. Freudig
bewegt sitzen Anna und Joachim neben dem Bett
und unterhalten sich über das ihnen zuteil gewordene
Glück. Mehrere Frauen nehmen an ihrer Freude
Anteil.
5. Der Freudengesang Annas, die mit dem bekleideten
Kind auf einem Sessel sitzt. Ihr gegenüber König
David mit dem griechischen Rotulus: Haec porta
Domini, nisi iusti intrabunt - Hier ist die
Pforte des Herrn, nur Gerechte treten hier ein.
(Ps. 117,20). Anna streckt dem Psalmisten die
Hand entgegen. Mehrere Frauen dienen auch hier
zur Ausfüllung des Raumes.
6. Die Eltern besuchen das schlafende Mädchen
und weihen es Gott. Die Dienerinnen und Frauen
rechts unterhalten sich über das Geschehnis.
7. Anna lädt unten das Kind ein, aus dem Bettlein
in ihre Arme zu kommen, während Joachim rechts
den Dienerinnen Anweisung erteilt. Oben überreicht
Anna das Kind dem ersten zu Tisch geladenen
Priester, was die anderen mit Staunen betrachten
und besprechen.
8. Auf der entgegengesetzten Seite, also nachdem
es durch die Hände der fünf Priester gegangen
ist, nimmt Anna das Kind wieder in Empfang,
herzt es und legt es wieder in das Bettlein,
um dann mit erhobenen Händen den Lobgesang anzustimmen.
Wir sehen also auf dieser einen Miniatur eine
ganze Anzahl von kleinen Familienszenen.
9. Männer und Frauen kommen aus den Häusern,
um die Prozession zu sehen, die oben gleich
ihren Anfang nehmen wird. Ein Mann steigt auf
der Treppe nach oben. In der Hand hält er ein
Bündel Kerzen, die er rechts an die Jungfrauen
verteilt. Links sitzen Anna und Joachim auf
Sesseln, letzterer ermahnt das Kind, wobei er
auf die Begleiterinnen hinweist.
10. Die Prozession zum Tempel. Voran schreiten
die Kerzen tragenden Jungfrauen. In der Mitte
folgt, durch einen angemessenen Raum von ihnen
wie auch von den Eltern getrennt, die kindliche
Maria. Hinter ihr schreitet zuerst die Mutter,
dann der von Freunden und Bekannten begleitete
Vater. Die Gerechten der Vorhölle, Erwachsene
und Kinder, beobachten den Vorgang, freuen sich
und drücken ihr Staunen aus.
11. Die Wiederholung der Prozession, vermehrt
durch die aus den Wolken ragende Hand Gottes.
Die Gerechten des Limbus sind hier nur Männer
und teilweise charakterisiert (zwei Könige).
Ihre Freude nimmt bestimmtere Form an, denn
sie sind über die Bedeutung der Prozession durch
vier Engel unterrichtet.
12. Nochmals die Prozession, aber die hl. Jungfrau
ist umgeben von 60 Bewaffneten, denen die Eltern
voll Staunen sich anschließen, gefolgt von einer
großen Volksschar. Maria erscheint hier nicht
mehr als Kind, sondern als gereifte Jungfrau;
sie schaut empor zu der aus den Wolken ragenden
Hand Gottes.
13. Ankunft beim Tempel, an dessen Eingang der
Hohepriester erscheint, um das Kind in Empfang
zu nehmen. Es scheint sich aber zu sträuben
und wird von Anna und auch von Joachim auf den
Hohenpriester hingewiesen. Die Begleiterinnen
hat der Künstler wegen Mangels an Raum unten
dargestellt, ebenso wie eine Anzahl ehrwürdige
Männer.
14. Das Kind Maria hat die Scheu überwunden,
ist dem Hohenpriester entgegengeeilt und wird
von ihm aufs herzlichste empfangen, was die
Eltern und ihre Begleiterinnen voll Staunen
betrachten.
15. Maria wird von dem Hohenpriester Zacharias
auf die dritte Stufe des Tempels gestellt, und
es steigt selbständig empor. Mit Dank gegen
Gott beobachtet Anna, die immer dem Vater vorangeht,
den Vorgang. Unten zündet ein Levit die Lampe
an, ein Bild der unbefleckten Reinheit. Zacharias
hebt den Vorhang hinweg und beobachtet, wie
das Kind von einem Engel wunderbar gespeist
wird.
16. Zacharias inzensiert den Altar, der von
einem Baldachin überragt ist. Die Jungfrau geht
im Tempel ihrem Dienst nach. Sie weist daher
die Eltern zurück, als sie zu einem Besuch zum
Tempel kommen.
Aus dieser Aufzählung
sieht man, wie ungemein reich das Leben der
hl. Anna hier illustriert ist. Eine Illustration,
die sich, wie die Homilien, auf das Protoevangelium
stützt. Eine so reiche künstlerische Verherrlichung
Annas findet sich später nur noch auf den mittelalterlichen
Flügelaltären. Wichtiger ist, daß die Maler
des Kodex sich wahrscheinlich auf ältere Vorbilder
stützen. Leicht erklärlich bei dem Ansehen,
welches das Protoevangelium seit langem in der
orientalischen Kirche genoß. Und wahrscheinlich
sind es Vorlagen oder wenigstens Anregungen,
die aus der syrisch-palästinensischen Kunst
stammen.
Daß solche Vorlagen
aus altchristlicher Zeit vorhanden waren, beweist
das Elfenbeinrelief der Sammlung Potkin in
St. Petersburg, falls es aus dem 5. oder
6. Jh. stammt, wie von Kennern des Originals
behauptet wird. Es bildete wahrscheinlich den
Buchdeckel eines Evangeliars, das sich ehedem
in S. Michele auf Murano bei Venedig befand.
Es zeigt Anna neben einem Baum mit drei Tauben,
vor ihr steht der geflügelte Engel. Ein zweites
Relief zeigt die Ankündigung der Geburt und
die Begegnung an der Goldenen Pforte.
(Das Elfenbeinrelief ist 17 x 7 cm groß. Nach
Strzygowski Byzant. Zeitschr. 8, 1899, ist es
zu Theben in Ägypten entstanden.)
Wir fügen hier gleich ein zweites kleines Relief
hinzu, das sich früher in der Sammlung Barberini
befand und 1902 in das Kaiser-FriedrichMuseum
zu Berlin gelangte. Es sind zwei Ikonentafeln
aus Lithographiestein, die das Leben Christi
und Mariä mit den zugehörigen Zyklen schildern,
aus dem 12. Jh. Auf der einen Tafel finden wir
die Gottesmutter (Hodegetria), umgeben von zehn
Szenen; die drei oberen Reliefs zeigen die Begegnung
an der Goldenen Pforte, die Geburt Marias und
ihren Tempelgang. Bei der Geburtsszene ist nur
eine Dienerin, bei dem Tempelgang sind nur
vier Gespielinnen anwesend. Die fünfte Szene,
die man sich nicht recht zu erklären wußte,
dürfte die zweite Einführung Marias in den Tempel
darstellen, die zwar das Protoevangelium nicht
kennt, von einigen griechischen Vätern aber
in ihr siebentes Jahr versetzt wird...
Auch Miniaturen aus der Zeit vor den Homilien
des Jakobus Monacus haben sich erhalten, die
wohl auf ältere Quellen zurückgehen. Wir finden
sie in dem berühmten Menologium des Kaisers
Basileios II. (976-1025), das durch Papst
Paul V. in die Vatikanische Bibliothek gelangte
(Nr. 1613). Diese Handschrift bzw. die Miniaturen
sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil
alle Miniaturen durch
die Maler signiert sind. Für uns kommen aus
der reich illustrierten Handschrift nur vier
Miniaturen in Betracht. Die Unterhaltung der
beiden Gatten, die vor dem Tempel mit Kuppel
stattfindet, vielleicht nach Zurückweisung des
Opfers. Es ist eine seltene Darstellung, die
uns sonst nicht begegnet. Ferner ihre Begegnung
an der Goldenen Pforte. Dieses Zusammentreffen
nach langer Trennung vollzieht sich sehr stürmisch.
Noch glaubt man in der Haltung Annas und Joachims
die Eile herauszufühlen, mit der sie den Weg
zurückgelegt haben. Rechts scheint der Garten
angedeutet zu sein, in dem Anna um Erhörung
ihrer Wünsche gefleht hat; links weisen Berg
und Bäume auf die Einsamkeit hin, in der Joachim
geweilt hat.
Viel einfacher als in den Homilien des Jakobus
führt uns der Maler des Menologiums die Szene
der Geburt vor. Anna liegt aufrecht auf einem
weißen Bett, das an ein Gebäude stößt, wie es
uns auch auf der vorhergehenden Miniatur begegnet.
Es nahen sich zwei Dienerinnen mit Speise, während
eine dritte mit der Hand das Badewasser prüft,
in das sie die neugeborene Maria tauchen will.
Die Stelle, die meistens eine zweite Dienerin
bei der Badeszene einnimmt, wird hier durch
einen Henkelkrug ausgefüllt. Die vierte Miniatur
ist der Tempelgang Mariä und ihre Speisung durch
Engelshand. Der Hohepriester steht neben dem
Altar, der sich über zwei Stufen erhebt. Etwas
linkisch streckt er die Arme dem Kinde entgegen,
das von seinen Eltern und den Gespielinnen begleitet
ist. Rechts hinter dem Altarziborium empfängt
Maria aus Engelshand die wunderbare Speise.
Wichtiger für die Geschichte der Annaverehrung
als die Miniaturen wertvoller Bücher, die nur
in wenige Hände gelangten, und als die kostspieligen
Mosaiken war ihre Darstellung durch die Freskomalerei.
Zweifellos wurde unsere Heilige schon frühzeitig
den Gläubigen an den Kirchenwänden vor Augen
gestellt. Als älteste derartige Darstellung
ist wohl ein Gemälde in der Paulushöhle des
Stylosklosters am Latmosgebirge im südwestlichen
Kleinasien erhalten, das um die Wende des 11.
Jahrhunderts entstanden ist und den Tempelgang
Marias darstellt. Das wichtigste der 13 mit
Namen überlieferten Klöster war das des hl.
Paulus d. J. (+959), des Gründers von Stylos.
Als Pendant hat es die Verkündigung Mariä. Die
Komposition zeigt, wie die hl. Jungfrau von
ihren Eltern dem Hohenpriester zugeführt wird.
Im Hintergrunde erscheint der Tempel als ein
von außen gesehenes Haus mit der Überschrift
„Das Heilige der Heiligen" und die Freundinnen
in zwei Reihen; sie folgen in der üblichen Zahl,
die auf den Altarraum zuschreitende Jungfrau
und die Eltern. Sowohl diese wie die Gefährtinnen
sind in lebhafter Unterhaltung begriffen, wodurch
belebende Kontrast-bewegungen der Köpfe entstehen.
Während Joachim auf den Ziboriumaltar hinweist,
erhebt Maria unter dem Mantel die Hände empor
zum Hohenpriester, der ihr mit ausgestreckten
Händen entgegenkommt; durch eine Inschrift wird
er als Zacharias bezeichnet. Wie fast immer
bei diesem Gegenstand wird Maria rechts auf
dem Thron nochmals dargestellt, wie sie mit
beiden Händen von dem Engel das Brot entgegennimmt.
In beiden Fällen hat der Künstler die Inschrift
(Gottesmutter) beigefügt. Wenn wir hier in der
Höhle auch keine hohe Kunst vor uns haben, so
verfügt der Maler doch über ein ungewöhnliches
Maß von Ausdruckskraft. Ähnliche Darstellungen
des Tempelganges finden sich in der Chorakirche
(Moschee Kahrije-Djami) in Konstantinopel und
in Nereditsy bei Nowgorod. Doch weisen nicht
alle die gleiche Zahl der Freundinnen auf, bald
sind es mehr, bald weniger.
Einen Schritt weiter führen uns die Mosaiken
in der soeben genannten Chorakirche zu
Konstantinopel, die um 1300 entstanden sind
und deren Stifter der letzte Klitor Theodor
Metochites unter Kaiser Andronikus II. (+1328)
war, als er sich gegen Ende seines Lebens in
das Kloster zurückzog. Die auf Anna und Joachim
bezüglichen Mosaiken befinden sich in den Zwickeln
der Ostseite und sind nur unvollständig erhalten,
wie die Geburt der Jungfrau im Bogenfeld unter
dem anschließenden Gewölbe; ferner wird der
Priestersegen dargestellt, die Einführung der
Jungfrau in den Tempel und ihr Aufenthalt daselbst.
In diesen Mosaiken tritt uns ein ganz anderes
und neues Leben entgegen, sehr verschieden von
den klassischen Werken in Daphni. Sie wirken
als innerlich empfunden; alle Ruhe und „Starrheit"
ist verschwunden. Die Kunst hat sich verjüngt
und sucht der Wirklichkeit gerecht zu werden.
Die alte Feierlichkeit der Vorgänge hat ihr
Ende gefunden, um so mehr hat das dramatische
Leben gewonnen. Das sehen wir besonders an einem
der besterhaltenen Gemälde: dem Tempelgang.
Mit lebhaftem Schritt nähert sich Maria, gefolgt
von ihren Eltern, dem Hohenpriester. Die Freundinnen
begleiten sie nicht im geschlossenen Zug, sondern
sie kommen einzeln von der Gegenseite herzu,
eine ikonographische Neuerung, die uns sonst
nicht begegnet.
Wieder hundert bis zweihundert Jahre später
führen uns zu den Fresken in der wichtigen
Ruinenstadt Mistra, der stolzen fränkisch-byzantinischen,
im Herzen von Lakonien gelegenen Festung, deren
zahlreiche Wandgemälde uns in neuerer Zeit durch
treffliche Abbildungen genauer bekannt geworden
sind. In vier Kirchen der Stadt begegnen wir
Darstellungen aus dem Leben der hl. Anna.
In der Peribleptoskirche
(14./15. Jh.) sind es folgende: Zurückweisung
Joachims (mit Lamm) und Annas durch den Hohenpriester,
der innerhalb ovaler Altarschranken steht. Anna
wird von zwei Engeln benachrichtigt. Joachim
kommt, aus dem Tempel verstoßen, mit Anna und
den beiden Lämmern und erscheint vor den Vertretern
der zwölf Stämme, die auf runder Bank sitzen
und durch ziemlich gleichmäßige Handbewegungen
ihr Erstaunen ausdrücken. Rede und Antwort steht
nur Joachim, der deshalb auf dem Fresko noch
ein zweites Mal erscheint. Es folgt die überaus
stürmische Umarmung und Begegnung der beiden
Gatten an der Goldenen Pforte, ihr zweites Opfer
im Tempel, das der Hohepriester ohne Begleitung
entgegennimmt, ferner das Gebet des Hohenpriesters,
die Geburt des Kindes, nach der fünf Dienerinnen
Speise bringen, während links eine es in die
Wiege legt und eine andere rechts es Joachim
übergibt. Anna trägt das Kind, während vier
weibliche Personen tanzen. Ernährung des Kindes.
Leider sind diese seltenen Darstellungen nur
in den Konturen erhalten geblieben. Segnung
des Kindes durch die Priester bei Tisch (nur
teilweise erhalten). Joachim und Anna sitzen
auf einem breiten Stuhl und beraten über das
weitere Schicksal des Kindes, das zwischen ihnen
steht und dem der Vater die Hand auf die Schultern
legt. Einführung in den Tempel. Es ist also
ein reiches Programm, das der Künstler hier
ausgeführt hat.
In der Sophienkirche, die von Manuel
Kantakuzmos um 1350 erbaut wurde, blieben zwei
Fresken erhalten, nämlich die Geburt der Jungfrau,
wie in Peribleptos (mit sechs Dienerinnen) und
ihr Eintritt in den Tempel in Begleitung der
Gespielinnen.
Ebenso in der Pantanassakirche
(gegen 1450). Wir sehen da die großen Einzelfiguren
von Joachim und Anna im flatternden Mantel,
wie sie staunend ihre Hände erheben. In der
Metropolkirche die Verkündigung, die Annahme
der Gaben, die Segnung Mariä durch drei Priester.
Bei der Geburt Mariä sitzt Anna auf dem rechtwinklig
gebrochenen Bett, von rechts kommen drei Frauen,
um ihr Speise zu reichen. Vor dem Bett liegt
das Kind in der Wiege, von einer Dienerin bewacht.
Nirgends aber
treffen wir mehr Darstellungen aus dem Leben
der hl. Anna, als in den Klosterkirchen des
Berges Athos, über die wir jetzt durch
die Publikation Millets eine Vorstellung gewinnen
können. Sie bietet uns allein im ersten Band
fünfundzwanzig Darstellungen Annas, angefangen
von ihrem Gebet bis zum Tempelgang Marias.
Bei diesen
Annadarstellungen des hl. Berges ist ein Doppeltes
zu beachten: ihre Raumverteilung in der Kirche
und ihre Auswahl. Wie fast alle Darstellungen
seit dem 10. und 11. Jh. eine bestimmte Stelle
in den Athoskirchen erhalten, so auch die hl.
Anna; sie erscheint meistens an der Westwand
des Mittelschiffes. Diese Wand war der Gottesmutter
vorbehalten, und da die Annadarstellungen fast
nur im Jugendleben Marias auftreten, erhielten
sie, wie die Gottesgebärerin, einen hervorragenden
Platz in der Kirche. Die Auswahl der Szenen
aber wurde nicht mehr durch das Protoevangelium
bestimmt, sondern durch die Traditionen, wie
sie in dem 1839 von Durand aufgefundenen und
seitdem berühmt gewordenen
„Malerbuch vom Berg Athos" zusammengefaßt
sind. Siehe G. Schäfer, Das Handbuch der Malerei
vom Berge Athos, Trier 1855, 276f.
In der heutigen Fassung stammt es aus dem Anfang
des 18. Jahrhunderts, aber die Zusammenstellung
geschah auf Grundlage von jahrhundertelangen
Überlieferungen. Für die Ikonographie der hl.
Anna haben diese Überlieferungen bzw. das
„Malerbuch" eine große Bedeutung. Die Vorschriften
des Buches haben folgenden Wortlaut:
1. Die Empfängnis
der Gottesmutter. Ein Haus und ein Garten mit
verschiedenen Bäumen, und darin betet die hl.
Anna. Ein Engel über ihr segnet sie. Außerhalb
des Gartens befindet sich ein Berg, auf dem
Joachim betet; ihn segnet ebenfalls ein Engel.
2. Die Geburt der Gottesgebärerin. Ein Haus,
in dem die hl. Anna auf dem Bett und auf Decken
liegt; sie stützt sich auf ein Kopfkissen, und
zwei Mädchen halten sie von hinten. Vor ihr
befindet sich ein anderes Mädchen, das ihr mit
einem Fächer Kühlung zufächelt. Und wieder ein
anderes Mädchen kommt von der Tür her mit Speisen.
Andere, die vor ihr sitzen, waschen das Kind
in einer Wanne. Eine andere setzt das Bettchen
in Bewegung, in dem das Kind liegt.
3. Die Gottesgebärerin wird von den Priestern
gesegnet. Ein Haus und ein Tisch mit Speisen.
Vor dem Tisch steht Joachim und hält die Heiligste
als Kind in seinen Armen; die hl. Anna befindet
sich hinter ihm. An dem Tisch sitzen drei Priester,
schauen auf die Heiligste und segnen sie.
4. Der Tempelgang der Gottesmutter. Der Tempel
und vor seinem Haupttore mächtige Treppenstufen.
Der Prophet Zacharias steht im hohenpriesterlichen
Gewand am Tor und streckt seine Hände nach vorne
aus. Die Heiligste, drei Jahre alt, geht vor
ihm die Stufe hinauf, die eine Hand hat sie
gegen ihn ausgestreckt, in der anderen hält
sie eine Kerze. Hinter ihr stehen Joachim und
Anna, schauen einander an und zeigen auf sie.
Neben ihnen ist eine Schar Jungfrauen, die Kerzen
tragen. Oben in dem Tempel befindet sich eine
prächtige Kuppel, in deren Mitte Maria sitzt
und das Brot entgegennimmt, das ihr der Erzengel
Gabriel bringt und sie segnet.
Waren so die
Gegenstände und selbst viele Einzelheiten im
wesentlichen auch festgelegt, so blieb dem ausführenden
Künstler doch noch genug Freiheit, um von seinem
Können Rechenschaft abzulegen. Und so herrscht
selbst in der absterbenden byzantinisch-griechischen
Kunst durchaus nicht jene stereotype
„Starrheit", die man ihr allgemein zuschreibt.
Ein Blick auf die Annadarstellung der Athosklöster
wird uns davon überzeugen.
Im Katholikon
von Chilandari kommen Joachim und Anna von
rechts, diese mit einer Flasche, jener mit einem
Lamm. Der Hohepriester Zacharias, dessen Name
man auf seinem Mantel liest, steht hinter den
Schranken des von einer Kuppel überdeckten Altares;
von der Kuppel schlingt sich ein Tuch zu dem
Tempelgebäude im Hintergrund. In Dionysiu
treten sie dagegen von links an den Hohenpriester
heran, wodurch sich eine nicht unwesentlich
verschiedene Komposition ergibt.
Noch größer
sind die Variationen bei dem „Gebet Annas".
Am meisten stimmt wohl die Darstellung in Chilandari
auf dem Athos mit den Angaben des „Malerbuches"
überein. Anna, im Mantel, betet neben einem
Haus, über das sie hervorragt, in einem Garten
mit einem Baum und einem Brunnen, der fast niemals
fehlt. Rechts oben neben ihrem Haupt erscheint
der segnende Verkündigungsengel. Im Vordergrund
erhebt sich der Berg, an dessen Fuß Joachim,
sein Geschick betrauernd, Platz genommen hat,
während ihm ein Knecht zuredet und der Engel
die frohe Botschaft bringt.
Wesentlich weicht davon die Darstellung in
Moliwoklissa ab. Hier sind die beiden Ehegatten
durch den Berg völlig voneinander geschieden:
Anna, eine schlanke, schmale Figur, steht neben
dem Brunnen, während der Engel mit einem Zepter
links erscheint. Deutlich ist das vom Protoevangelium
erwähnte Vogelnest sichtbar. Überhaupt ist diese
Seite des Freskos mit sichtbarer Liebe ausgeführt.
Im Hintergrund sieht man sogar einen pflügenden
Bauer. Jenseits des Berges, den man von oben
sieht, sitzt Joachim vor einem großen Strauch
und lauscht den Worten, die der Engel zu ihm
spricht. Auch hier ist die Landschaft durch
Menschen und Tiere belebt.
Der große Unterschied zwischen dieser und der
Darstellung in Chilandari braucht nicht erst
besonders hervorgehoben werden. Ein ähnlicher
Unterschied obwaltet in Dionysiu, wo Anna ganz
allein in einer Baumlandschaft erscheint, und
in Vatopädi, wo sie links an der äußersten Bildfläche
mit erhobenen Händen die Botschaft des Engels
entgegennimmt, während die Magd Judith vor dem
Haus steht. Joachim erscheint hier auf demselben
Bild sogar zweimal: stehend und gleichfalls
mit erhobenen Händen des Engels Botschaft empfangend,
und dann sitzend, wie zwei Knechte auf ihn einreden.
Auch im Refektorium von Lawra sind es zwei Knechte.
Über das Mosaik von Daphni war man also inhaltlich
stark hinausgekommen, hatte allerdings die klassische
Würde des griechischen Künstlers bei weitem
nicht erreicht. Auch in den Einzelheiten sieht
man stete Abwechslung und Verschiedenheit. Wie
ganz anders ist z. B. der dreistufig sich aufbauende
Brunnen der Chorakirche und jener in Chilandari
oder Vatopädi.
Die Begegnung
an der Goldenen Pforte, die weder im
Protoevangelium ausdrücklich erwähnt noch
auch im „Malerbuch" aufgeführt wird, die uns
aber schon an der Tabernakelsäule in Venedig
begegnet ist, wird in den zyklischen Darstellungen
vielfach übergangen oder nur als Nebenszene
behandelt. So reiht sich in Chilandari unmittelbar
an die Botschaft des Engels die Segnung der
kleinen Maria durch die Priester; oberhalb der
diese Szene abschließenden Architekturen sieht
man aber Joachim und Anna, wie sie sich zärtlich
umschlungen halten. In dem umfangreichen Zyklus
von Dionysiu fehlt sie ganz. Einen um so breiteren
Raum hat man ihr in der
Peribleptoskirche
zu Mistra zugestanden.
Mit stürmischer Zärtlichkeit haben sich, wie
bereits erwähnt, die beiden Gatten umfangen,
aber so, daß nur ihre Köpfe sich nähern und
die Leiber fast eine Rundung bilden. Durch das
Stufenmotiv wird hier und in anderen gleichzeitigen
Fresken Mistras eine dem italienischen Trecento
parallel gehende illusionistische Wiedergabe
der Geschehnisse angestrebt, die sonst der byzantinischen
Kunst fremd ist. Verstärkt wird dieses Streben
durch die kleinen Gestalten im Hintergrund.
In der ebengenannten
Peribleptoskirche begegnen wir einer weiteren
Szene, die im Protoevangelium, nicht aber im
„Malerbuch" erwähnt wird und sich unmittelbar
an die Heimkehr Joachims anschließt, weshalb
sie der Maler sofort auf die Begegnung an der
Goldenen Pforte folgen läßt. Es ist das zweite
Opfer Joachims und Annas, das wir schon an der
Säule in Venedig beobachten, und das Gebet des
Hohenpriesters. Nach der Erscheinung des Engels
fordert Joachim seine Knechte auf, ihm zehn
„tadellose und fleckenlose Lämmer" „für den
Herrn" zu bringen. Diesen Bericht hat der Maler
von Mistra offenbar vor Augen, wenn er ihn,
begleitet von Anna, mit einer großen Gabe vor
den Priester hintreten läßt.
Das Protoevangelium fährt dann fort: Joachim
opferte seine Gaben und gab acht auf das Stirnband
des Priesters, als er zum Altar trat, und er
sah kein Fehl daran. Auf unserem Fresko verrichtet
der Hohepriester sein Gebet im Innern des Tempels,
was sich bei der bekannten byzantinischen Aufsicht
fast ausnimmt, als ob es sich um ein oben angebrachtes
Spiegelbild handele.
Eine der beliebtesten
Darstellungen aus dem Leben Annas war in den
Zyklen die Einführung ihrer Tochter in den Tempel.
War ja im Protoevangelium diesem Vorgang ein
breiter Raum gewidmet, wie denn auch das Malerbuch
dem Künstler ausführliche Anweisungen erteilt.
Mit vollendeter Eleganz wird dieser Vorgang
in der Sophienkirche in Kiew im 11. Jh.
dargestellt, wo zum ersten Mal das Leben der
Jungfrau in breiter Ausführlichkeit nach dem
„Evangelium" ihrer Geburt dargestellt wird.
Der Hohepriester steht hinter Schranken, um
das Kind zu empfangen, das ebenso wie die Eltern
und die beiden Begleiterinnen auf ebener Erde
steht. Den Vortritt hat hier Anna, die mit der
Rechten die Schulter der Tochter leise berührt,
wie um sie dem Hohenpriester darzubieten. Hinter
dem Hohenpriester sitzt sie auf erhöhten Stufen,
aber noch nicht unter einer Kuppel, und nimmt
das Brot aus der Hand des Engels entgegen...
Neben diesen Darstellungen finden sich andere,
auf denen Maria dreimal erscheint, Anna aber
nur einmal. Sie führen uns nämlich vor, wie
Maria in Begleitung von Joachim und Anna das
elterliche Haus verläßt. Auf demselben Bild
erscheint sie ohne die Eltern nochmals vor dem
Hohenpriester und dann drittens unter der Kuppel
sitzend. So im Katholikon von Dionysiu und ähnlich
in Protaton; sieben Jungfrauen mit Kerzen bilden
die Begleitung Marias, vier andere folgen nach,
hinter Joachim einherschreitend. Während hier
der Zug sich von links nach rechts bewegt, schreitet
er in Chilandari von rechts nach links. Anna
und Joachim bilden den Schluß des Zuges, an
dessen Spitze die kleine Maria schreitet, auch
hier gefolgt von der typischen Siebenzahl der
Jungfrauen, von denen mehrere hinter ihr ein
Tuch ausbreiten. Der Name des Hohenpriesters
steht mit großen Buchstaben auf seinem Mantel.
Natürlich war es die Miniatur-, Mosaik- und
Freskomalerei nicht allein, die das Leben der
hl. Anna vor Augen führte. Für das Haus und
die Ikonostase der Kirchen kam an erster Stelle
und fast ausschließlich die Tafelmalerei in
Frage. Auch ihr wollen wir noch kurz unsere
Aufmerksamkeit schenken, soweit das Material
publiziert und uns zugänglich ist. Manches haben
Wulff und Alpatoff veröffentlicht, anderes ist
in russischen Publikationen versteckt. Eine
dieser tragbaren Ikonen aus Wachsmosaik haben
wir oben schon kennengelernt. Da haben wir zunächst
zwei Wochenstuben, die eine in der Sammlung
Rjabusinskij (Rußland) aus dem 14. Jh., die
andere im Bayerischen Nationalmuseum zu München
aus dem 15. Jh.
Ikonographisch greift erstere auf ältere Typen
zurück; ist sie ja in einer russischen Provinzstadt
entstanden, die am Alten zäher festhielt, als
es z. B. in Byzanz oder selbst in Mistra der
Fall war, wo die Geburtsszene schon mehr zu
einem heiteren Sittenbild geworden ist.
Die schweren Gestalten füllen in aufrechter
Staffelung die Bildfläche. Joachim steht fast
regungslos am Kopfende des Bettes, auf dem Anna
wie gebrochen ruht. Ihr rechter Arm entbehrt
der Stütze, die er eigentlich haben müßte. Ihr
Blick schweift in die Ferne, gilt nicht dem
Kindlein, dem das erste Bad zuteil wird. Die
Dienerinnen sind hier auf vier beschränkt, aller
Augen sind auf den Beschauer gerichtet. Es mangelt
dem Bild die feinere Durchbildung. Der Verzicht
auf die Zickzacklinien des Gewandes und dessen
Wiedergabe in farbigen Flächen bekunden die
Abwendung von dem älteren linearen Stil und
den Einfluß der Paläologenkunst auf die russische.
Wahrscheinlich handelt es sich um ein Werk,
das einstens rechts von der Königstür in einer
Kirche Nordrußlands aufgestellt war.
Die Ikone in München erinnert uns an
Fresken auf dem Athos, obwohl sie in Rußland
entstanden sein dürfte. Wie auf manchen Fresken
wird die Begegnung an der Goldenen Pforte als
Nebenszene unmittelbar mit der Geburt verbunden.
Ebenso erscheint Joachim auch hier noch ein
zweites Mal, wie er gerade in die Wochenstube
getreten ist und fragend und verwundert beide
Hände ausstreckt. Die beiden Architekturen rechts
und links gestatteten nur, drei Dienerinnen
anzubringen, die neben dem uns bereits bekannten
Speisetische stehen. Die kistenförmige Wiege
mit dem eingehüllten Kind und die spinnende
Wärterin haben wir gleichfalls schon kennengelernt.
Der byzantinisch geschulte Meister hat anscheinend
auch der italienischen Trecentokunst manches
abgeschaut; so besonders die hintereinander
aufgestellten Gegenstände, Wiege, Bett, Tisch,
die den Bildraum vertiefen. Bei den Köpfen und
den Gewändern hält der Maler sich an die reife
Paläologenkunst des 14. Jahrhunderts.
Echt moskowitischen Charakter zeigt eine
Ikone aus dem 16. Jh. im Kaiser- Friedrich-Museum
zu Berlin, die wie der Flügel eines mittelalterlichen
Altares vier Szenen auf sich vereinigt: Begegnung
an der Goldenen Pforte, Geburt, Tempelgang und
Tod Mariä. Was auf den Bildern auffällt, das
ist das erfolgreiche Streben des Malers, freie
Räume zu schaffen und von der Fläche loszukommen.
Die neue Raumgewinnung zeigt gleich die erste
Szene. Wie verschieden ist sie von der gleichen
Darstellung in Mistra! Hatten sich hier die
Gatten kaum mit den Köpfen genähert, so sind
sie auf der Berliner Ikone völlig aneinandergerückt
und halten sich eng umschlungen. Die Geburtsszene
gleicht der Münchener; doch sind die Dienerinnen
auf unserer Ikone auf zwei zurückgegangen, und
Joachim betrachtet Anna von einem Söller aus,
die Wochenstube ist zum Freiraum geworden. Auch
beim Tempelgang ist der Tempel in den Hintergrund
gerückt, der Hohepriester tritt aus engen Schranken
heraus, um das von Anna und Joachim und den
Gespielinnen begleitete Kind zu empfangen.
Die alte typische Form der Speisung durch den
Engel ist beibehalten.
Älter und schematischer ist dieselbe Szene auf
einer Ikone in Moskau aus einer Kirche
des Dorfes Kriwoje (Gouv. Archangelsk), 14.
Jh. Die Figuren sind ohne jedes räumliche Empfinden
vor den mit drei Kuppeln versehenen Tempel gestellt.
Die kleine Maria wird durch ihre Stellung vor
einer dunklen Bogentür kräftig hervorgehoben.
Obwohl von halber Größe wie die übrigen Figuren
bildet sie doch den Mittelpunkt; rechts und
links stehen zunächst Joachim und der Hohepriester,
dann Anna und Joseph. Das ist eine ikonographische
Seltenheit, die uns sonst nicht wieder begegnet.
Joseph ist wohl nur der Symmetrie wegen beigefügt
worden. Eine weitere symmetrische Eigenheit
bilden die Jungfrauen rechts und Maria links
hoch oben unter dem glänzenden Baldachin. Dieser
starren Symmetrie entspricht die schematische
Stellung und Haltung der Personen, die alle
ihre Hände wie zum Gebete ausgestreckt haben.
Nur Joachim weist mit einer Hand auf das Kind
hin. Die Ikone ist das schlichte Erzeugnis einer
nordrussischen Provinzschule.
Auf einer Ikone des Therapontes-Klosters
(Rußland) befindet sich Anna auf dem Bette,
umgeben von vier Dienerinnen, von denen eine
sie stützt. Rechts sitzt Joachim mit der Gebärde
des Staunens. Dieses Hauptbild ist von vielen
kleinen umgeben; unten: Opferung, Zurückweisung,
Verkündigung an Joachim und Anna; oben: Joachim
hält das Kind und läßt es segnen, Anna trägt
das Kind auf dem Arm und herzt es, daneben Joachim.
Die Eltern beratschlagen.
Überblicken wir zum Schluß nochmals die vorgeführten
Denkmäler, ihr Alter, ihre Zahl, ihr Material
und die Verschiedenheit der Objekte, so sind
sie ein kräftiges Zeugnis für das frühe Auftreten
und die weite Verbreitung der Annaverehrung
im Orient und auch in der russischen Kirche,
zumal wenn man die geringe Zahl der uns im Orient
überhaupt erhaltenen bildlichen Darstellungen
berücksichtigt.
Inhaltsverzeichnis
4. Kap.
Die
Verehrung der hl. ANNA im Abendland bis zum
Ende der Kreuzzüge
Während die
frühzeitige Verehrung der hl. Anna im Orient
schon seit langem bekannt war, hat man lang
fast allgemein angenommen, das Abendland hat
ihr erst viel später eine besondere Verehrung
gewidmet. Ihre kirchliche Verehrung sei erst
im 14. Jh. ins Leben getreten, als Papst Urban
VI. (+1389) den Engländern auf Bitten des Königs
Richard II. ihr Fest zu feiern gebot. Indes
hat das Abendland nicht dreizehn Jahrhunderte
gewartet, um der Ahnfrau unseres Erlösers eine
Huldigung darzubringen, wie sie seit langem
vielen anderen Heiligen zuteil wurde. Manche
wertvolle Entdeckungen der letzten Jahrzehnte
lassen keinen Zweifel bestehen, daß die hl.
Anna bereits zu Beginn des Mittelalters auch
im Westen verehrt wurde.
Schon in der
zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts besaß und
verehrte man in Rom Reliquien der hl. Anna.
Es hat sich in der Kirche S. Angelo in Pescheria
zu Rom, die 770 gegründet wurde, ein steinernes
Reliquienverzeichnis erhalten, in welchem auch
die hl. Anna und Elisabeth aufgeführt sind,
und zwar unter den dort aufgezählten Reliquien
heiliger Frauen an erster Stellen. Besaß man
damals zu Rom Reliquien der hl. Anna, so wird
ihr eine wenn auch noch so bescheidene Verehrung
nicht gefehlt haben. Laut einer in S. Nicola
in Carcere von Kardinal Mai entdeckten Inschrift
wurde dieser Kirche im 9. Jh. zu Ehren der hl.
Anna eine größere Schenkung gemacht, auch ein
Zeichen einer gewissen Verehrung.
Wenn man die damaligen
kirchlichen Verhältnisse Roms und der Christenheit
ins Auge faßt, können wir mit einiger Sicherheit
auch die näheren Umstände bezeichnen, unter
denen die Annaverehrung in Rom eingeführt wurde.
Von 685 bis 741 saßen auf dem päpstlichen Stuhl
nicht weniger als elf Päpste, die orientalischer Herkunft waren, zum Teil waren
es Syrer. Einer von ihnen, Papst Konstantin,
ein Syrer, folgte im Jahre 709 einer Einladung
des Kaisers Justinian II. nach Konstantinopel,
wo die Annaverehrung durch die Restaurierung
der von Justinian I. erbauten Annakirche und
die Übertragung ihrer Reliquien neue Anregung
empfing. Der Papst verließ Rom am 7. Oktober
709, überwinterte in Otranto und kam 710 nach
Konstantinopel, wo er anderthalb Jahre als Gast
des Kaisers verweilte. Vielleicht nahm er die
Weihe der neu restaurierten Annakirche vor und
wohnte der Einbringung ihrer Reliquien bei;
jedenfalls aber sah er während seines Aufenthalts
am Bosporus die zu neuem Glanz erstandene Kirche
der hl. Anna. Nach Rom zurückgekehrt, führte
er ihre Verehrung auch in Rom ein oder beförderte
ihn, wenn er dort schon bestand.
Wenn wir aus dem Reliquienverzeichnis
und der steinernen Schenkungsurkunde auf eine
Annaverehrung zu Rom im 8. und 9. Jh. schließen,
so hat dieser Schluß eine glänzende Bestätigung
gefunden durch die Entdeckung zwei Darstellungen
der hl. Anna in der ältesten römischen Marienkirche.
Ein anderes, allerdings nicht erhaltenes Monument
ist jene Altardecke, die Leo III. (+816) der
Basilika Santa Maria Maggiore zum Geschenk machte,
und die außer der Verkündigung Mariä die Geschichte
der hl. Joachim und Anna in künstlerischer Darstellung
aufwies.
An diese monumentalen
Zeugnisse reihen sich zwei schriftliche aus
dem 9. und 10. Jh. an. Nach einem Rituale der
Abtei Grotta ferrata bei Rom, die von griechischen
Mönchen bewohnt wurde, betete der Priester
bei Einsegnung einer Ehe: „Segne, Gott, diese
Brautleute, wie du Joachim und Anna gesegnet
hast." Dieser Ehesegen gehört noch dem 9.
Jh. an. In einem Sakramentar aus dem 10. Jh,
das zwar stadtrömischen Ursprunges ist, aber
für griechische Mönche geschrieben wurde, findet
sich die Anrufung der hl. Anna in der Karfreitagslitanei,
und zwar zugleich mit dem Namen der hl. Elisabeth.
Bemerkenswert ist, daß ihre Namen sogar den
römischen Jungfrauenmärtyrinnen vorangehen.
In beiden Fällen haben wir orientalischen Einfluß
anzunehmen. Im 12. Jh. begegnen wir dem Namen
unserer Heiligen sogar in einer Litanei,
die in der Peterskirche verrichtet wurde.
Ebenso wie für Rom läßt sich die Annaverehrung
in Neapel nachweisen, wo man sie schon im 9.
Jh. durch ein Fest feierte. Daß die Verehrung
der hl. Anna damals nicht auf Rom und Neapel
beschränkt blieb, darf von vornherein angenommen
werden.
In Frankreich
begegnet uns der Name der hl. Anna noch früher.
701 gründete der Edelmann Freric zu Floriac
bei Rouen ein Kloster, das der hl. Anna wie
auch den hl. Petrus und Amianus geweiht wurde.
Freric übergab es dem Hausmeister Pipin von
Heristal, „damit er es zu größerem Glanz erhebe
und mit Mönchen bevölkere". Zweifellos werden
diese Mönche die Patronin ihres Klosters nicht
ohne Verehrung gelassen haben, diese Verehrung
vollzog sich gewiß auf liturgische Weise; sie
weihten ihr sehr wahrscheinlich einen Tag im
Jahr, an dem sie zu ihrer Ehre das hl. Meßopfer
darbrachten. Aus demselben Jahrhundert stammt
nach Mabillon eine von ihm aufgefundene
Litanei, die
unter den angerufenen hl. Frauen an erster Stelle
den Namen der hl. Anna enthält.
Um 600 soll Theodolinde,
Königin der Longobarden, zu Asti in Oberitalien
gleichfalls eine Klostergründung zu Ehren Annas
vorgenommen und den Klosterfrauen eine Reliquie
der Heiligen, ihr Gewand, geschenkt haben.
Schon lange vor der
Gründung des Klosters zu Floriac hören wir,
daß Anna als Ruf- oder Taufname gebraucht wurde,
was zweifellos auch als ein Zeichen einer gewissen
Verehrung angesehen werden muß. So berichtet
Venantius Fortunatus im Leben des hl. Germanus
von Paris (+576), eine ältere Frau namens Anna
habe ihm in seiner Bedrängnis eine Menge Brote
gebracht; ein anderes Mal sieht dieselbe Anna
sein Haupt von hellen Strahlen umgeben. Es darf
doch wohl als sicher angenommen werden, daß
diese Frau nicht eine der alttestamentlichen
Frauen namens Anna als ihre himmlische Patronin
verehrte, sondern die Mutter Mariä. Ebenso wird
sie auch nicht die einzige gewesen sein, die
diesen Namen trug.
Wie in Rom so hat man wohl auch in Frankreich
die Anregung zur Annaverehrung aus dem Orient
empfangen. Orientalische, besonders syrische
Christen, waren damals vielfach im Abendland
in Handelsgeschäften tätigt. In Paris erlangte
sogar ein Syrer den Bischofsstuhl, seine Landsleute
übten als Pfarrer die Seelsorge aus. Da konnte
es nicht ausbleiben, daß sie auch den kirchlichen
Gewohnheiten des Orients in dem Bereich ihrer
Amtstätigkeit Eingang verschafften.
Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Seit den
Tagen, da durch Kaiser Konstantin und die hl.
Helena in Palästina mehrere prachtvolle Kirchen
entstanden und das hl. Kreuz Christi alljährlich
zweimal, in der Karwoche und am Auffindungstag,
den Gläubigen gezeigt und zum Kuß dargereicht
wurde, sandte auch das Abendland seine Pilger
zu den hl. Stätten. Selbst Frauen scheuten
nicht die lange und gefahrvolle Reise. Noch
heute lesen wir mit hohem Interesse die Reisebeschreibung,
die eine vornehme Dame Aetheria aus Spanien
an ihre daheim gebliebenen Gefährtinnen
geschickt hat. Mit Staunen und Bewunderung sahen
die abendländischen Pilger die prachtvollen
Kirchen, betrachteten den glänzenden Gottesdienst,
betraten und verehrten die hl. Orte, über denen
sich zumeist schöne Gotteshäuser erhoben. Auf
ihrem Weg kamen sie auch zur Kirche der hl.
Anna. Wie hätten sie, in ihre Heimat zurückgekehrt,
die Großmutter des Heilandes vergessen können,
die Mutter der Gottesgebärerin, deren Geburtsumstände
in dem Büchlein „Von der Abstammung Marias"
im Abendland so gern gelesen wurden. So zeigt
auch diese geschichtliche Erwägung, daß es der
Orient (mit der Hauptstadt Konstantinopel) war,
von wo das Abendland die erste Anregung zur
Verehrung der hl. Anna empfing.
Fragen wir nach der Erwähnung der hl. Anna
bei den Kirchenvätern und bei den Schriftstellern,
so findet sich bei ihnen in vorkarolingischer
Zeit im Abendland nichts. Weder Ambrosius noch
Augustinus nennen sie, obwohl letzterem das
Protoevangelium nicht unbekannt gewesen zu sein
scheint. Bei Hieronymus kann dieses nicht auffallen,
da er sich gegen die Apokryphen ausgesprochen
hat. Aber auch in den Reden Leos des Großen
über die Geburt Christi oder in denjenigen des
Petrus Chrysologus, in den Homilien des Maximus
von Tours oder den Erzählungen Gregors von Tours
findet sich keine Erwähnung des Protoevangeliums
oder der hl. Anna.
Wenn ihr Name von den vorkarolingischen Schriftstellern
des Abendlandes aber nicht erwähnt wird, so
darf man daraus nicht den Schluß ziehen, er
sei ihnen oder dem christlichen Volk unbekannt
gewesen. Die unter dem Namen des hl. Hieronymus
gehende Schrift von der „Geburt Marias und der
Kindheit des Erlösers" stammt aus dem 5. Jh.,
und in einem dem Papst Gelasius (+496) zugeschriebenen
Dekret wird „das Evangelium des hl. Jakobus"
ausdrücklich verboten, wozu kein Grund vorgelegen
hätte, wäre es nicht bekannt und verbreitet
gewesen. Dieses Verbot konnte wohl die Prediger
veranlassen, es in ihren Reden nicht zu erwähnen,
im Volk aber blieb die Erzählung des „Evangeliums"
lebendig. Manche Gläubigen nahmen diese Erzählung
gewiß als Tatsache hin, in gebildeten Kreisen
aber blieb man sich ihres apokryphen Charakters
bewußt.
Aus karolingischer
Zeit erfahren wir dies durch eine Begebenheit
im Leben des Erzbischofs Hinkmar von Reims.
862 schenkte er der von ihm geweihten Marienkirche
„ein Büchlein über die Geburt der heiligen Gottesgebärerin
Maria", jedenfalls das Evangelium von der Geburt
Marias und der Kindheit Jesu. Ein Mönch von
Alt-Corbie, vielleicht Ratamnus, machte den
Einwand, das Büchlein sei wertlos, worauf ihm
Hinkmar erwiderte, man gebrauche es „nur zur
Lektüre, nicht als Beweisquelle".
Eine schärfere
Stellung nahm Petrus Damiani (+1072)
zu Beginn des 11. Jh. dem apokryphen Bericht
gegenüber ein. In einer Homilie auf Mariä Geburt
spricht er von der unberechtigten Neugierde
gewisser Personen, die nach dem Namen der Eltern
Mariä forschten; falls uns die Kenntnis dieser
Namen nützlich wäre, meint er, würden die Evangelisten
sie uns gewiß überliefert haben.
Auch Bischof Fulbert von Chartres (+1028)
hegt in der ersten seiner drei Predigten auf
dasselbe Fest Bedenken, die bekannten Legenden
von Joachim und Anna dem Volk vorzutragen, aber
in einer zweiten Predigt überwindet er diese
Bedenken, und er erzählt den Gläubigen, daß
„nach dem Bericht und den Schriften der hl.
Väter Maria in Nazareth geboren sei; von dort
stammt auch ihr Vater Joachim, ihre Mutter Anna
aber von Bethlehem". In einer dritten Predigt
läßt er deutlich durchblicken, daß die Gläubigen
die Erzählungen von Joachim und Anna gern hörten,
wenn auch die Ansichten über deren Glaubwürdigkeit
geteilt seien.
Auch ein provencalischer Priester oder Bischof
hat uns drei Predigten hinterlassen, die er
am Fest Mariä Geburt gehalten hat, wobei er
von der Legende des Protoevangeliums ausgeht.
In seiner weit verbreiteten Predigtsammlung
erzählt auch Honorius von Autun (+1152),
dessen Werke besonders in Deutschland handschriftlich
erhalten sind, in einer Predigt auf Mariä Geburt
kurz die Legende ihrer Eltern, und Petrus Comestor
(+1179) nennt wenigstens den Namen Annas, alles
Zeichen, daß diese Erzählungen dem Volk geläufig
waren. Wurde Anna aber als Mutter Mariä und
als Großmutter Christi in der Predigt genannt,
so konnte bei dem schlichten und gläubigen Sinne
des mittelalterlichen Volkes ihre Verehrung
nicht ausbleiben.
Strenger verhielt sich
der Legende gegenüber der hl. Bernard von
Clairvaux, dieser begeisterte Lobredner
Mariä, der für ihre Mutter Anna ebensowenig
ein Wort findet wie Hugo und Richard von St.
Viktor, Bruno von Asti (+1123), Guibert von
Nogent (+1124), Anselm von Canterbury (+1109).
Dagegen überwindet
Papst Innozenz III. die Scheu vor den apokryphen
Berichten,
und er kommt den Wünschen seiner Zuhörer
entgegen, wenn er in einer Predigt auf Mariä
Geburt auch den Namen ihrer Eltern nennt.
Festeren Boden gewinnen
wir für den Nachweis einer weiter verbreiteten
Annaverehrung erst im 2. Jahrtausend. 1130 erbaute
Liutolf von Regensburg und seine Gattin Judinta
beim Kloster der Benediktinerinnen Fahr bei
Zürich eine der hl. Anna geweihte Kirche und
wählte unter ihrem Schutz seine letzte Ruhestätte.
Bald darauf, im Jahre
1153, wird zu Hagenau im Elsaß eine St.-Anna-Kirche
erwähnt, die den Augustiner-Eremiten gehörte.
In der Kapelle der Kaiserpfalz zu Hagenau befand
sich im 12. Jh. eine Annareliquie, die
wahrscheinlich ein Hohenstaufer aus dem Orient
mitgebracht hatte. Das große Benediktinerkloster
Weingarten in Württemberg erhielt bei
der Weihe der Martinsbasilika eine Annareliquie,
welche Bischof Bertold von Konstanz am 12. November
1182 nebst anderen Reliquien in den Kreuzaltar
legtet. Die Verehrung der Heiligen hat seitdem
im Kloster nie aufgehört. Es ist auch wahrscheinlich,
daß vor 1176 zu Schönfeld, Diözese Speyer, ein
der hl. Anna geweihtes Kloster bestand.
Auch die Schweiz empfing durch Martin Lintz,
Abt von Paris, eine Reliquie der hl. Anna.
Lintz brachte 1205 zahlreiche in Konstantinopel
erbeutete Reliquien heim, die unter die
bedeutendsten Kirchen der Diözese Basel verteilt
wurden; die Reliquie der hl. Anna gelangte nach
Lützel. Es war allerdings nicht die erste Reliquie
der Heiligen, welche die Schweiz erhielt. Bereits
im 11. Jh. befanden sich in der Heiligengeistkirche
zu St. Gallen unter den Kostbarkeiten aus dem
Hl. Land eine Reliquie der hl. Anna und Teilchen
von ihrem Haus.
In Deutschland sind wir besonders über die frühe
Verbreitung der Annaverehrung in Mainz und Umgegend
unterrichtet. Die Stadt Mainz erhielt 1212
eine Reliquie der hl. Anna, welche der Kreuzzugsprediger
und Domscholaster Theobald aus dem Orient mitgebracht
hatte, wo sie ihm vom Prior von Bethlehem geschenkt
worden war. Im gleichen Jahr zog er mit dem
Kaiser und einer großen Schar in Jerusalem ein
und kehrte reich an Reliquien nach Deutschland
zurück, die ihm außerdem der Abt von St. Johann
im Gebirg und der Deutschordensprior Theodorich
geschenkt hatten. Dies mußte der Verehrung der
hl. Anna in Mainz einen mächtigen Anstoß geben,
wenn sie nicht bereits vorher üblich war. Tatsächlich
hören wir auch 1233 von der Feier eines Annafestes,wo
für der Stiftscholaster Arnold eine Stiftung
machte, indem er den Geistlichen eine Vergütung
zuwies, die an der Feier teilnahmen.
In Norddeutschland soll Paderborn, wie
der französische Benediktiner Martene berichtet,
noch im 18. Jh. eine Statue der hl. Anna
besessen haben, die angeblich Bischof Imand
(+1076) anfertigen ließ. Paderborn dürfte demnach
für sich die Ehre in Anspruch nehmen, unter
allen deutschen Städten zuerst die Annaverehrung
gepflegt zu haben. Erklärlich, wäre es schon.
Hatte doch Bischof Meinwerk (+1036) einige Jahrzehnte
vorher den Benediktinerabt von Abdinghof nach
Jerusalem geschickt, um von dort die Maße der
Grabeskirche zu einem ähnlichen Bau in Paderborn
zu holen. Mit den Maßen der Kirche könnte der
Abt zugleich von Jerusalem die Verehrung der
hl. Anna hinübergebracht haben. Leider ist die
Figur, die aus massivem Gold war, heute nicht
mehr vorhanden.
Gehen wir noch nördlicher, so hören wir 1176
in Braunschweig von einer Prozession, welche
am St.-Anna-Tag stattfand; Abt Wolfram von Kirgburg
bedachte sie mit einer Stiftung für die Pilger.
Bis zum Ausbruch der Reformation blieb Braunschweig
eine treue Verehrerin der hl. Anna und führte
deren Bild sogar in ihrem Wappen. Die Stadt
Bremen erhielt 1199 durch seinen Erzbischof
Hartwich eine Reliquie unserer Heiligen, die
er von einer Reise nach dem Hl. Land mitgebracht
hatte.
Auch Frankreich gelangte damals in den
Besitz einer Annareliquie, und zwar ihres
Hauptes durch den Grafen Ludwig von Blois,
das er 1204 bei der Eroberung Konstantinopels
erworben hatte und seiner Gemahlin in der Heimat
sandte. Klerus und Volk von Chartres
empfingen es mit großer Ehrfurcht, die Kanoniker
stellten ein eigenes Offizium zusammen, und
ihr Fest wurde alljährlich feierlich begangen.
Die Bibliothek von Chartres enthält eine Handschrift
aus dem 13. Jh. mit einer Festrede auf die hl.
Anna. Es wurde für das Haupt ein kostbares Reliquiar
angefertigt, von dem in den Inventaren der Kirche
oft die Rede ist.
Die Verehrung der hl. Anna blieb nicht auf das
Festland beschränkt. Im alten katholischen
England wurde sie ebenso verehrt. Von
Bischof Hugo von Lincoln, erzählt sein Hofkaplan
(1200), daß er nach Maria stets ihre Mutter
Anna verehrt und in jeder Not und Gefahr schnelle
Hilfe von ihr erfahren habe; so verschaffte
sie ihm einmal, wie derselbe Biograph ausführlich
erzählt, eine günstige Fahrt übers Meer. „Alle,
so fügt derselbe Autor hinzu, die das Meer befahren,
pflegen, um die rechte Richtung einzuhalten,
auf Maria als den Meeresstern hinzuschauen,
wenn aber Windstille eintritt, die hl. Anna,
ihre Mutter, anzurufen und durch Opfergaben
ihre Hilfe zu erbitten, um ungehindert weiterfahren
zu können." Anna war also damals Patronin
der Schiffer.
Spanien und Portugal,
die damals in ständigem Kampf mit den
Mauren lagen, blieben in der Verehrung der hl.
Anna nicht zurück. Der kleine Ort Santillana
del Mar (Nordspanien) besitzt sogar die älteste
plastische Darstellung unserer Heiligen, die
wir überhaupt besitzen, eine echt romanische
Anna mit dem Kind Maria. Und zu Coimbra in Portugal
gründete König Sancho I. (1185-1206) ein St-Anna-Kloster.
Der Name Anna kommt in Spanien schon 562 und
dann wieder 989 vor.
Kehren wir
nach Italien zurück. Dieses Land stand
besonders in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
im Zeichen der Kreuzzüge. 1204 eroberten die
Venetianer auf dem sogenannten vierten Kreuzzug
Konstantinopel und brachten von dort ungeheure
Schätze heim. Kaiser Friedrich II. trat 1228
von Süditalien seinen Kreuzzug an, der Jerusalem
mit seiner Umgebung kurze Zeit wieder in den
Besitz der Christen brachte. In Messina entstand
schon 1176 ein Annakloster, welches von Basilianerinnen
bewohnt wurde. Bischof Johannes von Ancona baut
1235 in der Kirche des hl. Cyriacus „der glorreichen
hl. Anna eine Kapelle, damit sie ihm einen Platz
im Himmel bereite".
In Faenza gründeten die Benediktiner
1268 eine Abtei und weihten sie der hl. Anna.
In dieser Stadt wurde 1220 auch die hl. Umilitas
geboren, die eine glühende Verehrerin der
hl. Anna war und uns folgendes Gebet
zu ihr hinterlassen hat:
|
„Dich will ich
verehren, o hl. Anna, weil du jene gekrönte
Königin getragen hast, die über allen
Engeln thront und die Mutter und Braut
Gottes ist und mit ihrer großen Schönheit
den ganzen himmlischen Hof erfreut.
Gebenedeit sei deine Milch, mit welcher
du sie genährt hast. Wahrlich, selig
ist dein Leib, welcher geboren hat jenes
glorreiche Kind, dessen Antlitz reizender
ist als Lilie und Rose. Da du es auf
deinen Schoß genommen und mit deinen
Händen bewahrt hast, so danke ich dir
und lobe dich." |
Die Mehrzahl der Tatsachen,
welche die Verehrung der hl. Anna nördlich der
Alpen bezeugen, stammt aus der Zeit um 1200;
besonders sind es die verschiedenen Reliquien,
die damals aus dem Orient in das Abendland kamen.
Die Ursache für die Ausbreitung der Annaverehrung
waren die Kreuzzüge im 12. und 13. Jh. Das ganze
Abendland geriet in Bewegung. Die christlichen
Völker wollten den Ungläubigen das Hl. Land
entreißen. In Konstantinopel und in Palästina
sahen sie die zu Ehren der hl. Anna erbauten
Kirchen und verehrten dort ihre Reliquien.
Mancher war glücklich,
sogar eine Reliquie zu erwerben, wie wir berichteten
von Abt Lintz, Erzbischof Hartwich, Graf Ludwig,
Domscholaster Theobald. Solch wertvolle Schätze
regten die Verehrung der hl. Anna an! Mancher
den Gefahren glücklich entgangene Kreuzfahrer
wird in der Heimat den Ruhm der Großmutter des
Heilandes laut verkündet haben, deren Kirchen
er besucht hatte. Es ist nicht zuviel gesagt,
wenn wir diese Periode als den Beginn einer
Blütezeit der Annaverehrung im Abendland
bezeichnen, die drei Jahrhunderte später ihren
Höhepunkt erreichen sollte.
