Anfang
des 1. Buches
Das
erste Buch, das in seiner Gesamtheit in Schweden 1344-49 erschienen ist,
enthält religiöse Betrachtungen und ermahnt zur Buße.
Inhalt 1. Buch
1. Christus erinnert an seine Wohltaten für die Menschen und an die Undankbarkeit der Menschen gegen ihn. Er ermahnt Birgitta, ihn zu lieben.
2. Christus hat Birgitta als seine Braut angenommen. Jetzt erinnert er sie an die Verpflichtungen, die diese große Auszeichnung mit sich bringt. Ihn, ihren Bräutigam, soll sie vor alles andere setzen.
3. Christus ermahnt Birgitta zur Gottesliebe und weist sie auf Magister Mattias, Domherrn zu Linköping, hin, der ihre Kenntnisse in katholischer Glaubenslehre vervollkommen soll. Die von Prior Petrus in Alvastra verfasste Erklärung bezeugt Mattias’ theologische Gelehrsamkeit und meint zwei seiner literarischen Werke: Seine Bibelkonkordanz und seine Einleitung in das erste Buch der Offenbarungen. Mattias dürfte 1350 verstorben sein, als Birgitta eben in Rom angelangt war. Über seinen
seligen Tod empfing Birgitta, wie hier angedeutet wird, eine
Offenbarung.
4. Birgitta hat sich nach Empfang der vorigen Offenbarung die Frage gestellt, wie weit sie von den Mächten des Lichtes oder der Finsternis abstammten. Christus zerstreut nun ihre Befürchtungen und lehrt sie, wie man zwischen guten und bösen Eingebungen unterscheiden soll. Ein verständiger geistlicher Führer – hier wird die Rolle von Mattias oder Prior Petrus angedeutet, kann sie vor Verirrungen auf diesem Gebiet bewahren. Am Schluß des Kapitels wird das Misstrauen und die Verachtung angedeutet, die Birgitta und viele andere eifrige Christen von einer mehr
skeptischen Umgebung erfahren mussten.
5. Christus klagt über das Auftreten der bösen Menschen und bedroht sie mit seiner gerechten Strafe, doch sollen sie, falls sie sich bessern, Erbarmung finden. Die Verachtung, der die Frommen ausgesetzt sind, wird auch hier angedeutet.
6. Christus sendet seine Ritter aus, d.h. die wahren Gottesfreunde, um seine Kirche zu reinigen. Er ermahnt sie, in dem bevorstehenden Kampfe treu zu sein. (Mehrere Personen in Birgittas Umgebung könnten als solche Ritter bezeichnet werden, z.B. ihr Bruder Israel Birgersson und ihr Freund, Bischof Hemming von Åbo. Durch Birgittas Verkündigung wurden neue Persönlichkeiten zum Adel und der Priesterschaft erweckt).
7. Maria ermahnt Birgitta zu einem Leben in der Nachfolge Christi.
8. Maria lehrt Birgitta ein Gebet, in dem Gott für die Wohltaten gepriesen wird, die er dieser seiner jungfräulichen Mutter erwiesen hat.
9. Maria erzählt Birgitta von der Ehe ihrer Eltern, von ihrer eigenen unbefleckten Empfängnis, von ihrer Aufnahme in den Himmel und von der großen Macht, den Menschen zu helfen, die sie von ihrem göttlichen Sohn empfangen hat. Das Kapitel ist bemerkenswert wegen seiner
Mariologie.
10. Maria erzählt Birgitta von ihrer eigenen Kindheit und Jugend, von der Verkündigung von Jesu Geburt und von der Geburt selbst, von Jesu Kindheit und seiner Kreuzigung. Die ausführliche Beschreibung der Kreuzigung ist die erste in einer Reihe von drei Passionsberichten (die beiden anderen finden sich im 70. Kapitel des 4. Buches und im 16. Kapitel des 7. Buches).
11. Christus beschreibt Birgitta sein Leiden und deutet an, wie sie ihm in diesem Leiden ähnlich werden kann, nämlich durch ein frommes und enthaltsames Leben.
12. Birgittas Schutzengel betet zu Christus für sie, und Chr. antwortet dem Engel, dass er um ihrer Gebete willen ihr Gerechtigkeit und Barmherzigkeit widerfahren lassen wird.
13. Christus beschreibt Birgitta die Seele eines sündigen Priesters. Nach dem Zusatz von Petrus Olovsson handelt es sich um einen Prior in einem Zisterzienserkloster. Steffen identifiziert ihn mit Abt Ragnvald in Alvastra (Steffen, S. 3-5).
14. Christus beschreibt Birgitta solche Menschen, die ihm mit dem Gedanken an weltliche Vorteile dienen, solche, die ihm mit sklavischer Furcht dienen, und solche, die das aus selbstloser Liebe tun.
15. Christus beschreibt Birgitta die Menschen, die die Genüsse der Welt wählen, und die, die ihn selbst wählen. Er deutet an, was es bedeutet, ihm auf dem Wege des Verzichts nachzufolgen, und wie schlecht sich die verhalten, die seine guten Gaben genießen, aber es ablehnen, ihm zu dienen.
16. Vor Birgittas Augen streiten sich die Jungfrau Maria und der Teufel um das Recht an der Seele einer noch lebenden Frau. Der Disput, der die kommenden himmlischen Gerichtsszenen vorwegnimmt, endet damit, dass die Jungfrau Maria die Frau aus der Gewalt des Teufels befreit. Nach dem Zusatz von Petrus Olovsson handelt es sich um eine Dirne, die sich von Birgitta zu einem besseren Leben bekehren läßt. Die Frau wird auch in der Lebensbeschreibung der beiden Beichtväter und im Vorwort von Magister Mattias erwähnt. Sie ist wahrscheinlich identisch mit der Margareta, die an ein paar Stellen in den Acta et processus canonizacionis beate Birgitta, S. 19, 585 genannt wird.
17. Christus beschreibt Birgitta eine hochmütige und raubgierige Person; nach dem Zusatz von Petrus Olovsson ein Schwedischer Edelmann.
18.
Christus gibt zum
ersten Mal Anweisungen über das Kloster, das Birgitta bauen soll. Es
handelt sich um ein Doppelkloster, wo „eine starke Mauer“ die
Männerabteilung von der der Frauen trennt. Betreffs der ökonomischen
Beiträge zu dem künftigen Kloster sagt Christus, dass diese Spenden
nicht aus unrechtmäßig erworbenen Gütern bestehen dürfen.
19. Christus beklagt sich bei Birgitta über die Undankbarkeit der Menschen im gegenüber und droht mit einem strengen Gericht.
20. Christus schärft Birgitta ein, welche Enthaltsamkeit und Demut sich für sie in ihrer Eigenschaft als seine Braut geziemt.
21. Christus beklagt sich über einen sündigen alten Mann, der vergisst, die Wohltaten Christi zu betrachten und eigentlich mit mit einem hässlichen Frosch verglichen werden kann. Birgitta soll Christus mehr lieben und sich an seine Liebe erinnern.
22. Maria erklärt Birgitta, wie nützlich es für gute Menschen ist, in einer schlechten Umgebung zu leben und erinnert sie daran, dass die, die gelegentlich böse sind, sich vielleicht in Zukunft bessern werden.
23. Christus tadelt einen Kirchenfürsten mit den strengsten Worten, der ein weltliches Leben führt und es versäumt, seine Untergebenen zu korrigieren. Man hat vermutet, dass das Kapitel auf Papst Clemens VI. (1342-52) anspielt. Auf Birgittas Ermahnung hin hatten zwei ihrer Freunde, Bischof Hemming von Åbo und Prior Petrus in Alvastra um 1346 versucht, diesen Papst zu ermahnen, seine Residenz zurück nach Rom zu verlegen und sich an die Reform der Kirche zu machen. Die Ermahnung hatte zu keinem Erfolg geführt. Das Kapitel darf – wenn die Deutung richtig ist (siehe Steffen, S. 5) als ein Niederschlag von Missvergnügen mit dem ungehorsamen Kirchenfürsten gedeutet werden. – Laurentius, der in der Erklärung spricht, ist ein berühmter Märtyrer der alten Kirche, der 258 in Rom auf einem glühenden Rost zu Tode gefoltert wurde und sowohl in Schweden wie auch in der ganzen übrigen Christenheit verehrt wurde.
24. Christus, Maria und die Engel klagen vor Gott Vater über den traurigen Zustand der Kirche.
25. Christus kommt von neuem auf die Frage zurück, warum er so lange die Bösen erträgt, und antwortet, das geschehe deshalb, dass die Bösen gleichwohl etwas Gutes getan haben, wofür sie belohnt werden müssten, und dass ihre Bosheit die Guten zu nützlicher Prüfung und Zucht veranlasst.
26. Christus erklärt Birgitta, wie Adam und Evas eheliches Zusammenleben sich gestaltet hätte, wenn sie nicht in Sünde gefallen wären. Er tadelt scharf die egoistischen Berechnungen der modernen Menschen, wenn sie eine Ehe eingehen, und deutet die Beschaffenheit einer rechten, geistlichen Ehe an.
27. Maria schildert Birgitta die Pein ihres Sohnes Christi und ihre eigene Trübsal, als sie das erlebte.
28. Birgitta muß erleben, wie die Seele eines verstorbenen Adligen zu ewiger Qual wegen seiner Bosheit verurteilt wird. Es ist die erste der himmlischen Gerichtsszenen, die sie erzählt.
29. Maria tadelt Frau Hochmut und ihre Freunde und verspricht stattdessen ihren eigenen Getreuen die Hilfe des Himmels.
30. Christus klagt über die bösen Menschen, die ihn sozusagen von neuem kreuzigen, und ermahnt Birgitta, ihn zu lieben im Hinblick auf die Liebe, die er ihr selbst entgegenbringt.
31. Johannes der Täufer preist Maria und schildert Maria ihre Tugenden.
32. Christus spricht mit Maria über drei von Dämonen besessene Personen, von denen zwei niemals geheilt wurden, während die dritte durch Birgittas Hilfe befreit wurde.
33. Christus tadelt die weltlichen weisen, d.h. solche Theologen, die sich aus weltlichen Beweggründen Gelehrsamkeit verschafft haben, und gibt das rechte Motiv für alle Forschung an, nämlich die Liebe zu Gott.
34. Christus und der Teufel führen ein Zweigespräch, dem Birgitta zuhören darf. Der Teufel drückt seinen Neid auf die reichen geistlichen Gaben aus, die Birgitta zuteil geworden sind, und Christus erklärt, warum er ihr die gegeben hat: Um seine eigene Ehre in aller Demut dem Sünder zu geben und so die Hochmut des Teufels zu beschämen.
35. Maria spricht mit Birgitta von ihrer Trauer bei Christi Tod. Das Kapitel kann als Ausdruck für die Verehrung des Herzens Maries und für den Glauben an Maria’s Stellung als
„Miterlöserin“ gelten, die beide im katholischen Frömmgkeitsleben unserer Tage einen starken Aufschwung erlebt haben.
36. Birgittas Schutzengel betet zu Christus, dass es Birgitta vergönnt sein möge, rechtzeitig Buße für ihre Sünden zu tun. Christus bewilligt das Gebet und gibt Birgitta Anweisungen für Reue und Buße.
37. Maria beschreibt Birgitta, wie Christus von neuem von denen gekreuzigt wird, die sich nicht von Sünde enthalten wollen, sondern sich verhärten; diese kreuzigen ihn, sagt sie, viel grausamer, als wie es die Juden früher taten.
38. Christus deutet die verschiedene Art der Menschen an, auf die Botschaft der Birgitta zu reagieren.
39. Christus klagt darüber, dass die Menschen ohne einen Gedanken an Vergeltung und Gericht leben, verblendet wie sie sind.
40. Christus deutet an, wie unpassend es ist, im Überfluß zu leben, wenn er, der Herr von allen, im Armut und Entsagung lebte.
41. Ebenso wie Kap. 23 richten sich diese Worte Christi an Papst Clemens VI., der durch Bischof Heming und Prior Petrus auf Birgittas Botschaft hören konnte, ohne jedoch davon beeindruckt zu sein; ferner ermahnen sie alle Christgläubigen und außerdem Juden und Heiden, Buße zu tun.
42. Maria beschreibt, dass sie wie ein Spiegel ist, in dem sich die Gottheit wiederspiegelt.
43. Christus schildert das allmähliche Anwachsen von Tugend und Sünde und ihre schließlichenFrüchte.
44. Christus klagt darüber, dass die Menschen den Tod und das Gericht vergessen. Er stellt eine erweckende Verkündigung in Aussicht; damit ist wahrscheinlich Birgittas Mission gemeint.
45. Engel, Propheten, Apostel, die Jungfrau Maria und sogar die Dämonen bezeugen Gottes Macht und Herrlichkeit. Die Menschen auf Erden sind die einzigen, die Gott verachten. Deshalb sollen sie streng bestraft werden, sagt Christus. Dennoch will er sie noch einmal warnen.
46. Christus beklagt sich über Schmähungen der Menschen und besonders über drei Männer, die ihn in Birgittas Abwesenheit gelästert haben.
47. Christus schildert das neue Gesetz d.h. die Lehre des Neuen Testaments, und sagt, dass dies nun von den Menschen vergessen ist, und am allermeisten von den Priestern, die mehr nach schnödem Gewinn trachten, als nach der Vermehrung von Gottes Ehre und der Errettung der Seelen. Er spricht eine strenge Drohung über solche Priester aus.
48. Christus setzt seine Klage über die treulosen Priester fort, die er mit abtrünnigen Juden vergleicht. Er deutet an, welchen schrecklichen Einfluß ihr schlechtes Beispiel ausübt, und droht ihnen mit seiner Strafe.
49. Die schlechten Priester treiben ihn fort, sagt Christus; er wird sich deshalb an die wenden, die bereit sind, ihn zu empfangen.
50. Maria betet zu Christus für die Menschen im Fegefeuer und auf Erden. Christus bewilligt ihre Bitten. Das Kapitel ist bemerkenswert für seinen Hinweis auf die Jungfrau Maria als Vermittlerin aller Gnaden, ein Thema, das die Mariologen unserer Tage sehr beschäftigt.
51. Christus preist seine Mutter und erklärt, wie ihre Tugenden die der Engel und der alttestamentlichen Heiligen übertreffen.
52. Christus ermahnt Birgitta, ihre Offenbarungen durch Matthias, ihren Freund und Lehrer, Erzbischof Hemming von Uppsala und anderen Bischöfen vorzulegen. Auch dem Papst mögen sie vorgelegt werden. – Das geschah auch; die schwedischen Prälaten dürften an den Offenbarungen im Jahre 1345 teilgenommen haben. Bischof Hemming von Åbo und Prior Petrus von Alvastra leiteten sie irgendwann in den nächsten Jahren zu Papst Clemens weiter.
53. Christus klagt darüber, dass die Menschen die Welt mehr lieben als ihn selbst, droht ihnen mit seiner Strafe, aber stellt doch sein Erbarmen mit denen in Aussicht, die sich bekehren. Weiter gibt er denen Ratschläge, die Birgittas Erweckungspredigt an die Menschen ihrer Zeit weitergeben.
54.
Ein Engel lehrt Birgitta, zwischen den guten Eingebungen, die von ihm
selbst stammen, und den bösen Eingebungen zu unterscheiden, die vom
Teufel stammen. – Weiter beschreibt Maria, wie die Frommen seit der Zeit
des AT darauf warteten, dass Christus sie aus dem Totenreich befreien
würde.
55. Mit Hilfe eines Gleichnisses schildert Christus, wie die Richter (= Priester), die Verteidiger (= Adlige) und die Arbeiter (= Allgemeinheit) in der von ihm begründeten Stadt (= Kirche) ihm anfangs treu waren, ihn aber in letzter Zeit im Stich gelassen haben, um der Welt zu dienen.
56. Christus setzt seine Klage über die Priester, die Adligen und die Allgemeinheit fort. Noch einmal will er sie warnen, und dies soll durch die Botschaft geschehen, die Birgitta empfängt und sie durch ihre priesterlichen Freunde weitervermitteln lässt. Wenn sie nicht auf diese Botschaft hören wollen, haben sie Strafe zu erwarten.
57. Christus klagt über die schlechten Christen, droht ihnen mit Strafe, stellt aber denen, die Buße tun, Vergebung in Aussicht. Er deutet an, dass er dazu kommt, die unbußfertigen Christen zu verlassen, um sich stattdessen an die Heiden zu wenden – es ist der Kreuzzugsgedanke, der uns schon in Birgittas Offenbarungen
begegnet.
58. Christus antwortet auf die Ungerechtigkeit und kurzsichtigen Klagen der Menschen über seinen Erlösungsplan.
59. Christus schildert mit Hilfe eines Gleichnisses die Priester früherer Zeiten und ihren Eifer um die Seelen sowie die heutigen Priester, die pflichtvergessen und selbstsüchtig sind. Die guten Christen werden ermahnt, den jetzigen beklagenswerten Zustand in der Kirche zu bessern.
60. Christus ermahnt Birgitta, den Magister Mattias ihre Botschaft weitervermitteln zu lassen. Als Kriterium für die Wahrheit ihrer Botschaft soll man sich an Dämonenaustreibungen halten, die durch Birgitta geschehen sind.
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Hier beginnt das
erste Buch der himmlischen
Offenbarungen der hl. Birgitta von Schweden.
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Worte unseres Herrn Jesus Christus an seine
hochgeliebte, auserwählte Braut zur Bestärkung seiner hochheiligen
Annahme von Menschengestalt und über die Verwerfung, Entheiligung und das
Schwinden unseres Glaubens und der Taufe, und wie er diese seine geliebte
Braut ermahnt, ihn zu lieben. |
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1. Kapitel |
Christus erinnert an seine Wohltaten für die
Menschen und an die Undankbarkeit der Menschen gegen ihn. Er ermahnt
Birgitta, ihn zu lieben.
Ich bin der Schöpfer des Himmels und der Erde, eine Person in der
Gottheit mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Ich bin der, der durch die
Propheten und die Erzväter geredet hat, und den sie erwarteten. Um ihrer
Sehnsucht und meiner Verheißung willen nahm ich fleischliche Gestalt ohne
Sünde und Begierde an, indem ich wie die strahlende Sonne durch den
klarsten Edelstein in den Schoß einer Jungfrau einging. Denn wie die
Sonne nicht das Glas beschädigt, wenn sie durch es hindurchdringt, so
wurde auch die Jungfräulichkeit der Jungfrau nicht zerstört, als ich
Menschengestalt annahm.
Ich nahm fleischliche Gestalt auf solche Weise an, dass ich die Gottheit
nicht verließ. Und ich war nichtsdestoweniger in der Gottheit mit dem
Vater und dem Hl. Geist und lenkte und erfüllte alles, obwohl ich mit
meiner menschlichen Gestalt noch im Schoße der Jungfrau war. Denn so wie
der Strahlenglanz nie vom Feuer geschieden werden kann, so ist meine
Gottheit nie von meiner Menschlichkeit geschieden, nicht einmal im Tode.
Dann habe ich gewollt, dass dieser von Sünde völlig reine Leib für die
Sünde von allen vom Scheitel bis zur Sohle zerfleischt und gekreuzigt
werden sollte. Er wird nun täglich auf dem Altar geopfert, damit der
Mensch mich umso mehr lieben soll und sich meiner Wohltaten umso öfter
erinnern soll. Jetzt bin ich dagegen ganz vergessen, übergangen und
verachtet. Ich bin wie ein König, der aus seinem eigenen Reich vertrieben
ist, und an dessen Stelle der gemeinste Räuber erkoren und geehrt worden
ist.
Ich habe nun gewollt, dass meine Herrschaft im Menschen sein soll, und über
ihn sollte ich mit recht König und Herr sein, nachdem ich ihn geschaffen
und erlöst habe. Nun hat er jedoch den Glauben gebrochen und entweiht,
den er mir in der Taufe versprochen hat; er hat meine Gesetze gekränkt
und verachtet, die ich im verordnet habe. Er liebt seinen eigenen Willen
und verschmäht es, auf mich zu hören. Stattdessen erhöht er den elenden
Räuber, den Teufel über mich, und ihm hat er seinen Glauben geschenkt.
Dieser ist wirklich ein Räuber, denn dadurch, dass er dem Menschen böse
Dinge eingibt und er ihm falsche Versprechungen macht, zieht er die Seele
des Menschen an sich, die ich mit meinem Blut erlöst habe. Er raubt sie
nicht deshalb, um mächtiger zu sein als ich – denn ich bin so mächtig,
dass ich alles durch mein Wort vermag, und so gerecht, dass ich nicht das
Geringste gegen die Gerechtigkeit vermag, auch wenn alle Heiligen mich
darum bitten würden. Aber nachdem der Mensch, der mit einem freien Willen
ausgerüstet ist, freiwillig meine Gebote verschmäht und dem Teufel sein Einverständnis
erklärt, so ist es nut gerecht, dass er seine Tyrannei erfährt.
Denn dieser Teufel, der von mir gut erschaffen ist, aber durch seinen bösen
Willen gefallen ist, ist so als mein Diener für die Strafe der Bösen
bestimmt. Aber obwohl ich jetzt so verachtet bin, bin ich gleichwohl so
barmherzig, dass ich denen, die um meine Barmherzigkeit bitten und sich
demütigen, vergeben will. Aber die, die damit fortfahren, mich zu
verachten, die werde ich mit meiner Gerechtigkeit heimsuchen, so dass die,
die gehorchen, leben müssen, und die, die sie erfahren, sagen müssen:
„Wehe uns, dass wie den herrn der Majestät jemals zum Zorn gereizt
haben!“ Aber du, meine Tochter, die ich mir erwählt habe und mit der
ich in meinem Geist rede, liebe du mich von deinem ganzen Herzen, nicht
so, wie du einen Sohn oder eine Tochter oder Verwandte liebst, sondern
mehr als alles andere auf der Welt. Denn ich, der dich geschaffen hat, ich
habe um deinetwillen nichts von meinen Gliedern vor dem Leiden verschont.
Und ich liebe deine Seele noch so innig, dass ich – ehe ich auf sie
verzichten will – mich noch einmal für sie kreuzigen lassen würde,
wenn das möglich wäre.
Ahme meine Demut nach, denn ich, der König der Ehre und der Engel, wurde
in schäbige Lumpen gekleidet, stand nackt an der Geißelsäule und hörte
mit eigenen Ohren allen Schimpf und alle Schmähung. Setze auch meinem
Willen vor den deinen, denn meine Mutter, deine Herrscherin, hat von
Anfang bis Ende nur das gewollt, was ich auch wollte. Wenn du das tust, so
wird dein Herz stets in meinem Herzen sein und von meiner Liebe entzückt
werden, so wie etwas Dürres leicht vom Feuer entzündet wird.
So soll deine Seele von mir erfüllt sein, und ich werde in dir sein, so
dass alles Zeitliche dir bitter werden soll, und alles fleischliche
Begehren zu einem Gift. Du sollst in den Armen meiner Gottheit ruhen, wo
sich kein fleischliches Begehren findet, sondern nur die Freude und das
Ergötzen des Geistes, wodurch die entzückte Seele bis ins Innere und im
Äußeren berauscht und von Freude erfüllt wird, so dass sie an nichts
anderes denkt und nichts anderes begehrt, als die Freude, die sie hat.
Liebe also allein mich, so wirst du alles bekommen, was du willst, und überfluß
haben. Steht es nicht geschrieben, dass das Öl der Witwe nie versiegt,
ehe der Herr nach den Worten des Propheten Regen auf Erden fallen ließ.[1]
Ich bin der wahre Prophet. Wenn du meinen Worten glaubst und sie erfüllst,
wird das Öl, die Freude und der Jubel nie in Ewigkeit für dich
ausgehen.“
[1]. Könige 17.
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Worte unseres Herrn Jesus Christus an die Tochter, die
er nun zu seiner Braut angenommen hat, über die Artikel desselben
Glaubens, und was die Schmuckstücke, die Zeichen und der Wille sind, die
sie haben soll, um dem Bräutigam zu gefallen. |
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2. Kapitel |
Christus hat Birgitta als seine Braut angenommen.
Jetzt erinnert er sie an die Verpflichtungen, die diese große
Auszeichnung mit sich bringt. Ihn, ihren Bräutigam, soll sie vor alles
andere setzen.
Ich bin der Schöpfer des Himmels, des Erde und all dessen, was darin
ist. Ich bin eins mit dem Vater und dem heiligen Geist, nicht wie die Götter
aus Stein oder Gold, über die vorher gesprochen wurde, und nicht mehrere
Götter, mit denen man früher rechnete, sondern ich bin ein einziger
Gott, Vater, Sohn und Hl. Geist, drei Personen, aber eins im Wesen, der
alles erschafft und von keinem erschaffen ist, unveränderlich, allmächtig,
bestehend, ohne irgendeinen Anfang und ohne irgendein Ende. Ich bin der,
der von der Jungfrau geboren wurde, aber die Gottheit nicht verlor,
sondern sie mit dem Menschsein vereinigte, so dass ich in einer Person
Gottes wahrer Sohn und Sohn der Jungfrau sein würde. Ich bin der, der am
Kreuz hing, starb und begraben wurde, während ich die Göttlichkeit
unbeschadet bewahrte. Denn obwohl ich in Menschengestalt und im Fleische
starb, das ich, der einzige Sohn, angenommen habe, so lebte ich doch in
der Göttlichkeit, in der ich ein einziger Gott mit dem Vater und dem Hl.
Geiste war.
Ich bin derselbe, der von den Toten auferstand und zum Himmel aufstieg,
und der jetzt in meinem Geist mit dir redet. Ich habe dich erwählt und
dich zu meiner Braut genommen, um dir meine Geheimnisse zu zeigen, denn so
gefällt es mir. Du bist auch mit gewissem Recht mein geworden, da du beim
Tode deines Mannes deinen Willen in meine Hände gelegt hast, und wie du
nach seinem Tode gleichwohl bedacht hast, wie du um meinetwillen arm
werden könntest, und darum gebetet hast. Du hast alles meinetwegen
aufgeben wollen, und deshalb bist du mit Recht mein geworden. Ich muß um
deiner großen Liebe willen für dich sorgen. Daher nehme ich dich zu
meiner Braut und zu meiner eigenen Lust, wie es Gott geziemt, sie mit
keuscher Seele zu haben.
Der Braut kommt es zu, bereit zu sein, wenn der Bräutigam Hochzeit feiern
will, auf dass sie passend gekleidet und rein sein mag. Du reinigst dich
in angemessener Weise, wenn dein Denken ständig um deine Sünden kreist:
Wie ich dich in der Taufe von Adams Sünde gereinigt habe, und wie oft ich
mit dir Geduld und Nachsicht hatte, wenn du in Sünde fielst. Die Braut muß
auch das Zeichen des Bräutigams in der Brust haben, d.h. du musst auf die
Wohltaten und Werke achtgeben, die ich für dich getan habe: Wie edel ich
dich erschaffen habe, indem ich dir Leib und Seele gab, wie edel ich dich
bereichert habe, indem ich dir Gesundheit und zeitliche Dinge gab, wie
lieblich ich dich erlöst habe, als ich für dich starb und dir dein
Erbteil wieder herstellte, wenn du es ja haben willst. Die Braut muß auch
den Willen des Bräutigams tun. Was ist mein Wille, wenn nicht, dass du
mich über alles andere liebst und nichts anderes ersehnst, als mich?
Ich habe alles um des Menschen willen geschaffen und alles unter seine
Befehlsgewalt gestellt, aber er liebt alles andere als mich und haßt
nichts so wie mich. Ich habe ihm sein Erbteil, das er verloren hat, von
neuem erkauft, aber er ist so wahnsinnig und so ohne Verstand, dass er
lieber diese vergängliche Ehre haben will, die nichts anderes ist als der
Schaum des Meeres, das sich eine Weile hoch wie ein Berg auftürmt, aber
schnell wieder zu einem Nichts verschwindet, als die ewige Ehre, worin das
immerwährende Gut ist. Aber wenn du, meine Braut, nichts anderes begehrst
als mich, wenn du alles um meinetwillen verschmähst, nicht nur Kinder und
Verwandte, sondern auch Ehrenbezeugungen und Reichtümer, so werde ich dir
den kostbarsten und lieblichsten Lohn geben. Nicht Gold und Silber werde
ich dir geben, sondern mich selbst als Bräutigam und Lohn – ich, der
ich der König der Ehren bin. Aber wenn du dich schämst, arm und
verachtet zu sein, so bedenke, wie es deinem Gott vor dir ergangen ist.
Seine Diener und Freunde auf Erden haben ihn ausgeliefert, denn er
besuchte keine weltlichen Freunde, sondern himmlische.
Und wenn du dich vor der Schwere der Arbeit und vor Krankheit fürchtest
und davor erbebst, so bedenke, wie schwer es ist, im Feuer zu brennen. Was
würdest du nicht verdienen, wenn du einen weltlichen Herrn so
verunglimpft hättest wie mich? Wisse, dass ich – obwohl ich dich von
ganzem Herzen liebe, doch nicht in einem einzigen Punkt gegen die
Gerechtigkeit handle, aber so wie du mit allen Gliedern gesündigt hast,
so musst du auch mit allen Gliedern Buße tun. Aber für deinen guten
Willen und deinen Vorsatz, dich zu bessern, verwandele ich meine
Gerechtigkeit in Barmherzigkeit, indem ich schwere Strafen für eine
kleine Tat der Buße erlasse. Nimm daher willig diese kleine Mühe auf
dich, auf dass du gereinigt den großen Lohn umso eher erlangen magst. Die
Braut muß nämlich ebenso wie der Bräutigam von der Arbeit ermüden, so
dass sie umso vertrauensvoller bei ihm ausruhen kann.
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Worte unseres Herrn Jesus Christus an die
Braut; über
die Unterweisung der Braut, ihn, den Bräutigam, zu lieben und zu ehren;
und über den Hass des bösen auf Gott und ihre liebe zur Welt. |
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3. Kapitel |
Christus ermahnt Birgitta zur Gottesliebe und
weist sie auf Magister Mattias, Domherrn zu Linköping, hin, der ihre
Kenntnisse in katholischer Glaubenslehre vervollkommen soll. Die von Prior
Petrus in Alvastra verfasste Erklärung bezeugt Mattias’ theologische
Gelehrsamkeit und meint zwei seiner literarischen Werke: Seine
Bibelkonkordanz und seine Einleitung in das erste Buch der Offenbarungen.
Mattias dürfte 1350 verstorben sein, als Birgitta eben in Rom angelangt
war. Über seinen seligen Tod empfing Birgitta, wie hier angedeutet wird,
eine Offenbarung.
Ich bin dein Gott und Herr, den du verehrst. Ich bin der, der Himmel
und Erde mit meiner Macht erhält, und sie werden nicht von irgendwelchen
anderen Dingen oder Pfeilern aufrecht erhalten. Ich bin der, der in
Gestalt des Brotes täglich auf dem Altar als wahrer Gott und wahrer
Mensch geopfert wird. Ich bin derselbe, der dich auserwählt hat. Ehre
meinen Vater. Liebe mich. Sei meinem Geist gehorsam. Bezeuge meiner Mutter
Ehre als deine Herrscherin. Ehre alle meine Heiligen. Bewahre den rechten
Glauben von ihm, der den Zweikampf der beiden Geister, d.h. der Geister
der Lüge und der Wahrheit, an sich selbst erfahren und mit meiner Hilfe
gesiegt hat. Bewahre wahre Demut. Was ist wahre Demut, wenn nicht dies,
sich so zu zeigen, wie man ist, und Gott für die guten Dinge preist, die
er beschert hat?
Aber jetzt sind es viele, die mich und meine Taten hassen und meine Worte
für Trübsal und Eitelkeit halten, aber stattdessen den Hurenbock, d.h.
den Teufel, mit Liebe und mit Bitterkeit. Sie würden meinem Namen nicht
bekennen, wenn sie sich nicht vor den Menschen schämten und sie fürchteten.
Die Welt lieben sie so leidenschaftlich, dass sie weder Tag noch Nacht in
der Arbeit für sie müde werden, und vor Liebe zu ihr glühen sie beständig.
Ihr Dienst gefällt mir so, als wenn jemand seinem Feinde Pfennige geben würde,
damit sein eigener Sohn erschlagen werde. So verfahren diese. Sie geben nämlich
ein geringes Almosen und ehren mich mit den Lippen, damit sie weltlichen
Erfolg haben und in ihrer Berühmtheit und in ihrer Sünde bleiben. Daher
werden ihre guten Sinne abgetötet, und sie werden gehindert, Fortschritte
im Guten zu machen. Aber wenn du mich von deinem ganzen Herzen lieben
willst und nichts anderes begehrst als mich, so werde ich dich durch Liebe
zu mir ziehen, wie der Magnet das Eisen anzieht, und dich auf meinen Arm
legen, der so stark ist, dass niemand ihn auszustrecken vermag, so hart,
dass niemand ihn zu beugen vermag, wenn er ausgestreckt ist, und so
lieblich, dass er alle Wohlgerüche übertrifft, und dass die Genüsse der
Welt keinem Vergleich damit standhalten.
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Erklärung |
Der Mann, der Christi Braut unterweisen sollte, war
ein heiliger Magister der Theologie, der Magister Mattias weß, Domherr in
Linköping. Er schrieb vortreffliche Kommentare zur ganzen Bibel. Er wurde
vom Teufel auf eine sinnenreiche Weise mit vielen Hetzereien gegen den
Kathol. Glauben versucht. Er besiegte sie jedoch alle mit Christi Hilfe
und konnte vom Teufel nicht überwunden werden, wie es deutlich in der
Lebensbeschreibung der hl. Birgitta steht. Dieser Magister Mattias hat den
Prolog zu diesen Büchern geschrieben, der beginnt: Stupor et mirabilia
ect. Er war ein heiliger Mann und mit geistlicher Macht in Taten und in
der Verkündigung ausgerüstet. Als er in Schweden starb, war Christi
Braut in Rom, und als sie da betete, hörte sie im Geist eine Stimme, die
sagte: „O selig bist du, Magister Mattias, wegen der Krone, die dir im
Himmel bereitet ist! Komm nun zu der Weisheit, die nimmer endet.“ Über
ihn steht auch in diesem Buch, Kap. 52 zu lesen, ferner im Buch V, dritte
Antwort auf die letzte Frage, sowie in Buch VI, Kap. 75 und 89. |
Worte unseres
Herrn Jesus Christus an die Braut,
dass sie sich nicht fürchten soll wegen dem, das ihr von ihm
offenbart worden ist; und auch nicht denken soll, dass es von einem bösen
Geist stamme, und über die Fähigkeit, einen guten und bösen Geist
zu erkennen: |
4. Kapitel |
Birgitta hat sich nach Empfang der vorigen
Offenbarung die Frage gestellt, wie weit sie von den Mächten des
Lichtes oder der Finsternis abstammten. Christus zerstreut nun ihre
Befürchtungen und lehrt sie, wie man zwischen guten und bösen
Eingebungen unterscheiden soll. Ein verständiger geistlicher Führer
– hier wird die Rolle von Mattias oder Prior Petrus angedeutet, kann
sie vor Verirrungen auf diesem Gebiet bewahren. Am Schluß des
Kapitels wird das Misstrauen und die Verachtung angedeutet, die
Birgitta und viele andere eifrige Christen von einer mehr skeptischen
Umgebung erfahren mussten.
Ich bin dein Schöpfer und Erlöser. Warum hast du dich vor meinen
Worten gefürchtet? Und warum wolltest du wissen, von welchem Geist
sie waren, einem guten oder bösen? Sag mir, was du in meinen Worten
gefunden hast, das dir dein Gewissen nicht schon vorschrieb, es zu
tun! Oder habe ich dir jemals etwas gegen deine Vernunft befohlen?
Hierauf antwortete die Braut: „Keineswegs. All dies ist wahr, und
ich bin in die Irre gegangen.“ Der Geist oder der Bräutigam
erwiderte: „Ich habe dir drei Dinge vorgeschrieben, an denen du den
guten Geist erkennen kannst. Ich habe dir geboten, deinen Gott zu
ehren, der dich geschaffen hat und dir alles gegeben hat, was du
besitzest. Dass du ihn über alle Dinge ehren sollst, das sagt dir
deine Vernunft.
Ich habe dir weiter geboten, den rechten Glauben einzuhalten, d.h. zu
glauben, dass ohne Gott nichts gemacht wurde und auch nichts gemacht
werden kann. Ich habe dir auch geboten, eine vernünftige
Enthaltsamkeit in allen Dingen zu üben. Die Welt ist nämlich um des
Menschen willen geschaffen worden, damit der Mensch sie für seine Bedürfnisse
nutzen soll. So kannst du auch an drei anderen Dingen ihren Gegensatz,
den unreinen Geist erkennen. Der ermahnt dich, deinen eigenen Ruhm zu
suchen und auf die Dinge stolz zu sein, die dir gegeben sind. Er
ermuntert dich auch zum Aberglauben. Er fordert dich auf, dich mit
allen Gliedern und in allen Dingen nicht Enthaltsamkeit zu üben, und
dazu entzündet er dein Herz. Manchmal betrügt er andere auch in
Gestalt des Guten. Daher habe ich dir geboten, allzeit dein Gewissen
zu prüfen und es für weise, geistliche Männer zu öffnen.
Deshalb darfst du nicht zweifeln, dass Gottes guter Geist mit dir ist,
wenn du nichts anderes ersehnst als Gott und ganz von ihm entzündet
bist. Das kann nur ich tun, und es ist dem Teufel dann unmöglich, dir
zu nutzen. Und er vermag auch nicht, einem bösen Menschen zu nutzen,
sofern ich es nicht zulasse, entweder wegen seiner Sünden oder wegen
irgendeines heimlichen Gerichtsurteils, das mir bekannt ist. Er ist nämlich
mein Geschöpf, so wie alles andere, und von mir wurde er gut
geschaffen, aber durch seine Bosheit ist er böse, und deshalb bin ich
Herr über ihn. Deshalb unterstellen mir manche fälschlich eine
Schuld, wenn sie sagen, dass die, die mir aus großer Frömmigkeit
dienen, wahnsinnig und vom Teufel besessen sind. Sie meinen, ich
gliche dem Mann, der eine keusche und fest auf ihren Mann vertrauende
Gattin hat, aber sie zur Hurerei anstiftet. So soll ich sein, wenn ich
einen rechtfertigen Menschen, der mich liebte, dem Teufel ausliefere.
Aber da ich treu bin, wird der Teufel nicht über irgendeines Menschen
Seele herrschen dürfen, die mir fromm dient.
Und wenn auch meine Freunde manchmal wie Wahnsinnige scheinen, so ist
es nicht deshalb, dass der Teufel sie plagt oder dass sie mir mit glühender
Frömmigkeit dienen, sondern auf Grund irgendeines Mangels im Gehirn
oder wegen einer anderen heimlichen Ursache, die ihnen zu ihrer Demütigung
gegeben ist. Es kann auch manchmal geschehen, dass der Teufel von mir
Macht über den Leib von guten Menschen erhält, damit sie dann
Vergeltung erfahren sollen, oder dass er ihr Gewissen verdunkelt. Aber
niemals kann er über die Seelen derer herrschen, die ihren Glauben an
mich und ihre Liebe für mich setzen.
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Christus spricht
Worte der höchsten Liebe zu seiner Braut in einem wunderbaren Gleichnis von einer herrlichen
Burg, mit der
die kämpfende Kirche bezeichnet wird, und sagt, dass die Kirche Gottes
auf die Gebete der ehrenreichen Jungfrau und der heiligen wiedererbaut
werden soll. |
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5. Kapitel |
Christus klagt über das Auftreten der bösen
Menschen und bedroht sie mit seiner gerechten Strafe, doch sollen sie,
falls sie sich bessern, Erbarmung finden. Die Verachtung, der die Frommen
ausgesetzt sind, wird auch hier angedeutet.
Ich bin der Schöpfer aller Dinge, ich bin der König der Ehren und
Herr der Engel. Ich habe mir eine herrliche Burg gegründet und meine
Auserwählten darein gesetzt. Meine Feinde haben ihr Fundament durchgraben
und sind so übermächtig über meine Freunde geworden, dass sie ihre
Beine so im Stock gepresst haben, wobei das Mark aus den Beinen meiner
Freunde herausdrängt. Ihr Mund wird mit Steinen verschlossen, und sie
werden von Hunger und Durst geplagt. Außerdem verfolgt man auch ihren
Herrn. Meine Freunde bitten nun mit Seufzen um Hilfe; die Gerechtigkeit
ruft nach Rache, aber die Barmherzigkeit sagt, dass man schonen soll.
Dann sagte derselbe Gott zu der himmlischen Heerschar, die um ihn
herumstand: „Was meint ihr von diesen, die meine Burg erobert haben?“
Alle antworteten wie mit einer Stimme: „Herr, in dir ist alle
Gerechtigkeit, und in dir sehen wir alles. Du bestehst ohne Anfang und
Ende, du Gottessohn. Dir ist alle Richtermacht gegeben. Du bist ihr
Richter.“ Er antwortete: „Obwohl ihr alles in mir wisst und seht, so
sagt dennoch das gerechte Urteil um dieser Braut willen, die hier
steht.“ Sie sagten: „Das ist Gerechtigkeit, dass die, die Mauer
untergraben haben, wie Diebe bestraft werden sollen. Und die, die in ihrer
Bosheit beharren, sollen wie Gewalttäter bestraft werden. Und die
gefangen sind, sollen befreit werden, und die Hungernden sollen gesättigt
werden.“
Da sagte die Gottesmutter Maria, die bisher geschwiegen hatte: „Mein
Herr und liebster Sohn, du warst wahrer Gott und Mensch in meinem
Mutterlieb. Du hast mich mit deiner Gnade geheiligt, die ein irdisches Gefäß
war. Ich flehe dich an: Erbarme dich noch einmal über sie.“ Da
antwortete der Herr seiner Mutter: „Gesegnet sei das Wort deines Mundes.
Es stieg wie der lieblichste Wohlgeruch zur Gottheit auf. Du bist die Ehre
und die Königin aller Heiligen, denn von dir wird die Gottheit erquickt,
und freuen sich alle Heiligen. Und nachdem dein Wille von Anbeginn deiner
Jugend wie der meine war, würde ich noch einmal tun, was du willst“.
Aber zu der Heerschar (der Gläubigen) sagte er: „Nachdem ihr mannhaft
gekämpft habt, werde ich mich noch einmal um eurer Liebe willen besänftigen
lassen. Seht, ich werde meine Mauer um eurer Gebete willen wieder
aufbauen. Ich will die befreien und heilen, die Gewalt gelitten haben, und
für die Schmach, die sie erlitten haben, will ich sie hundertfach ehren.
Aber wenn die Gewalttäter mich um Barmherzigkeit bitten so, werde ich
ihnen Frieden und Erbarmen schenken. Die aber, die sie verachten, werden
meine Gerechtigkeit kennenlernen.“
Dann sagte er zur Braut: „Meine Braut, ich habe dich erwählt und dich
in meinen Geist eingeführt. Du hörst meine Worte und die meiner
Heiligen. Obwohl die Heiligen alles in mir sehen, haben sie gleichwohl
deinetwegen gesprochen, damit du verstehen sollst. Denn du, die noch im
Fleische ist, kannst die Dinge in mir nicht so sehen, wie sie es können,
die Geister sind. Jetzt will ich dir auch zeigen, was all dies bedeutet.
Die Burg, von der ich sprach, ist die heilige Kirche, die ich mit meinem
Blut und dem meiner Heiligen erbaut habe. Ich habe sie mit dem Mörtel
meiner Liebe zusammengefügt und habe meine Auserwählten und meine
Freunde in diese Burg gesetzt. Ihr Fundament ist der Glaube, nämlich der
Glaube daran, dass ich ein gerechter und barmherziger Richter bin.
Jetzt ist jedoch das Fundament untergraben, denn sicher glauben alle und
verkünden, dass ich barmherzig bin, aber fast niemand verkündet oder
glaubt, dass ich ein gerechter Richter bin. Sie halten mich für einen
verkehrten Richter. Denn verkehrt würde der Richter sein, der aus
Barmherzigkeit die Ungerechten ungestraft lassen würde, so dass die
Ungerechten die Gerechten noch mehr unterdrücken könnten. Aber ich bin
ein gerechter und barmherziger Richter, denn ich lasse nicht einmal die
geringste Sünde ungestraft oder die geringste gute Tat unbelohnt.
Dadurch, dass sie diese Mauer untergruben, gingen sie in die heilige
Kirche hinein; die, welche ohne Furcht sündigen, verneinen, dass ich
gerecht bin und meine Freunde ebenso schwer plage, wie die, die im Stock
sitzen. Denn für diese meine Freunde gibt es keine Freude oder Trost,
sondern ihnen wird alle Schmach und Plage zugefügt, wie vom Teufel
Besessenen. Wenn sie die Wahrheit von mir sagen, werden sie widerlegt und
der Lüge beschuldigt. Sie haben eine mächtige Sehnsucht, recht zu hören
oder zu reden, aber es gibt keinen, der sie hört oder recht mit ihnen
redet.
Ich, der Herr und Schöpfer, werde gelästert. Die Menschen sagen nämlich:
„Wir wissen nicht, ob er Gott ist. Und wenn er es ist, kümmern wir uns
nicht darum.“ Sie stürzen mein Banner um und trampeln es unter die Füße,
indem sie sagen: „Warum hat er gelitten? Was nützt uns das? Wenn er
unseren Willen zufrieden stellen will, reicht uns das aus. Mag er sein
Reich und den Himmel haben.“ Ich will zu ihnen eingehen, aber sie sagen:
„Eher wollen wir sterben, als unseren Willen übergeben.“ Sieh, meine
Braut, wie sie sind! Ich habe sie gemacht, und mit einem Wort könnte ich
sie vernichten. Wie überheben sie sich doch gegen mich! Nun bin ich um
der Bitten meiner Mutter und aller Heiligen willen noch so barmherzig und
geduldig, dass ich ihnen meine Worte senden will, die aus meinem Munde
gingen, und ihnen meine Barmherzigkeit anbiete. Wenn sie die annehmen
wollen, will ich mich besänftigen lassen, wenn nicht, sollen sie meine
Gerechtigkeit kennenlernen, und sie werden und sollen öffentlich von
Engeln und Menschen wie Diebe entehrt werden und von allen verurteilt
werden. Denn so wie die am Galgen aufgehängten Menschen von Raben
verzehrt werden, so werden diese von dem Teufel verschlungen werden, aber
doch nicht vernichtet werden. Und so wie die, die am Stock bestraft
werden, dort keine Ruhe finden, so werden diese überall Schmerzen und
Bitterkeit haben.
Die brennendste Flut wird in ihren Mund fließen, aber ihr Bauch wird doch
nicht gefüllt werden, sondern sie werden zur Strafe Tag für Tag erneuert
werden. Meine Freunde werden dagegen erlöst und von den Worten erquickt
werden, die aus meinem Mund ergehen. Sie sollen meine Gerechtigkeit im
Verein mit Barmherzigkeit sehen. Ich werde sie in den Waffenrock meiner
Liebe Kleiden und sie so stark machen, dass die Widersacher des Glaubens
wie Kot zurückfallen und sich auf ewig schämen werden, wenn sie meine
Gerechtigkeit zu sehen bekommen; ja schämen werden sie sich, nachdem sie
meine Geduld missbraucht haben.“
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Christi Worte an die Braut darüber, wie sein Geist
nicht mit den Ungerechten sein kann, von der Trennung der Bösen von den
Guten und von der Aussendung guter Männer, bewaffnet mit geistlichen
Waffen im Krieg d.h. mit der Welt. |
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6. Kapitel |
Christus sendet seine Ritter aus, d.h. die wahren
Gottesfreunde, um seine Kirche zu reinigen. Er ermahnt sie, in dem
bevorstehenden Kampfe treu zu sein. (Mehrere Personen in Birgittas
Umgebung könnten als solche Ritter bezeichnet werden, z.B. ihr Bruder
Israel Birgersson und ihr Freund, Bischof Hemming von Åbo. Durch
Birgittas Verkündigung wurden neue Persönlichkeiten zum Adel und der
Priesterschaft erweckt).
Meine Gegner sind wie die wildesten Tiere, die nie gesättigt werden
oder Ruhe finden. Ihr Herz ist so leer von Liebe zu mir, dass ihnen
niemals ein Gedanke an mein Leiden kommt, und nie ist dieses Wort ein
einziges Mal aus ihrem innersten Herzen gekommen: „O Herr, du hast uns
erlöst, Preis sei dir für deine bittere Pein.“ Wie könnte mein Geist
mit denen sein, die keine göttliche Liebe zu mir haben, und die gern
andere preisgeben, um ihren eigenen Willen durchzusetzen? Ihr Herz ist
voll von den elendesten Würmern d.h. weltlichem Begehren. In ihrem Mund
hat der Teufel seinen Kot abgelegt, und daher behagen ihnen meine Worte
nicht.
Infolgedessen werde ich sie mit meiner Säge von meinem Freunden trennen.
Und so wie es keinen Tod gibt, der bitterer ist, als der, zersägt zu
werden, so gibt es keine Strafe, die sie nicht erleiden werden, und sie
werden vom Teufel mittendurch gesägt und von mir getrennt werden. So
verhasst sind sie mir, dass auch alle die, die an ihnen festhalten, von
mir getrennt werden sollen. Daher sende ich meine Freunde, damit sie die
Teufel von meinen Gliedern[1] trennen sollen, denn sie sind in Wahrheit
meine Widersacher. Ich sende sie also wie Ritter in den Krieg. Ein jeder,
der sein Fleisch kasteit und sich des Verbotenen enthält, ist in Wahrheit
mein Ritter. Sie sollen meine Worte, die ich mit meinem Mund gesprochen
habe, als Lanzen haben, in der Hand das Schwert, nämlich den Glauben.
Ihre Brust wird mit dem Panzer der Liebe bedeckt sein, so dass sie mich
deshalb nicht weniger lieben, was ihnen auch geschehen mag. Sie müssen
den Schild der Geduld an ihrer Seite haben, so dass sie geduldig alles
aushalten. Ich habe sie wie Gold in ein Gefäß eingeschlossen, aber jetzt
sollen sie hinausgehen und auf meinem Wege wandern.
Nach der verordneten Gerechtigkeit konnte ich mit meiner Menschengestalt
nicht zur Ehre der Majestät eingehen, ohne Betrübnis zu leiden, und wie
sollten sie dann eingehen? Wenn ihr Herr gelitten hat, ist es nicht
verwunderlich, wenn auch sie leiden müssen. Wenn der Herr Schläge
ertragen hat, ist es nicht viel, wenn sie Worte ertragen müssen. Sie
sollen sich nicht fürchten, denn ich übergebe sie niemals. Ebenso wie es
für den Teufel unmöglich ist, Gottes Herz zu berühren und zu teilen, so
ist es dem Teufel unmöglich, sie von mir zu trennen. Und nachdem sie in
meinem Augen wie das reinste Gold sind, so werde ich sie, wenn sie mit
einem kleinen Feuer erprobt werden, dennoch niemals aufgeben, denn das
Feuer ist ihnen gegeben, auf dass sie umso größeren Lohn empfangen.
[1]. D.h. die Glieder in meinem mystischen Leib, der Kirche. |
Worte der ehrenreichen Jungfrau Maria an die
Tochter über die Art und Weise, sich zu kleiden, und mit welchen
Kleidern und Schmuckstücken die Tochter geschmückt und bekleidet
sein soll. |
7. Kapitel |
Maria ermahnt Birgitta zu einem Leben in der
Nachfolge Christi.
Ich bin Maria, die den wahren Gott und wahren Menschen, Gottes
Sohn, geboren hat. Ich bin die Königin der Engel. Mein Sohn liebt
dich von ganzem Herzen. Dafür sollst du ihn auch lieben. Du sollst
mit den ritterlichsten Kleidern geschmückt sein. Wie die sein sollen,
werde ich dir zeigen. Denn so wie du vorher Hemd, Rock, Schuhe, Mantel
und Brustschmuck gehabt hat, so sollst du jetzt geistliche Kleider
tragen. Das Hemd ist die Zerknirschung, denn so wie das Hemd dem Körper
am nächsten ist, so ist die Niedergeschlagenheit und die Bekehrung in
der Beichte der erste Weg zu Gott. Durch sie wird der Sinn gereinigt,
der sich an der Sünde gefreut hat, und das unreine Fleisch wird gezügelt.
Die beiden Schuhe sind zwei Willensäußerungen, nämlich der Wille,
begangene Sünden zu bessern, und der Wille, Gutes zu tun und sich vom
Bösen fernzuhalten. Dein Rock ist die Hoffnung auf Gott, denn so wie
der Rock zwei Ärmel hat, so sei die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
in Hoffnung darauf, dass du so auf Gottes Barmherzigkeit hoffen
kannst, dass du seine Gerechtigkeit nicht vergisst. Und denke so an
seine Gerechtigkeit und sein Gericht, dass du die Barmherzigkeit nicht
vergisst. Denn er übt niemals irgendeine Gerechtigkeit ohne
Barmherzigkeit, und niemals Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit.
Der Mantel ist der Glaube, denn ebenso wie der Mantel alles bedeckt
und alles in ihm eingeschlossen ist, so kann der Mensch mit dem
Glauben alles erfassen und erlangen. Dieser Mantel soll besprengt sein
mit den Zeichen der Liebe deines Bräutigams, nämlich wie er dich
geschaffen hat, wie er dich erlöst hat, wie er dich aufzog, dich in
seinen Geist einführte und deine geistlichen Augen auftat. Der
Brustschmuck, der immer auf deiner Brust befestigt sein soll, ist das
Betrachten seines Leidens: Wie er verspottet und gegeißelt wurde, wie
er lebendig am Kreuze hing, blutig und verletzt in allen Gliedern, wie
im Sterben sein ganzer Leib in der bittersten Pein und dem Schmerz
erzitterte, und wie er seinen Geist in seines Vaters Hände befahl.
Dieser Brautschmuck soll stets auf deiner Brust sein.
Eine Krone soll auf deinem Haupte sein, d.h. du sollst keusch in
deinem Begehren sein, so dass du lieber Schläge erleidest, als weiter
befleckt zu sein.[1] Sei deshalb sittsam und höflich, denk an nichts
anderes und begehre nichts anderes, als deinen Gott und deinen Schöpfer,
denn wenn du ihn hast, hast du alles. Und in dieser Weise geschmückt,
sollst du deinen Bräutigam erwarten.
[1].
Die vornehmen Jungfrauen der Zeit trugen wenigstens als
Hochzeitsbrauch eine Krone als Kopfschmuck, während der Kopfumhang
verheirateter Frauen ein Tuch aus Leinen war. Die Krone wurde zum
letzten Mal bei der Trauung getragen. |
Worte der Himmelskönigin an die geliebte Tochter,
in denen sie sie lehrt, wie sie den Sohn ebenso lieben und preisen muß,
wie die Mutter. |
8. Kapitel |
Maria lehrt Birgitta ein Gebet, in dem Gott für
die Wohltaten gepriesen wird, die er dieser seiner jungfräulichen
Mutter erwiesen hat.
Ich bin die Königin des Himmels. Du denkst darüber nach, wie du
mich lobpreisen sollst. Das musst du wissen und dessen sicher sein,
dass alles Lob, das meinem Sohn zuteil wird, auch mir zuteil wird, und
dass der, der ihn gering achtet, auch mich gering achtet, denn ich habe
ihn so innig geliebt und er mich, dass wir beide wie ein einziges Herz
waren, und er hat mich, die ein Gefäß der Erde war, so großartig über
alle Engel erhöht.
Du sollst mich also auf diese Weise lieben: „Gesegnet seist du Gott,
Schöpfer aller Dinge, der es für wert gehalten hat, in den
Mutterleib der Jungfrau Maria herabzusteigen. Gesegnet seist du Gott,
der ohne Schaden mit der Jungfrau Maria sein wollte, und der es für würdig
hielt, einen unbefleckten Leib von ihr anzunehmen. Gesegnet seist du
Gott, der ohne Schaden mit der Jungfrau Maria sein wollte, und der es
für würdig hielt, einen unbefleckten Leib von ihr anzunehmen.
Gesegnet seist du Gott, der zur Jungfrau gekommen ist, zur Freude
ihrer Seele und aller ihrer Glieder, und ohne Sünde aus ihr
hervorgegangen ist, zur Freude aller ihrer Glieder. Gesegnet seist du
Gott, der nach deiner Himmelfahrt die Jungfrau Maria, deine Mutter,
mit ständigen Tröstungen erfreut hat, und der sie besucht hat, um
sie durch dich selbst zu trösten. Gesegnet seist du Gott, der Leib
und Seele deiner jungfräulichen Mutter Maria in den Himmel
aufgenommen hat und sie ehrenhaft über alle Engel neben deine Göttlichkeit
gestellt hat. Erbarme dich meiner um ihrer Gebete willen.“
|
9.
Kapitel |
Maria erzählt Birgitta von der Ehe ihrer
Eltern, von ihrer eigenen unbefleckten Empfängnis, von ihrer Aufnahme
in den Himmel und von der großen Macht, den Menschen zu helfen, die
sie von ihrem göttlichen Sohn empfangen hat. Das Kapitel ist
bemerkenswert wegen seiner Mariologie.
Ich bin die Königin des Himmels. Liebe meinen Sohn, denn er ist am
allerritterlichsten, und wenn du ihn hast, besitzest du alles
ritterliche Wesen. Er ist auch am meisten begehrenswert, und wenn du
ihn hast, hast du alles, was begehrenswert ist. Liebe ihn auch
deshalb, dass er am allertugendhaftesten ist, und wenn du ihn hast,
hast du alle Tugenden. Ich will dir sagen, wie lieblich er meinem Leib
und meine Seele geliebt hat, und wie sehr er auch meinen Namen ehrte.
Dieser mein Sohn hat mich geliebt, bevor ich ihn liebte, denn er ist
mein Schöpfer. Er vereinte meinen Vater und meine Mutter in einer Ehe
von so großer Keuschheit, dass man damals keine keuschere Ehe hätte
finden können, und niemals wollten sie zusammenkommen, wenn nicht
nach dem Gesetz und nur mit der Absicht, Nachkommen hervorzubringen.
Und als der Engel ihnen verkündete, dass sie die Jungfrau zur Welt
bringen sollten, von der die Erlösung der Welt hervorgehen sollte, so
hätten sie lieber sterben wollen, als in fleischlicher Liebe
zusammenzukommen, und die Wollust war in ihnen tot. Ich versichere
dir, dass sie aus heiliger Liebe und auf Grund der Worte des verkündenden
Engels fleischlich zusammenkamen, nicht aus irgendeinem sinnlichen
Begehren, sondern gegen seinen Willen und aus heiliger Liebe, und so
setzte sich mein Fleisch von ihrer Saat durch göttliche Liebe
zusammen. Als mein Körper gemacht wurde, fügte Gott von seiner
Gottheit die erschaffene Seele in den Leib, und sogleich entstand die
Seele mitsamt dem Körper, und die Engel wachten und dienten ihr Tag
und Nacht. Aber als die Seele geheiligt und mit dem Leibe vereinigt
wurde, empfand meine Mutter eine so große Freude, dass es unmöglich
sein würde, sie zu beschreiben.
Als dann mein Lebenslauf vollendet war, erhob mein Sohn zuerst meine
Seele – denn sie war die Herrscherin des Leibes – an einen
vornehmeren Platz als die übrigen bei seiner Gottheit im Himmel.
Danach erhöhte er meinem Leib, so dass kein Leib eines geschaffenen
Wesens Gott so nahe wie der meine ist.
Die, welche im Fegefeuer sind, freuen sich über die Maßen, so wie
der Kranke und Bettlägerige es tut, wenn er von manchen ein Wort des
Trostes hören darf, das ihm in der Seele gefällt. Da jubelt er
sogleich. Ja, wenn die guten Engel diesen Namen hören dürfen, so
nahen sie sich den Gerechten umso mehr, zu deren Schutz sie eingesetzt
sind, sich den Gerechten umso mehr, zu deren Schutz sie eingesetzt
sind, und freuen sich über deren Vervollkommnung. Alle Menschen haben
nämlich gute Engel zum Schutz und böse Engel zur Versuchung.
Nicht so, dass diese Engel von Gott geschieden sind, nein – sie
dienen der Seele in der Weise, dass sie Gott nicht verlassen; sie sind
beständig in seinem Blickfeld, und ebenso feuern sie die Seele an und
spornen sie an, das zu tun, was gut ist. Und alle Teufel zittern vor
diesem Namen und fürchten sich vor ihm. Wenn sie den Namen Maria hören,
so lassen sie sogleich die Seele aus den Klauen los, mit denen sie sie
festgehalten haben. Denn wie ein Vogel, der seine Krallen und seinen
Schnabel in einer Beute hat, die Beute loslässt, wenn er einen Laut hört,
aber gleich zu ihr zurückzukehren, wenn er sieht, dass keine Handlung
auf den Laut erfolgt, so lassen die Teufel sofort die Seele wie
erschreckt los, wenn sie meinem Namen hören, aber sie eilen wieder
vor und kehren wie der schnellste Pfeil zu ihr zurück, sofern keine
Besserung erfolgt.
Niemand ist so kalt in Gottes Liebe (sofern er nicht verurteilt ist),
dass er nicht, wenn er diesen Namen mit der Absicht anruft, niemals zu
seiner gewohnten Sünde zurückkehren, erleben darf, dass der Teufel
gleich von ihm weicht und niemals mehr zu ihm zurückkommt, wenn er
nicht den Willen wieder aufgibt, eine Todsünde zu begehen. Dennoch
wird es manchmal dem Teufel gestattet, ihn zu beunruhigen, damit er
einen umso größeren Lohn erhalten mag; doch wird der Teufel ihn
niemals besitzen.“
|
Worte der Jungfrau Maria an die Tochter, die eine nützliche
Lehre aussprechen, wie sie leben soll, und die viele wunderbare Dinge
von Christi Leiden beschreiben. |
10. Kapitel |
Maria erzählt Birgitta von ihrer eigenen
Kindheit und Jugend, von der Verkündigung von Jesu Geburt und von der
Geburt selbst, von Jesu Kindheit und seiner Kreuzigung. Die ausführliche
Beschreibung der Kreuzigung ist die erste in einer Reihe von drei
Passionsberichten (die beiden anderen finden sich im 70. Kapitel des
4. Buches und im 16. Kapitel des 7. Buches).
Ich bin die Himmelskönigin, Gottes Mutter. Ich habe dir gesagt,
dass du deinen Brustschmuck auf dir haben sollst. Jetzt will ich dir
ausführlicher zeigen, dass ich von Anfang an, als ich hörte und
verstand, dass es Gott gab, mich ständig und mit Furcht um meine Erlösung
bemühte, und dass ich sein Gebot beachten würde. Aber als ich mehr
von Gott hörte, dass er mein Schöpfer und Richter über alle meine
Handlungen war, liebte ich ihn innig, und zu jeder Stunde fürchtete
ich mich und sah mich sehr vor, ihn durch Handlungen oder Worte zu erzürnen.
Später, als ich hörte, dass er dem Volk Israel Gesetzte und
Weisungen gegeben und so große Wundertaten mit ihnen getan hat,
fasste ich in meiner Seele einen festen Beschluß, nichts anderes als
ihn zu lieben, und weltliche Dinge wurden mir sehr bitter. Als ich
dann hörte, dass er, derselbe Gott, die Welt erlösen und von einer
Jungfrau geboren werden würde, wurde ich von einer solchen Liebe zu
ihm ergriffen, dass ich an nichts anderes als an Gott dachte und
nichts anderes begehrte, als ihn.
Ich hielt mich, soviel ich konnte, von Gesprächen und von der
Anwesenheit der Eltern und Freunde zurück, und alles, was ich bekam,
gab ich den Armen und behielt nur eine knappe Nahrung und Kleidung.
Nichts erfreute mich, außer Gott. Ich wünschte immer in meinem
Herzen, dass ich bis zu der Zeit vor seiner Geburt leben und es
vielleicht verdienen würde, die unwürdige Dienerin der Mutter Gottes
zu sein. Ich versprach auch in meinem Herzen, wenn es ihm gefallen würde,
meine Jungfräulichkeit zu bewahren und niemals etwas auf Erden zu
besitzen. Aber wenn Gott es anders wollte, so sollte sein Wille und
nicht meiner geschehen – denn ich glaubte, dass er alles könnte und
auch nur das wollte, was für mich nützlich wäre. Daher übergab ich
ihm allen meinen Willen.
Als die Zeit da war, dass die Jungfrauen nach dem Gesetz im Tempel des
Herrn gezeigt werden sollten, war auch ich unter ihnen, da meine
Eltern der Vorschrift gehorchten, und ich dachte bei mir, dass für
Gott nichts unmöglich sei. Und da er wusste, dass ich nichts wünschte
und nichts anderes ersehnte als ihn, konnte er mich jungfräulich
bewahren, wenn es ihm gefiele – wenn nicht, sollte doch sein Wille
geschehen. Nachdem ich alles gehört hatte, was im Tempel befohlen
war, kehrte ich heim und brannte nun mehr als vorher in Liebe zu Gott
und wurde täglich von neuem heißen Liebesbegehren entzündet. Daher
zog ich mich mehr als üblich von allen zurück und war Tag und Nacht
allein, wobei ich sehr fürchtete, dass mein Mund etwas reden oder das
Ohr etwas hören sollte, was gegen den Willen meines Gottes war, oder
dass meine Augen etwas vom Zauber der Welt sehen würden. Auch im
Schweigen hegte ich Furcht und ängstigte mich sehr deswegen, dass ich
vielleicht verschweigen würde, was ich lieber hätte sagen sollen.
Als ich so in meinem Herzen beunruhigt wurde, einsam mit mir selbst,
und all mein Vertrauen auf Gott setzte, kam es mir in den Sinn, über
Gottes große Macht nachzudenken, wie die Engel und alles Geschaffene
ihm dienen, und wie unsagbar und unbegrenzt seine Herrlichkeit ist.
Als ich von diesem Gedanken entzückt wurde, sah ich drei wunderbare
Dinge: Ich sah einen Stern, aber nicht einen solchen, der am Himmel
leuchtete; ich sah ein Licht, aber kein solches, das auf Erden
leuchtet; ich spürte einen Duft, nicht wie von Kräutern oder etwas
Derartigem, sondern unaussprechlich lieblich, und der erfüllte mich
ganz, so dass ich vor Freude jubelte.
Danach hörte ich gleich eine Stimme, aber nicht von einer
menschlichen Zunge, und als ich sie hörte, zitterte ich und fürchtete,
dass es sein Blendwerk sein könnte. Gleich zeigte sich mir ein Engel
Gottes; er war wie der schönste Mann, aber nicht mit Fleisch
bekleidet, und er sagte zu mir: „Heil dir, du Hochbegnadete!“ Als
ich das hörte, wollte ich wissen, was er meinte, und warum er mit
einem solchen Gruß kam; ich wusste und hielt mich ja einer solchen
Sache oder etwas Gutem unwürdig, aber dass es für Gott nicht unmöglich
sei, zu tun, was er will. Da sagte der Engel von neuem: „Das, was in
dir geboren wird, ist heilig und wird Gottes Sohn genannt, und so wie
es ihm gefallen hat, soll es geschehen.“ Aber nicht einmal da hielt
ich mich für würdig und ich fragte den Engel nicht, warum oder wann
es geschehen sollte, sondern ich fragte, wie es geschehen könnte,
dass ich Unwürdige Gottes Mutter werden sollte. Ich sagte auch, dass
ich von keinem Manne wusste. Und der Engel antwortete nur, wie ich
sagte: „Für Gott ist nichts unmöglich, denn alles, was er tun
will, das geschieht.“
Als ich diese Worte des Engels hörte, verspürte ich die innigste
Sehnsucht, Gottes Mutter zu werden, und meine Seele sprach in Liebe:
„Siehe, hier bin ich; dein Wille geschehe in mir.“ Bei diesen
Worten wurde gleich mein Sohn in meinem Fleisch gezeugt, zu
unaussprechlichem Jubel für meine Seele und mein ganzes Wesen. Als
ich ihn im Mutterleib hatte, trug ich ihn ohne Beschwerden, ohne
Schwere oder Unannehmlichkeit. Ich demütige mich in allem in dem
Bewusstsein, dass er, den ich trug, allmächtig war.
Als ich ihn gebar, gebar ich ihn ohne Schmerz und Sünde, wie ich ihn
auch unter einem solchen Jubel der Seele und des Leibes zur Welt
brachte, dass meine Füße infolge dieser Freude nicht den Boden spürten,
auf dem sie standen. Und so wie er zur Freude meiner ganzen Seele in
alle meine Glieder einging, so kam er zur Freude aller meiner Glieder
und der unbeschreiblichen Freude meiner jubelnden Seele ans Licht,
ohne meine Jungfrauenschaft zu beschädigen. Als ich seine Schönheit
schaute und betrachtete, tropfte meine Seele wie Tau vor Freude; ich
wusste ja, ich bin eines solchen Sohnes unwürdig. Aber als ich die
Stellen an seinen Händen und Füßen betrachtete, über die ich von
den Propheten gehört hatte, dass sie bei der Kreuzigung von Nägeln
durchbohrt werden sollten, füllten meine Augen sich mit Tränen, und
das Herz zersprang fast vor Betrübnis.
Als mein Sohn meine weinenden Augen sah, wurde er fast zu Tode betrübt.
Als ich dagegen über seine göttliche Macht nachdachte, wurde ich von
neuem getröstet, wohl wissend, dass er es so haben wollte, und dass
es so geschehen müsse. Ich vereinte meinen ganzen Willen mit dem
seinen, und so war meine Freude immer mit Schmerz gemischt. Als das
Leiden meines Sohnes bevorstand, ergriffen seine Feinde ihn, schlugen
ihn auf die Wange und den Hals, bespuckten und verhöhnten ihn. So
wurde er an die Geißelsäule geführt, und er legte selbst seine
Kleider ab. Er legte seine Hände selber um den Pfeiler, und seine
Feinde banden sie ohne Erbarmen fest. Als er gebunden dastand, hatte
er keinerlei Gewand auf sich, sondern stand nackt da, wie er geboren
wurde, und schämte sich seiner Nacktheit.
Seine Freunde flohen, und seine Feinde kamen aus allen Richtungen
zusammen, stellten sich dort auf und geißelten seinen Körper, der
von allen Flecken und Sünde frei war. Beim ersten Schlag fiel ich,
die sehr nah dabeistand, nieder wie tot, und als ich das Bewusstsein
wiedererlangte, sah ich seinen Leib bis auf die Rippen gepeitscht und
gegeißelt, so dass diese sichtbar wurden. Und was noch bitterer war
– als die Geißeln herausgezogen wurden (?) wurde sein Fleisch von
diesen Geißeln durchpflügt, wie die Erde vom Pflug.
Als mein Sohn so dastand, ganz blutig, ganz zerfleischt, so dass es
nichts Ganzes mehr auf ihm gab und nichts mehr, das mehr gegeißelt
werden konnte, da wurde der Geist bei einem der Anwesenden erweckt,
und der fragte: „Sollt ihr ihn ohne Urteil töten?“ Und er schnitt
gleich seine Bande durch.
Danach zog mein Sohn seine Kleider wieder an, und den Platz, wo seine
Füße standen, sah ich ganz von Blut bedeckt, und an den Fußspuren
meines Sohnes konnte ich sehen, wohin er ging – denn wo er gegangen
war, da erschien die Erde blutig. Und sie duldeten kaum, dass er sich
ankleidete, sondern trieben ihn an und zerrten ihn, damit er sich
beeilen sollte. Als mein Sohn nun fortgeführt wurde, wie ein Räuber,
wischte er sich das Blut aus seinen Augen. Als er verurteilt war,
legten sie das Kreuz auf ihn, damit er es tragen sollte. Nachdem er es
eine kleine Weile getragen hatte, kam ein Mann und nahm es, um es zu
tragen. Während mein Sohn an den Platz seiner Pein ging, schlugen ihn
einige auf den Hals, andere ins Angesicht. Und er wurde so hart und kräftig
geschlagen, dass ich – obwohl ich den nicht sah, der ihn schlug –
den Laut des Schlages doch deutlich hörte. Als ich mit ihm an den
Platz der Pein kam, sah ich alle Geräte zu seiner Hinrichtung dort
bereitliegen.