Einen Schluß auf die Popularität unserer Legende
gestatten auch deren poetischen Bearbeitungen.
Und da sind besonders vier zu nennen. Die erste
ist das umfangreiche Gedicht, welches Robert
Wace, Kanonikus zu Bayeux, um 1175 über das
Leben Marias verfaßte, indem er von ihren Eltern
Joachim und Anna ausgeht und deren Schicksal
und Prüfungen erzählt. Noch heute zeugen mehrere
Handschriften von der Beliebtheit dieser poetischen
Schilderung, der Klerus und Volk mit gleicher
Freude lauschten.
Schon zwei Jahrhunderte vorher hat Deutschlands
erste Dichterin, die Benediktinerin Hroswitha
von Gandersheim (+1010), die Legende in
gefälligen lateinischen Distichen behandelt.
Als Vorlage diente ihr, wie sie selbst bemerkt,
die Geschichte Marias „unter dem Namen des hl.
Jakobus, des Bruders des Herrn" (in einer späteren
Bearbeitung). Nachdem sie zuerst die Gottesmutter
„die einzige Hoffnung der Welt, des Himmels
erhabene Herrscherin, des Königs heilige Mutter
und des Meeres leuchtenden Stern, um Beistand
angefleht hat, schildert sie, wie ihr „Heros"
Joachim ein ländliches, frommes Leben führt.
Schon lebte er vier Lustren (je 5 Jahre) in
der Ehe mit der bildschönen und tugendreichen
Anna, aber die Ehe
ist kinderlos geblieben, und daher erfährt er
am Festtag vom Hohenpriester Ruben eine schmähliche
Zurückweisung, weshalb er sich zu seinen Herden
ins Gebirge zurückzieht.
|
Als schon
fünf der Monde durchmessen die Laufbahn,
Alsdann bangte der Anna, ihr Mann sei
auf immer verschwunden;
Laut sie klagte und weinte, beraubet
jeglichen Trostes,
Und vom Schmerz gebeugt, begann sie
also zu sprechen:
„Israels Herr, der du liebst das Volk,
das du selbst dir erwähltest,
Du, der alle erquicket mit Trost, die
von Trauer befallen:
Warum hast du den lieben Gemahl der
Gemahlin entrissen
Und vermehrest den Schmerz, der so lange
mein Inneres zernagt,
Weil verschlossen mein Schoß und nimmer
ihm Segen erblüht?
Jetz blutet mein Herz an desto tieferer
Wunde,
Weil ich nimmermehr weiß, was tun, so
lange vermissend
Meinen von Gott geliebten Gemahl, den
Gefährten des Lebens.
O wie fühlt ich mich glücklich, wenn
einer die Kunde mir brächte.
Ob ihn erfaßte der bittere Tod und als
Beute entführte,
Oder ob froh er noch schaut das Licht
der freundlichen Sonne;
Würde nur dieses mir kund, ich wollte
ja nimmermehr klagen.
Groß zwar wäre mein Schmerz, wenn des
Todes finsteres Grauen
Ihn schon umfing; doch ich würde mit
Pracht des Verblichenen Hülle
Hingeleiten zum Grab, wie dem Hocherlauchten
geziemte."
Als sie gesprochen das Wort, den Blick
zum Himmel gerichtet,
Sieh, da gewahrt ihr Auge ein Paar befiederte
Sänger,
Welche mit lautem Geschrei die Brut
umflattern, die lustig
Auf den Zweigen des Lorbeers sich wiegt,
der zur Seite ihr steht.
Tief im Herzen betrübt, begann sie also
zu sprechen:
„König des Himmels, der du mit Kraft
regierest das Weltall,
Der du alles zum Heil und alles zum
Besten uns lenkest:
Dank sei dir immer und Preis für die
unaussprechliche Güte,
Mit der alle belebten Geschöpfe du segnest
und mehrest
Und den Fischen, dem Vieh, dem Schlangengezücht
und den Vögeln
Nimmer versagest die Lust, sich liebender
Frucht zu erfreuen.
Nur mir Armen allein verweigerst du
jeglichen Sprossen:
Doch gerecht und weise, o Herr, regierest
du alles!
Dir, Allvater, gelob ich entschlossenen
Herzens von neuem,
Was ich damals versprach, als ich schloß
den heiligen Ehebund,
Wenn du in Liebe und Huld mit Frucht
den Schoß mir gesegnet,
Dir dieselbe zu weihen zum heiligen
Dienst des Tempels."
Kaum war entflogen das Wort den reinen
Lippen der Anna,
Siehe, da stieg ein Engel herab vom
Gezelte des Himmels
Und erfüllte mit Trost die von Trauer
Daniedergebeugte.
Ihr zu Häupten sich stellend, begann
er mit freundlicher Rede:
„Schlag aus dem Sinn den Gram, und nimmer
gedenke des Kummers!
Wisse, daß dir, wenn erfüllt die Zeit,
durch göttlichen Ratschluß
Eine Tochter erblüht, die dich und den
Erdkreis erfreuet ..." |
Neun Monate
später erblickt Maria das Licht der Welt. Die
ganze Erzählung, welche im weiteren Schicksal
Mariä ihre Fortsetzung findet, ist in so fließenden
Versen abgefaßt, daß sie nicht nur für die Bewohnerinnen
von Gandersheim eine Lieblingslektüre bilden
mußte, auch wir erfreuen uns noch heute an der
Dichtung der gewandten Nonne. Worauf es uns
hier aber hauptsächlich ankommt, ist die Feststellung,
daß im 10. und 11. Jh. Anna als Mutter Mariä
in Predigten und Gedichten gefeiert wurde, was
sicher ihre Verehrung zur Folge und auch zur
Voraussetzung hatte.
Auch im ersten deutschen Marienleben,
das der Priester Wernher 1172 herausgab,
wird die Geschichte Joachims und Annas nach
den Apokryphen, und zwar nach dem Pseudo-Matthäus
erzählt: Es ist eine der lieblichsten Schöpfungen
der geistlichen Poesie, und wir möchten daher
nicht unterlassen, hier einige Auszüge mitzuteilen,
und zwar zunächst, wie der Dichter das Leben
der jungen züchtigen Ehefrau schildert:
Ein Kind er (Joachim)
sich zur Eh' erkor:
Traun! wähn' ich, nicht nach noch vor
Ward jemals keuschre Braut geboren.
Er hatte sich das Gemahl erkoren
Aus Davidis Geschlechte,
Daß er mit ihr vermöchte
Bewahren Seel' und Leib.
Also schöne war das Weib,
Daß alle, die sie je angesehen,
Ehren und Heil ihr mußten zugestehen
Und ihr auch trugen Minne zart
Ob ihrer tugendlichen Art ;
Ihr Lieben kehrten sie zu ihr
Ohne wechselnde Begier. |
Sie hatte reines Leben
Und begann Almosen viel zu geben
Und brachte Opfer viele dem Herrn
Als Kind und auch als Jungfrau gern...
Anna war sie mit Recht genannt,
Anna bedeutet gratia.
Viel große Gnad', die war da,
Weil jene Frucht, die von ihnen kam,
Die Frauen Evas Schuld benahm
Und sie das Mägdlein sollt gebären,
Der Gott selbst niemals kann verwehren
Eine Bitte, die sie an ihn tut:
Ihre Gnaden anflehen ist drum uns gut. |
Nach der Geburt des Kindes, die der Engel ihr
und Joachim ankündigte, verrichtete sie folgendes
Gebet:
Frau Anna sprach da erfreut:
Gott schiebt auf
lange Zeit
Seine Gnade, wenn er will,
Und gibt
ihrer zusammen viel,
Daß sie niemand kann ergründen
Noch fürbaß ausverkünden,
Noch zählen noch auch
messen,
Wer sollt ihm das vergessen!
Die feindlich gegen mich entbrannten, |
Die stehen nun mit Schanden;
Die mich höhnten mit Lästerungen, Stumm sind
jetzt ihre Zungen !
Da unfruchtbar ich bin gewesen
Und danach schier genesen
Der herzelieben Tochter
mein,
Da mußte allen klar wohl sein,
Daß
das war Gottes Zeichen,
Das er mir wollte reichen.. |
Dieser der hl. Anna in den Mund gelegte Lobgesang
des Priesters Wernher, den man lange Zeit mit
Unrecht Wernher von Tegernsee (in Oberbayern)
genannt hat, zeigt zur Genüge, daß man sein
Gedicht mit Recht als die reizvollste Schöpfung
der geistlichen Poesie des 12. Jahrhunderts
bezeichnet hat.
Noch eine poetische Bearbeitung der Legende
sei hier in Übersetzung teilweise mitgeteilt.
Sie stammt aus der Feder des sächsischen
Priesters Gottfried, der, in Bamberg gebildet,
Kaplan Friedrichs I. war und nach Viterbo in
Italien kam, wo er 1191 starb. Im
1186 dem Kaiser Heinrich VI. gewidmeten „Pantheon"',
der Überarbeitung einer in Prosa und Poesie
abgefaßten Weltgeschichte, finden sich folgende
Verse:
|
Als einst Anna im Garten gelagert im Schatten
der Bäume
Junge Sperlinge sah, die munter im
Nest sich wiegten,
Ward sie mit Trauer erfüllt,
brach in den Klageruf aus:
Nur mir Armen allein hat Sprossen verweigert
der Höchste,
Während er lustige Brut geringsten
der Vögel verlieh:
Vater, erbarme dich meiner, blicke vom Himmel
auf mich.
Segne den Schoß und tilge die Schmach, die am
Herzen mir nagt,
Dir, o Schöpfer, nicht mir,
sei Ruhm beschieden und Ehre:
Ich gelobe die Frucht einzig zu weihen nur dir.
Wenn du den Wunsch mir erfüllest, den lange
vergeblich ich hegte,
Weihe ich dir den Sprossen
und deinem heiligen Tempel,
Gebe sofort dir zurück, was ich empfangen von
dir.
Sieh, da erscheint ihr ein Engel, Gabriel, also
beginnend:
Was du, Anna, verlangest
von Gott, wird er huldvoll gewähren,
Glaub dem
untrüglichen Wort: Mutter in Bälde wirst du.
Heilige Frucht wirst
du schenken der Welt und Maria sie heißen.
Aus
jungfräulichem Schoß wird das ewige Wort sie
gebären,
Welches Messias sich nennt, allen ein
rettender Stern. |
In den mittelalterlichen Marienspielen Englands,
die der Gottesmutter Abkunft ausführlich erzählen,
treten natürlich auch Joachim und Anna auf,
wobei bemerkenswert ist, daß in dem Ludus
Conventriae Joachim auch als Priester erscheint
und nicht bloß als Schäfer; dadurch wollte man
offenbar ausdrücken, daß Jesus nicht nur von
königlichem, sondern auch von priesterlichem
Geschlecht abstamme. Die Begegnung an der Goldenen
Pforte hat der unbekannte Verfasser dieses Spieles
mit einer Zartheit geschildert, die an den naiven
Reiz einer alten Miniatur erinnert..
J. Vriend
SJ, The blessed Virgin Mary in the medieval
Drama of England, Purmerend 1928, 35ff.
Inhaltsverzeichnis
5. Kap.
ANNA in
der abendländischen Kunst vom 8. bis zum 14.
Jahrhundert
Fast gleichzeitig mit den schriftlichen beginnen
in der karolingischen Zeit auch die monumentalen
Quellen über die Annaverehrung nach langer Pause
wieder zu fließen. Wie in der frühchristlichen,
so ist es auch in dieser Periode Rom, das uns
die ältesten Darstellungen der hl. Anna aufbewahrt
hat. Jahrhundertelang dem Anblick entzogen,
wurden sie im Jahre 1900 der Öffentlichkeit
wieder zurückgegeben. Sie befinden sich in der
ältesten Marienkirche Roms, in Maria antiqua
auf dem Forum, die von dem alten Schutt
befreit wurde und uns damit eine Anzahl wertvoller
Fresken schenkte. Der größte Teil der Malereien
stammt aus der Zeit des Papstes Johannes VII.
(705), der von griechischen Eltern, dem Palatinvorsteher Plato
und seiner Frau Blatta, abstammte, aber eine
gute römische
Erziehung und Ausbildung erhielt.
Von den Eltern erbte er wohl die Liebe zur hl.
Anna, die er in einer wahrhaft klassischen Schönheit
neben dem Eingang zur „Kapelle der Ärzte" darstellen
ließ. Als stattliche Frau in den reifsten Jahren
steht sie da. Sie trägt ein gelbliches Kleid
und darüber einen roten Mantel, der zugleich
als Kopfbedeckung über die weiße Haube geschlagen
ist. Auf dem rechten Arm hält sie ihre prächtig
gekleidete Tochter, die ein kleines Handkreuz,
das Abzeichen der Märtyrer, in der Hand trägt,
wohl eine Hinweis auf das unsägliche Herzeleid,
das sie erdulden und sie zur „Königin der Märtyrer"
machen sollte. Neben ihrem Kopf stehen die Worte:
Η Ayια
Αννη (heilige
Anna). Leider hat die rechte Seite der Figur
etwas gelitten, wir würden hier sonst eine Darstellung
der Heiligen besitzen, der aus den folgenden
Jahrhunderten nur wenige ebenbürtig an die Seite
gesetzt werden könnten. Ein solches Bild mußte
allein schon genügen, den Frauen Roms Vertrauen
und Liebe zur Mutter Anna einzuflößen und sie
zu ihrer Verehrung anzueifern.
Maria Antiqua, so bedeutungsvoll für die Geschichte
der Annaverehrung, besitzt noch ein zweites
Bild unserer Heiligen, das unter Papst Paul
I. (757-767) entstanden ist. Ikonographisch
darf es großes Interesse beanspruchen, da es
uns drei heilige Mütter mit je einem Kind vorführt.
In der Mitte thront Maria mit Jesus, der von
einem Strahlennimbus umgeben ist. Rechts steht
die hl. Anna mit Maria, als solche gekennzeichnet
durch Sca Anna und links Elisabeth mit dem kleinen
Johannes - Sca Elisabeth. Die Mütter wie auch
die Kinder sind durch den Nimbus (Heiligenschein)
ausgezeichnet. Das Fresko befindet sich am Ende
des rechten Seitenschiffes in einer Nische,
wo der Altar stand. Priester wie Volk hatten
es also während des hl. Opfers ständig vor Augen.
Im linken Seitenschiff haben sich einige Überbleibsel
der Umarmung Joachims und Annas und der Geburt
Marias erhalten. Daß diese ältesten Darstellungen
aus dem Leben Annas in so geringen Überresten
erhalten blieben, ist um so mehr zu bedauern,
da wir hier offenbar den Einfluß der Apokryphen
auf die künstlerische Verherrlichung der hl.
Anna vor uns haben. Auch diese Fresken entstanden
unter Papst Paul I.
Maria Maggiore und Antiqua sind nicht die einzigen
Kirchen Roms, die von dem Einfluß der Apokryphen
auf die Vorstellungen der Gläubigen des 8. Jahrhunderts
Zeugnis ablegen. In S. Saba befinden
sich gleichfalls einige Reste von Fresken aus
der Geschichte von Joachim und Anna. Doch das
heißt nicht, daß nur die genannten Kirchen einen
solchen oder ähnlichen Schmuck erhielten. Berichtet
uns doch das „Papstbuch", Papst Leo III. hat
der Basilika S. Maria Maggiore ein Altartuch
geschenkt, das mit der Geschichte Joachims und
Annas verziert gewesen sei.
Ein etwas besseres Geschick als über die erwähnten
Fresken waltete über die wiederentdeckten Wandgemälde
in der St.-Johannes- Kirche an der Lateinischen
Pforte. In dem rechten Seitenschiff, das
in eine Kapelle der Muttergotteskirche auslief,
war deren Leben und Vorleben gemalt, und zwar
letzteres auf Grund der Apokryphen. Wenn auch
nur in Bruchstücken erhalten, ist die Malerei
für die Geschichte der Annaverehrung
im Mittelalter von hoher Bedeutung.
Es sind Fragmente von vier Szenen erhalten,
und zwar die drei ersten an der Eingangswand:
das Opfer Joachims, die Verkündigung des Engels
an Joachim und Anna und die Geburt Mariä. In
der zweiten Szene steht rechts der Engel [Gabriel]
mit mächtigen Flügeln, von denen der eine erhoben,
der andere gesenkt ist, und verkündet Anna,
daß sie Mutter werden soll. Ihr Blick ist flehentlich
nach oben gerichtet, wo auf dem Baum, der die
beiden Personen trennt, das von den Apokryphen
erwähnte Sperlingsnest sichtbar ist. Von der
prächtigen Gestalt unserer Heiligen blieb leider
nur ein Teil erhalten. Daneben erscheint der
Erzengel nochmals, der Unterkörper ist durch
den emporragenden Berg verdeckt; er macht dem
Joachim die gleiche tröstliche Mitteilung. Erschreckt
ist dieser auf die Knie gefallen und hebt flehentlich
die Hände empor. Sein Name, der rechts oben
neben seinem Kopfe steht, ist vollständig erhalten:
Joachim.
Das letzte der für uns hier in Betracht kommenden
Fresken ist die Geburt Marias. Anna liegt, wie
man aus anderen gleichzeitigen Darstellungen
schließen darf, mit emporgerichtetem Oberkörper
innerhalb eines reichen Hauses auf einem Bett.
In ihrer Nähe befinden sich zwei Dienerinnen,
im Vordergrund war jedenfalls die Waschszene
dargestellt. Außer der Architektur hat sich
von dem Fresko nur der nimbierte Kopf Annas
und einer Dienerin nebst Schulteransatz erhalten.
Die Anfertigung dieser Fresken fällt in die
Zeit von Papst Cölestin III. (1191-98).
Auch dem größten Maler Roms im Mittelalter,
Pietro Cavallini, verdanken wir am Ende
der uns hier beschäftigenden Epoche eine Annaszene,
die des hervorragenden Meisters würdig ist.
1291 begann er im Auftrag des Bertoldo di Pietro,
Bruders des Kardinals Jacopo Gaetano Stefaneschi,
in der Kirche Maria in Trastevere sechs
Szenen aus dem Leben der Gottesmutter Maria.
Anna liegt halb aufgerichtet in einem prächtigen
Zimmer auf einem Paradebett, nicht müde und
abgespannt, sondern in vornehmer, edler Haltung.
Nur zwei Dienerinnen widmen sich ihrem Dienst,
die eine bringt ihr Trank, die andere Speise.
Zu ihren Füßen ist eine dritte Dienerin bereit,
das übliche Bad des Kindes vorzunehmen. Sie
prüft die Temperatur des Wassers, während eine
vierte Dienerin noch Wasser hinzugießt. Es ist
eine der ansprechendsten Geburtsdarstellungen,
die uns das Mittelalter hinterlassen hat...
Als byzantinische Arbeit auf italienischem Boden
ist auch ein Annabild zu Patu bei Kap
Leuca zuerwähnen, das aus dem 11. Jh. stammt.
Wie in den Höhlenklöstern Kleinasiens, so haben
auch in den Lauren Palästinas und in den einsamen
Tälern Süditaliens, das ja bis tief ins Mittelalter
unter byzantinischer Herrschaft stand und noch
bis heute an einigen Orten griechische Sitten
und Gewohnheiten beibehalten hat, die Mönche
ihre Kirchen schlecht und recht mit Darstellungen
aus der Heilsgeschichte verziert. Ein solches,
heute als Stall benutztes und Cento Pietre
genanntes Kirchlein findet sich südlich
von Ruffano bei Patu; ihre Malereien sind
größtenteils verschwunden, nur eine sitzende
Frau im roten Mantel ist erhalten geblieben;
ihre Gesichtsbildung verrät sofort den byzantinischen
Maler, und man könnte sie für die Madonna halten,
wenn nicht das Kind auf ihrem Schoß, das ähnlich wie sie gekleidet
ist, sie als Mutter Anna kennzeichnete, was
auch die
Inschrift bestätigt.
Desgleichen besitzt das Kirchlein San Stefano
zu Soleto in der Terra d'Otranto ein später
leider fast ganz erneuertes und daher zeitlich
schwer bestimmbares Bild der hl. Anna, wie sie
Maria auf den Knien trägt, umgeben von Joachim,
Maria Magdalena, Thekla, Katharina, Simon und
dem Erzengel Michael.
Eine der großartigsten Darstellungen Annas hat
uns die byzantinische Kunst zu Palermo
hinterlassen in der Kirche Martorana bzw.
wie sie eigentlich heißt in Santa Maria dell'
Ammiraglio, dieser wunderbaren Schöpfung des
Georgios Antiochenos, des Großadmirals Rogers
II. von Sizilien (1143). Wie ihr Name schon
sagt, war die Kirche, die nur einen Teil ihrer
einstigen Schönheit zeigt, der Gottesmutter
geweiht; es durften also auch ihre Eltern nicht
fehlen. Im rechten Kreuzarm ragt die hl. Mutter
Anna hervor, die neben Christus und Maria durch
ihre schöne Kleidung ausgezeichnet ist. Es braucht
wohl nicht extra betont werden, wie byzantinisch
diese Darstellung anmutet.
Wenden wir uns nach dem Norden Italiens, wo
in frühchristlicher Zeit Ravenna und
im Mittelalter Venedig ein stets unter
byzantinischem Einfluß gewesen ist, so finden
wir in der Lagunenstadt ein kleines Bild unserer
Heiligen, das allerdings in Konstantinopel entstanden
ist. Es befindet sich auf der berühmten Altartafel
(Pala d'oro), das von dem Dogen Pietro Orfeolo
(976-978) in Konstantinopel bestellt, später
aber mehrfach erneuert bzw. ergänzt worden ist.
Diese mit 1200 kostbaren Steinen und Perlen
und 64 Emailbildchen verzierte Tafel trägt auch
eine hl. Anna in betender Stellung; sie wurde
erst später hinzugefügt, und zwar wahrscheinlich
aus der 1204 in Konstantinopel gemachten Beute.
Bedeutungsvoller sind zwei Tafelgemälde
im Städtischen Museum zu Pisa, das
in jener Zeit einen regen Handelsverkehr mit
dem Orient unterhielt. Das eine Gemälde stellt
die thronende Gottesmutter dar; nach der damals
üblichen Weise ist sie von Ereignissen aus dem
Leben ihrer Eltern und des eigenen umgeben.
Gewissermaßen als Einleitung dient die Verkündigung
an Anna. Auf die Abweisung des Opfers durch
Ruben läßt der Maler die Verteilung der Almosen
an die Armen erfolgen, die Joachim nach dem
Protoevangelium vornimmt, ein Vorgang, der hier
wohl zum ersten Mal künstlerischdargestellt
wird. Da der Maler mit dem Raum nicht auskam,
hat er auf den folgenden Bildern meistens zwei
Ereignisse miteinander verbunden. So gleich
auf dem nächsten. Anna empfängt von dem Engel
die frohe Botschaft, sie ruht auf dem Lager,
wird von der Dienerin getröstet und im Glauben
an die empfangene Verheißung bestärkt. Daneben
Botschaft. Künstlerisch steht das Bild nicht
hoch. Die Raumbildung hat der Maler noch nicht
erfaßt. Anna steht da in drückender Enge; sie
klebt fast am Felsen. Es folgen mehrere Ereignisse
aus dem Leben Joachims, die Verheißung des Engels,
das Opfer, die Erscheinung des Engels während
des Schlafes und die Mitteilung der erhaltenen
Aufforderung an die Diener sowie deren Ermunterung.
Auf dem folgenden Bild sind wieder zwei Ereignisse
zusammengedrängt. Links die Ermahnung des Engels
an Anna, sich nach Jerusalem zu begeben und
gleich daneben die Begegnung an der Goldenen Pforte, die von zwei
Personen mit Erstaunen beobachtet wird; Joachim
steht ruhig da, Anna aber, froh, nach so langer
Zeit ihren Mann wohlbehalten wieder zu finden,
eilt stürmisch auf ihn zu und schließt ihn in
ihre Arme. Ist Form und Lage auch ungeschickt,
so hat der Künstler das stürmische Umfangen
doch glücklich zum Ausdruck gebracht.
In der Geburtsszene folgt der Maler dem üblichen
Schema. Aufgerichtet, mit übereinander gelegten
Beinen sitzt Anna im Bett und wird von Dienerinnen
betreut; zwei andere bereiten, rechts vor dem
Bett, dem Mägdlein das erste Bad; eine prüft
mit der Hand die Temperatur, die zweite gießt
Wasser hinzu.
Die dritte Frau, vielleicht auch die zweite
mit dem Tüchlein in der Hand, wie wir es schon
auf dem berühmten Zeremonienbild der Kaiserin
in Ravenna sehen, scheint mir eine Freundin
Annas zu sein, die ihr Glück wünscht; es wäre
also eine Vorwegnahme jener Wöchnerinnenbesuche,
wie wir sie später besonders in der italienischen,
und zwar besonders in der florentinischen Kunst
kennen lernen.
Das letzte Bild zeigt den Tempelgang
Marias, die von ihrer Mutter dem Hohenpriester
vorgeführt wird. Anna hat selbst die Stufen
zum Tempel bestiegen und legt ihre Hand auf
das Töchterlein, das von dem Hohenpriester in
Empfang genommen
wird. Hinter ihr stehen Joachim und die Begleiterinnen.
Das Gemälde, das um 1250 gemalt wurde, erscheint
zwar als ein Bild der Madonna, ist in Wirklichkeit
aber ein Werk zu Ehren ihrer Eltern, deren Schicksal
nach dem
„Evangelium von der Geburt Marias" erzählt wird.
Ikonographisch ist es von hervorragender Bedeutung,
da es uns das Leben Annas und ihres Mannes in
einer Breite erzählt, wie es uns nur selten
begegnet. Es dürfte als Ancona (Altarbild) gedient
haben und zeigt, daß Anna damals in Pisa verehrt
wurde. Noch deutlicher beweist dies ein zweites
großes Gemälde im selben Museums, das die Mutter
Anna mit der kleinen Maria auf dem Arm darstellt.
Man möchte das Bild auf den ersten Blick für
eine Madonna mit dem Jesuskind halten, aber
das Kind segnet nicht, es betet mit ausgebreiteten
Ärmchen und trägt das gleiche Gewand wie die
Mutter. Daß ein solches Bild nur dort entstehen
konnte, wo die hl. Anna verehrt wurde, liegt
auf der Hand.
Diesen Gemälden sei noch ein echt abendländisches
Relief hinzugefügt. Es befindet sich an der
Fassade der um 1250 erbauten Kirche S. Andrea
in Pistoja, und zwar an einem Kapitell des
Hauptportals. Die beiden Kapitelle tragen als
Schmuck Darstellungen des Zacharias und der
Elisabeth, der Verkündigung und der hl. Anna.
Daß es sich wirklich um die Mutter Marias handelt,
bezeugt die beigefügte Inschrift: S. ANNA. Der
Meister hat seinen Namen neben seine schlichte
Arbeit geschrieben: Magister Enriques me fecit.
Wir erinnern uns, daß der Name der hl. Anna
bereits gegen Ende des 12.Jahrhunderts zu Bologna
in einer Litanei angerufen wurde.
In Frankreich, wo
Bischof Fulbert von Chartres im 9. Jh. den Gläubigen
nur mit einigem Zögern die Legende von der Geburt
Marias vorzutragen wagte, sind uns einige monumentale
Zeugen von dem Fortleben dieser Legende an den Kathedralen von Chartres
und Paris erhalten geblieben. Paris hat
an seiner berühmten Kathedrale Notre-Dame
auch der Mutter Marias ein ehrenvolles Denkmal
gesetzt und eines der großen Portale nach ihr
benannt. Wenn es auch erst aus der Mitte des
13. Jahrhunderts stammt, so bezeugen doch einige
Darstellungen aus früherer Zeit, daß Künstler
und Auftraggeber mit den legendenreichen Erzählungen
bekannt waren. Es handelt sich um das „Portal
der hl. Anna", rechts von dem Hauptportal;
es hat einen doppelten Türsturz, der untere
wurde um 1160 für den älteren Bau des Mauritius
de Sully (+1192) angefertigt, kam aber erst
später bei dem erweiterten Bau zur Verwendung
und ist mit kleinen Darstellungen ganz bedeckt.
Es sind Szenen aus dem Leben Annas und Joachims.
Sie greifen noch auf die Skulpturen des Rundbogens
über. Man sieht hier einige ikonographische
Einzelheiten, die uns sonst nirgendwo begegnen
und daher unsere Aufmerksamkeit erheischen.
Die Erzählung beginnt rechts vom Beschauer.
Anna und Joachim stehen zusammen und sind bekümmert
ob der Unfruchtbarkeit ihrer Ehe. Doch geben
sie die Hoffnung nicht auf, des Kindersegens
teilhaftig zu werden. Sie gehen deshalb, das
zeigt das zweite Bild, mit Opfergaben zum Tempel,
der durch zwei auf dünnen Säulchen ruhenden
Kleeblattbögen bezeichnet wird. Joachim, durch
den Spitzhut als Jude gekennzeichnet, schreitet
voran. Aber zur ersten Betrübnis kommt jetzt
ein neuer Schmerz, indem Ruben ihre Gaben zurückweist,
weil die auf dem Altar ausgebreitete Gesetzesrolle
es so verlangt. Joachim macht sich deshalb mit
einem Begleiter - die beiden letzten Personen
des Türsturzes - auf den Weg, um in die Wüste
zu
wandern.
Die Begebenheit, wie er einsam die Herden bewacht,
hat der erste Meister übersprungen, sie wurde
deshalb später an dem Gurtbogen des Tympanon
angebracht. Da ihm ein Engel die Geburt eines
Kindes verkündigt, kehrt er eilends zurück und
begegnet an der Goldenen Pforte seiner Gattin
Anna. Diese bedeutungsvolle Szene hat der Meister
in den Mittelpunkt gerückt. Beide Gatten danken
zuerst dem Herrn für die wunderbare Fügung der
Dinge; dann erst begrüßt Joachim die hl. Anna,
aber seltsamerweise nicht durch Umarmung oder
eine andere Zärtlichkeit; er fällt ihr zu Füßen,
und Anna neigt sich zu ihm herab. Ein Engel,
dessen Arm abgebrochen ist, scheint sie einander
nähern zu wollen. Diese Art der Begegnung ist
wohl ein ikonographisches Unikum.
Die Geburt Marias hat der Künstler übersprungen,
er geht sofort zu ihrer Vermählung über, der
auch Anna und Joachim beiwohnen. Rechts steht
ein Ziboriumaltar, von welchem eine Ampel herabhängt;
auf dem Altar ruhen die Stäbe der Jünglinge,
die sich um Marias Hand beworben haben; nur
ein Stab hat gegrünt, und einer der Jünglinge
überzeugt sich durch Betasten von der Wirklichkeit
des Wunders. Es ist der Stab Josephs, der links
zu Pf erde herankommt, eine ikonographische
Seltenheit. Auch Anna ist hinzugetreten; nicht
um das Geschehnis zu beobachten, sondern um
ihren künftigen Schwiegersohn zu begrüßen. Die
Vermählung nimmt der Hohepriester vor, der Joseph
und Maria bei der Hand faßt, ersterer schon
bei Jahren, letztere noch eine zarte Jungfrau,
die schüchtern und schamhaft mit geneigtem Haupt
den feierlichen Akt geschehen läßt, an dem ihre
Eltern den innigsten Anteil nehmen.
Joachim hält die Hand seiner Tochter fest, als
könnte er sich von ihr nicht trennen. Mutter
Anna, die mit der Rechten das Gewand etwas emporhebt,
als wäre sie eilig herangekommen, blickt voll
zärtlicher Teilnahme auf ihr Kind, das sie nunmehr
einem Mann anvertrauen soll; eine fein empfundene
Szene. Man sieht aus diesen Angaben, wie sehr
man berechtigt war, das Portal von Notre-Dame
nach der hl. Anna zu benennen, deren Lebensschicksal
mit seltener Liebe und mit psychologischer Feinheit
dargestellt sind.
Auch in Chartres hatten die apokryphen
Berichte über die Mutter des Heilandes im 12.
Jh. über die Bedenken Bischofs Fulbert längst
gesiegt, und Künstler konnten sie an der mit
sechstausend Figuren geschmückten Kathedrale
unbedenklich anbringen. Von diesen zahlreichen
Figuren erzählen allein mehr als 200 die Geschichte
des Heilandes, anfangend mit dem Leben seiner
Mutter und deren Eltern, das in neun Szenen
am Hauptportal vorgeführt wird.
1. Zurückweisung Joachims und Annas, von denen
ersterer ein Lamm, letztere zwei Tauben als
Opfer anbietet.
2. Beide begeben sich voll Scham über diese
Abweisung von dannen.
3. Joachim, der mitten zwischen seinen Schafen
sitzt, empfängt den Besuch und die Botschaft
des Engels, ebenso die hl. Anna, die soeben
auf einem Betschemel gekniet hat.
4. Begegnung an der Goldenen Pforte, eine Darstellung,
die sich in der Kathedrale nicht weniger als
viermal findet, ein Zeichen für ihre Beliebtheit.
5. Geburt Marias, die in einem Gefäß gebadet
wird.
6. Joachim und Anna sitzen auf einer Bank und
überlegen; sie fassen den Entschluß, Maria im
Tempel Gott zum Opfer zu bringen.
7. Sie begeben sich mit der dreijährigen Maria
zum Tempel, ein mit Gaben beladener
Esel folgt ihnen.
8. Maria steigt die beiden Stufen des Tempels
hinan, die Eltern bleiben unten zurück.
9. Joachim und Anna kehren heim und loben Gott.
Einen neuen Impuls
empfing die Verehrung Anna in Chartres durch
den Erwerb ihres Hauptes. Eine Folge davon war
es wohl, daß man ihre Statue an dem Pfeiler
des Nordportals anbrachte. Es ist eine großartige,
würdevolle Erscheinung diese Mutter Anna, die
an Maria Antiqua in Rom erinnert. Wir dürfen
hier sofort hinzufügen, daß diese wachsende
Verehrung unserer Heiligen sich auch in einem
wunderbaren Glasgemälde der Kathedrale widerspiegelt,
obgleich es wohl aus etwas späterer Zeit stammt.
Es zeigt uns die Mutter Anna wie am Portal.
Aufrecht steht sie da als kräftige und prächtige
Frau mit einer Lilie in der Hand in lang herabwallender
Kleidung, die ihre Füße umspielt, wo man auch
ihren Namen liest. Das Kind auf ihren Armen,
dem es allerdings an kindlichem Aussehen gebricht,
wird gleichfalls von dem Mantel verhüllt. Wie
wenn es ein Heiligtum wäre, trägt die Mutter
es mit verhüllten Händen. Maria hält in beiden
Händen ein Buch. - Auch der künstlerischen Darstellung
Annas gaben hier also die Zeit der Kreuzzüge
und der Erwerb neuer
Reliquien neue Anregungen.
Spanien besitzt eine
gut erhaltene Skulptur der hl. Anna mit Maria
in dem kleinen Ort Santillana de Mar, unweit
Bilbaos, die früher schon erwähnt wurde, eine
prächtige Arbeit, die man für eine Madonna mit
Kind halten könnte, wäre des letzteren weibliches
Geschlecht nicht stark betont worden. Am Ende
unserer Periode steht dann in Spanien die gleichfalls
gut erhaltene Anna selbdritt zu Silos, von einem
Meister, der dem Kinde eine imponierende Größe
gibt, Anna aber noch stärker hervorhebt.
In Deutschland
besitzt der Ort Saerbeck im Münsterland
(Westfalen) eine plastische Holzfigur der hl.
Anna mit Maria, die wohl die älteste ihrer Art
sein und um 1250 entstanden sein dürfte. Auffällig
ist die Gestalt des Kindes, das in der weit
ausgestreckten Hand ein Buch hält. Nicht viel
jünger ist eine Anna selbdritt im Nationalmuseum
zu München, von der später die Rede sein wird.
Wo solche Bildwerke entstanden, herrschte selbstverständlich
auch schon eine Verehrung der Heiligen.
Inhaltsverzeichnis
6. Kap.
Die Verehrung der hl. Anna am Ende
des Mittelalters
Waren es bisher nur einzelne und verhältnismäßig
wenige Spuren der Anna- verehrung, welche wir
bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts nachweisen
konnten, so ändert sich das Bild wesentlich
seit der Mitte des 13. und besonders seit Beginn
des 14. Jahrhunderts. Ein Zeichen der wachsenden
Verehrung der hl. Anna sind zunächst die vielen
Kirchen, Kapellen und Klöster, welche nach ihr
benannt wurden bzw. welche sie zur Patronin
erwählten, und die Altäre, die zu ihrer Ehre
errichtet wurden. Ihr Patrozinium wurde natürlich
in Kirche und Kloster durch ein Fest gefeiert,
an welchem auch die umwohnenden Gläubigen teilnahmen.
Gern wählten die Frauenklöster
Sankt Anna zu ihrer Patronin. So gründeten Zisterzienserinnen
vor 1230 das Kloster Langendorf, Diözese Naumburg,
und nicht viel später Annenrode (Anrode) bei
Mühlhausen in Thüringen; von letzterem ging
wieder vor 1276 die Niederlassung Witzenhausen
aus. Zisterzienserinnen waren es ebenso, welche
um 1253/58 das Kloster St. Maria und St. Anna
zu Vlotho (Hannover) ins Leben riefen. Das zu
Brankenberg, Diözese Bremen, von Meinhard von
Bederkesa gestiftete Kloster der Dominikanerinnen
hatte zu Patronen Anna, Maria und Johannes Bapt.,
Braunschweig besaß einen 1326 errichteten Annakonvent
der Beghinen, desgleichen Helmstedt, Diözese
Halberstadt, wenigstens seit 1436.
1322 wurde das Kloster
Annenborn in Mellrich/ Westfalen, gegründet,
ein Name, der uns dort schon 1308 begegnet,
woraus man schließen darf, daß sich dort bereits
vorher eine der hl. Anna geweihte Kapelle befand.
Die Gründung des Annaklosters Rosengarten zu
Lippstadt in Westfalen fällt in die Jahre 1431/35.
In Hildesheim gründete Bischof Otto II. 1321
eine Annakapelle „in ambitu ecclesiae"; in Braunschweig
1326 Ritter Ludolf von Veltheim einen Annakonvent
zur Aufnahme alter Leute.
In der Nähe von Weingarten, das 1182 eine Annareliquie
erhielt, liegt Amtzell, dessen alter
Name Anncelle oder Annencelle wohl auch mit
der hl. Anna in Verbindung steht; jedenfalls hat
Amtzell eine Anna-Kaplanei, die uns in einem
Subsidienregister aus dem Ende des 15. Jahrhunderts
begegnet! Das Annakloster Tännikon, Diözese
Konstanz, wurde 1249 gegründet. In Wolfhagen,
Diözese Mainz, wurde 1408 durch Johann, Pfarrer
in Schätzelberg, ein Kollegiat der hl. Anna
gegründet; das
1437 zu Hirzenhain, Diözese Mainz, gegründete
Kloster der Augustinerchorherren hatte zu Patronen
Maria, Anna und Antonius.
Die Zahl solcher Gründungen ließe sich leicht
vermehren. Die erwähnten dürften genügen. Wir
wollen allerdings nicht verschweigen, daß einzelne
Kirchen und Klöster später ihren Patron wechselten,
besonders war dieses in der Zeit der Hochblüte
der Annaverehrung der Fall, wie wir noch sehen
werden. So z. B. das Kloster der Zisterzienserinnen
Heiligkreuztal, als deren Patron Anna angegeben
wird; denn 1256 wurde die in der Hauptsache
noch erhaltene Klosterkirche zu Ehren der hl.
Jungfrau Maria und des hl. Kreuzes, daher der
Name Heiligkreuztal, geweiht.
Wie Kirchen und
Klöster, so wurden der hl. Anna in unserer Periode
auch zahlreiche Altäre und Kapellen geweiht.
Aachen besaß im 13. Jh. eine Annakapelle,
die sich an die karolingische Palastkapelle
anlehnte und die 1302 einen eigenen Rektor in
der Person des Heinrich Palme hatte. Münster
in Westfalen erhielt 1377 unter Bischof Florenz
von Wevelinghofen eine Annakapelle, die man
an den Dom anbaute, bald darauf wurde auch das
Annafest eingeführt. In Alme bei Paderborn finden
wir im Jahre 1425 eine Vikarie der hl. Anna.
Die berühmte Marienkirche zu Lübeck hatte
bereits 1406 eine Annakapelle, die in diesem
Jahr einen den hl. Bartholomäus, Katharina,
Dorothea und der Mutter Anna geweihten Altar
erhielt; bei der dortigen Petrikirche wird 1452
eine Annakapelle erwähnt, deren Erbauung schon
früher erfolgte. Die Augustinerkirche zu Stargard
i.P. besaß einen Altar zur Verkündigung Mariä
und der hl. Anna, errichtet im 15. Jh. von Graf
Simon von Guntersburg.1311 stiftete der Stadtrat von Braunschweig
einen Annaaltar in der St. Martinikirch.In Erfurt wurde bei der Weihe einer Kapelle
1304 u. a. eine Reliquie der hl. Anna in den
Altar gelegt.
Mainz besaß in der
St. Stephanskirche 1277 einen Annaaltar. Und
im Anfang des 14. Jahrhunderts wurde das Annafest
daselbst bereits allgemein gefeiert, denn von
dem Stiftsscholaster Jakob von Liebfrau heißt
es einfach: er starb 1323 am St. Annafest. Von
Mainz verbreitete sich die Annaverehrung in
der weiteren Umgehung. 1299 vermachte Ritter
Dirolf und seine Gemahlin Agnes, welcher schon
das Kloster Himmelskrone in Hochheim bei Worms
gestiftet hatte, 1300
Malter Weizen für gute
Zwecke, u. a. für die Unterhaltung von Altären
in der
Klosterkirche, und es werden genannt die Altäre
Marias und Annas, Jakobus und
Paulus usw.
Frankfurt hatte 1342 einen Altar; denn in dem
Bericht über die große Überschwemmung wird gesagt,
auch die Annakapelle des Deutschen Hauses sei
unter Wasser gesetzt worden. Um dieselbe Zeit,
1344, wird eine Altarstiftung in Butzbach erwähnt,
da Landgraf Philipp V. für einen von seiner
Gemahlin gestifteten Altar einen Ablaß erbat
und erhielt. Ebenso gewährte Kardinal Pileus
1380 einen Ablaß für diejenigen, welche an einem
der Jungfrau Maria, Anna und anderen Heiligen gewidmeten
Altar Gebete verrichten würden.
In Süddeutschland wurde um 1300 ihre liturgische
Verehrung eingeführt und gegen Ende unserer
Periode war er in fast allen Diözesen verbreitet,
wie wir im folgenden Kapitel aus den Missalien
und Brevieren nachweisen werden.
Im Dom zu Regensburg wird 1355 eine Annakapelle
erwähnt, die schon eine Zeitlang existiert haben
muß; gleichzeitig wird ein eigener Kaplan der
Kapelle genannt, er hieß Konrad der Held. In
Esslingen (Württemberg) besaß die Frauenkirche
1335 einen Annaaltar, 1341 wurde vor demselben
eine Ampel und ein Ewiges
Licht gestiftet; auch in der Dionysiuskirche
daselbst ist 1346 ein Annaaltar nachweisbar.
Besonders in Schlesien, hat die Verehrung
Annas frühzeitig Wurzel gefaßt, und zwar in
auffällig starker Weise. Nicht weniger als ungefähr
50 mittelalterliche Kirchen der Diözese Breslau
verehren sie als ihre Patronin. Mögen auch
manche dieser Kirchen sie erst später zur Patronin
erwählt haben, so spricht diese Zahl immerhin
für eine so ausgedehnte Annaverehrung im Osten,
daß Schlesien hinter den westlichen Provinzen
nicht zurücksteht. Fast als ein Wahrzeichen
dieser Verehrung erscheint das steinerne Annaselbdritt-Bild
vom Jahr 1507 an der Fassade der
Adalbertkirche zu Breslau. Vielleicht übte die
in Böhmen stark gepflegte Annaverehrung
auf Schlesien ihren Einfluß aus. Auch der Umstand,
daß die Landesfürstin, Herzogin Anna (+1284),
den Namen der Mutter Marias führte, wird nicht
ohne Einwirkung gewesen sein, wie wir das auch
anderswo beobachten.
1360 wird in der Maria-Magdalena-Kapelle zu
Breslau ein Altar zu Ehren Annas und anderer
Heiligen erwähnt. Abt Johannes von Prag (1375-86)
erbaute zu Breslau eine Annakapelle und erwählte
sie zu seiner Begräbnisstätte. In Liegnitz hören
wir 1395 von einem Spital der hl. Anna, in Glatz
wurde 1432 von den Franziskanern ein Annakloster
mit Kirche gegründet. Annaaltäre (teilweise
mit anderen Heiligen vereint) finden sich 1436
in Ratibor, 1437 in Glogau, 1441 in Freiburg,
1442 in Breslau zu St. Elisabeth, 1447 in Zillichau.
Eine Annakapelle bestand bereits 1448 auch in
der Franziskanerkirche in Zittau, denn im gleichen
Jahr stiftete an deren Altar Katharina Polack
mit 40 Zittauischer Mark eine ewige Messe.
Böhmen besitzt heute
noch Spuren einer frühen Annaverehrung in manchen
Miniaturen kirchlicher Bücher. Wir erwähnen
nur die Anna selbdritt in dem Liber viaticus
des Johann von Neumarkt um 1360 (Prag, Böhm.
Mus.) und im sogenannten Missale des Bischofs
von Olmütz um 1370 (Prag, Metropolitanbibliothek).
Ungarn hat neben dem
Portal seiner romanischen Kirche zu Jak
eine St. Annastatue, vor der Maria als Mädchen
steht; leider beide ohne Kopf, da sie 1532 von
den Türken verstümmelt wurden.
In den für die Kenntnis
der religiösen Heilstatsachen und Legenden so
wichtigen geistlichen Schauspiele des
Mittelalters, die gewöhnlich mit der Weltschöpfung
beginnen, tritt Anna nicht auf, wohl aber in
einem Schauspiel des 15. Jahrhunderts aus Eger.
Nach den alten Propheten kommen Anna und Joachim
aus ihren Wohnungen; letzterer begibt sich nach
Jerusalem, um zu opfern, wird aber zurückgewiesen.
Er geht jedoch nicht sofort in die Einsamkeit,
sondern eilt erst nach Hause, um von Anna Abschied
zu nehmen. In der Einsamkeit mahnt ihn der Engel, sich zur
Goldenen Pforte zu begeben. Von dort machen
sie sich beide auf den Weg nach Jerusalem, wo
das Kind geboren wird, für das sie im Tempel
eine Turteltaube darbringen.
Hier sei noch Tirol erwähnt, speziell
die Diözese Brixen, über deren
Kirchenpatrozinien wertvolle Studien vorliegen;
so erhielt Niederdorf (Südtirol)
1500 eine Annakapelle am Friedhof, ebenfalls
eine Friedhof-Annakapelle St. Ulrich in Gröden
schon 1425, Pill und Achornach im Pustertal
eine Annakirche 1518, Schwarz in der Kirche
U. L. Frau 1478 ein Altar der hl. Anna.
In der Schweiz, wo die Annaverehrung
eine frühe und weite Verbreitung fand, gründete
der Domdekan Johann Kamerarii (+1337) in der
Krypta des Münsters zu Basel einen Altar und
bereits vor dem großen Erdbeben 1356 befand
sich vor dem Blasiustor der Stadt eine Annakapelle.
In folgenden Orten des Kantons Graubünden wurden
bis 1500 Kirchen oder Kapellen der hl. Anna
errichtet: Morissen-Pfeil (zugleich mit St.
Jakobus, 1345), Truns (1425), Parpan (1456),
Igels (1491, Anna Mitpatronin). In der alten
Diözese Lausanne erscheint sie als Patronin
zu Bern (Kirche auf der Nydeck, 1346), Li Derrey
(Pfarrei Charmey, 1410), Bürgeln bei Freiburg
(1441), in Croy bei Romainmotier.
In Schweden war es besonders die weitgereiste
hl. Brigitta (+1373), die für die Verehrung
der hl. Anna tätig gewesen ist. In Rom erhielt
sie in der St.-Pauls-Basilika eine Reliquie
Annas und in die Heimat zurückgekehrt, arbeitete
sie hier mit Erfolg für deren Verehrung. Ein
Zentrum der Annaverehrung wurde das Kloster
Vadstena, das sie stiftete und das auch ihre
irdischen Überreste bewahrt. Benno Hindrik Korps,
Bischof von Westeras, weihte 1383 zu Ehren der
hl. Anna eine Kapelle an der Domkirche zu Skara
ein, am Dom zu Westeras aber stiftete er eine
Annapfründe mit vier Messen wöchentlich. In
Linköping machten die Eheleute Andreas und Caecilia
Jonason eine solche Stiftung. Bischof Nikolaus
von Skara gewährte 1386 allen Gläubigen einen
Ablaß von 40 Tagen, die in der Annakirche die
üblichen Gebete verrichteten oder eine Gabe
spendeten. Als Philippine, Gemahlin des Königs
Erich, 1415 nach Vadstena kam, um die Reliquien
der hl. Brigitta zu verehren, veranlaßte sie
den Neubau des Kirchenchores zu Ehren der hl.
Anna.
In Finnland läßt sich die Verehrung der
hl. Anna auch vor Ausgang des 14. Jahrhunderts
nachweisen, 1398 wird Anna als Schutzpatronin
der Kirche von Hartola genannt und den Besuchern
dieser Kirche am Annatag ein Ablaß gewährt.
Im 15. Jh. wuchs ihre Verehrung so, daß sie
alle andere weibliche Heiligen übertraf. In
Abo hatte sie einen Altar sowohl im Dom wie
im Olafskloster; auch wurden ihr viele Kirchen
geweiht. Ebenso wurde auf ihren Namen eine Gilde
getauft, und aus dem Kloster der Dominikanerinnen,
dessen Gründung man damals in Finnland betrieb,
sollte ein Annakloster werden.
Noch früher als in Schweden und Finnland sind
wir über die Annaverehrung im Baltikum
unterrichtet. Der Rat von RevaI datiert
1354 ein Schriftstück „am Tag der hl. Anna",
was uns zu der Annahme berechtigt, daß das Fest
schon einige Zeit im Diözesankalender stand.
Dasselbe war in Riga der Fall, denn eine von
17 Erzbischöfen und Bischöfen am 15. Januar
1359 zu Avignon unterzeichnete Bulle gewährt dem Zisterzienserinnenkloster
Maria Magdalena in Riga allen Gläubigen einen
Ablaß von 40 Tagen, welche die Klosterkirche
an bestimmten Tagen, u. a. am Annafest, besuchen.
Denselben Ablaß erhielt für den Annatag der
Dom zu Riga von Papst Innozenz VI. am 17. August
1360. Am 23. Dezember 1364 genehmigte Erzbischof
Trombold von Riga dem Ritter Bartholomaeus von
Phisenhusen im Dom die Errichtung eines Anna-altares,
den er mit acht Mark jährliche Rente dotierte.
Im deutschen Ordensland Preußen war ihr
die Pfarrkirche zu Rheden sogar schon 1285 geweiht,
die Kapelle zu Lobau 1326, im Hochschloß zu
Marienburg 1394, im ganzen bis
1525 nicht weniger als 18 Kirchen bzw. Kapellen.
Dies hängt wohl mit der Verehrung
zusammen, die der Deutsche Orden seiner Schutzpatronin,
der Tochter Annas, entgegenbrachte. Wilna besitzt
eine 1392 von Anna, Gemahlin des Großfürsten
Witold von Litauen, gegründete Annakirche, der
man um 1500 eine vielbewunderte Schauseite der
spätesten deutschen Gotik gegeben hat, die Napoleon
am liebsten nach Paris versetzt hätte.
Die Verehrung der hl. Anna blieb nicht auf das
Festland beschränkt.
Auch England und Irland brachten ihr
Beweise der Verehrung dar. Hugo, Bischof
von Lincoln(1200) hat nach Maria stets besonders
ihre Mutter Anna verehrt und in jeder Not
und Gefahr schnelle Hilfe von ihr erfahren.
Siehe 4.Kap.
Doch war ihre Verehrung nicht etwa
auf einzelne Personen beschränkt, sie hatte
im ganzen Volk Wurzel gefaßt, was für die liturgische
Verehrung der Heiligen später von Bedeutung
werden sollte. Von der Verbreitung dieser Verehrung
zeugen noch heute eine Anzahl Hymnen und Gebete,
und namentlich die zahlreichen Bruderschaften
und Stiftungen, Kirchen und Altäre, die ihr
geweiht wurden. So wurde in der Kathedrale um
1330 der Altar der hl. Guthlac der hl. Anna
geweiht
und wenigstens seit 1362 ihr Fest feierlich
begangen.
Hiermit beenden wir
unseren Rundgang durch die Länder diesseits
der Alpen. Er hat uns deutlich gezeigt, wie
grundlos die Behauptung ist, die Annaverehrung
habe erst gegen Ausgang des Mittelalters seinen
Anfang genommen. Eine Heilige, der so viele
Kirchen und Klöster geweiht, deren Fest öffentlich
gefeiert und deren Reliquien sehr geschätzt
wurden, stand gewiß bei den Gläubigen hoch in
Ehren. Ihre Verehrung konnte zwar eine Steigerung
erfahren, wie es später tatsächlich der Fall
war, aber neue Länder hat er kaum erreicht außer
die neue Welt - Amerika.
Wenden wir uns wieder
nach Italien, wo wir den ersten Spuren
der Annaverehrung im Abendland begegnet sind,
so machen wir hier die gleiche Beobachtung.
Dieses Land stand besonders in dem ersten Drittel
des 13. Jahrhunderts unter dem Zeichen der Kreuzzüge.
1204 plünderten die Venetianer auf dem sog.
vierten Kreuzzuge Konstantinopel und brachten
von dort ungeheure Schätze heim. Kaiser Friedrich
II. trat 1228 von Süditalien aus jene Fahrt
an, der Jerusalem mit seiner Umgebung kurze
Zeit wieder in den Besitz der Christen brachte.
In diese Zeit fallen auch einige Tatsachen,
die einen neuen Aufschwung der Annaverehrung
bezeugen.
Pisa, das uns in der
Geschichte der Annaverehrung wiederholt begegnet,
erhielt schon vor 1086 in der Nähe der Stadt
ein Benediktinerkloster mit einer der hl. Anna
geweihten Kirche und 1228 eine zweite ihr gewidmete
Kirche innerhalb der Stadt.
In Treviso verfügte
Perolino von Constantini, Doktor der Rechte,
1320 testamentarisch, daß seine Erben in der
St. Michaelskirche zu Ehren der hl. Anna einen
neuen Altar errichteten, ihn mit den notwendigen
Paramenten ausstatteten und eine Lampe unterhielten.
In Florenz wurde um 1350 bei der Dominikanerkirche
S. Maria Novella eine Annakapelle erbaut. In
Faenza gründeten die Benediktiner eine
Abtei und weihten sie der hl. Anna. 1235 baute
Bischof Thomas von Ancona in der Kirche des
hl. Cyriacus „der glorreichen hl. Anna eine
Kapelle, damit sie ihm einen Platz im Himmel
bereite, wie eine 1893 aufgefundene Inschrift
sagt.
Sizilien empfing nach
einer Lokaltradition 1242 einen Teil
des Hauptes der hl. Anna, der zuerst nach Gerace
und später nach Castelbuono hei Cefalu übertragen
wurde. Schon 1176 entstand in Messina ein Annakloster,
das von Basilianerinnen bewohnt wurde. Die Kirche
Martorano (S. Maria dell'Ammiraglio), deren
Bau 1113 begonnen und 1143 vollendet war, besitzt
ein Annabild, eine vornehme und majestätische
Halbfigur von edler Größe in Mosaikarbeit. 1224
verfügt Papst Honorius über die Kirche Sancta
Anna de Camara.. Wenn auf Sizilien die Annaverehrung
sehr früh zur Blüte gelangte, war das zweifellos
eine Folge der engen Verbindung, welche die
Insel von jeher mit dem Orient unterhielte.
In Rom errichtete man
1378 an der Peterskirche
eine Erzbruderschaft der hl. Anna, woraus man
mit Recht schließen kann, daß die Verehrung
der Heiligen damals bereits eine größere Verbreitung
gefunden hatte. Die Bruderschaft hatte bei St.
Peter eine eigene Kapelle. Doch darf man zum
Beweis dieser weiten Verbreitung nicht die alte
Kirche S. Anna dei Funari oder dei Falegnani
heranziehen; denn ursprünglich hieß diese Kirche
S. Maria in Julia und erhielt erst im Anfang
des 16. Jahrhunderts den Namen Annakirche.
In Spanien endlich,
das heute noch Tausende von monumentalen Zeugnissen
eines früher sehr blühende Annaverehrung besitzt,
begegnet uns das älteste Zeugnis der Annaverehrung
in einem Dekret des Königs Jaime vom Jahr
1239, das ein Annakloster in Valencia
erwähnt. Wenigstens seit 1514 gibt es dort
einen Platz der hl. Anna und noch heute sind
nach ihr zwei Plätze benannt, was alles auf
eine alte Verehrung hindeutet. Desgleichen bestand
in der Kathedrale schon 1305 eine der hl. Anna
geweihte Kapelle, ebenso zwei Benefizien. Kurz
nach 1250 machte König Alfons X. der Weise von
Kastilien (1253-84) das Gelübde, er wolle zu
Ehren der Mutter der allerseligsten Jungfrau
Maria eine Kirche hauen, wenn er von einem schweren
Augenleiden geheilt wurde. Als die Heilung erfolgte,
erbaute er in Triana, der Vorstadt von Sevilla,
im Mudejar-Stil die prächtige St.-Anna-Kirche.
Andalusien hat sich seitdem wie das Baskenland
als eine treue Verehrerin der hl. Anna bewährt
und offenbar bestand dort schon vorher eine
Verehrung der hl. Anna.
Ihr Fest wurde in Sevilla, wie ein Missale
zeigt, mit eigener Messe gefeiert. Eine besondere Stätte der
Annaverehrung scheint die Schloßkirche des Königs
auf Mallorca gewesen zu sein, deren spätromanisches
Portal noch heute ein Bild unserer Heiligen
ziert; sie wird als solche 1307 in einem Dekret
des Papstes Klemens V. erwähnt. Kurze Zeit darauf
verordnete der König, daß am Fest der Geburt
des Herrn, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten,
Fronleichnam, St. Anna usw. beim Gottesdienst
sechs Chormäntel gebraucht und in der königlichen
Kapelle gepredigt werden soll. Man beachte,
wie das Annafest in gleicher Reihe mit den höchsten
Festen des Kirchenjahres genannt wird. Diese
Bestimmung wurde von den Herrschern 1347 gegeben.
Das Bild aus der Diözese Vich, also aus dem
nordöstlichen Spanien, zeigt gewiß auch die
Verehrung der hl. Anna. Die Kathedrale von Las
Palmas auf den Kanarischen Inseln, 1497 unter
Didakus Alonso begonnen, ist der hl. Anna geweiht;
der vornehmste Platz der Stadt nach ihr benannt.
Zu Coimbra in Portugal gründete Anna Alfonso
1367 eine Kapelle und ein Hospiz der hl. Anna.
Als Zeichen der wachsenden Annaverehrung darf
es gewiß auch angesehen werden, daß seit
dem 12. Jh. der Name Anna häufig als Taufname
auftritt, während er vorher im Abendland
nur selten vorkommt. Namentlich gilt dies, wenn
dieser Taufname sich bei den Töchtern fürstlicher
und königlicher Häuser findet, die später als
Landesmütter auf die Namenswahl der Landeskinder
indirekt einen großen Einfluß ausübten. In den
Herrscherfamilien von Ungarn, Österreich, Böhmen
und Bayern sowie in Nonnenklöster begegnen uns
seit den Kreuzzügen zahlreiche Trägerinnen des
Namens Anna. Das läßt uns darauf schließen,
daß es auch bei den Töchtern des einfachen Volkes
vielfach der Fall war. Wir nennen Anna von Zähringen,
Gemahlin Ulrichs von Kiburg (um 1218), Anna,
Tochter des 1263 verstorbenen Grafen Hartmann
von Kiburg, Anna von Rapperswyl (1230), Gründerin
des Klosters Wettingen, Anna, Herzogin von Breslau,
Anna, Herzogin von Bayern (+1271), Anna, Tochter
Albrechts I. von Österreich, Gemahlin des Markgrafen
Hermann von Brandenburg und später des Herzogs
Heinrich von Breslau (+1326), Anna von Hohenburg,
erste Gemahlin Rudolfs von Habsburg (+1281),
Anna, Tochter Belas IV. von Ungarn (12. Jh.),
Anna, Herzogin von Ungarn, Gemahlin Konrads
von Österreich, Anna, Tochter des Königs Wenzel
II. von Böhmen (+1305), vermählt mit Heinrich
von Kärnthen, Anna, Schwester Wenzels von Böhmen,
1381 vermählt mit Richard II. von England, Anna,
Tochter des Fürsten Gedemin von Litauen (+1339),
Anna, Gattin Ottos von Österreich, Tochter des
Königs Johann von Böhmen, geb. 1322. Die zweite
und dritte Gemahlin Kaiser Karls IV. von Böhmen
et 1378); Anna, Gemahlin König Wladislaus von
Ungarn. In der königlichen Familie der Piasten
von Polen kommt der Name seit 1253 bis zu ihrem
Aussterben (1370)
17 mal vor.
Nonnen mit dem Namen Anna begegnen uns sehr
oft, z. B. Anna im Kloster Odilienberg im Elsaß,
welche die gelehrte Äbtissin Herrad von Landsberg
(1167-95) in ihrem berühmten, 1870 zu Straßburg
verbrannten „Lustgarten (Hortus deliciarum)
mit den übrigen Schwestern abgebildet hat, Anna
Gräfin von Fürstenberg, Priorin von Neidingen
(+1391), Anna, Äbtissin des Klarenklosters zu
Breslau (1330).
Im Nekrolog von Günterstal
(Freiburg i.Br.) aus dem 14. Jh. ist Anna nicht
weniger als 78 mal vertreten, was auf die Beliebtheit
dieses Namens ein helles Licht wirft.
Auch die Gewohnheit, die Glocken auf
den Namen eines oder mehrerer Heiligen zu weihen,
verschafft uns neues, bisher noch nicht beachtetes
Material, um die Ausdehnung der Annaverehrung
genauer kennen zu lernen. Eine Glocke zu Meirup
in Dänemark von 1364 trägt u. a. den Namen Anne.
In Deutschland besitzt die älteste bekannte
Annaglocke Erbach im Rheingau mit der Inschrift:
Anno mccc LXXVII festo S. Aegidij fundata P.O.Z.
[pio omnium zelo] Anna Mater Mariae per manus
Joannis de Francfort" (Im Jahr 1377 am Fest
des hl. Ägidius wurde Anna, Mutter Marias, mit
frommer, allgemeiner Unterstützung gegossen
von Johannes von Frankfurt.)
Zahlreich sind die Glocken, welche auf den Namen
unserer Heiligen im 15. Jh.
„getauft" wurden; und ihre Zahl wird um so größer,
je mehr wir uns dem Ende des Mittelalters nahen.
Hier haben wir uns bis auf das Jahr 1450 zu
beschränken. Die Bürgerglocke der Ägidienkirche
zu Lübeck vom Jahre 1412 (1905 eingeschmolzen)
trug auf dem Glockenfeld den Namen Anna und
neben den Evangelistennamen die Inschrift: sonte
anna sulf derde [St. Anna selbdritt] und am
Unterrand die beiden ersten Strophen des Hymnus
Anna stellam matutinam. Zeigerheim (Thüringen)
besitzt eine Glocke aus dem Jahre 1429 mit der
Inschrift: helf sancta Anna selbdritte.
1429. Eine Glocke zu Allrath (Rheinprovinz)
aus demselben Jahr trägt die Inschrift: Anna
heißen ich, meit Gott luden ich, Meister Henrich
gois mich 1429. Eine verschwundene Glocke zu
Dottendorf bei Bonn trug neben den Namen der
vier Evangelisten an erster Stelle den der hl.
Anna. Westfalen hat eine Annaglocke von 1441
zu Elsoff bei Arnsberg.
Zur Verehrung Annas gehören zweifellos auch
die Bruderschaften, welche ihren Namen
trugen und sich zu ihrer Verehrung bildeten.
Sie haben wohl schon im 13. Jh. ihren Anfang
genommen. Die älteste sichere Nachricht, die
ich anzuführen vermag, stammt allerdings erst
aus dem 14. Jh., und zwar aus der Hansestadt
Bremen, wo sie unter dem Erzbischof Burchard
Grelle bei der Liebfrauenkirche gegründet wurde.
Am 24. Juli 1328 bezeugen die Grafen Johann
und Christian von Delmenhorst, daß die Brüder
Erpo und Johann von Elmelo dem Domvikar Selandus
und der Annabruderschaft in Bremen Land verkauft
haben. Sie wurde im Lauf der Zeit die angesehenste
Bruderschaft Bremens und umfaßte Erzbischöfe,
Kanoniker, Priester, Ritter; ihre Zahl war von
Anfang an auf vierzig festgesetzt. Sie hatte
vornehmlich einen religiösen Charakter, da man
für die Verstorbenen alljährlich Gottesdienste
abhielt, an die sich ein Gastmahl anschloß,
dessen Reste an die Armen verteilt wurden.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts mehren sich die
Nachrichten über Gründung der Annabruderschaften.
1418 wurde sie zu Hamm in Westfalen errichtet
durch den Kölner Weihbischof Konrad. 1428 wird
sie bei den Dominikanern in Mainz erwähnt. In
Ermland wurde sie bald nach der unglücklichen
Schlacht von Tannenberg (1410) in Marienburg
eingeführt und vom Bischof Johann von Pomesanien
(1409-17) bestätigt und fand
dann später in der Diözese eine große Verbreitung.
Von ausländischen Bruderschaften seien hier
zunächst die zu Gent und zu Rom erwähnt.
Ersterer gehörten viele berühmte Männer und
Frauen an, so Philipp der Kühne und Margarethe
von Flandern (1384), Philipp der Gute, Herzog
von Burgund, Karl der Kühne und seine Gemahlin
Katharina und später Philipp II. von Spanien,
Margaretha von Parma, Königin Maria von England.
Angeblich wurde sie 1101 gestiftet, als Balduin
von Flandern eine von Gottfried von Bouillon
geschenkte Reliquie Annas nach Gent sandte.
Die Erzbruderschaft zu Rom, deren Mitglieder
anfangs aus Kutschern und Stallknechten des
Papstes bestand, wurde 1378 unter Papst Urban
VI. gegründet zu dem doppelten Zweck, den Verstorbenen
durch Gebet und den lebenden Mitgliedern durch
Unterstützung zu Hilfe zu kommen. Sie hielten
ihre Versammlungen in der Annakapelle der Peterskirche
ab. Später zählte sie hohe Prälaten zu ihren
Mitgliedern und genoß zahlreiche Privilegien.
England besaß Annabruderschaften
(vor der Reformation)u. a. in Lincoln, Wigford
und Knowle hei Birmingham, letztere wurde 1398
von Papst Bonifatius IX. bestätigt; Irland hatte
u. a. eine Bruderschaft in Dublin, bestätigt
1430 von König Heinrich VI.
Inhaltsverzeichnis
7. Kap.
Die hl.
Anna in zyklischen Darstellungen des Mittelalters
Die weitverbreitete Verehrung Annas außerhalb
Italiens und Frankreichs läßt vermuten, daß
sie außerhalb dieser Länder auch künstlerisch
frühzeitig verherrlicht worden ist. Diese Annahme
wird durch zahlreiche Monumente der Plastik
und Malerei bestätigt. Namentlich ist es die
Miniaturmalerei, welche unsere Heilige
sehr häufig dargestellt hat. Es handelt sich
dabei hauptsächlich um deutsche Kunstwerke.
Es sind allerdings weniger Darstellungen, welche
die Heilige um ihrer selbst willen wiedergeben,
als vielmehr Szenen aus ihrem Leben als Einleitung
zum Leben ihrer Tochter oder auch ihres Enkels
Christi. Das gilt gleich von den beiden bedeutenden
Zyklen, die wir an den Anfang dieses Kapitels
setzen. Es empfiehlt sich, die Darstellungen
als Zyklen zu behandeln und sie nicht in die
einzelnen Begebenheiten aus dem Leben Annas
aufzulösen bzw. sie darin einzureihen.
An erster
Stelle verdient hier erwähnt zu werden das schon
besprochene Marienleben des Priesters Wernher
von 1172 bzw. die Handschrift in Berlin.
Es ist eine Pergament-handschrift mit 97 Blättern,
kleinquart, aus der Zeit um
1200. Sie ist mit 85 Bildern geschmückt, die
etwa je die halbe Seite einnehmen.
Es sind Federzeichnungen in schwarzer und roter
Farbe auf farbigem Grund. Gold ist bei den Heiligenscheinen,
Kronen und Säumen verwendet, Silber bei den
Waffen. Bei den menschlichen Figuren vermißt
man noch die Kenntnis der Verhältnisse und das
Ebenmaß, doch versteht es der Maler, seine Absichten
überall klar zum Ausdruck zu bringen, die Gebärden
sind ihm gut gelungen.
Die Teile des Gedichtes, die uns zunächst interessieren,
sind mit einer Vollständigkeit illustriert,
die an den Bilderreichtum der Markussäulen im
Dom zu Venedig oder an griechische Miniaturen
erinnern. Dem Text über das Leben Annas und
Joachims fügte der Maler nicht weniger als dreizehn
Miniaturen bei, von denen die erste die große
Freigebigkeit Joachims zeigt, der seine Habe
in drei gleiche Teile teilte und nur einen davon
für sich behielt. Anna tritt uns zuerst entgegen,
wie Joachim,
„als er nun zwanzig Jahre alt war und kaum am
Kinn das erste Haar ihm sproßte, sie sich zur
Braut und Frau erkor. Beide stellen sich dem
Hohenpriester vor, der ihre Hände zum hl. Ehebund
zusammenlegt. Es ist eine hohe, schlanke Gestalt,
dieser Priester, wie der Maler sie auch sonst
liebt. Joachim überragt seine Frau fast um Kopfeslänge...
Die zweite Miniatur
zeigt Anna einsam in ihrem Garten voll Trauer
über ihre Unfruchtbarkeit und die Abwesenheit
ihres Mannes. Doch bereits hat sich der Künder
der Freude genaht, der Engel Gottes steht neben
ihr und bringt ihr die frohe Botschaft, daß
sie eines Mägdleins genesen soll, das zu hohen
Dingen auserkoren ist. Die eine Hand an die
Wange, die andere auf die Brust haltend sitzt
Anna auf dem Boden ihres Gartens; vielleicht
ist nicht ohne Grund hinter ihr eine grüne Rankenverschlingung
mit Blättern angebracht, die wie eine Initiale
erscheint. Gut hat der Maler ihre Trauer und
ihren anfänglichen Zweifel an dieser Meldung
zum Ausdruck gebracht. Prächtig ist auch der
Engel, dessen kräftige Gestalt den Raum glücklich
ausfüllt.
Mit ihrer Magd im Wortstreit
sehen wir Anna auf der folgenden Miniatur. Sie
ruht nach langem Fasten auf dem Bett und ruft
nach einer der Mägde. „Jedoch bei der sich der
Trotz regte, so daß sie mehrfach rufen mußte,
eh sie sich bequemen mußte, zu ihr zu kommen
endlich dar." Da sprach die Tochter Isachar,
Anna, die Reine, unmutsvoll: „Sag, was ich davon
denken soll." „Die Magd brummt mürrisch vor
sich hin in störrisch ungezogenem Sinn." Beide,
Anna und die Magd, halten in der Hand große
Schriftbänder, die zur Belebung der Fläche nicht
wenig beitragen.
Indem wir die Miniaturen übergehen,
die uns Joachim in der Einsamkeit vorführen,
bilden wir hier die Begegnung des frommen Ehepaares
an der „Goldenen Pforte" ab, wohin Anna in Begleitung
mehrerer Frauen ihrem Manne entgegengeeilt war.
Hoch zu Roß kommt Joachim in Begleitung heran;
anders kann der deutsche Maler jener Tage sich
den reichen Joachim nicht vorstellen. Frau Anna
lief entgegen ihm und um den Hals sie ihn umfing
/ und Hand in Hand sie mit ihm ging. / Es küßte
ihn die Reine, Gute mit heiterem Blick und frohem
Mute / empfing sie ihn so freudenvoll / wie
Lieb ihr Herzlieb grüßen soll / ganz ohne sündiges
Begehren weil sie nur strebte Gott zu ehren
/ den wahren Schirmherrn aller Frommen. Die
Miniatur ist deshalb beachtenswert, weil es
eine ähnliche Auffassung dieser häufig dargestellten
Szene nicht gibt. Hier wie auch auf anderen
Miniaturen sprengt der Maler den Rahmen und
läßt unten die Gewänder der Frauen über ihn
hinausfallen,
während oben das Spruchband weit empor flattert.
Prächtig ist auch die folgende Miniatur,
die Geburt Mariäs. Noch erschöpft von den
Schmerzen des Vorganges, liegt Anna mit abgewandtem
Antlitz auf dem Himmelbett, dessen Kopfkissen
mit Blattmustern verziert ist. Eine Wärterin
hält mit beiden Händen das Wickelkind aufrecht
vor sich hin und betrachtet es mit aufmerksamem Blick.
Mehr als auf einer anderen Miniatur bot sich
hier dem Maler
Gelegenheit, seiner Neigung zu gebrochenen Linien,
wie sie uns aus der
„Thüringischen Malerschule" bekannt sind, bei
dem Vorhang und dem Bett nachzugeben.
„Als nun verging das dritte Jahr, seitdem das
Kind geboren war, da dachten sie dem Herrn zu
weihen als Opfer dies ihr Töchterlein zum Dienst
in dem Haus des Herrn. Maria folgte ihnen gern
und ging mit züchtig ernstem Schritte mit ihnen
durch der Leute Mitte. Sie sah sich dabei niemals
um, ja selbst zur Mutter blieb sie stumm und
unterließ es bei dem Gehen, zum Vater grüßend
aufzusehen, wie sie's sich auch nicht unterwand,
nach einem, der bekannt ihr sei, sich forschend
umzuschauen. So schritt sie denn vor allen Frauen
willfährig zu des Tempels Veste.”
Dieser anmutigen Schilderung entspricht die
ihr beigegebene Miniatur. Schon ist Maria
im Tempel angelangt, sie ist vor dem Altar
niedergekniet und weiht sich mit erhobenen Händen
dem Allerhöchsten. Hinter ihr die Mutter mit
einer Kerze, wie auch die Begleiterin eine solche
trägt, die aber außerhalb des Bildrahmens sichtbar
wird. Es war ein bedeutender Meister, der diese
zarten Miniaturen schuf, von deren Feinheit
unsere farblosen Abbildungen nur eine schwache
Vorstellung vermitteln.
An diesen Zyklus reihen sich sofort einige Miniaturen
aus dem „Heilsspiegel", den nach den
neuesten Forschungen der zuerst dem Dominikanerorden
angehörende Kartäuser Ludolph von Sachsen
schrieb. Es ist eine Darstellung der Heilsgeschichte
vom Beginn der Welt und schließt mit deren Ende.
Der Text ist durch Bilder erläutert, und zwar
so, daß von je vier Miniaturen je zwei am Kopf
zweier sich gegenüber befindlichen Seiten stehen.
Von diesen vier Bildern illustriert in Wirklichkeit
nur eines das geschichtliche Ereignis, die drei
anderen sind Vorbilder. Für uns kommen hier
außer der Verkündigung an Anna noch die Geburt
Marias, ihr Tempelgang und ihre Vermählung in
Betracht.
Bei der Verkündigung hat Ludolph von Sachsen
drei Vorbilder aufgestellt, die der Maler durch
Bilder veranschaulicht hat. König Astyages sieht
im Traum, wie seine Tochter Mutter eines Knäbleins
wird. Dieser Sohn ist Kyrus, der das Volk Israel
von der Gefangenschaft freimachen sollte. Diese
Deutung wird gegeben nach Petrus Comester. In
manchen Handschriften heißt es etwas züchtiger,
daß Astyages aus dem Schoß seiner Tochter einen
Weinstock hervorgebracht sieht. Das zweite Vorbild
ist der verschlossene Garten und die versiegelte
Quelle, Bilder aus dem Hohenlied, die seit langem
mit Vorliebe auf Maria angewandt wurden. Das
dritte Vorbild ist Balaam, der die Geburt Marias
durch den Stern vorbildete.
Die Geburt Mariens
weicht von dem sonst üblichen Typus bedeutend
ab. Anna liegt auf dem Bett oder vielmehr sie
sitzt darin. Hinter dem Bett steht der bärtige
Joachim, beide durch den Nimbus ausgezeichnet.
Gemeinsam halten sie ihr Kind, das ob seiner
hohen Bestimmung bereits eine Krone auf dem
Haupt trägt. Selbst das Geschlecht des nur bis
zur Brust eingewickelten Kindes ist angedeutet.
Daß es sich hier wirklich
um die Geburt handelt, bezeugt die Überschrift:
Nativitas beatae Mariae virginis. - Geburt der
sel. Jungfrau Maria. Diese Szene tritt in den
Handschriften mit manchen Varianten auf; so
sieht man zuweilen statt des Bettes den bloßen
Boden, statt des erwachsenen ein kleines Mädchen.
Diese merkwürdige Darstellung der Geburt findet
sich neben der Verkündigung auch in den Glasgemälden
der Stephanskirche zu Mülhausen im Elsaß, und
zwar mit den Vorbildern. In der Münchener Handschrift,
der obige Miniatur entnommen ist, sind diese
Vorbilder: Jesse, aus dessen Brust ein Baum
mit sechs Zweigen hervor wächst und in dessen
Krone innerhalb eines Kreises ein Vogel sitzt;
ferner das verschlossene Tor und der Tempel
Salomons.
Auch die Opferung Marias im Tempel unterscheidet
sich von dem üblichen Schema. Anna hat das dreijährige
Kind auf den Altar gestellt, neben welchem der
Hohepriester mit einem Buch steht, um die Gabe
entgegenzunehmen. Anna stützt das Kind mit beiden
Händen, während Joachim mit einer Gabe hinter
ihr Platz gefunden hat. Oberhalb der Zeichnung
stehen die Worte: Maria virgo offertur domino
in templo - die Jungfrau Maria wird im Tempel
dargebracht.
Im 15. Jh. erfreute sich die Marienlegende
in der Schweiz einer besonderen Gunst. Die
Münster zu Basel, Zürich, Einsiedeln, Neuenburg
und Lausanne sind ihr geweiht. Um die Mitte
des Jahrhunderts entstand eine Marienlegende,
die mit vielen Federzeichnungen verziert ist,
die zwar keine hervorragende Kunstwerke sind,
aber doch eine bedeutende Sicherheit in der
Komposition verraten. Es fehlt natürlich nicht
das Leben der Eltern Mariä, wir sehen die hl.
Anna an der Goldenen Pforte, als Wöchnerin und
beim Tempelgang, wobei sie einen Rosenkranz
trägt.
Wie beim Marienleben und dem „Heilsspiegel",
so war in vielen anderen Fällen die Darstellung
des Lebens Mariä Anlaß, auch das Leben ihrer
Eltern zu schildern. Gewöhnlich sind es vier
Szenen: die Zurückweisung des Opfers durch den
Hohenpriester, Verkündigung durch einen Engel,
Begegnung an der Goldenen Pforte und die Geburt
Marias, wozu sich manchmal noch ihre Opferung
im Tempel
gesellt.
Zyklisch ist diese Gruppe z. B. dargestellt
worden im Kreuzgang des Doms zu Brixen,
Ende des 15. Jahrhunderts. Außer dem Opfer Joachims,
der Verkündigung durch den Engel und ihrer Begegnung
interessiert uns besonders die Opferung Marias,
da wir hier nicht weniger als sieben Vorbilder
haben, und zwar ähnlich wie im Heilsspiegel,
nämlich Jephtes Opfer, die schwebenden Gärten
der Semiramis, die beiden Fischer, der verschlossene
Garten, der versiegelte Brunnen, Balaam, Jesse.
Wie in Frankreich, so hat auch in Deutschland
die Monumentalplastik das Leben Annas dargestellt;
wir erwähnen nur die gotischen Darstellungen
des Südportals am Dom zu Augsburg und des
Marienportals am Münster zu Ulm; ferner
fünf Szenen in der Münsterkrypta zu Basel, die
bald nach 1356 entstanden sind.
Auch in den
Glasgemälden begegnen wir der hl. Anna und ihrem
Gemahl, z. B. in einem Fenster der Pfarrkirche
zu Ravensburg; unten ist ihre Geschichte bis zur Geburt Marias
dargestellt, dann folgt das Leben Marias bis
zur Geburt Christi. Entstanden sind diese Glasmalereien
um 1420. Leider sind sie in ihren Einzelheiten
infolge des Alters und angesetzten Schmutzschicht
so wenig zu erkennen, daß sie für die Einzelbetrachtung
ausscheiden. Kurze Zeit später, um 1430, wurden
die gleichen vier Ereignisse in der Sebalduskirche
zu Nürnberg angefertigt.
Besonders wären hier noch die gotischen Flügelaltäre
mit ihren häufig wiederkehrenden Szenen
aus dem Leben der hl. Anna zu erwähnen.
Inhaltsverzeichnis
8. Kap.
Die liturgische Verehrung der hl.
ANNA Im Mittelalter
So zahlreich auch die bisher angeführten Tatsachen
sind, aus denen die große Verbreitung der Annaverehrung
vor der Mitte des 15. Jahrhunderts zutage tritt,
so würden wir davon doch ein unvollständiges
Bild zeichnen, wollten wir uns auf die Verehrung
beschränken, die unserer Heiligen durch die
Weihe von Klöstern, Kirchen oder Altären erwuchs.
Eine richtige Vorstellung ihren Verehrung gewinnen
wir erst, wenn wir die liturgische Verehrung
betrachten, worunter ich jene Huldigung verstehe,
die einem Heiligen im Namen und im Auftrag der
Kirche durch Darbringung des Meßopfers und durch
das Beten des Breviers (Stundengebet) zuteil
wird. Schon aus zahlreichen Mitteilungen des
vorhergehenden Kapitels läßt sich diese liturgische
Verehrung mit Sicherheit schließen, doch lohnt
es sich, noch näher darauf einzugehen. Wir werden
dabei besonders die liturgischen Bücher, das
Meßbuch und das Brevier, das offizielle Gebetbuch
der Priester, benutzen.
Lange Zeit hat man fast allgemein angenommen,
kirchliche Verehrung sei der hl. Anna erst seit
dem Ende des 14. Jahrhunderts erwiesen worden.
Namentlich spielt das Jahr 1378, als Papst Urban
VI. den Annatag zu einem Festtag für England
erhob, in der Geschichte der Annaverehrung eine
mißgedeutete Rolle. Daraus hat man geschlossen,
Rom habe erst damals die öffentliche Verehrung
der hl. Anna gebilligt. Dieser Schluß beruht
indes auf einem Irrtum. Solange hat die
„Großmutter Christi", mit deren Bildnis man
bereits im 8. Jh. eine angesehene
römische Kirche schmückte, die höchste kirchliche
Verehrung nicht entbehren müssen. Dem Bild folgte
gewiß bald das Fest. Bestimmt wissen wir dies
von Neapel. Diese für die Annaverehrung
sehr wichtige Tatsache bezeugt ein interessantes,
1742 aufgefundenes Marmor-kalendarium des
9. Jahrhunderts, in dem die Feste der Stadt
verzeichnet sind. Unter diesen Festen findet
sich auch das der hl. Anna, und zwar, was sehr
beachtenswert ist dreimal im Jahr, nämlich
am
25. (nicht 26.) Juli „ihre Entschlafung", am
9. September „Joachim und Anna"
und am 9. Dezember „Annas Empfängnis der hl.
Jungfrau Maria. Das Kalendarium wurde in der
Kirche S. Giovanni maggiore (ursprünglich Praecursor
D.N.J.Ch. im 6. Jh. erbaut) aufgefunden und
befindet sich heute in der Kapelle des Erzbischofs.
Es entstand zwischen 828 und 877, wahrscheinlich
unter Bischof Johannes Scriba.
Die Veranlassung
zu dieser dreifachen Festfeier können wir ohne
Mühe feststellen. Im Orient beging man zu Ehren
der hl. Anna eine dreifache Feier, Neapel unterhielt
aber von jeher mit dem Orient eine lebhafte
Verbindung, bis zum 9. Jh. wurde der Gottesdienst sogar
in griechischer Sprache gefeiert. Es kann also
nicht auffallen, wenn man hier die hl. Anna
durch drei Feste verehrte, wie die orientalische
Kirche.
Diese liturgische Feier des Annafestes
blieb nicht auf Neapel beschränkt.
Eine Handschrift der Bibliothek von Cesena
aus dem 11. Jh. führt dasselbe nicht nur
am 25. Juli an, sondern auch am (8. und) 9.
September, und ihre Empfängnis am 9. Dezember.
Also auch hier ist orientalischer Einfluß wahrzunehmen.
Erwähnt sei ferner, daß eine Litanei
aus dem 12. Jh. aus dem Kloster S. Salvatore
der regulierten Chorherren zu Bologna nach Anrufung
der hl. Mönche und Einsiedler die Bitte enthält:
Hl. Anna, bitte für uns; ebenso
wurde sie in einer ebenso alten Litanei nach
der Profession der Chorherren angerufen; desgleichen
in der Karsamstagslitanei eines Missale aus
einem mittelitalienischen Kloster... Es kann
kein Zweifel bestehen, daß diese Verehrung in
Italien bereits im 13. Jh. an verschiedenen
Orten vollzogen wurde. Da haben wir aus dem
genannten Jahrhundert den Liber ordinarius des
Origo Scaccabaronzi, Erzpriesters von Mailand
(+1292), der eine Messe zu Ehren der hl.
Anna enthält mit dem Eingangsvers (Introitus):
Maria tabernaculum / Anna, defende populum /
Ut peccatorum scrupulum / vitemus et periculum
/ Esto nobis umbraculum Commissorum piaculum
/ De coelo habitaculum
/ Ad praemiorurn cumulum.
Eine wichtige Handschrift der Kapitelsbibliothek
zu Verona, ein Sakramentar aus dem 12.
Jh., enthält als Nachtrag aus dem 13. Jh. eine
Messe zu Ehren der
„S. Anna, mater Virginis". Noch häufiger finden
sich natürlich solche Nachträge
im 14. Jh., so in einem Missale des 13. Jahrhunderts
aus der Gegend von Florenz, in Monte Cassino,
aus Orvieto und Trani in Apulien. Es wurde
also das Fest der hl. Anna bereits im 14. Jh.
in ganz verschiedenen Gegenden Italiens gefeiert.
Deutlicher als die Missalien, deren Erhaltung
von allerlei Zufällen bedingt ist, zeigen uns
diese liturgische Verehrung die Verordnungen
mancher religiöser Orden. Da ist an erster Stelle
der Franziskanerorden zu nennen, dessen
ältestes Ceremoniale vom Jahr 1254 vorschreibt,
daß Sankt Anna als „Fest mit neun Lektionen"
zu feiern sei, eine Vorschrift, die das Generalkapitel
zu Pisa unter dem Vorsitz des hl. Bonaventura
erneuerte. Mit der schnellen Verbreitung, die
der junge Orden fand, wurde auch die liturgische
Verehrung Annas bald in die entferntesten Länder
getragen. Die Sequenz Felix Anna, iucundare
wird dem Franziskanergeneral Johannes von Parma
(+1289) zugeschrieben, da diesen Namen das Akrostichon
nennt.
Ein wenig älter ist die Verehrung der hl. Anna
womöglich bei den Karmelitern gewesen.
Sie bewohnten wahrscheinlich 1229 bis 1244 die
alte Abtei der Benediktinerinnen am Schafteich
zu Jerusalem, von welchen sie die Verehrung
der hl. Anna übernahmen, auf die sie nach ihrer
Umsiedlung nach Europa natürlich nicht verzichteten
und ihn hier schon seit 1238 feierten. Auch
die Benediktiner haben in Subiaco, Perugia
und Brescia schon im 13. Jh. und auf Monte Cassino
zumindest im 14. Jh. die hI. Anna liturgisch
verehrt. Die Augustinerchorherren blieben
hinter den Benediktinern nicht zurück, wie ein
Hymnus beweist, der uns in einer Handschrift
des 12./13. Jahrhunderts aus dem Augustinerkloster
St. Cheron zu Chartres erhalten
blieb. Nicht viel jünger ist eine Handschrift
mit dem gleichen Hymnus aus dem Augustinerkloster
Sainte-Barbe zu Auge, Diözese Lisieux. Das Generalkapitel
der Kamaldulenser im Jahr 1433 unter
General Ambrosius (1376-1439) schrieb die Feier
des Annafestes mit zwölf Lektionen für den ganzen
Orden vor, dasselbe taten die Zisterzienser
im Jahr 1454.
Auch einige Dominikanerbreviere
aus dem 14. Jh. enthalten das Offizium der hI.
Anna. Berücksichtigt man die große Verbreitung
all dieser Orden, so ergibt sich die
Tatsache, daß das Annafest bis zur Mitte des
15. Jahrhunderts an sehr vielen Orten liturgisch
gefeiert wurde, lange bevor Rom diese Feier
für die ganze Kirche vorschrieb. Rom hatte lange
nicht diese zentrale Rolle, wie heute, was früher
mangels Kommunikations- und Verkehrnetze auch
kaum machbar war.
Doch setzen wir unseren
Rundgang durch die einzelnen Länder fort. In
Paris machte um 1255 der Magister Peter
Colonna für Notre-Dame eine Stiftung, um das
Annafest, das damals schon bestand, noch festlicher
zu begehen.
Fast um die gleiche Zeit hören wir von der Feier
des Annafestes in der Krönungsstadt der französischen
Könige, in Reims, wo es in der Kirche
S. Remy „mit 9 Lektionen und 9 Kerzen" begangen
wurde; ebenso beging man es in der Kathedrale.
Bischof Wilhelm von Arras bewilligte 1291 auf
Bitten des Magisters G. von Faronville einen
Ablaß von vierzig Tagen allen Gläubigen, die
am Fest der hl. Anna oder innerhalb der nächsten
acht Tage die Kirche des hl. Amatus besuchen
und unter den üblichen Bedingungen ein Almosen
zur Anfertigung eines Reliquiars der Heiligen
spenden würden. Der Tag sollte von den Gläubigen
wie ein Feiertag begangen werden.
Ebenso feierte man ihr Fest zu Apt bereits
im 13.Jh. Mehrere Handschriften beweisen, daß
dies in Nevers und vielleicht auch in Chartres
(Saint Geron) schon im 12. Jh. der Fall war.
Für Nevers bezeugt es der später weitverbreitete
Hymnus Clara diei gaudia. Ein Tropar von Chartres
aus dem 12/13. Jh. enthält einen Hymnus, der
beginnt:
1. Mater matris
Domini |
2a. Singularis
studio |
2b. Anna diu sterilis |
Felix felicissimi
Joachim consocia. |
Pauperum solacio
Conferens subsidia. |
Apud Deum humilis
Propter virum anxia. |
Seit dem 14. Jh. begegnet
uns dieser liturgische Hymnus in vielen handschriftlichen
und später in fast allen gedruckten französischen
Meßbüchern. Ein Lektionar aus Saint-Lo zu Rouen,
13. Jh., enthält das Fest unserer Heiligen.
Um dieselbe Zeit sang man im Chorherrnstift
St. Victor zu Paris den Hymnus: Adsunt Annae
solemnia. Ferner feierte man im 13. Jh. das
Annafest zu Douai, Soissons, Toulon; im 14.
Jh. in Angers, Bourges, Tours, Paris, Limoges,
Clairvaux, Cambrai, Rouen, Lille, Noyon, Caen,
Bayeux, Arles, Carcassone, Lyon. Man kann
also im 14. Jh. von einer Verbreitung des Annafestes
in fast ganz Frankreich sprechen.
Daß auch in Spanien schon im 13. Jh.
die liturgische Annaverehrung an manchen
Orten eingeführt war, kann nach den früheren
Ausführungen keinem Zweifel unterliegen. In
Sevilla, wo die Heilige wie in ganz Andalusien
eine sehr starke Verehrung genossen hat, besitzt
die Biblioteca Colombina ein Missale aus dem
Anfang des 14. Jahrhunderts, in dem gegen Ende
desselben Jahrhunderts das Annafest nachgetragen
ist. Ein vielverbreitetes Reimoffizium der hl.
Anna ist enthalten in einem Brevier der Kirche
von Toledo aus dem 14. Jh. Aus dem 15.
Jh. nennen wir ein zweites Missale der Biblioteca
Colombina, El Cartujano genannt, ein 1450 von
Gonzalo Sanches da Corboba korrigiertes und
approbiertes Missale, ein Missale des Kardinals
Conzales de Mendoza, ein Brevier aus Sevilla,
ein Horarium im Kodex der Königin Isabella und
endlich das Missale mozarabicum.
Mit besonderer Pracht wurde das Annafest auf
der Insel Mallorca in der königlichen Kapelle
zu Palma gefeiert; denn eine Verordnung des
Königs Jakob II. von Aragonien bestimmte, daß
beim Aufenthalt des Herrschers auf Mallorca
das Annafest ebenso feierlich begangen werden
sollte wie Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt
und Pfingsten. In dieser Verordnung ist
auch die Rede von Prozessionen, die am Annafest
auf Mallorca stattfinden und bei denen die Reliquien
mitgetragen werden sollen, sowohl jene, die
in den königlichen Kapellen, als auch jene,
die in der Kapelle des Herrschers aufbewahrt
werden.
Gehen wir nach Deutschland, so stoßen
wir im Süden auf ihr Fest (mit neun Lektionen)
in einem Brevier der Diözese Freising
aus dem Ende des 13. Jahrhunderts und in einem
Missale aus dem 14. Jh. Um dieselbe Zeit (13.
Jh.) erscheint es in einem Kalendarium der Diözese
Augsburg. In einem Brevier aus dem Stift
St. Peter zu Salzburg aus dem 14. Jh.
ist der 26. Juli als Festtag eingetragen, während
dieses bei Mariä Heimsuchung noch nicht der
Fall ist. ZuBeginn des
15. Jahrhunderts war nach den Kalendarien das
Annafest in fast allen bayerischen
Diözesen durch Messe und Brevier gefeiert.
ln einem Kalendarium der Diözese Passau aus
dem 14. Jh. ist es ebenfalls verzeichnet, aber
nicht als Festtag und nur mit drei Lektionen.
Dagegen fehlt es in einem Kalendarium des Albert
von Beham, Domdekans von Passau, das man um
das Jahr 1246 ansetzt.
In Norddeutschland begegnet uns die liturgische
Annaverehrung im 13. Jh. an einigen Orten, im
14. Jh. ist er schon weitverbreitet. So haben
wir aus dem Nonnenkloster Marienberg bei Helmstedt
in Braunschweig aus dem 13. Jh. ein Reimoffizium
und aus Köln einen Brevierhymnus. Aus dem 14.
Jh. nennen wir Breviere aus Trier, Koblenz,
Münster, Lübeck. Aus dem 15. Jh. seien nur erwähnt
Wernigerode, Quedlinburg, Schleswig.
In Österreich finden wir vereinzelt die
liturgische Annaverehrung im 13. Jh., im 14.
Jh. läßt sie sich an vielen Orten nachweisen,
im 15. Jh. ist sie allgemein. Aus dem 13. Jh.
haben wir den Hymnus De stella sol oriturus,
aus dem 14. Jh. den weitverbreiteten Hymnus
Assunt Annae sollemnia, der sich in Handschriften
aus St. Florian, Axpach, Oberaltaich, Barenberg
u.a. findet und wohl in der Diözese Salzburg
seinen Wiege hat; ferner in Brixen, Olmütz,
Lilienfeld, Sekkau, Klosterneuburg.
Was Böhmen anlangt,
wo die Annaverehrung sehr in Blüte stand, so
besitzen wir aus dem 14. Jh. ein Reimoffizium
aus Prag und Hymnen aus Tepl und Prag.
Ferner sei erwähnt, daß die Franziskaner zu
Eger 1476 einen Ablaß erhielten für jene, welche
die Klosterkirche am Annafest besuchten.
Dem Zisterzienserabt von St. Nepomuk,
Diözese Prag, gestattete 1446 das Generalkapitel
des Ordens, in dessen Kalendarium das Annafest
schon lange als „festum commemorationis" verzeichnet
war, es mit bedeutender Rangerhöhung zu feiern.
Und da ähnliche Bitten auch von anderen Seiten
kamen, sah sich das Generalkapitel 1454
veranlaßt, die Rangerhöhung für den ganzen
Orden vorzuschreiben. Die Begründung dieses
Beschlusses verdient, hier erwähnt zu werden.
„Da kein Zweifel darüber waltet, daß was immer
an Ehre und Huldigung der hl. Anna, der Mutter
der allerseligsten Jungfrau Maria, dargebracht
wird, diese als ihr selbst erwiesen ansieht,
so beschließt, bestimmt und verordnet das Generalkapitel
in dieser heiligen und frommen Erwägung, indem
es die bereits erlassene Verordnung erneuert,
daß künftig das Fest der hl. Anna mit zwölf
Lektionen und zwei Messen von allen Konventen
und von jedem einzelnen des ganzen Ordens zu
feiern ist." Das Fest wurde von den Zisterziensern
schon im 14. Jahrhunderts allgemein gefeiert.
ln einer Hohenhofer Handschrift heißt es: „Generale
Capitulum ordinavit et definivit, quatenus festum
B. Annae genitricis Mariae cum 12 lectionibus
et una missa et ceteris proprietatibus celebraretur
per ordinem universum. Quod factum fuit anno
1354."
In Schlesien, wo die
hl. Anna liturgisch längst gefeiert wurde, beschloß
die Diözesansynode von Breslau 1509 eine Rangerhöhung
ihres Festes, damit ihr besonderer Schutz der
Kirche Frieden und allen das ewige Heil erflehen
möchte. Herzog Georg I. von Brieg ging noch
einen Schritt weiter, indem er den Bischof um
einen Erlaß bat, kraft dessen seine Untertanen
verpflichtet würden, am Annatag sich aller knechtlichen
Arbeiten zu enthalten. Gern willfahrte der Bischof
dieser Bitte, indem er bemerkte, St. Anna habe
sich durch ihre Wunder in der ganzen Welt so
verehrungswürdig gemacht, daß es kaum einen
Ort gebe, der dieser heiligen Frau nicht irgendeine
Wohltat zu verdanken habe.
Eine besondere Aufmerksamkeit
erfordern England und Irland. Wir besitzen
noch zwei Hymnen - O praeclara mater matris
und O beata mater, Anna - aus Winchester und
zwei gleichaltrige aus Canterbury - Ad matris
Annae annua und Nardus spirat in odorem -, die
die liturgischen Verehrung der hl. Anna an zwei
wichtigen Stätten Englands im 12. Jh. beweisen.
Es ist gewiß nicht zuviel gesagt, wenn wir behaupten,
daß von Winchester und Canterbury diese Verehrung
auch an andere Orte und Klöster sich verbreitete.
Die Behauptung wird fast zur Gewißheit durch
die Tatsache, daß schon zu Beginn dieses Jahrhunderts
nach einem Brief des Osbert von Westminster
an den Bischof Simon von Worcester in
dessen Kathedrale das Fest der hl. Anna mit
Oktav bereits um 1125 gefeiert wurde.
Jetzt verstehen wir in Verbindung mit den angeführten
Angaben über die Verehrung der hl. Anna in England
und Irland, wie die Provinzialsynode von Dublin
im Jahre 1351 unter dem Vorsitz
des Erzbischofs Johannes die Bestimmung treffen
konnte, daß am Tag nach St. Jakobus das Fest
der hl. Anna in allen Kirchen der Provinz
Dublin als duplex gefeiert werden, die Gläubigen
sich der körperlichen Arbeit enthalten und dem
Gottesdienst in der Pfarrkirche beiwohnen sollten,
eine Verordnung, die der Erzbischof von Canterbury
in ähnlicher Form auch für seinen Sprengel erließ.
Das Annafest wurde schon lange in Irland und
England liturgisch gefeiert, dann aber durch
diese Verordnung zu einem Festtag erhoben. Wir
verstehen jetzt auch, wie Papst Urban VI.
am 21. Juli 1378 dieses Fest für ganz England
vorschreiben konnte; der Papst dehnte nur
auf das ganze Land aus, was in vielen Orten
bereits gebräuchlich war.
Dieser Anordnung hatte man bisher eine viel
zu große Bedeutung zugeschrieben und irrige
Schlußfolgerungen daraus gezogen. Die Veranlassung
zu der Verordnung gab, wie der Papst in seinem
Schreiben hervorhebt, daß das englische Volk
eine große Verehrung zur hl. Anna hegt, und
die von ihnen gestellte Bitte, an alle Bischöfe
und Gläubigen den Befehl zu erlassen, das Fest
der hl. Anna andächtig und feierlich zu begehen.
Der Papst ging nach einigem Zögern auf diese
Bitte ein. Weil es sich um die älteste päpstliche
Bestimmung bezüglich der Annaverehrung handelt,
geben wir ihren Wortlaut hier vollständig
wieder.
„Da vor kurzem Gläubige aus dem Königreiche
England uns berichtet haben, daß das Volk dieses
Landes infolge seiner innigen Hochachtung für
die allerseligste Jungfrau Maria auch eine ganz
besondere Andacht zur hl. Anna, der Mutter der
glorreichen Jungfrau, hegt, und da man uns von
dieser Seite her demütig gebeten hat, allen
Seelenhirten und allen Gläubigen genannten Königreiches
vorzuschreiben, das Fest derselben Heiligen
feierlich zu begehen, so haben wir in Gott es
passend gefunden, die fromme Bitte und die Andacht
des Volkes einer Untersuchung zu unterwerfen.
Und weil wir wünschen, diese Gläubigen Gott
wohlgefällig zu machen und ihnen die Übung der
guten Werke zu erleichtern, so befehlen wir
förmlich in Kraft gegenwärtigen Schreibens euch,
unsern Brüdern, daß von nun an jährlich von
euch und von denjenigen, die euch unterworfen
sind, genanntes Fest der hl. Anna mit festlicher
Pracht und in frommer Weise begangen werde."
Wenn in dem päpstlichen Schreiben hervorgehoben
wird, daß die hl. Anna schon vorher hei den
Engländern hohe Verehrung genoß, so war sie
nicht etwa auf die private Andacht der Gläubigen
beschränkt, wie die angeführten Kalendarien
und Meßbücher beweisen. Diese frühe, große Verehrung
der hl. Anna hängt vielleicht zusammen mit der
in lrland sehr früh üblichen Feier der unbefleckten
Empfängnis Mariä, die dort schon im 8. Jh. eingeführt
sein soll.
Wir vermuten, daß die Anregung vom König Richard
II., der sich als eifriger Annaverehrer erwies,
und von seiner Gemahlin Anna von Böhmen, in
deren Heimat die Annaverehrung gleichfalls weitverbreitet
war, ausging. So nahm sich König Richard auf
Bitten seiner Gemahlin auch des großen St. Annaklosters
der Kartäuser bei Coventry in Northampton-shire
an, das von Lord William Zouch 1381 begonnen,
wegen seines bald darauf erfolgten Todes aber
nicht vollendet wurde. König Richard legte 1385
eigenhändig den Grundstein zur Kirche und erklärte
öffentlich, daß er als Gründer des
Klosters angesehen werden wolle, dem er zahlreiche
Schenkungen zuwies.
Von Interesse sind besonders die Bestimmungen
einer Stiftungsurkunde, welche
1336 bei Gründung des Augustinerklosters zu
Mastox in Warwikshire angefertigt wurde; in
derselben trifft der Gründer William Cinton,
Graf von Huntingdon, folgende Anordnung: „Getrieben
von Eifer und frommer Andacht, wie auch die
übrigen Gläubigen, zur Mutter der Gnade, der
glorreichen Jungfrau Maria und mit Rücksicht
auf sie wie auch auf ihre Mutter, die hochselige
Anna, will, verordne und bestimme ich, daß am
Schluß der Matutin des Muttergottesoffiziums,
ebenso am Schluß ihrer Messe und der einzelnen
Tageszeiten der Priester, welcher die Messe
gefeiert bzw. der Offiziator mit gleich lauter
Stimme den Englischen Gruß und das Gebet zur
Mutter Anna in alle Zukunft auf folgende Weise
verrichte:
Gegrüßt
seist du, Maria, voll der Gnaden, der Herr ist
mit dir, gebenedeit bist du unter den Frauen
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.
Amen. Und gebenedeit sei deine ehrwürdige Mutter
Anna, aus welcher dein jungfräulicher und makelloser
Leib hervorgegangen ist. Und
der Chor soll antworten: Amen."
Gehen wir zuletzt nach
Norden, so stoßen wir dort gleichfalls auf Zeichen
eines weit vorangeschrittenen liturgischen Annaverehrung.
Im deutschen Ordensland (Baltikum) verzeichnet
bereits der älteste Kalender das Fest der hl.
Anna, und ein Gesetz des deutschen Ordensmeisters
Werner von Orseln (1324-30) erhob es zum Semiduplex.
Der Rat von Reval stellte 1354 ein Schriftstück
„am Tag der hl. Anna" aus, das Fest muß also
schon einige Zeit gefeiert worden sein.
Auch in Schweden feierte man schon in
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts am 26.
Juni die Messe zu Ehren der hl. Anna. Ihr Festtag
(26. Juli) steht bereits in dem Kalendarium
der Kirche von Upsala vorn Jahre 1344. Zu Vadstena,
dem Begräbnisort der hl. Brigitta, wurde 1406
verordnet, ihr Fest dreimal im Jahr als
„Fest mit einfachem Ritus" zu begehen, und zwar
am Tag nach Jakobi (26. Juli), nach der Oktav
von Mariä Geburt und nach Mariä Empfängnis.
Wir finden also hier hoch im Norden den orientalischen
Brauch, der wohl durch die griechisch-slavische
Liturgie vermittelt wurde. Die Synode von Vadstena
tat noch mehr. Sie bestimmte, daß während der
Oktav aller Muttergottesfeste und an allen Sonntagen
des Jahres außer im Advent und von Septuaginta
bis Dreifaltigkeitssonntag eine Kommemoration
der hl. Anna gemacht werden sollte. Diese Bestimmung
zeugt von einer außergewöhnlichen Verehrung
unserer Heiligen, die ihren Impuls vielleicht
der Reliquie der hl. Anna verdankt, die Brigitta
von Rom mitgebracht hatte.
Die hl. Brigitta erzählt
in ihren Offenbarungen von einer Vision, in
der sie Anna schaute, die sie Gebete lehrte
und zur Verehrung der Reliquie ermahnte.
Auch
andere nordische Synoden haben sich damals mit
der Annaverehrung beschäftigt. Die Synode
von Kopenhagen 1425 bestimmte, das Fest der
hl. Anna soll am Tag nach Mariä Empfängnis gefeiert
werden. Die Provinzialsynode
zu Uppsala faßte 1445
den gleichen Entschluß und dehnte ihn auf die
ganze Kirchenprovinz aus, nachdem das Konzil
von Süderköping sich 1436 und 1441 der Angelegenheit
angenommen hatte. In dem zuerst genannten Jahre
wurde bestimmt, das Annafest sollte als festum
duplex gefeiert werden. 1441 dehnte man die
Verordnung dahin aus, daß es wegen der Andacht
des Volkes in allen Diözesen als Feiertag begangen
werden sollte, und zwar am Tag nach Mariä Empfängnis
(9.12.), falls es nicht gewohnheitsgemäß an
einem anderen Tag geschehe. Auch in dieser Bestimmung
zeigt der Norden eine Anlehnung an den griechischen
Brauch.
Werfen wir einen Rückblick auf unsern Rundgang
durch die verschiedenen Länder, so finden wir,
daß das Fest der hl. Anna an einzelnen Orten
sich schon im 12. Jh. nachweisen läßt, im 13.
Jh. ist dies schon mancherorts der Fall, im
14. Jh. war es bereits in so viele Kirchen und
Diözesen eingeführt, daß man fast
von einer allgemeinen Verbreitung sprechen kann.
In manchen Diözesen war der Annatag zum kirchlichen
Feiertag erhoben, so in der Provinz Dublin
1351, in Bologna 1371. Hiermit kann man die
Behauptungen widerlegen, die Verehrung der hl.
Anna sei bis zum Ende des Mittelalters fast
unbekannt gewesen.
Fügen wir hier die Frage an, an welchem Tag
die liturgische Feier der hl. Anna stattfand.
Im allgemeinen beging man sie nach dem Fest
des hl. Jakobus, also am 26. Juli. So in den
meisten deutschen Diözesen und Kirchen am Ende
des Mittelalters. Diese Regel erlitt jedoch
viele Ausnahmen. So verlegte Bischof Erich von
Münster 1510 ihr Fest auf den 16. August, während
es im Missale vom Jahre
1425 zu Nienberg (Diözese Münster) vor dem Fest
Mariä Himmelfahrt steht. Am
26. Juli feierte man es in der Diözese Paderborn.
In Augsburg, Erfurt, Halberstadt, Havelberg
und anderswo geschah es am 27. Juli. Noch größer
waren die Unterschiede in Frankreich, wo das
Annafest zu Cambrai am 19. Juli begangen wurde,
zu Arles, Bourges, Bordeaux und nach mehreren
Pariser Missalien am 27. Juli; nach einem Pariser
Brevier aus dem 13. Jh. am 28. Juli, nach einem
Missale von St. Victor am 4. August; in Rouen
am 4. Januar.
Auch in Skandinavien herrschte eine sehr
verschiedene Praxis. In Schweden wurde das
Annafest am 9. Dezember gefeiert, mit Ausnahme
des Bistums Linköping, das am 26. Juli festhielt,
also auch das Brigittenkloster Vadstena in dieser
Diözese. Im Bistum Abo in Finnland beging man
die Feier am 15. Dezember, also am Oktavtag
von Mariä Unbefleckte Empfängnis. Den 9. Dezember,
also den Tag nach Mariä Empfängnis, bestimmte
die Synode von Kopenhagen für Dänemark.
Dasselbe hatte schon 1417 die Synode von Aborga
getan.
Mit der Steigerung der Annaverehrung nahm auch
die liturgische Rangerhöhung ihres Festes zu,
wie aus verschiedenen, schon mitgeteilten Quellenangaben
ersichtlich ist. Von einem Fest der einfachen
Erwähnung (simplex) stieg es zum Duplexgrad
oder zum totum duplex, wie im 15. Jh. in Finnland,
was im Brigittenkloster zu Vadstena (Schweden)
schon 1413 der Fall gewesen war. Eine einfache
Commemoratio S. Annae, und zwar für das Offizium
der Mutter Gottes wurde z. B. durch die Diözesanordnung von Samland 1427 vorgeschrieben, während
in der Diözese Pomesanien (südlich von Danzig)
ihr Fest schon 1428 als totum duplex am Sonntag
nach dem
26. Juli gefeiert wurde, in der Diözese Ermland
erscheint es dagegen im Brevier vorn Jahre 1581
noch als Semiduplex. Man sieht daraus, wie verschieden
damals noch die Praxis in einer einzigen Provinz
war.
Wenngleich der hl. Anna um die Mitte des 15.
Jahrhunderts in der abendländischen Kirche wohl
schon in den meisten Diözesen liturgisch verehrt
wurde, so fehlte an deren Einheitlichkeit doch
noch viel... Denn damals besaßen die Bischöfe
in der Regelung des kirchlichen Festkalenders
größere Autonomie als heute.
Wie bereits erwähnt,
stand der Franziskanerorden unter den Verehrern
der hl. Anna in der ersten Reihe; in seinen
ältesten gedruckten Meßbüchern hat das Annafest
denselben hohen Rang wie die großen Ordensheiligen
Franziskus und Antonius. Ein Franziskaner war
es auch, der ihr Fest in den römischen Festkalender
einfügte, nämlich Sixtus IV. Seine für
die liturgische Annaverehrung so wichtige Anordnung
fällt in das Jahr 1481; die gleiche Bestimmung
traf er für das Fest des hl. Joseph, das bis
dahin nur wenig gefeiert wurde. Die Neuerung
erklärt sich aus dem Umstand, daß Sixtus IV.
auch als Papst die liturgische Verehrung der
hl. Anna nicht unterlassen mochte, den er vorher
als Ordenspriester gepflegt hatte. Daher erhörte
er die Bitten seines Ordens, der sich um die
allgemeine Einführung
der liturgischen Verehrung es der hl. Anna bemühte.
Dahin gehört besonders der Franziskaner Albert
von Forli, der 1480 diesbezügliche Anstrengungen
machte. Auch der Franziskaner Bernardin von
Busti 1500, der viele Jahre Italien als
Bußprediger durchzog, wirkte in diesem Sinn;
er ist der Verfasser eines kirchlichen Offiziums
von der „Unbefleckten Empfängnis Marias", das
1476 die Gutheißung des Papstes Sixtus fand.
Zu Ehren der Gottesmutter schrieb er einen umfangreichen
Band „Reden". Wie hätte er da ihre hochbegnadete
Eltern vergessen können? Den Bitten dieser Männer
kam also Papst Sixtus IV. entgegen und
nahm 1481 das Annafest in den römischen Kirchenkalender
auf. Seit dieser Zeit feierte somit auch
Rom die hl. Anna alljährlich am 26. Juli durch
Messe und Breviergebet. Im römischen Martyrologium
wird der Tag mit den Worten erwähnt: Heimgang
der hl. Anna, der Mutter der unbefleckten Jungfrau
und Gottesgebärerin Maria. Diese Neuerung war
von großer Bedeutung; denn diesem Beispiel folgten
bald alle Diözesen, welche den römischen Ritus
beobachten, und auch auf Diözesen, die einen
eigenen Ritus hatten, hatte es Einfluß. Der
ambrosianische Ritus (in Mailand) hatte
das Fest schon vor Sixtus IV. aufgenommen,
da es sich bereits mit eigener Präfation in
dem 1475 gedruckten Missale findet.
Was die weitere Verbreitung der liturgischen
Annaverehrung in Deutschland betrifft, so nahmen
auch Diözesen, die bis dahin noch gezögert hatten,
das Fest in ihren Kirchenkalender auf. Um das
Jahr 1500 wurde es wohl in fast allen deutschen
Diözesen gefeiert. Die Landesbibliothek zu Karlsruhe
besitzt 33 handschriftliche Kalendarien aus
dem 15. Jh. mit dem Annafest.
Erwähnt sei hier besonders die Anordnung der
Provinzialsynode von Breslau unter dem Bischof
Johann von Turzo 1509, welche die Feier des
Annafestes beschloß (sub ritu duplici).
Wie in dem Fürstentum Brieg, so wurde auch in
der Diözese Münster das Annafest als öffentlicher
Feiertag eingeführt, was in Irland und England
schon längst der Fall gewesen war. Die Synode
von Arboga hatte schon 1417 verordnet, daß das
Annafest (9. Dezember) in der Kirchenprovinz
Uppsala als Feiertag begangen werden sollte.
In manchen Kirchen, wie z. B. in der Diözese
Ermland, wurde es noch 1586 durch Bischof Cromer
auf den Sonntag nach dem
26. Juli verlegte.
Da schien es, als ob der Siegeslauf, den die
liturgische Annaverehrung durch alle Länder
Europas angetreten hatte, plötzlich zum Stillstand
gebracht, ja sogar ganz rückgängig gemacht werden
sollte, und zwar durch einen Papst, den die
Kirche wegen seines Glaubenseifers der Zahl
der Heiligen eingereiht hat. Bei der Neuordnung
der liturgischen Bücher ließ Pius V. (+1572),
ein Dominikaner, leider das Fest der hl. Anna
aus dem kirchlichen Kalender entfernen. Hierzu
bestimmten ihn nicht prinzipielle Bedenken über
diese Verehrung, sondern das Bemühen, die alte
Ordnung möglichst wiederherzustellen. Alle Meßbücher,
die nicht 200 Jahre alt waren wurden abgeschafft.
Allerdings hatten die Dominikaner nie für das
Fest geeifert.
Inhaltsverzeichnis
9. Kap.
Abt Trithemius und sein Kreis
Man würde sehr irren, wollte man glauben, die
Verehrung der hl. Anna habe nur bei dem schlichten
Volk in Blüte gestanden; nein, es war die ganze
Nation von einem Rausch der Begeisterung erfaßt,
an ihrer Spitze die Humanisten, während manche
Theologen sich abseits hielten. Keiner hat damals
zu dieser Begeisterung durch seine Schriften
mehr beigetragen als der schon erwähnte Abt
Trithemius von Sponheim, einer der gelehrtesten
und angesehensten Männer seiner Zeit. Sein Name
ist mit der Blütezeit der Annaverehrung so unzertrennlich
verknüpft, daß wir seiner Tätigkeit hier ausführlicher
erwähnen müssen.