Und mein Sohn kam da hin und legte selber seine Kleider ab. Die Diener
sagten zueinander: „Diese Kleider sind seine; er wird sie nicht
wiederbekommen, nachdem er zum Tode verurteilt ist.“ Als mein Sohn
mit nacktem Körper dastand, wie er geboren wurde, kam ein Mann
angesprungen und reichte ihm ein Kleid, womit er innig froh seine
Lenden bedeckte. Dann packten ihn die wilden Henker und streckten ihm
auf dem Kreuze aus. Erst befestigten sie seine rechte Hand am Stamm,
der mit Bohrlöchern für die Nägel versehen war, und sie
durchbohrten die Hand an der Stelle, wo das Bein befestigt war. Danach
streckten sie seine andere Hand mit einem Strick aus und befestigten
ihn in derselben Weise an dem Holzstamm. Dann kreuzigten sie den
rechten Fuß, und darüber den linken Fuß mit zwei Nägeln, so dass
alle Sehnen und Adern ausgedehnt wurden und zerplatzten.
Nachdem das getan war, setzten sie die Dornenkrone auf sein Haupt, und
die stach das verehrungswürdige Haupt meines Sohnes so heftig, dass
seine Augen mit dem fließenden Blut gefüllt wurden, die Ohren
verstopft wurden, und der Bart von dem herabfließenden Blute ganz
entstellt wurde. Als er so blutig und durchbohrt dahing, bemitleidete
er mich, die dastand und weinte, sah mit seinen blutgefüllten Augen
auf meinen Neffen Johannes[1] und vertraute ihn mir an. Derweil hörte
ich einige sagen, dass mein Sohn ein Räuber war, andere, dass er ein
Lügner war, andere, dass keiner es mehr wert war zu sterben, als mein
Sohn. Dadurch, das zu hören, erneuerte sich mein Schmerz. Und – wie
gesagt – als der erste Nagel in ihm befestigt war, fiel ich beim
Laut des ersten Schlages in Ohnmacht und fiel wie tot nieder, mit
verdunkelten Augen, zitternden Händen und schwankenden Beinen, und in
meinem Schmerz versuchte ich, nicht aufzusehen, bevor er ganz und gar
festgenagelt war.
Aber als ich mich erhob, sah ich meinen Sohn elendig hängen, und ich,
seine hochbetrübte Mutter, trauernd und verzweifelt, konnte kaum vor
Schmerz stehen. Mein Sohn, der mich und seine Freunde in trostlosem
Weinen sah, rief mit lauter und trauriger Stimme zu seinem Vater:
„Vater, warum hast du mich verlassen?“ Das war, als ob er sagen
wollte: „Es ist keiner, der sich meiner erbarmt, außer dir,
Vater.“
Da schienen seine Augen halbtot, seine Wangen eingesunken, sein
Antlitz schrecklich entstellt, sein Mund offen, seine Zunge blutig;
sein Magen lag platt gegen den Rücken eingedrückt, nachdem alle Flüssigkeit
verzehrt war, als ob er keine Eingeweide hätte. Sein ganzer Körper
war bleich und kümmerlich durch Blutverlust.
Seine Hände und Füße waren sehr hart angespannt; sie waren
auseinander gezogen und der Form des Kreuzes angepasst. Sein Bart und
seine Haare waren ganz voll Blut. Als mein Sohn so verletzt und
blaubleich dahing, war nur das Herz noch frisch, denn es war von der
besten und stärksten Natur. Von meinem Fleisch hatte er nämlich den
reinsten und bestgefügten Leib erhalten. Seine Haut war so fein und
zart, dass das Blut gleich ausfloß, wenn er auch noch leicht gegeißelt
wurde. Und selbst das Blut war so frisch, dass es durch die reine Haut
zu sehen war. Und obwohl von der besten Natur war, kämpfte das Leben
in seinem durchbohrten Leibe mit dem Tod. Dann manchmal stieg der
Schmerz von seinen durchbohrten Gliedern und Sehnen bis zum Herzen
auf, das ganz gesund und unbeschädigt war, und dies mit unglaublichen
Schmerz und Pein quälte. Und manchmal ging der Schmerz vom Herzen
hinunter zu den verwundeten Gliedern, und so zog sich der bittere
Todeskampf in die Länge.
Als mein Sohn, umgeben von dieser Qual, auf seine weinenden Freunde
sah, die lieber diese Plage mit seiner Hilfe leiden oder ewig in der Hölle
brennen wollten, als ihn auf diese Weise gepeinigt zu sehen, so überstieg
sein Kummer über den seiner Freunde all die Bitterkeit und Trübsal,
die er am Leibe oder Herzen ausstand, denn er liebte sie so zärtlich.
Da rief er im Übermaß der großen Not seines Leibes in menschlicher
Weise zum Vater: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen
Geist.“ Als ich, seine tiefbetrübte Mutter, diese Stimme hörte,
zitterten alle meiner Glieder in der bitteren Trauer meines Herzens,
und so oft ich später an diese Stimme dachte, war sie gleichsam
gegenwärtig und neu für mich.
Als sich nun der Tod nachte und das Herz durch die Gewalt der Plagen
brach, da zitterten alle Glieder, und sein Haupt hob sich etwas und
sank darauf wieder herunter. Sein Mund schien offen, und die Zunge
ganz blutig. Seine Hände zogen sich von den Stellen der Bohrlöcher
etwas zurück, und bekamen von dem Gewicht des Körpers mehr zu
tragen. Die Finger und Arme streckten sich etwas aus, und der Rücken
drängte sich hart gegen den Holzstamm.
Da sagten einige zu mir: „Dein Sohn ist tot, Maria!“ Aber andere
sagten: „Tot ist er, aber er wird auferstehen!“ Als alle so ihres
Weges gegangen waren, kam einer und stach seine Lanze so heftig in
seine Seite, dass sie beinah auf der anderen Seite wieder herauskam.
Und als er den Speer herauszog, war die Spitze rot von Blut. Es schien
mir da, als ob mein eigenes Herz durchbohrt wurde, als ich das Herz
meines geliebten Sohnes durchbohrt sah.
Dann wurde er vom Kreuze abgenommen, und ich nahm ihn auf mein Knie
wie einen Aussätzigen und ganz blauweiß, denn seine Augen waren tot
und blutgefüllt, sein Mund kalt wie Schnee, sein Bart war wie Bindfäden,
sein Antlitz war erlahmt, und seine Hände waren so starr, dass sie
nicht über der Brust gebogen werden konnten, sondern über dem Magen,
ungefähr am Nabel.[2] So wie er am Kreuz gehangen hatte, so hatte ich
ihn auf dem Knie, und er war gleichsam in allen Gliedern erstarrt.
Dann legten sie ihn in ein reines Leinen, und ich trocknete seine
verletzten Glieder mit meinem Leinenkleid und drückte ihm die Augen
zu und seinen Mund, der sich im Tode geöffnet hatte.
So legten sie ihn ins Grab. O wie gern hätte ich es gehabt, dass man
mich lebend ins Grab mit meinem Sohn gelegt hätte, wenn es sein Wille
gewesen wäre! – Nachdem dies vollendet war, kam der gute Johannes
und führte mich heim. Siehe, meine Tochter, dies hat mein Sohn für
dich gelitten!“
[1]. Wörtl.: „Schwestersohn“; der Lieblingsjünger Jesu.
[2]. Die Übersetzung dieser Stelle ist ergänzt nach der
entsprechenden Episode in Buch IV, 70, die eine Passionsgeschichte
enthält, die dieser in großen Zügen folgt. |
Christi
Worte an die Braut darüber, wie er sich
freiwillig seinen Feinden, die ihn kreuzigten, übergab, und über die
Art und Weise, in Enthaltsamkeit aller Glieder von unzulässigen
Regungen zu leben, nach dem Vorbild seiner hochseligen Pein. |
11. Kapitel |
Christus beschreibt Birgitta sein Leiden und
deutet an, wie sie ihm in diesem Leiden ähnlich werden kann, nämlich
durch ein frommes und enthaltsames Leben.
Gottes Sohn sprach zur Braut, indem er sagte: „Ich bin der Schöpfer
Himmels und der Erde, und es ist mein wahrer Leichnam, der auf dem
Altar geweiht wird. Liebe mich von deinem ganzem Herzen, denn ich habe
dich geliebt. Und ich überließ mich freiwillig meinen Gegnern, meine
Freunde und meine Mutter blieben in bitterstem Schmerz und Weinen zurück.
Als ich den Speer, die Nägel, die Geißel und die anderen Martergeräte
bereit liegen sah, ging ich nichtsdestoweniger froh daran, zu leiden.
Und als mein Haupt an allen Stellen blutig von der Dornenkrone war,
und das Blut nach allen Seiten floß, so hätte ich sogar – falls
meine Feinde auch mein Herz berührt hätten, es lieber verwunden und
in Stücke reißen lassen, als dich zu verlieren. Deshalb bist du in
hohem Maße undankbar, wenn du mich für eine so große Liebe nicht
wiederliebst. Denn wenn mein Haupt am Kreuz deinetwegen zerstochen und
niedergebeugt war, so soll dein Haupt sich in Demut beugen. Und
nachdem meine Augen mit Blut und Tränen gefüllt waren, so sollen
deine Augen sich von lustvollen Anblicken enthalten.
So wie meine Ohren mit Blut gefüllt wurden und die Worte zu hören
bekamen, die gesprochen wurden, mich zu schmähen, so sollen deine
Ohren sich von leichtfertigen und törichten Reden abwenden. So wie
mein Mund den bittersten Trank schmecken musste und der Gute ihm
verweigert, so soll dein Mund vor dem Bösen verschließen und sich
dem Guten öffnen. Und so wie meine Hände mit Nägeln ausgestreckt
waren, so sollen deine Taten, die von den Händen ausgeführt werden,
sich zu den Armen und nach meinen Geboten ausstrecken. Deine Füße,
mit anderen Worten das Verlangen, womit du zu mir gehen sollst, sollen
gekreuzigt werden und sich von Genüssen fernhalten. So wie ich an
allen Gliedern gelitten habe, so mögen alle diese Glieder zu meinem
Dienst bereit sein. Ich verlange nämlich größere Dienste von dir
als von anderen, da ich dir größere Gnade erwiesen habe.“
|
Wie ein Engel für die Braut betet, und wie
Christus den Engel fragt, was er für die Braut begehrt, und was der
Braut nützt. |
12. Kapitel |
Birgittas Schutzengel betet zu Christus für
sie, und Chr. antwortet dem Engel, dass er um ihrer Gebete willen ihr
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit widerfahren lassen wird.
Der gute Engel, welcher der Beschützer der Braut war, wurde
gesehen, wie er zu Christus für dieselbe Braut betet. Der Herr
antwortete ihm und sagte: „Wer für einen anderen beten will, der
soll für sein Wohlergehen beten. Du bist wie ein Feuer, das nie
verlischt und beständig von meiner Liebe brennt. Du siehst und weißt
alles, wenn du mich siehst. Du willst nicht, was ich nicht will. Sag
mir deshalb, was für diese meine neue Braut nützlich ist.“
Der Engel erwiderte: „Herr, du weißt alles.“ Der Herr sagte zu
ihm: Ja, alles, was geschehen ist und geschehen wird, ist ewig in mir.
Und alles im Himmel und auf Erden weiß und kenne ich, und bei mir
gibt es keine Veränderung. Aber damit diese Braut meinen Willen
versteht, so sag nun, während sie zuhört, was für sie nützlich
ist.“
Der Engel sagte: „Sie hat ein stolzes und hochmütiges Herz, und
daher ist eine Rute für sie notwendig, damit sie gezüchtigt wird.“
Da sagte der Herr: „Um was bittest du da für sie, mein Freund?“
Der Engel sagte: „Herr, ich bitte um Erbarmen mit deiner Rute.“
Der Herr sagte: „Um deinetwillen werde ich so mit ihr verfahren,
dass ich niemals Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit übe. Deshalb soll
mich diese Braut von ihrem ganzen Herzen lieben.“
|
Wie der Feind Gottes drei Teufel in sich hat, und
über das Gericht, das Christus über ihn fällt. |
13. Kapitel |
Christus beschreibt Birgitta die Seele eines
sündigen Priesters. Nach dem Zusatz von Petrus Olovsson handelt es
sich um einen Prior in einem Zisterzienserkloster. Steffen
identifiziert ihn mit Abt Ragnvald in Alvastra (Steffen, S. 3-5).
Mein Feind hat drei Teufel in sich. Der erste sitzt im
Geschlechtsorgan, der zweite im Herzen, der dritte im Mund. Der erste
ist wie ein Schiffer, der Wasser durch den Kiel eindringen lässt; das
Wasser steigt so allmählich und füllt das Boot. Daher läuft das
Wasser über, und das Boot sinkt. Dieses Boot ist sein Körper, der
den Anfechtungen der Teufel und seinen eigenen Lüsten ausgesetzt ist,
wie in stürmischen Wogen. Erst ging die Wollust durch den Kiel in
seinen Körper ein, d.h. durch die böse Begierde, womit er sich an
solchen Gedanken ergötzte. Und nachdem er nicht durch Reue und Buße
Widerstand geleistet und das Schiff seines Leibes mit den Nägeln der
Enthaltsamkeit zubereitet hat, so stieg das Wasser der Wollust täglich
an, während er mit dem Bösen einverstanden war. Daher füllte sich
der Bauch des Schiffes mit Begehren, und das Wasser floss über und
ertränkte das Schiff mit Wollust, so dass es nicht in den Hafen der
Erlösung kommen solle.
Der zweite Teufel, der im Herzen sitzt, ist wie ein Wurm in einem
Apfel. Der Wurm frisst zuerst den Kern des Apfels, lässt seinen
Schmutz da und kriecht dann im ganzen Apfel herum, bis er ganz
verdorben ist. So macht es der Teufel. Erst verdirbt er den Willen und
das gute Begehren seines Mannes, die mit einem Kern vergleichbar sind,
wodurch die ganze Kraft der Seele und alles Gute seinen Bestand hat,
und nachdem in dieser Weise geplündert ist, lässt der Teufel
stattdessen weltliche Gedanken und weltliches Begehren in seinem
Herzen, das er mehr liebt. Nun treibt der Teufel seinen Leib zu dem,
was ihm gefällt, und davon wird seine Stärke und sein Verstand
gemindert, und wird von Lebensüberdruss ergriffen. Dieser Mann ist
sicher ein Apfel ohne Kern, nämlich ein Mann ohne Herz, denn ohne
Herz geht er in meine Kirche, nachdem er keinerlei Gottesliebe hat.
Der dritte Teufel ist wie ein Bogenschütze, der zum Fenster hinaus
sieht und auf die Unvorsichtigen schießt. Wie steckt da nicht der
Teufel in ihm, der niemals redet, ohne den Teufel zu nennen? Das, was
man besonders liebt, wird ja öfter genannt. Seine bitteren Worte,
womit er andere verletzt, sind wie Wurfgeschosse, die durch ebenso
viele Fenster abgeschossen werden, wie viel Male der Teufel genannt
wird. Unschuldige werden von seinen Worten verletzt, und einfältige
Menschen nehmen an seinen Worten Anstoß.
Daher schwöre ich in meiner Wahrheit – ich, der ich die Wahrheit
bin – dass ich ihn wie eine Hure zum Schwefelfeuer verurteilen
werde, wie einen Verräter und einen, der Hinterhalte stellt, zur
Zerstückelung aller Glieder und als Verächter meines Herrn zu ewiger
Scham. Doch solange seine Seele und sein Leib zusammen sind, ist meine
Barmherzigkeit für ihn bereit. Was ich von ihm verlange, das ist,
dass er fleißiger im Gottesdienst und in Gebeten ist, keinen Schimpf
zu fürchten und keine Ehre zu ersehen, und dass böse Worte nie von
seinem Mund ausgehen.“
|
Erklärung. |
Dieser Mann war Prior im Zisterzienserorden. Er
hat einen begraben, der im Kirchenbann war. Als er das letzte Begräbnisgebet
für ihn gelesen hatte, hörte Frau Birgitta in Ekstase Folgendes:
„Dieser Mann hat getan, was er nicht hätte tun sollen, und hat
einen Gebannten begraben. Nun sollst du wissen und davon überzeugt
sein, dass er der ist, der als erster nach dem Toten begraben werden
wird. Denn er hat gegen den Vater gesündigt, der gesagt hat, dass man
keine Rücksicht auf die Person nehmen und nicht das Antlitz des
Reiches ehren soll. Aber er hat – wegen einer kleinen, vergänglichen
Sache – den Unwürdigen geehrt und hat ihn, was er doch nicht
sollte, unter die Würdigen versetzt. Er hat gegen meinen Geist gesündigt,
der die Gemeinschaft der Gerechten bildet, als er den Ungerechten mit
den Gerechten begrub. Er hat gegen mich, den Sohn, gesündigt, denn
ich habe gesagt: „Wer mich verschmäht, der wird verschmäht
werden.“ Aber er hat den geehrt und erhört, der meine Kirche und
meinen Stellvertreter verworfen hat.“ Als der Prior diese Worte zu hören
bekam, wurde er von Reue ergriffen, und am vierten Tage danach starb
er. |
Christi Worte an die Braut über die Art und Weise und
die Ehrfurcht, die sie im Gebet erweisen soll, und über drei Arten von
Menschen, die Gott in dieser Welt dienen. |
|
14. Kapitel |
Christus beschreibt Birgitta solche Menschen, die
ihm mit dem Gedanken an weltliche Vorteile dienen, solche, die ihm mit
sklavischer Furcht dienen, und solche, die das aus selbstloser Liebe tun.
Ich bin dein Gott, der ans Kreuz geschlagen wurde, wahrer Gott und
wahrer Mensch in einer Person. Ich bin täglich in des Priesters Händen.[1]
Wenn du ein Gebet zu mir sprichst, so beschließe immer dein Gebet so,
dass du willst, dass immer mein Wille geschehe und nicht der deine. Denn
wenn du für die verdammten betest, höre ich dich nicht. Manchmal wünschst
du auch, dass etwas geschehen soll, was gegen dein Wohlergehen ist, und
deshalb ist es für dich notwendig, deinen Willen mir zu überantworten,
denn ich weiß alles und versehe dich nur mit dem, was nützlich ist.
Viele beten nicht mit rechter Absicht, und daher verdienen sie nicht, erhört
zu werden.
Es gibt drei Arten von Menschen, die mir in dieser Welt dienen. Die erste
Gruppe sind die, die wohl glauben, dass ich Gott bin, der Geber aller
Dinge und mächtig über alles. Sie dienen mir aber in der Absicht, dass
sie Ehre und zeitliche Dinge gewinnen möchten, aber das Himmlische achten
sie für nichts und entbehren es mit Freuden, wenn sie statt dessen das
Gegenwärtige erlangen. Nach ihrem Willen fällt ihnen irdisches Glück in
allem zu. So verpassen sie das Ewige, und mit zeitlichen Vorteilen
vergelte ich ihnen das Gute, das sie getan haben, bis zum letzten
Scherflein und bis zum letzten Augenblick.
Die zweite Art sind die, die glauben, dass ich der allmächtige Gott und
strenger Richter bin, und sie dienen mir aus Furcht vor Strafe, aber nicht
aus Liebe zu der himmlischen Herrlichkeit. Wenn sie sich nicht fürchten würden,
würden sie mir nicht dienen. Die dritte Art sind die, die glauben, dass
ich der Schöpfer aller Dinge und wahrer Gott bin, und glauben, dass ich
gerecht und barmherzig bin.
Sie dienen mir nicht aus Furcht vor irgendeiner Strafe, sondern aus
himmlischer Liebe. Und sie wollen lieber jede Strafe leiden, wenn sie können,
als mich ein einziges Mal zum Zorn zu reizen. Diese verdienen wahrlich,
erhört zu werden, wenn sie beten, denn ihr Wille entspricht dem meinen.
Aber der, der zu der ersten Gruppe gehört, wird niemals aus dem Ort der
Strafe herauskommen und wird nie mein Angesicht sehen. Der, welcher der
zweiten Gruppe angehört wird nicht eine so große Strafe erhalten, aber
er wird mein Antlitz nicht zu sehen bekommen, sofern er nicht Buße und
Besserung für seine Furchtsamkeit tut.
[1]. D.h. in Form des Sakraments. |
Christi Worte an die Braut, womit er sich mit einem
großen König vergleicht, und über die beiden Schatzkammern, mit
denen die Gottesliebe und die weltliche bezeichnet wird, und über die
Jahre, auf diesem Weg des Lebens fortzuschreiten. |
15. Kapitel |
Christus beschreibt Birgitta die Menschen,
die die Genüsse der Welt wählen, und die, die ihn selbst wählen. Er
deutet an, was es bedeutet, ihm auf dem Wege des Verzichts
nachzufolgen, und wie schlecht sich die verhalten, die seine guten
Gaben genießen, aber es ablehnen, ihm zu dienen.
Ich bin mit einem großen und mächtigen König zu vergleichen. Zu
einem König gehören vier Dinge. Zum ersten muß er reich sein, zum
anderen milde, zum dritten weise und zum vierten liebevoll. Ich bin in
Wahrheit König der Engel und aller Menschen. Ich habe auch die vier
eben erwähnten Eigenschaften. Erstens bin ich sehr reich, denn ich
gebe allen ihre notwendigen Bedürfnisse, habe aber nach dieser Gabe
nicht weniger als vorher.
Zweitens bin ich sehr milde, denn ich bin bereit, all denen, die
beten, etwas zu schenken. Drittens bin ich sehr weise, denn ich weiß,
was für einen jeden nützlich ist. Und viertens bin ich liebevoll,
denn ich bin eher bereit, zu geben als ein anderer, der nur begehrt.
Ich bin wie zwei Schatzkammern. In der ersten Schatzkammer werden
schwere Sachen wie Blei verwahrt, und das Haus, in dem sie sind, ist
von scharfen und stechenden Dornen umgeben. Aber der, der zuerst anfängt,
diese schweren Sachen zu bewegen und danach lernt, sie zu tragen, für
ihn scheinen sie dann so leicht zu sein wie Daunen. Und so werden die
Dinge äußerst leicht, die vorher schwer zu sein schienen, und die
werden lieblich, von denen man vorher glaubte, sie würden stechen.
In der zweiten Schatzkammer scheint glänzendes Gold und kostbare
Steine sowie wohlriechende und süße Getränke zu sein. Gold ist
jedoch in Wirklichkeit Schmutz, und die Getränke Gift. Zu diesen führen
zwei Wege, aber vorher war es nur ein einziger Weg. An der
Weggabelung, d.h. wo die beiden Wege beginnen, stand ein Mann und rief
den drei Männern zu, die auf einem anderen Weg vorangingen: „Hört,
hört meine Worte, und wenn ihr nicht hören wollt, so seht
zumindesten mit euren Augen, dass er wahr ist, was ich spreche. Aber
wenn ihr weder hören noch sehen wollt, so fühlt mit den Händen und
prüft, das in meinem Worten kein Falsch ist.“
Da sagte der erste von ihnen: „Wollen wir hören und sehen, ob seine
Worte wahr sind!“ Der andere Mann sagte: „Es ist eine Lüge, was
er sagt.“ Der dritte sagte: „Ich weiß, dass es wahr ist, was er
sagt, aber ich kümmere mich nicht darum.“
Was sind diese beiden Schatzkammern anderes, wenn nicht meine Liebe
und die Liebe zur Welt? Aber zu den beiden Schatzkammern führen zwei
Wege. Entsagung und völliger Verzicht auf den eigenen Willen führt
zu meiner Liebe, aber der genuß des Fleisches führt zur Weltliebe.
In meiner Leibe scheint für manche eine bleischwere Last zu liegen,
denn wenn sie fasten, wachen oder ihr Fleisch zügeln sollen,
empfinden sie das, als ob sie Blei schleppen würden, und wenn sie
Schmähworte zu hören bekommen oder in Andacht und Gebet verweilen müssen,
ist es, als ob sie zwischen Dornen sitzen würden, und sie ängstigen
sich zu jeder Stunde.
Wer in meiner Liebe sein will, soll zuerst beginnen, die Last zu
wenden, d.h. zu versuchen, durch seinen Willen und beständiges
Verlangen das Gute zu tun. Dann mag er ein wenig und ganz allmählich
die Last zu heben, d.h. das tun, was er kann, indem er so denkt.“
„Das kann ich gut machen, wenn Gott mir dabei hilft. Dann soll er in
dem Begonnenen fortfahren und mit so großer Freude das zu tragen
beginnen, was ihm erst schwer zu sein schien, so dass jede Beschwer in
Fastenzeiten, Zeiten der Wache oder irgendwelchen anderen Mühen ihm
so leicht wie Flaumfedern scheint.
Und an einer solchen Stelle weilen meine Freunde; sie ist von bösen
und ermüdenden Dingen wie von Stacheln und Dornen umgeben, aber für
meine Freunde ist es der höchste Frieden und lind wie Tau. Der rechte
Weg zu dieser Schatzkammer ist, seinen eigenen Willen aufzugeben, und
das tut der Mensch, wenn er mein Leiden und meine Liebe betrachtet,
nicht nach seinem eigenen Willen fragt, sondern ihm mit allen Kräften
widersteht und immer nach dem Höheren strebt. Und obwohl dieser Weg
zu Anfang etwas schwer ist, so macht er doch im weiteren Verlauf so
viel Freude, dass das, was vorher unmöglich zu ertragen schien, dann
am allerleichtesten wird, so dass man mit Recht zu sich selbst sagen
kann: „Gottes Joch ist lieblich.“
Die zweite Schatzkammer ist die Welt. Darin gibt es Gold, kostbare
Steine und Getränke, die wohlriechend zu sein scheinen, aber, wenn
man sie schmeckt, bitter wie Gift sind. Jeder, der dieses Gold trägt,
muß, wenn sein Körper schwach wird, die Glieder ihre Kraft
verlieren, sein Knochenmark zunichte wird und sein Leib tot zu Boden fällt,
das Gold und die Edelsteine verlassen, denn sie nützen ihm dann nicht
mehr, als Schmutz. Und die Getränke der Welt, d.h. ihre Genüsse, die
scheinen angenehm zu sein, aber wenn sie in den Bauch gelangen, schwächen
sie den Kopf, beschweren das Herz und zerstören alle Glieder, und
dann verdorrt der Mensch wie Gras, und wenn der Todeskampf naht,
werden alle Genüsse bitter wie Gift. Zu dieser Schatzkammer führt
der Eigenwille, wenn der Mensch sich nicht darum kümmert, seinen bösen
Neigungen zu widerstehen und nicht darüber nachdenkt, was ich
vorgeschrieben und getan habe, sondern gleich das tut, was ihm einfällt,
mag es nun zulässig oder unzulässig sein.
Auf diesem Wege wandern drei Männer, und mit diesen meine ich alle bösen
Menschen, die die Welt und nur ihren eigenen Willen lieben. Zu diesen
rief ich, als ich an der Wegegabelung oder am Anfang des Weges stand,
denn als ich in menschlicher Gestalt kam, zeigte ich den Menschen
gleichsam zwei Wege, nämlich den, dem sie folgen sollten, und den,
den sie vermeiden sollten – oder mit anderen Worten, den Weg, der
zum Tode führt. Denn vor meiner Ankunft im Fleisch gab es nur einen
einzigen Weg, auf dem alle guten und bösen Menschen zum Totenreich
wanderten.
Ich bin der, der rief, und ich rief so: „Ihr Menschen, hört meine
Worte, die auf den Weg des Lebens führen, denn sie sind wahr, und mit
euren eigenen Sinnen könnt ihr fassen, dass es wahr ist, was ich
rede. Und wenn ihr sie nicht hört oder sie nicht hören könnt, so
seht wenigstens, d.h. mit Glauben und Vernunft, dass meine Worte wahr
sind. Denn so wie etwas mit den Augen des Fleisches als sündhaft
aufgefasst wird, so können die unsichtbaren Dinge mit den Augen des
Glaubens unterschieden und geglaubt werden.
Es gibt reale einfältige Menschen in der Kirche, die wenig Gutes tun,
aber dennoch durch den Glauben erlöst werden, mit dem sie glauben,
dass ich der Schöpfer und Erlöser aller Dinge sei. Es gibt ja
niemanden, der nicht verstehen und glauben kann, dass ich Gott bin,
wenn er betrachtet, wie die Erde Frucht bringt und der Himmel Regen
gibt, wie die Baume grünen, wie die Tiere jedes in seiner Art
bestehen wie die Sterne dem Menschen dienen, und wie manche Sachen und
Dinge dem Willen des Menschen entgegenstehen.
An all dem kann der Mensch sehen, dass er sterblich ist, und dass es
Gott ist, der all dies anordnet. Denn wenn es Gott nicht gäbe, so würde
dies alles in ungeordneter Weise gehen. So ist alles von Gott, und
alles ist zum Nutzen des Menschen vernünftig angeordnet. Es gibt
nicht das Geringste auf Erden, das ohne vernünftigen Anlaß ist oder
besteht. So kann der Mensch, wenn er auf Grund von Schwachheit meine
Macht, so wie sie ist, nicht fassen oder verstehen kann, sie doch mit
Glauben sehen und daran glauben.
Aber wenn ihr Menschen meine Macht nicht mit eurem Verstand betrachten
wollt, so könnt ihr doch mit euren Händen die Taten spüren, die ich
und meine Heiligen getan haben. Sie sind nämlich so offenbar, dass
niemand bezweifeln kann, dass sie Gottes Taten sind. Wer weckte Tote
auf und gab den Blinden Sehkraft, wenn nicht Gott? Wer trieb böse
Geister aus, wenn nicht Gott? Was habe ich gelehrt, wenn nicht das,
was nützlich für das Wohlergehen der Seele und des Leibes und leicht
zu tragen ist?
Aber was der erste Mann sagte, das bedeutet, dass manche sagen:
„Wollen wir hören, und prüfen, ob das wahr ist.“ Sie stehen eine
Zeitlang in meinem Dienst, nicht aus Liebe, sondern zum Versuch und um
andere nachzuahmen; sie übergeben nicht ihren eigenen Willen, sondern
führen ihn zugleich mit meinem Willen aus. Sie haben eine gefährliche
Stellung, denn sie wollen zwei Herren dienen, obwohl sie keinem von
beiden richtig dienen können. Wenn sie gerufen werden, werden sie von
dem Herrn entlohnt, den sie am meisten geliebt haben.
Was der zweite Mann sagte, das bedeutet, dass manche sagen: „Es ist
Lüge, was er sagt, und die Schrift ist falsch.“ Ich bin Gott und
aller Dinge Schöpfer, und ohne mich ist nichts gemacht worden. Ich
habe das neue und das alte Gesetz gestiftet; sie gingen aus meinem
Munde hervor, und es gibt keine Unwahrheit darin, denn ich bin die
Wahrheit. Deshalb werden die, die sagen, dass ich die Unwahrheit
gesagt habe und dass die Hl. Schrift falsch ist, niemals mein Antlitz
sehen, denn ihr Gewissen sagt ihnen, dass ich Gott bin, da alles nach
meinem Willen und meiner Anordnung geschieht.
Der Himmel leuchtet ihnen, und selbst können sie sich nicht
erleuchten. Die Erde trägt Frucht, die Luft macht die Erde fruchtbar,
alle Tiere haben eine besondere Bestimmung, sogar die Teufel bekennen
mich, und gerechte Menschen leiden unglaubliche Dinge aus Liebe zu mir
– all dies sehen sie, und doch sehen sie mich nicht. Sie könnten
mich auch an meiner Gerechtigkeit erkennen, wenn sie darauf achten würden,
wie die Erde die Gottlosen verschlingt und wie das Feuer die
Ungerechten verbrannt haben.
Sie könnten mich auch an meiner Barmherzigkeit sehen: Wie das Wasser
für die Gerechten aus dem Felsen floß und das Wasser des Meeres
unter ihnen zurückwich, als das Feuer es unterließ, ihnen zu
schaden, und wie der Himmel und die Erde sie ernährte. Weil sie dies
sehen und doch sagen, dass ich lüge, so werden sie niemals mein
Antlitz zu sehen bekommen.
Was der dritte Mann sagt, das bedeutet: dass manche sagen: „Wir
wissen sehr gut, dass er wahrer Gott ist, aber wir kümmern uns nicht
darum.“ Diese werden in Ewigkeit gepeinigt werden, denn sie
verachten mich, der ihr Gott und Herr ist. Ist es nicht eine große
Verachtung, dass sie meine guten Gaben benutzen und doch verschmähen,
mir zu dienen? Denn wenn sie dieses Gute durch ihren eigenen Fleiß
und nicht ganz und gar durch mich hätten, so wäre die Verachtung
leicht.
Aber die, die beginnen, meine Bürde zu tragen, d.h. freiwillig und
mit heißem Verlangen versuchen, das wenige zu tun, das sie können,
denen werde ich meine Gnade schenken. Und die, die meine Lasten
aufnehmen, d.h. aus Liebe zu mir Tag für Tag in diesem Guten
Fortschritte machen, mit denen arbeite ich, und ich werde ihre Stärke
und sie entflammen, so dass sie noch mehr wollen.
Aber die, die auf der Stelle sitzen, die sie zu bedrücken scheint,
aber doch den höchsten Frieden haben – sie arbeiten geduldig Tag
und Nacht und ermüden nicht, sondern glühen mehr und mehr, und das,
was sie ausrichten, scheint ihnen gering zu sein. Das sind meine
liebsten Freunde, und es sind nur sehr wenige, denn die Getränke der
anderen Schatzkammer erquicken die anderen mehr.“
|
16.
Kapitel |
Vor Birgittas Augen streiten sich die
Jungfrau Maria und der Teufel um das Recht an der Seele einer noch
lebenden Frau. Der Disput, der die kommenden himmlischen
Gerichtsszenen vorwegnimmt, endet damit, dass die Jungfrau Maria die
Frau aus der Gewalt des Teufels befreit. Nach dem Zusatz von Petrus
Olovsson handelt es sich um eine Dirne, die sich von Birgitta zu einem
besseren Leben bekehren läßt. Die Frau wird auch in der
Lebensbeschreibung der beiden Beichtväter und im Vorwort von Magister
Mattias erwähnt. Sie ist wahrscheinlich identisch mit der Margareta,
die an ein paar Stellen in den Acta et processus canonizacionis beate
Birgitta, S. 19, 585 genannt wird.
Die Braut sah einen Heiligen, der zu Gott sprach und sagte:
”Warum wird die Seele dieser Frau, die du mit deinem Blut erlöst
hast, von den Teufeln so misshandelt?“ Der Teufel antwortete gleich.
– „Deshalb, weil sie mit Recht mir gehört. „Da sagte der Herr:
„Mit welchem Recht gehört sie dir?“ Der Teufel erwiderte: „Es
gibt zwei Wege. Der eine führt zum Himmelreich und der andere zur Hölle.
Als sie beide Wege schaute, sagte ihr Gewissen und Verstand, dass sie
meinen Weg vorziehen sollte, und da sie den freien Willen hatte, den
Weg einzuschlagen, den sie wollte, schien es ihr bequemer, ihren
Willen darauf zu richten, Sünde zu begehen.
Dann betrog ich sie mit drei Sünden, nämlich Schwelgerei, Geldgier
und Geilheit. Daher sitze ich jetzt in ihrem Bauch und ihrer Natur.
Und ich halte sie mit fünf Händen fest. Mit der ersten Hand halte
ich ihre Augen, so dass sie die geistlichen Dinge nicht gewahr werden
kann. Mit der zweiten Hand halte ich ihre Hände, so dass sie keine
guten Taten tun mag. Mit der dritten Hand halte ich ihre Füße, so
dass sie nicht zu dem gehen mag, was gut ist. Mit der vierten halte
ich den Verstand, so dass sie sich nicht schämen mag, zu sündigen.