Geboren 1462 zu Trittenheim bei Trier als Sohn
des Johannes Heidenberg, trat er mit 20 Jahren
in das Benediktinerkloster Sponheim bei Mainz
und wurde schon im folgenden Jahr, obwohl noch
nicht Priester, wegen seiner Tugend und Gelehrsamkeit
zum Abt erwählt. Dem Brauch der Zeit gemäß änderte
Johannes den Namen nach seinem Geburtsort in
Trithemius um. 1506 legte er sein Amt nieder
und zog sich in das Schottenkloster St. Jakob
zu Würzburg zurück. Bis zu seinem Tod 1516 wirkte
er unablässig im Dienst der Wissenschaft und
der Frömmigkeit, was ihm manche Bitterkeit zuzog.
Ein Teil seiner ausgedehnten schriftstellerischen
Tätigkeit galt dem Lob der Mutter Anna und der
Verbreitung ihrer Verehrung. Der fromme Abt
war von einem wunderbaren Eifer für die Verehrung
der hl. Anna beseelt; er hielt sie für so
wichtig, daß er in ihr geradezu das geeignete
Mittel erblickte, um in der Zeit des absterbenden
Glaubens und der erkaltenden Liebe die Menschheit
vor dem völligen Verderben zu bewahren.
Die erste Schrift veröffentlichte Trithemius
1494 unter dem Titel: Lob der heiligen Anna, und zwar auf
Veranlassung des bereits erwähnten Karmeliterpriors
Rumold Laupach zu Frankfurt, der selbst ein
begeisterter Annaverehrer war. Er teilte die
ganze Schrift in sechzehn Kapitel ein, von denen
die drei ersten eine feurige Aufmunterung zur
Verehrung Annas enthalten; im vierten wendet
er sich gegen die Widersacher dieser Andacht,
im fünften hebt er hervor, daß Anna bereits
vor Erschaffung der Welt von Gott zur Mutter
Marias auserwählt sei. Das sechste Kapitel
schildert ihr tugendhaftes Leben und das siebente
gibt die Gründe für ihre Verehrung an, besonders
für ihre unbefleckte Empfängnis, die er nachdrücklich
verteidigt. Ferner spricht er von der Darstellung
Marias im Tempel durch Anna, von der Macht
ihrer Fürbitte, von den durch sie bewirkten
Wundern und Wohltaten und von der Art ihrer
Verehrung. Er schließt mit einer Mahnung an
die Mitglieder der von Rumold Laupach zu Frankfurt
eingeführten Bruderschaft, ihren Pflichten stets
treu nachzukommen.
Mit großem Eifer Trithemius ermuntert die Gläubigen
zur Verehrung der hl. Anna:
„Hört mich, die ihr liebt, was euch zum Heil
gereicht, und die ihr den Herrn sucht. Von Andacht
und Liebe getrieben, erschien ich als Abgesandter
vor euch. Die Mutter der Gottesgebärerin ist
es, die mich zu euch gesandt, um euch ihre hochheiligen
Verdienste vor Augen zu stellen. Aber ich komme
zu euch nicht mit hoher Rede, sondern als Einfältiger
zu Einfältigen, als Andächtiger zu Andächtigen.
Wenn ihr die Gnade der Menschwerdung des Herrn
hochschätzt, warum liebt ihr denn nicht auch
diejenigen, die dabei als Werkzeug gedient,
das ist diejenigen, von denen der Sohn Gottes
dem Fleisch nach abstammt. Wäre ihr Wandel nicht
im höchsten Grad heilig gewesen, hätte er Gott
unmöglich so wohlgefällig sein können. Dadurch,
daß Gott wollte, daß sein Sohn aus ihrem Geschlecht
hervorgehe, hat er deutlich gezeigt, wie heilig
dieselben waren, und wie sein Wohlgefallen auf
ihnen ruhte. Unter diesen strahlt nun vor allen
anderen jene hervor, welche Gott, weil sie ihm
vor allem wohlgefällig war, zur Mutter seines
Eingeborenen auserwählte, das ist die allzeit
reine Jungfrau Maria, von Anna ohne Makel geboren
und von ihr in der Furcht des Herrn aufs heiligste
erzogen. Der Sohn dieser Jungfrau, die sich
durch ihre Heiligkeit vor allen auszeichnet,
ist Gott, der uns durch sein bitteres Leiden
und Sterben erlöst hat. Wenn ihr nun die
Tochter liebt, warum ehrt ihr nicht auch die
Mutter? Wäre die Mutter nicht gewesen, würdet
ihr ja die Tochter nicht haben.
An euch also, die ihr dieses Tal der Tränen
bewohnt, richtet sich meine Rede; an euch, ihr
Kinder Adams, die ihr aus euerm Vaterland vertrieben
seid, wende ich mich; für euch alle, die ihr
durch das kostbare Blut des Sohnes Gottes erlöst
worden, schreibe ich diese Zeilen. Euch rufe
ich zu, euch ermahne und ermuntere ich, wenn
ihr den Sohn Gottes liebt, auch seine Verwandten
dem Fleisch nach zu verehren. Unter diesen verdient
nach der hochgebenedeiten Gottesgebärerin die
hl. Anna, deren erhabene Verdienste uns alltäglich
durch so viele Wunder bezeugt werden, vor allen
andern unsere Verehrung. Erwählt also Anna
zu eurer Schutzpatronin und verehrt sie
mit aller Andacht, wenn ihr Gott, dem Lenker des Weltalls, wohlgefällig
sein wollt. Glaubt es mir, Brüder; denn was
ich zu sagen im Begriff bin, beruht auf Wahrheit:
wenn ihr diese ehrwürdige Mutter von ganzem
Herzen liebt und verehrt, werdet ihr durch eigene
Erfahrung kennenlernen, welche Huld der Herr
des Himmels ihr erweist.
So groß ist ja ihre
Macht bei Gott, daß sie ohne Verzug alles erlangt,
um was immer sie bittet. Wenn wir mit Recht
glauben, daß der König des Himmels seine Mutter
vor allen anderen ehrt, so müssen wir auch annehmen,
daß er nach derselben der Mutter Anna größere
Ehre erweist als allen anderen Heiligen. Und
gar oft erlangt Anna den Gläubigen etwas,
was ihnen die Tochter nicht zukommen läßt;
nicht
etwa als ob Maria die Bitte nicht zu erfüllen
vermöchte, sondern weil sie durch liebevolle
Rücksicht auf ihre Mutter uns selbst auch zur
Verehrung der Mutter antreiben möchte. Sollte
vielleicht einer bei der hl. Anna nicht so schnelle
Hilfe finden, wie ich in Aussicht gestellt,
der soll uns nicht der Lüge zeihen, sondern
den Grund hiervon in seinem Mangel an festem
Vertrauen suchen.
Anna war heilig, bevor
sie die Mutter Gottes in ihrem Schoß empfing.
Nachdem sie dieselbe aber empfangen, wurde sie
noch mehr geheiligt, weil sie das Wohnzelt derjenigen
zu werden verdiente, welche vor allen Geschöpfen
voll Gnade war. Wenn wir nun den Schrein, in
welchem Reliquien von Heiligen aufbewahrt werden,
für heilig und ehrwürdig halten, um wieviel
mehr müssen wir dann die ehrwürdige Anna, in
welcher die Gottesmutter ohne Makel ruhte, als
geehrt und geheiligt verehren! Ja, wahrhaft
heilig ist diejenige, von welcher ohne Makel
der Erbsünde Maria, die an Heiligkeit alle Geschöpfe
übertraf, geboren wurde; wahrhaft heilig
ist jene, welche zur Mutter der Gottesgebärerin
auserwählt wurde, bevor sie noch geboren
war. O Schoß, stets mit Ehrfurcht zu nennen,
weil würdig befunden, daß sich in ihm die makelreine
Arche Gottes bildete! O glücklicher Leib, der
die Himmelskönigin getragen ! O glückliche Brust,
welche die Mutter Gottes zu nähren verdient!
Eilt ihr Völker von allen Seiten herbei und
empfangt Segen von dem Verdienst einer so mächtigen
Schutzpatronin! Wir zweifeln nicht, daß der
Allmächtige durch ihre Fürbitte den Sterblichen,
welche sie mit heiliger Andacht verehren, große
Gnaden verleihen wird, nicht geringer, als er
mittels ihrer Tochter uns zu verleihen pflegt.
Wenn ihr also, ihr gläubigen Völker, die ihr
die Tochter der hl. Anna als Mutter Gottes verehrt,
nun im Schatten der Heiligkeit von Mutter und
Tochter Schutz und Ruhe findet, in der Liebe
Gottes Fortschritte machen und ins himmlische
Vaterland gelangen wollt, vergeßt die hl. Mutter
Anna nicht.
Keine andere hat ja
nach der Königin am himmlischen Hof so große
Macht wie sie, weil aus ihr der Sohn Gottes
von einer Jungfrau Fleisch angenommen. In welcher
Trübsal ihr immer eure Zuflucht zu ihr nehmen
mögt, ihr werdet Hilfe finden. Sie vermag für
euch alles zu gewähren, um was ihr immer mit
festem Vertrauen sie bitten werdet. Sie
heilt die Kranken, macht uns von Sünde rein,
erfüllt die Herzen der Betrübten mit heiliger
Freude, stillt die Trauer, macht glatt das Rauhe,
verscheucht die Gaukelbilder der höllischen
Geister. Wie das Eis keinen Bestand vor dem
Feuer, so entweicht auch der alte Erbfeind unseres
Heiles, durch die Verdienste
der hl. Anna in Schrecken gesetzt. Anna, die
Arche der Frömmigkeit, hält fern von uns die
Schande, wahrt den guten Ruf, macht die Herzen
frei von der unlauteren Liebe.
Verehrt daher Anna
ihr alle, die ihr unter der drückenden Last
des irdischen Lebens seufzt. Anna erlangt den
Sündern Verzeihung, rottet die Laster aus, pflanzt
die Tugenden ein. Anna macht die Kranken gesund,
heilt die Wunden, tilgt die Pest. Verehrt also
Teuerste diese Mutter, welche euch vor das Angesicht
Gottes im Himmel zu führen vermag. Derjenige,
dessen Schutzpatronin Anna bei Gott ist, braucht
sich vor keiner Widerwärtigkeit dieser Welt
zu fürchten.
Wer immer also auf
Erden ein ruhiges und heiliges Leben zu führen
wünscht, wer immer von Gott Verzeihung seiner
Sünden erflehen will, der sage sich von ihrem
Dienst nimmer los. Sie belohnt ihre Diener
schon in diesem Leben mit vielerlei Wohltaten,
und denjenigen, die ihr bis zum Tod treu bleiben,
erlangt sie die Krone des ewigen Lebens. Ich
bin nun bereits an Jahren, und doch sah ich
noch nie einen eifrigen Diener der hl. Anna
von Gott verlassen oder seinen Namen mit Schande
bedeckt. Deshalb bitte ich euch, ihr Gelehrten
und Männer der Wissenschaft, die Andacht der
Einfältigen nicht zu verachten und die der hl.
Anna gezollte Verehrung nicht zu verurteilen,
als wäre diese Andacht etwas Neues; bestrebt
euch vielmehr, nach Möglichkeit daran teilzunehmen."
(Aus der Übersetzung von H.
Rickenbach, Ruhmeskranz der hl. Anna, 173 ff.).
Solche begeisterten Lobsprüche des gelehrten
Benediktiners konnten nicht ohne Wirkung bleiben.
Sein Buch erlebte in Mainz mehrere Auflagen
und wurde noch im selben Jahr 1494 auch in Leipzig
gedruckt, wo es 1497 und 1512, vermehrt mit
der Legende der hl. Anna, neu aufgelegt wurde.
Aber auch Widerspruch blieb nicht aus, der sich
allerdings nicht gegen die Annaverehrung richtete,
sondern gegen die von Trithemius stark betonte
unbefleckte Empfängnis Mariä. Der Dominikaner
Wigand Wirt zu Frankfurt widersprach in einer
anonymen Schrift. Trithemius fertigte ihn in
einer scharfen Erwiderung so gründlich ab, daß
Wirt schweigen mußte.
Mit der Abfassung dieser einen Schrift begnügte
sich der eifrige Abt nicht. Noch im gleichen
Jahr 1494 dichtete er zwei Gedichte. Ferner
verfaßte er für Richmond von Horst, Äbtissin
von Seebach bei Speyer, ein Bittgebet, die Anfangsbuchstaben
der einzelnen Worte ergaben den Sinn: Gib rechte
Gesinnung mir armen Johannes Trithemius und
der Jungfrau und frommen Braut Christi Richmond
von Horst.
Für das Meßbuch der Diözese Speyer
stellte er 1498 ein Meßformular für den Annatag
zusammen, und unter ein Bildnis der Heiligen
schrieb er folgendes Distichon:
Wer in der Not sich
befindet und ruft zur heiligen Anna Andachtsvoll, der
wird ruhig und sicher stets sein.
1499 verfaßte er ein
neues Bittgebet, einen Kursus (kanonische Tageszeiten)
und einen Rosenkranz zu Ehren Annas,
Gebete, welche solchen Anklang fanden, daß der
Kardinallegat Raymund von Gurk sich bei Anwesenheit
auf dem Reichstag zu Frankfurt abschreiben ließ
und mit einem Ablaß von achtzig Tagen versah.
Die Matutin hat nur
drei Lektionen, und jede Tageszeit (Hore) wird
mit einer Begrüßung Annas eingeleitet. Diese
Begrüßung bildet auch die Einleitung des Rosariums,
es folgen in fünf Reihen je zehn Lobpreisungen
Annas mit je einem Ave; jede Dekade schließt
mit einem Vaterunser und Ave; zum Schluß wird
eine Oration mit Versikel und Responsorium verrichtet.
Ebenso approbierte Kardinal Raymund eine
Sequenz, welche Trithemius auf Bitten des Erzbischofs
Johann von Trier und seiner Sekretäre gedichtet
hatte; sie sollte der von ihnen in Koblenz
gegründeten Annabruderschaft dienen und bei
der Dienstagsmesse gesungen werden.
Bis jetzt nicht gedruckt sind des Abtes Miracula
s. Annae (Wunder der hl. Anna), geschrieben
1495, und eine dritte Sequenz, welche er auf
Bitten des Karmeliterprovinzials Johannes
verfaßte, und die mit den Worten beginnt: Jubilemus
in honore (Laßt uns jubilieren zu Ehren), und
die in den Anfangsbuchstaben den Namen des Bittstellers
(Joannes Fortis) enthält.
Johannes Trithemius stand mit seiner glühenden
Annaverehrung unter den Humanisten seiner Zeit
nicht allein da. Zahlreiche Namen gelehrter
Männern kurz vor Ausbruch der Reformation könnten
hier aufgezählt werden, die durch Schriften
und Gedichte ihrer Liebe zur hl. Anna Ausdruck
verliehen haben. Genannt seien nur der von Kaiser
Friedrich III. 1497 zum Dichter gekrönte Humanist
Konrad Celtis, Rudolf Lang aus Münster, Jodo
Baius (+1535) aus Gent, Dietrich Gresemund (+1512)
aus Mainz, Heinrich Bebel in Tübingen, Kaspar
Güttel, Rudolph Agricola, Werner Themar, Johann
Herst, Roger Vernrai aus Höningen bei Worms,
der Laacher Prior Joh. Butzbach, Philipp Drunck.
Selbst Erasmus aus Rotterdam schrieb
ein Gedicht zu Ehren der hl. Anna, das 1519
zu Basel gedruckt wurde. Eoban Hesse läßt Anna
in einem langen Gedicht dem Joachim ihr Leid
und ihren Kummer klagen. Hesse machte 1518 mit
Magister Johann von Werter eine Reise nach Rotterdamm,
um Erasmus die Huldigung der Erfurter Poeten
zu überbringen. Von Bonn wandte er sich nach
Düren, wo er mit seinem Begleiter die Annakirche
besuchte, um die Reliquien der Heiligen zu verehren
und den Schutz ihres Enkels Christus für die
Weiterreise zu erflehen.
Unter den Humanisten im Elsaß war es nur
Sebastian Braut, der der hl. Anna huldigte,
noch mehr verehrte er freilich St. Joachim:
Fecerit Anna licet
miracula multa, colatur Et Joachim: faciet plurima
mira, scio. - Bewirkt Anna viele Wunder,
verehrt auch Joachim, er, so weiß ich, bewirkt
mehr.
Geiler von Straßburg
erwähnt ihren Namen nur einmal gelegentlich
in einer Predigt auf die Darstellung Mariä.
Wimpfling und seine Schüler dagegen waren der
Anna-verehrung nicht gewogen.
Wir möchten nicht unterlassen, hier einige Zitate
dieser Dichtungen in Übersetzung zu bringen.
Der 1508 zu Wien verstorbene Celtis schrieb
folgende Distichen:
|
Keiner noch hat je umsonst zur heiligen Anna
gerufen,
Jedem gewährt sie stets, was er verlangt von
ihr.
Laßt uns also die Mutter
voll Huld hoch ehren und lieben,
Da sie jeglichen
Wunsch ihrer Getreuen erfüllt. |
Rudolf Agricola (+1485),
der berühmte Lehrer an der Universität Heidelberg,
nahm in schwerer Krankheit seine Zuflucht zu
Anna. Aus Dankbarkeit für die Heilung verfaßte
er ein langes Lobgedicht, aus welchem wir folgende
Stellen hervorheben:
|
Sei mir, o Anna, gegrüßt,
der Gottesgebärerin Mutter,
Die den Völkern
zuerst bahnte die Pfade zum Heil
Und uns jene
gab, in deren geheiligtem Schoß
Gott, den die Erde nicht faßt, Wohnung zu nehmen
geruht.
Dich besinge ich freudig, o höre mein
Flehen und wecke
Zum Gesang mich auf: hauch heilige Begeisterung
mir ein! ...
Dich nun, o selige Frau, die so
herrlicher Frucht sich erfreut,
Bitten wir alle, daß du gnädig uns leihst dein Ohr.
Leicht ja und Wonne ist's dir, uns zu helfen,
vereint mit der Tochter:
Darum bringt zumal
unsere Bitten vor Gott.
Nimmer werden vereitelt wir sehen unsere Wünsche,
Wenn wir uns wenden an dich, wenn du uns redest
das Wort:
Wer zur Seite dich sieht, der erhebet
mutvoll die Stirn
Und verbannt die Furcht, daß er fleht umsonst.
Nichts ja versagt
dir die Tochter
und nichts der Tochter der Enkel:
Wie die Tochter dich ehrt, also die Mutter er
liebt.
Mutter nennest du dich,
und Mutter heißt die Tochter;
Mache du geltend dein Recht, mache es geltend
auch sie.
Dann wird unser Gebet erhört am Thron
des Höchsten;
Denn was immer du willst, will
auch die Tochter und Gott.
Jedes Geschlecht
und jeglicher Stand und jegliches Alter
Ruft
um Hilfe dich an, Reiche und Arme zumal.
Du verleihest Bestand den tückischen Gütern
des Glückes,
Machst, daß diese uns nicht wieder
entfliehen im Nu.
Reichlich gewährest du uns, was lindert die
Mühsal des Lebens,
Bringst uns wieder zurück,
was uns entronnen schon schien.
Zu dir fleht Hilfe die hoffende Mutter; dir
weiht
Die jungfräuliche Maid ihr noch jungfräulich
Gebet.
Zu dir ruft empor,
wenn von lüsternen Bildern umgaukelt,
Die noch
kindliche Scham fleht um Rettung und Sturm.
Siehe, die einen umstrickt
der Lästerer Lügengewebe,
Schamlos und frech,
und das Volk glaubt dem Gerede zumal.
Jene bedrückt
ein schweres Geschick, und es bleibt ihr Auge
Immer von Tränen benetzt, gleichwie bei Tag
so bei Nacht,
Andere verfolgt die Liebe mit
ihren grimmen Geschossen:
Wen sie getroffen,
der geht kettenbelastet einher.
Jeglicher fleht zu dir: und du zähmst der Lästerer
Zunge,
Nimmst die Trauer hinweg, löschst der
Liebenden Glut,
Heilst der Leidenden
Schmerz und bändigst der Wütenden Ingrimm,
Welcher mit Strick
und mit Schwert, welcher mit Gift uns bedroht.
Keiner in Not und Gefahr hat zu dir um Hilfe
gerufen,
Dem du verschloßt
dein Ohr, dem du nicht Rettung gebracht;
Und
so nahe mein Fuß dem Rand des Grabes gestanden:
Anna, ich flehte zu
dir, Anna, du hörst mein Flehen!
Du bist mein sicheres Heil, du meine Stütze
des Lebens;
Du mein Leitstern und Port, meine
Erquickung und Ruh!
Drum preis dich mein Sang, und nimmer verstumme
mein Loblied,
Und es dringe dein Ruhm hoch zu
den Sternen empor!
Was nur immer die Stimme vermag, was immer die
Zunge,
Was der Odem und Geist, was meine Brust
und der Mund:
Dir sei es, Anna, geweiht, dein
Lob verkünde der Erdkreis,
Und dein Name fortan
gelte als heilig der Welt.
|
Wie St. Anna selbst in den allerhöchsten Kreisen
ihre Verehrer hatte, sahen wir oben aus der
Tatsache, daß Kais er Maximilian sich zu Worms
in ihre Bruderschaft aufnehmen ließ. Hier sei
noch auf ein merkwürdiges Beispiel dieser -
wir dürfen wohl sagen - Schwärmerei in der kaiserlichen
Familie hingewiesen. Die Kaiserliche Gemäldegalerie
zu Wien besitzt ein von B. Striegel 1515 gemaltes
Bild des Kaisers Maximilian und seiner Familie;
die einzelnen Familienmitglieder waren ursprünglich
mit dem Namen der Mitglieder der hl. Sippe bezeichnet.
Später (nach 1558), als die Annaverehrung nachgelassen
hatte und man die Bezeichnung als unpassend
fand, wurden die Namen übermalt und die richtigen
Bezeichnungen an ihre Stelle gesetzt. Um über
den Sinn der Namen keinen Zweifel zu lassen,
war auf der Rückseite des Bildes eine heilige
Sippe angebracht.
Das Gemälde von Lorenzo d'Alessandro von S.
Severino zeigt die enge Verbindung von Anna
und Maria und trägt die Inschrift: Mater
Dei, memento mei.
Wir schließen dieses Kapitel über die Huldigung
der hl. Anna durch Dichter und
Gelehrte mit dem Sonett eines der berühmtesten
italienischen Poeten.
Es ist Torquato Tasso (+1595), der Sänger
des "Befreiten Jerusalem", der während seines
Aufenthaltes im St. Annahospital zu Ferrara
folgende Verse niederschrieb:
|
O Hehre, der
geweiht diese Räume,
Dem Kranken eine süße Zufluchtsstätte,
Wenn
ich mit reinem Sinn zu dir bete,
Blick hin auf mich, zu retten mich nicht säume:
Der wilden Stürme Ungetüme zäume,
Die mir das Herz durchtoben um die Wette!
An
deinem Fest von der Qual mich rette:
Schenk Frieden mir, die Sehnsucht meiner Träume!
O tu, du kannst es ja, mir huldvoll dies Gefallen,
Daß neu die Liebe sich zu dir entzünde
Und dir mein Leid erkling mit reinerem Ton;
Dir, deren Enkel herrscht in des Himmels Hallen
Und deren Tochter von dem Gotteskind
Erhoben wurde zu dem höchsten Thron. |
Inhaltsverzeichnis
10. Kap.
Ursache
der wachsenden ANNA-Verehrung
Man fragt sich unwillkürlich, welches denn die
Ursachen für die außergewöhnliche Verehrung
der hl. Anna am Ende des Mittelalters waren.
Um dieselben kennenzulernen, müssen wir einen
ganz kurzen Rückblick auf die Entwicklung
der Lehre von der unbefleckten Empfängnis Marias
werfen. Obwohl seit den ältesten Zeiten
in der Kirche die Auffassung herrschte, daß
Maria niemals mit der Erbsünde behaftet gewesen,
so war von der höchsten kirchlichen Autorität
noch nicht die Entscheidung ausgesprochen, daß
diese Lehre als Glaubenssatz anzusehen sei.
Es hat daher auch nie an Männern gefehlt, die
zwar jede Sünde von Maria ausschlossen, aber
die Ansicht vertraten, sie sei wie Johannes
der Täufer erst im Mutterschoß von der Erbsünde
gereinigt worden. Diese Meinung wurde besonders
seit dem 12. Jh. von einigen angesehenen Gelehrten
vertreten, als sich das Fest der unbefleckten
Empfängnis in England und Frankreich immer weiter
ausbreitete.
In eine neue Phase der Entwicklung gelangte
diese Frage im 13. Jh., indem von den damals
entstandenen Dominikaner- und Franziskanerorden
der erste gegen, der zweite für die unbefleckte
Empfängnis eintrat. Schon im Jahr 1263 beschlossen
die Franziskaner auf dem Generalkapitel zu Pisa,
das Fest der unbefleckten Empfängnis im ganzen
Orden mit großer Feierlichkeit zu begehen.
Namentlich war es der sel. Franziskaner Johannes
Duns Skotus (+1308), der als Professor der
Theologie zu Paris und Köln, wo er auch begraben
liegt, mit großem Erfolg für die unbefleckte
Empfängnis tätig war. Seitdem machte der Franziskanerorden
die Verteidigung dieser Lehre zu seiner Ehrensache.
Bald schlossen sich ihm auch die meisten
andern Orden an, die Benediktiner, Zisterzienser,
Karmeliter und Augustiner. Indes schwiegen
die Gegner nicht. Auf dem Konzil zu Basel (seit
1431) trat der Dominikaner Johannes von Montenegro
öffentlich gegen die Lehre auf. Das Konzil tat
aber das Gegenteil. Es erklärte
1439, die Lehre von der unbefleckten Empfängnis
entspricht dem kirchlichen
Gebrauch, dem katholischen Glauben und der Hl.
Schrift, und das Fest sollte fortan in allen
Kirchen und Klöstern gefeiert werden.
Weil jedoch das Konzil zur Zeit, als es diesen
Satz aussprach, mit dem Papst Eugen nicht mehr
in Verbindung stand, hielten die Gegner seine
Bestimmungen nicht für verpflichtend. Der Streit
wurde noch heftiger und in Italien mit Erbitterung
geführt.
Da erstand den Freunden der kirchlichen Lehre
ein mächtiger Helfer in dem Franziskaner Francesco
della Rovere, der als Sixtus IV. (1471-1484)
den päpstlichen Thron bestieg. Im Jahr 1483
erließ er nacheinander drei Bullen, worin er
das von dem Franziskaner Bernardin von Busti
verfaßte kirchliche Officium von der unbefleckten
Empfängnis guthieß und zugleich den Gegnern
verbot, sich gegenseitig des Irrtums zu beschuldigen.
Wenngleich er durch diese Erklärung der gegenteiligen
Lehre einen gewaltigen Stoß versetzte, so dauerte
es doch noch geraume Zeit, bis der Streit zur
Ruhe kam. Noch 1494 geriet der Dominikaner Wiegand
Wirt, wie bereits erwähnt, darüber mit Trithemius
in eine heftige Fehde.
Bei diesen wissenschaftlichen
Kämpfen um die unbefleckte Empfängnis Marias
konnte man unmöglich diejenige vergessen, in
deren Schoß sich jenes Geheimnis vollzogen hatte.
Die Mutter Anna trat in der ganzen Frage vielfach
sogar in den Vordergrund. In der byzantinischen
Kirche hatte man überhaupt seit alters das
diesbezügliche Fest „Empfängnis der hl. Anna"
genannt und am Tag danach (9. Dez.) das
Fest der hl. Anna gefeiert. Sie war es ja, die
der Gottesmutter das Leben geschenkt, sie war
gewissermaßen das neue Erdreich, aus dem Gott,
wie einstens den Adam aus der noch nicht fluchbeladenen
Erde, jetzt die Mutter seines eingeborenen Sohnes
schaffen wollte. Aus den Früchten erkennt man
den Baum. Mit welch erhabenen Tugenden mußte
also Anna geschmückt sein, die einer so wunderbaren
Tochter das Leben schenkte. Gebührt Lob und
Ehre der Tochter, wie hätte man die Mutter übergehen
dürfen. So fiel ein heller Lichtglanz von der
allerseligsten Jungfrau Maria auf die Mutter
Anna, besonders wenn es sich um die unbefleckte
Empfängnis handelte. Man konnte davon nicht
reden, ohne zugleich der Mutter zu gedenken.
In einer Zeit also, wo die Lehre der unbefleckten
Empfängnis Marias immer mehr Anhänger fand und
das Fest in stets weiteren Kreisen gefeiert
wurde, mußte auch die Verehrung der hl. Anna
in gleicher Weise zunehmen. Das war aber der
Fall seit dem Ende des 14. Jh. Daher mehren
sich auch seit dieser Zeit die bildlichen Darstellungen
der hl. Anna, namentlich der Selbdritt, wodurch
der Gedanke der unbefleckten Empfängnis einen
volkstümlichen und anschaulichen Ausdruck gewann.
Indem man die Mutter Anna ehrte, sie
im Bild darstellte und ihr Fest feierte,
feierte man auch zugleich das Geheimnis der
unbefleckten Empfängnis.
Aus dem Gesagten
ergibt sich von selbst, weshalb der Franziskanerorden
so frühzeitig für die Verehrung Annas eintrat.
Als eifriger Verteidiger der Lehre von
der unbefleckten Empfängnis Mariä handelte er
nur folgerichtig, wenn er fast von
dem Beginn seines Bestehens auch die Verehrung
der hl. Anna förderte, wie der Beschluß des
General-kapitels zu Pisa 1263 zeigt, und wenn
Männer wie Albert von Forli oder Bernardin von
Busti den Papst Sixtus IV. zur Einführung des
Annafestes in die römische Kirche anregten und
sich dieser als eifriger Verehrer der hl. Anna
erwies.
In Polen ermahnte
um diese Zeit der Franziskaner Nikolaus
Sokolniki, ein hervorragender Kanzelredner,
in jeder Predigt seine Zuhörer zur Verehrung
Annas. Als glühender Verehrer der Heiligen starb
er auch an einem Dienstag.
Den Zusammenhang der
Annaverehrung mit dem Geheimnis der unbefleckten
Empfängnis zeigt auch ein damals verbreitetes
Ablaßgebet, mit folgendem Wortlaut:
Gegrüßt bist du, Maria, voll Gnaden, der
Herr ist mit dir, deine Gnade sei mit mir. Gesegnet
bist du unter allen Frauen und gesegnet sei
deine hl. Mutter Anna, von welcher geboren ist
ohne Sünde und Unreinheit dein heiliger und
gütiger Leib, aus welchem geboren ist Jesus
Christus. Amen.
- Auch hier finden wir
wieder die drei Personen, welche die zahllosen
Selbdrittbilder darstellen.
Das Gebet ist in die heutige Sprache übertragen.
Es heißt auf dem Ablaßzettel weiter: Papst Alexander
VI. hätte allen christgläubigen Menschen, die
vor dem Bild St. Anna dies oben geschriebene
Gebet dreimal
sagen, gegeben 10000 Jahr Ablaß tödtlicher Sünden
(Sündenstrafen) und 20000 läßlicher Sünden.
Das hat er also confirmiert und bestätigt zu
Rom, da man schreibt 1494. Deo gratias. Laus
Deo. Es finden sich in der angeblichen Konformation
einige Verschiedenheiten. Vgl. Schaumkell, Annakultus
22; Falk, „Der Katholik" 1878, 72; Schreiber,
Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et
sur metal II, n. 1191, 1195. Das Gebet ist in
der vorliegenden Form gewiß fraglich. Vgl. auch
Polius, Exegeticon 378, wo bereits auf dessen
weite Verbreitung hingewiesen wird.
Dieses Gebet muß damals
bei den Gläubigen sehr beliebt gewesen sein,
denn es findet sich in dem Gebetbuch „Seelengärtlein"
(Hortulus animae) aus den Jahren
1502, 1511, 1512, 1515, 1521. Auch druckte man
es auf einzelne Blätter mit dem Bild Anna selbdritt.
Solche Blätter klebte man an die Tür, an die
Wand und an die Bettstelle. Das Museum in Nürnberg
ist im Besitz eines solchen Blattes.
Abgesehen von der gegen Ende des Mittelalters
allgemein wachsenden Verehrung der Heiligen,
die natürlich auch der hl. Anna neue Freunde
zuführte, liegt ein spezieller Grund für
ihre Verehrung in ihrer Beziehung zur Schwanger-
und Mutterschaft. Von jeher war die kirchliche
Gesetzgebung für die Sicherheit des ungeborenen
und neugeborenen Kindes eingetreten, und bereits
die Synode von Ancyra (314) verhängte strenge
Strafen über jene Frauen, welche durch unerlaubte
Mittel die Beschwerden der Mutterschaft zu verhindern
suchten. Eine besondere Sorge wandte sie den
Frauen zu, deren Niederkunft bevorstand. Ohne
von anderen Bestimmungen zu reden, sei hier
der Erlaß der Synode von Canterbury (1236)
erwähnt, welcher bestimmt, daß Frauen vor ihrer
schweren Stunde beichten sollten. Die Mutterschaft
stand in den Augen der Kleriker und Mönche durchaus
nicht in Mißachtung, wie immer noch manche Schriftsteller
uns glauben machen wollen. Scheute sich doch
Erzbischof Anno von Köln (1056-1075) nicht,
nachts für eine obdachlose Frau bei ihrer Niederkunft
auf den eigenen Schultern eine Bahre mit Stroh
herbeizutragen und für Mutter und Kind zu sorgen.
Und es ist rührend zu lesen, wie besorgt und
liebevoll der sel. Heinrich Seuse sich eines
neugeborenen Kindleins annimmt, obwohl ihm aus
dem Leben dieses Kindes die ärgste Schande droht.
Schon im 14. und 15. Jh. verrichtete man von
der Kanzel öffentliche Gebete für die schwangeren
Frauen. So heißt es in einem Gebet, das von
der ganzen Pfarrgemeinde gesprochen wurde: „Item
bittet auch um alle schwangeren Christenfrauen,
daß ihnen Gott verleihe einen fröhlichen Anblick
ihrer Geburt." Und war die schwere Stunde gekommen,
betete man schon im 10. Jh.: „O Gott, der du
von Anfang an den Menschen schufst und ihm eine
Gefährtin gabst, die ihm gleich ist, verleihe
dieser deiner Dienerin..., daß sie glücklich
und ohne allzu große Schmerzen gebäre."
Bei den unvollkommenen Mitteln der Geburtshilfe
nahm man gern zu den himmlischen Helfern seine
Zuflucht und bat die hl. Agatha, Katharina,
Barbara, Margarete und Anna um Schutz und Hilfe.
Und gerade die mit Vorliebe als Mutter Anna
bezeichnete Heilige, welche nach der Legende
drei Kindern das Leben geschenkt, wurde die
viel angerufene Patronin der Frauen, die auf
Kindersegen harrten oder sich desselben erfreuten.
Einer solchen Patronin bedurften die Frauen
in einer so kinderliebenden Zeit, welches Kinder
nicht als Last kannte, wie heute.
Dürers Vater hatte
achtzehn Kinder von einer Frau, und ebenso viele
von mehreren Frauen der Augsburger Chronist
Burkard Zink; dem Hans Antaler von Entlebuch
(Schweiz) schenkte seine Frau innerhalb dreizehn
Jahren neunzehn Kinder; Beispiele, die sich
leicht vermehren ließen. Zahlreich sind in jener
Zeit Stifterbildnisse wie jene des Ulrich Schwarz
von Basel mit zwanzig Kindern, den Holbein 1506
verewigte. Auch erscheinen auf vielen Gemälden
aus jener Zeit die Frauen wie im gesegneten
Zustand, was mit der häufigen Schwangerschaft
zusammenhängen dürfte. Es ist begreiflich, daß
die Frauen bei der oft schweren Stunde sich
vertrauensvoll an die Heilige wandten, die solche
Nöte und Gefahren kennengelernt und darum gewiß
zur Hilfe bereit war, wenn man sie vertrauensvoll
darum bat. Sie tranken mancherorts
Wasser,
das zu Ehren der hl. Anna mit vielen Gebeten
eigens geweiht wurde.
Hier und da mag auch,
wie bereits zur Zeit der Kreuzzüge, der glückliche
Erwerb einer Annareliquie dazu beigetragen haben,
der Annaverehrung neue Freunde zu gewinnen oder
ihr dort, wo sie nachgelassen hatte, neuen Antrieb
zu geben. Wurden doch gerade im 15. Jh. zahlreiche
Wallfahrten ins Hl. Land unternommen, aus dem
die Pilger vielfach mit zahlreichen Reliquien
heimkehrten.
Alle überbot in dieser Hinsicht wohl Kurfürst
Friedrich der Weise von Sachsen, der 1493 in
großer Begleitung nach Palästina fuhr und von
dort 5005 Reliquien mitbrachte. 1430 überwies
Konrad von Tannenroda und seine Gemahlin dem
Elisabethkloster in der Niedecke 830 Reliquien,
die die Eltern der Geschenkgeber in Jerusalem
und dem Hl. Land erworben hatten.
Wenn diese Verehrung auch nicht mehr seine frühere
Blüte hat, so erfreut sich die Mutter Anna doch
auch heute noch einer großen Beliebtheit beim
katholischen Volk. Die Ansicht Kleinschmidts,
daß Anna ein Modeheilige war, teile ich nicht.
Die Reformation hat noch viel mehr zerstört
und hier gilt leider, was der hl. Paulus schreibt:
”Wer euch ein anderes Evangelium verkündet,
der sei verflucht.”
In Spanien hat ihre Verehrung erst ihren Höhepunkt
erreicht, als sie in Deutschland schon erheblich
zurückgegangen war. Tausende von Bildern und
Statuen der Heiligen aus der Zeit der Renaissance
und besonders des Barock, die sich in spanischen
Kirchen und Klöstern erhalten haben, reden noch
heute laut von dieser Blütezeit ihrer Verehrung.
Dasselbe war in Italien und Polen der Fall.
In Polen, wo sich die Franziskaner der Annaverehrung
besonders annahmen, widmeten diese vielfach
der Heiligen eine besondere Kapelle an ihren
Kirchen. Der Franziskaner Nikolaus von Sokolniki
(+1521) predigte zu Poznan jeden Dienstag
unter großem Zulauf des Volkes über St.
Anna. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts dichteten
und verbreiteten die Patres volkstümliche Annalieder,
die wohl von dem sel. Ladislaus von Gielniow,
einem Franziskaner, herstammen. Der von Papst
Sixtus V. 1579 zur Erzbruderschaft erhobenen
Annabruderschaft zu Warschau gehörten König
Sigismund III., der Großkanzler Zamoyski, viele
Prälaten und Barone an. Im 17. Jh. war die Bruderschaft,
deren Leitung vielfach Franziskaner hatten,
fast in jeder Stadt des Reiches verbreitet und
tat sich im Kampfe gegen den Protestantismus
hervor.
Inhaltsverzeichnis
11. Kap.
Das Trinubium
ANNAS und die Hl. Sippe
Dies klingt für manche vielleicht neu, hat aber
seine Gründe, wir noch sehen werden. Legende
heißt eigentlich das zu Lesende. Legende ist
z.B. die Erklärung einer Landkarte. Johannes
erwähnt, daß beim Kreuz Jesu Mutter (Maria)
und die Schwester seiner Mutter, Maria, die
Frau des Kleophas stand. Matthäus erwähnt Maria,
die Mutter des Jakobus und Joseph und die Mutter
der Zebedäussöhne! Johannes verschweigt seine
Mutter, so wie er sich auch nur indirekt erwähnt.
Bald nach der Geburt Marias, der Gottesmutter,
starb Joachim. Annas sehnlichster Wunsch war
es, als Witwe in der Einsamkeit nur für Gott
zu leben. Ihre Verwandten rieten zu einer neuen
Ehe, denn früher konnte sich eine Frau kaum
allein ernähren, zumal es keine Renten gab,
sie weigerte sich dessen und floh den Umgang
der Menschen. Da erhielt sie durch einen
Engel die Verheißung, sie soll die Mutter noch
zweier Töchter werden, die gleichfalls den Namen
Maria tragen sollten.
So reichte sie Kleophas, dem Bruder Joachims,
die Hand zum Bund. Die Frucht dieser Verbindung
ist eine Tochter, die auch Maria heißt, und
die später mit Alphäus verheiratet wird, deren
Söhne die Legende gleichfalls nennt. Es sind
Jakob der Jüngere, Judas Thaddäus, Joseph
und Simon, der spätere Bischof von Jerusalem.
Aber auch Kleophas stirbt bald nach der Geburt
seiner Tochter.
Wiederum weigerte sich Anna, eine neue Ehe einzugehen.
Aber dem Rat des Engels mag sie nicht widerstehen.
Ihr dritter Mann heißt Salome oder Salomas,
ihr Kind erhält dem Befehl des Engels gemäß
ebenfalls den Namen Maria. Erwachsen, vermählt
sich diese mit Zebedäus, ihre Kinder sind
Jakobus der Ältere und Johannes der Evangelist.
Dies würde auch erklären, warum Jesus seine
Mutter Johannes anvertrauen konnte. Da Johannes
mit ihnen verwandt war, war es ihm erlaubt mit
Maria zusammen-zuleben. Und dies erklärt auch,
warum bei der Kreuzigung Maria Kleopas und Maria
Salome bei Maria waren und namentlich erwähnt
werden.
So war denn Anna die Ahnfrau einer großen
hl. Familie geworden. In ihrem Alter kannte
sie nur eine Freude, den Umgang mit Gott im
Gebet, und widmete sich der Erziehung ihrer
drei Töchter. Es konnte nicht ausbleiben, daß
sie einen hohen Grad der Heiligkeit erlangte.
Die Menschen schauten mit Bewunderung
auf die gottliebende Matrone.
Damit ist die Legende nicht zu Ende. Sie nennt
auch die Eltern der hl. Anna mit Namen und deren
zweite Tochter Esmeria; sie heißen Stollanus
und Emerentiana oder, wie andere meinten, Isachar
und Susanna. Esmeria (Hismeria) (zuweilen
Hysmeria; in irisch-schottischen Handschriften
auch Emeria.), die Schwester Annas, so
erzählt die Legende weiter, war vermählt mit
einem Mann namens Ephraim, ihre Kinder waren
Elisabeth und Eliud. Elisabeth heiratete Zacharias
und schenkte ihm im Alter Johannes den Täufer.
(Namen ändern sich in der Sprachen: Johannes
= Jean - John - Ivan - Juan - Giovanni - Ian
usw.)
Eliud hatte als Gattin Emerentia, ihr Sohn war
Enim und ihr Enkel Servatius, der spätere
Bischof von Lüttich, Maastricht und Tongern.
Übersicht dieser Genealogie:
Diese Genealogie findet sich im wesentlichen
schon in der Goldenen Legende des Dominikaners
Jakob de Voragine (+1298) und wurde dadurch
Gemeingut des katholischen Abendlandes. Einen
Hinweis haben wir in der Hl. Schrift selbst
zu sehen, welche von den „Brüdern" Jesu
und von den „Schwestern" seiner Mutter spricht.
Die Legende hat hier ergänzt, was das Evangelium
im einzelnen verschweigt. Sie bietet uns ein
interessantes Register der Verwandtschaft Jesu,
welches bei Bildern und anderen Kunstwerken
im späteren Mittelalter eine große Rolle spielt,
und sie ermöglichte es, die Apostel Jakobus,
Judas Thaddäus und Johannes als wahre Vettern
Jesu anzusehen.
Von Emerentiana, der Mutter Annas, berichtet
der deutsche Karmelit Peter Dorland folgendes:
77 Jahre vor der Menschwerdung Christi lebte
in Judäa eine Jungfrau aus dem Geschlecht Davids,
die sehr reich und von wunderbarer Schönheit
war; sie brannte vor Verlangen nach der Ankunft
des Erlösers. Mit Erlaubnis ihrer Eltern besuchte
sie häufig die Propheten auf dem Karmel, von
denen sie in der Wissenschaft des Heils unterrichtet
wurde. Als sie in das heiratsfähige Alter getreten,
wünschten ihre Eltern, daß sie eine Ehe eingehe.
Emerentiana hatte sich aber schon so sehr mit
dem Gedanken steter Jungfräulichkeit vertraut
gemacht, daß sie zu den Karmelitern eilte und
ihnen die Sache vortrug. Da diese mit Fasten
und Gebet Gottes Willen zu erkennen suchten,
wurden drei von ihnen verzückt, und sie erblickten
eine sehr schöne Wurzel, aus der ein doppelter
Baum hervorging, von denen der eine einen prachtvollen
Zweig mit drei kleinen Zweigen trug. Das erste
Zweiglein trug eine Blume von wunderbarem Geruch
und köstlicher Pracht, wovon Himmel und Erde
angefüllt wurden. Auch die beiden anderen Zweiglein
trugen Blüten, die an sich zwar sehr schön,
im Vergleich mit der ersten aber nichts waren.
Desgleichen ging aus dem zweiten Baum ein schöner
Zweig mit prächtiger Frucht hervor, die aber
hinter der ersten weit zurückstand. Zugleich
ertönte eine Stimme: Diese Wurzel ist unsere
Emerentiana, welcher eine große Nachkommenschaft
beschieden ist. Da die Jungfrau diese Vision
erfuhr, gehorchte sie Gott und den Eltern und
reichte dem Stollanus die Hand zur Ehe, aus
welcher zwei Töchter hervorgingen, Esmeria und
Anna.
Das griechische Kalendarium
(Synaxarium) aus dem 11. Jh. kennt noch eine
dritte Schwester Annas mit Namen Sobe. - Es
folgt dann die Legende über das Leben Annas,
wie wir es eben erzählt haben.
Die Legende von der
dreimaligen Heirat Annas oder das Trinubium
hat sich nicht, wie man vielfach annimmt, erst
gegen Ende des Mittelalters gebildet, auch wurde
sie nicht erst durch die Goldene Legende des
Jakob de Voragine verbreitet. Ihr Ursprung reicht
weit höher hinauf. Sie ist bereits dem
Haymo von Halberstadt (+853) bekannt, der sie
in seinem Auszug der hl. Geschichte mit denselben
Worten erzählt wie das spätere Mittelalter;
doch hat auch er dies von anderen übernommen,
„welche (die Genealogie) genauer untersucht
haben”. Wir führen seine Worte an, um zu zeigen,
wie wenig das späte Mittelalter hinzugefügt
hat. „Maria, die Mutter des Herrn, und Maria,
die Mutter des Jakobus, des Bruders Christi,
und die andere Maria... waren Schwestern, welche
von verschiedenen Brüdern gezeugt, aber von
derselben Mutter, nämlich Anna, geboren waren.
Anna heiratete nämlich zuerst den Joachim und
gebar ihm Maria, die Mutter des Herrn. Nach
dem Tod Joachims heiratete sie Kleophas und
schenkte einer zweiten Maria das Leben, welche
im Evangelium Maria Cleophä genannt wird. Kleophas
hatte einen Bruder Joseph, dem er seine Stieftochter,
die hl. Jungfrau Maria vermählte, seine eigene
Tochter aber gab er dem Alphäus zur Gattin,
welche die Mutter des Jakobus Minor und eines
zweiten Joseph wurde. Nach dem Tod des Kleophas
heiratete Anna einen dritten Mann, nämlich Salome,
und gebar eine dritte Maria, die dem Zebedäus
vermählt wurde; ihre Söhne waren Jakobus der
Ältere und Johannes der Evangelist."
Diese Meinung, welche
schon zur Zeit Haymos Verbreitung gefunden hatte,
blieb freilich nicht unwidersprochen, da Bischof
Fulbert von Chartres mit Eifer die einmalige
Heirat Annas verteidigte. Indessen Fulberts
und seiner Gesinnungsgenossen Ansicht drang
nicht durch. Trat doch später sogar ein so nüchterner
und angesehener Mann wie der Sentenzenmeister
Petrus Lombardus für die Dreiheirat ein.
Indem er sich die Frage stellt, warum Jakobus
usw. Brüder des Herrn genannt werden, sucht
er die Schwierigkeit durch die Erzählung von
dem Trinubium Annas zu lösen und schließt sie
mit dem kurzen Wort: „Anna hatte also drei Männer
und drei Töchter." Nicht weniger als Petrus
Lombardus trug der Pariser Lehrer und Viktoriner
Petrus Comestor (+1179) dazu bei, den Glauben
an das Trinubium bei Klerus und Volk zu verbreiten,
indem er es in seine Historienbibel aufnahm,
einem der meist gelesensten Bücher des Mittelalters;
im 13. Jh. heißt sein Verfasser einfach hin
Magister historiarum, und die Universität Paris
führt es 1286 unter den offiziell taxierten
Büchern auf.
Diese beiden hervorragenden Lehrer entschieden
damit für das ganze Mittelalter die Frage nach
dem Trinubium Annas; es schlossen sich ihnen
z. B. an Hugo von St. Viktor, der hl. Albert
der Große, Vincenz von Beauvais, Ludolph
von Sachsen, Jakob von Voragine, Gerson. Eck
konnte also später nur mit Unrecht behaupten,
der Glaube an die einmalige Heirat Annas verstoße
gegen den Glauben der Kirche. Zu den wenigen,
die sich gegen die Dreiheirat aussprachen,
gehört u. a. der hl. Thomas
von Aquin, und bereits im 9. Jh. der bulgar.
Bischof Theophylakt, und der griech. Mönch Euthymius
Zigabenus (+nach 1180).
Man faßte die Familie der hl. Anna in Gedächtnisversen
zusammen, von denen der folgende einer der bekanntesten
und kürzesten ist:
|
Anna tribus nupsit: Joachim, Cleophe, Salomeque.
Maria genuit Joseph, Alphei, Zebedei
Prima Deum Joseph, Jacobum, Judam Symonemque
Altera, Postrema Jacobum genuitque Johannem. |
Max Förster konnte nicht weniger als zwölf verschiedene
metrische Fassungen der Legende bringen, von
denen allerdings schon Chevalier und Giov. Pesenti
acht verzeichnet haben. Sie zählen vier bis
zwölf Hexameter. Die längsten sind die ältesten
und gehen bis ins 11. Jh. zurück; erhalten sind
sie in Rouen und in Semur; in Oxford aus dem
Anfang des, 12. Jahrhnderts..
Bei der großen Verbreitung, welche die Legende
schon frühzeitig gefunden hat,
darf man sich nicht wundern, daß sie auch in
die Liturgie in Brevier und Missale, Eingang
fand. Italien ging hierin voran, italienische
Handschriften liefern den Beweis, daß man dort
bereits im 13. Jh. keinen Anstoß daran nahm,
die Dreiheirat der Mutter Anna in den liturgischen
Gebeten zu feiern. So heißt es in einem Hymnus:
|
4. O germen beatum
Ex te propagatum
5. Prima parit Deum
Secunda Alphaeum |
Trium matronarum
Vere beatarum.
Per tetrarchos ditat
Terna duos litat.
|
Die Handschrift, die uns diesen Hymnus überliefert
hat, stammt aus einem Benediktiner-kloster zu
Brescia. Nicht weit davon entstand ein anderer
Hymnus, der die Dreiheirat erzählt, von Origo
Scaccabarozzi, Erzpriester in Mailand (+1292),
der also singt:
|
2. De civitate Bethlehem
Ex Nazareno Joachim
3. Cleophae dat et Salomae
Quae pariunt apostolos |
Haec Jesu matrem generat
Quo lex sancta confoederat.
Duas Marias nomine
Sorores nostrae dominae.
(9 Strophen!) |
Es wäre aber weit gefehlt, die Aufnahme der
Legende in das liturgische Officium einer gewissen
freieren italienischen Auffassung zuschreiben
zu wollen, denn wir finden das Trinubium auch
in den liturgischen Büchern Deutschlands und
Skandinaviens. In einem Reimofficium zu Lübeck
aus dem 14. Jh. lautet die zweite Antiphon
zur 1. Vesper:
|
Anna de prosapia regum oriunda
Tres in Christo ducens viros per quos fit fecunda.
Tres filias genuit mundo laetabunda. |
Dieses Offizium erfreute sich im Norden anscheinend
einer großen Beliebtheit; denn wir finden es
außer in Lübeck auch in Rostock, Schwerin, Osnabrück,
Liesborn (Münster).
In Schweden, wo die Verehrung der hl. Anna frühzeitig
zu hoher Blüte gelangte,feierte Bischof
Hermann von Linköping das Trinubium der
hl. Anna in einer Sequenz mit folgenden Worten:
Magis felix Annae progenie De qua natae Tres
sanctae filiae Clara gignunt sidera Astraque
stellifera.
Natürlich kennt Bischof Hermann auch die Kinder
der zweiten und dritten Maria, denen folgende
Strophen gewidmet sind:
|
Hinc Maiorem Maria Jacobum
Sequens parit Johannemque
probum
Qui Christi mirificum
Scripsit evangelium |
Justum parit Jacobum altera
Joseph, Judam Simonem socia
Viros apostolicos Virtute magnificos. |
Zuweilen scheint es zwar, als habe einer der
mittelalterlichen Hymnendichter das Trinubium
nicht gekannt oder sich gescheut, es in die
Liturgie einzuführen; so erwähnt der Zisterzienser
Konrad von Lilienfeld in Österreich (+1332)
in einem Reimofficium, das die ganze Legende
der hl. Anna erzählt, ihre Dreiheirat mit keiner
Silbe. Indes singt er in einem „Rhythmus" auf
die hl. Anna, daß sie drei Marien empfing:
|
2. Ave, tu quae concipis, Anna,
tres Marias,
Cunctis per hoc proficis His ut
salus fias
Inclinor, si despicis Me ad mortis
vias
Hinc funde, nam sufficis Preces pro me pias.
|
|
In einem Reimgebete aus Lehnin heißt es (15.
Jh.): |
|
14. Sidus tu es, quod lucernas Saeculo donavit
ternas
Natas dum genueras Dignior vero duabus
Est Maria filiabus Quam amavit Trinitas. |
Das Brevier von Apt, welches 1532 zu
Lyon gedruckt wurde, also nachdem bereits die
literarische Fehde über diese Frage stattgefunden
hatte, enthält in dem Hymnus Ad honorem Dei
patris auf das Fest Inventio s. Annae noch folgende
Strophen:
|
5a. Anna mater tres maritos Virtutibus
insignitos Habuisse creditum.
6a. Haec Joachim, sponso primo Post
Cleophae datur bino Salomaeque
tertio.
7a. Prima soror Joseph nupta Virgo manens incorrupta
Per aeterna saecula.
8a. Naturali suo more De Jacobo fit minore Praegnans
soror altera.
5b. Et de tribus tres Marias Sanctitate plenissimas
Peperisse legitur.
6b. Istos trinos genitores Habuerunt tres sorores
Divino iudicio.
7b. Desponsata et Alphaeo Bina, trina Zebedaeo
Coniugali copula.
8b. Sed maiorem trina fudit Et Johannem non
excludit Felix haec puerpera. |
Ob die Legende schon im 12. Jh. in die Liturgie
Eingang gefunden hat, vermag ich nicht zu sagen.
Unter den wenigen Reimgedichten bzw. Sequenzen,
welche die Analecta hymnica aus diesem Jahrhundert
bringen, findet sich keines, das auf das Trinubium
anspielt. Obige Beispiele ließen sich leicht
vermehren, aber sie dürften genügen, um zu zeigen,
welch große Verbreitung unsere Legende auch in den liturgischen
Büchern gefunden hat.
Auch in der volkssprachlichen Literatur hat
die Legende vom Trinubium ihren Niederschlag
gefunden. Namentlich scheint das in Nordfrankreich
mit seiner starken Annaverehrung der Fall gewesen
zu sein. So hat der bereits früher erwähnte
Normanne Wace (+vor 1183) seiner Vie de la Vierge
Marie einen Abschnitt über die „Histoire de
Trois Maries" beigefügt. Pierre de Beauvais
aus der Pikardie dichtete zu Beginn des 13.
Jahrhunderts 140 Verse über „Die drei Marien".
Und Gautier de Coinci (+1236), schrieb die Genealogie
Notre-Dame mit derselben Legende. Ein Karmeliter
zu Paris namens Jean de Venette machte unsere
Legende zur Grundlage eines
1357 vollendeten Gedichtes, das 35.000 Verse
umfaßt.
Ein Engländer hat dann in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts im Anschluß an das „Marienleben"
von Wace die Trinubium-Legende seiner Versenzyklopädie
der hl. Geschichte einverleibt, die er in nordenglischer
Sprache unter dem Titel Cursor Mundi verfaßt
hat. Kurz darauf entstand eine mittelniederländische
dichterische Bearbeitung der Legende in
dem Reimgedichte Van onser vrouwen geschlacht,
das als Fragment im Stadtarchiv von Oudenarde
liegt. Selbst eine altisländische Prosafassung
der Legende hat sich in einer Prachthandschrift
vom Jahre 1387 erhalten, die im westlichen Island
auf dem Gutshof Narfeyri unweit des Augustinerklosters
Helgafeld entstanden ist.
Die Geistlichen haben an der Dreiheirat der
hl. Anna offenbar nicht den geringsten Anstoß
genommen, noch viel weniger die Laien, andernfalls
würde man sie nicht so oft in Hymnen besungen
und auf Bildern dargestellt haben. Selbst ein
so bedeutender Prediger wie Veghe zu Münster
i. W. trug kein Bedenken, von der Dreiheirat
Annas in der Predigt zu sprechen und ihre beiden
anderen Töchter und deren Kinder zu erwähnen.
Gegen Ende des Mittelalters wurde der Widerspruch,
der nie ganz verstummt war, von theologischer
Seite stärker. Man hielt es für ungeziemend,
daß Anna nach der unbefleckt empfangenen Tochter
noch zweimal einen Ehebund eingegangen und ein
mit Erbsünde empfangenes Kind geboren habe...
Nicht so ungläubig war die hl. Coleta,
die Generaläbtissin und Erneuerin des Klarissenordens,
welche 1447 zu Gent starb und 1807 heiliggesprochen
wurde. Da sie einmal wieder mit großer Inbrunst
dem Gebet oblag, erschien ihr die hl. Anna
mit ihrer Nachkommenschaft. Maria führte
das Jesuskind an der Hand, Maria Jacobi nahte
sich ebenfalls mit ihren Kindern, ebenso Maria
Salome. Anna bestätigte der Heiligen die
Wahrheit ihrer dreimaligen Heirat; durch
ihre zahlreiche Nachkommenschaft habe sie Erde
und Himmel erfreut, und darum sei sie besonderer
Verehrung würdig. Coletas Andacht zur hl. Anna
wurde infolge dieser Erscheinung noch größer
und sie suchte ihre Verehrung auch bei anderen
zu verbreiten; zu Besançon widmete sie ihr eine
Kapelle.
Wichtigere Fragen drängten indes den Streit
um das Trinubium bald in den Hintergrund und
ließen ihn in Vergessenheit geraten, nachdem
manche Gelehrte für die Dreiheirat sehr unklug
wie für Haus und Hof gekämpft hatten. Es war
nicht ohne Wirkung gewesen.
Der Glaube an die Dreiheirat verlor immer mehr
Anhänger. Namentlich Männer wie Salmeron,
Suarez, Bellarmin und Baronius sprachen sich
nachdrücklich dagegen aus. Auch Petrus Canisius
lehnte das Trinubium ab.
Der Glaube an die dreimalige Heirat Annas wurde
fast vergessen, bis Klemens von Brentano die
Offenbarungen der sel. Anna Katharina Emmerick
herausgab. Diese Zusammenhänge erklären
auch, warum Maria Kleopha und Maria Salome bei
Maria unter dem Kreuz standen und eigens im
Evangelium erwähnt werden. Weiterhin wird auch
klar, warum Jesus seine Mutter dem Johannes
anvertrauen konnte. Dies war nur möglich, weil
er mit ihr verwandt war, denn ein Zusammenleben,
wie heute, wäre damals unmöglich gewesen.
Auch die stigmatisierte Resl von Konnersreuth
sagt, wie Kard. Karl Kaspar von Prag im Benediktusboten
1935/36 S. 312 berichtet, daß Anna dreimal verheiratet
war und daß die hl. Familie vor der Flucht nach
Ägypten die Mutter Anna mit dem
Jesuskind noch besucht hat.
Die Hl. Sippe
Aus der Selbdritt ging
die hl. Sippe hervor. Man bezeichnet
mit diesem Wort kunstgeschichtlich die Darstellung
der näheren oder entfernteren Verwandtschaft
Annas. Zu Anna mit Maria fügte man zunächst
ihren Mann Joachim oder auch ihre drei Männer
und ferner den hl. Joseph; es waren also zwei
Frauen und vier Männer; letztere stehen gewöhnlich,
während erstere auf einer Bank sitzen. Auch
die beiden anderen Töchter Annas, entweder allein
oder mit ihren Männern, zu denen wohl noch die
Kinder kommen, wurden nicht selten hinzugesellt.
Es ergaben sich so bereits vier Frauen, sechs
Männer und sieben Kinder, also neunzehn Personen.
Damit begnügten sich manche noch nicht; sie
fügten noch die Eltern Annas oder ihre Schwester
Esmeria mit deren zwei Kindern hinzu, ferner
die Eltern des Johannes den Täufer, und schließlich
finden sich auch noch die letzten Sprößlinge
der Familie Memelia und Servatius ein, so daß
sich eine ganz große Familie ergibt, fast dreißig
Personen. In dem bei uns üblichen Ausdruck „heilige
Sippe" kommt die Ahnfrau dieser großen Familie
nicht genug zur Geltung; richtiger bezeichnet
man sie daher in den romanischen Sprachen als
„Anna und ihre Familie".
Entwicklungsgeschichtlich liegen die Verhältnisse
allerdings wohl anders. Die ersten Ansätze zur
Bildung der hl. Sippe wurden nicht durch Hinzufügen
der Männer gemacht, sondern, wie es scheint,
durch Beigabe der beiden anderen Töchter Annas
und deren Kinder. So auf einem Fresko der Karmeliterkirche
zu Hirschhorn am Neckar. Anna ist als Hauptperson
hervorgehoben, neben ihr stehen die drei Marien
und zu diesen gesellen sich ihre Kinder, wie
in einem Reigen. Die Gründung der Kirche fand
1406 statt, bald darauf dürfte auch das Gemälde
entstanden sein. Das ist dasselbe Jahr, in welches
die Vision der hl. Coleta Boilet, der Erneuerin
der Klarissenklöster, fällt, der man die Entstehung
des Glaubens an das Trinubium Annas zugeschrieben
hat; dieser Glaube war, wie wir gesehen, bedeutend
älter, daher gab es zweifellos
auch bereits vor 1406 Darstellungen der hl.
Sippe.
Indem wir im folgenden die geschichtliche
Entwicklung des Sippenbildes, d.
h. das Anwachsen der Personen berücksichtigen,
können wir folgende Stufen
unterscheiden.
Eine Vorstufe zum Sippenbild zeigt uns ein Altargemälde
aus Gadebusch (im Museum zu Schwerin) mit Maria
und dem Kind in der Mitte, links steht Anna
und hält dem Kind einen Apfel entgegen, nach
dem es greift, rechts steht Joachim mit einem
Lamm. Das Museum zu Donaueschingen besitzt ein
Gemälde aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts
mit denselben hl. Personen, die auf einer Bank
sitzen; aber hier reicht nicht Anna, sondern
Joachim den Apfel, was als seltene Ausnahme
anzusehen ist. Von einer wirklichen Sippendarstellung
kann man hier eigentlich noch nicht reden.
Der Sippenbegriff findet erst richtig Anwendung
auf jenen Darstellungen, die außer Joachim auch
den hl. Joseph auftreten lassen, was die Plastik
ohne Schwierigkeit künstlerisch ausführen konnte.
So z.B. auf dem Annaaltar im Münster zu Freiburg.
Anna und Maria sitzen im Schrein mit dem Kind,
das von der Mutter zur Großmutter hinüberstrebt;
hinter Maria steht Joseph, hinter Anna der greise
Joachim. Die gleiche Darstellung zeigt ein Gemälde
(um 1480) in der Kirche St. Jean de Joigny in
L'Yonne, nur sieht man oberhalb der Selbdritt
das Brustbild Gottvaters und die Taube des Heiligen
Geistes, also mit dem Kind Jesus die heiligste
Dreifaltigkeit.
Bei einer prächtigen niederrheinischen Plastik
des 15. Jahrhunderts der (ehemaligen) Sammlung
Oppenheim, Köln, sitzen Anna und Maria einander
zugewandt auf einer Bank mit schräger Lehne.
Anna hält das Kind auf dem Knie, hinter ihr
steht Joachim, hinter Maria Joseph, sie schauen
dem Spiele des Kindes zu. Aus der Holzschnittkunst,
die sich das beliebte Motiv natürlich nicht
entgehen ließ, erwähnen wir ein Bild von Hans
Burgkmair, der besonders St. Anna prächtig herausgearbeitet
hat.
In der gleichen maßvollen Auswahl der Personen
bewegen sich auch Altäre, wie jener in der
Heiligkreuzkirche zu Gmünd, in dessen
Schrein neben Anna selbdritt Maria Cleophä und
Maria Salome mit je einem Kind sitzen. Darunter
ruht Jesse, aus dessen Brust ein Baum hervor
wächst, der sich nach zwei Seiten teilt, den
Altar umschlingt und in seinen Zweigen 30 Vorfahren
Christi trägt.
Auf den engeren Familienkreis beschränkten sich
auch jene Künstler, die außer Joachim noch die
beiden anderen Männer Annas auftreten lassen.
So tat es Anton Woensam von Worms (+1541) auf
einem Bild bei Freiherrn Heil zu Herrnsheim
(Worms); hinter Maria mit Jesus steht Joseph,
hinter Anna Joachim, Kleophas und Salome. Auch
Woensam läßt in der Höhe die beiden anderen
göttlichen Personen erscheinen; über der Schulter
Gottvaters schwebt die Taube des HI. Geistes.
Hinter Anna breiten Engel einen Teppich aus.
Eine schlichte Komposition dieser Art besitzt
u. a. auch das Kaiser-FriedrichMuseum aus der
Ulmer Schnitzschule.
Eine weitere Stufe der
Entwickelung ist es, wenn auch die Schwiegersöhne
Annas, d. h. die Männer der Maria Cleophä und
Maria Salome nebst deren Kindern, also den Enkelkindern
Annas, hinzugefügt werden. Dieses ist z.B. der
Fall auf einem Gemälde des Quentin Massys
in der Kgl. Galerie zu Brüssel. Die hl.
Personen haben vor einem dreigeteilten Bogen
Platz genommen, der den Durchblick auf die dahinterliegende
Gebirgslandschaft gestattet. Vor dem mittleren
Bogen sitzen auf einer durchgehenden Bank Anna
und Maria mit dem bekleideten Kind, dem die
Großmutter eine Traube reicht. Etwas tiefer,
wie es der Abstand in der Rangstufe erfordert,
sitzen links Maria Cleophä mit ihren vier Söhnen
Jakob dem Jüngeren, Joseph, Simon und Juda;
einer reicht der Mutter eine Blume, zwei lesen
gemeinsam in einem Buch, der vierte beschäftigt
sich allein; ihnen entspricht links Maria Salome
mit dem kleinen Johannes Evangelist und Jakob
dem Älteren; hinter der Bank stehen die Männer
dieser vier Frauen, also von links nach rechts
Alphäus, Joseph, Joachim und Zebedäus.
Sechs Männer sehen wir auf dem Gemälde eines
westfälischen Meisters vom Jahr 1473. In
dem geräumigen Schiff einer gotischen Kirche
hat Anna auf einem hohen, breiten Thron Platz
genommen; sie legt beide Hände auf die Schultern
der vor ihr sitzenden Maria, welche mit der
Linken das unbekleidete Kind umfaßt und in der
Rechten eine Traube hält. Auf den Stufen des
Thrones sitzen in weiten, eckig gebrochenen
Gewändern Maria Salome und Maria Cleophä mit
ihren Kindern, das jüngste auf dem Arme haltend
bzw. ihm die Brust reichend; Jacobus maior,
Simon, Judas, Jacobus minor vertreiben sich
die Zeit mit Spielen auf dem Fliesenboden. Hinter
und neben dem Thron stehen die sechs Männer
Jachem (Joachim), Joseph, der Maria eine Blume
reicht, Zebedäus, Salome, Kleophas. Das sehr
sauber gearbeitete Werk gehört zu einem Annaaltar
in Maria zur Wiesen in Soest. Erwähnt sei das
Gemälde des Niedersachsen Hans Raphon um 1500,
das als Längsbild von unten bis oben mit 16
Personen gefüllt ist; ferner das Gemälde
des Gert van Lon (Geseke, erwähnt 1505-21),
der die Kinderschar glücklicher wie manch anderer
verteilt hat und Anna ruhig in ihrem Buch lesen
läßt. Ein etwas infacher Holzschnitt eines unbekannten
Meisters von 1500 mit sechs Männern, vier Frauen
und sieben Kindern, die ihren Namen teils im
Nimbus, teils auf Schriftbändern tragen, entsprach
gewiß dem volkstümlichen Empfinden.
Die Mitglieder der
Familie werden immer stärker vermehrt, der Kreis
immer weiter gezogen, bis man über 20 Personen
auf einem Bild vereinigt. So besitzt die
Propsteikirche zu Dortmund ein Sippenbild
der Brüder Viktor und Heinrich Dünwegge vom
Jahr 1521 mit 25 Personen. Mit richtigem Blick
haben die beiden Künstler, deren Werkstätte
den Niederrhein und Westfalen mit zahlreichen
Altargemälden versehen hat, Maria mit Jesus
als Mittelpunkt gewählt, sie allein ist auch
nicht mit einer Inschrift versehen, was der
westfälische Meister noch getan hat.
Links sitzt mit einem
Buch Anna, umgeben von ihren Männern Joachim,
Kleophas und Salomas, es schließen sich an Zebedäus
und Alphäus und deren Frauen Maria Salome mit
Johannes Evangelist auf dem Schoß und Jacobus
maior, der mit einem Vögelein spielt, ferner
Maria Cleophä mit Judas Thaddäus und Joseph
dem Gerechten, der von Jacobus minor ein Kirchenmodell
empfängt, und Simon, der in einem Buch liest.
Rechts von der thronenden Maria sieht man Joseph,
neben diesem stehen Elisabeth mit Johannes Bapt.
und Joachim, ihr Bruder Eliud und ihre Mutter
Esmeria, ferner Emyne und Memelia mit Servatius.
Hier haben wir also die große Sippe der hl.
Anna mit ihren Ahnen, Verwandten und Nachkommen
auf einem Bild vereinigt. Stifter des Bildes
wie des Altares war ein Dominikanerprior, der
sich mit dem Spruchband abbilden ließ: Salvator
mundi, miserere nobis. Das glänzende Werk, das
zahlreiche Porträtköpfe zeigt, hat wohl die
höchste Zahl der Sippenmitglieder.
Die Kinder auf den Sippenbildern tragen zu ihrer
Kennzeichnung manchmal die Werkzeuge, womit
sie später gemartert wurden, oder andere Symbole,
z. B. auf dem oben erwähnten Bild von Raphon
- Jacobus d. Ä. die Walkerstange, Simon eine
Säge, Judas eine Keule; Jacobus auch wohl eine
Muschel, eine Reisetasche, oder er spielt mit
einem Pferdchen oder reitet auf einem Stecken,
da er später in Spanien bei den Maurenkämpfen
als Reiter in den Lüften erscheint. Johannes
Ev. schreibt in einem Büchlein, Servatius trägt
eine Mitra.
Es ließen sich zahlreiche Beispiele ähnlicher
Darstellungen anführen. Genannt sei zunächst
ein kleines Sippenbild (um 1430) im Museum zu
Darmstadt, gleichfalls mit Maria und dem unbekleideten
Kind in der Mitte vor einem Teppich sitzend,
zu beiden Seiten Anna mit einem Buch und Elisabeth
mit Klein Johannes, der das Jesuskind verehrt.
Hinter dem Teppich werden rechts und links von
dem Kopf Mariens nicht weniger als neun Männer
sichtbar, alle durch Schriftbänder bezeichnet.
Im Vordergrund sitzt u.a. Servatius in bischöflicher
Kleidung und mit einem Schlüssel.
Auch auf dem Ortenberger Altar, jetzt in
Darmstadt (um 1420), erscheint Servatius
als ergrauter Bischof, während er sonst
vielfach als Kind dargestellt ist. Besonders
in Tongern, wo er Bischof war, und den davon
beeinflußten Gebieten liebte man es, ihn in
seiner bischöflichen Würde darzustellen. Die
Legende macht ihn zum Urenkel der Esmeria, Schwester
Annas und Mutter Elisabeths. Zu Beginn des 15.
Jahrhunderts nahm seine Verehrung einen neuen
Aufschwung. 1403 stiftete der Herzog von Bayern
der Kirche zu Maastricht eine Silberbüste des
Heiligen, deren Sockel mit Reliefs das Museum
zu Hamburg bewahrt. War er der Sohn/Enkel Esmerias,
so konnte man ihn ohne Schwierigkeiten auf den
Sippenbildern anbringen, er galt dann ja als
der Oheim des Johannes des Täufers; als Urenkel
Esmerias aber war er jünger als dieser. Da auch
sonst noch kirchliche Beziehungen zwischen dem
Mittelrhein und den Niederlanden sich nachweisen
lassen, so ist die Vermutung begründet, daß
seine Darstellung als Bischof von dort beeinflußt
worden ist.
Eines der frühesten und schönsten Beispiele
dürfte der Altar dem hessischen Städtchen
Ortenberg sein, der in das Museum
zu Darmstadt gelangte und der dem mittelrheinischen
Kunstkreis um 1420 angehört. Maria, mit der
Krone auf dem lang herabfließenden Haar feierlich
in der Mitte thronend, umfaßt mit der Linken
das unbekleidete Kindlein, das von Elisabeth
geherzt und von Klein Johannes verehrt wird,
während sie von der hl. Agnes eine Lilie entgegennimmt.
Den Ehrenplatz zu ihrer Rechten hat die in einem
Buch lesende Anna inne, neben welcher der erst wohl später eingeschobene
Kopf Joachims sichtbar wird. Es folgen weiterhin
links durch Nimbeninschriften gekennzeichnet
„maria alpheus" mit gefaltenen Händen und „maria
kleophae" mit ihren Jüngsten auf den Armen,
während die beiden älteren Kinder zu ihren Füßen
sich beschäftigen; in der unteren Reihe schließt
sich die mit ihren Kindern Jacobus maior und
Johannes evangelista beschäftigte „maria salome"
an. Auf der anderen Seite kniet Barbara mit
Kelch und Turm und blickt freudig und gläubig
zur Gottesmutter empor, während Katharina einen
Kranz windet und zu den musizierenden Engeln
hinüberschaut. Über ihnen sitzt die fleißige
„soror sancte Anne" und ihr Urenkel Servatius
als ergrauter Bischof.
Von süddeutschen Darstellungen sei ferner noch
genannt ein Gemälde von Sebastian Schel
(+1536) zu Innsbruck, das außer Joachim
auch die beiden anderen Männer Annas zeigt,
Kleophas und Salomas, die unmittelbar hinter
ihr stehen. Joseph, allein barhäuptig und greis,
wendet sich der kleinen Maria zu. Auffällig
ist, daß die Kinder alle auf dem Schoß der Mütter
Platz gefunden haben, auf den Knien von Maria
Cleophä sitzen nicht weniger als vier, alle
mit Schriftbändern versehen, das Schriftband
von Joseph dem Gerechten liegt auf den Armen
seines Vaters Kleophas. Die eng zusammengedrängten
Männer erscheinen steif und mit leblosem Blick,
fast alle wenden sich mit mehr oder weniger
großer Aufmerksamkeit den beiden Hauptfiguren
in der Mitte zu, der gekrönten Mutter Gottes
und dem unbekleideten Kindlein.
In Kärnten sei genannt
eine hl. Sippe von Simon von Taisten aus der
Brixener Schule (vor 1520); in der Mitte Anna
und Maria mit Kind, neben ihnen drei andere
sitzende Frauen, hinter ihnen acht Männer und
ebenso viele Kinder.
Über diesen Familienkreis
geht ein Gemälde in der Sebalduskirche zu
Nürnberg weit hinaus, ein Epitaphiumsbild
des Johannes Löffelholz (+1504). Auch hier finden
sich in der Mitte Anna und Maria, auf deren
Knie das unbekleidete Kind steht; rechts von
Anna deren Männer, links St. Joseph. Neben Anna
sitzt Maria Cleophä mit ihren Söhnen, und hinter
ihr steht ihr Mann Alphäus, rechts Maria Salome
mit ihren Kindern und Zebedäus. Soweit haben
wir dieselben Personen wie auf dem vorher beschriebenen
Bild. Es kommen hinzu hinter Maria Cleophä noch
Esmeria und Elisabeth mit ihrem Johannes auf
dem Arme, hinter Maria Salome noch Eliud, Memelia
mit dem kleinen Servatius, der einen Mann mit
Namen Emineo (Emiu) anfaßt. Die beigefügten
Namen ermöglichen es auch hier, die einzelnen
Personen kennenzulernen.
Zu diesen Mitgliedern der näheren und entfernteren
Verwandtschaft Annas kommen zuweilen auch die
königlichen Ahnen des Geschlechts Mariä. So
sind in der Predella eines der glänzendsten
flämischen Altäre, des Sippenaltares in Ureden
(Westf.), der u. a. auch Emiu mit seiner
Frau Memelia und ihrem Sohn Servatius (mit Mitra)
zeigt, im Hintergrund Aaron und David angebracht,
als Zeichen, daß Christus seinen Ursprung aus
priesterlichem und königlichem Geschlecht ableitet.
Nicht selten ahmt man auch den beliebten Baum
Jesse nach, um die Abstammung von Anna und Joachim
darzustellen, oder man nimmt die beiden Eltern
direkt unter die „Ahnen Christi"
auf. Eine schöne Nachahmung des Jessebaumes
birgt ein Altar in der Kirche Saint Sauveur
zu Brügge. Anna sitzt auf einem Stuhl, aus
dem ein Baum hervorwächst; die Zweige haben
Blumen, deren oberste Maria mit ihrem Kind trägt.
In den Blumen zu beiden Seiten haben ihre beiden
Schwestern mit den Kindern Platz gefunden, unten
sind die übrigen Verwandten angebracht, wie
wir sie aus den Sippendarstellungen kennen.
Die Figuren sind durch Schriftbänder näher bezeichnet.
Diese Darstellung ist nicht vereinzelt. Auf
einem Glasgemälde in der Kirche S. Vincent
zu Rouen (Anfang des 16. Jahrhunderts) sieht
man einen Baumstamm, der sich in mehrere Zweige
teilt, die Zweige tragen die ganze Nachkommenschaft
Annas, ihre drei Töchter und sieben Enkel. Die
Gottesmutter mit dem Kind nimmt natürlich den
Ehrenplatz ein. Es ist wie eine Illustration
zu einem Hymnus des
15. Jahrhunderts, in dem es heißt: „Anna, die
fruchtbare Wurzel, der heilbringende
Baum, die du einen dreifachen Zweig hervor-gebracht
hast, beladen mit sieben
Früchten."
Der „Meister des hl. Blutes" schuf um 1525 ein
Gemälde für die Franziskanerkirche in Brügge
(jetzt in Saint Jacques), das Joachim und Anna
und zwischen ihnen Maria mit dem Kind Jesus
darstellt. Aus der Brust Annas geht ein Baumzweig
hervor; unten sieht man Jesse und vier Propheten.
Eine ähnliche Darstellung befindet sich in der
Eremitage zu St. Petersburg.
Eine der schönsten Darstellungen dieser Art
verdanken wir dem Augsburger Meister Adolf Dowher
in dem 1522 für die Annakirche zu St. Annaberg
in Sachsen gebauten Altar, der ganz aus
Solnhofer Stein errichtet ist und 3000 Gulden
kostete. Er zeigt in der Predella die kräftige,
ruhende Gestalt des Jesse, aus dessen Brust
ein Baum hervorgeht, an den sich im Altar zahlreiche
Zweige und Blütenkelche ansetzen. Die zwei obersten
Kelche tragen Maria mit dem Jesuskind, Klein
Johannes und den hl. Joseph. Der Blumenkelch,
auf welchem Maria kniet, wird getragen von Zweigen,
die aus der Brust Annas und Joachims hervorgehen.
Darunter sind die Ahnen Annas und Marias angebracht,
nämlich David, Salomon und andere Könige. Links
Jojade, aus dessen Brust ein Zweig hervorwächst,
der Maria Cleophä und ihren Mann trägt, denen
wiederum aus der Brust Zweige wachsen, die vereinigt
ihre vier Kinder halten. Ähnlich auf der anderen
Seite Sombabel, Maria Salome, ihr Mann und ihre
beiden Kinder. Hier haben wir also den Baum
Jesse in Verbindung mit der hl. Sippe, wie er
kaum vollständiger gedacht werden kann. Die
Figuren sind lebhaft bewegt, in die Modetracht
gekleidet und mit stets wechselnder Kopfbedeckung
versehen. Die Köpfe sind individuell behandelt,
aber mit weltlichem Ausdruck. Das ganze Werk
zeugt von der großen technischen Fertigkeit
des Augsburger Meisters.
In eigenartiger Weise löste Geertgen tot
Sint Jans aus Haarlem (2. Hälfte des 15.
Jahrhunderts) das Problem, die Personen der
hl. Sippe nicht zu eng zusammen-zudrängen; er
verteilte sie in dem Mittelschiff einer gotischen
Kirche. Links sitzt Anna, sinnend über ein Buch
gebeugt, neben ihr die jugendliche Maria mit
dem bekleideten Kind, hinten steht Joachim mit
turbanartiger Kopfbedeckung, langem Haupt- und Barthaar,
neben ihm Joseph mit der Lilie. Rechts sitzen
die beiden anderen Töchter Annas und eine dritte
Frau. Beide Gruppen sind miteinander in Verbindung
gebracht durch das Kind auf dem Schoß dieser
Frau, das lebhaft zu dem Christkind hinüberverlangt.
Die fünf Männer im Hintergrund neben dem Altar
sind ebenso als Mitglieder der Sippe anzusehen
wie die Kinder in der Mitte des Bildes; jene
sind wohl die beiden anderen Männer der Anna
und ihrer Töchter. Es ist eines der ausführlichsten
Sippenbilder, welches die niederländische Kunst
geschaffen hat; die Figuren leiden an einer
gewissen Härte des Ausdrucks, allzu großer Feierlichkeit
und inneren Beziehungslosigkeit. Vielleicht
empfing Geertgen die Anregung aus der Kölner
Schule, in der das Sippenbild sehr beliebt war.
In dieser Schule sind sogar zwei Maler nach
einem ihrer Werke im Wallraf-Museum als „Meister
der heiligen Sippe" benannt worden.
Der ältere Meister der hl. Sippe, um 1430, hat
sieben heilige Frauen mit neun Kindern und zehn
Männern fast im Halbkreis zusammengefügt, indem
erstere auf einer Bank sitzen, hinter deren
Lehne die Männer stehen, die teilweise mit der
Hand den Nimbus der Gattin berühren. Bemerkenswert
ist, in welch naiver Weise dieser Meister der
älteren Schule die nackten Kindlein uns vorführt;
mit Ausnahme von Klein Johannes und des Jesusknaben
sind sie mit Inschriften bezeichnet, ebenso
wie die Männer, deren Namen auf einem über dem
Haupt flatternden Spruchband zu lesen ist. Bis
zum Bild des jüngeren Sippenmeisters hat die
Kölner Schule eine bedeutende Entwicklung durchgemacht.
Das prächtige, um 1500 entstandene und „wie
zu Brokat gewordene" Bild zeigt in der Mitte
Anna und Maria, die gemeinsam das unbekleidete
Kind halten; letzteres strebt nach links hinüber,
wo Katharina in Festtagsgewandung sitzt und
den Verlobungsring empfängt, während ihr Pendant
eine lesende Heilige bildet. Auf dem Boden sitzen
Maria Cleophä und Salome mit ihren Kindern,
hinter den Frauen stehen die sechs Männer. Es
ist eines der glänzendsten Sippenbilder, die
um 1500 geschaffen wurden.
Ganz verschieden von dieser, man möchte fast
sagen kirchenstrengen Auffassung hat Lukas
Cranach der Ältere die hl. Sippe auf einem
Flügelaltar dargestellt, der jetzt eines der
kostbarsten Gemälde des Städelschen Instituts
zu Frankfurt a. M. bildet. Bei geöffneten Türen
sehen wir in der Mitte Anna mit dem unbekleideten
Kind, das lebhaft zur Mutter hinüberverlangt
und zu dem Apfel greift, den sie ihm vorhält.
Maria ist in vollen, fast üppigen Formen dargestellt,
hinter ihr schläft Joseph, eine Reminiszenz
an mittelalterliche Darstellungen. Dahinter
auf einer Tribüne die drei Männer Annas, zwei
von ihnen im lebhaften Gespräch, während der
dritte auf die Gruppe herabschaut. Vorn zwei
spielende Kinder, die einer auf den Flügeln
dargestellten Mutter angehören. Auf den Flügeln
sind die beiden anderen Töchter Annas mit je
zwei Kindern und ihren Männern abgebildet, der
Mann links trägt die Züge Friedrichs des Weisen
von Sachsen, der rechte ist sein Bruder Johann
der Beständige. Auch die Wappen an der Tribüne
sind sächsisch. Die hl. Anna mit Maria erscheint
nochmals grau in grau auf den Außenflügeln des
Altares.
Dieses bedeutende Werk Cranachs ist offensichtlich
für die sächsische Herrscherfamilie angefertigt;
vielleicht ist es das Triptychon, das 1505 für
die 1503 verstorbene Gemahlin des Herzogs Johannes
gestiftet, aber erst 1509 aufgestellt wurde.
Der Meister zeigt hier eine Monumentalität und
ein Kolorit, wie er sie später kaum wieder erreicht
hat, allerdings auch einen Zug ins Triviale,
der den Genuß des schönen Werkes etwas beeinträchtigt.
Die stillende Mutter und die Frau, die mit dem
Staubkamm des fast nackten Knaben Kopf reinigt,
muten uns auf einem Kirchenbild merkwürdig an.
Lukas Cranach hat auch
in einem sauberen Holzschnitt die hl. Sippe
verherrlicht und die Personen so verteilt, daß
die Kinder der beiden Schwestern Marias teils
bei den Vätern, teils bei den Müttern sind.
Die Szene war seinem bürgerlichen Geist offenbar
recht kongenial, und darum ist sie ihm auch
so gut gelungen; ein Andachtsbild hat er freilich
nicht geschaffen, das war aber auch nicht seine
Absicht. Alphäus unterrichtet zwei Kinder im
Lesen, und als echter Schulmeister hat er auch
die Rute in der Hand. Zebedäus schickt einen
Sohn zur Schule. Ähnlich ist es auf einem
Gemälde Cranachs in Wien, auf dem die einzelnen
Gruppen fast gar keine Verbindung untereinander
aufweisen; die drei Männer Annas werden rückwärts
auf einer Galerie sichtbar, St. Joseph ist in
einer Nische eingeschlafen.
Meistens gruppieren
sich die Kinder um die Mütter, doch gibt es,
wie das letztgenannte Bild zeigt, Darstellungen,
wo die Väter sich mit den Frauen in der Sorge
um die Kinder teilen. Auf einem geschnitzten
Sippenbild zu Burgtonne (Gotha) z. B. stehen
zwei Knäblein neben dem sitzenden Alphäus und
blicken in ein Buch, gegenüber schließt Zebedäus
ein Kind in seine Arme. Abwandlungen des Sippenmotivs,
in dem Anna die Hauptperson bildet, kommen sehr
früh vor. Es tritt z. B. an Stelle der Mutter
die Tochter, welcher die Verwandten und andere
Heilige huldigen.
In Schweden, wo die
liturgische Annaverehrung eine reiche Entfaltung
erfahren hat, begegnet uns neben der Selbdritt
auch die hl. Sippe, die teils durch Import flämischer
Altäre dorthin gelangte, teils auch im Land
selbst entstand. Als schwedische Arbeit wird
z. B. eine von der sonst üblichen Weise abweichende
Sippe an einem Altar zu Ahl aus dem 15. Jh.
dargestellt, die sich im Schrein aus Schnitzarbeit
und auf den Flügeln aus Gemälden zusammensetzt.
Anna hält auf dem linken Arm Maria, diese das
nackte Kind; neben ihr stehen andere Kinder
und Erwachsene. Eine Sippe in der Predella der
Domkirche zu Strägnäs (um 1515) ist wie der
ganze Altar ein Werk des Flamen Jan Bormann.
Aus dem Atelier desselben Meisters stammt ein
Sippenaltar in der Brigittenkirche zu Vadstena;
in der Mitte sitzen Anna und Maria, zwischen
ihnen das Kind, dem erstere eine Birne reicht,
letztere ein Buch zeigt.
Die Kirche des hl.
Knut zu Odensee (Dänemark) besitzt einen
Altar (um 1529), dessen äußere Flügel das Leben
Jesu ziert, angefangen mit Joachim und Anna.
Im Schrein ist ein großes Kreuz angebracht,
zu dessen Seiten sich Apostel und Propheten
befinden. Unter dem Kreuz sieht man die hl.
Sippe; Anna zeigt das Jesuskind ihren beiden
Töchtern Maria Cleophä und Maria Salome; dahinter
stehen Elisabeth und die Männer dieser Frauen.
Aus Finnland
gelangte ein Sippenaltar nach Brüssel in das
Museum Cinquentaire, der wahrscheinlich von
dem flämischen Altarbauer Bornemann stammt und
Anna und Maria mit Kind auf einer Bank, umgeben
von den anderen Familienmitgliedern, darstellt.
Zu Wörö in Finnland befindet sich ein Altar
mit der Sippe (17 Personen) und anderen Szenen
aus dem Leben Annas, vom Lübecker Bildschnitzer
B. Notke; in Norre Broby (Dänemark) eine Sippe
mit vier Männern, vier Frauen, sieben Kindern
als Predella eines Altares, ein erstaunlich
gutes Werk vom Lübecker Bened. Dreyer. Die weiteste
Verbreitung fand die Darstellung der hl. Sippe
in Deutschland. Sie
fehlt aber auch in anderen Ländern nicht.
Der italienischen
Kunst ist die deutsche Auffassung und
Darstellung der hl. Sippe fast fremd. Unzählige
Male hat man in Italien die Madonna in der Sacra
Conversazione mit anderen Heiligen zusammengestellt,
sie auch häufig mit Elisabeth und Klein Johannes
vereinigt, aber nur ausnahmsweise ihr die nächsten
Glieder ihrer Verwandtschaft zugesellt; anscheinend
ist dort die Legende von der großen Familie
Annas nicht so populär geworden wie in Deutschland.
Zu diesen Ausnahmen gehört u. a. ein Gemälde
des Domenico Alfani, eines Mitschülers Raffaels
bei Perugino; er malte 1520 ein gewöhnlich als
hl. Familie bezeichnetes Bild in der Pinakothek
zu Perugia, das in Wirklichkeit die hl. Sippe
ist. In einer Landschaft sitzt Maria mit dem
unbekleideten Kind, das nach einem von St. Joseph
gereichten Apfel greift. Hinter Joseph steht
Joachim, hinter Maria die Mutter Anna und schaut
lächelnd auf das Kind, auf das Klein Johannes
hinweist. Daß Anna und Joachim, nicht aber die
Eltern des kleinen Johannes dargestellt sind,
wie man leicht annehmen könnte, beweist das
oben aufgehängte Täfelchen S. Annae dedicatum.
Eine hl. Sippe malte
auch Alfanis Meister Perugino. Unter
einem breiten Bogen mit Durchblick auf die ferne
Landschaft sitzt Anna selbdritt auf einem altarähnlichen
Aufbau in der bekannten italienischen Auffassung.
Daneben stehen Marias Schwestern mit ihren Männern
und Kindern; je eins halten sie auf dem Arm,
zwei haben vor dem Aufbau Platz genommen, nur
eins hat sich halb in ein Tuch gehüllt. Das
Gemälde hängt im Museum zu Marseille.
Ein eigenartiges Sippenbild aus der Schule Mantegnas,
das unter den zahlreichen Varianten deutscher
Meister keine Parallele hat, befindet sich in
der Sammlung Gardner-Boston. Vor und zwischen
zwei hoch emporragenden Felsen, hinter denen
sich eine lachende Landschaft mit einem Bergstädtchen
ausdehnt, sitzen sieben weibliche Personen,
Anna und Maria mit dem vor ihm stehenden Kind,
rechts Elisabeth mit Klein Johannes; von den
vier übrigen Frauen sind zwei wohl Mariens Schwestern,
für eine sichere Deutung der beiden letzten
liegt kein bestimmter Anhaltspunkt vor, sie
blicken unverwandt auf die beiden munteren Knäblein.
Durch die fremdartige Komposition, die modische
Kleidung der Frauen, die eigentümliche Landschaft
fällt das Bild aus der Reihe der uns bekannten
Sippendarstellungen ganz heraus.
Fehlen in Italien auch Darstellungen mit der
großen Sippe Annas, so fehlt es doch nicht an
Gemälden, auf der sie in ihrem engeren Familienkreis
dargestellt wird; vielfach handelt es sich nur
um die Hinzufügung einzelner Personen zur Selbdritt. In der Kunstgeschichte
gehen diese Darstellungen meistens unter dem
Namen „Hl. Familie". Man könnte viele von ihnen
auch als „Familie der hl. Anna" bezeichnen.
So das Gemälde Raffaels „Madonna der
göttlichen Liebe" in Neapel. Hier tritt Anna
in der Komposition stark hervor; sie nimmt genau
die Mitte des Bildes ein und stützt die segnende
Hand des Kindes, das sie mit einem leichten
Ausdruck der Sorge betrachtet. Als nächste Verwandte
kommen Klein Johannes und Joseph hinzu.
Ebenfalls ein Familienbild der hl. Anna ist
Giulio Romanos „Madonna mit der Katze".
Anna kniet und stützt sich mit dem Oberkörper
auf dem einen Knie der Madonna, auf deren anderen
Knie das nackte Kind kniet, das von dem hl.
Johannes eine Frucht entgegennimmt. Eine Wiege
mit schönen Renaissanceornamenten und ein
großer flacher Korb mit allerlei Familienutensilien
füllen den Vordergrund. Im Hintergrund wird
Joseph sichtbar. Daß wir hier Anna und nicht
etwa Elisabeth vor uns haben, zeigt das vertraute
Verhältnis derbeiden Frauen, von denen die Tochter
der Mutter den Arm um den Hals legt.
Francesco Caroto
(1544)
erhebt die hl. Anna in die himmlische Atmosphäre,
läßt sie auf einer lichten Wolke schweben und
umgibt sie mit einem kleinen Engelreigen. Maria
kniet, so scheint es, auf dem Knie Annas, die
mit beiden Händen das Kind berührt. Es ist eine
ältere, ehrwürdige Matrone, die mit großen Augen
den Beschauer anblickt. Unten hat der Maler
vier Heilige hingestellt, von denen zwei - Johannes
Baptista und Sebastian - auf Anna hinweisen;
die beiden anderen sind der Apostel Petrus und
der hl. Rochus. Zwischen beiden sieht man im
Hintergrund ganz klein die Stigmatisation des
hl. Franziskus.
Eine hl. Familie in
der Art der Sacra Conversazione schuf Innocenz
von Imola (+1550) mit Anna und Joachim,
Petrus und Paulus, die die thronende Madonna
umgeben, während das Kindlein Jesu und St. Johannes
sich miteinander beschäftigen. Man könnte bei
den rückwärts stehenden Personen auch an die
Eltern des kleinen Johannes denken, da oben
in den Lüften ein Engel ein langes Schriftband
mit einem Vers aus dem Lobgesang des Zacharias
hält. Indes weder der Mann noch die Frau wenden
dem Johannes ihre Aufmerksamkeit zu - letztere
schaut deutlich auf Jesus-, weshalb wir sie
für die Eltern der Jungfrau deuten, zumal solche
Darstellungen damals sehr beliebt waren.
In Spanien und Frankreich begegnet uns
die hl. Sippe seltener. In Spanien tritt sie
besonders an den Retablen der Altäre auf. Francisco
Pacheco bemerkt
1646 in seiner Malerkunst, früher sei die hl.
Sippe häufig dargestellt, jetzt nicht mehr,
indem er zugleich eine heftige Polemik gegen
die Dreiheirat Annas führt.
Auf französischem
Boden erwähnen wir die ansprechende Sippe an
einem Altar der Frührenaissance in Andre-les
Tryes (Aube). In der Mitte sitzen die prächtigen
Gestalten der Anna selbdritt vor einer hohen
Täfelung, etwas tiefer die Schwestern Marias
mit ihren Kindern, während oben vier Männer
sichtbar werden, alles in dem vollendeten Reiz
der Frührenaissance-Plastik mit französischer
Grazie dargestellt.
Der größten Beliebtheit
erfreute sich die hl. Sippe, wie schon bemerkt,
in Deutschland, und hier wieder mehr
im Norden als im Süden. Es sind besonders die geschnitzten und
gemalten Flügelaltäre, auf denen sie uns noch
heute sehr häufig entgegentritt, und die teils
in flämischen teils in einheimischen Werkstätten
angefertigt wurden.
Schon Münzenberger-Beissel haben 13 Altäre mit
der Sippe in Schlesien aufgezählt, im Freistaat
Sachsen 20, in Thüringen 18; die Zahl könnte
heute leicht vermehrt werden. Lübeck allein
besitzt unter 13 Altären auf dem Oberchor der
Katharinenkirche nicht weniger als sieben mit
der Sippe. Ebenso war sie in der Provinz Brandenburg
sehr beliebt. Die „Bau- und Kunstdenkmäler"
Preußens und der anderen norddeutschen Staaten
bieten zahlreiche Beispiele.
Nicht so stark verbreitet war die hl. Sippe
in Süddeutschland. Auf den schwäbischen
Schnitzaltären z. B. findet sie sich nur selten,
und dort, wo sie vorkommt, hat sie meistens
nicht die große Anzahl Personen wie im Norden.
Dieselbe Erscheinung zeigt sich in Bayern. Neuötting
besitzt einen Altar von 1515, wo Anna und Maria
mit dem Kind auf einem Thron mit Balustersäulchen
sitzen, hinter ihnen stehen St. Joseph und die
drei Männer Annas. In Bieselbach steht ein Sippenaltar,
Anfang
16. Jh., mit vier Männern und den Vorfahren
Christi in Blütenkelchen, alles in
Vollplastik. Eines der schönsten, die reinste
Renaissance atmendes Sippenbild schuf Wolf Traut
(+1520), gleich vollendet in der Komposition
wie in der Ausführung und Farbenpracht. Von
schwäbischen Sippenbildern sei erwähnt der Schnitzaltar
von Martin Schaffner im Münster zu Ulm und eine
Arbeit in Veringenstadt (Hohenzollern).
Die Blütezeit der Sippendarstellung ging ihrem
Ende entgegen, als die Kontroverse über die
drei Marien wegen der Unbefleckten Empfängnis
Mariens für unmöglich erachtet wurde. Eine ganz
natürliche Folge davon war, daß ihre beiden
Schwestern von den Bildern verschwanden und
damit auch deren Männer und Kinder. Der späteren
Zeit ist die Sippendarstellung fremd geworden.
Inhaltsverzeichnis
12. Kap.
Die Annaverehrung in der Neuzeit
In den Religionswirren und den Kriegen, von
denen Deutschland im 16. und
17. Jh. heimgesucht wurde, ist die Annaverehrung
dahingeschwunden. Die Verehrung der Heiligen
blieb zwar bestehen, war sie doch zu alt und
zu tief verwurzelt, als daß die Angriffe der
Reformatoren ihm wesentlichen Nachteil hätten
bringen können, aber sie erlitt manche Einbuße.
Wie ausgedehnt die Annaverehrung im 17. und
18. Jh. noch war, davon geben die zahlreichen
Darstellungen der Heiligen Zeugnis.
Vom Interesse,
welches das 17. Jh. noch immer der hl. Anna
entgegenbrachte, zeugen schon die vielen Schriften,
die zu ihrer Ehre und über sie verfaßt wurden.
Waren es am Ende des Mittelalters nur kleine
Büchlein, so wuchsen sich diese Schriften jetzt
zu umfangreichen Werken aus. Es sind jetzt darunter
auch Werke, die sich mit der Geschichte der
Annaverehrung befassen und daher heute noch
von einiger Bedeutung sind. In Deutschland war
es der Franziskaner Jakob Polius (+1656),
der als geborener Dürener von Kindesbeinen an
zur Liebe der hl. Anna erzogen war und eine
Verehrung gegen sie hegte, daß er dem Abt Trithemius fast zur Seite gestellt
werden kann. Er verfaßte zwei geschichtliche
Bücher über ihre Verehrung, die zum Besten gehören,
was über diese Thematik geschrieben wurde.
Fast gleichzeitig mit Polius schrieb Th.
Clisorius, Priester zu Köln, ein umfangreiches
Buch „Leben und Lob der hl. Anna und Joachim",
teils Lebensbeschreibung, teils Gebetbuch. Auffallend
ist, daß er ausführlich gegen das Trinubium
schrieb. Die Meinung, Anna habe drei Töchter
geboren, schreibt er, sei „viel mehr auf der
bloßen Einbildung des gemeinen Pöbels als auf
der gründlichen Wahrheit gegründet”. Sie „widerstrebt
den Tugenden, verletzt keusche Ohren, ist bei
einer solchen Frau wider die billige Keuschheit
und Ehrbarkeit und schmeckt nach fleischlicher
Sinnlichkeit". Um zu ihrer Verehrung anzueifern,
preist er sie als Retterin und Helferin in jeder
Not, gegen Glaubenszweifel, geistliche Traurigkeit,
Unkeuschheit, in Wasser- und Feuersgefahr und
als Zuflucht derjenigen, „so unter die Räuber
und Totschläger gefallen sind.”
Zum Schluß führt er noch fünf Freuden der
Mutter Anna an, die man, wie beim Rosenkranzgebet,
verehren kann, nämlich 1. ihre Auserwählung
zur Großmutter Christi, 2. die Erhörung ihres
Gebetes um Kindersegen, 3. die Geburt der Jungfrau,
4. die Aufopferung Marias im Tempel, 5. die
Freude, die du „immer und ewiglich
hast bei Gott und sonderlich, wenn du siehst
deine allerliebste Tochter Maria".
Das umfangreichste
Werk über die hl. Anna schrieb der Karmelit
Johannes Thomas a S. Cyrillo unter dem Titel:
Mater honorificata S. Anna sive de laudibus,
excellentiis ac praerogativis Divae Annae usw.;
es erschien 1651 in Folio zu Köln, hat 626
Seiten und wurde bereits 1665 in Neapel
nachgedruckt. Dem Titelblatt geht ein Selbdrittbild
voraus. Anna ist mit dem Orden des Goldenen
Vließ geschmückt und das Kind Jesus setzt ihr
eine Krone auf. Der eifrige Annaverehrer nimmt
gegen die Dreiheirat Stellung und
behauptet, Anna habe ohne jede sinnliche Lust
und Begierde empfangen. Er weiß uns auch
zu sagen, weshalb die Geburt Mariä gerade im
Monat September stattgefunden; dann ist nämlich
die Sonne im Zeichen der Jungfrau und die Hitze
des Krebses und des Löwen hat sich gemildert.
Er
behauptet und belegt seine Behauptungen mit
vielen Beispielen, daß Anna ist
die „Trösterin der Betrübten, das Heil der Kranken,
der Sterbenden, der Schiffbrüchigen, der Gebärenden,
der Unfruchtbaren". Seine Übertreibungen
brachten ihm eine Zensur der römischen Behörden
ein. [Selbst Fromme oder gar Heilige können
sich irren. Der größte Kirchenlehrer Thomas
von Aquin war entgegen seinem Lehrer dem hl.
Albert dem Großen gegen das Trinubium und auch
gegen die Unbefleckte Empfängnis!]
Vornehmlich waren es neben den Heiligenlegenden
zwei größere Werke, die im katholischen Volk
die Legende der hl. Anna weiter lebendig erhielten:
im 17. Jh. das „Große Leben Christi" von P.
Martin von Cochem, im 18. Jh. die Offenbarungen
der sel. Anna Katharina Emmerick.
Martin von Cochem, dessen Leben Christi
zum ersten Mal 1677 gedruckt wurde und dann
außerordentlich oft in neuen Auflagen erschien,
verbreitet sich ausführlich über die Abstammung
Annas, indem er sich auf einen apokryphen
Bericht des Cyrill von Alexandrien an Papst
Coelestin beruft. Emerentiana, die Mutter Annas,
war als Jungfrau sehr fromm, betete Tag und
Nacht und fastete alle Tage mit Ausnahme des
Sabbats und der Festtage. Fleißig las sie in
der Hl. Schrift und mied den Umgang der Menschen.
Häufig ging sie mit Erlaubnis ihrer Eltern auf
den Berg Karmel, um sich mit den dort in Felsengrotten
wohnenden Propheten über die Ankunft des Messias
zu unterhalten. Einer von ihnen, Archos, ein
Greis von 80 Jahren, sagte es ihr voraus, daß
aus ihrem Geschlecht der Erlöser geboren werde.
Als sie 18 Jahre alt war und viele Jünglinge
sie zur Ehe begehrten, floh sie erschreckt auf
den Karmel, wo sie drei Tage und Nächte mit
den Vätern in Gebet und Fasten den Willen Gottes
zu erforschen suchte. Am dritten Tag wurden
drei der frömmsten Einsiedler im Geist verzückt
und sie sahen einen schönen Baum, aus dem zwei
herrliche Äste herauswuchsen: der eine Ast trug
drei schöne Früchte, der andere eine überaus
edle Frucht, aus der ein schönes Blümlein hervorging,
das Himmel und Erde mit seinem Wohlgeruch erfüllte.
Zugleich hörte man eine Stimme: dieser Baum
ist unsere Emerentiana, sie ist zu großer Fruchtbarkeit
bestimmt.
Emerentiana fügte sich dem erkannten Willen
Gottes und heiratete, nachdem sie sechs fleischlich
gesinnten Jünglingen die Hand versagt hatte,
den frommen Stollanus. Das war im 77. Jahre
vor Christi Geburt. Aus ihrer Ehe ging Esmeria
(oder Sobe) hervor, die später den Eliud heiratete,
dem sie Elisabeth, die Frau des Zacharias gebar.
Außerdem hatte Esmeria eine Tochter Emue, die
mit Afras vermählt wurde, und einen Sohn Eliud,
der später die vornehme Witwe heiratete, deren
Sohn Martialis Christus von den Toten erweckte.
Nach der Geburt Esmerias blieb Emerentiana 20
Jahre kinderlos, was sie mit großer Trauer erfüllte.
In ihrem Schmerz ging sie oft auf den Karmel
zu Archos, der ihr Trost zusprach. Als sie 41
Jahre alt war, schickte Gott ihr und dem Stollanus
im Traum einen Engel, der ihnen die Geburt einer
Tochter ankündigte; den Namen des Kindes würden
sie mit goldenen Buchstaben an der Bettstelle
geschrieben finden. Emerentiana empfing und
gebar an einem Dienstag ein Töchterlein Anna,
das die Eltern im Alter von drei Jahren zur
Erziehung in den Tempel brachten. Dort war sie
wie der Mond unter den Sternen die Eifrigste
im Gebet, die Fleißigste bei der Arbeit, die
Bereitwilligste im Gehorsam. Zwei Jahre nach
dem Tod ihrer Mutter, von der sie diese Weisung
erfahren hatte, heiratete sie den frommen Joachim
und reiste mit ihm oftmals zum Berg Karmel.
Es folgt nun die Erzählung von der Kinderlosigkeit
der beiden Gatten und dem Opfer Joachims im
Tempel, das er im 18. Jahre seiner Ehe darbrachte.
Über die Geburt Marias berichtete er dann „nach
einer alten Legende", Joachim habe auf Annas
Wunsch ihre Schwester Esmeria, die hl. Elisabeth,
Emue und andere Verwandten herbeigerufen. Als
dann ihre Stunde herannahte, kniete Anna mit
den anderen Frauen nieder und brachte einen
Teil der Nacht im Gebet zu. Um die Zeit der
Morgenröte entstand im Zimmer eine große Klarheit,
und Anna wurde von einem solchen Glanz umgeben,
daß niemand sie ansehen konnte. Die frommen
Frauen fielen nieder und wagten kein Auge zu
erheben, und Anna brachte in diesem Augenblick ein Töchterlein
zur Welt. Auch das Kind erstrahlte wie der aufgehende
Morgenstern, und Engelsstimmen sangen: Laßt
uns frohlocken, denn heute ist geboren die Königin
des Himmels.
Gestorben ist Anna,
als Jesus 18 Jahre alt war. Er stand ihr bei
in der letzten Stunde und sprach zu ihr: weil
du an einem Dienstag geboren worden und heute,
an einem Dienstag, verscheiden wirst, so segne
ich alle Dienstage dir zu Ehren durch deinen
hl. Namen, und alle, die diesen Tag ehren, will
ich besonders erhören. Bei der großen Beliebtheit,
deren sich die Schriften des P. Martin erfreuten,
konnte es nicht ausbleiben, daß sie die Vorstellung
des katholischen Volkes in Deutschland bezüglich
der Lebensumstände der hl. Anna stark beeinflußten.
In noch höherem Maß
war das der Fall durch die „Offenbarungen" der
seligen, stigmatisierten Anna Katharina Emmerik,
Augustinernonne von Dülmen (+1824), die
auch im Ausland weite Verbreitung fanden. Ganz
im Geist der spätmittelalterlichen Legende und
des Martin von Cochem bewegen sich diese „Gesichte",
die von Klemens Brentano niedergeschrieben,
bearbeitet und erst nach seinem Tod mit Unterstützung
von Haneberg und Möhler 1852 zum Druck befördert
wurden. In mehreren Einzelheiten weichen
sie allerdings von der üblichen Version ab.
Stollanus war nach Emmerick nicht der Vater,
sondern der Großvater Annas; durch seine Frau,
die Moruni oder Ernorum hieß, und durch ihre
Güter erhielt er auch den Namen Garescha oder
Sarziri. Ernorum ging häufig zum Berg Horeb,
wo das Haupt der Essener Archos wohnte und befragte
ihn über ihre Zukunft; auf sein Geheiß heiratete
sie den sechsten Freier, der um ihre Hand anhielt,
nämlich Stollanus. Archos hatte ein Gesicht
und sah, wie aus Ernorum ein Rosenstock mit
drei Zweigen hervorwuchs, an jedem Zweig war
eine Rose und die des zweiten Zweiges war mit
dem Buchstaben M bezeichnet. Ihre älteste Tochter
war Emerentia, die später den Leviten Aphras
heiratete und Mutter der hl. Elisabeth wurde;
sie hatte noch zwei andere Töchter, Emue und
Rhode. Ihre Tochter Esmeria trug bei ihrer Geburt
das von Archos geschaute Zeichen, sie vermählte
sich mit dem Leviten Eliud. Die dritte Tochter
hieß Emue.
Eliuds und Esmerias älteste Tochter war Sobe,
die später Salomo heiratete und Mutter der Maria
Salome wurde, welche die Apostel Jakobus und
Johannes gebar. Nach der Geburt Sobes blieb
Esmeria unfruchtbar, weshalb sie in ihrer Betrübnis
zu den Propheten auf dem Berg Horeb reiste.
Endlich nach 18 Jahren sah sie im Traum, wie
ein Engel einen Buchstaben neben ihr auf die
Wand schrieb. Beim Erwachen fand sie dort ein
M, das Anna auch wirklich bei der Geburt an
sich trug. Mit fünf Jahren wurde diese in den
Tempel gebracht, wo sie 12 Jahre blieb. Ihre
Mutter gebar dann noch eine dritte Tochter,
die den Namen Maraha erhielt und die Mutter
der späteren Jünger Arastaria und Cocharia wurde.
Auf höhere Weisung heiratete Anna den Joachim.
Die Frucht ihrer Ehe war eine Tochter, die sie
Maria nannten. Aber Anna fühlte, daß es nicht
das Kind der Verheißung war, das sie mit Sicherheit
erwartete. Sie lebte deshalb mit ihrem Mann
sieben Jahre in Enthaltsamkeit und zog dann
in die Nähe von Nazareth, um hier durch einen
wohlgefälligen Lebenswandel Gottes Segen auf
sich herabzuziehen; die
Tochter ließ sie bei ihren Schwiegereltern zurück.
Aber sie blieb 19 Jahre und fünf Monate nach
der Geburt dieses Kindes unfruchtbar.
Es folgt nun die Beschreibung vom Opfer Joachims,
seine Zurückweisung, die Erscheinung und Verkündigung
des Engels, die Begegnung an der Goldenen Pforte.
A.K. Emmerik fährt dann fort: Joachim und Anna
umarmten sich in heiliger Freude und teilten
sich ihr Glück mit. Sie waren entzückt und von
einer Lichtwolke umgeben. Ich sah dieses Licht
von einer großen Schar von Engeln ausgehen,
welche, die Erscheinung eines hohen leuchtenden
Turmes tragend, über Anna und Joachim nieder
schwebten. Dieser Turm war, wie ich in Bildern
der lauretanischen Litanei den Turm Davids,
den elfenbeinernen Turm usw. gestaltet sehe.
Ich sah, als verschwinde dieser Turm zwischen
Anna und Joachim, und es umgab sie eine Glorie
von Licht. Ich erkannte hierauf, infolge der
hier gegebenen Gnade sei die Empfängnis Mariä
so rein gewesen, wie alle Empfängnis ohne den
Sündenfall gewesen sein würde... Ich erhielt
bei dieser Gelegenheit noch die Erklärung, die
hl. Jungfrau sei in vollkommener Lauterkeit
und heiligem Gehorsam von ihren Eltern erzeugt
worden, welche sodann mit steter Enthaltsamkeit,
in höchster Andacht und Gottesfurcht zusammengelebt
hatten.
Am Empfängnistag Mariens (8. Dezember 1819)
sah A. K. Emmerik unter der Brust Annas einen
Lichtraum, etwa von der Gestalt eines Kelches,
und in diesem die Gestalt eines leuchtenden
Kindes sich entwickeln und größer werden. Es
hatte die Händchen über der Brust gekreuzt und
sein Häuptchen geneigt, und es gingen von ihm
unzählig viele Strahlen nach einer Seite aus.
Später (21. Nov.
1821) sah sie „Anna wieder verheiratet. Ihr
Mann hatte ein Amt am Tempel, in bezug auf Opfervieh."
„Sie war (vor der Niederkunft der hl. Jungfrau
Maria) sehr beschäftigt; sie ging hin und wieder,
Wolle zu holen und auszuteilen und den Mägden
ihre Arbeit zu bestimmen." Später kam Anna mit
ihrem zweiten Mann und einer Magd zur Krippenhöhle
in Bethlehem, Maria legte ihrer Mutter das Kindlein
in die Arme, und sie war sehr gerührt; auch
hatte Anna der hl. Jungfrau und dem Kind mancherlei
mitgebracht, Decken und Binden. Eliud, ihr zweiter
Mann, starb bald nach Christi Geburt, und
sie mußte nach Gottes Willen zum dritten Mal
heiraten, aus welcher Ehe sie einen Sohn
gebar, welcher auch Christi Bruder genannt ward.
[Wir finden bei Mystikern und sogar bei Heiligen
(auch Päpsten) immer wieder Widersprüche!]
Hier werden wir wieder in die Legendenwelt des
Mittelalters zurückversetzt, nur wird die Verwirrung
in der Genealogie noch um einige Grad gesteigert.
Wer am meisten dazu beigetragen hat, Katharina
Emmerick oder Brentano, diese meistens zu ungunsten
des letzteren entschiedene Frage hat für uns
hier keine Bedeutung. Tatsache ist nur, daß
die alten Legenden im katholischen Volkewieder
lebendig wurden und in Verbindung mit dem Buch
des Martin von Cochem ihre Wirkung ausüben.
Daß die Reformatoren die Annaverehrung diese
in Deutschland wohl schwächen, aber nicht zerstören
konnte, dafür zeugen auch die Glocken, Altäre,
Kirchen, die man ihr nach wie vor weihte,
und die Bilder, die man zu ihrer Ehre anfertigte. Es möge genügen, das
eine oder andere Beispiel anzuführen. Eine Annaglocke
erhielt in Baden unter anderen die Kirche zu
Endingen 1714, zu Staufen 1720, mit der Inschrift:
Hl. Anna, Großmutter Jesu Christi, bitte für
uns (5. Anna, avia Jesu Christi, ora pro nobis),
in Hohenzollern die Kirche zu Jungnau 1627,
und zu Wilsingen 17583, ferner in Sechten (Rheinland)
1785 mit der Inschrift: S. Anna bei deiner Tochter
Kind, bitt für die, so deine Kinder sind, zu
Arnsberg eine Anna-Rochus-Glocke 16655. Steinberg
in der Schweiz erhielt 1643 durch Fürstabt Placidus
Raimon von St. Gallen eine Glocke mit der lateinischen
Inschrift: Anna verscheucht den höllischen
Feind und zerstreut die Blitze / Verderblichen
Hagel löst in Regen sie auf.