Und mit der fünften Hand halte ich ihr Herz, so dass sie nicht durch
Reue zu dem Richtigen zurückkehren mag.“ Da sagte die hl. Jungfrau
Maria zu ihrem Sohn: „Sohn, zwinge ihn, die Wahrheit über die Sache
zu sagen, nach der ich ihn fragen will!“ Der Sohn sagte: „Du bist
meine Mutter, du bist die Königin des Himmels und die Mutter der
Barmherzigkeit; du bist der Trost für die, die im Fegefeuer sitzen,
und die Freude für die, die auf Erden umherwandern; du bist die
Herrscherin der Engel, du hast den höchsten Platz bei Gott, und du
hast ebenso Macht über den Teufel. Befiehl deshalb diesem Teufel, was
du willst, o Mutter – so wird er es dir sagen.“
Da fragte die hl. Jungfrau diesen Teufel: „Sag mir, Teufel, welche
Absicht hatte diese Frau, ehe sie in die Kirche ging?“ Der Teufel
antwortete ihr: „Sie hatte vor, sich von Sünde fernzuhalten.“ Die
Jungfrau Maria sagte zu ihm: „Nachdem der Wille, den sie vorher
hatte, zur Hölle führte, so sage, wohin der Wille führt, den sie
jetzt hat, nämlich ihr Wille, sich von Sünde fernzuhalten.“
Der Teufel sagte widerwillig: „Dieser Wille, sich davon
fernzuhalten, führt sie zum Himmel.“ Da sagte Jungfrau Maria:
„Wenn du von der Gerechtigkeit die Macht erhalten hast, sie wegen
ihres früheren Willens vom Weg der hl. Kirche abzuberufen, so ist es
nun gerecht, dass sie jetzt durch den Willen, den sie jetzt hat, zur
Kirche zurückgeführt wird. Aber jetzt, Teufel, frage ich dich noch
etwas. Sag, welchen Willen sie an dem Punkt hat, an dem sich ihr
Gewissen jetzt befindet.“
Der Teufel antwortete: „Sie empfindet in ihrem Sinn Reue und große
Trübsal über das, was sie getan hat, und nimmt sich vor, so etwas
nie mehr zu begehen, sondern sie will sich bessern, so viel sie
kann.“ Da fragte die Jungfrau den Teufel: „Sag mir, können diese
drei Sünden, nämlich Geilheit, Schwelgerei und Geldgier, nicht mit
diesen drei guten Dingen zusammen sein, nämlich Reue, Trübsal und
der Vorsatz, sich zu bessern, in ein und demselben Herzen wohnen?“
Der Teufel erwiderte: „Nein.“ Da sagte die hl. Jungfrau: „Sag
mir also, welche von diesen muß aus ihrem Herzen weichen: Diese drei
Tugenden oder diese drei Laster? Du sagst ja, dass sie nicht zusammen
an ein und demselben Platz wohnen können.“ Der Teufel sprach:
„Ich sage, dass die Sünden weichen sollen.“ Da antwortete die
Jungfrau: „Also ist der Weg zur Hölle für sie verschlossen, und
der Weg zum Himmelreich ist für sie aufgetan.“ Nun fragte die hl.
Jungfrau den Teufel weiter: „Sag mir: Wenn ein Räuber draußen vor
dem Haus der Braut liegen würde und sie vergewaltigen wollte, was würde
dann der Bräutigam machen?
Der Teufel gab zur Antwort: „Wenn der Bräutigam gut und edelgesinnt
ist, so muß er sie verteidigen und sein Leben für ihr Leben
wagen.“ Da sagte die Jungfrau: „Du bist der schlimmste Räuber,
und die Seele ist die Braut meines Sohnes, denn er hat sie mit seinem
eigenen Blut erlöst. Du hast sie geschändet und sie mit Gewalt
genommen. Aber nachdem mein Sohn der Bräutigam der Seele und Herr über
dich ist, geziemt es sich für dich, vor ihm zu fliehen.“
|
Erklärung |
Diese Frau war eine Dirne. Sie wollte zur Welt zurückkehren,
denn der Teufel plagte sie Tag und Nacht, so dass er in sichtbarer
Gestalt ihre Augen herabdrückte und sie im Beisein vieler aus dem
Bett zog. Die heilige Birgitta sagte da im Beisein vieler glaubwürdiger
Personen offen: „Weichehinweg, Teufel, denn du hast dieses
gottgeschaffene Wesen genug geplagt!“[1]
Nachdem sie das gesagt hatte, lag die Frau eine halbe Stunde mit zur
Erde gesenkten Augen da, und als die sich erhob, sagte sie: „Ich
habe in Wahrheit den Teufel in widerlichster Gestalt durchs Fenster
hinausgehen sehen, und ich hörte eine Stimme, die zu mir sagte: „Du
bist in Wahrheit befreit, Frau!“ Nach der Stunde war die Frau von
aller Ungeduld befreit, wurde nicht mehr von unreinen Gedanken geplagt
und starb einen guten Tod.
[1]. Es handelt sich um einen sog. Exorzismus. |
17. Kapitel |
Christus beschreibt Birgitta eine hochmütige
und raubgierige Person; nach dem Zusatz von Petrus Olovsson ein
Schwedischer Edelmann.
Ich bin Jesus Christus, der mit dir spricht. Ich war als wahrer
Gott und Mensch im Schoß der Jungfrau, war aber nichtsdestoweniger
mit dem Vater und lenkte alles, obwohl ich bei der Jungfrau war.
Dieser mein elender Widersacher ist wie drei Dinge. Zum ersten ist er
wie ein Adler, der in der Luft fliegt, und unter dem andere Vögel
fliegen. Zweitens ist er wie ein Vogelfänger, der auf einer mit
dickem Leim beschmierten Flöte bläst. Die Vögel werden von seinem
Spiel entzückt und fliegen auf die Flöte zu, bleiben aber am Leim
kleben.
Drittens ist er ein Hüne, der in jedem Wettkampf der erste ist. Er
gleicht dem Adler, weil er in seinem Hochmut nicht duldet, dass manche
über ihm sind, und mit den Klauen seiner Bosheit verletzt er alle, an
die er kommt. Daher werde ich die Schwingen seiner Gewalt und seines
Übermutes abhauen. Ich werde seine Bosheit von der Erde fortnehmen
und ihn dem ewig siedenden Kessel übergeben, wenn er sich nicht
bessert.
Er gleicht dem Vogelfänger, weil er alle mit leiblichen Worten und
Versprechungen zu sich zieht, und weil alle, die zu ihm kommen, so im
Verderben stecken bleiben, dass sie nie mehr davon loskommen können.
Daher werden die Vögel der Hölle seine Augen zubinden, so dass er
nie mehr meine Ehre ohne das ewige Dunkel der Hölle zu sehen bekommt.
Sie werden seine Ohren abhauen, so dass er nicht die Worte meines
Mundes hören kann. Sie werden ihm vom Scheitel bis zur Sohle
Bitterkeit statt Liebes zufügen, so dass er so viele Qualen ausstehen
muß, wie er Menschen ins Verderben geführt hat.
Er ist auch wie ein Hüne, der der Erste in allem Bösen ist, keinem
weichen will, sondern sich vornimmt, alle zu unterdrücken. Daher wird
er wie ein Hüne in jeder Qual der erste sein; seine Pein wird immer
erneuert werden, und sein Weh wird nie ein Ende haben. Dennoch steht
meine Barmherzigkeit für ihn bereit, so lange die Seele noch im Liebe
ist.“
|
Erklärung |
Das war ein sehr mächtiger Ritter, der die
Priesterschaft sehr haßte und ihr Schimpfworte zufügte. Über ihn
ist die vorige Offenbarung und ebenso die folgende gemacht. Gottes
Sohn sagt: „Du Ritter der Welt, frage die Weisen, was dem hochmütigen
Haman[1] geschah, der mein Volk verachtete. Erlitt er nicht einen
schimpflichen Tod und Schande? So verhöhnt dieser Ritter mich und
meine Freunde. So wie Israel Hamans Tod nicht beweinte, so werden auch
meine Freunde nicht über seinen Tod weinen, sondern er wird den
bittersten Tod sterben, sofern er sich nicht bessert.“ Es kam auch
in dieser Weise.
[1]. Siehe Buch Esther, Kap. 7. |
Bauregeln für das Vadstena-Kloster |
18. Kapitel |
Christus gibt zum ersten Mal Anweisungen über
das Kloster, das Birgitta bauen soll. Es handelt sich um ein
Doppelkloster, wo „eine starke Mauer“ die Männerabteilung von der
der Frauen trennt. Betreffs der ökonomischen Beiträge zu dem künftigen
Kloster sagt Christus, dass diese Spenden nicht aus unrechtmäßig
erworbenen Gütern bestehen dürfen.
In meinem Hause soll sich alle Demut finden, die jetzt gänzlich
verschmäht ist. Dort (im Kloster) soll zwischen Männern und Frauen
ein starke Mauer sein, denn obwohl ich (Christus) alle verteidigen und
alle ohne Mauer halten kann, so will ich dennoch als Vorsichtsmaßnahme
und wegen der Schlauheit des Teufels, dass eine Mauer beide Wohnhäuser
trennen soll. Sie soll stark sein, nicht sehr hoch, sondern mäßig
hoch.
Die Fenster sollen sehr einfach und klar sein, das Dach mäßig hoch,
so dass dort nichts zu sehen ist, das nicht vor Demut duftet. Denn
die, die jetzt mein Haus bauen, sind den Baumeistern gleich, die –
wenn der Bauherr bei ihnen eintritt – ihn bei den Haaren packen und
ihn unter die Füße treten; den Schmutz schleudern sie in die Höhe,
und das Gold trampeln sie unter die Füße.
So tun es viele mit mir. Sie bauen nämlich Schmutz auf, d.h. diese
vergänglichen, weltlichen Dinge erheben sie hoch wie zum Himmel, aber
um die Seelen, die kostbarer sind als Gold, kümmern sie sich wenig.
Wenn ich durch meine Prediger oder durch gute Gedanken zu ihnen
eingehen will, so packen sie mich an den Harren und treten mich unter
die Füße, d.h. sie schmähen mich und sehen meine Toten und meine
Worte verächtlich an wie Schmutz. Sich selber halten sie dagegen für
sehr viel klüger. Aber wenn sie für mich und zu meiner Ehre bauen
wollen, dann sollen sie erst die Seelen erbauen.
Wer jetzt mein Haus bauen will, soll mit äußerster Genauigkeit
darauf achten, dass nicht ein Pfennig dort verwendet wird, der nicht
gut und rechtmäßig erworben ist. Es gibt ja viele, die wissen, dass
sie unrechtmäßig erworbene Güter besitzen, und trotzdem sorgen sie
sich nicht deswegen und haben nicht der Willen, Genugtuung zu leisten
und sie denen zurückzugeben, die sie betrogen und ausgeplündert
haben, obwohl sie die Dinge zurückgeben und Ersatz leisten könnten,
wenn sie wollten. Aber nachdem sie bei sich denken, dass sie dies
nicht in Ewigkeit besitzen können, geben sie den Kirchen einen Teil
der Güter, die unrechtmäßig erworben sind, als ob sie mich durch
dieses Geschenk besänftigen wollten. Aber andere Güter, die wohl
erworben sind, bewahren sie für ihre Nachkommen.
Das gefällt mir wahrhaftig nicht. Wer mir mit seinen Gaben gefallen möchte,
der mag nämlich zuerst das Verlangen haben, sich zu bessern und dann
die guten Werke tun, die er kann. Er sollte auch weinen und das Böse
bedauern, das er getan hat und es dann zurückgeben, falls er das
kann; und kann er es nicht, so sollte er den Willen haben, das heimtückisch
Erworbene zurückzugeben. Dann soll er sich hüten, so etwas nicht
mehr zu begehen.
Aber wenn sich keiner findet, dem er das zu Unrecht Erworbenen zurückgeben
kann, dann könnte er es mir geben, denn ich kann allen das zurückgeben,
was ihnen gehört. Wenn er es nicht zurückgeben kann, sich aber mit
dem Vorsatz, sich zu bessern, und mit zerknirschtem Herzen sich vor
mir demütig, so bin ich reich genug, es zurückzuzahlen, und ich kann
allen Betrogenen ihr Eigentum zurückerstatten, entweder in dieser
Welt, oder in der kommenden.
Ich will dir sagen, was das Haus, das ich bauen will, bedeutet. Dieses
Haus ist das Klosterleben, und sein Fundament bin ich, der alles
geschaffen hat, und durch den alles gemacht ist und Bestand hat. In
diesem Hause sind vier Wände. Die erste ist meine Gerechtigkeit, mit
der ich die richten werde die diesem Hause feindlich sind. Die andere
Wand ist meine Weisheit, mit der ich die Bewohner durch meine Einsicht
und meinen Verstand erleuchten werde. Die dritte ist meine Macht,
womit ich sie gegen die Ränke des Teufels stärken werde. Die vierte
Wand ist meine Barmherzigkeit, die alle die annimmt, die darum bitten.
In dieser Wand ist das Tor der Gnade, durch das alle empfangen werden,
die darum bitten.
Das Dach des Hauses ist die Liebe, mit der ich die Sünden derer verhülle,
die mich lieben, damit sie ihrer Sünden wegen nicht verurteilt
werden. Das Dachfenster, wodurch die Sonne eindringt,[1] ist die
Betrachtung meiner Gnade, wodurch die Wärme meiner Göttlichkeit zu
den Einwohnern eindringt. Daß die Mauer stark und groß sein muß,
bedeutet, dass niemand meine Worte abschwächen oder verwerfen soll.
Daß sie einigermaßen hoch sein muß, bedeutet, dass meine Weisheit
nur teilweise verstanden und erfasst werden kann, aber niemals vollständig.
Die einfachen, aber klaren Fenster bedeuten, dass meine Worte –
obwohl sie schlicht sind – doch durch sie das Licht der göttlichen
Erkenntnis in die Welt eindringt. Das einigermaßen hohe Dach
bedeutet, dass meine Worte nicht in einer unbegreiflichen Weise
offenbart wurden, sondern in begreiflicher und verständlicher Weise.
[1]. Der mittelalterliche Wohnraum war bekanntlich mit einem
Dachfenster versehen. |
19. Kapitel |
Christus beklagt sich bei Birgitta über die
Undankbarkeit der Menschen im gegenüber und droht mit einem strengen
Gericht.
Ich bin der Schöpfer des Himmels und der Erde. Ich habe drei
Eigenschaften. Ich bin am mächtigsten, ich bin am weisesten, und ich
bin auch am tugendhaftesten. Ich bin nämlich so mächtig, dass die
Engel im Himmel mich verehren, die Teufel in der Hölle nicht wagen,
mich zu betrachten, und alle Elemente meinem Befehl gehorchen. Ich bin
auch so weise, dass niemand meine Weisheit zu ergründen vermag, und
habe so große Einsicht, dass ich alles weiß, was schon geschehen ist
und noch geschehen soll.
Ich bin dazu so vernünftig, dass nicht einmal der kleinste Wurm oder
irgendein anderes Tier, wie hässlich es auch aussehen mag, ohne
Ursache erschaffen ist. Ich bin auch so tugendhaft, dass alles Gute
wie aus einer guten Quelle aus mir hervorströmt, und alle Süßigkeit
von mir wie aus einem guten Weinstock hervorgeht. Daher kann niemand mächtig
sein ohne mich, niemand weise oder tugendhaft sein ohne mich. Und
deshalb sündigen die Mächtigen der Welt in hohem Maße gegen mich.
Ich habe ihnen Stärke und Macht gegeben, damit sie mich ehren sollen,
aber sie haben die Ehre sich selber erwiesen, als ob sie sie von sich
selber hätten.
Diese Elenden sehen ihre Ohnmacht nicht ein. Denn wenn ich ihnen auch
nur die Kleinste Krankheit sende, so würden sie gleich
dahinschwinden, und alles würde für sie wertlos sein. Wie sollten
sie dann meiner Stärke und den ewigen Strafen widerstehen?
Aber noch mehr sündigen die gegen mich, von denen es jetzt heißt,
dass sie weise sind. Denn ich habe ihnen seelische Kräfte, Verstand
und Weisheit verliehen, damit sie mich lieben sollen, aber sie
verstehen nichts von dem, was nicht zu ihrem zeitlichen Nutzen dient.
Sie haben die Augen im Nacken und achten nur auf das, was sie amüsiert,
aber sie sind so blind, dass sie mir nicht danken, der ihnen alles
gegeben hat – denn niemand, weder die Guten noch die Bösen – könnten
etwas kennen und verstehen ohne mich, obwohl ich es zulasse, dass die
Bösen ihren Willen auf das richten, was sie begehren,
Niemand kann auch tugendhaft sein ohne mich. Deshalb kann ich jetzt
das Sprichwort sagen, was der kleine Mann im allgemein anzuführen
pflegt: „Wer geduldig ist, wird von allen verachtet.“ So werde ich
nun von den Menschen wegen meiner Geduld für äußerst töricht
gehalten, und daher werde ich von allen verachtet. Aber wehe ihnen,
wenn diese Zeit meiner Geduld zu Ende ist, und sie mein Gericht zu
sehen bekommen. Sie werden dann vor mir wie der Schmutz sein, der in
die äußerste Tiefe hinabfällt und nicht aufgehalten wird, ehe er in
die tiefste Hölle geraten ist.“
|
20. Kapitel |
Christus schärft Birgitta ein, welche
Enthaltsamkeit und Demut sich für sie in ihrer Eigenschaft als seine
Braut geziemt.
Gottes Mutter wurde gehört, wie sie zu ihrem Sohne sagte: „Der
Ehrenkönig bist du, mein Sohn, Du bist Herr über alle Herren. Du
hast den Himmel und die Erde und alles, was darin ist geschaffen. Es
geschehe deshalb all dein Begehren, es geschehe all dein Wille!“
Der Sohn erwiderte: „Es ist ein altes Sprichwort“ „Was der Junge
in seiner Jugend lernt, das bewahrt er auch in seinem Alter.“ So
hast auch du, Mutter, von Jugend an gelernt, meinen Willen zu befolgen
und all deinen Willen um meinetwillen aufzugeben. Daher hast du gut
daran getan, zu sagen: „Es geschehe dein Wille.“
Du bist wie kostbares Gold, das man auf einen harten Amboß legt und
schlägt, denn du bist mit allen Kümmernissen geschlagen, und durch
mein Leiden hast du mehr gelitten, als jeder andere gelitten hat. Denn
als mein Herz am Kreuz auf Grund deines gewaltigen Schmerzes brach,
wurde damit dein Herz wie von einem schärfsten Eisen verwundet, und du
hättest es gern zerrissen werden lassen, wenn das mein Wille gewesen
wäre. Aber wenn du mein Leiden hättest lindern und mein Leben
gewollt hättest, so hättest du das doch nicht gewollt, wenn es nicht
mein Wille gewesen wäre. Daher tust du gut daran, zu sagen: „Es
geschehe dein Wille.“
Dann sprach Maria zur Braut (Birgitta): „Du Braut meines Sohnes,
liebe meinen Sohn, denn er liebt dich, und ehre seine Heiligen, die in
seiner Nähe stehen. Denn sie sind wie unzählige Sterne, deren Licht
und Glanz mit keinem anderen Licht der Welt vergleichbar ist. Das
Licht der Welt unterscheidet sich vom Dunkel, aber noch mehr
unterscheidet sich das Licht der Heiligen vom Lichte dieser Welt. Ich
sage dir in Wahrheit, - wenn die Heiligen in ihrer Klarheit so zu
sehen wären, wie sie sind, so würde kein menschliches Auge dies
ertragen, sondern sein körperliches Sehvermögen verlieren.“
Danach sprach der Sohn der Jungfrau zu seiner Braut (Birgitta) und
sagte: „Mein Braut, du musst vier Eigenschaften haben. Erstens musst
du zur Hochzeit mit meiner Göttlichkeit bereit sein, worin sich kein
fleischliches Begehren findet, sondern die lieblichste geistliche
Lust, eine solche, wie es Gott geziemt, sie mit keuscher Seele zu
besitzen. Die Liebe zu deinen Kindern, zu deinem zeitlichen Gut oder
zu deinen Verwandten soll dich nicht von der Liebe zu mir ablenken. Es
soll mit dir nicht so gehen, wie mit den törichten Jungfrauen, die
nicht bereit waren, als der Herr sie zur Hochzeit rufen wollte, und
deshalb ausgesperrt wurden.
Zweitens sollst du meinen Worten glauben, denn ich bin die Wahrheit,
und aus meinem Munde ist niemals etwas anderes als Wahrheit
hervorgegangen, und niemand kann in meinen Worten etwas anderes als
Wahrheit finden. Manchmal lege ich eine geistliche Bedeutung in das,
was ich rede, und manchmal meine ich auch das, was die Worte ausdrücklich
sagen, und meine Worte sind bei einer solchen Gelegenheit ohne ein
Gleichnis zu verstehen. Daher kann mich niemand wegen Unwahrheit
beschuldigen.
Drittens musst du gehorsam sein, so dass du mit Recht Buße und
Besserung von all den Gliedern verlangen kannst, mit denen du gesündigt
hast. Denn wenn ich auch barmherzig bin, verlasse ich doch nicht die
Gerechtigkeit. Daher sollst du denen, denen du Gehorsam schuldest, demütig
und froh gehorchen, so dass du nicht einmal das tust, was dir selber nützlich
und vernünftig scheint, wenn es gegen den Gehorsam ist. Es ist nämlich
besser, um des Gehorsams willen auf seinen eigenen Willen zu
verzichten, auch wenn er gut ist, um den Willen des Vorgesetzten zu
befolgen, soweit dieser nicht gegen die Erlösung der Seele oder in
anderer Weise unvernünftig ist.
Viertens musst du demütig sein, denn du bist in eine geistliche Ehe
eingebunden. Du sollst also bei der Ankunft deines Bräutigams demütig
und bescheiden sein. Deine Dienerin sei maßvoll und gezügelt, d.h.
dein Körper sei enthaltsam und wohlerzogen. Du sollst ja fruchtbar
mit geistlicher Saat sein, vielen, zum Nutzen. Denn so wie der kleine
Zweig, wenn er auf einen dürren Stamm gepfropft wird, den Stamm zum
Grünen bringt, so sollst du durch meine Gnade grünen und Frucht
bringen. Meine Gnade wird dich berauschen, und von dem süßen Wein,
den ich dir geben werde, wird die ganze Heerschar des Himmels erfreut
werden.
Du darfst die Hoffnung auf meine Güte nicht aufgeben. Ich versichere
dir, dass – wie Zacharias und Elisabeth in ihren Seelen von
unaussprechlicher Freude über das Versprechen eines zukünftigen
Kindes erfüllt wurden – so sollst auch du dich über meine Gnade
freuen, die ich dir schenken will, und dazu sollen andere durch dich
erfreut werden. Mit diesen beiden, Zacharias und Elisabeth, sprach ein
Engel, aber ich, der Gott und Schöpfer der Engel und dein Gott, rede
selbst mit dir.
Diese beiden gebaren meinen liebsten Freund Johannes, aber ich will
mir durch dich viele Söhne gebären, keine leiblichen, sondern
geistliche. Ich sage dir in Wahrheit, dass dieser Johannes wie ein
Rohr war, voller Lieblichkeit und Honig, denn in seinem Mund drang
niemals etwas Unreines ein, und niemals nahm sein Leib etwas über das
Lebensnotwendige hinaus auf. Niemals trat auch Samenflüssigkeit aus
seinem Körper aus, und daher kann er mit Recht ein Engel und jungfräulicher
Mensch genannt werden.“
|
21. Kapitel |
Christus beklagt sich über einen sündigen
alten Mann, der vergisst, die Wohltaten Christi zu betrachten und
eigentlich mit mit einem hässlichen Frosch verglichen werden kann.
Birgitta soll Christus mehr lieben und sich an seine Liebe erinnern.
Der Bräutigam Jesus redete zur Braut (Birgitta) in einem
Gleichnis, in dem er ein Beispiel von einer Kröte aufstellte und
sagte: „Es war einmal ein Zauberer, der das erlesenste, glänzende
Gold besaß. Zu ihm kam ein einfacher und sanftmütiger Mann und
wollte dieses Gold kaufen. Der Zauberer sagte zu ihm: „Du wirst
dieses Gold nicht bekommen, wenn du mir kein besseres Gold und in größerer
Menge gibst.“
Der Mann sagte: „Ich habe ein solches Verlangen danach, dieses Gold
von dir zu bekommen, dass ich eher, als dass ich darauf verzichte, dir
geben will, was du verlangst. „Er gab dem Zauberer also besseres
Gold und auch in größerer Menge, erhielt von ihm das glänzende Gold
und legte es in einen Schrank in dem Gedanken, sich daraus einen Ring
für seinen Finger zu machen.
Nach kurzer Zeit kam der Zauberer zu diesem einfachen Mann und sagte:
„Das Gold, das du gekauft und in deinen Schrank gelegt hast, ist
kein Gold, wie du glaubst, sondern die hässlichste Kröte. Sie ist an
meiner Brust aufgezogen und mit meiner Kost genährt. Und damit du
siehst, dass dies wahr ist, kannst du den Schrank öffnen – da wirst
du sehen, wie die Kröte an meine Brust springt, in der sie aufgezogen
ist.“
Als der Mann den Schrank öffnete und sehen wollte, wie sich das
verhielt, war die Kröte in dem Schrank zu sehen, und sie sprang dem
Zauberer an die Brust. Als die Deiner und Freunde des Mannes das
sahen, sagten sie zu ihm: „Herr, dieses kostbarste Gold steckt in
der Kröte, und wenn du willst, könntest du leicht das Gold
erhalten.“
„Wie sollte ich das können?“ sagte er da.
Sie sagten: „Wenn jemand einen scharfen und glänzenden Spieß
nehmen und ihn in den Rücken der Kröte stecken würde – in den
Teil des Rückens, wo er etwas ausgehöhlt ist, da könnte er leicht
das Gold erhalten. Aber wenn man keine etwas hohle Stelle darin finden
könnte, dann müsste man den Spieß mit größter Kraft und
Anstrengung in sie hineinstechen, und da würdest du das
wiedererhalten, was du gekauft hast.“
Wer ist dieser Zauberer anders als der Teufel, der die Menschen zu
weltlicher Lust und Ehre anreizt, die nichts anderes sind als eine Kröte?
Denn er verspricht das Falsche als das Wahre und macht, dass das Wahre
aussieht, als wäre es falsch. Er beugt dieses kostbarste Gold, nämlich
die Seele, die ich durch die Macht meiner Göttlichkeit wertvoller als
alle Sterne und Planeten gemacht habe, die ich unsterblich und
dauerhaft und angenehmer für mich als alles anderes gemacht habe, und
der ich eine ewige Ruhe und Wohnung bei mir bereitet habe.
Ich kaufte sie aus der Gewalt des Teufels mit einem Gold, das besser
und von größerem Wert war, als ich meinen Leib für sie gab,
unbefleckt von aller Sünde, und eine so bittere Pein ausstand, dass
keines meiner Glieder ohne Wunden war. Die erlöste Seele versetzte
ich in den Körper wie in einen Schrein, bis ich sie in die Würde
meiner Göttlichkeit setzen würde.
Aber jetzt ist die so erlöste Seele des Menschen wie die hässlichste
und erbärmlichste Kröte geworden. Sie springt in ihrem Übermut und
wohnt in Unreinheit durch ihre Geilheit. Und daher kann der Teufel mit
Recht zu mir sagen: „Das Gold, was du gekauft hast, ist kein Gold,
sondern eine Kröte, die an der Brust meiner Begierde aufgezogen ist.
Trenne daher den Leib von der Seele, so wirst du sehen, dass sie
gleich an die Brust meiner Begierde hüpft, wo sie aufgezogen ist.“
Ich antwortete ihm: „Weil die Kröte abscheulich anzusehen ist,
scheußlich anzuhören und giftig anzufassen ist und mir nichts Gutes
oder irgendeine Freude bringt, sondern nur dich, an dessen Brust sie
aufgezogen ist, so mag sie dir gehören, denn dein ist sie mit Recht.
Wenn die Tür geöffnet ist, d.h. wenn die Seele vom Leib geschieden
ist, so kommt sie also gleich zu dir geflogen, um ohne Ende bei dir zu
bleiben.“
So ist des Menschen Seele, von der ich zu dir gesprochen habe. Sie ist
nämlich wie die abscheulichste Kröte, voller Unreinheit und Wollust,
aufgezogen an der Brust des Teufels. Ihrem Schrein, d.h. dem Leibe,
nahe ich mich jetzt durch den Tod. Der Schrein hängt über vier
Achsen, die abzufallen drohen, denn sein Leib hat Bestand durch vier
Dinge – nämlich Stärke, Schönheit, Weisheit und Sehvermögen, die
nun allesamt beginnen, für ihn zu Ende zu gehen. Wenn seine Seele
sich vom Leibe trennt, fliegt sie zugleich zum Teufel, von dessen
Milch sie ernährt ist, denn sie hat meine Liebe vergessen, mit der
ich es auf mich nahm, an ihrer Stelle die Pein zu leiden, die sie
verdient hat.
Sie vergibt mir nämlich nicht mit Liebe und nimmt mir durch Kauf das
ab, was mir von Rechts wegen zukommt, denn sie müsste mich, der sie
erlöst hat, mehr lieben, als irgendeinen anderen. Aber sie findet
mehr Behagen am Teufel. Die Stimme ihres Gebets ist mir wie die Stimme
der Kröte; ihr Aussehen ist in meinen Augen abscheulich. Ihr Hörvermögen
wird niemals meine Freude hören, und ihr vergiftetes Gefühl wird
niemals meine Gottheit spüren.
Aber ich bin dennoch barmherzig. Gewiß ist seine Seele unrein, aber
wenn jemand sie berührte und nach ihr schauen würde, falls sich da
irgendwelche Reue und guter Wille findet, und ein scharfes, glühendes
Schwert, d.h. die Furcht vor meinem strengen Gericht, in seinen Sinn
stoßen würde, dann würde er trotzdem noch meine Gnade finden, wenn
er mir gehorchen würde. Und wenn sich auch keine Reue und keine Liebe
bei ihm finden würde, so gäbe es dennoch Hoffnung, falls ihn jemand
streng zurechtweisen würde und ihm harte Vorwürfe machte, denn so
lange die Seele mit dem Körper lebt, ist meine Barmherzigkeit für
alle offen.
Bedenke also, dass ich um meiner Liebe willen gestorben bin, aber
niemand gibt mir die Liebe zurück, sondern man spricht mir sogar die
Gerechtigkeit ab, denn es wäre ja gerecht, wenn die Menschen umso
besser lebten, mit desto größerer Mühe sie erlöst wurden. Aber
jetzt wollen sie umso schlimmer leben, mit desto bitterer Pein ich sie
erlöst habe; sie wollen umso frecher sündigen, je mehr ich ihnen die
Abscheulichkeit der Sünde gezeigt habe.
Schau deshalb und bedenke, dass ich nicht ohne Grund erzürnt bin,
denn meine Gnade haben sie in Zorn auf sich verwandelt. Ich habe sie
von der Sünde erlöst, und selber verstricken sie sich immer mehr in
Sünde. Also magst du, meine Braut, mir das vergelten, was du mir
vergelten solltest: Du sollst deine Seele rein für mich bewahren,
denn ich starb für dich aus dem Grunde, dass du sie mir rein bewahren
sollst.“
|
22. Kapitel |
Maria erklärt Birgitta, wie nützlich es für
gute Menschen ist, in einer schlechten Umgebung zu leben und erinnert
sie daran, dass die, die gelegentlich böse sind, sich vielleicht in
Zukunft bessern werden.
Die Mutter sprach zum Sohn der Braut und sagte: „Du bist die
Braut meines Sohnes. Sag, was du auf dem Herzen hast, und was
begehrst!“ Die Braut erwiderte darauf: „O meine Frau, das weißt
du so genau, denn du weißt alles!“ Da sagte die heilige Jungfrau:
„Obwohl ich alles weiß, will ich es doch aus deinem Munde hören, während
die, die hier stehen, es auch hören.“ Und die Braut sagte: „Zwei
Dinge fürchte ich, meine Frau. Zuerst fürchte ich meine Sünden, die
ich nicht beweine und mit denen ich mich nicht bessere, so wie ich es
gern täte. Zum anderen bin ich betrübt darüber, dass die Gegner
deines Sohnes so viele sind.“
Da antwortete die Jungfrau Maria: „Gegen das erste gebe ich drei
Heilmittel. Bedenke zuerst, dass alles, was atmet, wie die Frösche
und übrigen Tiere, manchmal Beschwerden haben, und doch lebt ihr
Geist nicht ewig, sondern stirbt mit dem Körper. Dagegen lebt deine
Seele und die Seele jedes Menschen ewig. Denke außerdem an Gottes
Barmherzigkeit, denn kein Mensch ist so sündig, dass ihm die Sünde
nicht vergeben wird, wenn er mit der Absicht betet, sich zu bessern
und zu bereuen.
Bedenke drittens, welch eine große Ehre die Seele hat, die ohne Ende
mit Gott und in Gott lebt. Und gegen das andere, nämlich dass Gottes
Feinde so zahlreich sind, gebe ich dir auch drei Heilmittel. Überlege
erstens, dass dein Gott und Schöpfer und der ihre Richter über sie
ist, und sie sollen ihn nie mehr verurteilen, obwohl er eine Zeitlang
geduldig ihre Bosheit erträgt.
Zweitens, dass sie Kinder der Verdammnis sind, und wie schwer und
unerträglich es für sie sein wird, in Ewigkeit zu brennen. Sie sind
wie die elendesten Knechte, die das Erbe verlieren werden, während
die Kinder es übernehmen werden. Aber nun sagst du vielleicht: Soll
man ihnen also gar nicht predigen? Ja, unbedingt. Bedenke, dass es
unter den Bösen auch oft Gute gibt, und dass die Pflegekinder oft vom
Guten abgehen, wie der verschwenderische Sohn, der in ein fernes Land
zog und ein schlechtes Leben führte. Aber manchmal werden sie durch
die Predigt von Reue ergriffen, und kehren zum Vater zurück, und sie
sind ihm umso willkommener, weil sie vorher Sünder waren.
Daher soll man vor allem ihnen predigen, denn obwohl der Prediger fast
alle Menschen böse sieht, denkt er doch bei sich selbst:
„Vielleicht gibt es unter ihnen manche, die Kinder meines Herrn
werden sollen; ich will ihnen also predigen.“ Dieser Prediger wird
den besten Lohn erhalten.
Überlege drittens, dass den Bösen vergönnt ist, zur Prüfung der
Guten zu leben, so dass die Guten, wenn sie über die Sünden der Bösen
betrübt sind, mit der Frucht der Geduld belohnt werden, wie du es
besser durch dieses Gleichnis verstehen wirst: Die Rose duftet
lieblich, ist schön anzusehen, und doch wächst sie nur zwischen
Dornen, die spitz anzufassen und hässlich anzusehen sind, und die
keinen Wohlgeruch besitzen.
So können auch gute und gerechte Menschen, obwohl sie sanft in ihrer
Geduld, schön in ihren Sitten und wohlduftend in ihrem guten Beispiel
sind, doch nicht ohne die Bösen vervollkommnet oder erprobt werden.
Manchmal bewahren die Dornen auch die Rose davor, dass sie vor ihrer
Reife abgepflückt werden; so geben die Bösen den Guten Anlaß, nicht
in Sünde zu fallen, und manchmal werden sie durch deren Bosheit gezügelt,
so dass sie nicht in unmäßige Freude oder in eine andere Sünde
geraten.