Zahlreich sind auch die Kirchen und Kapellen,
die St. Anna in Deutschland zur Patronin erwählten.
Es seien nur genannt die Pfarrkirche zu Frauendorf
(Ermland), die Bischof Kromer 1580 zu Ehren
der hl. Anna und des hl. Augustinus einweihten;
die Annakapelle, die der Kanonikus Andreas Wendelstein
1590 am Münster zu Konstanz stiftete und die
er mit einem Renaissancealtarbild aus Stein
ausstattete, das St. Anna darstellt. Heidelberg
erhielt 1714 eine Annakirche.
Wie im Mittelalter so finden noch immer Stiftungen
zu Ehren der hl. Anna statt. So stiftete an
der Annakapelle zu Loch (Kanton Wallis) 1762
eine Frau neun hl. Messen, die an neun hintereinander
folgenden Dienstagen gelesen werden müssen.
An der Annakapelle zu Schwendelberg (Kanton
Luzern) wurden 1766 und 1770
Stiftungen gemacht, die den Kaplan von dem nahegelegenen
Eschholzmatt
verpflichteten, daß er zur Messe einmal neun
Personen, dann sechs und drei mitnehme, damit
sie den Rosenkranz beten.
Wie früher entstanden noch im 17. und 18. Jh.
Bruderschaften zu Ehren der hl. Anna, wenn auch
nicht in so großer Zahl als in ihrer Blütezeit.
So erhielten in der Schweiz eine Bruderschaft
Steinerberg 1609, die 1627 eigens von Papst
Urban VIII. die Bestätigung ihrer Satzungen
erbat, und Bünzen, die 1737 durch Papst Klemens
XII. mit besonderen Ablässen bedacht wurde.
1694 wurde eine solche in der Annakirche
der Jesuiten zu Wien gestiftet, und zwar
auf besonderes Betreiben des Kaisers Leopold
I. und seiner Gemahlin Eleonora, da ihnen am
St. Annatag der langersehnte Thronerbe geboren
worden war, der nachmalige Kaiser Joseph I.
Ebenso erfolgte 1645 eine Neugründung in Plan
(Böhmen), ferner zu Koslar (1622) und Rieden
(1668) in der Rheinprovinz. Auffällig stark
ist die Neugründung von Annabruderschaften in
Ermland, wo sich ihrer besonders die Franziskaner
annahmen. Sie führten sie z. B. in Kadinen ein
(1718), wo das bis
1820 fortgesetzte Bruderschaftsbuch 4000 Namen
aufweist, darunter sehr viele
Frauenburger, die am Fest der hl. Anna nach
Kadinen zu pilgern pflegten. Schon
1672 hatten sie die Bruderschaft in Springborn
gegründet, wo noch heute an ihrem Fest (Sonntag
nach 26. Juli) etwa 6000 Menschen zusammenströmen.
Ferner erfolgten Gründungen in Elbing (1717),
Schönbrück (1715), Wartenburg (vor 1631).
Wie in Deutschland, so beobachten wir auch in
den anderen Ländern eine neue
Blüte der Annaverehrung. 1641 erhielt der berühmte
Wallfahrtsort Sainte Anne
d'Auray in der Bretagne
seine Annabruderschaft. In ihr Register trug
Königin Anna von Österreich, Gemahlin Ludwigs
XIII., an erster Stelle eigenhändig ihren Namen
ein. An zweiter und dritter Stelle schrieben
auf ihren Befehl der Bischof von Puy und der
Marquis von Molac die Namen ihrer beiden Kinder,
des Dauphin Ludwig (XIV.) und des Philipp von
Orleans. Auf den ersten Seiten des Registers
stehen ferner die Namen: Henriette-Anna, Königin
von England, Henriette-Anna, Herzogin von Orleans,
Nicole, Herzogin von Lothringen, Anna von Bourbon
usw. In ein anderes Register ließen sich am
15. August 1858 eintragen Napoleon II I. und
seine Gemahlin. In Anjou stiftete 1654 Renee
Pommier, Frau des Jean de Dose, testamentarisch
eine Annakapelle an der Kirche S. Pierre de
Meigne mit der Bestimmung, daß auf dem Altar
eine Marmorstatue der hl. Anna aufgestellt und
alle Dienstage zu ihrer Ehre eine hl. Messe
gelesen werde. Im Südosten Frankreichs, in Savoyen,
hatte St. Anna vor der großen Revolution nicht
weniger als 79 Kapellen.
Selbst neue Wallfahrtsorte
bildeten sich in dieser Periode, in der Schweiz
z. B. zu Großvivers (Freiburg) 1626, Combes
(Neuenburg) 1681; auch Schwanden wird urkundlich
1648 zuerst erwähnt.
In Italien und Spanien erlebte die Annaverehrung
in dieser Periode, wie es scheint, jetzt geradezu
seine Blütezeit. In Italien deuten darauf hin
neben der umfangreichen Literatur, die über
St. Anna erschien, die zahlreichen Bilder barocker
Meister. Dasselbe ist in Spanien der Fall. In
Italien war es besonders der ehrwürdige Franziskanerbruder
Innocentius von Chiusi (+1631), der für
die Verehrung Annas eiferte; er hegte gegen
sie eine solche Verehrung, daß man ihn allgemein
„Innocenz von der hl. Anna" nannte. Die Kirche
S. Stefano zu Mailand erhielt am
11. Febr. 1681 eine Annabruderschaft.
In Spanien trug zur blühenden Annaverehrung
das außerordentlich starke Interesse für die
Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariä
nicht wenig bei . Hoch und Niedrig, und nicht
zuletzt der Königliche Hof, traten für eine
Lehre ein, die ihr Licht auch auf die Mutter
der unbefleckt Empfangenen fallen ließ. Und
wie in Italien ein Franziskanerbruder, so war
in Spanien eine Schülerin der großen hl. Theresia,
Anna vom hl. Augustin, mit Erfolg für die Verehrung
ihrer Namenspatronin tätig.
Der Eifer, mit dem
man sich der Annaverehrung hingab, wurde
mancherorts zum Übereifer er und führte
zu Auswüchsen und Übertreibungen, gegen welche
die Kirche einschreiten mußte. Schon Erzbischof
Epiphanius von Salamis auf Cypern (+403) wendet
sich gegen die Ansicht, die die (legendarischen)
Worte des Engels an Joachim „deine Gattin wird
empfangen" so verstand, als ob diese Empfängnis
ohne Mitwirkung des Mannes vor sich gegangen
sei. Obwohl diese Meinung jeder Grundlage entbehrt,
hielt sie sich doch durch die Jahrhunderte oder
lebte wenigstens von Zeit zu Zeit wieder auf.
So wird im griechischen Menologium (9. Dezember)
tadelnd bemerkt, manche behaupteten, Anna habe
ohne Zutun des Mannes ihre Tochter geboren,
während dieses Wunder doch einzig in Maria durch
göttliche Kraft geschehen sei. Auch im Abendland
tritt später dieser Irrtum auf. Bernard von
Clairvaux erwähnt ihn in einem Brief an die
Kanoniker von Lyon, allerdings ohne ihm
irgendwelche Bedeutung beizulegen.
Nicht so weit gingen jene, welche die Empfängnis
Annas zwar auf natürlichem Wege erklärten, dabei
aber jede Begierlichkeit ausgeschlossen wissen
wollten. Dazu gehört die angesehene spanische
Seherin Maria von Agreda, Äbtissin des
Klosters zu Agreda in ihrer „Geistlichen Stadt
Gottes", ein Buch, das in Spanien großes Ansehen
genoß, von der Kirche aber zeitweise verboten
war. Maria von Jesus bzw. von Agreda schrieb
ein umfangreiches Werk über das Leben Mariä,
in dem sie natürlich deren Voreltern nicht übergehen
konnte. Ohne sich, wie später Maria Katharina
Emmerik, in genealogische Aufstellungen zu verlieren,
spricht sie von der Empfängnis Annas. Nach ihr
waren bei der Empfängnis Annas „die Eltern ganz
von der Gnade geleitet und jeder Begierlichkeit
oder bösen Lust so sehr entrückt, daß jene Unvollkommenheit,
die eine Folge der Erbsünde ist, und die sonst
gewöhnlich mit der Materie und deren Mitteilung
verbunden ist, hier nicht statt hatte. Bei der
Verurteilung ihres Buches durch Papst Innozenz
XI. im Jahre 1681 wird gerade diese Behauptung
beanstandet.
[Maria von Agreda ist unverwest und selbst der
König las ihre Bücher. Wenn aber Maria ohne
Erbsünde und damit ohne Begierlichkeit empfangen
wurde, warum könnte da nicht auch ein leidenschaftsfreie
Zeugung stattgefunden haben? Viele Frauen berichten
eh von Schmerzen. Andererseits wurde das Buch
von vielen empfohlen.]
Schon dreihundert Jahre vorher sagte die
sel. Luitgard von Baden (+1347), daß sie
diese Lehre gleichfalls von Maria erfahren habt.
Von anderen Vertretern dieser Meinung sei Clisorius
zu Köln genannt, der in seinem Annabuch schreibt,
Joachim und Anna „haben ihre Tochter, die
Mutter der Keuschheit, gezeugt, ohne das geringste
Gelüst des Fleisches, gleichwie als unsere ersten
Eltern Adam und Eva Kinder im irdischen Paradies
geboren hätten, wenn sie nicht durch den Ungehorsam
in die Sünde gefallen, sondern immer standhaft
in der Gnade geblieben wären".
Maria von Agreda weiß auch zu berichten, daß
Christus bei seiner Auferstehung vielen Seelen
in der Vorhölle befahl, sich mit ihren Leibern
zu vereinigen, und sie zu einem unsterblichen
Leben erweckte; unter ihnen befanden sich auch
Anna und Joachim. Solange Maria noch auf Erden
weilte, feierte sie mit besonderen Andachtsübungen
das Fest ihrer Eltern, die mit dem Heiland und
einer unzähligen Menge Engel in das Gebetskämmerlein
ihrer Tochter kamen; bevor sie wieder in den
Himmel zurückkehrten, bat Maria sie um ihren
Segen. [Die sel. Anna Kath. Emmerik hatte Angst
den Visionen unbewußt eigenes hinzuzufügen!]
Von dieser wachsenden Verehrung zeugt auch die
Tatsache, daß gerade im
19. Jh. sich neue weibliche Ordensgenossenschaften
nach der hl. Anna benannt haben und viele einzelne Klöster sie sich zur
Patronin erwählten...
Von Europa wurde die Annaverehrung nach Amerika
gebracht. Nach Kanada brachten ihn die Bretonen,
wie wir noch hören werden, nach Südamerika kam
er durch die Spanier und Portugiesen. Besonders
in Brasilien erreichte er eine bedeutende Höhe.
In Mexiko bestand ein Annakloster der Franziskaner
bei Plaxcala im Jahr 1540.
Wie wenig im innerkirchlichen Leben der Angriff
der Reformatoren der Annaverehrung Abbruch getan
hatte, zeigt die Entwicklung ihrer Verehrung
in der Liturgie. Der hl. (!) Papst Pius V. (+1572)
merzte ihr Fest aus Meßbuch und Brevier aus.
Dieser Zustand dauerte indes nicht lange. Bereits
Papst Gregor XIII. führte das Fest durch
eine Bulle vom 1. Mai 1584 wieder ein und schrieb
es für die ganze Kirchen vor, nachdem er
auf das Gebet des Franziskanerbruders Innocenz
von Chiusi (+1631) von schwerer Krankheit geheilt
war.
Das Meßformular des alten römischen Missale
beginnt der Eingangsvers (Introitus) mit Gaudeamus
(Laßt uns freudig feiern), eine Formel, die
der Messe des Festes Mariä Himmelfahrt entnommen
war. Das römische Brevier enthält außer einigen
Abschnitten als Lesungen aus einer Rede des
hl. Johannes Damaszenus keinerlei Andeutungen
über ihr Leben. Anders war es im Mittelalter;
die Hymnensammlung der PP. Dreves und Blume
enthalten rund hundert verschiedene Hymnen und
21 Sequenzen auf die hl. Anna; desgleichen 21
verschiedene Reimoffizien, die
im Mittelalter sehr beliebt waren. Das Reimoffizium
des Breviers von Redon aus dem Ende des 14.
Jahrhunderts bietet fast den ganzen Inhalt des
Protoevangeliums.
Die letzte liturgische Ehrung
erwies der hl. Anna Papst Leo XIII.,
der in der Taufnamen Joachim hatte. Die Verehrung,
die er infolgedessen gegen den Vater der Jungfrau
Maria hegte, übertrug er auch auf ihre Mutter.
An ihrem Festtag
hielt er 1845 seinen Einzug in Perugia als Bischof;
1857 gründete er in Perugia
eine höhere Schule und gab ihr die hl. Anna
als Patronin. Als Papst bestimmte er am 1. August
1879, daß das Fest der Eltern der allerseligsten
Jungfrau Maria fortan auf dem ganzen Erdkreis
mit doppeltem Ritus zweiten Grades gefeiert
werden solle.
Inhaltsverzeichnis
13. Kap.
Die volkstümliche ANNA-Verehrung
Wir haben bereits die volkstümliche Annaverehrung
kennengelernt; es bleibt also noch, von einigen
Gebets- und Andachtsübungen zu sprechen, womit
man früher die Großmutter Christi verehrt hat.
Die Sitte, die Heiligen an einem Tag des Jahres
in besonderer Weise zu verehren, und zwar meistens
an ihrem Todestag, ist ebenso alt als die Heiligenverehrung
selbst. Bedeutenden Heiligen pflegt man seit
langem außerdem einen besonderen Tag jeder Woche
zu weihen; so der Gottesmutter Maria den Samstag,
dem hl. Joseph den Mittwoch. Eine Zeit nun,
welche der hl. Anna in so außergewöhnlicher
Weise huldigte wie das ausgehende Mittelalter,
konnte sich unmöglich damit zufrieden geben,
ihrer nur an einem Tag des Jahres zu gedenken.
Wie der Mutter, so mußte auch der Großmutter
Würde und Hoheit allwöchentlich gepriesen werden.
Man tat es an jedem Dienstag.
Weshalb dieser Tag, darüber soll uns Abt
Trithemius, der große Lobredner Annas, informieren.
„Zu dieser wöchentlichen Gedächtnisfeier", schreibt
er, „scheint sich besonders der Dienstag
zu eignen, da die hl. Anna nach der Überlieferung an einem Dienstag
zur Welt gekommen und gestorben ist. So kam
an vielen Orten die lobenswürdige Sitte auf,
den Dienstag zum Andenken der hl. Anna mit der
gleichen Andacht zu feiern, wie der Samstag
zur Ehre der Mutter Gottes in der ganzen Welt
gefeiert wird. Wir selbst waren Zeugen, wie
man am Niederrhein jeden Dienstag zu Ehren der
hl. Anna Messen sang, Kerzen anzündete, Opfer
darbrachte und den Armen reichlichere Gaben
spendete. Wir kennen ebendaselbst auch einige
eifrige Verehrer der hl. Anna, die jeden
Dienstag drei Kerzen anzünden, drei besondere
Almosen spenden und ebenso viele körperliche
Bußwerke verrichten. Der Anfang dieser Sitte
geht auf ein Wunder zurück, welches die hl.
Anna in Ungarn gewirkt hat, wo ein Jüngling,
aller Mittel und Hoffnung beraubt, durch ihre
Fürbitte zu großen Ehren und Reichtümern gelangte."
Von Deutschland verbreitete
sich dieser Brauch nach Frankreich, Italien
und andere Ländern. In Riga findet sie sich
1487 erwähnt, da nach einer Verordnung aus diesem
Jahr „die Priester mit dem Schulmeister und
den Schülern Dienstags die Messen singen sollen
van sante Annen. Zu Rom wurde in den Kirchen
S. Giovanni in Agno und Andrea delle fratte
an jedem ersten Dienstag des Monats abends eine
Stunde vor dem Aveläuten zu Ehren der hl. Anna
das heiligste Sakrament exponiert. In Bologna,
wo der 26. Juli als gebotener Feiertag galt,
fand jeden Dienstag eine besondere Anna-Andacht
statt.
In Brakel im Nethegau
zu Westfalen gingen an den neun Dienstagen vor
dem
26. Juli in aller Früh
Kinder und Erwachsene hinaus zu der 20 Minuten
entfernten Annakapelle. Fromme Lieder und Gebete
verkürzen den Weg. In der Kapelle wurden dann
mehrere Messen gelesen, die die Gläubigen mitfeierten.
Das Kirchlein wurde 1719 von einem Freiherrn
von Asseburg auf Hinnenburg erbaut, aber schon
vorher war sich an dieser Stelle ein kleines
Heiligtum mit einem uralten Annabild.
In dem Wallfahrtsort Steinerberg (CH)
begannen die neun Dienstage schon nach dem Sonntag
Quinquagesima (Sonntag vor Aschermittwoch) und
schloßen am Osterdienstag. Der erste, mittlere
und letzte Dienstag war durch feierlichen Gottesdienst
mit Predigt ausgezeichnet.
In Antwerpen fand
in der Kirche der hl. Anna, die von den Redemptoristen
betreut wurde, jeden Dienstag ein von den Gläubigen
viel besuchter Gottesdienst statt. Eine sehr
bedeutende Stätte der Verehrung unserer Heiligen
ist Bottelaer bei Gent mit einer prächtigen
Annakirche, die im Mittelalter selbst von Ungarn
aus besucht wurde. Wie sehr hier ehedem der
Dienstag als Festtag der hl. Anna galt, zeigt
folgende Tatsache. Als Berthold de Paix 1667
zu Ehren der hl. Anna dort ein Karmeliterkloster
gründete, wurde die Bestimmung getroffen, daß
die Kirche an allen Dienstagen des Jahres vormittags
geschlossen bleiben sollte. Man wollte dadurch
verhindern, daß durch den Besuch der Klosterkirche
die blühende Annaverehrung in der Pfarrkirche
Abbruch erleide. Es kamen nämlich zuweilen an
einem Tag 4000 Pilger. Kranke aller Art, Blinde,
Lahme, Geisteskranke, schrieben der hl. Anna
ihre Heilung zu.
Auch in Pilsen
fand während eines Teiles des Jahres am
Dienstag eine Votivmesse zu Ehren der hl. Anna
statt, und von der Oktav des Fronleichnamsfestes
bis zum Advent sang man:
„Sei bei uns, o lobwerte hl. Anna! Gegrüßt
bist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist
mit dir; deine Gnade sei auch allezeit mit mir!
Du bist gebenedeit unter den Fraurn und gebenedeit
sei auch deine ehrwürdigste Mutter Anna, von
welcher ohne Makel dein jungfräulicher Leib
entsprossen. Steh uns gnädig bei, o hl. Mutter
Anna, von welcher ohne Makel entsprossen ist
die allerseligste Jungfrau Maria."
Dasselbe Gebet findet
sich bereits 1336 in der Stiftungsurkunde des
Klosters Maxstock in Warwickshire (England),
die wegen ihrer Bestimmungen ein glänzendes
Denkmal der Annaverehrung in England ist und
deren bereits früher Erwähnung geschah. Es heißt
in der Urkunde: „Angetrieben von dem Eifer frommer
Andacht, mit dem alle Christgläubigen die glorreiche
Jungfrau Maria verehren und mit Rücksicht auf
ihre hochselige Mutter Anna will, verlange und
verordne ich, daß am Schluß der Mette der allerseligsten
Jungfrau und ebenso am Schluß ihrer Messe und
nach jeder Tagzeit der Priester, der die Messe
gelesen, oder der Offiziator des Chors im gleichen
Ton wie die Tagzeiten den „Englischen Gruß"
und das Gebet zur Mutter Anna bete, und daß
man dieser Verpflichtung durch Verrichtung folgenden
Gebetes nachkommen soll (folgt obiges Gebet).
Große Beliebtheit erfreute
sich das bereits erwähnte Gebet zur hl. Anna:
Gegrüßt bist du, Maria, voll Gnaden, der Herr
ist mit dir, deine Gnade sei
mit mir, gesegnet
bist du unter allen Frauen, und gesegnet sei
deine hl. Mutter
Anna, von welcher
geboren ist, o Maria, ohne Sünde, ohne Unreinigkeit
dein heiliger und gütiger Leib, aus welchem
geboren ist Jesus Christus. Amen.
In zahlreichen
Annabüchlein kehrt dieses Gebet ständig wieder.
Angeblich hatte
Papst Alexander VI.
einen ungewöhnlich großen Ablaß damit verbunden.
Unter den frommen Anrufungen findet sich die
Zusammenstellung des Namens Anna mit Jesus und
Maria. Wie die Katholiken heute zu sagen pflegen:
Jesus, Maria, Joseph, so war früher üblich:
Jesus, Maria, Anna. Diese Vereinigung der drei
hl. Namen findet sich schon auf einer Glocke
vom Jahre 1413 zu Danzy bei Nevers in Frankreich.
Desgleichen an einem Kelchschaft zu Annaberg
in Sachsen. Später erweiterte man die Anrufung
und fügte noch andere Namen hinzu, z. B.: Jesus,
Maria, Anna, Joseph, Joachim. Auch in den Messen
des 15. Jahrhunderts kommt diese Zusammengehörigkeit
zum Ausdruck. So war damals ein Offizium (Messe)
der hl. Anna und ihrer gesamten Verwandtschaft"
verbreitet.
Noch häufiger begegnet uns die kurze Anrufung:
Hilf Sant Anna oder Hilf Sant Anna selbdritt,
die wir auch oft unter Bildern der Heiligen
oder an kirchlichen Gegenständen antreffen,
so z. B. an einer Annastatue zu Gründstädel
in Sachsen: HILF SANT ANNA SELBDRITT.
Wie die Mutter Gottes so pflegte man auch die
Mutter Anna durch einen Rosenkranz zu
verehren, der eine Art Loblied ist und bestimmte
regelmäßig wiederkehrende Einschaltungen hatte.
Abt Trithemius verfaßte ein solches Rosar zu
Ehren der hl. Anna, desgleichen der Patrizier
und kaiserliche Rat Jodokus Beissel aus Aachen (+1514). Obwohl es
etwas lang ist, bringen wir es, um zu zeigen,
wie gelehrte
Männer die hl. Anna feierten.
Das Gebet, welches stets nach je zwei Versen
wiederholt wurde, lautet folgendermaßen:
Sei gegrüßt, ehrwürdige Mutter der Gottesgebärerin,
der heiligsten Dreifaltigkeit ein Gegenstand
des höchsten Wohlgefallens, vor allen Frauen
ausgezeichnet mit Ehren! Gebenedeit bist du
von dem Herrn, und gebenedeit ist auch die Frucht
deines Leibes, und der jungfräuliche Sohn deiner
Tochter, Jesus Christus. Amen.
Der Rosenkranz selbst besteht aus mehreren Abschnitten,
zu Anfang eines jeden Abschnittes wurde ein
„Vaterunser" gebetet.
|
1. Anna, vergönne mir Armen, dein Lob der Welt
zu verkünden,
Wenn du es huldvoll erlaubst,
krön' ich mit Rosen dein Haupt.
Anna, du stammest
vom edlen Geschlecht der Könige Judas
Und dein
frommer Gemahl, Joachim, mehrt dein Lob.
Anna, du weintest, als Gott dich nimmer mit
Sprossen beglückte:
Du der Schmuck und der Ruhm
aller Vermählten zumal.
Anna, du flehtest zu Gott um ein Kind nicht
aus eitler Absicht,
Einzig dem Dienst des Herrn
wolltest du weihen die Frucht.
Anna, dir brachte
aus himmlischer Höh ein Engel die Botschaft:
„Juble, denn siehe, dir wird Freude der Mutter
zuteil."
Anna, die Frucht, die dein Schoß uns beschert,
so strahlte von Tugend,
Daß sie verdiente zu
sein Jungfrau und Mutter zugleich.
Anna, du trugst die Tochter in dir, die im keuschesten
Schoß
Gott umschloß, den die Welt nimmer zu
fassen vermag.
Anna, dem Blut, das dir in den
Adern fließt, entspringt
Jenes Blut, das die Schuld tilgte der sündigen
Welt.
Anna, wohl ziemte es sich, daß so lange du harrtest
der Tochter;
Denn für die Mutter des Herrn schwer
ja die Mutter sich fand.
Anna, der Ruhm deiner
Tochter ist über die Sterne erhaben.
Doch hochselig
auch dich preisen die Völker zumal.
2. Anna, du hast ohne Makel der Sünde Maria
empfangen,
Schon vom ersten Beginn war sie geheiligt
dem Herrn.
Anna, du trugst die Tochter im Schoß, so die
Väter der Vorzeit
Uns in Bildern gezeigt, und die besungen ihr
Lied.
Anna, du faßtest in dir den „verschlossenen
Garten",
der prangte Mit dem heiligen Baum, welchem das
Leben erblüht.
Anna, du trugst im Schoß den
Aufgang, welchen der Engel
Mit dem flammenden Schwert nachts und bei Tag
bewacht.
Anna, du trugst die Blume, der weicht
die Demut des Veilchens
Und der Purpur der Rose,
gleichwie der Lilie Weiß.
Anna, du trugst das goldene Gefäß und die Lade
des Bundes,
Welche das göttliche Brot einstens
zu bergen bestimmt.
Anna, du trugst im Schoß des wahren Salomon
Brautzelt,
Welches mit Edelgestein außen und
innen geschmückt.
Anna, du trugst den Tempel,
aus dessen geheiligten Hallen
Töne der Freude und
Lust lieblich erklingen zum Ohr.
Anna, du trugst im herrlichen Bilde den Vorhang,
den Gottes
Hohe Geheimnisse birgt, Taten der Väter enthüllt.
Anna, die Tochter du trugst, zu deren Haupt
die goldene Sonne
Und zu Füßen der Mond strahlt im lieblichen
Glanz.
3. Anna, als endlich der Himmel als Frucht Maria
dir schenkte,
Da vermochte dein Herz nimmer
zu fassen die Freude.
Anna, als du Maria gebarst, da jauchzte der
Himmel,
Und ein neues Gestirn brach aus den
Wolken hervor.
Anna, wir glauben mit Recht, daß Scharen himmlischer
Geister
Deiner Tochter Geburt jubelnd gefeiert mit dir.
Anna, du brachtest durch deine Geburt Erquickung
den Toten
Nimmer geschautes Licht weckte die Unterwelt
auf.
Anna, du scheust dich nicht, mit der Hand zu
erfassen die Tochter,
Vor der jedes Gestirn,
jegliche Sonne erblaßt.
Anna, was hält dich zurück, das göttliche Kind
zu berühren,
Lacht es doch freundlich dich an,
fügt nichts Leides dir zu.
Anna, faß nur Mut;
es streckt das Kindlein das Händchen
Lächelnd
zur Mutter empor, schmiegt sich zärtlich an
sie.
Anna, nun zögerst und zauderst du nimmer und
nährst das Kindlein
Voll Vertrauen und Lust, drückst es traut an
dein Herz.
Anna, du pflegst mit Liebe das Kind,
und mit rosigem Mund
Und mit lieblichem Ton
schlürft es die nährende Milch.
Anna, wenn kund dir wäre der Schmerz und die
Qualen des Todes, Welche bedrohen das Kind,
ständest vernichtet du da!
4. Anna, dir lag vor allem am Herzen, die Tochter
zu zieren
Mit der Tugenden Schmuck und zu erziehen zu
Gott.
Anna, du machtest dich auf, zu geleiten die
Tochter zum Tempel,
Doch von niemand geführt,
steigt sie die Stufen empor.
Anna, du folgest der Tochter, der schnellen,
mit langsamem Schritt,
Hurtig dir geht sie voran,
stärket die Müde mit Trost.
Anna, was wunderst du dich, an dem Kind, so
zart noch an Alter,
Solche Stärke zu sehn? Gott
ist es, der sie ihr gab.
Anna, du schenktest dem Haus des Herrn und den
Armen gar vieles. Noch nie schenkte eine Frau,
was du dem Höchsten geschenkt.
Anna, sobald
du gewollt, daß das Kind dem Allmächtigen diene,
Trennt es sich freudig von dir, schließt im
Tempel sich ein.
Anna, als kommen die Stunden, zu scheiden vom
Kind, da netzten
Tränen dein Auge und fest hielt dich die Liebe
gebannt.
Anna, gehe nach Haus und lasse die Tochter dem
Höchsten:
Auf den Gesalbten, der kommt, richte
sie einzig den Sinn.
Anna, die Tochter erhebe den Geist zu den himmlischen
Höhen,
Nur die Liebe sie kenne, welche von oben
entstammt.
Anna, dir reichlich genügen die zwei Maria zum
Dienst.
Auch von diesen wirst du sorgliche Pflege
empfangen.
5. Anna, durch Leiden belehrt, erweisest du
Leidenden Mitleid,
Schenkest ein gnädiges
Ohr allen Bedrängten zumal.
Anna, selbst das Gesetz der Natur vermagst du
zu ändern,
Da du öffnest den Schoß, welcher verschlossen
zuvor.
Anna, du leihst Beistand dem schwankenden
Glück und sorgst,
Daß nicht entgleite der Hand,
was uns dasselbe verlieh.
Anna, du zierst uns
mit Ruhm und hältst von uns fern die Schande,
Du bist der Trauernden Trost, dämpfest der Liebenden
Glut.
Anna, du hilfst, mag
uns Feindesgewalt mit Schrecken erfüllen,
Mögen
gefangen wir schon schmachten im dunklen Verließ.
Anna, du stehst dem
Sterblichen bei, wenn ihn Krankheit ergriffen;
Führst zum Leben zurück, wer schon geweiht dem
Tod.
Anna, auf dich vertraut
auf tobendem Meer der Schiffer,
Wenn den geborstenen Kahn immer noch peitscht
die Flut.
Anna, vor dir erbebt
der Fürst der finsteren Mächte,
Und er entschwindet
vor dir, wie vor der Sonne das Eis.
Anna, was immer wir
bitten von dir, wird uns nimmer versagt,
Denn
was du wünschst, das will Tochter und Enkel
zugleich.
Anna, selig durch eignes
Verdienst und die Würde der Tochter,
Leihe voll Gnade und Huld unsern Wünschen dein
Ohr! |
Einen „verdeutschten Rosenkranz der allerseligsten
Mutter Sankt Anna" sandte der Franziskaner Johann
Weigknaut zu Erfurt 1500 an die Gemahlin des
Fürsten Ernst zu Anhalt, indem er sie zugleich
in die Annabruderschaft aufnimmt, die er selbst
in Erfurt gegründet hat, „drinnen Grafen, Ritter
und vil guter ander Leutte sind”.
Zum Schluß sei auch noch der Lieder gedacht,
die zur Ehre der Großmutter Christi gesungen
wurden und teils die Macht ihrer Fürbitte, teils
die Erhabenheit ihres Tugend-beispiels feierten.
Als Beispiel für die Frauen wird sie in einem
Lied hingestellt, das zuerst 1623 in
einem Kölner Gesangbuch erscheint und also beginnt:
Catholisch Gesangbuch, gedruckt zu Nürnberg
1631, enthält mit der Überschrift:
Das alte Gesang von S. Anna, Im Thon: In Gottes
Namen heben wir an.
Sankt Ann die Edle Frau Sehr hochgeboren, Wol
auserkohren, Hie als ein Spiegel schau! Ist
aller Frauen ein Spiegel von Christal Darin
die Frauen all sich können schauen.
Die Macht ihrer Fürbitte, der nichts unmöglich
war, preisen folgende Verse:
Von Kindern, die
sind gewesen tot - Den half Sant Anna aus aller
Not
Krüppel an Füßen und von Armen, - Der sich sant Anna tat sehr erbarmen.
Besonders ertönten solche Lieder aus vieler
Mund, wenn man zu ihren Gnadenorten zog, wo
sie jene große Wundertaten verrichtet, von denen
die vorherigen Verse melden. Da sang man gar
andächtig, wie es in einem niederdeutschen Lied
von
1504 heißt:
|
0 Anna zart, Zu dieser Fahrt, Laßt uns aufs
neu anheben,
Ein Lobgesang, Zu Ehr und Dank, Deinem Geschlecht
daneben.
Dich und die erste Tochter dein Mit
ihrem lieben Sohn
Vor alles anders schon
In deinem Stamm Der all voran Hoch übertritt
Mit dir selbdritt Also darbei erheben Das du
wollst sein
Mit Fürbitt dein Ein Beystand unsers Lebens.
|
Besonderer Beliebtheit erfreute sich der „St.-Anna-Ruf",
von dem Wackernagel zwei Fassungen bringt. Wir
bieten hier die Fassung, wie sie das Groß Catholisch
Gesangbuch zu Nürnberg 1631, enthält mit der
Überschrift Das alte Gesang von S. Anna, im
Ton: In Gottes Namen heben wir an.
Nun last uns all Gott rufen an, Die liebe S.
Anna will uns beystan Mit Maria ihrm
Kinde: Wer sich zu Gott durch sie bekehrt, Groß
Gnad wird er da finden.
Sie ist ein treue Nothhelfferin Bey Gott
mit Maria ihrm lieben Kind, Und wenn wir
sollen sterben, So will S. Anna mit Maria Uns
Gottes Huld erwerben.
Aus Königlichem Stamm ist sie geborn, Gott hats
ihm selber auserkorn, Groß Heil ist von ihr
entsprungen, Die Engel in dem Himmelreich Haben
Gott drumb Lob gesungen.
Sie ist ein Königin
im Himmelreich, Auf Erden find man nicht der
gleich, Sie ist gar hoch geboren, Sie hat Maria
die reine Magd, Mit Freud ohn Sünd geboren.
Und ist das nicht ein Wunder groß, Daß Jesus
aus seines Vaters Schoß Aus ihrem Geblüt ist
geboren? Der hat uns Sünder all erlöst, Daß
wir nit würden verloren.
Sanct Anna war heilig
und gerecht, Geborn von gar edlem Geschlecht,
Von König Davids Stammen, Ihr Nam hat Gnaden
mit sich bracht, Drum heißt sie die heilige
Anna.
S. Anna will niemand verlahn, Es sei gleich
Fraue oder Man, Wer sie wird bitten eben - Und
will von seinen Sünden lan, Dem wird sie Christus
vergeben.
O Sünder, du sollst nicht verzagn, Sollst all
dein Sünd dem Priester klagn
Und sagn dein große Schulde, So will Sanct Anna,
die fromme Frau, Erwerben
Gottes Hulde.
Inhaltsverzeichnis
14. Kap.
Wallfahrtsorte, Kirchen und Reliquien
der hl. ANNA
Von den Wallfahrten als Äußerungen der Annaverehrung
haben wir schon früher gesprochen. Wallfahrtsorte,
an denen die hl. Anna in besonderer Weise verehrt
wird, gibt es in allen katholischen Ländern
in großer Zahl. Man kann sie nicht alle aufzuzählen,
einige nehmen aber in der Geschichte der Annaverehrung
eine so bedeutende Stelle ein, daß wir ihnen
ein eigenes Kapitel widmen müssen. In Deutschland
sind es Düren, Annaberg in Sachsen und Annaberg
in Schlesien. Ihnen schließen sich andere
von geringerer Bedeutung an.
Auf eine eigentümliche Weise wurde die Stadt
Düren bei Köln zu einem Wallfahrtsort
der hl. Anna. Der Anziehungspunkt der Wallfahrer
ist das Haupt St. Annas, das einst ein
kostbarer Schatz des Stiftes St. Stephan zu
Mainz bildete. Es ist nur ein Teil der Hirnschale;
da aber auch in den Urkunden von dem Haupt der
hl. Anna die Rede ist, behalten wir hier den
Ausdruck bei. Nach einem anderen, wenig glaubwürdigen Bericht
soll das Haupt schon im 12. Jh. sich in Alfter
bei Bonn befunden haben und von dort nach Mainz
gebracht worden sein. Es war 1212 durch den
Stiftsscholastiker und Kreuzzugsprediger Theobald
dorthin gelangt, wie wir bereits berichtet haben.
Die Reliquie wurde in der Stiftskirche hinter
dem Hochaltar in einer Marmornische sorgfältig
aufbewahrt. Als 1500 der Stiftsdekan Johann
Fust durch den Steinmetz Leonard aus Cornelimünster
eine Ausbesserung der Kirche vornehmen ließ,
benutzte dieser die Gelegenheit, am Vorabend
des Andreastages die Reliquie zu stehlen. Er
brachte sie in seine Heimat; der Abt des dortigen
Benediktinerklosters verweigerte jedoch die
Annahme. Auf den Rat seiner Mutter übergab Leonard
die Reliquie deshalb am 5. Januar 1501 den Franziskanern zu Düren, damit sie diese dem rechtmäßigen
Besitzer zurückbringen.
In Mainz hatte man inzwischen
den Verlust bemerkt. Die Boten, welche man nach Cornelimünster sandte, erfuhren hier, daß die
Reliquie bereits in Düren war. Hier waren jedoch
alle ihre Bemühungen umsonst. Die Franziskaner
hatten sie zwar den Boten zurückgegeben, kaum
erfuhr aber die Bürgerschaft Dürens davon, da
widersetzte sie sich entschieden der Rückgabe;
den größten Widerstand leisteten die Frauen.
Die Boten mußten deshalb unverrichteter Sache
nach Mainz zurückkehren. Keinen Erfolg hatten
auch die Bemühungen des Dekans Fust, der selbst
zur Wiedererlangung des Schatzes nach Düren
eilte. Auch er vermochte bei der Bürgerschaft
nichts auszurichten. Er wandte sich deshalb
an Herzog Wilhelm
von Jülich, der die Sache trotz aller Versprechungen
in die Länge zog.
Da brachten die Stiftsherrn
den Diebstahl auf dem Reichstag zu Nürnberg
vor den Kaiser Maximilian, der mit seinem Kanzler,
Erzbischof Berthold von Mainz, den Bewohnern
von Düren die Rückgabe der Reliquie befahl.
Ebenso sandte der päpstliche Kardinallegat Raymund
von Gurk ein Schreiben nach Düren. Jedoch die Dürener ließen es sich nicht anfechten und mißhandelten
den Boten, welcher das Schreiben an der Kirchentür
anheftete. Selbst der Bann, den die Erzbischöfe
von Köln und Mainz über sie verhängten, konnte
sie nicht bewegen, den Schatz auszuliefern.
Die Sache kam 1503
an Papst Alexander VI. und nach dessen Tod an
Julius II. Der Pfarrer von Düren, Hildebrand
von Weword, reiste nach Rom und vertrat dort
gegenüber zwei Mainzern Kanonikern von St. Stephan
seine Sache so gut, daß der langwierige Streit
endlich zugunsten von Düren entschieden wurde,
zumal Kaiser Maximilian sich später selbst auf
die Seite der Dürener gestellt hatte. Schien
es ja, wie es in der päpstlichen Entscheidung
vom 18. März 1518 heißt, als ob die Übertragung
der Reliquie von Mainz nach Düren nicht ohne
göttliches Eingreifen geschehen sei; in Mainz
wurde sie anscheinend nicht genug verehrt, wie
man auch von keinem Wunder gehört habe,
während ihr in Düren durch die Andacht des Volkes
und die vielen Wallfahrten eine glänzende Verehrung
zuteil würde; auch könne sie ohne großes Ärgernis
nicht von dort entfernt und nach Mainz zurückgebracht
werden.
Julius II. bestimmte ferner, daß alle Prozesse
über die Reliquie erlöschen sollten;
dem Stephansstift zu Mainz wurde ewiges Stillschweigen
auferlegt, während der Pastor und Kaplan,
der Magistrat und die Gemeinde der Stadt Düren
vom Bann befreit wurden.
„Mit Seufzen lösten die Dürener das wertvolle
Pergament ein; es hatte sie schon mehr als 1600
Goldgulden gekostet." Im ganzen hatten sie 2700
Golddukaten gezahlt, bevor die Sache zu ihren
Gunsten entschieden wurde. Um so größer war
nun aber auch die Freude, als sie die Reliquie
ihr eigen nennen durften. Es wurden öffentliche
Gebete abgehalten und Prozessionen veranstaltet.
Man ließ eine Annaglocke gießen und bestimmte
den Dienstag zu ihrer besonderen Verehrung.
Davor mußte sich schon das französische Parlament
mit einer Annareliquie befassen. Es handelte
sich gleichfalls um einen Teil des Hauptes,
das Mathias von Roye aus Ungarn mitgebracht
und testamentarisch der Abtei Ourscamps bei
Paris vermacht hatte. Da sein Sohn sich
weigerte, den Schatz herauszugeben, kam die
Sache vor das Parlament, das 1486 gegen die
Abtei entschied, 1490 aber das Urteil zu ihren
Gunsten änderte. Barbier de Montault, Oeuvres
completes
XVI, 50s.
In der Folge wurde die Andacht und der Zulauf
der Gläubigen immer größeren. Die Martinskirche,
in der die Reliquie aufbewahrt wurde, erhielt
den Namen Annakirche. Die Reliquie war in einer
silbernen Büste eingeschlossen, um deren Fuß
man einen silbernen Gürtel mit spätgotischen
Ornamenten legte. Diesen „Gürtel der um Kindersegen
baten und durch die hl. Anna" legte man Frauen
an, welche Fürsprache der hl. Anna diesen zu
erlangen hofften.
Es war aber nicht nur das einfache Volk, welches
sich in Düren einfand. Kaiser Maximilian
kam dorthin, um die Reliquie zu verehren.
Auch sein Nachfolger Karl V. bewies ihr seine
Verehrung. Als bei der Erstürmung der Stadt
durch den Kaiser in der Fehde mit Herzog Wilhelm
von Jülich fast alle Häuser nebst der Kirche
ein Raub der Flammen wurde, ließ Karl V. das
kostbare Haupt, welches man in sein Zelt gerettet
hatte, in feierlicher Prozession in das Franziskanerkloster
übertragen. Der Erzbischof von Compostella,
der sich beim Heer befand, trug die Eucharistie.
Alle Bürgern, Geistliche und Edelleute begleiteten
den Zug. Einen Glanzpunkt in der Geschichte
der Dürener Annaverehrung bildete die Vierhundertjahrfeier
der Übertragung der Reliquie im Jahre 1901.
Wohl 100 000
Pilger fanden sich während der Festtag ein.
Auch der Kölner Kardinal Fischer
befand sich unter ihnen; nach der feierlichen
Pontifikalmesse nahm er an der
Prozession teil, die einem wahren Triumphzug
zu Ehren der hl. Anna glich.
Ein sehr angesehener
und vielbesuchter Wallfahrtsort war zu Beginn
des 16.
Jahrhunderts die Stadt Annaberg in Sachsen,
wie denn überhaupt die Verehrung
unserer Heiligen in den sächsischen Ländern
eine ungewöhnliche Höhe erreicht hatte. Noch
heute zählt man in Sachsen unter den 297 spätgotischen
Altären nicht weniger als 28, in denen St. Anna
als Hauptbild erscheint. Kurfürst Friedrich
der Weise von Sachsen wallfahrte 1493 als einfacher
Pilger, aber mit großer Begleitung in das Hl.
Land. Von Rhodus brachte er als Reliquie einen
Daumen der hl. Anna mit, welchen er mit
den reichen Schätzen des Allerheiligenstiftes
in Wittenberg vereinigte. Er ließ nach seiner
glücklichen Rückkehr eine Münze prägen mit der Aufschrift: Hilf Sancte
Anna. Von Papst Alexander VI. erwirkte er 1496
ein Reskript, wodurch der 26. Juli in seinem
Land als Festtag angeordnet wurde.
Als man 1492 am Schreckenberg eine neue Silberquelle
entdeckte, was zahlreiche Menschen dorthin zog,
betrieb Herzog Georg der Bärtige von Sachsen
aus allen Kräften den Bau einer neuen Stadt,
zu der am 21. September 1496 der Grundstein
gelegt wurde. Das Volk nannte sie die „Neue
Stadt bei dem Schreckenberg", Herzog Georg aber,
der, wie kaum ein zweiter Fürst der Zeit, der
hl. Anna huldigte, gab ihr aus Verehrung gegen
seine Patronin den Namen Annaberg. Gleichzeitig
bat er den Kaiser Maximilian um Bestätigung
dieses Namens, eine Bitte, welcher der Kaiser
Maximilian durch Privileg vom 22. März 1501
zu Nürnberg willfahrte. Zugleich gab er ihr
ein Wappen mit dem Bild der Selbdritt, welches
zwei Bergleute, die über gekreuzten Schlägeln
stehen, auf einem Thron halten. Das älteste,
um
1500 hergestellte Stadtsiegel zeigt den thronenden
Heiland mit dem Schwert,
aus dem Lilien hervor wachsen (im Anschluß an
die Apokalypse); darunter Anna selbdritt mit
der Umschrift: Sigillum civitatis Montis Sanctae
Annae.
Die Entdeckung
machte der Bergmann Daniel Knappius, den nach
der Sage ein Engel zu der Erzstelle führte.
Wie er dem Bergpatron Daniel eine Erzstufe überreicht,
hat Meister H. W. um 1520 an dem Schlußstein
des Gewölbes über dem Bergaltar in Annaberg
dargestellt. Wie Annaberg, so verdanken auch
andere Städte Sachsens dem Bergbau ihre Entstehung.
S. Annaberg die Frau, S. Joachimsthal der Mann,
/ Und Mariaberg, die Tochter, sein, / Die drei
Städte, die ich mein, / So innerhalb drei oder
24 Jahren aufkommen seyn. Petrus Albinus, in
Annabergische Annales de anno 1492 bis
1539.
Bald genügte die hölzerne
Kirche, welche man zu Ehren der hl. Anna errichtet
hatte, für die zuströmenden Massen nicht mehr,
und 1499 wurde durch den Bischof Johann von
Meißen und den Pfarrer von Annaberg, Philipp
Pfennig, in Gegenwart des Herzogs Georg und
seiner Brüder Heinrich und Friedrich der Grundstein
zu einer neuen Kirche aus Stein gelegt, die
65 Meter lang und 27 Meter breit ist... Die
Vollendung der inneren Ausstattung fällt in
das Jahr 1525, wie ein als Spruchband in der
Hand eines Werkmeisters an dem Brüstungsbalken
der Empore angebrachte Inschrift besagt: 1499
ist gelegt das Fundament 1525 ist das Werk vollendet.
Die erste, 1513 gegossene Glocke hieß
Anna und wog 70 Zentner. Sie war mit dem Bild
der Heiligen geschmückt und trug die Inschrift:
|
Quae potes immensum, Anna, tu flectere Jovem,
Pelle mala, morbos contortaque fulmina pelle.
- Anna, du kannst den höchsten Gott bewegen,
hilf uns aus aller Not, Vertreib Krankheit und
Unglück groß, dazu die harten Donnerstoß. |
Die Kirche zählt noch heute zahlreiche Darstellungen
aus dem Leben der hl. Anna... Auch der Hauptaltar,
welcher bereits oben beschrieben wurde, war
der Mutter Anna geweiht. So fiel das Auge des
Beters überall auf Bilder der hl. Frau, welcher
Stadt und Kirche geweiht war... Ein um 1500
angefertigter Kelch hat unter- und oberhalb
des Knaufes die Inschrift: JHS
† MARIA - ANNA - HILF
ANNASELBDRITT. Ein Prachtwerk der Kirche war
das prachtvolle Altarbild des Lukas Cranach,
das später nach Spanien und von dort in jüngster
Zeit in das Städelsche Institut zu Frankfurt
am Main gelangte.
Eine so herrliche Kirche
durfte in damaliger Zeit nicht ohne Reliquien
der hl. Anna bleiben. Auch dafür sorgte
Herzog Georg. Die ersten erwarb er schon 1504
unter großen Kosten aus dem Benediktinerkloster
L'Isle bei Lyon, die er durch den reichen Stadtzimmermeister
Johannes Weffingen und einen Freiberger Pfarrer
abholen ließ...
Außer anderen Reliquien erwarb Herzog Georg
1510 einen Finger der hl. Anna, und zwar
von dem König Wladislaus von Böhmen, dessen
Schwester Barbara, gleichfalls eine eifrige
Annaverehrerin, des Herzogs Gemahlin war; der
Finger war als Geschenk Kaiser Karls IV. in
das Stift Leitmeritz gelangt.
So hervorragende Reliquien zogen eine Menge
Andächtige nach Annaberg. Viele, welche durch
die Fürbitte der hl. Anna Heilung von ihren
Gebrechen gefunden, verkündeten ihren Ruhm weithin,
und es folgten stets größere Scharen nicht nur
aus den Städten und Dörfern Sachsens, sondern
auch aus den angrenzenden Ländern. Am zahlreichsten
kamen sie am „Annentage", dem 26. Juli, der
auf Anordnung des Herzogs seit 1509 mit größter
Feierlichkeit begangen wurde.
Natürlich besaß dieses Zentrum der Annaverehrung
in Sachsen auch drei Bruderschaften.
Die angesehenste verdankte dem Herzog und dem
Stadtrat ihre Gründung. Papst Leo X. hatte sie
1517 bestätigt und mit Ablässen bereichert.
Diese großartige Verehrung der hl. Anna erlitt
durch die Reformation eine gewaltsame
Unterbrechung. Luther, erst selbst ihr eifriger
Verehrer, tat alles, um ihre Verehrung im Volk
zu verhindern. So lange freilich Herzog Georg
lebte, blieb das Volk im Besitz des altererbten
Glaubens und pilgerte hinauf nach Annaberg.
Kaum war aber nach seinem Tod (1539) sein Bruder
Heinrich, ein Anhänger der neuen Lehre, zur
Regierung gelangt, da war es aus mit der Verehrung
der hl. Anna. Ihre Reliquien wurden verschleudert,
die Lieder verstummten, die Prozessionen hörten
auf, und einsam wurde es in St. Annas vielbesuchtem
Heiligtum. Allerdings konnte die Liebe zur Heiligen
nicht plötzlich aus den Herzen der Gläubigen
gerissen werden. Aus den Nachbarländern wanderten
noch im
18. Jh. einzelne Pilger nach St. Annaberg.
Die Mark Brandenburg besaß im Mittelalter in
Dahlem bei Berlin einen St.-Anna- Wallfahrtsort,
der im 14. und 15. Jh. großen Zulauf hatte.
Schlesien hatte mehrere
Wallfahrtsorte, z. B. Rosenberg, Kursdorf, Schmiedeberg, Glogau, Annaberg. In Rosenberg (Oberschlesien)
verbindet sich mit der 1444 gegründeten Annakapelle
folgende Legende. Eine Jungfrau namens Anna
ward im Wald von Räubern überfallen. Dem Tod
nah nahm sie vertrauensvoll zur hl. Anna ihre
Zuflucht. Indem sie sich unter einer Fichte
zu verbergen suchte, wurde sie plötzlich
den Augen der Räuber unsichtbar und entging
so wunderbar dem Verderben. Man baute an dieser
Stelle ein kleines Gotteshaus, und vor der entästeten
Fichte errichtete man den Hochaltar. Und nun
ein neues Wunder: Splitter des Baumes heilten
Kranke, besonders Zahnschmerzen. Daher entwickelte
sich hier bald ein Wallfahrtsort; ein Bericht
von 1679 bemerkt, daß am Fest der hl. Anna 10
000 Menschen zusammen-strömten, von denen 6000
die hl. Sakramente
empfingen. In dem benachbarten
Ermland gab es vielbesuchte Wallfahrtsorte zu
St. Anna bei Laggarben und Büsterwalde.
All die genannten Orte übertrifft an Bedeutung
und Zahl der Pilger weit St. Annaberg in
Oberschlesien - seit dem Krieg polnisch.
Eine auf dem Chelmberg bei Leschnitz befindliche
Kapelle des hl. Georg wurde um 1500 durch einen
Neubau ersetzt und der hl. Anna geweiht, wodurch
auch der Berg mit dem Dorf diesen Namen erhielt.
Nikolaus von Strzela, Herr von Poremba, übertrug
1516 mit Gutheißung des Bischofs Johann Turzo
die Kapelle der am Fuß des Berges gelegenen
Pfarrei Leschnitz.
Eine größere Bedeutung erhielt das Kirchlein,
als es um 1520 durch Geschenk des Nikolaus von
Kochtitzky, Landeshauptmanns von Neisse, in
den Besitz des heute vielbesuchten Gnadenbildes,
einer Anna selbdritt, gelangte. Zahlreiche
Wunder, die seit 1682 aufgezeichnet wurden,
vermehrten das Vertrauen der Gläubigen und die
Zahl der Pilger. 1655 übertrug der Kaiserliche
Kammerpräsident Melchior Ferdinand Graf von
Gaschin die Kapelle den aus Polen durch die
Kriegsunruhen vertriebenen Franziskanern, die
sie 1673 wegen der stets zunehmenden Pilger
zu der noch heute vorhandenen Wallfahrtskirche
erweiterten. Eine 1672 gegossene Glocke mit
dem Bild der hl. Anna trägt die Inschrift: Sancta
Anna Mater Matris Salvatoris et S. Sebastiane
orate pro nobis. - Heilige Anna, Mutter der
Mutter des Heilandes, und hl. Sebastian bittet
für uns.
Den größten Aufschwung brachte der Wallfahrt
die 1763 vorgenommene Eröffnung der sogenannten
Kalvarie, d. h. Stationen, mit 37 Kapellen und
wo das Leben und Leiden des Erlösers und seiner
Mutter verehrt wird. 1794 schätzte man die Teilnahme
an einer Prozession auf 74.000. Als 1810 die
Franziskaner von der Regierung gezwungen wurden,
St. Annaberg zu verlassen, wurden die Pilger
auf 100.000 geschätzt. Mit der Rückkehr der
Franziskaner an ihre Wirkungsstätte mehrte sich
auch wieder die Zahl der Pilger, die vielfach
weither kamen, aus Galizien, Polen und Rußland.
Bei der zweiten Jahrhundertfeier 1864 haben
mehr als 400.000
Wallfahrer den Berg der hl. Anna erstiegen.
Diesen Berichten über die drei größten Annawallfahrtsorte
Deutschlands seien noch einige andere beigefügt.
Annaberg bei Haltern in Westfalen wird
schon seit 1556 von den Gläubigen besucht, seitdem
dort bei einer neu hervorsprudelnden Quelle
ein Mann wunderbar geheilt wurde. Als Bischof
Bernard von Galen an Annaberg vorbeikam und
von dem kleinen Bethaus hörte, befahl er, ein
größeres zu bauen.
Zu der St.-Anna-Kapelle bei Brakel im Nethegau
(Westfalen) muß bereits um 1500 ein starker
Besuch der Annaverehrer stattgefunden haben;
1518 wurde die Kapelle durch den Bischof geweiht,
was jedenfalls für deren Bedeutung spricht.
Das sogenannte wundertätige Bild wurde 1750
von einem Eremiten gestohlen, um es für seine
eigene neu erbaute Kapelle zu verwenden; aus
diesem Anlaß wurden damals die neun Annadienstage
eingeführt, die sich bis heute erhalten haben,
während Wallfahrer jetzt nur noch am 26. Juli
erscheinen. Wie in Annaberg bei Haltern, so
befindet sich auch bei der Brakeler Kapelle
ein „Annenbrunnen".
Auch an manchen anderen
Wallfahrtsorten der hl. Anna findet sich eine
Quelle oder ein Brunnen, z. B. in Seidorf (Schlesien)
1366 wird hier eine Quelle des hl. Bornes erwähnt,
die später der hl. Anna geweiht wurde, zu Saint-Christophe-a-Berry
in Frankreich oder Buxton in England.
Der älteste Wallfahrtsort der hl. Anna in Deutschland
soll Unterkreuzberg in Niederbayern sein.
Nach der Legende soll dort schon 910 ein Gnadenbild
Annas verehrt worden sein, das man bei den Einfällen
der Ungarn verbergen mußte. Als die wilden Horden
955 wieder einfielen, so erzählt eine 1719 von
Martin Roy, Benefiziat in Kreuzberg, verfaßte
Geschichte, und den Ort gänzlich zerstörten,
rettete eine unbekannte Person das Gnadenbild
an einen verborgenen Ort, wo es 42 Jahre lang
verborgen blieb, bis die hl. Anna am Vorabend
von St. Michael einer blinden Frau erschien
und ihr diesen Ort bezeichnete; Man forschte
dort nach und fand wirklich die Statue, vor
welcher die Frau die Gesundheit und das Augenlicht
wiedererlangte. Die erste Nachricht über
den Ort stammt erst aus dem Jahr 1249, wo die
Kirche ein Raub der Flammen wurde, 1313 erhielt
sie eine neue Glocke. Das heute verehrte Gnadenbild
ist eine um 1500 entstandene Anna selbdritt;
sie sitzt, das Kind Jesus steht auf ihrem rechten
Knie, Klein Maria im langen Kleid sitzt auf
dem linken.
Österreich besitzt
seinen ältesten Annawallfahrtsort in Annaberg
bei Mariazell in Steiermark, das schon 1217
durch Abt Gebhard von Lilienfeld gegründet wurde
und seine Blütezeit erlebte, als die Kaiserin
1707 eine vom Fürsten Neuberg erhaltene
Reliquie der Heiligen dorthin brachte.
Desgleichen gibt es in Steiermark Annawallfahrtskapellen
bei Maria in der Wüste (seit 1659) und bei Straßengel,
hier mit einer viel verehrten Anna selbdritt.
Böhmen hat Annawallfahrtsort in Tannaberg (seit
1706) und Sudejow (mit Brünnlein unter dem Hochaltar),
Mähren in Altwasser (in der Nähe Königsbrunnen)
seit dem 15. Jh.
Unter den Annakirchen
der Schweiz nimmt als Wallfahrtsort Steinerbergs
im Kanton Schwyz die erste Stelle ein. Über
seine Entstehung berichtet eine alte Überlieferung,
daß zur Zeit des Bildersturmes in den Niederlanden
eine Jungfrau ein vielverehrtes Anna-selbdritt-Bild
der Vernichtung glücklich entzog und es zur
größeren Sicherheit nach dem damals von niederländischen
Pilgern häufig besuchten Einsiedeln tragen wollte.
Als sie aber in der Nähe von Steinerberg ankam,
wo sich seit 1400 eine Kapelle mit einem kleinen
Annabild befand, vermochte sie trotz aller Anstrengung
ihre Last nicht weiter zu bringen. Man ersetzte
die Kapelle durch eine kleine Kirche, die am
Andreastag 1501 Weihbischof Balthasar von Konstanz
feierlich einweihte. 1504 sandte man den Landamman
Johann Gerbrecht nach Rom, um von dem Papst
Julius II. einen Ablaß zu erbitten.1628 gelangte
man in den Besitz einer Annareliquie.