Und niemals wird der Wein außer mit Hefe in seiner Güte erhalten,
und die Guten und Gerechten können auch nicht in den Tugenden bewahrt
werden und sich vervollkommnen, wenn sie nicht durch Heimsuchungen und
durch Verfolgungen der Bösen erprobt werden. Ertrage du daher willig
die Gegner meines Sohnes, denk daran, dass er ihr Richter ist, und
dass er, wenn es gerecht wäre, dass sie alle vernichtet würden, sie
leicht in einem Augenblick ausrotten könnte. Deshalb magst du sie
ertragen, solange wie er sie erträgt.“
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23. Kapitel |
Christus tadelt einen Kirchenfürsten mit den
strengsten Worten, der ein weltliches Leben führt und es versäumt,
seine Untergebenen zu korrigieren. Man hat vermutet, dass das Kapitel
auf Papst Clemens VI. (1342-52) anspielt. Auf Birgittas Ermahnung hin
hatten zwei ihrer Freunde, Bischof Hemming von Åbo und Prior Petrus
in Alvastra um 1346 versucht, diesen Papst zu ermahnen, seine Residenz
zurück nach Rom zu verlegen und sich an die Reform der Kirche zu
machen. Die Ermahnung hatte zu keinem Erfolg geführt. Das Kapitel
darf – wenn die Deutung richtig ist (siehe Steffen, S. 5) als ein
Niederschlag von Missvergnügen mit dem ungehorsamen Kirchenfürsten
gedeutet werden. – Laurentius, der in der Erklärung spricht, ist
ein berühmter Märtyrer der alten Kirche, der 258 in Rom auf einem glühenden
Rost zu Tode gefoltert wurde und sowohl in Schweden wie auch in der
ganzen übrigen Christenheit verehrt wurde.
Dieser Mann scheint von den Menschen einem gut geschmückten,
starken und schönen Mann zu gleichen, tapfer in den Kriegen seines
Herrn, aber wenn der Helm von seinem Haupt abgenommen ist, ist er
abscheulich anzusehen und unnütz, zu arbeiten. Sein Hirn scheint nämlich
leer; er hat die Ohren in der Stirn und die Augen im Nacken, seine
Nase ist abgeschnitten und seine Wangen verschrumpft wie bei einem
toten Mann; auf der rechten Seite ist sein Kinn ebenso wie die Kiefern
und die Hälfte der Lippen ganz und gar fortgefallen, so dass auf der
rechten Seite nur allein die Kehle übrig ist, die offen ist.
Seine Brust ist voll von hervorquellenden Würmern. Seine Arme sind
wie zwei Schlangen. In seinem Herzen wohnt der schlimmste Skorpion.
Sein Rücken ist wie eine verbrannte Kohle. Seine Eingeweide sind
stinkend und verfault wie verdorbenes Fleisch. Seine Füße sind tot
und untauglich, damit zu gehen.
Ich will dir sagen, was dies bedeutet. Äußerlich scheint er den
Menschen mit guten Sitten und Weisheit geschmückt zu sein und scheint
tapfer darin, mir zu dienen und mich zu ehren, aber keineswegs ist er
so. Wenn der Helm von seinem Haupt genommen wird, d.h. wenn den
Menschen gezeigt wird, wie er wirklich ist, würde er schlimmer sein,
als alle anderen. Sein Hirn ist leer, die Torheit und Leichtfertigkeit
seiner Sitten zeigt guten Menschen mit den deutlichsten Zeichen, dass
er einer solchen Ehre unwürdig ist.
Denn wenn ihm meine Weisheit schmecken würde, würde er verstehen,
dass er sich mit einem so viel strengeren Lebenswandel als andere schmücken
sollte, nachdem er zu größerer Ehre als andere erhöht worden ist.
Er hat die Ohren auf der Stirn, denn statt der Demut, die er in seiner
hohen Würde haben müsste, um ein Licht für andere zu sein, will er
nur sein eigenes Lob und seine eigene Ehre hören, und dadurch wird er
hochmütig, so dass er von allen groß und gut genannt sein will.
Er hat die Augen im Nacken, denn sein ganzes Denken ist auf das Gegenwärtige
und nicht auf das Ewige gerichtet, wie er den Menschen gefallen könnte,
und was dem Nutzen des Fleisches deinen könnte. Seine Nase ist
abgeschnitten, denn ihm fehlt alles kluge Urteilsvermögen, mit dem er
Sünde und Tugend, Zeitliches und Ewiges, die Reichtümer der Welt und
die ewigen, diese kurzen Freuden und die ewigen unterscheiden könnte.
Seine Wangen sind eingefallen, d.h. all die Ehrfurcht, die er für
mich haben sollte, und die Schönheit der Tugenden, womit er mir
gefallen würde, das alles ist für meinen Dienst erstorben. Denn aus
Scheu vor den Menschen, nicht meinetwegen schämt er sich zu sündigen.
Ein Teil des Kiefers und der Lippen sind abgefallen, so dass nichts außer
der Kehle übrig ist. Denn die Befolgung meiner Taten und die Verkündigung
meiner Worte sowie das innige Gebet – das alles ist bei ihm
weggefallen, so dass nichts als seine prassende Kehle bei ihm übrig
ist. Aber dem Bösen nachzufolgen, und sich in weltlichen
Angelegenheiten zu verstricken, das scheint ihm ganz gesund und schön.
Seine Brust ist voll von Würmern, denn in der Brust, wo sich der
Gedanke an mein Leiden und die Erinnerung an meine Taten und Gebote
finden sollten, da gibt es nur die Sorge um weltliche Dinge und nach
dem Irdischen, das wie Würmer an seinem Sinne nagt, so dass er nicht
an das Geistliche denken kann. In seinem Herzen, wo ich wohnen möchte
und meine Liebe weilen sollte, da sitzt nun der schlimmste Skorpion,
der mit dem Schwanz sticht und mit dem Gesicht schöntut, denn aus
seinem Munde gehen sehr angenehme und verständige Reden aus, doch
sein Herz ist voll von Unrecht und Falschheit. Denn er schert sich
nicht darum, dass die Kirche, dessen Arbeiter er doch ist, verdirbt,
wenn er nur seinen eigenen Willen durchsetzen kann.
Seine Arme sind wie Schlangen, denn in seiner Bosheit streckt er seine
Arme nach den Einfältigen aus und ruft sie zu sich, aber wenn er eine
passende Gelegenheit erhalten hat, bringt er sie kläglich zu Fall.
Wie eine Schlange ringelt er sich zu einem Ring zusammen, denn er
verbirgt seine Bosheit und Ungerechtigkeit, so dass kaum jemand seine
heimtückische List entdecken kann.
Er ist in meinen Augen wie die hässlichste Schlange, denn so wie die
Schlange verhasster als alle anderen Tiere ist, so ist er für mich
widerwärtiger als alle anderen, denn er hält meine Gerechtigkeit für
nichts und hält mich für einen Mann, der gar nicht strafen will. Sein
Rücken ist wie eine Kohle; er sollte aber doch wie Elfenbein sein,
denn seine Taten müssten stärker und reiner als die von anderen
sein, so dass er die Schwachen durch seine Geduld und das
Beispielseiner guten Lebensweise tragen könnte. Aber jetzt ist er wie
eine Kohle, denn er ist nicht imstande, ein einziges Wort zu meiner
Ehre zu sprechen, wenn es nicht zu seinem eigenen Nutzen ist. Trotzdem
dünkt er sich der Welt gegenüber so stark.
Deshalb wird er fallen, wenn er glaubt, zu stehen, denn er ist in
meinen Augen und in denen meiner Heiligen so scheußlich und leblos,
wie eine Kohle. Seine Eingeweide sind stinkend, denn seine Gedanken
und Begierden stinken für mich wie totes Fleisch, dessen Gestank
niemand ertragen kann. So kann auch nichts Heiliges ihn ausstehen,
sondern alle wenden sich von seinem Anblick ab und fordern Gericht über
ihn.
Seine Füße sind tot. Seine beiden Füße sind nämlich seine beiden
Neigungen zu mir – d.h. sein Wille, für seine Sünden Buße zu tun,
und sein Wille, Gutes zu tun. Aber diese Füße sind in ihm ganz tot,
denn alles Mark der Liebe ist darin verschwunden, und nichts ist
geblieben als Knochen der Verhärtung. Und so steht er vor mir.
Dennoch kann er, so lange noch die Seele im Körper ist, mein Erbarmen
finden.“
|
Erklärung |
Sankt Laurentius zeigte sich und sagte: „Als ich
auf der Welt war, hatte ich drei Dinge: Enthaltsamkeit mit mir selbst,
Barmherzigkeit mit meinem Nächsten und Liebe zu Gott. Deshalb
predigte ich eifrig Gottes Wort, verteilte die Mittel der Kirche klug
und ertrug froh Geißel, Feuer und Tod, Aber dieser Bischof tut so,
als merkte er nicht die Zügellosigkeit der Priesterschaft, teilt die
Mittel der Kirche freigebig an die Reichen aus und hat nur Liebe für
sich und die Seinen. Deshalb tue ich ihm kund, dass die leichteste
Wolke nun zum Himmel aufstieg, aber Rauch verdunkelt sie, so dass sie
von vielen nicht gesehen werden kann. Diese Wolke ist das Gebet der
Mutter Gottes für die Kirche. Der Qualm der Gier, der Gottlosigkeit
und Ungerechtigkeit verdunkelt sie so, dass die leichte Wolke der
Barmherzigkeit der Gottesmutter nicht ins Herz der Elenden eingehen
kann.
Deshalb soll der Bischof sich schleunigst zur gottesfürchtigen Liebe
zurückkehren, indem er sich und seine Untergebenen bessert, sie mit
seinem Beispiel und seinen Worten ermahnt und sie zu einem besseren
Leben anleitet. Sonst wird er die Hand des Richters spüren, und seine
Kirche wird mit Feuer und Schwert gereinigt werden und mit Plünderung
und Heimsuchung so geplagt werden, saß sich lange Zeit niemand finden
wird, der sie tröstet.“ |
24. Kapitel |
Christus, Maria und die Engel klagen vor Gott
Vater über den traurigen Zustand der Kirche.
Der Vater redete, während die ganze Heerschar des Himmels zuhörte:
„Ich klage vor euch, dass ich meine Tochter einem Mann anvertraut
habe, der sie sehr plagt und ihre Füße so hart in einen Holzstock
presst, dass alles Mark aus ihren Füßen hervortritt.
Der Sohn antwortete ihm: „O Vater, sie ist die, die ich mit meinem
Blut erlöst habe, und mit der ich mich verlobt habe, aber jetzt wird
sie grausam misshandelt.“ Denn redete die Mutter und sagte: „Du
bist mein Gott und Herr, und die gesegneten Glieder deines Sohnes
waren in meinem Körper, er, der dein wahrer Sohn und mein wahrer Sohn
ist. Ich habe dir nichts auf erden versagt. Erbarme dich nun über
deine Tochter um meiner Gebete willen.“
Danach sprachen die Engel und sagten: „Du bist unser Herr; in dir
haben wir alles Gute, und außer dir brauchen wir nichts. Als deine
Braut aus dir hervorging, freuten wir uns alle, aber nun müssen wir
mit Recht betrübt sein, nachdem sie in die Hände des niederträchtigsten
Mannes übergeben ist, der sie mit Schmähungen und Schimpf überschüttet.
Erbarme dich deshalb über sie um deiner großen Barmherzigkeit
willen, denn ihr Elend ist so groß, und es gibt niemanden, der sie tröstet
und befreit, außer dir, allmächtiger Herr Gott.“
Da antwortete der Vater dem Sohn und sagte: „Mein Sohn, deine Klage
ist die meine, dein Wort ist mein Wort, deine Werke sind meine Werke.
Du bist in mir und ich in dir auf verschiedene Weise. Es geschehe dein
Wille!“ Darauf sagte er zur Mutter des Sohnes: „Nachdem du mir
nichts auf Erden versagt hast, so werde ich dir auch im Himmel nichts
versagen, und dein Wille soll erfüllt werden.“
Zu den Engeln sagte er: „Ihr seid meine Freunde, und die Flamme
eurer Liebe brennt in meinem Herzen. Ich werde meiner Tochter um eurer
Gebete willen Barmherzigkeit erweisen.“
|
25. Kapitel |
Christus kommt von neuem auf die Frage zurück,
warum er so lange die Bösen erträgt, und antwortet, das geschehe
deshalb, dass die Bösen gleichwohl etwas Gutes getan haben, wofür
sie belohnt werden müssten, und dass ihre Bosheit die Guten zu nützlicher
Prüfung und Zucht veranlasst.
Ich bin der Schöpfer Himmels und der Erde. Du wolltest wissen,
meine Braut, warum ich mit den Bösen so Geduldig bin. Das ist
deshalb, weil ich barmherzig bin. Denn meine Gerechtigkeit hat aus
drei Gründen Geduld mit ihnen, und meine Barmherzigkeit schont sie
aus drei Ursachen. Erstens hat meine Gerechtigkeit mit ihnen Geduld,
weil ihre Zeit zu Ende gehen wird. Denn wie ein gerechter König
antwortetet, wenn er ein paar Leute gefangen hält, und man ihn fragt,
warum er sie nicht aburteilen läßt, dass dies geschieht, weil die
Zeit für Gerichtsverfahren noch nicht gekommen ist, wo sie verhört
werden können, so dass die Zuhörer besser, darauf Acht geben und
sich warnen lassen können, so ertrage ich die Bösen, bis ihre Zeit
kommt, damit ihre Bosheit auch anderen bekannt wird.
Habe ich nicht Sauls Verdammung lange vorher vorausgesagt, ehe sie den
Menschen bekannt wurde? Und ich habe ihn lange ertragen, auf dass
seine Bosheit anderen offenbar wurde. Zweitens habe ich mit den Bösen
Geduld, weil sie manche gute Taten vollbracht haben, für die sie bis
zum letzten Punkt belohnt werden müssen; es soll nicht einmal das
kleinste Gute geben, das sie für mich getan haben, wofür sie nicht
belohnt werden – hier sollen sie ihren Lohn erhalten. Drittens,
damit Gottes Ehre und seine Geduld offenbar werden sollen. Deshalb
habe ich Pilatus, Herodes und Judas ertragen, als sie doch schon
verurteilt waren. Und wenn deshalb jemand fragt, warum ich mit dem
oder dem Geduld habe, so mag er Judas und Pilatus betrachten.
Ebenso verschont meine Barmherzigkeit die bösen Menschen aus drei Gründen.
Erstens aus großer Liebe, denn ihre ewige Pein wird lang. Daher habe
ich mit ihnen aus höchster Liebe bis zum letzten Augenblick Geduld,
so dass ihre Pein durch diesen lange Zeitaufschub später beginnen
soll. Zweitens deshalb, damit sich ihre Natur in den Lastern verzehrt,
denn durch die Sünde verzehrt sich die Natur, so dass der zeitliche
Tod bitterer empfunden wird, wenn ihre Natur noch frischer ist. Eine
frische Natur erleidet nämlich einen langsameren und bitteren Tod.
Drittens zur Vervollkommnung der Guten und zur Bekehrung mancher Böser.
Denn wenn gute und gerechte Menschen von den Bösen geplagt werden, so
geschieht das, damit diese Guten und Gerechten sich von Sünde
fernhalten oder größere Verdienste erwerben. Ebenso leben auch Böse
zuweilen zum Nutzen von anderen Bösen. Denn wenn Böse den Fall und
die Schlechtigkeit böser Menschen betrachten, denken sie bei sich
selbst und sagen: „Was nützt es uns, ihnen zu folgen? Wenn der Herr
so geduldig ist, ist es besser, dass wir uns bekehren.“
Und so bekehren sich manchmal die Verirrten zu mir, denn sie schaudern
davor, so etwas zu tun, was diese bösen Leute getan haben, und ihr
Gewissen sagt ihnen, dass man so etwas nicht tun soll. Deshalb heißt
es, wenn jemand von einem Skorpion gestochen wird, so kann er durch
das Öl geheilt werden, in dem ein anderes Reptil stirbt. So wird
manchmal ein Böser, wenn er den Fall eines anderen bösen Menschen
sieht, von Reue gepackt, und er wird geheilt, wenn er die Eitelkeit
und Bosheit des anderen Menschen sieht.“
|
26. Kapitel |
Christus erklärt Birgitta, wie Adam und Evas
eheliches Zusammenleben sich gestaltet hätte, wenn sie nicht in Sünde
gefallen wären. Er tadelt scharf die egoistischen Berechnungen der
modernen Menschen, wenn sie eine Ehe eingehen, und deutet die
Beschaffenheit einer rechten, geistlichen Ehe an.
Man sah, wie die Heerschar der Engel vor Gott stand, und die ganze
Heerschar sagte: „Preis und Ehre sei dir, Herr Gott, der du bist und
ohne Ende gewesen bist. Wir sind deine Diener, und aus dreifachem Anlaß
loben und ehren wir dich. Erstens, weil du uns geschaffen hast, damit
wir uns mit dir freuen, und weil du uns das unaussprechliche Licht
gegeben hast, an dem wir uns ewig erfreuen.
Zweitens, weil alles durch deine Güte und Treue geschaffen und
erhalten wird, und alles nach deinem Willen Bestand hat und durch dein
Wort bestehen bleibt. Drittens, weil du den Menschen geschaffen hast,
um dessentwillen du Menschengestalt angenommen hast. Von dieser
Menschengestalt und von deiner reinen, keuschen Mutter, die es
verdient hat, dich zu tragen und die die Himmel nicht fassen und
umschließen können, rührt unsere höchste Freude. Daher sei deine
Ehre und dein Segen über alle Dinge – zur Würde der Engel, die du
zu einer so großen Ehre erhöht hast.
Deine unendliche Ewigkeit und Beständigkeit sei über alles, was beständig
ist und sein kann. Deine Liebe möge über dem Menschen sein, den du
geschaffen hast. Du, Herr, bist der einzige, vor dem man sich um
deiner großen Macht willen fürchten muß. Du bist der einzige, nach
dem man um all deiner Liebe willen verlangen muß. Du bist der
einzige, den man um deiner Unveränderlichkeit willen lieben soll.
Deshalb sei dir Lob ohne Ende, unaufhörlich und in alle Ewigkeit,
Amen.“
Da antwortete der Herr; „Ihr ehrt mich würdig für jedes
geschaffene Wesen. Aber sagt, warum ihr mich für den Menschen lobt,
der mich mehr als alle geschaffenen Wesen zum Zorn gereizt hat. Ich
habe ihn ja würdiger als alle niedern Lebewesen geschaffen, und für
niemanden ertrug ich so schmachvolle Dinge wie für ihn, und keinen
habe ich so teuer erlöst, wie den Menschen. Und welches geschaffene
Wesen beobachtet seine Ordnung nicht? Nur der Mensch tut das nicht. Er
fügt mir größere Trübsal zu, als andere geschaffene Wesen.
Denn so wie ich euch zu meinem Lob und meiner Ehre schuf, so machte
ich auch den Menschen mir zur Ehre. Ich gab ihm nämlich einen Leib
wie ein geistlicher Tempel, in den ich die Seele wie einen schönen
Engel gesetzt habe, denn der Menschen Seele hat Macht und Stärke wie
ein Engel. In diesem Tempel war ich, sein Gott und Schöpfer, als der
Dritte, damit der Mensch sich an mir freuen und mich genießen möge.
Dann machte ich aus seinen Rippen einen anderen Tempel, ihm gleich.[1]
Aber jetzt meine Braut, du, um deretwillen dies gesagt wird, kannst du
fragen, wie Kinder von ihnen geboren werden konnten, wenn sie nicht
gesündigt haben? Ich antworte dir: Aus göttlicher Liebe und
gegenseitiger Zuneigung und fleischlicher Vereinigung, wodurch die
beiden untereinander entzündet wurden, würde gewiß das Blut der
Liebe im Schoß der Frau ohne irgendwelche Wollust befruchtet sein,
und so ist die Frau dann fruchtbar geworden.
Wenn dann das Kind ohne Sünde und wollüstiges Begehren geboren ist,
würde ich ihn aus meiner Göttlichkeit heraus die Seele eingepflanzt
haben, und so würde die Frau ohne Schmerz das Kind getragen und geboren haben. Wenn das Kind geboren ist, wäre es gleich so
vollkommen wie Adam gewesen.
Aber diese Ehre verachtet der Mensch, als er dem Teufel zustimmte und
eine höhere Ehre begehrte als die, die ich ihm gegeben habe. Nachdem
der Ungehorsam geschehen war, kam mein Engel über sie,[2] und sie schämten
sich ihrer Nacktheit, und gleich verspürten sie fleischliches
Begehren und litten Hunger und Durst. Da vermissten sie auch mich,
denn als sie mich hatten, hatten sie keinen Hunger oder andere
fleischliche Lust oder Scham empfunden, sondern ich allein war für
sie alles Gute, alles Gute, alle Lieblichkeit und vollkommene Freude
gewesen.
Aber als der Teufel sich über ihren Fehltritt und ihren Fall freute,
war ich von Mitleid mit ihnen gerührt und übergab sie nicht, sondern
zeigte ihnen ein dreifaches Erbarmen. Ich bekleidete sie nämlich, als
sie nackt waren, und gab ihnen Brot aus der Erde. Für die Wollust,
die der Teufel nach ihrem Ungehorsam bei ihnen weckte, fügte ich
durch meine göttliche Macht Seelen in ihre Saat ein. Und das Böse,
das der Teufel ihnen eingab, wendete ich für sie ganz zum Guten.
Dann zeigte ich ihnen die Art und Weise, in der sie leben und mich
verehren sollten, und versprach ihnen, zusammen zu kommen, denn vor
meiner Zulassung und der Verkündigung meines Willens waren sie von
Furcht beseelt und schämten sich, zusammen zu kommen. Ebenso hatte
ich Mitleid mit ihnen, als sie nach Abels Ermordung eine lange Zeit
trauerten und Enthaltsamkeit übten, und tröstete sie. Und als sie
nun meinen Willen kennen gelernt hatten, begannen sie wieder, zusammen
zu kommen und Kinder zu zeugen, aus deren Geschlecht ich, ihr Schöpfer,
versprach, dass ich einmal geboren würde.[3]
Als die Bosheit der Kinder Adams wuchs, zeigte ich den Sündern meine
Gerechtigkeit, aber für meine Auserwählten Barmherzigkeit. Dadurch
wurde ich besänftigt, so dass ich sie vom Untergang bewahrte und sie
erhöhte, nachdem sie meine Gebote beachteten und meinen
Versprechungen glaubten. Als dann die Zeit des Erbarmens kam, zeigte
ich durch Mose meine Wundertaten, denn ich rettete mein Volk nach
meinem Versprechen, ich ernährte sie mit Manna und ging in der
Wolkensäule vor ihnen her, gab ihnen mein Gesetz und offenbarte ihnen
meine Geheimnisse und die Zukunft durch meine Propheten.
Dann erwählte ich, der alles geschaffen hat, mir eine Jungfrau, die
von Vater und Mutter geboren war; von ihr nahm ich menschliche Gestalt
an, und von ihr wurde ich gewürdigt, ohne Beischlaf und Sünde
geboren zu werden. So wie die ersten Kinder im Paradies durch das
Mysterium der göttlichen Liebe, durch die gegenseitige Liebe und
Hingabe der Eltern ohne irgendwelche Wollust entstanden sind, so nahm
meine Gottheit von einer Jungfrau Menschengestalt an, ohne Beischlaf
und ohne Verletzung ihrer Jungfräulichkeit.
Ich kam also ins Fleisch als wahrer Gott und Mensch, ich erfüllte das
Gesetz und alle Schriften, so wie sie vorher über mich geweissagt
waren, und führte das neue Gesetz ein, nachdem das alte eng und hart
zu tragen war; ja es war nichts anderes als ein Abbild dessen, was in
Zukunft geschehen sollte. Denn in diesem alten Gesetz war es einem
Mann erlaubt, mehrere Frauen zu haben, damit das Volk nicht ohne
Nachkommen wäre und sich mit anderen Völkern vermischen sollte. Aber
in meinem neuen Gesetz ist er vorgeschrieben, dass ein Mann nur eine
Frau haben soll, und es ist verboten, dass er – solange sie lebt –
mehrere Frauen hat. Die, die sich mit göttlicher Liebe und
Gottesfurcht vereinigen, um Nachkommen zu erzeugen, die sind mein
geistlicher Tempel, und bei ihnen will ich als der Dritte wohnen.
Aber die Menschen in dieser Zeit gehen eine Vereinigung aus sieben Gründen
ein. Erstens wegen der Schönheit des Gesichts. Zweitens auf Grund von
Reichtümern. Drittens aus Übermaß an großer Leichtfertigkeit und
Freude am Beischlaf. Viertens, weil es da die Anerkennung durch
Freunde und eine maßlose Schwelgerei gibt. Fünftens, weil es da übertriebenen
Aufwand an Kleidern und Speisen, an Spiel und Spaß und anderen
Nichtigkeiten gibt. Sechstens, um Kinder in die Welt zu setzen –
aber nicht, um sie für Gott oder gute Sitten aufzuziehen, sondern für
Reichtümer und Ehre. Siebtens kommen sie aus Wollust zusammen, und in
ihrem Wollüstigen Verlangen sind sie wie das Vieh.
Sie kommen einträchtig an die Tür meiner Kirche,[4] aber ihr
Begehren und innerste Gedanken sind ganz gegen mich gerichtet, und
ihren Willen, der darauf aus ist, der Welt zu gefallen, stellen sie über
meinem Willen. Denn wenn ihr ganzes Denken auf mich gerichtet wäre
und sie ihren Willen in meine Hände übergeben würden und sie die
Ehe in der Furcht vor mir eingehen würden, dann würde ich ihnen mein
Einverständnis geben und als der Dritte bei ihnen sein. Aber jetzt
ist mein Einverständnis, das ihnen das Wichtigste sein sollte, dahin,
denn in ihrem Herzen herrscht Wollust, und nicht meine Liebe.
Darauf gehen sie zu meinem Altar, wo sie hören, dass sie ein Herz und
eine Seele sein sollen, aber da fliegt mein Herz von ihnen fort, denn
sie haben nicht die Wärme meines Herzens und kennen nicht den
Geschmack meines Fleisches. Sie suchen nämlich die Wärme, die bald
vergehen wird, und trachten nach dem Fleisch, das die Würmer fressen
werden. Daher vereinen sich solche Menschen ohne das Band Gott Vaters
und die Verbindung mit ihm, ohne die Liebe des Sohnes und ohne die
Erquickung des Heiligen Geistes.
Aber wenn die Eheleute ins Bett kommen, dann weicht mein Geist gleich
von ihnen, und ein unreiner Geist naht sich stattdessen, da sie nur
aus Wollust zusammen kommen und zwischen ihnen an nichts anderes
gedacht oder davon gesprochen wird. Doch ist mein Erbarmen noch mit
ihnen, wenn sie sich bekehren. Aus großer Liebe sende ich nämlich in
ihre Saat eine lebende Seele, die von meiner Macht geschaffen ist, und
ich erlaube bisweilen auch, dass von bösen Eltern gute Kinder geboren
werden.
Doch werden öfter schlechte Kinder von schlechten Eltern geboren, da
solche Kinder der Bosheit der Eltern so weit wie möglich gleichen und
ihnen noch mehr gleichen würden, wenn es ihnen von meiner Geduld
erlaubt würde. Ein solches Ehepaar wird nie mein Angesicht zu sehen
bekommen, wenn es sich nicht bessert. Keine Sünde ist nämlich so
schwer, dass sie nicht durch Buße abgewaschen werden kann.
Deshalb will ich mich an die geistliche Ehe wenden, eine solche, wie
es Gott gefällt, sie mit keuschem Leib und keuscher Seele zu führen.[5]
Da gibt es sieben gute Dinge, die im Gegensatz zu den vorher genannten
bösen Dingen stehen. Denn die, welche eine solche Ehe eingehen,
begehren keine körperliche Gestalt oder Schönheit und auch nicht den
Blick auf das Angenehme, sondern nur auf Gottes Liebe und seinen
Anblick.
Ferner begehren sie nicht, etwas anderes zu besitzen, als das, was sie
zum Leben brauchen und nur das Lebensnotwendige, nicht zum Überfluß.
Drittens vermeiden sie eitle und leichtfertige Worte. Viertens legen
sie kein Gewicht darauf, Freunde oder Verwandte zu sehen, sondern ich
bin ihre Liebe und ihre Sehnsucht. Fünftens wünschen sie, Demut zu
bewahren, inwendig in ihrem Gewissen und nach außen in ihrer
Kleidung. Sechstens nehmen sie sich vor, niemals wollüstig leben zu
wollen. Siebtens gebären sie Söhne und Töchter für ihren Gott,
durch ihren guten Wandel und ihr gutes Beispiel und durch Verkündigung
geistlicher Worte.
Sie stehen vor der Tür meiner Kirche, wenn sie ihren Glauben ungetrübt
bewahren, und da geben sie mir ihr Einverständnis, und ich das meine
mit ihnen. Sie gehen zu meinem Altar, wenn sie geistlich durch mein
Fleisch und Blut erquickt werden, bei deren Genuß sie ein Herz, ein
Fleisch und ein Wille sein wollen, und ich, wahrer Gott und Mensch, mächtig
im Himmel und auf Erden, werde der Dritte bei ihnen sein, und ich
werde ihr Herz erfüllen.
Die weltlichen Ehegatten beginnen das Verlangen ihrer Ehe in Wollust
wie das Vieh, ja sie sind schlimmer als das Vieh, aber die geistlich
gesinnten Gatten beginnen die Ehe in göttlicher Liebe und
Gottesfurcht und kümmern sich nicht darum, jemand anderes zu
gefallen, als mir. Die ersteren erwecken den bösen Geist zu
fleischlicher Begierde, wo es nur so etwas wie Gestank gibt, aber die
Letzteren werden von meinem Geist erfüllt und vom Feuer meiner Liebe
entzündet, das nie bei ihnen erlöschen wird.
Ich bin ein Gott, drei an Personen, aber eins im Wesen, mit dem Vater
und dem Heiligen Geist. So wie es unmöglich ist, dass der Vater vom
Sohn getrennt wird, und dass der Geist von ihnen beiden geschieden
wird, und wie es unmöglich ist, dass die Wärme vom Feuer getrennt
wird, so ist es auch unmöglich, dass solche Gatten von mir getrennt
werden; ich bin immer als der Dritte bei ihnen.
Denn einmal wurde mein Leib durch meine Pein verwundet und starb, aber
jetzt wird er niemals mehr verletzt oder sterben. So werden die, die
mit rechtem Glauben und vollkommenem Willen mit mir leben, mir
einverliebt werden und niemals von mir absterben, denn wo immer sie
auch stehen, sitzen oder gehen, stets bin ich als der Dritte bei
ihnen.“
[1]. D.i. Eva.
[2]. D.h. über Adam und Eva.
[3]. Gemeint ist Christus.
[4]. Die mittelalterliche Trauung erfolgte außen vor der Kirchentür,
der unmittelbar darauf die Brautmesse innerhalb der Kirche folgte.
[5]. Die unklare Formulierung dürfte wohl auf Christi Gegenwart und
Teilnahme an der Ehe bedeuten, die mit keuschem Lieb und keuscher
Seele eingegangen wird. Christus sagt ja später, dass er bei solchen
Ehegatten als der Dritte weilt. |
27.
Kapitel |
Maria schildert Birgitta die Pein ihres
Sohnes Christi und ihre eigene Trübsal, als sie das erlebte.
Gottes Mutter sprach zur Braut und sagte: ”Meine Tochter, ich
will, dass du wissen sollst, dass – wo auch immer Tanzen
stattfindet, da gibt es drei Dinge, nämlich leere Freude, lautes
Rufen und unnütze Arbeit. Aber wenn jemand in Sorge oder traurig das
Tanzlokal betritt und sein Freund, der da an der Freude des Tanzes
teilnimmt, seinen Freund so traurig und betrübt sieht, so verlässt
er gleich das Vergnügen, trennt sich vom Tanzen und trauert mit
seinem trauernden Freund.
Dieser Tanz ist diese Welt, die immer voller Kummer ist, obwohl sie für
törichte Menschen wie Freude aussieht. Auf der Welt gibt es drei
Dinge: Leere Freude, leichtfertige Worte und nutzlose Arbeit, denn
alles, was der Mann mit seiner Arbeit zustande bringt, lässt er
einmal hinter sich zurück. Wer am Tanz der Welt teilnimmt, mag mit
mir meine Mühe, meinem Schmerz und meine Trauer betrachten, die von
aller Freude der Welt geschieden war, und sich von der Welt
unterscheidet.
Beim Tode meines Sohnes war ich ja wie eine Frau, deren Herz von fünf
Speeren durchstoßen war. Der erste Speer war seine unverschämte und
tadelnswerte Nacktheit, denn ich sah ja meinen liebsten und allmächtigen
Sohn nackt an der Geißelsäule stehen, ohne etwas zu haben, um sich
zu bedecken. Der zweite Speer war seine Anklage. Denn sie klagten ihn
an, indem sie ihn einen Verräter, Lügner und hinterhältig nannten
– ihn, von dem ich wusste, dass er rechtschaffen und wahrhaftig war
und nie jemandem geschadet hat oder hat schaden wollen.
Mein dritter Speer war seine Dornenkrone, die sein hochheiliges Haupt
so schwer verletzte, dass das Blut ihm in den Mund, auf den Bart und
in die Ohren floß. Der vierte war seine jammervolle Stimme am Kreuz,
mit der er zum Vater rief: „Vater, Vater, warum hast du mich
verlassen?“ Das war, als ob er sagen wollte: „Vater, es gibt
niemanden, der sich meiner erbarmt, als du.“ Der fünfte Speer, der
mein Herz durchbohrte, war sein harter, grausamer Tod.
Die Speere, von denen mein Herz sich durchbohrt fühlte, waren ebenso
viele wie die Adern, aus denen sein teures Blut strömte. Die Adern in
seinen Händen und Füßen waren ja durchstochen, und der Schmerz in
den durchstochenen Sehnen stieg untröstlich zu seinem Herzen auf, und
vom Herzen wieder zu den Sehnen. Und obwohl sein Herz ganz frisch und
stark war (denn es bestand aus der besten Natur), kämpfte inwendig
das Leben mit dem Tode, und so wurde das Leben unter umso bittereren
Plagen verlängert. Aber als der Tod nahte und das Herz durch die
unerträgliche Pein brach, da erzitterten alle seine Glieder, und das
Haupt, das zurückgeneigt war, hob sich etwas; die halbgeschlossenen
Augen öffneten sich fast bis zur Hälfte, und ebenso öffnete sich
sein Mund, so dass die blutige Zunge sichtbar wurde. Die Finger und
die Arme, die gleichsam erlahmt waren, streckten sich aus. Aber als er
den Geist aufgab, fiel das Haupt auf die Brust nieder, die Hände
sanken etwas von den Nagellöchern herab, und die Füße hatten
dadurch eine schwere Last zu tragen.
Da wurden meine Hände gefühllos, die Augen verdunkelten sich, und
mein Gesicht erbleichte wie bei einem toten Menschen; meine Ohren hörten
nichts mehr, mein Mund konnte nicht mehr sprechen, die Füße wankten,
und mein Körper sank zu Boden. Als ich mich wieder erhob und meinen
Sohn elender und verachteter als einen Aussätzigen sah, fügte sich
mein Wille ganz dem seinen, denn ich wusste, dass dies alles nach
seinem Willen geschehen war und nicht hätte geschehen können, wenn
er es nicht zugelassen hätte. Ich dankte ihm deshalb für alles, und
so war doch etwas Freude mit der Trauer gemischt, weil ich sah, dass
er, der nie gesündigt hatte, aus seiner großen Liebe heraus so viel
für die Sünder hatte leiden wollen. Mag daher auch ein jeder, der
auf Erden lebt, erwägen, wie ich beim Tode meines Sohnes litt, und
dies stets vor Augen haben.“
|
28. Kapitel |
Birgitta muß erleben, wie die Seele eines
verstorbenen Adligen zu ewiger Qual wegen seiner Bosheit verurteilt
wird. Es ist die erste der himmlischen Gerichtsszenen, die sie erzählt.
Die Braut (Birgitta) sah Gott; er schien zornig zu sein und sagte:
„Ich bin ohne Anfang und Ende. Bei mir ist keine Veränderung und
gibt es weder Jahr noch Tag, sondern alle Zeit in Dieser Welt ist für
mich da, ob es eine Zeit oder kurze Stunde ist. Ein jeder, der mich
sieht, sieht und versteht wie in einem Augenblick alles, was in mir
ist. Aber weil du, meine Braut, in leiblicher Gestalt bist, kannst du
nicht wie ein Geist verstehen und begreifen, und daher werde ich um
deinetwillen kundtun, was geschehen ist.
Ich saß als Richter, denn alle Macht zu richten ist mir gegeben, und
es kam einmal ein Mann, um vor dem Richtstuhl verurteilt zu werden.