Die Zahl der Pilger nahm beständig zu,
1684 zählte man am Annafest 5000 Kommunikanten...
In Frankreich, das fast ebenso viele
Wallfahrtsorte als Reliquien der hl. Anna besitzt,
ragen vor allem Apt in der Provence und Auray
in der Bretagne hervor. Beide rühmen sich, schon
im christlichen Altertum Stätten der Annaverehrung gewesen zu sein.
Apt will die Reliquien
der hl. Anna, und zwar ihren ganzen Leib, schon
bald nach Christi Tod erhalten haben.
Lazarus, seine Schwestern und andere Anhänger
Jesu, so erzählt die Legende, wurden von den
ungläubigen Juden auf ein morsches Schiff gebracht
und den Wogen des Meeres und ihrem Schicksal
überlassen. Als sie aus der Heimat schieden,
nahmen sie ihre teuerste Habe mit, u. a. den
Leib der hl. Anna, Kleider der Jungfrau
Maria und blutdurchtränkte Erde von Kalvaria.
[Heute in St. Maximin beim Reliquiar der hl.
Maria Magdalena]. Gott führte sie wunderbarerweise
nach Marseille, wo die Geschwister sich trennten,
nachdem sie jene Kostbarkeiten unter sich geteilt
hatten. Dem Lazarus fielen die Reliquien der
hl. Anna zu, der sie aber wegen der in Marseille
herrschenden Unsicherheit dem hl. Auspicius,
erstem Bischof von Apt, überließ. Bei Ausbruch
der Christenverfolgung, der auch Auspicius am
2. August 102 zum Opfer fiel, barg er die Reliquien
in einer Höhle. Während der Stürme der Völkerwanderung
verschwand sogar das Andenken daran.
Als aber Kaiser Karl
d. Gr. 792 auf seinem Zug gegen die Sarazenen
Spaniens in Apt weilte, wurden sie durch
die auf göttliche Eingebung gemachten Angaben
des plötzlich geheilten blinden und taubstummen
Sohnes des Barones von Casanova aufgefunden,
und zwar unterhalb der Kirche, die über jener
Höhle erbaut worden war. Köstlicher Wohlgeruch
entströmte den Gebeinen, die durch eine Inschrift
als Reliquien der hl. Anna bezeichnet waren.
Diese Entdeckung machte ungeheueres Aufsehen
in der ganzen Provence und trug zur Wiederbelebung
der Annaverehrung bei.
Von nah und fern strömten nun die Gläubigen
nach Apt, und bald genügte die Höhle, welche
man zu einer Kapelle umgewandelt hatte, nicht
mehr, sie alle aufzunehmen. Man baute deshalb
neben der Kirche eine geräumige Kapelle und
übertrug dorthin am 21. April 1392 die Gebeine.
Apt und sein Heiligtum sah die höchsten geistlichen
und weltlichen Herrscher, die zur Verehrung
der Annareliquien dorthin kamen. Von den Päpsten
soll als erster Urban II. dort gewesen sein,
als er sich 1095 zum Konzil von Clermont begab,
die Päpste von Avignon (1308-77) überhäuften
das ihnen benachbarte Heiligtum mit Privilegien.
1365 weilte Urban V. in der Krypta, und ein
Glasgemälde zeigt ihn kniend vor St. Anna selbdritt.
Benedikt XIII. spricht in einer Bulle vom 17.
April 1404 von den Reliquien der hl. Anna, die
in Apt ruhen, allerdings mit der bemerkenswerten
Zusage, wie man fromm annimmt (ut pie creditur).
Julius II. (+1515) gestattete, die Übertragung
der Reliquien nach Apt durch ein Fest mit dem
höchsten liturgischen Rang zu feiern. Unter
den Pilgern, die zu ihrer Verehrung herbeieilten,
befanden sich 1377
König Jakob von Aragonien und seine Gemahlin,
1440 König Rene von Anjou und 1650 Königin Anna
von Österreich, Gemahlin Ludwigs XIII. Zahlreiche
Wunder und Schutz bei der Pest 1373 sowie in
den Kalvinisten-kämpfen 1585 förderten das
Vertrauen der Bewohner von Apt zu ihrer Patronin.
Wie wenig man auch anderswo an der Echtheit
der Reliquien zweifelte, zeigen die zahlreichen
Bitten von hoher weltlicher Seite um Überlassung
von Teilchen dieser Reliquien. So
erhielten Partikeln 1425 Louise von Beauveau,
Frau von Sault, 1496 Simon von Roye, Statthalter
der Provence, der sie der Abtei Ourscamp überließ,
wo sie zu großer Berühmtheit gelangten, 1623
Königin Anna, Gemahlin Ludwigs XIII., 1713 der
Großherzog von Toskana.
In der französischen Revolution wurde das Heiligtum
von Apt seiner goldenen und silbernen Schätze
beraubt, Pfarrer Beauchamp brachte die Reliquien
in Sicherheit. 1830 fand die Restauration
der Kirche statt und seitdem lebten auch die
Prozessionen wieder auf. Pius IX. gestattete
1861 die Errichtung einer Erzbruderschaft der
hl. Anna.
Wie Apt in der Provence, so ist Sainte-Anne
d'Auray der Mittelpunkt der Annaverehrung
in der Bretagne. Es gibt wohl in der
ganzen katholischen Welt keinen Landstrich,
wo die Annaverehrung tiefere Wurzel geschlagen
und weitere Verbreitung gefunden hätte als unter
den Bretonen.
Bei Vannes, so berichtet die Legende weiter,
wurde an einem Ort, der Kerana (Annaort) hieß,
unter dem Bischof Meriadec um 600 zu Ehren Annas
eine Kapelle errichtet, und da einem solchen
Bau die Verehrung immer vorausgeht, so hat man
angenommen, daß die Verehrung der hl. Anna um
550 in die Bretagne eingeführt worden ist, und
zwar durch Bretonen, welche entweder eine Pilgerfahrt
nach Palästina gemacht und dort ihre Verehrung
kennen gelernt hätten oder durch Gesandte des
Königs Childeberts I., die bei einem Besuch
in Konstantinopel z. Zt. Justinians I. mit ihm
bekannt geworden wären. Ein Jahrhundert später
wurde die Kapelle während der Kämpfe, die sich
in der Bretagne abspielten, vollständig zerstört
und geriet in Vergessenheit.
Im August 1623 hatte ein einfacher Landwirt
und eifriger Verehrer der hl. Anna, Ivo Nicolazic
eine merkwürdige Lichterscheinung, die sich
bis zum 25. Juli 1624 mehrfach wiederholte.
An diesem Tag, der Vigil ihres Festes, erschien
ihm die hl. Anna und forderte ihn auf, den
Pfarrer über die alte Annakapelle zu unterrichten
und sie wieder aufzubauen. Nicolazic findet
aber bei seinem Pfarrer kein Gehör; man hält
ihn für überspannt und wundersüchtig. Als er
aber am 7. März 1625 mit seinem Schwager Leroux
und vier Nachbaren in Bocenno nach Angabe
der himmlischen Erscheinung eine Statue der
hl. Anna mit Klein Maria in der Erde aufdeckt,
schenkt ihm endlich der Pfarrer Roduez Glauben.
Bereits am
26. Juli 1625 legte der Bischof Rosmadec von
Vannes nach sorgfältiger Prüfung
dieser Vorgänge in Anwesenheit von 30.000 Pilgern
den Grundstein zu der Kapelle, die er drei Jahre
später konsekrierte.
Die Sorge für das Heiligtum übertrug er 1627
den Karmelitern. Am 1. Juli 1639 erhielt
das Kloster eine Annareliquie; deren Übertragung
von Paris nach Vannes glich einem Triumphzug
der hl. Anna. Der kleine unbekannte Ort Auray
schien plötzlich zum religiösen Mittelpunkt
der Bretagne geworden zu sein.
Von allen Seiten strömten die Gläubigen in großen
Scharen zum Heiligtum der Mutter Anna. Ihr Vertrauen
war grenzenlos, es wurde durch zahlreiche
Wunder belohnt. Die Annalen von 1625 bis
1655 wissen zu berichten, daß mehr als 30 Tote auferweckt, 27
Blinde, 25 Stumme oder Taube, 30 Lahme und 12
Fallsüchtige geheilt
worden seien. Andere Wunder folgten.
Da kamen auch für Auray
die Schreckenstage der Revolution. Am 26. September
1792 wurde der Kirchenschatz beraubt und die
wundertätige Statue auf dem Marktplatz von Vannes
verbrannt. Die Reliquie der hl. Anna entging
durch einen Zufall dem gleichen Geschick.
Auch ließ man die Prozessionen bestehen. Nach
Wiederherstellung geordneter Verhältnisse wurde
eine neue Statue nach dem Vorbild der alten
angefertigt und der Wallfahrtsort bewährte seine
frühere Anziehungskraft. Selbst Napoleon III.
und seine Gemahlin kamen, auf der Höhe ihrer
Macht am Fest Mariä Himmelfahrt
1858 nach Auray zu pilgern und ihre Namen in
das Bruderschaftsbuch eintragen
zu lassen.
Am 8. August 1877 konnte in Gegenwart von acht
Bischöfen und 30 000 Gläubigen die Einweihung
einer neuen Basilika vorgenommen werden, welcher
Leo XIII. am 24. Juli 1893 aus Rom eine Reliquie
der hl. Anna sandte. 300 000 Pilger, die alljährlich
nach Auray kommen, sind ein lauter Beweis für
die weitverbreitete Verehrung der hl. Anna in
der Bretagne. Abt Gueranger hat Recht,
wenn er S. Anne d'Auray zu den besuchtesten
Wallfahrtsorten der christlichen Welt zählte.
Von anderen Wallfahrtsorten der hl. Anna in
der Bretagne sei besonders Nantes erwähnt,
wo angeblich bereits im 12. Jh. eine Annakapelle
existierte. Seit 1846 besitzt es eine mächtige
Annakirche im gotischen Stil und seit 1851 am
Hafen eine Kolossalstatue der hl. Anna, die
sich am Ende einer Treppe von 120 Stufen erhebt
und die abfahrenden Schiffer segnet. 50 000
Pilger zählt man jährlich in der Festoktav.
Ferner waren oder sind berühmte Wallfahrtsorte
der hl. Anna in Frankreich Dijon, Lyon, Marseille
und Chartres.
In Amerika hat Kanada in Beaupré (Schönwiese)
den besuchtesten Annawallfahrtsort. Es ist ein
1626 gegründeter Ort, der 1910 erst 2000 Einwohner
zählte, aber jährlich ungefähr 200 000 Pilger
zu dem Heiligtum der hl. Anna zieht. Es waren
französische Kolonisten aus der Bretagne, die
im fernen Westen eine neue Heimat suchten und
aus dem Mutterland die alte Liebe zur hl. Anna
mitbrachten. Die 1661 errichtete Kapelle wurde
wegen der zahlreichen Pilger 1676 durch eine
prächtige Kirche ersetzt, in der außer den französischen
Kanadiern sich auch die bekehrten Indianer in
großer Menge einfanden. Ein deutscher Missionar
schreibt
1833: „Wir sind hier 60 Stunden von Quebec entfernt.
Unsere Wilden (Indianer)
kommen fast nur als Pilger dorthin, wenn ein
Gelübde sie nach St. Anna führt."
Genau zwei
Jahrhunderte später, 1876, trat an ihre Stelle
ein Neubau, der eine der schönsten und größten
Kirchen Amerikas ist, die sich aber bald wieder
als zu klein erwies und mehrmals vergrößert
werden mußte und von Leo XIII. am
5. Mai 1887 den Rang einer Basilika minor erhielt.
Zugleich erhob der Papst die
hl. Anna zur Patronin
der Provinz Quebec, und in seinem Auftrage krönte Kard Taschereau von Quebec, umgeben von sieben
Bischöfen, 3.000 Priestern und einer ungeheueren
Volksmenge, das alte Gnadenbild aus Holz mit
einer goldenen Krone. Seitdem nahm der Zudrang
der Pilger von Jahr zu Jahr zu. Während man
im Jahre 1875 erst
2.700 Wallfahrer zählte, die 1885 bereits auf
75.000 anstiegen, waren es 1895 schon 114.000,
1900 ungefähr 135.000, 1905 168.000. Auch aus
den Vereinigten Staaten kommen die Pilger zum
Heiligtum der hl. Anna an den Ufern des St.-Lorenz-Flusses,
und eine gewaltige Statue der Heiligen auf der
Fassade der Kirche begrüßt von ferne die frommen
Wallfahrer. Seit 1892 besitzt Beaupré auch
eine Reliquie der hl. Anna, die ihr auch
von Leo XIII. geschenkt wurde. Die Überbringung
der Reliquie wurde zu einem wahren Triumphzug
zu Ehren der hl. Anna in der neuen Welt.
Zum Schluß dieser Ausführungen über die bedeutendsten
Wallfahrtsorte der hl. Anna lassen wir das
Wallfahrtslied folgen, das Klemens Brentano
verfaßt hat.
|
Nun ade, viel tausendmale, Anna, Gnadenmutter
mein,
Von dem Berge zu dem Tale Ziehen nun die
Kinder dein;
Unser Herz hast du erhoben, Unsre Seel hast du erquickt,
Weil du von dem Himmel
droben Zu uns nieder hast geblickt.
Auf der Heimkehr will ich denken, Was du uns
gelehret hast,
Will es üben, will es schenken;
Gastfrei wird ein frommer Gast.
Als du noch ein Kind gewesen, Warst du folgsam,
fromm und rein, Ach, verleih mir solches Wesen,
Lehr' mich auch, ein Kind zu sein.
Eine Jungfrau in dem Tempel, Warst du, Anna,
lilienrein,
Laß mich doch durch dein Exempel Keusch und
ernst jungfräulich sein. Auch als Braut und
Eh'frau züchtig, Wenn es Gottes Wille ist,
Rein von Herzen, fromm, aufrichtig, Du mir recht
ein Muster bist.
Deine Mägde, deine Knechte, Hieltest du in Lieb'
und Pflicht,
Was den Armen gab die Rechte, Das
erfuhr die Linke nicht;
Ja, dein Haus war recht in Züchten, Maria ging
da aus und ein;
Laß mein Haus an guten Früchten
Auch wie deins gesegnet sein.
Deine Herden in drei Teile Teiltest du, den
besten Teil
Triebst zum Tempel du in Eile, Flehend um der
Menschen Heil. Zweiten Teil gabst du den Armen,
Dritten Teil dir zugezählt,
Hast in Andacht
und Erbarmen Dir den besten Teil erwählt.
Wär ich töricht doch gegangen Gnaden flehend
her zu dir,
Wenn ich selbst, die Hilf' verlangen, Geizig
wies von meiner Tür.
Weil Gott und Armen du geteilet, War dir Gott auch wieder mild,
Heil
empfängt, wer hilft und heilet, Segen nur der
Liebe quillt.
Wie ein Baum unfruchtbar steht, Und mit Blüte
und mit Blatt
Betend unterm Himmel wehet, Der
die Frucht verschlossen hat;
So demütig und
geduldig Hast bei Gott du angesucht,
Bis dir heilig und unschuldig Unterm Herzen
wuchs die Frucht.
Lehre mich auch flehen, ringen, Fasten, beten
und vertrau'n,
Mein Geschrei zum Himmel dringen, Daß er mög
mein Herz erbaun, Bis ich die Frucht der Buße
trage, Ich, der unfruchtbare Baum,
Ach! ich wuchs schon viele Tage, Und es grünt
ein Blättchen kaum.
O wie selig unterm
Herzen Wuchs dir auf das Jungfräulein,
Das geholfen
unsren Schmerzen Durch das süße Jesulein.
Hilf mir doch, daß mein Gewissen Neu unschuldig
werd und rein, Dann leg auf dies reine Kissen
Mir das Gotteskind herein.
Ist mein Herz erst aufgegangen Dem, der Reuetränen
schenkt,
Werd ich Unschuld auch empfangen, Die vom Heilgen
Geist empfängt; Dann wird auch in mir geboren
Jesu neues Ebenbild,
Der gefunden, was verloren, Unter seines Kreuzes
Schild.
Jesu, der des Himmels Gnade Nieder zu der Erde
taut,
Folgt Maria auf dem Pfade, Seine Mutter,
seine Braut.
Lehr mich auch mein Kreuz aufnehmen Und ihm
folgen Schritt vor Schritt, Lehr mich meines
Gott's nicht schämen, Geh, o Mutter Anna, mit.
|
RELIQUIEN UND RELIQUIARE
Von jeher hat man in
der katholischen Kirche die Leiber der Christen,
die als Märtyrer des Glaubens oder im Ruf großer
Heiligkeit starben, hoch in Ehren gehalten.
Diese Ehrfurcht übertrug man auch auf Gegenstände,
deren sie sich in ihrem Leben bedient hatten.
Jedermann schätzte sich glücklich, wenn er in
den Besitz einer solchen Reliquie gelangte.
Der Wunsch, die Überbleibsel hochverehrter Personen
zu besitzen, ist uralt... Emil Male hat als
Kunsthistoriker über diesen Gegenstand geschrieben:
„Ein gründliches und gewissenhaftes Werk über
die Reliquien würde das merkwürdigste Kapitel
der mittelalterlichen Geschichte bilden, und
das Studium der Kulturgeschichte sowohl als
der Kunstgeschichte müßte davon Nutzen ziehen.
Ein solcher Stoff verlangt allerdings mehr Gelehrsamkeit
und mehr Verständnis für die Vergangenheit als
in dem Dictionnaire des Reliques von Collin
de Plancy zu finden sind.
Plancy schreibt:
„Saincte Anne, mere de la vierge Marie, a l'un
de ses corps a Apt en Provence, l'autre a nostre
Dame de l'Isle, a Lyon; outre cela, elle a une
teste a Trier, l'autre a Duren en Jullet, l'autre
en Turinge, en une ville nommee de son nom.
Je laisse les pieces qui sont en plus de cent
lieux; et entre autres il me souvient que i’en
ay baise une partie en l'Abbaye d'Orcamps, pres
Noyon, dont on faict grand festin. Finalement,
elle a un de ses bras a Rome, en l'eglise sainct
Paul. Qu'on prenne fondement la dessus si on
peut."
[Es gibt also über 100 Annareliquien!
Jeder Mensch hat aber 206 Knochen]
Die Reliquien, die
so viele Generationen von Menschen begeisterten,
bilden in der Tat einen interessanten Stoff
für das Studium. In den Reliquien wohnt wirklich
eine übernatürliche Kraft, denn überall,
wo der Arm eines Apostels oder das Blut eines
Martyrers aufbewahrt wurde, entstand ein reiches
Kloster, eine aufblühende Stadt. Der auf dem
Altar aufgestellte Leichnam eines Heiligen schrieb
gewissermaßen die Größenverhältnisse der Kirche
vor; der Baumeister war genötigt, den Chor zu
vergrößern, die Querschiffe zu erweitern, überhaupt
darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Menge die
Möglichkeit haben konnte, den hl. Leichnam auf
dem Altar zu sehen. Die geistreichsten Schöpfungen
der mittelalterlichen Schöpfungen sind aus der
Notwendigkeit entstanden, einen Knochen in Gold zu fassen oder
in ein kristallnes Gefäß zu verschließen...
Die Kunstgeschichte darf nicht verächtlich auf
die Reliquien herabblicken. Vergessen wir nicht,
daß das vollendetste Denkmal des 13. Jahrhunderts,
die Sainte-Chapelle in Paris, eigentlich nur
ein Reliquienschrein für die Aufbewahrung der
Dornenkrone ist...
Kann man sich übrigens wundern, daß die Reliquien einer so hochverehrten Heiligen,
wie es St. Anna, die Großmutter Christi, war,
mit Eifer gesucht, mit Sorgfalt behütet und
mit Ehrfurcht behandelt wurden? Es ist daher
auch leicht begreiflich, daß bei dem Mangel
an kritischem Sinn und bei den vielen großen
körperlichen und geistigen Leiden die einfachen
Gläubigen und selbst viele Kleriker Reliquien
als echt ansahen, die es in Wirklichkeit nicht
waren...
Der Leib der hl. Anna ruhte ursprünglich, wie
manche glaubten, in ihrem Haus zu Jerusalem.
Aber eigentlich war in der Stadt kein Grab
erlaubt! Von hier wurde er angeblich von
Justinian II. erhoben und 710 nach Konstantinopel
übertragen. Nach dem Brevier Julius II., Paris
1528, soll Kaiserin Helena die Übertragung vorgenommen
haben. Außer in Jerusalem wird bereits im 8.
Jh. eine Reliquie der Heiligen in Rom erwähnt,
wie wir früher berichtet haben.
In größerer Zahl treten ihre Reliquien im Abendland
aber erst seit den Kreuzzügen auf. Begreiflich.
Auf ihren reisen kamen die Kreuzritter und Pilger
zu den verschiedenen durch den Heiland und seine
leiblichen Verwandten geheiligten Orten. Wie
hätten sie es unterlassen können, wirkliche
oder vermeintliche Reliquien zu erwerben und
als kostbare Schätze in die Heimat zu bringen,
wo man sie gewöhnlich zum Dank für die glückliche
Heimkehr einer Kirche oder einem Kloster überließ.
Auch aus der an solchen Kostbarkeiten überreichen
Hauptstadt des orientalischen Kaiserreiches,
aus Konstantinopel, gelangten 1204, als es auf
dem vierten Kreuzzug von den Venetianern erobert
und geplündert wurde, viele Reliquien in das
Abendland. So kam zur Zeit der Kreuzzüge das
Haupt der hl. Anna nach Mainz, und ebenso brachte,
wie schon oben bemerkt wurde, Erzbischof Hartwig
von Bremen eine Annareliquie mit heim. Wir geben
nun ein Verzeichnis der wichtigsten uns bekannt
gewordenen Reliquien und Reliquiare der hl.
Anna.
In Deutschland wurden bereits die Reliquien
zu Düren und Annaberg erwähnt. Düren
hat für seine hochverehrte Reliquie zwei Reliquiare
in Form von Büsten anfertigen lassen. Eine bedeutende
Annareliquie, nämlich einen Arm, besaß die freie
Reichsstadt Nürnberg. Sie gehörte zu
den „Reichsheiligtümern", die Kaiser Karl IV.
1346 aus Bayern nach Böhmen brachte. 1424 gelangte
sie mit anderen Reichskleinodien nach Nürnberg,
wo sie neben den Reichsinsignien aufbewahrt
und von Zeit zu Zeit dem Volk gezeigt wurde.
Zum letzten Mal geschah dies 1524, genau hundert
Jahre später, als sie unter den größten Feierlichkeiten
und dem Geläute aller Glocken nach Nürnberg
gebracht worden war. Man freute sich hier des
neuen Schatzes so sehr, daß man den Gefangenen
die Freiheit schenkte. Aufbewahrt wurde die
Reliquie in einem schönen, goldenen Behälter.
Der Dom zu Trier besitzt unter seinen
Schätzen ein Armreliquiar der hl. Anna,
dessen unterer Teil dem 14. Jh. angehört, während
der obere aus dem 16. Jh. stammt. Die Reliquie
befindet sich unter Glas in dem Daumen des Reliquiars,
welches folgende Inschrift trägt: Divae Annae
hoc brachiale ornamentum ven. et gen. Dom. Christoph
de Reineck eccl. Trevir. Decan. suo postulato
argento fieri mandavit perfectum 1531. - Der
hehren Anna ließ diesen Armschmuck der ehrw.
und edle Christoph von Reineck, Dekan der Kirche
zu Trier, auf seinen Wunsch in Silber vollenden
1531.
Solche Armreliquiare waren sehr beliebt, besonders
wenn es sich um Aufbewahrung einer Arm- oder
Handreliquie bzw. eines Teilchens dieser Glieder
handelte. Ein silbernes, spätgotisches Armreliquiar
besitzt auch Materborn am Niederrhein,
das aus der Kartause auf der Grave bei Wesel
stamme; ebenso der Dom zu Minden. Das
Inventar des Neuen Stiftes zu Halle vom Jahre
1531 führt u. a. „ein neuer silberner Arm mit
einem s. Anna-Bild und ihrem Finger" auf.
Ein prächtiges Reliquiar mit einer Reliquie
der hl. Anna besitzt die Reichen-Kapelle in
der ehemaligen Königlichen Residenz zu München;
es ist 32 cm hoch und es wird bekrönt von einer
kleinen Anna selbdritt, welche die beiden Kinder
auf den Armen trägt. Das Reliquiar verdankt
dem Kurfürsten Maximilian seine Entstehung.
1626 war es schon in der Kapelle aufgestellt.
Das 1502 von Johann Winterburger
gedruckte Heiligtumsbuch der St.-Stephans-Kirche
zu Wien enthält ein Reliquiar in Form
einer Monstranz mit einem „Heiltumb Sand Anna”.
Wie man Statuen und Büsten von Heiligen benutzte,
um unter Glas eine Reliquie aufzubewahren, so
auch die beliebte Figur der Anna selbdritt.
Das 1509 von Lukas Cranach illustrierte „Heiligtumsbuch"
enthält beide Formen, eine Anna selbdritt als
stehende Figur und als Büste; in ersterem Fall
trägt Anna, die in weite Gewandung gehüllt ist,
die beiden Kinder auf den Armen, bei der Büste
steht Kind Jesus auf dem Untersatz. Der Dom
zu Paderborn besitzt eine silberne Anna selbdritt
als Reliquiar (63 cm hoch); das Münster zu Überlingen
eine barocke Selbdritt als Reliquiar.
Viel gebräuchlich als Reliquiar war auch das
Kußtäfelchen, welches während der feierlichen
Messe von einem Diakon bei der Erteilung des
„Pax" herumgereicht wurde. Unter den in neun
Gängen aufgestellten Reliquiaren und Schreinen
der Stiftskirche zu Halle, welche Erzbischof
Albrecht von Mainz 1518 erbaute und mit Hunderten
von Reliquien beschenkte, hatte ein Reliquiar
der hl. Anna die Form eines Kußtäfelchens. An
den Seiten ist es mit kleinen Figuren geziert,
in der Mitte sieht man Maria und Anna und zwischen
ihnen das Kind, darüber die Taube des Heiligen
Geistes. Die Tafel war aus Silber, die Selbdritt
aus Perlenstickerei. Heiligenberg in Baden nennt
noch jetzt eine Annareliquie in Form eines Kußtäfelchens
vom Jahre 1629 sein eigen.
In Deutschland sind eine Annareliquie auch in
Andechs, erst seit 1866, im Dom zu Halberstadt,
mit vielen anderen in einer Reliquientafel,
in Lichtenau (Westfalen). Außer den genannten
Städten besaßen bzw. besitzen u. a. Annareliquien
Köln vier, nämlich in der Dominikaner-, (alten)
Franziskaner- und Kartäuserkirche und
in Groß-St.-Martin, Aachen, Boppard, Frankfurt
a. M.
In Österreich erfreut sich Wien mehrerer
Annareliquien. Eine befindet sich seit dem 18. Jh. in der
St.-Anna-Kirche; es ist eine Hand, die in einem
reich mit byzantinischer Arbeit geschmückten
Reliquiar aufbewahrt wird. Die Schatzkammer
des ehemaligen Kaiserhauses hat ein Armknochen
der hI. Anna, das in einem turmförmigen Reliquiar
mit Glasbehälter aufbewahrt wird. Auf der Rückseite
dieser Fassung liest man in gotischen Majuskeln
die Worte: Istud est braiu scae Annae mris beae
Marie (dies ist der Arm der hI. Anna, der Mutter
Marias). Der Wallfahrtsort Annaberg in Steiermark
erhielt durch kaiserliche Vermittlung eine Reliquie
unserer Heiligen vom Fürsten Neuberg. In
Böhmen, wo ungefähr 90 Kirchen der hl. Anna
gewidmet waren, davon allein acht in Prag, sei
erwähnt ein Finger unserer Heiligen in Prag.
Ungarn
besitzt eine
Annareliquie im Domschatz zu Gran. In dem Welfenschatz
befindet sich eine Medaillonkapsel von 5 cm
Durchmesser aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts;
auf der einen Seite ist Anna selbdritt mit den
beiden Kindern auf den Armen eingraviert; sie
barg früher wohl auch eine Reliquie der hl.
Anna.
Was Erzbischof Albrecht von Mainz für
das Neue Stift in Halle tat, das tat Ritter
Florian Waldauf von Waldenstein für Hall in
Tirol. Dieser treue Diener Kaiser Maximilians
I. und Apostolischer Protonotar sammelte mit
unverdrossenem Eifer auf weiten Reisen Reliquien;
er erhielt solche in Bayern, Kärnten, Krain,
Ungarn, Belgien usw. und vereinigte sie zunächst
in der neu erbauten St.-Anna-Kapelle seines
Schlosses Rettenberg (Tirol); u. a. hatte
er zwei Reliquien der hl. Anna und ein Stück
von ihrem Schleier erlangt. Das „Heiltumbuch",
welches er über seinen Schatz anfertigen ließ,
übertraf alle anderen Bücher dieser Art an Umfang,
Inhalt und Ausstattung.
Reich an Annareliquien war und ist die Schweiz.
Erwähnt wurden schon die Reliquien von St. Gallen
und Lützel im 11. und 13. Jh. 1491 sandte das
Domkapitel von Sitten nach Mondow eine Reliquie
unserer Heiligen, Zug erhielt ein „Heiltum"
von St. Anna aus Savoyen. Bern rühmte sich einer
solchen Reliquie, die auf einem Altar der Jakobinerkirche
aufbewahrt wurde. Die Wallfahrtskirche zu Steinerberg
erhielt ihre Annareliquie 1525, im Inventar
der Augustiner zu Basel wird 1530 eine Reliquienmonstranz
der hl. Anna erwähnt, 1535 eine im Dom zu Lausanne.
1599 legte der Generalvikar J. Jacob eine Annareliquie
in den Hochaltar der
Kapuzinerkirche zu Stans.
Die Schweiz wird noch übertroffen von Italien.
Es ist eine große Anzahl von Städten, welche
den Anspruch erheben, im Besitz einer solchen
Reliquie zu sein.
In Rom und nächster Nähe glauben
nicht weniger als 15 Kirchen eine Annareliquie
zu haben. Am bekanntesten ist diejenige
in der Basilika St. Paul (außerhalb der Mauern);
hier verehrte sie bereits die hl. Brigitta (+1373),
der man auch eine Partikel
überließ. In der Kirche Maria Conceptione auf
dem Campo Marzo bewahrt man
den Ehering der hl. Anna auf. Bei der
Plünderung Roms 1527 war er verloren gegangen,
wurde aber später auf wunderbare Weise wiedererlangt;
erst um diese Zeit wird er überhaupt erwähnt.
Barbier de Montault hält ihn für den Ring einer
Äbtissin des dort befindlichen Klosters. Von
anderen Städten sei zunächst erwähnt Genua,
das durch Handelsleute aus Konstantinopel nach
der Eroberung der Stadt durch die Türken 1461
aus Pera einen Armteil erhielt; er wurde am
6. November des genannten Jahres den Franziskanern
(al Monte) zur Aufbewahrung übergeben und bei
Aufhebung des Klosters zu Beginn des 19. Jahrhunderts
in die Kathedrale übertragen.
Einen Fußteil erhielt die Stadt Ancona
1380 durch Paul Paläologus, der ihn während
eines Aufenthaltes im Orient erworben hatte.
Pisa rühmt sich zweier Reliquien Annas,
von denen die eine in der ihr geweihten Kirche,
die andere in der Kathedrale aufbewahrt und
um 1565 in einem Reliquienverzeichnis erwähnt
wird. Bologna besitzt seit 1435 einen
Teil des Hauptes, den der sel. Nikolaus Albergato,
seit 1418 Bischof, erhalten hatte; er überließ
es den Kartäusern, denen er früher selbst angehört
hatte. Diese erbauten für die würdige Aufbewahrung
eine eigene Kapelle, wo es bis zur Französischen
Revolution blieb; bei der Unterdrückung der
Kartause wurde es in die Kathedrale übertragen,
wo es noch heute aufbewahrt wird.
Mailand besitzt eine
Reliquie der hl. Anna seit 1600; damals erhielt
die Kollegialkirche eine Partikel von dem Kölner
Weihbischof Offenhamer; ebenso in St. Stephan
(mit der Inschrift Calva Sanctae Annae). In
Neapel verehrte man einen Fußteil. In Castelbuono
auf Sizilien hält man einen Teil ihres Hauptes
hoch in Ehren, das angeblich 1242 nach Gerace
und 1465 von dort nach Castelbuono gelangte.
Eine alte griechische Inschrift bezeichnet es
als Haupt der hl. Anna.
In Spanien und Portugal
bewahren Reliquien Annas Barcelona, Palma
auf Mallorca, Saragossa, Valladolid, Valencia,
Lissabon. In Belgien Antwerpen, Bottelaere,
Brügge, Brüssel, Cambron, Lessines, Mons, Tournai
und mehrere Abteien und Klöster.
Zahlreiche Reliquien der hl. Anna, teilweise
nur ganz kleine Teilchen, die man von anderen
lostrennte, sind auch nach Amerika gekommen.
Sainte-Anne von Beaupre erfreut sich
allein fünf dieser Kleinodien; das erste erhielt
sie 1668 aus Carcassone, dessen Kapitel es dem
ersten Bischof von Quebec de Laval zum Geschenk
machte, das letzte kam 1892 aus St. Paul zu
Rom. Ferner besitzen Reliquien unserer Heiligen
in Kanada Quebec, die Kathedrale von Montreal
(1841 aus Chartres) und mehrere andere Kirchen;
in den Vereinigten Staaten New York (1892),
Manchester (1897), Lewiston, Milton. Selbst
die Insel Trinita (Antillen) erlangte eine solche
Reliquie.
Zum Schluß wollen wir uns Frankreich
zuwenden, das sich nicht nur des Besitzes einiger
kleiner Teilchen von St. Annas Gebeinen rühmt,
sondern das ihren ganzen Leib besitzen will.
Wir haben früher ausführlich berichtet, wie
nach der Legende der Körper Annas nach Frankreich
gelangte. Apt versah zahlreiche Kirchen
Frankreichs mit größeren oder kleinerenTeilchen.
Ebenso war bereits die Rede von dem Haupt der
hl. Anna, das Graf Ludwig von Blois 1204 nach
Chartres sandte. Zu Paris gab es außer
der Reliquie in der Sainte-Chapelle noch drei
andere, im Besitz des Klosters von der Heimsuchung,
der Prämonstratenserabtei und der Goldschmiede-Bruderschaft
(alle drei vermittelt durch Königin Anna von
Österreich). Drei besaß auch Valenciennes, eine
Douai (einen in Kristall gefaßten und von zwei Engeln getragenen
Fußteil), eine Saint-Omer, Therouanne, Bourges
und Rouen, wo man jährlich am 30. Januar das
Fest der Übertragung festlich beging die Kathedralen
Aix und Reims, ferner Lyon (Abtei l'Isle-Barbe),
die Kartause Montrieux (Provence), Orcan (Haupt,
eine der wichtigsten Reliquien der Pikardie),
Chiry bei Noyon Carcasonne (Kirche S. Vincent)
Limoges, Toulouse (S. Sernin), Ville-neuve -
lez - Avignon, Narbonne, Auray, Eymoutiers (Diözese
Limoges), die Benediktinerabtei Nauteuil-en-Vallee
(Diözese Poitiers), Abtei Ourscamp (seit
1490); das Reliquiar am letztgenannten Ort ist
eine schöne Büste Annas, die von
zwei Engeln getragen wird; darunter die Gruppe,
wie Maria von Anna unterrichtet wird; vier kleine
Löwen tragen das Reliquiar auf ihrem Rücken.
Die Kathedrale zu Angers rühmte sich,
als Reliquie eine Rippe Annas zu besitzen, die
ihr im
15. Jh. von König Rene geschenkt worden war.
Das silberne Reliquiar trug die
Wappen des Königs und seiner Gemahlin und die
Inschrift: Costa sanctae Annae, matris Virginis
MariaeAuch eine so beliebte Reliquie wie das
Kleid der hl. Anna oder wenigstens Stückchen
davon, fehlen nicht. Angeblich soll bereits
Königin Theodolinde ein solches Kleid verschenkt
haben. Noch heute bewahrt man im
„Welfenschatz" eine gotische Reliquienmonstranz
auf mit einem Stoffstückchen,
das auf einem Pergamentstreifen des 14. Jahrhunderts
die Bezeichnung trägt: De tunica beate Anne,
matris S. Marie Virginis.
Es ist eine stattliche Zahl von Kirchen, die
sich rühmen, eine Reliquie der Großmutter Christi
ihr eigen zu nennen. Unser Verzeichnis läßt
sich gewiß noch vermehren und vervollständigen.
Das Mittelalter, weniger kritisch als unsere
Zeit, hat an ihrer Echtheit nicht gezweifelt,
sondern sich über ihren Besitz gefreut. Wie
damals so sind sie auch heute noch für viele
Gläubige eine kräftige Anregung zur vertrauensvollen
Anrufung und Verehrung der hl. Anna.
Ohne für die Authentizität auch nur einer dieser
Reliquien ein Wort einlegen zu wollen, bemerken
wir nur ein zweifaches: wenn manche Reliquien,
z. B. ihr Haupt, an verschiedenen Orten aufbewahrt
werden, so ist damit nicht gesagt, es sei an
diesen Orten das ganze Haupt vorhanden. Da auch
die kleineren Teile vielfach in einem Reliquiar
von Kopfform aufbewahrt werden, konnte sich
beim Volke leicht die Meinung bilden, es sei
das ganze Haupt darin verborgen. So besitzen
z. B. Düren und Amiens, wie eine Untersuchung
feststellte, nur Teile eines Hauptes, die genau
zusammen passen.
Zweitens sei darauf hingewiesen, daß man im
Orient mehrere Heilige des Namens Anna verehrte.
So berichtet Antonius von Nowgorod von einer
Jungfrau Anna, deren Leib wie lebend in einer
Kirche zu Konstantinopel aufbewahrt wurde; der
gleiche Pilger erwähnt eine zweite Anna, die
ihr Besitztum der Sophienkirche vermacht hatte
und in derselben auch begraben wurde. Das Synaxarium
von Konstantinopel nennt eine große Anzahl von
Heiligen dieses Namens. Auch unter den abendländischen
Heiligen findet sich der Name Anna. Es war also
leicht eine Verwechslung möglich, und es konnten
ohne bösen Willen als Reliquien der Mutter Marias
angesehen werden, die in Wirklichkeit einer
anderen als hl. Anna angehörten. Das Heiligenlexikon
erwähnt über 20 Heilige namens Anna.
Die Bedeutung der auf
der ganzen Welt zerstreuten Annareliquien leuchtet
ohne weiteres ein. Wohin immer eine Reliquie
kam, mochte sie auch noch so klein sein, wurde
sie mit großer Freude in Empfang genommen. An
dem Fest der Heiligen wurde sie meistens zur
Verehrung ausgestellt. Von allen Seiten strömten
die Gläubigen zusammen, um an der feierlichen
Ausstellung der Reliquien teilzunehmen und sich
den Schutz und die Hilfe der Heiligen zu erflehen.
Daß dieses Vertrauen auch heute noch stark ist,
zeigt das Bemühen mancher Kirchen in Amerika,
in den Besitz einer Annareliquie zu kommen,
wie auch die großen Wallfahrten nach Orten,
wo ein Gnadenbild oder eine Reliquie Annas aufbewahrt
wird.
Inhaltsverzeichnis
15. Kap.
Die hl. ANNA als Schutzpatronin
und in Volksbräuchen
Ein Grund zur Verehrung der Heiligen ist die
zuversichtliche Hoffnung der Gläubigen, durch
ihre Fürbitte bei Gott Hilfe in zeitlichen und
geistigen Nöten zu finden. Wenn Gott auf
die Fürsprache Abrahams Lot aus Sodom und Gomorrha
gerettet hat und wenn er auf das Gebet des Moses
dem sündigen Volk Israel seine Vergehen verzieh,
um wieviel mehr glaubte man, durch die Unterstützung
der verklärten Heiligen im Himmel von Gott Erhörung
der Bitten zu erlangen. Dieses Vertrauen
der Gläubigen erreichte eine besondere Stärke
bei jenen Heiligen, die wegen der Größe ihrer
Verdienste oder wegen leiblicher Verwandtschaft
mit dem Heiland gewissermaßen mehr Anspruch
haben, erhört zu werden. Zu diesen bevorzugten
Heiligen gehört auch die Großmutter Christi.
Von Einzelpersonen, die sich unter ihren besonderen
Schutz begaben, waren es natürlich zunächst
jene, die ihren Namen trugen... Auf den Glasgemälden
der Kirche St. Martin zu Montmorency,
aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, kniet der
Connetable Anne de Montmorency mit seinen drei
Söhnen, ihm gegenüber seine Gemahlin. Beide
sind begleitet von der hl. Mutter Anna; sie
sitzt hinter dem Connetable und legt ihre Hand
auf die Schulter der kleinen Maria, die in einem
Buch liest; hinter seiner Gattin steht sie gleichfalls
und weist mit der Linken nach oben, mit der
Rechten auf das Buch, welches Klein Maria hält.
Die mäßige Arbeit ist von Renaissance-Ornamenten
umgeben. Auf einem Triptychon der Kathedrale
zu Moulins (um 1498) sieht man Jesus
und Maria zwischen den Donatoren Peter II. von
Bourbon und Anna von Frankreich, hinter der
sich ihre Patronin, die hl. Mutter Anna, befindet.
Eines der schönsten Bilder dieser Art zeigt
uns Markgraf Christoph I. von Baden mit seiner
zahlreichen Familie, gemalt von Hans Baldung.
Wie Florenz im Mittelalter St. Anna unter ihre
Schutzpatrone aufnahm, da an ihrem Namenstag
der Tyrann der Stadt vertrieben worden war,
so machtees Innsbruck mit dem Vorort Wilten.
Als nämlich Kurfürst Max Emmanuel nach dem unglücklichen
Ausgang seines Einfalls in Tirol vom Brenner
zurückkehrte, schlug er am 22. Juli
1703 auf den Feldern von Wilten sein Lager auf.
Sein Abzug erfolgte am Annatag.
Zum Dank erwählte die Stadt Innsbruck die
Heilige zu ihrer Schutzpatronin. In der
Stiftskirche von Wilten aber ließ man den Abzug
durch ein großes Freskogemälde von Kaspar Waldmann
in den Jahren 1703-1707 darstellen.
Als 1742 in Elbogen
in Böhmen französische Soldaten (für Karl
VII.) einrückten, machten die Bürger am 26.
Juli zu Ehren der hl. Anna ein Gelübde, und
während der folgenden vierwöchigen Besatzung
hatten sie keinen Grund zur Klage.
Wie einzelne Städte so haben auch zahlreiche
Zünfte und Gewerbetreibende, die gewöhnlich
mit Bruderschaften verbunden waren, sie zu ihrer
Schutzpatronin erhoben.
Am frühesten hören wir dies von den Schiffern
und von solchen, die den Gefahren des Meeres
ausgesetzt waren. In dem Leben des hl. Hugo
von Lincoln in England, der 1200 starb, erzählt
sein Freund und Biograph Adam folgende Begebenheit:
Nachdem der hl. Bischof bei dem Kastel St. Andomar
mit großer Herzensfreude das Fest Mariä Geburt
gefeiert hatte, begab er sich darauf mit den
Seinigen zum Hafen. Als er am folgenden Tag
in der Morgenfrühe das Schiff bestieg, da füllte
die Mutter der Gottes-gebärerin, die sel. Anna,
die Segel mit günstigem Wind, während vorher
Windstille herrschte. Wie nämlich die Schiffer
auf Maria als den Meeresstern ihr Augenmerk
richten, um danach den Lauf der Schiffe zu lenken,
so pflegen sie die Mutter Marias mit Bitten
und Weihegaben anzuflehen, ihnen günstigen Wind
zu senden, wenn Windstille ihnen die Ausfahrt
unmöglich macht. Nach ihrer Tochter war es die
hl. Mutter Anna, der Hugo mit inniger Zuneigung
ergeben war. Sie hinwiederum gewährte ihm
in allen Nöten und Gefahren schnelle Hilfe.
Auch in diesem Fall stand sie ihm auf seine
Bitte eiligst bei. Sie erfreute ihn mit einer
ruhigen Fahrt, so daß er nach seiner Landung
(bei Dover) sofort zur Kirche eilte, um die
hl. Messe von Mariä Geburt zu feiern. - Soweit
der Bericht, aus dem man sieht, daß der Brauch
der Schiffer, die hl. Anna als Schutzpatronin
zu verehren, sehr alt ist.
Die Bollandisten berichten, Guido Routoux aus
Nantes, der in türkische Sklaverei geriet, habe
mit sechs Unglücksgenossen ein Schiff aus Schilfrohr
angefertigt und sei nach Anrufung der hl. Anna
1666 glücklich nach fünftägiger Fahrt auf der
Insel Mallorca gelandet, wo die Patres vom Orden
der Loskauf der Gefangenen das merkwürdige Schifflein
in ihrer Kirche aufgehängt hätten. Nach Samson
wird sie in vielen Gegenden von den Schiffern
als Nothelferin angefleht; in den ihr geweihten
Kapellen, die häufig in der Nähe der Häfen liegen,
beten sie um glückliche Fahrt und um Abwendung
der Gefahr.
Neben der hl. Barbara war und ist Anna ferner
die Beschützerin der Bergleute. Daher
wählten besonders Orte mit Bergbau sie zu ihrer
Patronin, z. B. Eisleben, Bischofsroda, Freiburg
a. d. U.; Annenrode, Annaberg wurden nach ihr
benannt.
„Für die Bergleute in Böhmen war der 26. Juli
ein Feiertag, an welchem jede Arbeit
ruhte; an manchen Orten wohnt die ganze Bergknappschaft
in Feiertagskleidern der hl. Messe bei und zieht
nach beendigtem Gottesdienst in Prozession,
wie sie gekommen ist, ins Freie, wo ein frohes
Volksfest gefeiert wird, das durch die dunklen
Uniformen der Bergknappen und die bunten Trachten
der Frauen einen malerischen Anblick darbietet."
Daher wurden in Ländern mit Bergbau der hl.
Anna auch viele Kirchen oder Altäre geweiht,
z. B. in dem durch den Grafen Albrecht von Mansfeld
1511 errichteten Teile Eislebens die Kirche
für die dort ansässigen Bergleute oder der
Annaaltar 1492 in der Pfarrkirche zum hl. Georg
in Mansfeld.
Das Städtchen Schmiedeberg im Riesengebirge
erhielt schon 1312 eine Annakapelle, und zwar
aus folgendem Grund. Anna: Die Tochter eines
reichen Mannes, hatte viele Freier, verliebte
sich aber in einen armen Schmiedegesellen. Nach
vielem Beten des Mädchens erschien ihr St. Anna
im Traum und sagte ihr: Nimm den Hammer deines
Geliebten, geh damit in die Berge, und wo er
niederfällt, wird er sich in Gold verwandeln.
Man fand dort gewaltige Eisensteine und erbaute
zum Dank die Kapelle.
Welche Bedeutung der Bergbau für Annaberg in
Sachsen hatte, und wie stark dort der Annaverehrung
blühte, haben wir ausführlich mitgeteilt; hier
sei noch nachgetragen, daß die Bergknappschaft
1521 einen Altar stiftete, auf dessen Rückseite
der Bergbaubetrieb von der Entdeckung der Erze
an dargestellt ist. Links oben sieht man den
Engel, der nach der Legende den armen Daniel
Knappe auf den Berg hinweist, welcher „Nester
mit goldenen Eiern" bergen soll. Er hat einen
Baum bestiegen und sucht in dessen Geäst, bis
er durch einen anderen Engel eines Bessern belehrt
wird; rechts neben dem Baum steht mit goldenen
Buchstaben sein Name Knappius. Nun macht er
sich eifrig an die Arbeit und sucht den verborgenen
Schatz. Das ganze, an einem Bergabhang gelegene
Gelände ist nach den gleißenden Schätzen durchwühlt.
Eine Förderstelle sieht man neben der andern.
Hier wird der Boden gelockert, dort mittels
Winden das Gestein aus dem Innern der Erde emporgezogen,
hier zerkleinert, mit Handkarren oder Pferden
fortgeschafft, dort gewaschen. Männer und Frauen
sind gleich eifrig bei der Arbeit. Aber auch
der Galgen fehlt nicht. Denn der reiche Gewinn
- 1501 belief sich die Ausbeute auf 102.500
Gulden - zog viel lockeres Volk herbei, das
ohne Gelage und Raufereien nicht leben konnte.
Die Beziehungen zwischen Anna und dem Bergbau
sind weit hergeholt; sie wurzeln in der Neigung
des Mittelalters, den Gegenständen der Verehrung
und selbst des täglichen Lebens eine allegorische
Bedeutung unterzulegen. Maria, Annas jungfräuliche
Tochter, verglich man seit Alters gern mit dem
Mond, Christus, ihr Sohn, ist die Sonne, von
der sie ihr Licht empfängt. Der Mond bedeutet
das Silber, die Sonne das Gold. Trithemius spielt
auf diese Deutung an, wenn er am Eingang eines
Hymnus sagt:
|
Dein edle Frucht ist unser Heil
Gott hat dich hoch gesegnet / |
Um tausend Welten
ist sie nit fail
Wanns ewig Silber
regnet. |
Die Besitzer des Silberbergwerkes St.-Annen-Grub
zu Todtnau stifteten 1515 am Münster zu Freiburg
Br. eine der hl. Anna geweihte Kapelle mit
prächtigen Glasmalereien, welche die hl. Sippe
darstellen). Eine Inschrift lautet: Gott dem
Allmächtigen, der Jungfrau Maria und der Mutter
Sankt Anna zu Ehren zu Lob haben die Gewerke
St. Annen-Grub in Todtnau dieses Fenster machen
lassen im Jahre 1515. Die „Gewerke" sind nicht
etwa die Bergarbeiter, sondern die Bergwerksbesitzer,
reiche Bürger zu Freiburg. Gleichzeitig wurde
auch ein Annaaltar gestiftet, der, von Meister
Sixt von Staufen ausgeführt, noch vorhanden
ist. Einen zweiten Annaaltar stiftete
der Bürgermeister Ritter Johannes Snewlin Gresser.
Da schon das Jakobusevangelium die Freigebigkeit
Annas und Joachims rühmt,
rief man sie mit Vorliebe auch an, um zu Besitz
zu gelangen.
In Trier gründete
ein Offizial, der berühmte Johann von der Ecken,
für die Juristen eine St.-Anna-Bruderschaft;
sie hatte ihren Sitz in St. Gangolf und hieß
Juratenbruderschaft, d. h. ihre Mitglieder
waren Priester, Doktoren, Advokaten, Notare,
Prokuratoren und Angestellte des geistlichen
Gerichtes in Trier. Der Bruderschaftsaltar war
den Heiligen Fakrius, Anna, Katharina und Barbara
geweiht. Am 13. Mai 1483 verliehen mehrere Kardinäle
den Besuchern des Annaaltares einen Ablaß von 100 Tagen (nach Empfang
der Sakramente). Auch die Sekretäre und Beamten
der kurfürstlichen Kanzlei in Koblenz schlossen
sich um diese Zeit auf Betreiben des Kanzlers
Ludolf von Enschringen einer solchen Bruderschaft
an.
Daß die reichen Kaufherren in Frankfurt am Main
besonders die hl. Anna verehrten, wurde früher
bereits berichtet. Ebenso entstand durch Kaufleute
1508 in Ravensberg eine Annakapelle. Wenn sie
sich der Annaverehrung widmeten, so geschah
es deshalb, weil am Festtag Annas das Evangelium
vom „Schatz im Acker" (Gewerke), der „Perle,
die ein Kaufmann erwirbt", und vom „ wohlunterrichteten
Schriftgelehrten, der Altes und Neues aus seinem
Schatz hervorholt" spricht. (Juristen und Professoren).
Ebenso nahmen die Schreiner Anna zur
Patronin, weil, wie Cahier meint, im
15. und 16. Jh. der Tabernakel vielfach als
Meisterstück angefertigt wurde, Anna aber den
ersten Tabernakel, ihre jungfräuliche Tochter,
gebildet hatte. In den Statuten der Zimmerleute
und Schreinermeister von Angers, die 1487 durch
König Karl VIII. bestätigt und 1514 durch Franz
I., 1550 durch Heinrich II. und 1657 durch Ludwig
XIV. erneuert und vermehrt wurden, heißt es
an erster Stelle, daß die Mitglieder sich jährlich
am 26. Juli, am Fest der hl. Anna, versammeln
sollen, da sie die Patronin der Zunft sei. Nach
den „Statuten und Privilegien" der Schreinerinnung
von Angouleme vom Jahre 1512 fand in der Kirche
des hl. Andreas sogar jeden Sonntag eine Messe
mit Gebeten zu Ehren der hl. Anna statt. In
Paris hatten die Tischler und Schreiner gleichfalls
die hl. Anna als Patronin; ihre Zahlmünze, die
im Jahre 1748 geprägt wurde, trug auf der einen
Seite das Bild ihrer Schützerin, wie sie Maria
lesen lehrt, mit der Inschrift: Sic fingit tabernaculum
Deo.
In Amiens erneuerte die schon im 15. Jh. existierende
Bruderschaft ihre Statuten, in denen es u. a.
heißt: „Die Schreinermeister und ihre Witwen
versammeln sich alle Jahre am 26. Juli, dem
Fest der hl. Anna, ihrer Patronin, um in der
Kirche der Franziskaner dem Gottesdienst beizuwohnen".
Eine in der Seine gefundene Medaille zeigt auf
der einen Seite St. Anna, wie sie Maria belehrt,
auf der anderen die Schreinerwerkzeuge. Mit
den Schreinern vereinigten sich zu ihrer Verehrung
die Drechsler, Böttcher und andere Holzhandwerker.
Die Tischler nannten eine Mischung von Leim
und Sägemehl, womit sie die Löcher zustopften
und Löcher im Holz verdeckten, „Hirn der hl.
Anna'.
Selbst in die Liturgie ist die Deutung von Anna
als Tabernakel Marias übergegangen, es heißt
in dem Hymnus Ad matris Annae im alten Missale
von Le Mans und Freising:
Fabricatur in hac Anna
Quae virtutum causit manna
Arca novi Testamenti
O res magni sacramenti! |
Manna verum, quo mundus pascitur,
Hic est puer,
qui nobis nascitur
Vere felices dominae,
Per quas Deus in homine Salutem operatus est. |
In Tolkemit, Ermland, erschien seit dem
16. Jh. die dort bestehende Annabruderschaft
als kirchliche Vereinigung der Fischer und besaß
einen Altar der hl. Anna. Sie unterhielt damals
einen eigenen Vikar, der am Bruderschaftsaltar
die hl. Messe lesen mußte. Bis in die Mitte
des 19. Jahrhunderts bestand die Sitte, daß
die Mitglieder, wenn sie mit dem Herbstgarn
fischten und einen guten Fang machten, vor dem
Verkauf einen schweren Fisch zurücklegten und
dessen Erlös der Bruderschaft gaben.
Mancherorts verehrte die Zunft der Handschuhmacher,
Seiler und Lohgerber St. Anna als ihre Schutzpatronin.
In Peronne bewahrt man eine Fahne dieser Zunft
vom Jahr 1636; eine Seite ist mit der hl. Anna
geschmückt, die andere mit Ludwig XIII., der
die Abzeichen der Zunft trägt.
Die hl. Anna galt als geschickte Hausfrau, auf
die man in der Lesung ihres Festtages jenes
Lob aus den Sprüchen Salomons anwandte: Sie
sorgt für Wolle und Flachs und arbeitet mit
kunstfertigen Händen... Sie legt ihre Hände
an große Dinge und ihre Finger erfassen die
Spindel... Sie fertigt sich Decken; feine Leinwand
und Purpur ist ihr Gewand... Sie macht feines
Linnen und verkauft es und liefert dem Chananiter
Gürtel (Spr 31,13f.). Daher wurde sie die Patronin
der Arbeiter und Arbeiterinnen, welche Leinen
und Tuch für Kleider anfertigen oder verkaufen.
Ebenso wurde sie besonders verehrt von den Näherinnen,
Strumpfwirkerinnen, Spinnerinnen, Webern und
Flachshändlern.
Als gute Hausfrau war Anna auf Ordnung bedacht
und sorgte für Sauberkeit. Man konnte daher
mit Vertrauen Zuflucht zu ihr nehmen, um verlorene
Sachen wieder zufinden. Die Besenbinder,
die das für die Reinlichkeit unentbehrliche
Instrument anfertigten, durften sie deshalb
als ihre Patronin verehren.
Noch in Vlämisch Belgien feierten die Spitzenklöpplerinnen
den 26. Juli als Festtag. Das ganze Jahr
hindurch wird von den geringen Ersparnissen
etwas zurückgelegt für den Sankt-Anna-Tag, oder
es werden auch für Versäumnisse und Fehler in
den Werkstätten kleine Geldbußen auferlegt,
die man sammelt, um daraus die Kosten für einen
gemeinsamen Ausflug am Feste der Patronin zu
bestreiten.
Überhaupt waren es vornehmlich die niederen
Stände, welche die hl. Anna mit Vorliebe
zur Patronin erwählten; so in manchen Gegenden
die Dienstboten und Arbeiterinnen, die Krämer
und Müller, die Stallknechte und Stockmacher.
Weil Patronin der ärmeren Stände, wurden hier
und da schon früh auch die Armenhäuser unter
ihren besonderen Schutz gestellt. So schenkte
Ritter Ludolf von Veltheim in Braunschweig 1326
einen Teil seiner Burg zu dem Zweck, daß er
„armen Leuten zu einer ewigen Wohnung" diene;
er wurde St.-Anna-Konvent genannt. Ein zweites
Haus (auf dem Werder), das zur Aufnahme von
zehn hilfsbedürftigen Personen
diente, hieß gleichfalls Annakloster.
Besonders galt sie als Patronin der Ärmsten
unter den Armen, der Kranken. Es standen
deshalb im Deutschordensland Preußen unter ihrem
Schutz die Hospitäler Frauenburg, Zinten und
Löbau, in Schlesien zu Bielitz (1477) und Liegnitz
(1395). In einem alten Segen zu Ochsfurt wird
eine personifizierte Schar von Gichten (gegen
25 Arten), die im Feld umherirren, von der hl.
Anna in das wilde Heer, aus dem sie gekommen,
zurückverbannt. In Spanien betet man: Hl.
Anna, guter Tod, kurzes Krankenlager. Heute
hat man an den alten Brauch mehrfach wieder
angeknüpft und die hl. Anna zur Patronin von
Häusern und Kapellen der Caritas
erwählt.
In einem schwedischen Brevier vom Jahr 1519
wird der Klerus besonders aufgefordert,
St. Anna zu verehren, um durch ihre und ihrer
Tochter Fürbitte die Gnade der Keuschheit zu
erlangen.
|
Annam clerus veneratur Postulans suffragia,
Ut Mariae per hoc detur Magna reverentia.
Anna,
Maria precibus Clerum et ecclesiam
Confortent,
ut in omnibus Servent continentiam. |
Daß die Stallknechte zu Rom die hl. Anna
zur Schutzpatronin hatten und ihr Fest bis zum
Einzug der Piemontesen in die Ewige Stadt glänzend
feierten, wurde bereits früher angedeutet. Sie
wählten sie zu ihrer Patronin, weil der Heiland
in einem armen Stall zur Welt kam. Es dürften
gerade über diese einst sehr angesehene Bruderschaft
einige genauere Angaben angebracht sein, zumal
ihre Bedeutung bei uns kaum bekannt ist. Gegründet
1378 unter Urban VI. gehörten ihr ursprünglich
die Parafrenieri des Papstes an, d. h. die diensttuenden
Beamten und Diener in der näheren Umgebung des
Papstes; auch sie wurden nicht unterschiedslos,
sondern nur mit Auswahl aufgenommen. Bei den
Versammlungen trugen sie ein weißes Gewand mit
blauem Gürtel und einem Bild der hl. Patronin.
Zweck der Bruderschaft
war gegenseitige Unterstützung in gesunden und
kranken Tagen und fürbittendes Gebet für die
Verstorbenen. Sie genossen große Privilegien.
Papst Klemens VII. gewährte 1523 dem Dekan den
persönlichen Adel und den Mitgliedern u. a.
die Ernennung zu Doktoren des Rechtes und der
Theologie und den Gebrauch des Tragaltares.
Seit dem 15. Jh. erweiterte man den Kreis der
Mitglieder und nahm auch die Parafrenieri der
Kardinäle, der höheren Prälaten (seit 1696)
und seit 1748 sogar weibliche Mitglieder auf.
Papst Pius IV. gestattete
der Bruderschaft am 20. November 1565, im Borgo
Pio eine eigene Kirche zu erbauen und die in
der Vatikanstadt zur Pfarrkirche erhoben wurde.
Sixtus V. gewährte ihr 1589 das Privileg, am
Patronsfest einem beliebigen Gefangenen die
Freiheit zu schenken. Unter Benedikt XIV. erhielt
die Bruderschaft neue Statuten, die ein umfangreiches
Buch ausmachen und einen Stich des Aeg. Seb.
Conca enthalten: Anna belehrt Maria, die in
einem Buch liest...
Die Zünfte errichteten ebenso
wie die Bruderschaften ihrer Patronin natürlich
Kapellen und stifteten Altäre. So besitzt die St.-Nikolai-Kirche zu Flensburg noch heute einen Annaaltar,
der auf Kosten der Bäckerbruderschaft entstand,
Schmöllin in Sachsen -Altenburg besaß 1522 einen
Altar der Schuhmacher.
Vor allem aber war St. Anna die Patronin
der Frauenvereine, deren es auch bereits
im Mittelalter viele gab. Sie war ihr Vorbild
besonders in der Erziehung der Kinder. Hatte
sie ja das vollkommenste Kind, die allerseligste
Jungfrau Maria, aufgezogen und sie in den hl.
Schriften unterrichtet. Solche Vereine gab es
noch im 17. Jh., und die Darstellungen auf ihren
Vereinsbildern waren stets St. Anna, wie sie
die Jungfrau unterrichtet.
Neben den allgemeinen Anliegen, welche man der
Mutter Anna vortrug, waren es manche bestimmte
Nöte und Drangsale, von denen man durch ihre
Fürsprache befreit zu werden hoffte. Zu den
furchtbarsten Heimsuchungen Europas gehörte
gegen Ende des Mittelalters die Pest. Und da
gegen sie alle menschlichen Mittel versagten,
nahm man zu den Himmelsbewohnern seine Zuflucht.
Am beliebtesten waren als „Pestheilige"
Rochus und Sebastian. Doch auch manche andere
Heilige wurden um ihre Hilfe angefleht. Bei
der Verehrung, die damals Anna genoß, darf es
uns nicht wundern, wenn man sich in dieser Not
auch an sie wandte. So sehen wir sie auf einem
Holzschnitt vom Ende des 15. Jahrhunderts, das
die Selbdritt in einer damals vielfach üblichen
Form zeigt. Rechts kniet ein Mann und erbittet
sich die Hilfe St. Annas gegen die Pest, wie
es die Unterschrift deutlich besagt: ein andächtiges
Gebet zu der heiligen Frau Sant Annen vor der
Seuche der Pestilenz. Es folgt weiter jenes
dem Ave Maria nachgebildete Gebet, von dem früher
schon die Rede gewesen ist.
In St. Pölten bei
Weilheim (Oberbayern) liest man auf einer Votivtafel:
Sechzehn hundert zwei und dreißig / War die
Zahl zu merken fleißig / Hat hier Pest den Sitz
bekommen / Viel der Menschen weggenommen. /
Im größten Leid dacht jedermann
/ St. Anna ist, die
helfen kann. / Darum der Rat ein ganzes Jahr
/ Versprach auf dem Kapellen-Altar / Am Mittwoch
ihr zu Ehren / Ein Meß allzeit soll ghören.
/ Der Bruderschaft dies vorgelegt / Ganz eifrig
z'halten hat bewegt. / Dazu sie noch ihr Schutzfrau
gnennt / In kurzem die Pest hatte ein End.
/ Wenn heutigs Tag ein Not entsteht / Die Stadt
zur Mutter Anna geht. / Zu jeder Zeit und Stunden
/ Ihr Hilf sie hat gefundene. Im Elsaß verehrte
man St. Anna auch gegen Syphilis.
Ferner
hoffte man durch die Fürbitte Annas jenes Familienglück
zu erlangen, das sie selbst lange entbehren mußte, und dessen sie erst nach zwanzigjährigen
Bitten teilhaftig wurde, das Glück des Kindersegens.
Schon in dem Leben der hl. Sadalberga (+ um
670 in Belgien) lesen wir, daß sie in ihrer
Kinderlosigkeit den Glauben der hl. Frauen
Anna und Elisabeth nachahmte und durch anhaltendes
Gebet sich von der Unfruchtbarkeit befreite.
Wiederholt hören wir von Stiftungen oder Wallfahrten,
welche gemacht wurden, um den Kindersegen zu
erlangen,
bzw. als Danksagung nach erfolgter Erhörung.
So erbaute Erzherzog Leopold
von Österreich aus Dankbarkeit gegen die hl.
Anna zu Reute (Tirol) ein
Franziskanerkloster, nachdem ihm ein Nachkomme
beschert worden war. Am
15. März 1628 legte der Fürst selbst den Grundstein
zu dem Gebäude. Aus demselben
Grund machte die Kaiserin Eleonora von Österreich,
Gemahlin Leopolds I., zu Fuß die beschwerliche
Wallfahrt nach St. Annaberg in der Nähe von
Wien. Am
27. März 1660 begab sich Anna von Österreich,
Gemahlin Ludwigs XIII. von Frankreich, nach
Apt, um dort vor den Reliquien der hl. Anna
ihren Dank abzustatten, daß sie auf ihre Fürbitte
Mutter geworden war; sie machte bei dieser Gelegenheit
der Kirche u. a. eine sechs Zoll hohe Annastatue
aus reinem Gold zum Geschenk. In der St.-Anna-Kirche
zu Prag wurden am Dienstag von unfruchtbaren
Frauen und von Müttern, deren Kinder krank waren,
Kerzen geopfert.
Natürlich rief man St. Anna auch an, wenn die
Stunde der Geburt herannahte; es haben sich
aus dem 12. Jh. Gebete erhalten, welche außer
anderen hl. Müttern auch Anna nennen und die
vom Priester vor der schweren Stunde am Wochenbett
verrichtet wurden, was später, als die Anwesenheit
eines Geistlichen unpassend erschien, von Laien
geschah. Namentlich seit dem 14. Jh. galt sie
als die mächtige Beschützerin der Gebärenden;
für schwangere Frauen las man die Messe von
der hl. Anna.
In der Kirche S. Paul alla Regola zu Rom besteht
eine besondere Andacht zur hl. Anna für die
Frauen im Wochenbett; man verteilt dort
ein kleines Bild in Medaillonform mit der hl.
Anna, die in der Rechten ein Schriftband mit
den Vorzügen Marias enthält, die in kleiner
Gestalt mit auf der Brust gekreuzten Armen Gott
für seine Wohltaten dankt; auch werden dort
Kerzen gesegnet, die man während der Niederkunft
anzündet. Leo XIII. gewährte 1878 eine große
Audienz den Mitgliedern des frommen Instituts,
das sich 1871 unter den Schutz der Jungfrau
Maria und der Mutter Anna gestellt hatte, um
armen Wöchnerinnen zur Hilfe zu kommen.
War
St. Anna eine mächtige Helferin in den Nöten
des Lebens, so durfte man auch in der Todesstunde
mit Vertrauen zu ihr seine Zuflucht nehmen.
In der Tat finden wir sie sowohl diesseits wie
jenseits der Alpen unter den Heiligen,
denen man die hinscheidende Seele besonders
empfahl.
In der Litanei für die Sterbenden wird St. Anna
angerufen in einem liturgischen Buch der Diözese
Abo in Finnland (1522) und der Diözese Linköping
in Schweden (1525)2. Dasselbe ist der Fall in
einem Brevier des 14. Jahrhunderts, das sich
im Besitz der Abtei Monte Cassino befindet.
Hier hat man auch die Kapelle, wo die Mönche
begraben werden, der hl. Anna geweiht und den
Altar mit einem entsprechenden Bild geziert.
In der Mitte thront die Gottesmutter, zur Rechten
steht St. Benedikt, zur Linken St. Anna mit
dem Jesuskind auf dem Schoß, weiterhin St. Joseph
und St. Joachim. Der hl. Benedikt bittet für
die verstorbenen Mönche um Einlaß in die ewige
Glorie. Seine Bitte wird erfüllt, wie ein von
drei Engeln gehaltenes Spruchband in der Höhe
besagt: Ich werde ihn einführen in das Haus
meiner Mutter und in das Gemach meiner Gebärerin.
Ebenso erwählten die Großmeister des Deutschen
Ordens ihre letzte Ruhestätte unterhalb der
Kapelle der hl. Anna im Schloß zu Marienburg,
die sich bereits 1394 nachweisen läßt.
In Colmar wurde 1504 bei den Franziskanern eine
Annabruderschaft gegründet, hauptsächlich um
den armen Seelen im Fegfeuer zu Hilfe
zu kommen. Aus dem gleichen Grund geschah es
wohl auch, daß man ihr gern die Kapellen auf
den Friedhöfen weihte.
Um 1320 erbaute man in Colmar auf dem Coemeterium
eine Kapelle der hl. Anna, der hier somit der
Platz eingeräumt wird, den sonst St. Michael
innehatten. Ebenso besaß der Friedhof der Peterskirche
in Erfurt im 14. Jh. eine Annakapelle. Zu Cham
und Menzingen in der Schweiz wurde 1500 bzw.
1513 die Friedhofskapelle der hl. Anna gewidmet,
in Württemberg zu Waldbach, Ingelfingen, Beilstein,
Uttenweiler und so an vielen anderen Orten.
Jakob Fugger stiftete
in Augsburg eine prachtvolle Annakapelle und
bestimmte sie zur Begräbnisstätte seiner Familie.
In Tolkemit bestand eine angesehene Annabruderschaft,
die als Begräbnisbruderschaft in dem Städtchen
eine bedeutende Rolle spielte. In Wartenberg
wurde bei Begräbnissen erster Klasse das St.-Anna-Buch
der Bruderschaft auf dem Sargdeckel befestigt.
Als Patronin
wurde St. Anna auch sehr häufig für Kirchen,
Altäre und Klöster gewählt, wie die neuere
Forschung über die Patrozinien gezeigt hat.
Rheinland und Westfalen zählen allein ungefähr
70 solcher Patrozinien, die noch dem Mittelalter
angehören, Bayern 48, Schlesien über 50, teils
älteren teils neueren Ursprungs. Ausführlich
haben wir darüber bereits früher gehandelt.
Aber auch ganze Städte stellten sich unter Annas
Schutz und nahmen ihr Bild in ihr Wappen auf.
So führte, wie Annaberg in Sachsen, auch Braunschweig
die hl. Anna in seinem Stadtwappen. Außer den
Städten, die sich nach ihr benannten,
wählte sie z. B. Madrid 1597 während einer furchtbaren
Pest zu seiner Schutzpatronin, und lange
Zeit feierte die spanische Hauptstadt ihr Fest
mit großer Prachtentfaltung. Ferner war oder
ist sie die Schutzherrin von Apt, Aveira, Braunschweig,
Ourscamp (Frankreich), Scopia (Serbien), der
Bretagne und des Hennegaus. Auch die Diözesen
Palma auf den Kanarischen Inseln und Veszprem
in Ungarn haben sich unter ihren Schutz gestellt.
Es konnte nicht ausbleiben, daß eine so beliebte
Heilige wie St. Anna auch außerhalb der Kirche
und des Gottesdienstes die Phantasie des Volkes
vielfach beschäftigte und zu allerlei Bräuchen
und Sprüchen Anlaß gab. In der Bretagne nehmen
die Landleute besonders während der Erntezeit
zur hl. Anna ihre Zuflucht, was man auf den
grünen Mantel zurückführen möchte, den sie vielfach
auf alten Kirchenbildern trägt. In der Anna-Wallfahrtskirche
zu Schwendelberg (Kanton Luzern) werden viele
„Wettermessen" gelesen, um Hagelschlag
von den Feldern fernzuhalten. Bruiningk findet
den Grund in der 3. Antiphon zu den Landes ihres
Offiziums: Labia omnium collaudant Dominum,
Quia omnibus gentibus sancta Anna, Terra benedicta,
dedit fructum suum.
Das hängt natürlich mit dem Umstand zusammen,
daß ihr Fest in die Zeit der Ernte fällt, wie
z. B. in Nordfrankreich der hl. Petrus als Patron
der Schnitter und Mäher gilt, weil sie zu Beginn
der Erntezeit, am 1. August, dem Fest Petri
Kettenfeier, durch gemeinsames Gebet in den
Kirchen Gottes Segen auf ihre Arbeiten herabflehen.
Ihr Mantel war grün, weil Grün die Farbe
der Hoffnung ist, Anna aber die Hoffnung
der Welt in sich trug. Auch heute tragen noch
in Bayern und in der Schweiz an einzelnen Orten
bei Prozessionen die Mitglieder der Annabruderschaft
einen grünen Mantel...
Die Stände, welche
Anna als besondere Schutzpatronin verehrten,
suchten sie natürlich auch als ihr Vorbild nachzuahmen.
So stellt selbst der hl. Ignatius von Loyola
sie in seinem berühmten Exerzitienbüchlein als
Muster für das Almosengeben hin; hatte sie ja
mit ihrem Mann ein Drittel des Vermögens alljährlich
an die Armen verteilt. Der bedeutende Prediger
Johannes Herolt OP (15. Jh.) empfiehlt die Verehrung
der hl. Anna seitens der Verheirateten und stellt
sie ihnen als Vorbild hing.
Als Schutz trug man im Mittelalter wie noch
heute vertrauensvoll Medaille mit einem
Heiligenbild. Auch von St. Anna glaubte man,
daß sie auf vertrauensvollen Anruf hin Hilfe
bringe, und daher führten ihre Verehrer sie
wohl im Bild auf Medaillen mit sich. Ein silbernes
Medaillon (5 cm Ø) aus der Mitte des 15. Jahrhundertsmit
Anna selbdritt ist auch im Welfenschatz.
Bereits früher wurde erwähnt, daß bei den Wallfahrtsorten
der hl. Anna sich häufig ein Brünnlein findet,
mit dem sich manchmal allerlei Sagen verbinden,
so z. B. in Niederzwönitz (Sachsen). Dort erkrankte
Ärmchen, die Tochter eines Försters, im fünften
Jahr an den Blattern und wurde blind. Nirgends
konnte sie in ihrem Leid Hilfe finden. Deshalb
betete sie eifrig zur hl. Anna, die ihr in der
Nacht vor ihrem Fest im Traum erschien, sie
in den Streitwall hinausführte, auf eine Quelle
deutete und sie segnete. Als sie diesen Traum
am anderen Morgen ihrem Vater erzählte, führte
dieser das Kind zu der Quelle, wusch es mit
dem Wasser, und Ännchen war geheilt. Man erbaute
deshalb dort 1498 eine Kapelle. Wie zu Brakel
im Nethegau so holt man auch in Inzikofen (Sigmaringen)
die Kinder aus dem Brunnen Höll in Berbsheim;
ebenso gibt es in Weingarten und Gmünd „Kindlisbrunnen". Eine Annaquelle gegen Gicht und Rheuma
findet sich bei Lhota in Böhmen, ebenso eine
heilkräftige Quelle bei Frankenthal.
In folgender Weise bringt Spanien mit seiner
starken Annaverehrung die Kinder und St. Anna
in Verbindung. Dort gibt es folgendes Kindergebet:
Senora Santa Ana... Hl. Frau Anna, Christi Großmutter,
schläfere mich ein in deinem Schoß, da ich sehr
klein bin. Wache über meinen Schlaf, laß nicht
zu, daß mich betrübe weder ein Übel, eine Sorge
noch sonst ein Alptraum. - Hat sich ein Kind
verletzt, so sagt die Mutter in Südspanien zu
ihm: Großmütterchen Sankt Anna sorgt und heilt's.
Als ein Schutzmittel gegen allerlei Beschwerden
und Krankheiten entstand während der Blüte der
Annaverehrung in Deutschland das Annawasser,
das vielleicht mit den früher erwähnten Annaquellen
zusammenhängt. Seine Weihe war von der Rezitation
von Psalmen, der Litanei mit besonderer Anrufung
für das Wasser und einer Anzahl Versikeln und
Orationen begleitet. Eine lange Weiheformel
enthält die Agende der Kollegiatkirche des hl.
Mauritius und der hl. Maria Magdalena ad Sudarium
Domini in Halle. Nach der Weihe wurde das Wasser
an das Volk ausgeteilt. Nach einem der Weiheformel
angehängten „Verzeichnis" galt es als Heilmittel
gegen alle möglichen Nöte, gegen das Fieber
wie gegen „die Franzosen*'', für schwangere
Frauen wie gegen Kopf- und Brustschmerzen,
endlich auch für Besessene. Diese Weiheformel
ist entstanden unter den Stürmen der kirchlichen Neuerung, der auch
Halle sich anschloß; aber auch damals dachte
man nicht daran, liturgische und volkstümliche
Gebräuche von fragwürdigen Übungen zu reinigen.
*Die do
Frantzosen (lues) haben. Item menschen, die
do mit den Frantzosen oder blattern beladen,
sollen sant Anne wasser gebrauchen, viertzig
tage lang in allen yren speisen und tranck,
und alle tage drei Vatterunser, drey Ave Maria
und eynen Glauben betten und auff den dinstag
sanct Anne vasten und die blattern mit dem wasser
waschen, ydoch gantz wenig netzen... Ähnliche
Anweisungen bei den anderen Kranken.
Wie die Kirche selbst
sich nicht stets auf gleicher Höhe gehalten
hat, im Lauf ihrer geschichtlichen Entwicklung
vielmehr ein Auf und Nieder des christlichen
Lebens zeigt, so geht es auch mit der Verehrung
der Heiligen. St. Anna ist ein auffälliges Beispiel
hierfür. Aus kleinem, aber fruchtbarem Samenkorn
erwuchs im Lauf der Jahrhunderte ein gewaltiger
Baum, der seine Zweige soweit ausdehnt, als
Mitglieder der katholischen Kirche wohnen.
Seine Blütezeit erlebte die populäre Verehrung
der hl. Anna am Ende des Mittelalters, als die
Frage nach der unbefleckten Empfängnis Mariä
die Aufmerksamkeit auch auf die Mutter Anna
lenkte. Hoch und Niedrig erwählten sie damals
zur Patronin, Zünfte und Bruderschaften stellten
sich unter ihren Schutz, Gelehrte und Künstler
weihten sich ihrem Dienst. Italien und Spanien,
Frankreich und Polen, Schweden und die Balkanstaaten,
vor allem aber Deutschland erwiesen ihr eine
Verehrung, wie ihn mit Ausnahme ihrer Mutter
Maria seitdem seitens des Volkes wohl keine
Heilige empfangen hat. Wie aber bei Maria Ziel
der Verehrung ihr göttlicher Sohn Jesus Christus
ist, so auch bei Anna. Sie wird deshalb von
der Kunst fast stets in Verbindung mit ihrem
göttlichen Enkelkind oder wenigstens mit ihrer
Tochter dargestellt.
Die Blüteperiode dieser populären Verehrung
endet in Deutschland mit dem Ausbruch der Reformation.
In dem Herzen des katholischen Volkes jedoch
konnte die Liebe zu St. Anna wohl eine Zeitlang
gemindert, nicht aber ausgelöscht werden. Auch
im 16. und 17. Jh. wurden neue Annabruderschaften
gegründet, neue Kirchen ihr geweiht, neue Bücher
über ihre Verehrung geschrieben. Namentlich
war das in Spanien, Italien, Polen, Frankreich
und Belgien der Fall, wo eine neue Blüteperiode
einsetzte.
Im 18. Jh. nahm mit dem Erwachen eines neuen
christlichen Lebens auch die Verehrung St. Annas
einen neuen Aufschwung, der anscheinend noch
nicht zum Abschluß gekommen ist. Einige Zeichen
dieser Neubelebung haben wir in den vorhergehenden
Kapiteln schon angeführt. Namentlich in Italien
ist die Verehrung St. Annas in aufsteigender
Linie begriffen, besonders in Neapel.
Als man bei dem furchtbaren Erdbeben 1805
ihren Schutz erfahren hatte, wuchs die Verehrung
der Heiligen in außergewöhnlicher Weise. Nicht
weniger als sechs Kirchen waren bereits 1872
der hl. Anna in Neapel geweiht.
In Deutschland wurden Frauenheime und Erziehungsanstalten
für die weibliche Jugend nach der hl. Anna benannt.
Hier gibt es nur wenige größere Kirchen, die
nicht eine Statue oder ein Bild der Heiligen
besitzen.
Wie die Verehrung der
hl. Anna in Kanada in Blüte stand, wurde früher
schon angedeutet. Mit den Kanadiern wetteifern
die Brasilianer und die anderen Völker Südamerikas.
Brasilien hatte 1907 nicht weniger als 175 Orte
mit dem Namen Anna.
So sind denn heute die Katholiken der alten
und der neuen Welt einig in der Verehrung jener
gebenedeiten Frau, die der Menschheit die allerseligste
Jungfrau Maria und durch sie den Heiland und
Erlöser Jesus Christus geschenkt hat. Nahe bei
der Gottesmutter Maria steht die Großmutter
Anna.
Die große Verehrung der hl. Anna ist aus dem
Volk gewachsen und vollzieht sich im wesentlichen
auch in volkstümlicher Weise. Denn die katholische
Kirche widmet in ihrer Liturgie unserer Heiligen
nur einen Tag im Jahr, die Volksverehrung ist
jedoch an keinen Tag und an keine bestimmten
Formen gebunden. Treibendes Motiv für das Volk
aber ist der Gedanke und das Bewußtsein, daß
Sankt Anna, um mit den mittelalterlichen Hymnologen
zu reden und zu schließen, die Avia (Großmutter)
Christi ist.
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Inhaltsverzeichnis
Damit die Heiligenverehrung
nicht Theorie bleibt, folgen einige Gebete.
GEBETE zur hl. Mutter
ANNA (Zum Privatgebrauch)
Ein junger
Ungar geriet durch eigene Schuld in große Armut.
Daher wollte er zum hl. Jakobus nach Compostela
wallfahren. Da erschien ihm der hl. Jakobus
und sprach: "Wenn Du aus Deiner großen Not
erlöst werden willst, rufe die hl. Anna an,
denn sie ist eine Trösterin der Betrübten und
verläßt keinen, der auf sie vertraut." Als
der junge Mann wissen wollte, wie er die hl.
Anna verehren solle, erhielt er vom hl. Jakobus
zur Antwort: "Ehre den Dienstag, an dem
die hl. Anna geboren und gestorben ist, dadurch,
daß Du ihr zu Ehren drei Vaterunser und drei
Ave Maria betest, indem Du vor ihrem Bild eine
Kerze anzündest!"
Die folgenden Gebete
sind mit freundlicher Genehmigung des Parvis-Verlags
aus dem Buch vom Holböck - Isenegger, Der
Schüssel zu den Schätzen Gottes und haben
das Imprimatur.
NOVENE zur hl .Mutter
ANNA
Der sel.
Anna Katharina Emmerich wurde offenbart, daß
die hl. Mutter Anna eine besondere Patronin
in hoffnungslosen Anliegen ist. Der Dienstag
ist der hl. Mutter Anna geweiht. Es ist sehr
segensreich, ihr zu Ehren Almosen zu spenden,
da diese große, edle Frau sehr wohltätig war.
Ihren Verehrern wird Mutter Anna ein gutes Sterben
erflehen, besonders jenen, die jeweils am Dienstag
zu ihrer Ehre 3 Vaterunser und Ave Maria beten.
Es freut sie auch, wenn man zu Ehren jener neun
Monate, da sie Maria im Schoß getragen hat,
neun Ave Maria betet.
An den neun Tagen der
Novene, oder jeweils am Dienstag bete man folgende Gebete:
O hl. Mutter Anna,
mit deiner liebsten Tochter Maria und ihrem
göttlichen Sohne Jesus Christus grüße ich dich.
Ich bewundere die Größe, zu der dich Gott erhoben
hat. Durch Maria danke ich dem Allerhöchsten
für all die Gnaden, die er dir erwiesen hat.
Dir empfehle ich mich sowie die Mütter und die
Jugend, heute und alle Tage des Lebens. Steh
mir bei in allen Versuchungen und Gefahren,
besonders aber in der Stunde meines Todes. Amen.
- Freu dich, o glückselige Mutter Anna, da du
eine Tochter empfangen hast, welche die Mutter
des Welterlösers wurde.
Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Hl.
Geist, wie im Anfang, so auch jetzt und allezeit
und in Ewigkeit. Amen.
- Freu dich, o glückselige Mutter Anna, Mutter
der Himmelskönigin, denn aus dir ging hervor
der hellglänzende Meeresstern. Ehre sei dem
Vater...
Freu dich, o glückselige Mutter Anna, Mutter
der allerseligsten Jungfrau Maria, die als immerwährende
Jungfrau zugleich Mutter unseres Erlösers ist.
Ehre sei dem Vater...
- Freu dich, o glückselige Mutter Anna, die
du allein von Gott die Gnade empfangen hast,
Mutter Mariens und Großmutter Jesu Christi zu
sein.
Ehre sei dem Vater...
- Freu dich, o glückselige Mutter Anna, frohlocke
und freue dich ohne Ende, daß du von Gott so
bevorzugt worden bist. Bitte aber und flehe
für mich bei Maria, deiner reinsten Tochter,
der hehren Himmelskönigin.
Ehre sei dem Vater...
Bitte für uns, o glückselige, hl. Mutter Anna,
damit wir würdig werden der
Verheißungen Christi.
O Gott, der du gewollt hast, daß die hl. Anna
durch die Mutterschaft Mariens, der seligsten
Jungfrau, Mitarbeiterin am Erlösungswerk deines
eingeborenen Sohnes sei, verleihe uns, wir bitten
dich, daß wir die Mutter deines Sohnes und ihre
Mutter, die hl. Anna, auf Erden so verehren,
daß wir in der Todesstunde uns ihrer Hilfe und
ihres Beistandes erfreuen und dich im Himmel
ewig loben und preisen können, durch Christus,
unsern Herrn. Amen.
Gedenke, o hl. Mutter
Anna, daß noch nie gehört worden ist, daß jemand,
der unter deinen Schutz geflohen, dich um Beistand
angerufen und um deine Fürbitte angefleht hat,
verlassen worden sei. Denn du bist eine überaus
barmherzige Mutter und hilfst allen Notleidenden.
Von diesem Vertrauen erfüllt, nehme ich meine
Zuflucht zu dir und bitte dich: O Mutter der
Himmelskönigin und Großmutter Jesu Christi,
des Welterlösers, komm mir mit deiner mächtigen
Fürbitte zu Hilfe. Erflehe mir mit deiner glorreichen
Tochter Maria von Gott die Gnade...
Zu Ehren der 9 Monate,
in denen du die allerseligste Jungfrau in deinem
Schoß getragen und sie ohne Makel der Erbsünde
geboren hast, will ich nun 9 Ave Maria
beten. - Gegrüßt seist du, Maria... mit
Einfügung: Hochgepriesene hl. Anna, durch
Maria sei Gott ewig Lob und Dank für alle deine
Gnaden. Hl. Maria... (9 mal).
LITANEI zur hl. Mutter
ANNA
Herr, erbarme dich
unser
Christus, erbarme dich unser
Herr, erbarme
dich unser,
Christus, höre uns, Christus, erhöre uns
Gott Vater im Himmel, erbarme dich unser
Gott Sohn, Erlöser der Welt
Gott Heiliger Geist
Heiligste Dreifaltigkeit, ein einziger Gott
Hl. Maria, bitte für uns
Hl. Anna,
Du Mutter der auserwählten Tochter des ewigen
Vaters
Du Mutter der jungfräulichen Gebärerin des eingeborenen
Sohnes
Du Mutter der Braut des Hl. Geistes
Du treue
Gattin des frommen Joachim
Du leuchtendes Vorbild
für Eheleute und Eltern
Du Zierde deines Geschlechtes
Du Zuflucht der Bedrängten
Du mächtige Fürsprecherin in jeder Not
Du starke Frau in allen Prüfungen
Du beharrliche Beterin In Not und Versuchung
In Leid und Bedrängnis
In Krankheit und Trostlosigkeit
In der Todesstunde
Durch die Fürbitte der hl. Mutter Anna,
hilf uns,
o Herr
Lamm Gottes, du nimmst
hinweg die Sünden der Welt, verschone uns, o
Herr. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden
der Welt, erhöre uns, o Herr. Lamm Gottes, du
nimmst hinweg die Sünden der Welt, erbarme dich
unser.
Bitte für uns, o hl. Mutter Anna, auf daß wir
würdig werden der Verheißungen
Christi.
Lasset uns beten: Allmächtiger Gott, himmlischer
Vater, in deiner Güte hast du die hl. Anna hochbegnadigt
und sie zur Mutter der reinsten Jungfrau und
Gottesgebärerin erwählt. Somit wurde sie auch
gewürdigt, Großmutter Jesu Christi zu werden. Lasse uns
ihre kräftige Fürbitte wunderbar erfahren. Dir,
dem Sohn und dem Hl. Geist sei Lobpreis und
Dank gesagt für die hl. Anna in Ewigkeit. Amen.
|
ROSENKRANZ
zur hl.
Mutter ANNA und zum Vater JOACHIM
1. |
Hochgepriesene hl. Anna, du Mutter
der Himmelskönigin, bitte für uns
und für die Familien der ganzen
Welt. |
2. |
Hochgepriesene hl. Anna, du große Fürbitterin,
hilf der Jugend und den Müttern. |
3. |
Hochgepriesene hl. Anna, durch Maria
sei Gott ewig Lob und Dank für alle
deine Gnaden. |
4. |
Hochgepriesene hl. Anna, du mächtige
Nothelferin, steh uns bei im Leben
und im Sterben. |
5. |
Hochgepriesener hl. Joachim, du
Vater der Unbefleckten Empfängnis,
bitte für uns und für die ganze
Menschheit. |
NOVENE zum hl. JOACHIM
- neun Tage bete man: Die Verehrung
des hl. Joachim ist sehr segensreich s. S. 74!
Hl. Joachim, du ruhmreicher
Patriarch, ich freue mich, daß Gott dich zum
Vater der unbefleckten Jungfrau und Gottesgebärerin
erkoren hat. Du besitzest großen Einfluß bei
Jesus und Maria. Voll Vertrauen bitte ich dich
um deine wirksame Hilfe. Dir empfehle ich die
leiblichen und geistigen Anliegen meiner Familie.
Ganz besonders aber erhoffe ich deinen väterlichen
Beistand und deine Hilfe in meiner jetzigen
großen Sorge...
Du bist ein vollendetes Vorbild für das innere
Leben. Erwirke mir den Geist der Sammlung, der
Losschälung von den vergänglichen Gütern und
eine lebendige und beständige Liebe zu Jesus
und Maria. Bitte für mich, du tugendreicher
Joachim, daß ich Glaube, Hoffnung und Liebe
im Leben und im Sterben treu bewahre. Tritt
ohne Unterlaß für die streitende Kirche, die
große Gottesfamilie auf Erden, vor Gott ein.
Vater unser... Gegrüßt seist du, Maria... Ehre
sei...
Die folgenden
Gebete sind mit freundlicher Genehmigung des
Maristenverlags in Furth den Büchern von Pfr.
Alfons Maria Weigl: Gebetsschatz und Mutter
Anna, wir rufen zu Dir entnommen. Beide Bücher
tragen das kirchl. Imprimatur.
Begrüßung - Tausendmal
grüße ich dich, o liebreiche Mutter, hl. Anna,
mit deiner liebsten Tochter Maria und ihrem
göttlichen Kind Jesus Christus! Ich empfehle
mich euch heute und alle Tage meines Lebens,
in allen Versuchungen und Gefahren, besonders
aber in der gefahrvollen Stunde meines Todes.
Jetzt und immer laßt mich die Kraft eures Schutzes
erfahren und bewahret meine Seele vor den Anfechtungen
des bösen Feindes und vor jeder Sünde! Amen.
Kurzer Lobpreis
Gebenedeit bist du
unter den Müttern, o glorreiche hl. Anna, denn
du hattest die große Gnade, die unbefleckte
Jungfrau und Gottesmutter in deinem Mutterschoß zu tragen. Ich bewundere
deine erhabene Auserwählung und vereinige mich
mit der allerseligsten Jungfrau Maria, um dich
zu ehren, zu lieben und mich deinem Schutz anzuvertrauen.
Amen.
Um das Feuer der Gottesliebe
Du große, allezeit
gottliebende Mutter Anna, erbitte uns das Feuer
der Gottesliebe! Erflehe uns die Gnade, daß
unsere Seele offen werde für die geheimnisvolle
Glut der göttlichen Liebe! Mag dies auch Opfer
kosten, vor allem das Opfer der Eigenliebe,
die Liebe Gottes ist jedes Opfer wert. O hl.
Mutter Anna, erbitte uns die Gnade, daß wir
täglich beten: Herr und Gott, laß uns nichts
wissen als Dich, laß uns nichts lieben als Dich,
laß uns nichts sein als Dein Eigentum durch
alle Ewigkeit. Ja, gib uns die Kraft, doppelt
lieben zu dürfen für all jene, die Dich zu wenig
lieben! Unser Herr und Gott! Amen.
Standesgebet zur hl.
Anna
O hl. Mutter Anna!
Deine Tugend und Frömmigkeit machten dich würdig,
die Mutter Mariens zu werden, die uns den Heiland
der Welt geboren hat. Hl. Anna, sei du mir ein
Beispiel, wie ich meinem Stand gemäß heilig
leben kann! Sei meine Schutzpatronin in jeder
Gefahr des Leibes und der Seele! Auch ich will
die Pflichten meines Standes treu erfüllen.
Keine Arbeit soll mir zu beschwerlich, keine
Mühe zu hart sein, kein Leiden zu bitter werden.
Erhalte mich in diesem Entschluß durch dein
Beispiel und erbitte mir von Gott die Gnade,
daß ich treu bleibe in der Liebe zu Gott, und
daß ich so zur ewigen Seligkeit gelange! Amen.
Gedenke o hl. Mutter
Anna, es ist noch nie erhört worden, daß jemand,
der unter deinen Schutz geflohen, dich um Beistand
angerufen und um deine Fürbitte gefleht hat,
verlassen worden sei; denn du bist eine überaus
barmherzige Mutter und hilfst allen Notleidenden.
Von diesem Vertrauen erfüllt, nehme ich meine
Zuflucht zu dir und bitte dich: durch die große
Gnade, Mutter der Gottesmutter und der Königin
des Himmels zu sein, komme mir mit deiner mächtigen
Fürbitte in meinem großen Anliegen zu Hilfe!
Amen.
Um Priesterberufe
- Anna ist ja die Großmutter Jesus und
einiger Apostel Hl. Mutter Anna, du Mutter
der Unbefleckten Braut des Hl. Geistes, erbitte
von diesem göttlichen Geiste viele und würdige
Arbeiter für den Weinberg des Herrn! Erflehe
deshalb allen christlichen Familien den Geist
der Frömmigkeit und der hl. Zucht; erbitte allen
zum Dienste des Herrn Berufenen die wahre Demut
und Treue, auf daß der Hl. Geist mit Seiner
Gnadenkraft in ihnen wirken könne und sie taugliche
Werkzeuge werden in der Hand des ewigen hohen
Priesters! Amen.
Bitte um ihren Schutz
In aufrichtiger, inniger
Verehrung knie ich nieder vor dir, ruhmreiche
hl. Anna. Du wurdest von Gott besonders bevorzugt
und mehr als andere von Ihm geliebt. Wegen deiner
hohen Tugend verdientest du von Gott die große
Gnade, der Schatzmeisterin aller Gnaden, der
Gebenedeiten unter den Frauen, der Mutter des
menschgewordenen Wortes, der hl. Jungfrau Maria,
das Leben zu geben. Gute hl. Anna, um dieses
hohen Vorzuges willen gewähre mir deinen wirksamen Schutz und erbitte
mir von Gott die Gnade, die Tugenden nachzuahmen,
mit denen du so reich geschmückt warst. Laß
mich meine Sünden erkennen und herzlich bereuen!
Erflehe mir eine innige Liebe zu Jesus und Maria.
Rette mich vor jeder Gefahr im Leben und stehe
mir bei im Augenblick des Todes, damit ich mein
ewiges Ziel erreiche! Amen.
Zu Ehren der hl. Mutter
Anna
In aufrichtiger, herzlicher
Verehrung knie ich nieder vor dir, ruhmreiche,
hl. Mutter Anna. Du wurdest von Gott besonders
bevorzugt, wurdest mehr als andere von Ihm geliebt.
Wegen deiner außerordentlichen Tugend und Heiligkeit
verdientest du die hohe Würde, der heiligsten
Jungfrau Maria, der Schatzmeisterin aller Gnaden,
der Gebenedeiten unter den Frauen, der Mutter
des menschgewordenen Wortes, das Leben zu schenken.
Gute, hl. Mutter Anna, um dieses hohen Vorzugs
willen nimm mich huldvoll auf in die Zahl deiner
wahren Diener! Dein Diener will ich sein und
bleiben mein Leben lang. Leihe mir deinen wirksamen
Schutz und erbitte mir von Gott die Gnade, die
Tugenden zu üben, mit denen du so reich geziert
warst. Lehre mich, meine Sünden zu erkennen
und sie herzlich zu beweinen! Erwirke mir eine
innige Liebe zu Jesus und Maria! Hilf mir, treu
und beharrlich meine Standespflichten erfüllen!
Rette mich vor jeder Gefahr im Leben und stehe
mir bei in der Stunde meines Todes! Dann werde
ich glücklich in den Himmel gelangen und kann
dort mit dir das ewige Wort Gottes preisen,
das Mensch wurde im Schoß deiner reinsten Tochter,
der Jungfrau Maria. Amen. Vater unser... Gegrüßet...
Ehre sei... (Dreimal) (Leo XIII.)
Gebet in Not
Hl. Mutter Anna, du
hast auf Gottes Ruf gehört. Du warst offen für
den Weg, den Gott dich führen wollte. In all
den Sorgen und Nöten des Lebens bist du ihm
treu geblieben. Bitte für mich gerade jetzt
in meiner tiefen Sorge - daß ich die Kraft
finde, durchzuhalten und den Mut zu haben,
treu zu Jesus zu stehen. Bitte du für mich,
daß ich in allem Schweren Gottes wunderbare
Führung und Liebe erkenne. Laß mich auch im
Leiden reifer werden und in der Liebe zu Gott
wachsen. Erflehe mir jenes Vertrauen zu Gott,
das dich in allen Stunden des Lebens getragen
hat. Begleite mich mit deiner Fürbitte durch
dieses Leben und laß mich einmal heimfinden
zu dem Leben, das dir von Gott geschenkt wurde.
Sei du mein Vorbild und meine Begleiterin auf
meinem Weg in die Ewigkeit. Amen.
Gebet einer Mutter
Hl. Mutter Anna, du
bist eine gar glückliche, begnadete Mutter gewesen.
Du durftest Maria, die allerseligste Jungfrau,
deine Tochter nennen; sie hat uns durch Jesus,
ihren göttlichen Sohn, das Heil gebracht. Mit
dir lobpreise ich die Erbarmungen des Herrn.
Erbitte mir von Jesus Licht und Kraft, damit
ich meinen hehren Mutterberuf treu erfülle und
einst mit meinen Kindern das ewige Ziel erreiche!
Amen.
Mutter Anna, erbitte
Kindersegen!
O Gott, Du hast den
Ehestand zur Erhaltung des Menschengeschlechtes
eingesetzt und mich in diesen Stand berufen.
Segne mich durch die Verdienste und die Fürbitte der jungfräulichen
Gottesmutter Maria und der hl. Anna mit einem
Kind! Siehe herab, barmherziger Vater, auf mein
sehnsüchtiges Verlangen und erfülle mir meinen
Wunsch! Aus Dankbarkeit will ich die Kinder
stets als Geschenk Deiner unaussprechlichen
Güte betrachten und zu Deinem Dienst erziehen,
damit Dein heiliger Name durch mich und meine
Kinder von Geschlecht zu Geschlecht gelobt und
gepriesen werde. Um das bitte ich Dich durch
Christus, unsern Herrn! Amen.
Gebet einer hoffenden
Mutter
Glorwürdige Mutter
Anna, der gütige Gott hat dich zu einer mächtigen
Beschützerin und Fürsprecherin für die gesegnete
und hoffende Mutter bestellt. Inständig bitte
ich dich, segne mich und mein Kind, das ich
unter meinem Herzen trage, damit Gott es reichlich
beschenke mit guten Anlagen. Im Bewußtsein,
daß ich schon jetzt vor der Geburt verantwortlich
bin für mein Kind, flehe ich um deine Hilfe.
Erbitte mir ein tugendhaftes Leben, ein heiliges
Beten und frommes Denken. Hl. Mutter Anna, stehe
mir auch bei in der schweren Stunde der Geburt
meines Kindes! In jener Stunde erfülle mich
mit starker Geduld und opfervoller Liebe zu
Gott! Laß mein Kind dann recht bald durch die
hl. Taufe ein Kind Gottes werden und durch eine
gute Erziehung ein treues Glied der hl. Kirche
Gottes. Hl. Mutter Anna, ich vertraue auf dich!
Amen.
Gebet der Mutter für
die Kinder
Hl. Mutter Anna, du
weißt, daß es meine Pflicht ist, meine Kinder
zu wahren Christen zu erziehen. Erbitte du mir
bei Jesus und Maria die rechte Klarsicht und
Kraft für meine Aufgabe und meinen Kindern freudigen
Gehorsam! Erflehe ihnen die Gnade der Reinheit
und Selbstbeherrschung! Erbitte ihnen Abscheu
vor der Sünde und lasse nicht zu, daß sie das
Opfer der Verführung werden! Wache über sie,
daß sie in Keuschheit, Gottesfurcht und Tugend
heranreifen! Erflehe mir die Gnade, daß ich
ihren Herzen Religion, Gottesfurcht und Tugend
einpräge und in Arbeit, Sorge, Wachsamkeit und
Gebet sie zu brauchbaren Menschen und zu rechten
Christen heranbilde! Laß mir durch deine mächtige
Fürbitte den Trost und die Hoffnung, daß ich
einst zum Herrn, meinem Gott, sagen darf: Herr,
von denen, die Du mir anvertraut hast, ist keines
verloren gegangen! Amen.
Zur Mutter Anna für
ein verirrtes Kind
Hl. Mutter Anna, du
hast an deinem hl. Kind höchsten Trost und reinste
Freude erlebt. O wäre doch auch ich so glücklich,
an allen meinen Kindern Freude zu erleben! Schwer
drückt mich die Sorge um mein verirrtes Kind....
Ich bange darum, daß es noch tiefer in die Sünde
verstrickt wird und dadurch in Gefahr kommt,
für ewig verloren zu gehen. Wie gerne würde
ich alles tun, um mein Kind zu retten! Möchten
meine Worte, mein Flehen und mein Opfern nicht
vergebens sein! Darum empfehle ich dieses mein
unglückliches Kind deinem Schutze, hl. Anna.
Höre nicht auf, für mein Sorgenkind zu bitten,
bis es zur Einsicht, zu wahrer Reue und rechter
Besserung seines Lebens gelangt ist. Durch dein
allerseligstes Kind Maria, bitte ich dich, teure
Mutter Anna, rette mein verirrtes Kind und laß
es nicht verloren gehen! Amen.
Um Standhaftigkeit
Hilf uns, hl. Anna,
du hochbegnadete hl. Mutter, hilf uns besonders
im Kampf um den Glauben und um die Reinheit
unserer Jugend, unserer Familien, unseres Volkes,
und laß uns nie verzagt und kleinmütig stehen
bleiben, wo wir vorwärts sollten. Laß uns nie
der Entscheidung ausweichen aus Feigheit und
Bequemlichkeit, damit wir das Ziel erreichen,
das Gott uns gesteckt hat. Erbitte uns die Kraft,
den Weg des Opfers zu gehen, solang Gott will
und wohin Gott will. Sein heiliger Wille geschehe
immerdar! Amen.
Am Jahrestag der Hochzeit
Gütiger Gott, Du ordnest
alles mit Weisheit. Heute ist der Tag, an dem
ich vor
... Jahren das hl. Sakrament der Ehe empfangen
und die Pflichten und Lasten dieses Amtes auf
mich genommen habe. Ich erneuere heute meine
Entschlüsse, die ich damals vor Dir und Deiner
hl. Kirche abgelegt habe. Ich bitte Dich, verzeihe
mir, wenn ich meine Pflichten nicht immer treu
erfüllt habe. Ich nehme mir aufs neue vor, meinen
hl. Stand nach dem Vorbild der hl. Anna mit
möglichster Treue zu halten, die Pflichten zu
erfüllen, und alle Mühsal und Beschwerden meines
Standes in Geduld zu ertragen. Die Fürsprache
der vorbildlichen Gattin und Mutter Anna helfe
mir dazu! Amen.
Gebet für den Ehegatten
Hl. Anna, du hast mit
deinem gottesfürchtigen Gatten Joachim in Liebe
und Eintracht gelebt und von ihm soviel Aufmunterung
zur Tugend empfangen. Erbitte meinem Gatten,
den ich von Herzen liebe und ehre, die Gnade,
daß er mich durch Wort und Beispiel zum Guten
ermuntere und anleite, daß er meine Fehler und
Schwächen in Geduld ertrage, damit wir beide
ein Leben in Christus führen und unsere Pflichten
getreu erfüllen zur Ehre Gottes und zur Erbauung
unserer Mitmenschen! Durch deine Fürbitte wehre
ab, was unseren Frieden stören, unsere Liebe
schwächen und unser gegenseitiges Beispiel hindern
könnte. Gib, daß wir uns gegenseitig helfen
zu einem wahrhaft christlichen Leben, damit
wir auch einmal mitsammen zu dir und allen Heiligen
in die ewige Heimat gelangen! Amen.
Gebet für die Angehörigen
Hl. Anna, du Ahnfrau
Jesu Christi und Mutter der allerseligsten Jungfrau
Maria, du bist reich an Gnade und Verdiensten.
Aus dir wurde Maria geboren; sie ist der Trost
der Betrübten und die Zuflucht der Sünder. Ich
bitte dich, glorwürdige Frau, durch die große
und zärtliche Sorge, die du auf Erden für Maria
und ihr göttliches Kind Jesus getragen hat,
laß meine lieben Angehörigen immer deinem besonderen
mütterlichen Schutz empfohlen sein! Bewahre
sie vor Unglück und Sünde! Breite aus über sie
deinen mütterlichen Schutzmantel und erflehe
ihnen die Gnade, Gott getreu zu dienen, in Seiner
Gnade zu verharren und ewig selig zu werden!
Sei ihnen Fürsprecherin und Schützerin, heute
und immerdar, bis sie einst in der himmlischen
Herrlichkeit den dreifaltigen Gott mit dir ewig
loben werden. Amen.
In schwerer Krankheit
Barmherziger Gott!
Du kannst mein Leben erhalten oder nehmen; es
ist in Deiner Hand. Alle Gesundheit
ist Dein Geschenk. Schwer lastet die Krankheit
auf mir. Nimm durch die Fürbitte der hl. Mutter
Anna diese schwere Prüfung wieder von mir. Segne
die Ärzte und ihre Bemühung. Segne die Heilmittel,
die ich gebrauche, gib mir die Gesundheit wieder!
Ist es aber Dein heiliger Wille, daß es mit
meiner Krankheit noch schlimmer wird und das
Tor der Ewigkeit sich öffnet, so sei in allem
Dein heiliger Wille gepriesen. Du hast mir Leben
und Gesundheit gegeben, Du kannst mir auch beides
wieder nehmen. Ich überlasse alles willig Deiner
Führung. Gib mir nur die immerwährende Bereitschaft,
Geduld und Gnade, daß ich mich besser auf mein
letztes Ziel vorbereite und jeden Tag und jede
Stunde für den Heimgang bereit sei. Hl. Mutter
Anna, du bist die Getreue, die immer wieder
die Barmherzigkeit Gottes für uns erfleht, o
bitte für mich! Amen.
Weihegebet
Hl. Mutter Anna! Ich
erwähle dich heute für die ganze Zeit meines
Lebens zu meiner besonderen Schutzherrin und
Fürsprecherin in allen Anliegen und Nöten der
Seele und des Leibes. Dich will ich stets andächtig
verehren; deine Verehrung will ich nach Kräften
fördern. Stehe mir bei, ich bitte dich, hl.
Mutter Anna, in allem Tun und Lassen, jetzt
im Leben und besonders in meiner Sterbestunde!
Amen.
Dankgebet für erlangte
Hilfe
Hl. Mutter Anna, mit
dankerfülltem Herzen komme ich zu dir; ich habe
Erhörung in meinem Anliegen gefunden, das ich
deiner Fürbitte empfohlen hatte. Mit Zuversicht
darf ich sagen, daß deine mächtige Fürsprache
mir geholfen hat. Dank sei dir, hilfreiche Gnadenmutter,
für deine gütige Vermittlung. Verlaß mich auch
in Zukunft nicht! Dein Tugendleben, hl. Anna,
soll mir stets vor Augen schweben und mir ein
Ansporn sein, dir nachzufolgen; so hoffe ich,
mich dir dankbar zu erweisen durch mein ganzes
Leben. Deine mächtige Hand führe mich auf allen
meinen Wegen, damit ich das ewige Ziel nicht
verfehle. Der Segen Gottes, des Allmächtigen,
komme über mich und bleibe allezeit bei mir.
Amen.
Zur Namenspatronin
Sankt Anna
Liebe hl. Mutter Anna!
An meinem Tauftag hat dich Gott zur Patronin
und zum Vorbild meines Lebens bestimmt. An diesem
Tag erhielt ich als Kind Gottes deinen gesegneten
Namen. Anna heißt „Gnade", Gnadengeschenk von
Gott. Ich danke dem himmlischen Vater, daß ich
diesen Namen tragen darf. Ich danke dir für
allen Schutz, den du mir zeitlebens gewährt
hast und immer wieder gewährst. Ich danke besonders
für dein leuchtendes, großes Vorbild, das mir
dein Leben sein darf.
Meine liebe, gute Namenspatronin! Hilf mir,
daß ich das lebensfrohe Kindsein vor Gott immer
mehr lerne! Erbitte mir einen demütigen, ehrfürchtigen
Glauben, ein unerschütterliches Gottvertrauen,
eine nie versagende Gottes- und Nächstenliebe!
Hilf mir heilig werden, und zwar bald! Ich will
gerne und dankbar zur Verherrlichung deines
Namens beitragen. Amen.
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INHALTSVERZEICHNIS
1. Kap. Die ältesten Nachrichten über
die hl. Anna,
Das Protoevangelium des Jakobus
|
2. Kap. Die Verehrung der hl. Anna im
Orient
|
3. Kap. Die hl. Anna in der altchristlichen
und orientalischen Kunst
|
4. Kap. Die Verehrung im Abendland bis
zum Ende der Kreuzzüge
|
5. Kap. Die hl. Anna in der abendländ.
Kunst vom 8. bis zum 14. Jh.
|
6. Kap. Die Verehrung der hl. Anna am
Ende des Mittelalters
|
7. Kap. Die hl. Anna in zyklischen Darstellungen
des Mittelalters
|
8. Kap. Die liturgische Verehrung der
hl. Anna im Mittelalter
|
9. Kap. Abt Trithemius und sein Kreis
|
10. Kap. Ursache der wachsenden Annaverehrung
|
11. Kap. Das Trinubium Annas und die
heilige Sippe
|
12. Kap. Die Annaverehrung in der Neuzeit
|
13. Kap. Volkstümliche Art und Weise
der Annaverehrung
|
14. Kap. Wallfahrtsorte, Kirchen und
Reliquien der hl. Anna
|
15. Kap. Die hl. Anna als Schutzpatronin
und in Volksbräuchen
|
Gebete
|
Sollte ihnen das Buch
gut getan haben, dürfen Sie zum Dank eine hl.
Messe zur Ehren der hl. Mutter Anna und des
hl. Vaters Joachim stiften und für den Herausgeber
und Stifter dieses Buches beten.
Der hl.
Kirchenlehrer Johannes von Damaskus (+414)
sagte über die hohe Würde der hl. Anna aus:
"Du bist in Wahrheit selig, dreimal selig, hl.
Mutter Anna, die du das heilige Kind von Gott
erhalten und geboren hast, aus dem Christus,
die Blume des Lebens, hervorging. Auch wir,
o gebenedeite Anna, wünschen dir Glück, Mutter
Mariä zu sein; denn du hast unser aller Hoffnung
geboren. Die Zungen aller Frommen preisen dich
in deiner Tochter, alle Sprachen verherrlichen
dein Kind. Würdig bist du des Lobes aller Erlösten,
denn du hast jener das Leben gegeben, die uns
Jesum Christum geboren hat."
Der hl.
Kirchenvater Augustinus war schon ein
Anna-Verehrer. Alle Jahre hielt er am Fest dieser
Heiligen eine Lobrede, in der er mit dem Feuer
der Beredsamkeit die zahlreichen Zuhörer zu
ihrer Verehrung und Anrufung zu begeistern wußte.
Vom Bischof
hl. Hugo von Lincoln in England (+1200)
erzählt sein Biograph Adam, daß er nach Maria
stets auch deren ehrwürdige hl. Mutter Anna
verehrt und in jeder Gefahr schnelle Hilfe durch
sie erfahren habe.
Der hl.
Thomas von Aquin einer der größten Lehrer
der Kirche war ein großer Verehrer der hl. Anna,
obwohl im Gegensatz zu seinem Lehrer dem hl.
Albert gegen sie dreimalige Heirat der hl. Anna
war. Er versichert, ihr sei die Gnade verliehen,
den Menschen in allen Nöten zu helfen. Er sagt
wörtlich: "Gott gibt einzelnen Heiligen die
Gnade, uns Menschen in bestimmten Anliegen zu
helfen. Der hl. Mutter Anna aber ist die Gnade
erteilt, in vielerlei Not zu Hilfe zu kommen."
Der hl.
Birgitta von Schweden, die nach Gott
auch die Gottesmutter und die Mutter Anna sehr
liebte, erschien einmal während des Gebetes
die hl. Mutter Anna und sprach zu ihr: "Betrachte
mich, meine Tochter Birgitta; ich bin jene Anna,
die du liebst, voll Barmherzigkeit, voller Güte
und Huld gegen alle, die mich lieben. Ich werde
jene, die keusch und friedlich leben wollen,
schützen und erhören, so oft sie zu mir ihre
Zuflucht nehmen."
Die hl.
Theresia von Avila, die Lehrmeisterin
des inneren Gebetes, war erfüllt von einer innigen
Liebe zur hl. Mutter Anna. Oft und gern sprach
sie von ihrer Würde, ihrer Macht und führte
in allen Klöstern des Karmelitenordens besondere
Andachten zu ihrer Verehrung ein. Sie schrieb:
"Wir wissen und sind überzeugt, daß unsere hl.
Mutter in alle Gefahren, Nöten und Widerwärtigkeiten
hilft.
Abt Trithemius,
ein großer Verehrer der hl. Anna, schrieb: "Ich
ermuntere euch, die ihr den Sohn Gottes liebt,
auch seine Verwandten zu ehren. Unter diesen
verdient nach der hochgebenedeiten Gottesgebärerin
Maria vor allem auch deren hl. Mutter Anna unsere
Verehrung. Erwählt sie zu eurer Schutzpatronin
und ehrt sie mit aller Andacht. In welcher Trübsal
immer ihr Zuflucht zu ihr nehmen mögt, ihr werdet
Hilfe finden. Sie vermag euch zu gewähren, um
was ihr immer mit festem Vertrauen sie bitten
werdet. Glaubt mir, wenn ihr die hl. Anna von
Herzen liebt und ehrt, so werdet ihr erfahren,
wie hoch Gott sie schätzt: Alles, was sie von
Ihm begehrt, erlangt sie. Täglich erbittet sie
ihren Dienern Gnaden. Diese Heilige vertreibt
durch ihre Fürbitte den Trübsinn und die Begierlichkeit.
Sie kommt
den Armen zu Hilfe, macht die Kranken gesund,
tröstet die Ängstlichen; sie nimmt die Widerwärtigkeiten
hinweg, hilft durch ihre Fürsprache die Laster
ausrotten und die Tugenden einpflanzen; sie
erfleht dem Verstand Licht, dem Willen Stärke
und dem Herzen Rührung. Durch sie wurden
schon häufig Pest, Hunger und Krieg abgewendet.
Den unfruchtbaren Eheleuten erbittet sie Kinder
und Gebärenden eine glückliche Niederkunft.
Sie flößt den Verzweifelten neues Vertrauen
auf Gottes Barmherzigkeit ein und erweckt die
Lauen zu neuem Eifer. Viele wurden durch sie
schon von den Gefängnissen und Banden erlöst,
ja aus augenscheinlicher Todesgefahr errettet."
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