Die Stimme seines Vaters dröhnte und sagte zu ihm: „Weh dir, dass
du jemals geboren bist!“ Gott sagte das aber nicht, obwohl es ihn
gereute, dass er ihn geschaffen hatte, sondern er war wie jemand, der
über einen anderen trauert und Mitleid mit ihm hat.
Dann antwortete die Stimme des Sohnes (Christus): „Ich habe mein
Blut für dich vergossen und um deinetwillen die bitterste Pein
erlitten, aber davon bist du weit getrennt, und sie hat nichts mit dir
zu tun.“ Die Stimme des Geistes sagte: „Ich habe alle Winkel
seines Herzens untersucht, um zu sehen, ob ich in seinem Herzen
irgendwelche Milde oder Liebe finden könnte, aber es ist kalt wie Eis
und so hart wie ein Stein, und ich habe nichts mit ihm zu schaffen.“
Diese drei Stimmen wurden nicht gehört, weil es drei Götter geben
soll (denn das ist nicht der Fall), sondern nur deshalb, weil du,
meine Braut, sonst dieses Mysterium nicht verstehen könntest. Darum
wurden diese drei Stimmen, die des Vaters, des Sohnes und des Heiligen
Geistes, gleich zu einer einzigen Stimme verwandelt, und diese Stimme
dröhnte und sagte: „Auf keinen Fall wird dir das Himmelreich zuteil
werden.“
Die Mutter der Barmherzigkeit schwieg und ließ kein Erbarmen
aufkommen, denn der, der verurteilt werden sollte, war unwürdig, es
zu empfangen, und alle Heiligen reifen mit einer Stimme und sagten:
„Dies ist göttliche Gerechtigkeit, dass er auf ewig aus deinem
Reich und deiner Freude verwiesen wird.“ Und alle, die im Fegefeuer
waren, sagten: „Kein Pein ist bei uns so bitter, dass sie ausreicht,
deine Sünden zu bestrafen; größere Plagen müssen auf dich
zukommen, und deshalb wirst du von uns getrennt werden.“
Aber da rief der, der verurteilt werden sollte, mit schrecklicher
Stimme und sagte: „Wehe, wehe der Saat, die im Leibe meiner Mutter
zusammenkam, und woraus ich geschaffen bin!“ Er rief noch einmal und
sagte: „Verflucht sei die Stunde, als meine Seele sich mit dem Körper
vereinigte, und verflucht sei der, der mir Leib und Seele gab!“ Er
rief noch ein drittes Mal: „Verflucht sei die Stunde, da ich lebend
aus dem Mutterleib hervorging!“
Da kamen ihm drei gräuliche Stimmen aus der Hölle entgegen und
sagten: „Komm zu uns, verdammte Seele, wie flüssiges Kupfer, zu
ewigem Tod und ewigem Leben!“ Sie riefen zum zweiten Mal: „Komm,
verdammte Seele, du leere, zu unserer Bosheit! Bei uns wird es keinen
geben, der dich nicht mit seiner Bosheit und Qual erfüllt!“ Zum
dritten Mal riefen sie: Komm, verdammte Seele, schwer wie der Stein,
der ständig sinkt und doch nie einen Boden erreicht, da er Ruhe
finden könnte. Du wirst hinab in die Tiefe sinken, tiefer als wir, so
dass du nicht halten kannst, ehe du ganz tief in den Abgrund gekommen
bist.“
Und nun sagte der Herr: „So wie der Mann, der mehrere Frauen hatte
und sah, dass eine von ihnen gefallen ist, sich von dieser abwand und
sich zu den anderen wandte, die standfest blieben, und sich mit ihnen
erfreute, so habe ich mein Antlitz und meine Barmherzigkeit von ihm
abgewandt, und ich wende mich an meine Diener und freue mich mit
ihnen. Deshalb sollst du, nachdem du seinen Fall und sein Elend gehört
hast, mir umso aufrichtiger dienen, wie ich dir größere
Barmherzigkeit erwiesen habe.
Fliehe die Welt und ihre Lust! Ich habe ein so bitteres Leiden nicht
der Welt zuliebe auf mich genommen, oder weil ich nicht vermocht hätte,
es auf eine schnellere Weise zu vollenden – denn das hätte ich
gekonnt – nein, weil die Gerechtigkeit verlangte, dass, wie der
Mensch mit allen Gliedern gesündigt hat, so muß auch die Buße in
allen Gliedern erfolgen. Daher empfand die Gottheit Mitleid mit dem
Menschen und entbrannte von so großer Liebe zu einer Jungfrau, dass
er durch sie Menschengestalt annahm.
In dieser Menschengestalt ertrug Gott all die Pein, die der Mensch von
rechtswegen hätte leiden sollen. Daher sollst du, wenn ich aus Liebe
deine Strafe auf mich nahm, in wahrer Demut verbleiben, so wie es
meine Diener tun, damit du dich nicht vor jemandem schämst und dich
vor nichts fürchtest, außer von mir. Bewache deinen Mund, so dass du
niemals reden willst, wenn dies nicht mein Wille ist. Betrübe dich
nicht wegen zeitlicher Dinge, denn die sind vergänglich, und ich kann
sie reich und arm machen, wie ich will. Setze daher, meine Braut, all
deine Hoffnung auf mich.“
|
Erklärung |
Der Mann, von dem hier die Rede ist, war ein
Adliger, Domherr und Subdiakon; er erhielt falschen Dispens und
verlobte sich mit einer reichen Jungfrau, wurde aber von einem plötzlichen
Tod überrascht und gewann so nicht das, was er begehrte. |
29. Kapitel |
Maria tadelt Frau Hochmut und ihre Freunde
und verspricht stattdessen ihren eigenen Getreuen die Hilfe des
Himmels.
Gottes Mutter sprach zur Braut des Sohnes (Birgitta) und sagte:
„Es gibt zwei Arten von Frauen. Die eine hat keinen besonderen
Namen, denn sie ist unwürdig, einen solchen zu haben. Die andere ist
die verkörperte Demut, und sie heißt Maria. Über die erste ist der
Teufel Herr, denn er beherrscht sie. Der Ritter dieser Frau sagte zu
ihr: „O meine Frau, ich bin bereit, alles für dich zu tun, was ich
kann, wenn ich nur ein einziges Schäferstündchen mit dir haben könnte.
Ich habe ja starke Kräfte, habe Mannesmut im Herzen, fürchte mich
vor nichts und bin bereit, für dich in den Tod zu gehen.“
Sie antwortete ihm: „O mein Diener, du hast eine große Liebe zu
mir. Aber ich sitze auf einem hohen Thron, und ich besitze nur diesen
einen Thron, und zwischen uns sind drei Tore. Die erste Pforte ist so
eng, dass alles, was der Mensch auf dem Leibe hat, von ihr zerrissen
wird, wenn er durch diese Pforte eintritt. Die andere hat so scharfe
Spitzen, dass sie den Menschen bis auf die Sehnen sticht. Die dritte
Pforte ist so glühend heiß, dass es da keine Erquickung für den
gibt, der durch diese Pforte eintritt, und er schmilzt sogleich wie
Kupfer. Aber ich throne so erhöht, und wer neben mir sitzen will,
kann – denn ich habe nur den einen Thorn – in die tiefste Tiefe
unter mir stürzen.“ Er antwortete ihr: „Ich will mein Leben für
dich geben, und der Sturz bekümmert mich nicht.“
Diese Frau ist der Hochmut, und wer zu ihr kommen will, muß gleichsam
durch drei Tore eintreten. Durch das erste Tor tritt der ein, der
alles zur Ehre der Menschen und den Hochmut opfert. Und wenn er nichts
besitzt, bietet er seinen ganzen Willen auf, einen Anlaß zu finden,
und berühmt zu werden. Durch das zweite Tor geht der ein, der alles,
was er schafft und alles, was er tut, seine ganze Zeit, seine Gedanken
und seine Kräfte, dafür opfert, um den Hochmut verwirklichen zu können.
Ja, wenn er sein eigenes Fleisch geben könnte, um zerfleischt zu
werden, so würde er das für Ehrenbezeugungen und Reichtümer gerne
tun.
Durch die dritte Pforte geht der ein, der niemals stillhält und Ruhe
hat, sondern wie ein Feuer in seinem Verlangen brennt, irgendeine Ehre
oder etwas zu erlangen, worüber er weltlichen Hochmut empfinden kann.
Aber wenn er erreicht, was er begehrt, kann er doch nicht länger in
diesem Zustand bleiben, sondern fällt kläglich hin; Der Hochmut
dagegen bleibt auf der Welt bestehen.
Aber ich, sagte Maria, die am allerdemütigsten bin, sitze auf einem
großen Thron; über mir ist weder Sonne, Mond noch Sterne, auch keine
Wolken, sondern eine wunderbare und unsagbar strahlende Klarheit, die
aus der herrlichen Schönheit der göttlichen Majestät hervorströmt,
unter mir ist weder Erde noch Steingrund, sondern eine
unvergleichliche liebliche Ruhe in Gottes Tugend. Um mich herum ist
weder eine Mauer oder Wand, sondern stattdessen die ehrenreiche
Heerschar der Engel und heiligen Seelen.
Und obwohl ich so hoch oben sitze, höre ich dennoch meine Freunde,
die auf Erden sind und Tag für Tag ihre Seufzer und Tränen vor mir
ausbreiten. Ich sehe doch, dass ihre Arbeit und ihr Streben höher ist
als das von denen, die für ihre Frau Hochmut kämpfen. Daher werde
ich sie aufsuchen und sie bei mir auf meinem Thron sitzen lassen, der
sehr geräumig ist und alle aufnehmen kann. Aber noch können sie
nicht zu mir kommen oder bei mir sitzen, denn es gibt noch zwei Mauern
zwischen uns.
Die erste Mauer ist die Welt. Sie ist eng. Deshalb sollen meine Deiner
auf der Welt durch mich getröstet werden. Die zweite Mauer ist der
Tod. Deshalb werde ich, ihre liebste Frau und Mutter, ihnen im Tode
entgegeneilen, so dass sie sogar im Tode Trost und Erquickung spüren
werden, und ich werde sie bei mir auf dem Thron der himmlischen Freude
sitzen lassen, so dass sie ewig unter grenzenlosem Jubel in den Armen
der ewigen Liebe und der ewigen Herrlichkeit bleiben werden.
|
30. Kapitel |
Christus klagt über die bösen Menschen, die
ihn sozusagen von neuem kreuzigen, und ermahnt Birgitta, ihn zu lieben
im Hinblick auf die Liebe, die er ihr selbst entgegenbringt.
Ich bin Gott, der alles zum Nutzen des Menschen geschaffen hat, und
das sollte dem Menschen dienen und nützen. Aber der Mensch hat alles
missbraucht, was ich zu seinem Nutzen geschaffen hatte, und wendet es
zu seinem Verderben an. Und außerdem kümmert er sich weniger um Gott
und liebt ihn weniger, als die geschaffene Welt.
Die Juden bereiteten mir drei Foltergeräte während meines Leidens.
Erstens den Baumstamm, an dem ich, der gegeißelt und mit einer
Dornenkrone versehen wurde, festgenagelt wurde. Zweitens das Eisen der
Nägel, mit denen meine Hände und Füße festgenagelt wurden.
Drittens der Gallentrank, den sie mir zu trinken gaben. Ferner schmähten
sie mich und nannten mich einen Toren, des Todes wegen, den ich gern
ertrug, und sie nannten mich einen Lügner wegen meiner Lehre.
Solche Leute gibt es jetzt viele auf der Welt, und es gibt wenige, die
mir Trost verschaffen. Denn durch ihren Willen, zu sündigen, nageln
sie mich am Halse fest. Sie geißeln mich durch ihre Unduldsamkeit
(niemand kann nämlich ein Wort für mich ertragen), und sie krönen
mich mit dem Dorn ihres Hochmuts, wenn sie höher sein wollen als ich.
Sie durchbohren meine Hände und Füße mit dem Eisen der Verhärtung,
denn sie rühmen sich ihrer Sünde und verhärten sich, um mich nicht
zu fürchten. Als Gallentrank geben sie mir Trübsal. Für die Pein,
zu der ich freudig ging, nennen sie mich einen Lügner und Toren.
Nun hätte ich die Macht, sie und die ganze Welt um der Sünden willen
zu ertränken, wenn ich wollte. Aber wenn ich diese Leute ertränken würde,
denn würden die, die übrig geblieben sind, mir nur noch aus Furcht
dienen, und das wäre nicht gerecht, denn der Mensch soll mir aus
Liebe dienen. Wenn ich selbst in sichtbarer Gestalt zu ihnen käme, würden
es ihre Augen nicht ertragen, mich zu sehen, und ihre Ohren ertrügen
es nicht, mich zu hören. Denn wie sollte ein sterblicher Mensch den
Unsterblichen sehen können? Wahrlich, in meiner Liebe wollte ich gern
noch einmal für die Menschen sterben, wenn das möglich wäre.
Darauf zeigte sich die heilige Jungfrau Maria, und der Sohn sagte zu
ihr: „Was willst du, meine auserwählte Mutter?“ Sie sagte:
„Mein Sohn, erbarme dich über deine geschaffene Wesen um meiner
Liebe willen!“ Er antwortete: „Ich will ihnen noch einmal um
deinetwillen Barmherzigkeit erweisen.“
Dann sprach der Herr zur Braut (Birgitta) und sagte: „Ich bin der
Gott und Herr der Engel. Ich bin Herr über Tod und Leben. Ich,
derselbe, will in deinem Herzen wohnen. Sieh, welch große Liebe ich
zu dir habe! Himmel und Erde und alles, was darin ist, können mich
nicht fassen, und dennoch will ich deinem Herzen wohnen, das nur ein
kleines Stück Fleisch ist. Was sollst du denn noch fürchten, was könnest
du noch brauchen, wenn du den allmächtigen Gott in dir hast, in dem
alles Gute ist?
Nun muß es in diesem Herzen, das meine Wohnung ist, drei Dinge geben:
Ein Bett, in dem wir ruhen können, eine Bank, auf der wir sitzen können,
und eine Lampe, von der wir Licht erhalten können. In deinem Herzen
muß es nämlich ein Bett geben, um darin zu ruhen, so dass du von bösen
Gedanken und weltlichen Begierden Abstand nehmen und stets die ewige
Freude betrachten kannst. Die Bank soll dein Ruheplatz sein, um bei
mir sitzen bleiben zu können, auch wenn es manchmal geschieht, dass
du ausgehst. Es ist ja gegen die Natur, immer nur zu stehen, aber der
steht immer, der immer mit der Welt sein will und niemals bei mir
sitzen will. Das licht oder die Lampe soll dein Glaube sein, dass ich
alles vermag und über alle Dinge allmächtig bin.“
|
31. Kapitel |
Johannes der Täufer preist Maria und
schildert Maria ihre Tugenden.
Die Braut (Birgitta) sah die Himmelskönigin, Gottes Mutter, die
eine unbeschreiblich schöne und kostbare Krone auf dem Haupt hatte.
Das wunderbar schöne Haar war über die Schultern geschlagen, und sie
trug einen goldenen Rock, der in einem unsagbaren Glanz erstrahlte,
mit einer blauen Kappe aus Azur oder Klarer Himmelsfarbe.
Als die Braut sich nun über einen so herrlichen Anblick wunderte und
in dieser Verwunderung in einer inneren Verzückung ganz hingerissen
dastand, zeigte sich ihr plötzlich der hl. Johannes der Täufer, der
zu ihr sagte: „Hör genau zu, was dies bedeutet. Die Krone bedeutet,
dass sie (Maria) Königin und Herrscherin und Mutter des Königs der
Engel ist; das ausgebreitete Haar bedeutet, dass sie rein und eine
unbefleckte Jungfrau ist.[1] Die Kappe mit Himmelsfarbe besagt, dass
alle zeitlichen Dinge wie tot für sie sind. Der goldene Rock, dass
sie vor Gottesliebe brannte und glühte, innerlich und äußerlich.
Aber in die Krone setzt ihr Sohn sieben Lilien, und zwischen diese
Lilien setzte er sieben Edelsteine. Die erste Lilie ist ihre Demut,
die zweite ihre Gottesfurcht, die dritte ihr Gehorsam, die vierte ihre
Geduld, die fünfte ihre Standhaftigkeit, die sechste ihre Milde,
(denn sie ist mild und gibt allen, die sie bitten), die siebente ihre
Barmherzigkeit in Drangsal (denn in welcher Drangsal sich auch der
Mensch befindet, wird ihm geholfen, wenn er sie von ganzem Herzen
anruft).
Zwischen diese leuchtenden Lilien setzte ihr Sohn sieben kostbare
Edelsteine. Der erste Stein ist ihre makellose Tugendhaftigkeit, denn
es gibt in keiner Seele oder keinem Körper eine Tugend, die sie nicht
in höherem Maße besitzt. Der zweite Stein ist ihre vollkommene
Reinheit, denn diese Himmelskönigin war von ihrem ersten Eintritt in
die Welt und bis zu ihrem letzten Tag so rein, dass niemals irgendein
Sündenfleck bei ihr anzutreffen war.
Und keiner von den Teufeln konnte bei ihr nicht einmal so viel
Unreinheit finden, wie auf eine Nadelspitze passt. Sie war in Wahrheit
die allerreinste. Denn für die Ehrenkönigin war es angemessen, nur
in dem reinsten Gefäß zu wohnen, die vor allen Engel und Menschen
auserwählt und reiner als sie war.
Der dritte Stein war ihre Schönheit, denn Gott wird von seinen
Heiligen wegen der Schönheit seiner Mutter gepriesen, und die
heiligen Engel und alle heiligen Seelen sind von Freude über ihre Schönheit
erfüllt. Der vierte kostbare Stein in der Krone ist die Weisheit der
jungfräulichen Mutter, denn sie ist von aller göttlicher Weisheit in
Gott erfüllt, und alle Weisheit gelangt durch sie zur Vollkommenheit
und Vollendung.
Der fünfte Stein ist ihre Stärke, denn sie ist mit Gott so stark,
dass sie alle geschaffenen Dinge zu bezwingen vermag. Der sechste
Stein ist ihre Klarheit, denn sie ist so klar, dass die Engel, deren
Augen klarer sind als das Licht, von ihr erleuchtet werden, und die
Teufel es nicht wagen, in ihre Klarheit hinein zu schauen. Der
siebente Stein ist die Fülle aller Freude und aller geistlichen Süßigkeit,
die sich bei ihr in so vollem Maße findet, dass es keine Freude gibt,
die noch nicht von ihr erhöht wird, und kein Vergnügen, das nicht
durch sie und ihren seligen Anblick noch reicher und vollkommener
wird, denn sie ist von Gnade erfüllt, und das in höherem Maß, als
alle Heiligen.
Sie ist nämlich das Gefäß der Reinheit, in dem das Brot der Engel
ruhte, und in dem sich alle Lieblichkeit und Schönheit findet. Diese
sieben Steine hat ihr Sohn zwischen die sieben Lilien gesetzt, die in
ihrer Krone waren. Daher sollst du, die Braut ihres Sohnes, sie von
ganzem Herzen ehren und preisen, denn sie ist in Wahrheit alles Lobes
und aller Ehre wert.“
[1].
Nach mittelalterlichem Brauch hatte eine Jungfrau ihr ausgebreitetes
Haar unbedeckt (oder, wenn ihre gesellschaftliche Stellung dies
erlaubte, mit einem Diadem geschmückt), während verheiratete Frauen,
Witwen und Nonnen immer ein Kopftuch trugen. |
32. Kapitel |
Christus spricht mit Maria über drei von Dämonen
besessene Personen, von denen zwei niemals geheilt wurden, während
die dritte durch Birgittas Hilfe befreit wurde.
Du sollst wie der Mensch sein, der zurücklässt, und wie der, der
sammelt. Du musst nämlich die Reichtümer der Seele aufgeben und
stattdessen Tugenden sammeln, das Vergängliche verlassen und das
Ewige sammeln, das Sichtbare verlassen und das Unsichtbare sammeln.
Ich will dir nämlich statt der Lust des Fleisches die jubelnde Freude
der Seele geben, statt der Freude der Welt die Freude des Himmels,
statt der Ehre der Welt die Ehre der Engel, statt des Anblickes der
Verwandten den Anblick Gottes, anstatt irdischer Besitztümer mich
selbst, den Geber und Schöpfer aller Dinge.
„Antworte mir auf drei Fragen, die ich dir stellen werde. Erstens:
Willst du auf dieser Welt reich oder arm sein?“ Sie (Birgitta)
antwortete: „Herr, ich will lieber arm sein, denn die Reichtümer
tun mir nichts Gutes an; sie bereiten mir nur Kummer und halten mich
von Deinem Dienst ab.“
„Sag mir weiter: Hast du nicht in meinen Worten, die du aus meinem
Mund gehört hast, etwas gefunden, das deiner Auffassung nach
tadelnswert oder falsch ist?“ Sie erwiderte: „Nein, wahrhaftig
nicht; alles ist vernünftig.“
„Sag mir drittens: Was behagt dir mehr, die Lust des Fleisches, die
du vorher hattest, oder die Lust des Geistes, die du jetzt hast?“
Sie antwortete: „Ich schäme mich in meinem Herzen, an diese
einstige fleischliche Lust zu denken; sie ist mir jetzt wie Gift und
schmeckt mir ebenso bitter, wie ich sie vorher sehr geliebt habe. Ich
will lieber sterben, als jemals zu ihr zurückkehren, und sie hält
keinen Vergleich mit dieser geistlichen Lust aus.“
„So erkennst du“, sagte Christus, „in deinem Inneren, dass
alles, was ich dir sagte, wahr ist. Warum hast du dich denn geängstigt
und bekümmert, dass ich das vorbringe, was – wie ich dir sagte –
geschehen wird? Schau auf die Propheten, schau auf die Apostel und die
heiligen Lehrer – haben sie etwa etwas anderes als die Wahrheit bei
mir gefunden? Deshalb kümmerten sie sich nicht um die Welt und ihr
Verlangen.
Oder warum weissagten die Propheten so lange im voraus über zukünftige
Dinge, wenn nicht deshalb, weil Gott wollte, dass erst die Worte verkündigt
werden sollten, und erst dann die Taten folgen, so dass die
Unwissenden über den Glauben unterrichtet werden sollten? Alle
Geheimnisse meiner Menschwerdung wurden den Propheten ja im voraus
verkündet, und auch der Stern, der die weisen Männer leitete; sie
glaubten den Worten des Propheten und verdienten es, zu sehen, was sie
glaubten – und als sie den Stern sahen, wurden sie schnell überzeugt.
So müssen meine Worte nun erst verkündet werden, damit man später,
wenn die Ereignisse eintreffen, ihnen umso sicherer glauben mag.
Drei Dinge zeige ich dir: Erstens das Gewissen eines Mannes,[1] dessen
Sünde ich dir offenbart habe und mit den wunderbarsten Zeichen
bewiesen habe. Aber warum? Sollte ich ihn nicht persönlich
totschlagen können? Oder sollte ich ihn nicht in einem Nu ertränken
können, wenn ich wollte? Sicher würde ich das können. Aber damit
andere unterrichtet werden können und sich meine Worte als wahr
erweisen, so dass ich zeigen kann, wie gerecht und geduldig ich bin
und wie unglückselig dieser Mann ist, der vom Teufel regiert wird,
will ich noch Geduld mit ihm haben.
Denn von dem Willen, den er zur Sünde hatte, und von der Lust an der
Sünde hat sich die Macht des Teufels über ihn so erhöht, dass weder
milde Worte oder strenge Drohungen oder Furcht vor der Hölle ihn zurückrufen
können. Und das mit Recht, denn nachdem er immer hatte sündigen
wollen, wird er, auch wenn er es nicht in die Tat umgesetzt hat, mit
Recht dem Teufel auf ewig anheimfallen. Denn die geringste Sünde, an
der jemand seine Lust findet und dafür nicht Buße tut, reicht aus,
um ihm ewige Verdammnis zu bereiten.
Ich habe dir noch zwei andere Dinge gezeigt. Der Teufel hat den Leib
des einen geplagt, war aber nicht in seiner Seele. Er verdunkelte das
Gewissen des anderen mit seinen Ränken, aber war dennoch nicht in
seiner Seele und hatte Keine Gewalt über sie. Aber nun fragst du
vielleicht: Ist nicht das Gewissen und die Seele ein und dasselbe? Soll
er nicht in der Seele sein, wenn er im Gewissen steckt? Keineswegs.
Der Leib hat ja zwei Augen, mit denen er sieht, und auch wenn er der
Sehkraft beraubt ist, kann der Körper dennoch gesund sein. So verhält
es sich auch mit der Seele. Denn wenn auch der Verstand und das
Gewissen manchmal verwirrt und geplagt wird, wird die Seele doch nicht
immer zur Sünde verleitet. Und deshalb hatte der Teufel Macht über
sein Gewissen, aber nicht über seine Seele.
Ich will dir einen Dritten zeigen, in dessen Seele und Leib der Teufel
ganz regiert. Wenn er dazu nicht von meiner Macht und meiner
besonderen Gnade gezwungen wird, kann er niemals aus dem Mann
vertrieben werden, oder ihn verlassen. Von manchen Menschen weicht ja
der Teufel willig und schnell, aber von anderen nur unwillig und
gezwungen. Denn in manche Menschen geht der Teufel wegen der Sünden
der Eltern oder wegen eines heimlichen Gottesurteils ein; das
geschieht z.B. mit Kindern und Geistesschwachen.
In andere geht er wegen ihres Unglaubens oder wegen einer anderen Sünde
ein. Von diesen weicht der Teufel willig, wenn er von denen
ausgetrieben wird, die Beschwörungen oder eine solche Kunst
verstehen, womit Teufel ausgetrieben werden. Wenn sie eine solche
Austreibung um eitler Ehre willen oder wegen eines zeitlichen Gewinns
ausüben, dann hat der Teufel Macht, in den einzufahren, der ihn
ausgetrieben hat, und noch einmal in den, aus dem er ausgetrieben ist,
denn keiner von denen hatte Liebe zu Gott.
Von denen dagegen, deren Seele und Leib er ganz beherrscht, geht er
niemals fort, wenn nicht durch meine Macht. Denn so wie Essig, wenn
man ihn mit dem süßesten Wein vermischt, alle Süßigkeit im Wein
verdirbt und nie mehr davon geschieden werden kann, so geht der Teufel
auch nicht aus der Seele dessen heraus, die er besitzt – wenn nicht
durch meine Macht.
Was ist dieser Wein anderes, als die Menschenseele, die für mich
lieblicher als alle geschaffenen Wesen ist, und die mir so lieb war,
dass ich meine Sehnen zerschneiden und mein Fleisch ihretwegen bis auf
die Rippen verwunden ließ, und dass ich ihretwegen lieber noch einmal
den Tod erleiden würde, als sie verlieren. Dieser Wein wurde mit Hefe
aufbewahrt, denn ich habe diese Seele in den Leib gesetzt, in dem sie
nach meinem Willen wie in einem verschlossenen Gefäß verwahrt wurde.
Aber jetzt ist dieser süße Wein mit dem schlimmsten Essig vermischt
worden, nämlich dem Teufel, dessen Bosheit mir bitterer und
abscheulicher als jeder Essig ist. Von diesem Mann, dessen Namen ich
dir nennen will, soll durch meine Macht der Essig abgesondert werden,
so dass ich dir durch ihn meine Barmherzigkeit und Weisheit zeigen
kann, aber durch den vorigen mein Gericht und meine Gerechtigkeit.“
|
Erklärung |
Der erste war
ein hochadliger und hochmütiger Kantor, der sich ohne Erlaubnis des
Papstes nach Jerusalem begab und vom Teufel gepackt wurde. Von diesem
vom Teufel besessenen Mann wird auch im Buch 3, Kap. 31 und im Buch 4,
Kap. 115 erzählt. Der andere vom Teufel Besessene gehörte zum gleichen
Kapitel; er wurde Zisterziensermönch. Der Teufel setzte ihm so zu, dass
er kaum von vier Personen gehalten werden konnte. Seine ausgestreckte
Zunge glich einer Ochsenzunge. Seine Handschellen brachen auf
unsichtbare Weise entzwei. Nach einem Monat und zwei Tagen wurde er von
Frau Birgitta geheilt.
Der dritte vom Teufel Besessene war ein Vogt in Östergötland. Als er
ermahnt wurde, Buße zu tun, sagte er zu dem, der ihn ermahnte: „Kann der
Herr des Hauses nicht da sitzen, wo es ihm behagt? Der Teufel hat mein
Herz und meine Zunge – wie könnte ich da Buße tun?“ Er schmähte auch den
Heiligen Gottes, und in derselben Nacht starb er ohne Sakramente und
Beichte.
[1].
Siehe die nachfolgende Erklärung. |
33. Kapitel |
Christus tadelt die weltlichen weisen, d.h.
solche Theologen, die sich aus weltlichen Beweggründen Gelehrsamkeit
verschafft haben, und gibt das rechte Motiv für alle Forschung an, nämlich
die Liebe zu Gott.
Meine Freunde sind wie
Scholaren, die drei Dinge besitzen. Erstens
Einsicht über die Natur des Gehirns. Zweitens Weisheit ohne
menschliche Hilfe, denn ich belehre sie selbst in ihrem Innern.
Drittens sind sie voll von Lieblichkeit und Gottesliebe, womit sie den
Teufel besiegen. Aber die Menschen belehren sich jetzt auf
entgegengesetzte Weise. Erstens wollen sie aus Prahlsucht weise sein,
um Reichtümer zu besitzen und zu gewinnen. Drittens wollen sie weise
sein, um Ehre und Würde zu erlangen.
Deshalb gehe ich von ihnen fort, wenn sie in ihre Schulen gehen und
dort eintreten, denn sie erwerben Gelehrsamkeit der Hoffahrt wegen,
und ich habe sie doch Demut gelehrt. Sie gehen aus Gewinnsucht
dorthin, aber ich hatte nicht einmal einen Platz, wo ich mein Haupt
hinlegen konnte. Sie gehen dorthin, um Würden zu erlangen, indem sie
die beneiden, die eine höhere Stellung innehaben als sie selbst, aber
ich wurde von Pilatus verurteilt und von Herodes verspottet.
Deshalb gehe ich fort von ihnen, denn sie kehren sich nicht an meine
Lehre. Weil ich milde und gut bin, gebe ich einem jeden, was er
begehrt. Wer mich um ein Brot bittet, der soll es bekommen. Und wenn
jemand um Stroh bittet, soll es ihm gegeben werden. Meine Freunde, die
bitten um Brot, denn sie brachten und lehren sich die göttliche
Weisheit, in der meine Liebe ist.
Andere bitten dagegen um Stroh, d.h. um weltliche Weisheit. Denn so
wie Stroh nicht nützlich für Menschen ist, sondern nur, um die vernünftigen
Tiere zu füttern, so liegt auch kein Gewinn in der weltlichen
Weisheit, die sie suchen, und keine Erquickung für die Seele, nur ein
kleiner Name und leere Freude. Denn wenn der Mensch stirbt, da wird
all seine Weisheit ausgelöscht, und sie kann nicht von denen gesehen
werden, die sie preisen.
Ich bin wie ein großer Herr, der viele Diener hat, die auf den Wegen
ihres Herrn allen das verteilen, was für sie notwendig ist. So stehen
gute und böse Engel in meinem Dienst. Denen, die sich meine Weisheit
aneignen, d.h. mir dienen, stehen die guten Engel bei, die sie mit
Freude und angenehmer Arbeit erquicken. Aber den Weisen in weltlichem
Sinne stehen die bösen Engel bei, die ihnen geben, was sie wollen,
die sie nach ihrem Belieben formen, ihnen schlechte Gedanken einflößen
und sie dazu antreiben, nach vielem zu streben. Aber wenn sie auf mich
schauen würden, so könnte ich ihnen ohne solche Mühe Brot und die Güter
der Welt in reichem Maß geben, wovon sie jetzt nie satt werden,
nachdem sie für das Süße in Bitteres verwandeln.
Aber du, meine Braut, sollst wie ein Käse sein, und dein Leib wie der
Käsebottich, in dem der Käse geformt wird, bis er die Form des
Bottichs hat. So soll deine Seele, die mir lieb und behaglich wie ein
Käse ist, solange im Leibe erprobt und gereinigt werden, bis ihr Leib
und ihre Seele einträchtig zusammenpassen und beide dieselbe Form der
Enthaltsamkeit haben, so dass das Fleisch dem Geist gehorcht, und der
Geist das Fleisch zu allen Tugenden leitet.“
|
34. Kapitel |
Christus und der Teufel führen ein Zweigespräch,
dem Birgitta zuhören darf. Der Teufel drückt seinen Neid auf die
reichen geistlichen Gaben aus, die Birgitta zuteil geworden sind, und
Christus erklärt, warum er ihr die gegeben hat: Um seine eigene Ehre
in aller Demut dem Sünder zu geben und so die Hochmut des Teufels zu
beschämen.
Ich bin der Schöpfer Himmels und der Erde, de als wahrer Gott und
wahrer Mensch im Mutterleib der Jungfrau war, der gestorben,
auferstanden und zum Himmel aufgestiegen ist. Du, meine neue Braut,
bist an einen unbekannten Ort gekommen.[1] Deshalb sollst du vier
Dinge tun. Erstens, die Sprache des Ortes zu erlernen. Zweitens
passende Kleider zu tragen. Drittens, Tage und Zeiten nach den örtlichen
Gegebenheiten einzurichten. Viertens, dich an das neue Essen zu gewöhnen.
So sollst du, wenn du von der Unstetigkeit der Welt zur Stetigkeit
gekommen bist, eine neue Sprache haben, d.h. Verzicht auf unnötige
Worte und manchmal auch auf zulässige, um den Ernst des Schweigens
und der Verschwiegenheit zu beobachten. Deine Kleider sollen Demut im
Inneren und nach außen sein, so dass du dich in deinem Inneren nicht
selbst erhöhst, als wärest du heiliger als andere, und dich nach außen
hin nicht scheust, dich vor den Menschen demütig zu zeigen.
Zum dritten bedeutet das Einteilen deiner Zeit, dass wie du früher
mehr Zeit für die Erfordernisse und zum Nutzen deines Körpers
hattest, so sollst du nun auch eine Zeit für die Seele haben, d.h.
dass du niemals etwas gegen mich sündigst. Viertens bedeutet die neue
Nahrung Verzicht auf übertriebene Eßlust und Leckereien mit aller
Klugheit, so wie die menschliche Natur es ertragen kann. Die
Enthaltsamkeit, die das für die Menschennatur mögliche Maß übersteigt,
gefällt mir nämlich nicht, denn ich verlange das Vernünftige, und
dass die Lust am Genuß gezähmt werden soll.”
Da zeigte sich zu selben Stunde der Teufel. Der Herr sagte zu ihm:
”Du bist von mir geschaffen und hast alle Gerechtigkeit in mir
gesehen. Antworte mir nun, ob diese neue Braut (Birgitta) gesetzlich
und nach anerkanntem Recht die meine ist. Ich erlaube dir nämlich,
ihr Herz zu sehen und zu verstehen, so dass du wissen kannst, was du
mir antworten sollst. Liebt sie vielleicht etwas so sehr wie mich,
oder will sie etwas im Austausch für mich haben?”
Der Teufel antwortete ihm: “Nichts liebt sie so sehr wie dich, und
lieber, als dich zu verlieren, will sie alle Qual erleiden, soweit du
ihr die Kraft der Geduld gibst. Ich sehe etwas wie ein brennendes Band
von dir zu ihr hinablaufen, und das bindet ihr Herz so fest, dass sie
an nichts anderes denken oder etwas anderes lieben kann, als dich.”
Da sagte der Herr zum Teufel: “Sag mir: Wie steht sie in deinem
Herzen, oder wie gefällt dir die große Liebe, die ich für sie
hege?” Der Teufel sagte: “Ich habe zwei Augen. Das eine ist körperlich
(obwohl ich nicht körperlich bin), und mit diesem Auge sehe ich
zeitliche Dinge so klar, dass es nichts gibt, das so heimlich oder
dunkel wäre, dass es sich vor mir verbergen könnte.
Das andere Auge ist geistig, und es gibt keine Pein, die so klein ist,
dass ich sie mit diesem Auge nicht sehen und verstehen kann, zu
welcher Sünde sie gehört. Und es gibt keine so kleine oder leichte Sünde,
dass ich sie nicht sehen könnte, soweit sie nicht durch Buße getilgt
ist. Aber obwohl keine Glieder verletzbarer und empfindlicher sind,
als die Augen, wollte ich dennoch gern, dass zwei brennende Fackeln
unaufhörlich meine Augen durchdringen, wenn ich dadurch erreichen könnte,
dass sie (Birgitta) nicht mit geistlichen Augen sehen könnte.
Ich habe auch zwei Ohren. Das eine ist körperlich, und niemand kann
so heimlich und leise sprechen, dass ich es nicht mit diesem Ohr höre
und zu wissen bekomme. Das andere ist geistig, und niemand kann einen
so heimlichen Gedanken oder solche Begierde nach einer Sünde haben,
dass ich es nicht mit diesem Ohr höre, sofern die Sünde nicht durch
Buße ausgetilgt ist. Und ich wollte gern, dass die Pein der Hölle,
hervorbrechend wie ein Strom und den gewaltigsten Brand erregend, ohne
Unterlaß durch meine Ohren fließen würde, wenn ich dadurch
erreichen könnte, dass sie (Birgitta) mit ihren geistlichen Ohren
nicht hört.
Ich habe auch ein geistiges Herz, und ich wollte gerne, dass es ohne
Unterlaß in kleine Stücke zerrissen würde und ständig zur selben
Pein erneuert würde, wenn ich dadurch erreichen könnte, dass ihr
Herz in der Liebe zu dir erkalten würde. Aber da du gerecht bist,
frage ich dich jetzt nach einer Sache, die du mir beantworten magst.
Sag mir, warum du sie so sehr liebst! Warum hast du keine heiligere,
reichere und schönere Frau ausgewählt?“
Der Herr erwiderte ihm: „Weil die Gerechtigkeit dies verlangte. Du
bist ja von mir geschaffen worden und hast alle Gerechtigkeit in mir
gesehen. Sag mir, so dass sie darauf hört, welche Gerechtigkeit es
war, dass du einen so schweren Fall getan hast, und welches dein
Gedanke war, als du gefallen bist!“
Der Teufel erwiderte: „Ich sah in dir drei Dinge. Ich sah deine Ehre
und Würde, die alles überragte, und ich dachte an meine eigene Ehre.
Daher wurde ich hochmütig und nahm mir vor, nicht dir gleich zu
werden, sondern sogar höher zu werden, als du. Zweitens sah ich, dass
du mächtiger bist als alle anderen, und deshalb begehrte ich, noch mächtiger
zu sein als du. Drittens sah ich, was in Zukunft geschehen würde, und
da deine Ehre und Würde ohne Anfang und Ende ist, beneidete ich dich
und dachte, dass ich gern beständig von der bittersten Qual geplagt würde,
wenn du dadurch sterben könntest, und unter solchen Gedanken stürzte
ich, und so kam die Hölle zustande.“
Der Herr antwortete: „Du hast mich gefragt, warum ich sie so sehr
liebe. Sicher, weil ich all dein Böses zum Guten wende. Denn weil du
hochmütig wurdest und mich, deinen Schöpfer als einen, der dir
gleich ist, nicht haben willst, deshalb demütige ich mich in allem,
hole Sünder zusammen und stelle mich mit ihnen gleich, indem ich
ihnen etwas von meiner Ehre gebe. Zweitens: Weil du ein so schlechtes
Verlangen hattest, dass du mächtiger als ich sein wolltest, deshalb
mache ich Sünder mächtiger als dich und lasse sie an meiner Macht
teilhaben. Drittens: Weil du mich beneidet hast, bin ich so liebevoll,
dass ich mich für die Sünder geopfert habe.“
Dann sagte der Herr: „Jetzt, Teufel, ist dein dunkles Herz erhellt.
Sage, so dass sie es hört, welche Liebe ich für sie habe.“ Der
Teufel sagte: „Wenn es möglich wäre, würdest du gern eine solche
Pein in einem jeden Glied besonders erdulden, wie du einmal am Kreuz
in allen Gliedern littst, ehe du sie verlieren würdest?“
Da antwortete der Herr: „Wenn ich also so barmherzig bin, dass ich
dem, der darum bittet, meine Vergebung nicht verweigere, so bitte auch
du mich demütig um Vergebung, und ich werde sie dir schenken.“ Der
Teufel erwiderte: „Das tue ich auf keine Fall. Denn als ich fiel,
wurde eine Strafe für jede Sünde, für jeden unnötigen Gedanken und
jedes unnütze Wort bestimmt, und ein jeder von den Engeln, die
gefallen sind, wird seine Strafe erhalten. Deshalb will ich, bevor ich
meine Knie vor die beuge, lieber alle Plagen schlucken, so lange mein
Mund für die Plagen geöffnet und geschlossen werden kann, so dass
ich immer von neuem bereit bin, Plagen zu leiden.“
Da sagte der Herr zu seiner Braut: „Sieh, wie verhärtet der Fürst
der Welt ist, und wie mächtig er mir gegenüber durch meine heimliche
Gerechtigkeit ist. Ich könnte ihn ja mit meiner Macht in einem
Augenblick vernichten, aber ich begehe ihm gegenüber kein größeres
Unrecht, als gegen einen guten Engel im Himmel. Aber wenn seine Zeit
kommt – sie naht jetzt – so werde ich ihn und seine Anhänger
vernichten. Deshalb sollst du, meine Braut, stets in guten Taten
Fortschritte machen. Liebe mich von deinem ganzen Herzen; fürchte
nichts anderes als mich. Ich bin nämlich Herr über den Teufel und über
alles, was es gibt.“
[1]. Damit ist vielleicht Italien gemeint. |
35. Kapitel |
Maria spricht mit Birgitta von ihrer Trauer
bei Christi Tod. Das Kapitel kann als Ausdruck für die Verehrung des
Herzens Maries und für den Glauben an Maria’s Stellung als „Miterlöserin“
gelten, die beide im katholischen Frömmgkeitsleben unserer Tage einen
starken Aufschwung erlebt haben.
Maria sagte: „Meine Tochter, betrachte das Leiden meines Sohnes,
dessen Glieder für mich wie meine Glieder und wie mein Herz waren.
Denn ebenso wie andere Kinder im Leib der Mutter sind, so war er auch
in mir. Aber er wurde in der brennenden göttlichen Liebe gezeugt –
andere Kinder dagegen aus dem Begehren des Fleisches. Daher sagt der
Evangelist Johannes, sein Neffe, treffend: „Das Wort ward
Fleisch.“
Denn er kam durch Liebe und war in mir. Das Wort (Gottes) und die
Liebe haben ihn in mir geschaffen. Er war ja für mich so wie mein
Herz. Als er daher von mir geboren wurde, kam es mir vor, als ob mein
halbes Herz geboren würde und von mir ausginge. Und als er litt,
empfand ich es, als ob mein Herz leiden würde. Denn wie es sich damit
verhält, das zur Hälfte außen und zur Hälfte innen ist, so dass
das Innere denselben Schmerz empfindet wie das Äußere, wenn es
verletzt wird, so war es mit mir, als mein Sohn gegeißelt und
verwundet wurde, denn da wurde gleichsam auch mein Herz gegeißelt und
verletzt.
Ich war ihm auch in seiner Pein ganz nahe, und ich wurde nicht von ihm
getrennt. Ich stand am nächsten bei seinem Kreuz, und wie es
schlimmer wehtut, was dem Herzen näher ist, so war auch seine Qual für
mich schwerer, als für andere. Als er vom Kreuz auf mich herabblickte
und ich auf ihn, da strömten Tränen aus meinen Augen, wie aus den
Adern. Und als er sah, wie ich von Leiden erfüllt war, da spürte er
einen solchen Schmerz über meine Qual, dass alle Schmerzen in seinen
Wunden gleichsam wegen meiner Schmerzen einschliefen, die er an mir
sah. Daher wage ich zu sagen, dass sein Schmerz mein Schmerz war, da
sein Herz auch mein Herz war. Denn so wie Adam und Eva die Welt für
einen Apfel verkauften, so erlöste mein Sohn und ich die Welt
gleichsam mit einem Herzen. Bedenke Daher, mein Tochter, wie es mir
beim Tode meines Sohnes ging, und da wird es dir nicht schwer werden,
die Welt zu verlassen.“
|
36. Kapitel |
Birgittas Schutzengel betet zu Christus, dass
es Birgitta vergönnt sein möge, rechtzeitig Buße für ihre Sünden
zu tun. Christus bewilligt das Gebet und gibt Birgitta Anweisungen für
Reue und Buße.
Der Herr antwortete einem Engel, der für die Braut seines Herrn
bat: „Du bist wie der Ritter der Herrn, der nie seinen Helm aus
Bequemlichkeit abnahm, und der nie aus Furcht die Augen vom Streit
abwandte. Du bist standhaft wie ein Berg und brennend wie eine Flamme.
Du bist so rein, dass sich kein Fleck in dir findet. Du bittest um
Erbarmen für meine Braut. Wenn du auch alles in mir weißt und
siehst, sollst du dennoch, während sie zuhört, sagen, um welches
Erbarmen du für sie bittest.
Es gibt nämlich drei Arten von Erbarmen. Eins ist das, wobei der Leib
gestraft und die Seele geschont wird, wie es mit meinem Diener Hiob
geschah, dessen Leib alle Plagen Leiden musste, und dessen Seele
bewahrt wurde. Das zweite Erbarmen ist das, wobei die Seele und der
Leib von Plagen verschont wird, wie es mit dem König der Fall war,
der in allerlei Genuß lebte und weder Plagen am Körper oder der
Seele hatte, als er auf Erden lebte.
Das dritte Erbarmen ist das, wobei der Leib und die Seele gestraft
werden, so dass man sowohl Beschwerden im Fleisch und Schmerz im
Herzen hat, wie es mit Petrus und Paulus und anderen Heiligen war.
Denn es gibt drei Situationen der Menschen auf der Welt. Die erste ist
die von denen, die in Sünde gefallen sind, sich aber wieder davon
erheben; die lasse ich manchmal körperlich leiden, so dass sie erlöst
werden können.
Die zweite ist die von denen, die gern in Ewigkeit leben wollten, um
auf ewig sündigen zu können, die ihren ganzen Willen auf die Welt
gerichtet haben und die, wenn sie einmal etwas für mich tun, es in
der Absicht tun, dass ihr zeitliches Glück zunehmen und sich
vervollkommnen möge. Denen wird kein körperliches Leid oder großes
Herzeleid geschickt, sondern sie dürfen in ihrer Macht und ihrem
Willen verharren, denn für das geringste Gute, das sie für mich
getan haben, sollen sie hier ihren Lohn erhalten, um dann in Ewigkeit
gepeinigt zu werden. Der, dessen Wille beständig auf die Sünde
gerichtet ist, für den wird ja die Pein auch beständig sein.
Der dritte Zustand ist der von denen, die sich mehr fürchten, gegen
mich zu sündigen und mich zu ergänzen, als dass sie irgendwelche
Pein fürchten, und die lieber ewig gepeinigt werden wollen, als dass
sie mich bewusst zum Zorn reizen wollen. Denen wird Trübsal des
Leibes und des Herzens gegeben, wie Petrus und Paulus und anderen
Heiligen, so dass sie hier auf Erden noch bessern können, was sie auf
Erden gesündigt haben, oder so, dass sie für eine Zeitlang gereinigt
werden, zu größerer Ehre für sie selbst und als Beispiel für
andere. Dieses dreifache Erbarmen tat ich in diesem Reich mit den
dreien, deren Namen dir bekannt sind. Aber nun, Engel, du mein Diener,
sage, um welches Erbarmen du für meine Braut bittest.“
Der Engel sagte: „Um das Erbarmen mit der Seele und dem Leib, so
dass sie Besserung für das tun kann, was sie auf Erden gesündigt
hat, und keine von ihren Sünden soll vor deinen Richterstuhl
kommen.“ „Der Herr antwortete:“ Das mag nach deinem Willen
geschehen.“
Dann sagte er zur Braut (Birgitta): „Du bist mein. Deshalb will ich
mit dir verfahren, wie es mir gutdünkt. Liebe nichts anderes so wie
mich. Reinige dich also jede Stunde von Sünde mit den Ratschlägen,
die ich dir anvertraut habe. Verbirg keine Sünde, lasse keine ungeprüft,
sieh keine Sünde als leicht an und keine, die man übersehen könnte.
Denn an alles, was du übersiehst, werde ich mich erinnern und
verurteilen. Vor meinen Richterstuhl soll nämlich keine deiner Sünden
kommen, die in deinem Leben mit Buße gestraft ist. Aber die Sünden,
für die du keine Buße getan hast, werden im Fegefeuer gereinigt oder
mit einer anderen heimlichen Strafe von mir geahndet werden, soweit du
sie nicht wiedergutgemacht hast und sie hier gebessert hast.“
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37. Kapitel |
Maria beschreibt Birgitta, wie Christus von
neuem von denen gekreuzigt wird, die sich nicht von Sünde enthalten
wollen, sondern sich verhärten; diese kreuzigen ihn, sagt sie, viel
grausamer, als wie es die Juden früher taten.
Die Mutter sprach: „Mein Sohn besaß drei gute Dinge. Erstens
hatte keiner einen so feinen und weichen Leib wie er, denn er war aus
den beiden erhabensten Naturen geschaffen, nämlich der Gottheit und
Menschheit, und so rein, dass – so wie sich kein Fleck in dem
klarsten Auge findet, so konnte man auch keinen Fehler an seinem Leibe
finden.
Das zweite Gute bestand darin, dass er nie sündigte. Denn andere
Kinder tragen manchmal die Sünden ihrer Eltern und ihre eigenen; er
dagegen sündigte niemals und trug dennoch die Sünden von allen. Das
dritte war, dass manche für Gott sterben und einen herrlichen Lohn
dafür erhalten, aber er starb ebenso sehr für seine Widersacher, wie
für mich und seine Freunde.
Aber als ihn seine Feinde kreuzigten, machten sie vier Dinge mit ihm.
Erstens krönten sie ihn mit Dornen. Zweitens durchbohrten sie seine Hände
und Füße. Drittens gaben sie ihm Essig zu trinken. Viertens stechen
sie ihn in seine Seite.
Aber nun klage ich darüber, dass mein Sohn von seinen Widersachern,
die jetzt auf der Welt sind, grausamer gekreuzigt wird, als wie ihn
damals die Juden gekreuzigt haben. Sicher leidet die Gottheit keine
Qual und kann nicht sterben; dennoch kreuzigen sie ihn mit ihren
eigenen Lastern. Denn wenn ein Mann dem Bilde seines Gegners Kränkung
und Schaden zufügt, muß der Schadenverursacher, obwohl das Bild ja
keinen Schaden spürt, doch verklagt und für seinen bösen Willen
verurteilt werden, Schaden anzurichten, ebenso wie für eine begangene
Tat. Ebenso sind ihre Laster, mit denen sie meinen Sohn im geistigen
Sinne kreuzigen, hässlicher und schwerer für ihn als die von denen,
die ihn körperlich gekreuzigt haben.
Aber nun fragst du vielleicht: Wie kreuzigen sie ihn denn heute? Ja,
erstens schlagen sie ihn an das Kreuz, das sie ihm bereitet haben,
wenn sie nicht auf die Gebote ihres Herrn und Schöpfers achten,
sondern ihn beschimpfen, wenn er sie durch seine Diener mahnt, ihm zu
dienen, und verachten das und tun stattdessen das, was ihnen behagt.
Dann kreuzigen sie seine rechte Hand, wenn sie Gerechtigkeit für
Unrecht halten und sagen: „Die Sünde ist für Gott nicht so schwer
und verhasst, wie das behauptet wird. Gott straft niemanden in
Ewigkeit; er droht nur damit, um uns zu erschrecken. Denn warum hat er
den Menschen erlöst, wenn er will, dass er vergehen soll?“
Sie beachten nicht, dass die kleinste Sünde, an der der Mensch Freude
hat, reicht, um ihm ewige Strafe zu bereiten, und dass Gott auch nicht
die geringste Sünde ungestraft lässt, ebenso wie er die kleinste
gute Tat nicht unbelohnt lässt. Dafür wird ihre Strafe ewig sein,
denn sie haben ja den ständigen Willen, zu sündigen, und mein Sohn,
der das Herz sieht, rechnet das für eine Tat. Denn so wie sie den
Willen haben, würden sie ihn auch in die Tat umsetzen, wenn es mein
Sohn gestatten würde.
Weiter kreuzigen sie seine linke Hand, wenn sie die Tugend zu einem
Laster verkehren und bis zum Ende ihres Lebens sündigen wollen, indem
sie sagen: „Wenn wir nur an unserem letzten Tage einmal sagen:
Erbarme dich über mich, o Gott, so ist Gottes Erbarmen so groß, dass
wir Vergebung empfangen.“
Aber das ist keine Tugend: Sündigen zu wollen und sich nicht zu
bessern, Lohn ohne Arbeit haben zu wollen, wenn sich im Herzen keine
Reue findet, so dass man sich bessern würde, wenn man es nur wegen
Krankheit oder wegen eines anderen Hindernisses könnte. Dann
kreuzigen sie seine Füße, wenn sie Freude daran haben, zu sündigen,
und nicht ein einziges Mal aus ihrem innersten Herzen mit solchen
Worten danken: „O wie bitter war deine Pein, Gott; Lob sei dir für
deinen Tod!“ – so etwas hört man nie aus ihrem Munde.
Sie krönen ihn mit der Krone der Verhöhnung, wenn sie seine Diener
verspotten und es für nichtig halten, ihm zu dienen. Sie geben ihm
sogar Galle zu trinken, wenn sie sich über die Sünde freuen und darüber
jubeln. Und nicht ein einziges Mal steigt der Gedanke in ihrem Herzen
auf, wie schwer und mannigfaltig diese Sünde ist. Sie stechen seine
Seite auf, wenn sie den Willen haben, in der Sünde zu beharren.
Ich sage dir in Wahrheit, und das kannst du meinen Freunden sagen,
dass solche Menschen in den Augen meines Sohnes ungerechter sind als
die, die ihn schlimmer als die verurteilt haben, die ihn kreuzigten,
frecher als die, die ihn verkauften, und sie müssen eine größere
Strafe erhalten, als sie. Pilatus wusste sehr genau, dass mein Sohn
nicht gesündigt hat und nicht verdient hatte, zu sterben. Trotzdem
verurteilte er, weil er fürchtete, seine weltliche Macht zu
verlieren, und dass die Juden einen Aufruhr machen würden, meinen
Sohn notgezwungen zum Tode.
Aber was sollten die zu fürchten haben, wenn sie ihm gedient hätten,
und was hätten sie an Ehre und Würde eingebüßt, wenn sie ihn
geehrt hätten? Daher werden sie härter bestraft werden, und sie sind
in den Augen meines Sohnes schlimmer als Pilatus. Denn Pilatus
verurteilte ihn, weil andere darum baten und es wollten – und aus
Furcht, wenn sie ihn durch ihre Sünde schmähen, von der sie sich
enthalten konnten, wenn sie gewollt hätten.
Sie verzichten aber nicht auf Sünde und schämen sich auch nicht,
wenn sie gesündigt haben, denn sie bedenken nicht, dass sie seiner
Wohltaten unwürdig sind, dem sie nicht dienen. Sie sind schlimmer als
Judas, denn als Judas seinen Herrn verraten hatte, wusste er sehr gut,
dass dieser Gott war, und dass er sich schwer an ihm versündigt
hatte, aber er verzweifelte und stürzte sich so in die Hölle, weil
er sich für unwürdig hielt, noch länger zu leben.
Aber wenn diese Menschen ihre Sünde auch sehr gut kennen, verharren
sie trotzdem darin und empfinden im Herzen darüber keine Reue. Sie
wollen das Himmelreich mit Gewalt und Macht gewinnen, wenn sie
glauben, es durch Taten ohne eine vergebliche Hoffnung zu erlangen,
aber es wird nur dem gegeben, der etwas für Gott tut und für ihn
leidet.
Sie sind schlimmer als die, die ihn gekreuzigt haben, denn als sie die
guten Werke meines Sohnes sahen, nämlich dass er Tote aufweckt und
Menschen vom Aussatz geheilt hatte, dachten sie bei sich: „Dieser
Mann vollbringt unerhörte und ungewöhnliche Wundertaten, denn mit
einem Wort vernichtet er, wen er will; er kennt unsere Gedanken und
tut alles, was er will. Wenn er Erfolg hätte, würden wir alle seiner
Macht unterworfen und ihm untertänig werden.“
Und um nicht gezwungen zu werden, sich ihm zu unterwerfen, kreuzigten
sie ihn aus Missgunst. Aber wenn sie gewusst hätten, dass er der König
der Ehre war, hätten sie ihn niemals gekreuzigt. Diese Menschen sehen
dagegen täglich seine Werke und seine großen Wundertaten, sie genießen
seine Wohltaten und hören, wie sie ihm dienen und zu ihm kommen
sollen, aber sie denken bei sich: „Wenn wir alles Zeitliche
verlassen müssen und seinen Willen und nicht unserem eigenen folgen
sollten, so ist das schwer und unerträglich.“
Daher verachten sie seinen Willen, damit er nicht über ihrem eigenen
Willen stehen sollte, und kreuzigen meine Sohn durch ihre Verhärtung,
indem sie gegen ihr Gewissen Sünde auf Sünde häufen. Ja, diese
Leute sind schlimmer als die, die ihn gekreuzigt haben, denn die Juden
taten dieses aus Missgunst und weil sie nicht wussten, dass es Gott
war – aber dieses wissen, dass er Gott ist, und in ihrer Bosheit und
Vermessenheit, um ihrer eigenen Gewinnsucht willen kreuzigen sie ihn
auf geistige Art grausamer, als es die Juden auf körperliche Weise
taten, denn sie sind selbst erlöst, aber die Juden waren es noch
nicht. Daher, meine Braut, gehorche meinem Sohn und fürchte ihn.
Ebenso wie er barmherzig ist, ist er auch gerecht.“
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38. Kapitel |
Christus deutet die verschiedene Art der
Menschen an, auf die Botschaft der Birgitta zu reagieren.
Der Vater sprach zum Sohn: „Ich kam mit Liebe zur Jungfrau und
nahm durch sie deinen wahren Leib an. Deshalb bist du in mir und ich
in dir. So wie das Feuer und die Wärme sich nie trennen, so ist es
auch unmöglich, die Gottheit von der Menschheit zu trennen.“
Der Sohn erwiderte: „Dir sei alle Ehre und Würde, Vater, dein Wille
geschehe in mir, und meiner in dir.“ Der Vater antwortete wieder:
„Sieh, mein Sohn, dieses neue Braut (Birgitta) überlasse ich dir
wie ein Schaf, es zu führen und aufzuziehen. Du sollst als Besitzer
dieses Schafes von ihm Käse zu essen, Milch zu trinken und Wolle
erhalten, dich damit zu kleiden. Aber du, meine Braut, musst ihm
gehorchen. Dir kommen nämlich drei Dinge zu: Du musst geduldig,
gehorsam und willig sein.“
Da sagte der Sohn zum Vater: „Dein Wille ist mit Macht, Macht mit
Demut, Demut mit Weisheit, Weisheit mit Barmherzigkeit verbunden; dein
Wille geschehe, der ohne Anfang und Ende in mir ist. Ich vertraue mich
ihm in meiner Liebe, in deiner Macht und der Führung des Heiligen
Geistes an, die nicht drei Götter, sondern ein Gott sind.“
Dann sagte der Sohn zu seiner Braut: „Du hast gehört, wie mich der
Vater dir wie ein Schaf anvertraut hat. Du sollst also einfältig und
geduldig wie ein Schaf und fruchtbar sein, zu ernähren und zu
kleiden. Drei Dinge gibt es nämlich auf der Welt. Das erste ist
nackt, das andere durstig, das dritte hungrig. Das erste bedeutet den
Glauben meiner Kirche, der nackt ist, denn alle scheuen sich, um vom
Glauben und meinen Geboten zu reden, und wenn es einige gibt, die von
so etwas reden, so werden sie verachtet und der Lüge beschuldigt.
Daher müssen meine Worte, die aus meinem Mund hervorgehen, diesen
Glauben wie mit Wolle bekleiden. Denn wie die Wolle auf dem Leib des
Schafes durch die Körperwärme wächst, so gehen meine Worte aus der
Wärme meiner Gottheit und Menschlichkeit zu deinem Herzen; sie sollen
meinen heiligen Glauben mit dem Zeugnis der Wahrheit und der Weisheit
bekleiden und beweisen, dass der Glaube wahr ist, den man jetzt für
nichtig hält, so dass die, die bisher zu faul waren, den Glauben mit
Taten der Liebe zu umhüllen, nachdem sie meine Liebesworte gehört
haben, sich bekehren und wieder dazu gebracht werden, glaubwürdig zu
reden und kraftvoll zu handeln.
Das andere bezeichnet meine Freunde, die sich danach sehnen, meine
Ehre zu vervollkommnen, und die von meiner Schande betrübt werden.
Sie werden von der Süßigkeit in meinen Worten, die sie gehört
haben, berauscht werden, und zu größerer Liebe zu mir entzündet
werden, und außer ihnen sollen andere, die jetzt (in Sünden) tot
sind, zu meiner Liebe entflammt werden, wenn sie hören, welche Gnade
ich den Sündern erwiesen habe.
Das dritte bezeichnet die, die in ihrem Herzen denken: „Wenn wir nur
Gottes Willen wüssten, und wüssten, wie wir leben sollten, und wenn
wir über den guten Weg gut unterrichtet wären, so würden wir gern
tun, was wir könnten.“ Diese Menschen hungern gleichsam danach,
meinen Weg zu kennen, und niemand sättigt sie, und keiner zeigt ihnen
vollkommen, was sie tun sollen, und wenn es jemand zeigt, so lebt doch
keiner danach. Deshalb scheinen ihnen die Worte wie tot zu sein,
nachdem keiner danach lebt.
Deshalb will ich ihnen selber zeigen, was sie tun sollen, und ich
werde sie mit meiner Süße sättigen. Denn zeitliche Dinge, die
gesehen werden und die jetzt von fast allen begehrt werden, sind nicht
imstande, den Menschen zu sättigen, sondern wecken das Begehren,
immer mehr und mehr zu gewinnen. Meine Worte und meine Liebe werden
die Menschen satt machen und sie mit überströmender Lieblichkeit erfüllen.
Daher sollst du, meine Braut, die mein Schaf ist, darum bemüht sein,
Geduld und Gehorsam zu bewahren. Du bist ja mit aller Gerechtigkeit
mein geworden; daher musst du meinen Willen befolgen. Wer den Willen
eines anderen befolgen will, muß aber drei Dinge besitzen. Zum ersten
soll er einen Willen mit ihm haben. Zweitens ebensolche Taten.
Drittens muß er sich von seinen Gegnern trennen. Aber was sind meine
Gegner, wenn nicht Hochmut und alle Sünden? Von denen musst du dich
zurückziehen, wenn du begehrst, meinen Willen zu befolgen.“
|
39. Kapitel |
Christus klagt darüber, dass die Menschen
ohne einen Gedanken an Vergeltung und Gericht leben, verblendet wie
sie sind.
Ich hatte bei meinem Tod drei Dinge. Erstens den Glauben, als ich
meine Knie beugte und betete, weil ich wusste, dass mein Vater mich
von meinem Leiden erlösen könnte. Zweitens die Hoffnung, als ich
geduldig wartete und sagte: „Nicht wie ich will.“ Drittens die
Liebe, als ich sagte: „Dein Wille geschehe.“
Ich litt körperliche Not aus der natürlichen Furcht vor dem Leiden,
als blutiger Schweiß aus meinem Körper rann. Denn damit sich meine
Freunde nicht fürchten sollten, dass sie verlassen sind, wenn sie Trübsal
trifft, habe ich ihnen mit meinem Beispiel gezeigt, dass das schwache
Fleisch des Menschen stets vor den Plagen flieht.
Aber jetzt kannst du fragen, wie der blutige Schweiß aus meinem
austrat. So wie das Blut des Kranken vertrocknet und in allen Adern
verzehrt wird, so wurde mein Blut von natürlichem Schmerz über den
Tod verzehrt. Mein Vater will ja den Weg zeigen, wodurch der Himmel geöffnet
wird, und der ausgeschlossene Mensch eintreten kann, und daher überantwortete
er mich dem Leiden aus Liebe, so dass mein Leib nach vollendetem
Leiden in Ehren verherrlicht würde.
Denn die Gerechtigkeit ließ es nicht zu, dass meine Menschengestalt
ohne Pein zu Ehren käme, obwohl ich das mit der Macht meiner Göttlichkeit
gekonnt hätte. Wie sollten die, die nur wenig Glauben, eitle Hoffnung
und keine Liebe haben, es deshalb verdienen, an meiner Ehre
teilzuhaben? Wenn sie Glauben an die ewige Freude und an die
furchtbare Strafe hätten, hätten sie nichts anderes begehrt als
mich.
Wenn sie glauben würden, dass ich alles sehe und weiß, dass ich zu
allem fähig bin über alle ein Urteil verlange, sollten sie der Welt
überdrüssig werden, und dann würden sie sich mehr fürchten, vor
mir zu sündigen, als vor Menschen. Und wenn sie eine feste Hoffnung hätten,
wäre ihr ganzes Verlangen und ihr Denken auf mich gerichtet sein.
Wenn sie göttliche Liebe hätten, dann würden sie zumindesten in
ihrer Seele bedenken, was ich für sie getan habe, wie groß meine Mühe
bei der Verkündigung war, wie groß mein Schmerz im Leiden war, und
wie groß meine Liebe im Tode war, als ich lieber sterben wollte, als
sie auszuliefern. Aber ihr Glaube ist krank und gleichsam in ihnen
schwankend; er droht zu fallen, denn sie glauben nur, wenn die
Heimsuchung sie nicht ergreift, werden missmutig, wenn ihnen etwas
entgegensteht.
Ihre Hoffnung ist eitel, denn sie hoffen, dass die Sünde der
Gerechtigkeit und einem gerechten Gericht entschlüpft. Sie hoffen,
das Himmelreich für mich zu erhalten und wollen Barmherzigkeit ohne
strenge Gerechtigkeit zu erlangen. Ihre Liebe zu mir ist ganz kalt,
denn sie werden nie entzündet, mich zu suchen, wenn sie nicht durch
Trübsal dazu gezwungen werden. Wie könnte ich mich für solche
Menschen erwärmen, die keinen rechten Glauben, keine feste Hoffnung
und keine brennende Liebe zu mir haben?
Wenn sie mich anrufen und mir sagen: „Erbarme dich über mich, o
Gott“, so verdienen sie ja nicht, erhört zu werden und auch nicht,
in meine Herrlichkeit einzugehen, denn sie wollen ihrem Herrn nicht
ins Leiden folgen, und deshalb werden sie ihm auch nicht zur Ehre
folgen. Kein Ritter kann nämlich seinem Herrn gefallen und nach
seinem Fall wieder in Gnaden von ihm aufgenommen werden, wenn er nicht
vorher eine demütige Buße für seine Verachtung getan hat.“
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40. Kapitel |
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Christus deutet an, wie unpassend es ist, im Überfluß
zu leben, wenn er, der Herr von allen, im Armut und Entsagung lebte.
Ich bin dein Schöpfer und Herr. Antworte mir auf drei Dinge, nach
denen ich dich frage. Wie ist der Zustand in dem Hause, wo die Hausfrau
sich als Herrin und ihr Mann sich als Diener kleidet? Soll man so etwas für
richtig halten?
Da antwortete sie in ihrem Gewissen: „Nein, Herr, das ist nicht in
Ordnung.“ Und der Herr entgegnete: „Ich bin Herr aller Dinge und König
der Engel. Ich habe meinen Diener, nämlich meine Menschengestalt, nur
nach Nutzen und Bedürfnis gekleidet, denn ich habe auf Erden nichts
begehrt, als knappe Kost und dürftige Tracht. Aber du meine Braut, du
willst als Herrin leben, willst Reichtum und Ehre haben und in Ehren
gehalten werden.
Was nützt nun dies alles? Gewiß ist alles zusammen eitel, und alles muß
einmal aufgegeben werden. Der Mensch wurde ja nicht zu solchem Überfluß
geschaffen, sondern für die Bedürfnisse der Natur. Aber dieser Überfluß
wurde vom Hochmut erfunden, der jetzt wie ein Gesetz gehalten und geliebt
wird. Sag mir zum anderen – ist es angebracht, dass der Mann von morgens
bis abends arbeitet, und die Frau in einer Stunde all das verbraucht, was
gesammelt worden ist?“
Da antwortete sie: „Nein, das ist nicht angebracht; die Hausfrau muß
stattdessen nach dem Willen des Mannes leben und handeln.“ Der Herr
sagte: „Ich habe gehandelt wie der Mann, der von früh bis spät
arbeitet. Denn von meiner Jugend an und bis zu meiner Pein habe ich
gearbeitet und den Weg gezeigt, der zum Himmel führt, indem ich predigte
und mit guten Taten vervollkommnete, was ich predigte.
Aber die Hausfrau, d.h. die Seele, die mir wie eine Frau gehören sollte,
verbraucht diese meine ganze Arbeit, wenn sie in Üppigkeit lebt, so dass
ihr nichts von dem Gewinn bringt, was ich tat, und ich finde in ihr keine
Tugend, in der ich mich mit ihr ergötzen könnte.
Sag mir drittens – in einem Haus, in dem der Herr verachtet und der
Diener geehrt wird, geht es da nicht unpassend und abscheulich zu?“ Sie
antwortete: „Ja, gewiß.“
Und der Herr sagte: „Ich bin Herr über alle Dinge. Mein Haus ist die
Welt, und der Mensch sollte mit Recht mein Diener sein. Aber ich, der
Herr, werde jetzt auf der Welt verachtet, und der Mensch geehrt. Deshalb
sollst du, die ich erwählt habe, daran denken, meinen Willen zu tun, denn
alles, was auf Erden ist, ist nur wie der Schaum des Meeres und ein eitler
Anblick.“
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41. Kapitel |
|
Ebenso wie Kap. 23 richten sich diese Worte
Christi an Papst Clemens VI., der durch Bischof Heming und Prior Petrus
auf Birgittas Botschaft hören konnte, ohne jedoch davon beeindruckt zu
sein; ferner ermahnen sie alle Christgläubigen und außerdem Juden und
Heiden, Buße zu tun.
Ich bin der Schöpfer aller Dinge. Ich bin vom Vater vor dem
Morgenstern geboren, ich lebe untrennbar im Vater, und der Vater in mir,
und ein Geist in uns beiden. Daher sind Vater und Sohn und der Heilige
Geist ein Gott, und nicht drei Götter. Ich bin der, der ich Abraham sein
ewiges Erbteil versprochen habe, und der durch Mose mein Volk aus Ägypten
geführt habe.
Ich bin derselbe, der in den Propheten gesprochen hat. Der Vater sandte
mich in den Mutterleib der Jungfrau, aber trennte sich nicht von mir,
sondern blieb unzertrennlich bei mir, auf dass der Mensch, der von Gott
abgefallen ist, durch meine Liebe zu Gott zurückkehren sollte.
Aber jetzt will ich in deinem Beisein, meine Heerschar, obwohl du alles in
mir siehst und weißt, dennoch zur Unterrichtung dieser anwesenden Braut
(denn sie kann geistige Dinge nur durch ihre Gleichheit mit körperlichen
Dingen erfassen), über diese fünf Männer klagen, die hier stehen, denn
sie erzürnen mich auf vielfältige Weise. So wie ich früher unter dem
Namen Israel das ganze israelitische Volk verstand, so verstehe ich jetzt
mit diesen fünf alle Menschen auf der Welt.
Der erste ist das Oberhaupt der Kirche[1] und seine Priester, der zweite
sind die bösen Laien, der dritte sind die Juden, der vierte sind die
Heiden, und der fünfte meine Freunde. Aber von dir, Jude, nehme ich alle
Juden aus, die heimlich Christen sind und mir im Verborgenen mit
aufrichtiger Liebe, rechtem Glauben und vollkommenen Werken dienen. Und
von dir, Heide, nehme ich alle aus, die gern auf dem Weg meiner Gebote
wandern würden, wenn sie nur wüssten wie, und wenn sie unterwiesen würden,
und die mit ihren Taten so viel tun, wie sie wissen und können; sie
sollen keinesfalls mit euch zusammen verurteilt werden.
Nun klage ich also über dich, du Oberhaupt der Kirche, der du auf meinem
Stuhl sitzt, den ich Petrus und seinen Nachfolgern übergeben habe, um mit
dreifacher Würde und Vollmacht darauf zu sitzen: Erstens, damit sie Macht
haben, die Seelen zu binden und von Sünde zu lösen, zweitens, dass sie
den Bußfertigen den Himmel öffnen, drittens, dass sie den Himmel den
Verdammten und denen, die mich verachten, verschließen.
Aber du, die die Seelen erlösen und zu mir führen solltest, du bist in
Wahrheit der Verderber der Seelen. Ich habe ja Petrus zum Hirten und
Betreuer meiner Schafe eingesetzt. Du dagegen veruntreust und verletzt
sie. Du bist schlimmer als Luzifer. Er hegte nämlich Neid auf mich und wünschte,
niemanden anderes zu töten als mich, damit er an meiner Stelle herrschen
könnte. Du bist aber so viel schlimmer, der du nicht nur mich tötest,
indem du mich mit deinen bösen Taten von dir wegtreibst, sondern du tötest
durch dein schlechtes Beispiel auch die Seelen.
Ich habe die Seelen mit meinem Blut erlöst und sie dir wie einem treuen
Freunde anvertraut, aber du überlässt sie von neuem dem Widersacher, von
dem ich sie erlöst habe. Du bist ungerechter als Pilatus. Er verurteilte
keinen anderen zum Tode als mich, aber du verurteilst nicht nur mich, der
keine Macht besitzt und nichts Gutes wert ist, nein, du verurteilst auch
die unschuldigen Seelen, und die Schadenstifter lässt du frei laufen.
Du bist unsanfter als Judas; er verkaufte nur mich, aber du verkaufst
nicht nur mich, sondern auch die Seelen meiner Auserwählten um deines
schamlosen Gewinns und deines eitlen Namens willen. Du bist niedriger als
die Juden. Die haben nur meinen Leib gekreuzigt, aber du peinigst und
kreuzigst die Seelen meiner Auserwählten, für die deine Bosheit und
deine Übertreibung bitterer als jedes Schwert ist. Und deshalb bist du so
wie Luzifer, ungerechter als Pilatus, unsanfter als Judas, niedriger als
die Juden. Daher klage ich mit Recht über dich.“
Zu dem anderen, d.h. zu dem Laien, sagte der Herr: „Zu deinem Nutzen
habe ich alles geschaffen. Du warst eins mit mir und ich mit dir. Du
schenktest mir deinen Glauben und versprachst mit einem Eid, dass du mir
dienen würdest. Jetzt bist du aber von mir abgefallen wie ein Mann, der
seinen Gott nicht kennt. Du hältst meine Worte für Lügen und meine
Taten für Nichtigkeit, und vom meinem Willen und meinen Geboten sagst du,
sie seien sehr schwer. Du hast den Glauben gekränkt, den du mir
versprochen hast. Du hast deinen Eid gebrochen und meinen Namen verraten.
Du hast dich von den Reden meiner Heiligen getrennt und bist gekommen, um
den Reden der Teufel zuzuhören; du bist ihr Kamerad geworden.
Du denkst, dass niemand außer dir selbst Lob und Ehre verdient. Alles,
was mir gehört und was du für mich tun solltest, das scheint dir schwer,
aber das, was dir selbst behagt, scheint dir leicht. Daher klage ich mit
Recht über dich, denn du hast den Glauben gebrochen, den du mir in der
Taufe und später gegeben hast, und wegen meiner Liebe, die ich dir mit
Wort und Tat bewiesen habe, tadelst du mich und nennst mich einen Lügner;
für meine Pein nennst du mich einen Toren.“
Zu den dritten, d.h. zu den Juden, sagte er: „Ich habe mein Liebeswerk
mit euch begonnen, ich habe euch zum Volke meines Eigentums auserwählt,
ich habe euch aus der Knechtschaft herausgeführt, ich gab euch mein
Gesetz und führte euch in das Land, das ich euren Vätern versprochen
habe, ich schickte euch die Propheten zum Trost. Dann wählte ich mir
unter euch eine Jungfrau aus, von der ich Menschengestalt annahm. Aber
jetzt klage ich über euch, denn ihr wollt noch nicht glauben, sondern ihr
sagt: „Christus ist nicht gekommen, er ist noch immer zu erwarten.“
Zu dem vierten, d.h. zu dem Heiden, sagte der Herr: „Ich habe dich
geschaffen und erlöst wie den Christen, und deinetwegen habe ich alles
Gute getan, aber du bist wie wahnsinnig, denn du weißt nicht, was du tust
– ja wie ein Blinder, denn du weißt nicht, wohin du gehst. Du verehrst
nämlich das Geschaffene statt des Schöpfers, das Falsche statt des
Wahren, und du beugst deine Knie vor dem, das niedriger ist als du.
Deshalb klage ich über dich.“
Zum Fünften sagte er dagegen: „Tritt näher, mein Freund!“ Und er
sagte gleich zu der himmlischen Heerschar: „Geliebte Freunde, ich habe
einen Freund, mit dem ich mehrere bezeichne. Er ist wie ein Mann, der
zwischen bösen Menschen eingesperrt und schwer gefesselt ist. Wenn er
sagt, was wahr ist, schlagen sie ihm mit Steinen auf den Mund. Wenn er
tut, was gut ist, stoßen sie einen Speer in seine Brust. O meine Freunde
und alle Heiligen, wie lange soll ich solche Menschen noch ertragen, wie
lange soll ich solche Verachtung aushalten?“
Der hl. Johannes der Täufer antwortete: „Du bist wie der reinste
Spiegel, denn in dir sehen und wissen wir alles wie in einem Spiegel, ohne
Hilfe von Worten. Du bist die unvergleichliche Süßigkeit, in der wir
alles Gute schmecken. Du bist wie das schärfste Schwert, denn du richtest
in Gerechtigkeit.“
Da antwortete ihm der Herr: „Wahrlich, mein Freund, du sagst die
Wahrheit, denn in mir sehen meine Auserwählten alles Gute und alle
Gerechtigkeit, und das sehen auch die bösen Geister, wenn auch nicht im
Licht, sondern in ihrem eigenen Innern. Ein Mann, der ins Gefängnis
geworfen ist und der vorher die Buchstaben gelernt hat, kennt das, was er
gelernt hat, wenn er auch im Dunkeln sitzt, obwohl er unter solchen Umständen
ja nicht sehen kann. So ist es mit den Teufeln: Obwohl sie meine
Gerechtigkeit in meinem klaren Licht nicht sehen, kennen sie und sehen sie
sie doch in ihrem eigenen Innern. Ich bin auch wie ein Schwert, das zwei
Dinge trennt. So gebe ich einem jeden, was er verdient.“
Dann sagte der Herr zum hl. Petrus: „Du bist der Gründer des Glaubens
und meiner Kirche. Sag nun im Beisein dieser Heerschar, was von Rechts
wegen mit diesen fünf Männern geschehen sollte.“ Petrus antwortete:
„Lob und Ehre sei dir, Herr, für deine Liebe, die du deiner Erde
beweist. Gesegnet seist du von deiner ganzen Heerschar, denn alles, was
geschah und noch geschehen wird, lässt du uns sehen und in dir wissen,
denn in dir sehen und wissen wir alles.
Das ist die wahre Gerechtigkeit, dass der erste, der auf deinem Stuhl
sitzt und die Werke Luzifers tut, den Stuhl schimpflich verlieren soll,
auf den er sich erdreistet hat zu sitzen, und Luzifers Pein erleiden soll.
Was den zweitens betrifft, ist es gerecht, dass er, weil er von deinem
Glauben abgefallen ist, mit dem Kopf nach unten und den Füßen nach oben
in die Hölle gestürzt werden soll, weil er dich verachtet hat, der sein
Haupt sein sollte, und sich selbst geliebt hat.
Was den dritten betrifft, ist es gerecht, dass er dein Angesicht nicht
sehen darf, sondern für seine Bosheit und Gewinnlust bestraft wird, denn
die Ungläubigen verdienen es nicht, deinen Anblick zu genießen. Was den
vierten angeht, dass er wie ein verrückter Mann eingesperrt wird und an
dunkle Plätze überführt wird. Was den fünften angeht, so ist es
gerecht, dass ihm Hilfe gesandt wird.“
Als der Herr dies hörte, antwortete er: „Ich schwöre bei Gott Vater,
dessen Stimme Johannes der Täufer am Jordan hörte – ich schwöre bei
dem Leibe, den Johannes taufte, sah und im Jordan berührte; ich schwöre
bei dem Geist, der sich in Gestalt einer Taube am Jordan offenbarte, dass
ich über diese fünf Gerechtigkeit walten lassen werde.“
Dann sagte der Herr zum erstens dieser fünf Männer: „Die Strenge
meines Schwertes soll deinen Leib treffen; es soll oben in deinem Haupt
stecken und so tief und fest in dir haften bleiben, dass es niemals mehr
herausgezogen werden kann. Dein Stuhl soll wie ein schwerer Stein
versinken, der nicht aufhört, zu fallen, ehe er die äußerste Tiefe
erreicht hat. Deine Finger – nämlich deine Beamten – die zum Nutzen
der Seelen ausgestreckt sein sollten, aber stattdessen zum Nutzen und
Ehren der Welt ausgestreckt sind, die sollen zu der Strafe verurteilt
werden, von der David sagt“ „Sein Söhne sollen vaterlos und seine
Frau zur Witwe werden, und andere sollen sein Eigentum an sich
nehmen[2].“
Wer ist seine Frau, wenn nicht ihre Seele, die von der himmlischen
Herrlichkeit ausgeschlossen wird, Gott verliert und wie eine Witwe wird?
Seine Söhne, d.h. die Tugenden, die sie zu haben meinen, und meine
schlichten, einfältigen Männer, die ihnen unterstehen, sollen von ihnen
getrennt werden, ihre Würde und ihre Güter sollen anderen zufallen, und
statt Würde sollen sie ewige Scham ernten.
Dann soll ihr Kopfschmuck in den Morast der Hölle versenkt werden, aus
dem sie sich nie mehr erheben können. So wie sie durch ihr hohes Ansehen
und ihren Hochmut über alle anderen aufgestiegen sind, so werden sie
tiefer als andere niedriger in die Hölle sinken, ja so tief, dass es
ihnen unmöglich sein wird, sich daraus zu erheben.
Ihre Glieder, nämlich alle die Kleriker, die ihnen folgen und ihnen
helfen, sollen von ihnen abgehauen und getrennt werden, so wie man eine
Mauer niederreißt, wobei kein Stein auf dem anderen bleibt und der Mörtel
die Steine nicht mehr zusammenhält, und Barmherzigkeit soll ihnen nicht
widerfahren, denn meine Liebe wird sie niemals wärmen oder sie zu einem
ewigen Haus in Himmel erbauen, sondern sie sollen mitsamt ihren Häuptern[3]
auf ewig von allem Guten ausgeschlossen und gepeinigt werden.
Aber zu dem zweitens sage ich: Weil du den Glauben nicht bewahren willst,
den du mir versprochen hast, und keine Liebe zu mir hegen willst, werde
ich ein Tier zu dir senden, das aus einem wild brausenden Strom aufsteigt,
und es wird dich verschlingen. Und wie der Strom stets nach unten fließt,
so wird dieses Tier dich hinunter in die Tiefe der Hölle schleppen, und
so unmöglich es für dich ist, gegen die brausende Strömung
anzuschwimmen, so schwer wird es für dich sein, jemals aus der Hölle
aufzusteigen.
Zum dritten sage ich: „Weil du, Jude, jetzt nicht glauben willst, dass
ich gekommen bin, wirst du mich sehen, wenn ich zum zweitens Gericht
komme, aber nicht in meiner Herrlichkeit, sondern in deinem Gewissen, und
du wirst erfahren, dass alles, was ich gesagt habe, wahr gewesen ist. Da
verbleibt dir dann die Strafe, die du verdient hast.
Zum vierten sage ich: Nachdem du dich nicht darum kümmerst, zu glauben
und nichts wissen zu wollen, soll dein Dunkel für dich hell werden, und
dein Herz soll erleuchtet werden, so dass du weißt, dass meine Gerichte
wahr sind, und doch sollst du nicht zum Licht gelangen.
Zum fünften sage ich: Mit dir werde ich drei Dinge tun. Erstens werde ich
dich inwendig mit meiner Glut erfüllen. Zweitens will ich deinen Mund härter
und fester als jeden Stein machen, so dass die Steine auf den zurückfallen,
der sie geworfen hat. Drittens werde ich dich so gut mit meinen Waffen
ausrüsten, dass keine Lanze dir schaden kann, sondern alles vor dir weich
wird, wie Wachs am Feuer. Sie daher stark und steh mannhaft fest! Denn wie
ein Ritter, der in Kampf auf die Hilfe seines Herrn hofft, solange kämpft,
wie noch Lebenskraft in ihm ist, so magst du fest stehen und kämpfen,
denn der Herr, dein Gott, wird dir die Hilfe geben, der niemand
widerstehen kann. Und weil du klein an Zahl bist, will ich dich ehren und
eine Vielzahl aus dir machen.
Seht, meine Freunde, diese Dinge und wisst sie in mir, und so stehen sie
auch vor mir. Meine Worte, die ich nun gesagt habe, werden in Erfüllung
gehen. Aber die anderen Menschen sollen niemals in mein Reich kommen,
solange ich König bin, sofern sie sich nicht bessern, denn der Himmel
wird nur denen geschenkt werden, die sich demütigen und Buße tun.“
Da antwortete die ganze Heerschar: „Lob sei dir, Herr Gott, der ohne
Anfang und ohne Ende ist.“
[1]. Papst Clemens VI.
[2]. Psalm 109,9.
[3]. D.h. ihren Herren. |
42. Kapitel |
Maria beschreibt, dass sie wie ein Spiegel
ist, in dem sich die Gottheit wiederspiegelt.
Die Mutter (Maria) sagte: „Ich besaß drei Dinge, mit denen ich
meinem Sohn gefiel. Zum erstens die Demut, so dass kein geschaffenes
Wesen, weder Engel noch Mensch, demütiger war als ich. Zweitens hatte
ich Gehorsam, denn ich bemühte mich, meinem Sohn in allem zu
gehorchen. Drittens besaß ich eine besondere Liebe.
Daher bin ich dreifach von meinem Sohn geehrt. Denn erstens bin ich
ehrenreicher als Engel und Menschen geworden, so dass es keine Tugend
bei Gott gibt, die nicht in mich hineinstrahlt, weil er die Quelle und
aller Dinge Schöpfer ist; ich bin dagegen sein geschaffenes Wesen,
dem er größere Gnade als anderen verlieh.
Zweitens erhielt ich als Lohn für meinen Gehorsam eine so große
Macht, dass es keinen so unreinen Sünder gibt, der keine Vergebung
erfährt, wenn er sich mit dem Vorsatz an mich wendet, sich mit einem
zerknirschten Herzen zu bessern.
Drittens ist Gott mir um meiner Liebe willen so nah, dass der, der
Gott sieht, auch mich sieht, und wer mich sieht, kann die Gottheit und
Menschheit in mir sehen, wie in einem Spiegel. Wer Gott sieht, sieht nämlich
in ihm drei Personen. Und wer mich sieht, sieht ebenso drei Personen.
Denn die Gottheit umschloß mich mit Leib und Seele und erfüllte mich
mit aller Tugend, so dass es keine Tugend bei Gott gibt, die nicht
auch in mir leuchtet, obwohl Gott selbst der Vater und Geber aller
Tugenden ist.
Denn so wie es mit zwei vereinten Körpern geht, dass – was der eine
aufnimmt, auch der andere aufnimmt – so tat es Gott mit mir. Es gibt
nämlich keine Lieblichkeit, die es bei mir nicht gibt. Es ist, als
wenn jemand einen Nusskern hat, und einem anderen einen Teil davon
abgibt.
Meine Seele und mein Leib sind klarer als die Sonne, und reiner als
ein Spiegel. So wie drei Personen in einem Spiegel zu sehen sind, wenn
sie nah zusammenstehen, so können der Vater und der Sohn und der
Heilige Geist in meiner Reinheit geschaut werden. Ich hatte ja meinen
Sohn mit seiner Göttlichkeit in meinem Schoß. Jetzt wird er in mir
wie in einem Spiegel mit Göttlichkeit und Menschlichkeit geschaut,
nachdem ich verherrlicht bin. Daher magst du, Braut meines Sohnes,
danach streben, meiner Demut zu folgen und nichts als meinen Sohn zu
lieben.“
|
43. Kapitel |
Christus schildert das allmähliche Anwachsen
von Tugend und Sünde und ihre schließlichenFrüchte.
Gottes Sohn sprach: „Aus einem kleinen Garten entspringt manchmal
ein großer Lohn. Die Dattelpalme hat einen seltsamen Geruch, und ihre
Frucht ist ein Stein. Wird er in fetten Boden gesetzt, gedeiht er gut,
blüht und setzt Frucht an und wächst zu einem großen Baum. Wird er
dagegen in dürren Boden gesetzt, vertrocknet er.
Sehr dürr ist der Boden und arm an guten Dingen bei dem, der Freude
an der Sünde hat. Wenn die Saat der Tugenden in ihn eingesät wird,
so wird er doch nicht fetter. Fett ist dagegen der Boden eines
Menschen, der seine Sünde erkennt und darüber traurig ist. Wenn der
Dattelkern darin eingesetzt wird, d.h. wenn die Strenge meines
Gerichts und meiner Macht darin eingesät wird, schlägt er mit drei
Wurzelfasern in seinem Sinn Wurzel.
Erstens bedenkt dann der Mensch, dass er nichts ohne meine Hilfe tun
kann; daher öffnet er auch seinen Mund, um zu mir zu beten. Zweitens
fängt er auch an, ein paar kleine Almosen um meinetwillen zu geben.
Drittens verlässt er seine weltlichen Geschäfte, um mir zu dienen.
Dann beginnt er, durch Fasten Verzicht zu üben und seinen eigenen
Willen zu verleugnen, und dies ist der Stamm des Baumes.
Danach wachsen die Zweige der Liebe, wenn er alle, die er kann, zum
Guten bewegt. Dann wächst die Frucht, wenn er auch andere unterweist,
soweit er kann, und mit aller Frömmigkeit darauf achtet, wie er meine
Ehre erhöhen könnte. Eine solche Frucht behagt mir in hohem Maße.
So steigt also der Mensch durch ein kleines Gutes zur Vollkommenheit
auf. Wenn er durch eine, wenn auch geringe Frömmigkeit Wurzeln schlägt,
wächst der Leib durch Entsagung, werden die Zweige durch Liebe
vervielfacht, und die Frucht durch die Predigt vervollkommnet.
In ähnlicher Weise steigt der Mensch durch ein kleines Böses
herunter in die größte Verdammnis und die größte Strafe. Du weißt
wohl, was die schwerste Last von allem ist, was wächst? Das ist gewiß
das Kind, das gezeugt wird, aber nicht geboren werden kann, sondern im
Mutterleib stirbt. Dadurch kann ebenso die Mutter zerrissen werden und
sterben, und der Vater trägt sie und das Kind zu Grabe und begräbt
sie mit der verwesten Leibesfrucht.
So verfährt der Teufel mit der Seele. Die lasterhafte Seele ist ja
wie die Frau des Teufels; sie folgt seinem Willen in allem, und sie
zeugt Kinder mit ihm, wenn die Sünde ihr behagt und sie sich daran
erfreut. Denn so, wie die Mutter empfängt und mit der kleinen Saat
schwanger wird, so bringt auch die Seele, wenn sie Gefallen an der Sünde
findet, eine große Frucht mit dem Teufel hervor. Wenn dann die eine Sünde
zur anderen kommt und täglich erhöht wird, werden die Glieder (des
Kindes) geschaffen, und sein Körper gestärkt.
Wenn die Sünden anwachsen, schwillt der Mutterleib an und will gebären,
aber vermag es nicht. Die Natur ist nämlich in Sünde verstrickt, und
sie würde gern noch mehr sündigen, aber kann es nicht, und das wird
ihr vom Herrn nicht zugelassen. Da kommt die Frucht, dass sie ihren
Willen nicht durchsetzen kann, und die Stärke und die Freude sind auf
und davon; überfall herrscht Schmerz und Kummer.
Wenn sie nun daran verzweifelt, etwas Gutes zu tun, wird der
Mutterleib zerrissen, und so stirbt sie, während sie Gottes Gericht
schmähte und beschimpft, und vom Teufel, dem Vater des Kindes, wird
sie zum Grab der Hölle geführt, wo sie mit der Verderbtheit der Sünde
und dem Kind der bösen Lust begraben und in Ewigkeit ruhen wird. Sieh
da, wie sich die Sünde daraus vermehrt, dass sie einmal nur ein
kleines Böses gewesen ist, und wie sie zur Verdammnis heranwächst!“
|
44. Kapitel |
Christus klagt darüber, dass die Menschen
den Tod und das Gericht vergessen. Er stellt eine erweckende Verkündigung
in Aussicht; damit ist wahrscheinlich Birgittas Mission gemeint.
Ich bin der Schöpfer und Herr aller Dinge. Ich habe die Welt
erschaffen, und die Welt hat mich verschmäht. Ich höre von der Welt
eine Stimme wie von einer Hummel, die auf der Feldmark Honig sammelt.
Denn wie die Hummel, wenn sie fliegt, sich plötzlich wieder zu Boden
senkt und eine ganz heisere Stimme von sich gibt, so höre ich jetzt
diese heisere Stimme auf der Welt sagen: „Ich achte nicht darauf,
was hiernach folgt“. Ja, alle rufen: „Ich achte nicht darauf.“
Führwahr, der Mensch kümmert sich nicht darum und gibt nicht Acht
darauf, was ich um der Liebe willen tat, indem ich sie durch die
Propheten ermahnte und selbst predigte und für sie litt. Sie kümmert
sich nicht darum, was ich in meinem Zorn getan habe, als ich über die
Bösen und Ungehorsamen herfiel.
Sie sehen, dass sie sterblich sind, und dass der Tod sie unerwartet
treffen kann, aber darum kümmern sie sich nicht. Sie hören und sehen
meine Gerechtigkeit, die ich gegenüber Pharao und den Einwohnern von
Sodom, um ihrer Sünden willen übte, die ich gegenüber Königen und
anderen Fürsten übte, und die ich täglich mit dem Schwert und
anderen Heimsuchungen walten lasse, aber es scheint, als würden sie
all das nicht sehen. Deshalb fliegen sie wie Hummeln dahin, wo sie
wollen, und manchmal fliegen sie, als würden sie hüpfen, denn sie überheben
sich in ihrem Übermut, aber sie lassen sich dann hastig nieder, indem
sie der Wollust und Schwelgerei hingeben.
Sie sammeln auch Süßigkeiten, aber für sich selbst und auf der
Erde, denn der Mensch arbeitet und sammelt für den Nutzen seines
Leibes, aber nicht zu ehren der Seele und nur für irdische Ehre, aber
nicht für ewige. Sie verwandeln das Zeitliche in eine Plage, und das,
was zu nichts nütze ist, zu ewiger Strafe. Um der Gebete meiner
Mutter willen werde ich deshalb zu diesen Hummeln, von denen meine
Freunde ausgenommen sind (denn diese sind nur mit ihrem Leibe auf der
Welt), meine klare Stimme senden, die Barmherzigkeit predigen wird,
und sie sollen erlöst werden, wenn sie darauf hören.“
|
45. Kapitel |
Engel, Propheten, Apostel, die Jungfrau Maria
und sogar die Dämonen bezeugen Gottes Macht und Herrlichkeit. Die
Menschen auf Erden sind die einzigen, die Gott verachten. Deshalb
sollen sie streng bestraft werden, sagt Christus. Dennoch will er sie
noch einmal warnen.
Die Mutter (Maria) sagte: „Kleide dich, du Braut meines Sohnes,
und bleibe standhaft, denn mein Sohn naht sich dir. Sein Fleisch wurde
so gepresst, wie in einer Weinpresse. Das Haar meines Sohnes war
ausgebreitet, seine Sehnen ausgedehnt, seine Glieder abgebrochen,
seine Beine verletzt, seine Hände und Füße durchbohrt. Sein Sinn
war betrübt, sein Herz von Trauer heimgesucht, und seine Eingeweide
wurden gegen seine Rücken gepresst, denn der Mensch hat mit allen
Glieder gesündigt.“
Dann sprach der Sohn, während die himmlische Heerschar dabeistand und
zuhörte, und sagte: „Wenn ihr auch alles in mir kennt, rede ich
doch für meine Braut, die hier steht. Ich frage euch, ihr Engel, sagt
mir: Was ist das, was ohne Anfang war und ohne Ende sein wird? Und was
ist das, was alles geschaffen hat und von niemandem geschaffen worden
ist? Sagt das und legt Zeugnis dafür ab!“
Die Engel antworteten wie mit einer Stimme und sagten: „Herr, das
bis du; wir legen über dich in drei Dingen Zeugnis ab.
Erstens, dass du unser Schöpfer bist und dass du alles geschaffen
hast, was im Himmel und auf Erden ist. Zweitens, dass du ohne Anfang
bist und ohne Ende sein wirst, und dass deine Herrschaft und deine
Macht in Ewigkeit sein wird. Ohne dich ist nämlich nichts gemacht, ja
ohne dich kann nichts gemacht werden. Drittens bezeugen wir, dass wir
in dir alle Gerechtigkeit und alles sehen, was geschehen ist und noch
geschehen wird, und dass alles ohne Anfang und ohne Ende bei dir
anwesend ist.“
Dann sagte er zu dem Propheten und Patriarchen: Ich frage euch, wer
hat euch aus der Knechtschaft zur Freiheit geführt? Wer hat das
Wasser für euch geteilt? Wer hat euch das Gesetz gegeben? Wer hat
euch, Propheten, den Geist gegeben, zu reden?“ Da antworteten sie:
„Du, Herr. Du hast uns aus der Gefangenschaft herausgeführt. Du
hast uns das Gesetz gegeben. Du hast unseren Geist zum Reden
erweckt.“
Dann sagte er zur Mutter (Maria): „Lege das Zeugnis der Wahrheit ab,
was du von mir weißt.“ Sie antwortete: „Ehe der von dir gesandte
Engel zu mir kam, war ich einsam mit Leib und Seele. Aber seit der
Engel zu mir geredet hatte, war dein Leib mit seiner Göttlichkeit und
Menschlichkeit in mir, und ich spürte deinen Leib in meinem Leib. Ich
trug dich ohne Schmerzen, ich gebar dich ohne Qual. Ich wickelte dich
in ärmliche Kleider, ich nährte dich mit meiner Milch, ich war mit
dir von deiner Geburt an und bis zu deinem Tod.“
Dann sagte er zu den Aposteln: „Sagt, wer ist er, den ihr gesehen,
gehört und vernommen habt?“ Sie antwortete ihm: „Wir haben deine
Worte gehört und sie aufgeschrieben, wir haben deinen großen Taten
gehört, als du das neue Gesetz gegeben hast. Mit deinem Wort hast du
den Dämonen befohlen, und sie sind von dannen gewichen. Mit deinem
Wort hast du Tote auferweckt und Kranke geheilt. Wir haben dich in
deinem menschlichen Leib gesehen.
Wir sahen deinen Wundertaten in der göttlichen Ehre, die du in
Menschengestalt hattest. Wir sahen, wie du deinen Feinden überliefert
und ans Kreuz gehängt wurdest. Wir sahen, wie du die bitterste Pein
littest und ins Grab gelegt wurdest. Wir vernahmen dich, als du
auferstandest. Wir fühlten dein Haar und dein Antlitz. Wir berührten
deine Wundmale und deine Glieder. Du hast mit uns gegessen und uns
deine Beredsamkeit geschenkt. Du bist in Wahrheit Gottes Sohn und der
Sohn der Jungfrau. Wir haben es auch vernommen, als du mit deiner
Menschengestalt zur Rechten deines Vaters auffuhrst, wo du in Ewigkeit
bist.“
Dann sagte Gott zu den unreinen Geistern: „Wenn ihr auch die
Wahrheit in eurem Gewissen verbergt, befehle ich euch doch, zu sagen:
Wer hat eure Macht gemindert?“ Sie antwortete ihm: „So wie Diebe
nicht die Wahrheit sagen, wenn nicht ihre Füße in den harten
Holzblock gepresst werden, so würden auch wir nicht die Wahrheit
sagen, wenn uns deine göttliche und furchtbare Macht nicht dazu
zwingen würde. Du bist der, der mit deiner Stärke ins Totenreich
niederstieg. Du hast unsere Gewalt auf Erden vermindert. Du hast dein
rechtmäßiges Eigentum, nämlich deine Freunde, aus dem Totenreich
geholt.“
Da sagte der Herr: „Seht – all, die Geist besitzen und keine körperliche
Gestalt haben, legen das Zeugnis der Wahrheit über mich ab, aber die,
die Geist und Leib besitzen, nämlich die Menschen, widersprechen mir.
Manche kennen die Wahrheit, aber kümmern sich nicht darum. Andere
kennen sie nicht, und deshalb kümmern sie sich darum nicht und sagen,
dass alles falsch sei.“
Wieder sagte er zu den Engeln: „Sie sagen, dass euer Zeugnis falsch
ist, dass ich nicht der Schöpfer bin, und dass nicht alle Dinge in
mir zu spüren sind. Daher lieben sie die geschaffene Welt auch mehr
als mich.“
Zu den Propheten sagte er: „Sie reden gegen euch und behaupten, dass
das Gesetz eine Nichtigkeit ist, dass ihr dank eurer Stärke und
Klugheit erlöst seid, dass der Geist falsch war, und dass ihr nach
eurem eigenen Gutdünken geredet habt.“
Zur Mutter (Maria) sagte er: „Manche sagen, dass du keine Jungfrau
bist, manche, dass ich keinen Leib von dir angenommen habe. Andere
wissen es, aber kümmern sich nicht darum.“ Zu den Aposteln sagte
er: „Sie reden gegen euch, denn sie behaupten, dass ihr Lügner wäret,
und dass das neue Gesetz nichts nützen würde und ohne Bedeutung sei.
Andere glauben, dass es wahr sei, aber kümmern sich nicht darum. Nun
frage ich euch: Wer wird ihr Richter sein?“
Da antworteten ihm alle: „Du, o Gott, der ohne Anfang und ohne Ende
ist. Du, Jesus Christus, der mit dem Vater ist. Dir ist die
richterliche Macht vom Vater gegeben; du bist ihr Richter.“ Der Herr
erwiderte: „Ich, der ich über sie klagte, ich bin nun ihr Richter
geworden. Aber obwohl ich alles weiß und vermag, mögt ihr dennoch
euer Gericht über sie sagen.“
Sie antworteten ihm: „So wie die ganze Welt am Morgen der Zeiten in
der Sintflut vergangen ist, so soll die Welt nun im Feuer vergehen,
denn die Bosheit und Ungerechtigkeit ist jetzt größer als damals.“
Der Herr antwortete: „Obwohl ich gerecht und barmherzig bin, werde
ich doch nicht ohne Erbarmen richten, und keine Barmherzigkeit ohne
Gerechtigkeit üben. Daher werde ich um der Gebete meiner Mutter und
meiner Heiligen willen der Welt noch einmal mein Erbarmen zuwenden.
Aber wenn sie nicht hören wollen, wird die Gerechtigkeit dann umso
strenger folgen.“
|
46. Kapitel |
Christus beklagt sich über Schmähungen der
Menschen und besonders über drei Männer, die ihn in Birgittas
Abwesenheit gelästert haben.
Maria sprach zu ihrem Sohn und sagte: „Gesegnet seist du, der
ohne Anfang und ohne Ende ist. Du hattest den edelsten und schönsten
Leib. Du warst der tapferste und tüchtigste Mann. Du warst das allerwürdigste
Wesen.“
Der Sohn antwortete: „Deine Worte, die aus deinem Munde ausgehen,
sind mir lieblich und erquicken das Innerste meines Herzens wie der
lieblichste Trank. Du bist mir lieber als alle anderen Wesen. Denn wie
verschiedene Gesichter in einem Spiegel geschaut werden, aber keines
mehr gefällt als das eigene, so liebe ich sicher meine Heiligen, aber
dich liebe ich doch mit einer besonderen Liebe, da ich aus deinem
Fleisch geboren bin.
Du bist wie eine Myrrhe, deren Duft zur Gottheit aufstieg und die
Gottheit herab in deinen Leib führte. Dieser Duft führte deinen Leib
und deine Seele zur Gottheit, ob du nun mit Leib und Seele bist.
Gesegnet seist du, denn über deine Schönheit freuen sich die Engel.
Durch deine Kraft werden alle befreit, die dich mit aufrichtigen
Herzen anrufen. In deinem Licht erzittern alle Dämonen, und sie wagen
nicht, in deinem Glanze zu verharren, denn sie wollen immer im Dunkel
bleiben.
Du gabst mir einen dreifachen Lobpreis, denn du sagtest, dass ich den
edelsten Leib hätte, zweitens, dass ich der tapferste Mann war, und
drittens, dass ich das allerwürdigste Wesen war, Diesen drei Dingen
wird nur von denen widersprochen, die Leib und Seele haben. Sie sagen,
dass ich den schändlichsten Körper habe, dass ich der verächtlichste
Mann und das elendeste Wesen bin.
Denn was ist schändlicher, als andere zur Sünde zu verlocken? Sie
behaupten nun, dass mein Körper zur Sünde verleite, indem sie sagen,
dass Sünde nicht so schlimm ist, wie behauptet wird, und Gott nicht
in dem Maß missfallen würde. Sie sagen, dass nichts zustande kommt,
ohne dass Gott es will, dass es so sein soll, und dass nichts
geschaffen ist, außer von ihm[1]. „Warum sollen wir sie (die Sünde)
dann nicht begehen, die zu unserem Nutzen geschaffen ist? Die
Gebrechlichkeit der Natur verlangt dies jedoch, und so haben ja alle
vor uns gelebt und leben noch.“
So reden die Menschen jetzt von mir, und meine Menschengestalt, in der
ich, der wahre Gott, unter den Menschen auftrat, als ich ihnen von Sünde
abriet und ihnen zeigte, wie schwer sie ist – die nennen sie schändlich,
so als hätte ich ihnen zu etwas geraten, was unnütz und schamlos
ist. Sie sagen, dass nichts ehrbar außer der Sünde ist, und was
ihrem Willen behagt. Sie sagen auch, dass ich der schmählichste Mann
bin.
Was ist schändlicher, als dass ein Mann, der die Wahrheit sagt,
erleben muß, dass man ihn dann mit Steinen auf den Mund schlägt und
ihm ins Gesicht schlägt und er außerdem Schimpfworte hören muß,
indem sie sagen: „Wenn er ein Mann wäre, würde er sich rächen.
„So verfahren sie mit mir.
Ich rede zu ihnen durch Lehrer und die Heilige Schrift, aber sie
sagen, dass ich Lügen spreche. Sie schlagen mich mit Steinen und mit
geballten Fäusten auf den Mund, wenn sie Ehebruch, Totschlag und Lügen
begehen, und sie sagen: „Wenn er mannhaft wäre, wenn er der allmächtige
Gott wäre, würde er eine solche Übertretung strafen.“
Ich ertrage dies aber mit Geduld, und täglich höre ich sie sagen,
dass die Pein (in der Hölle) weder ewig noch so bitter ist, wie es
heißt, und dass meine Worte unwahr sind. Drittens halten sie mich für
das nichtsnutzigste Wesen. Denn was ist im Hause wertloser als Hund
und Katze, für die man gern ein Pferd nehmen würde, wenn man
tauschen könnte? Aber der Mensch hält mich für wertloser als den
Hund; er würde mich auch gar nicht nehmen wollen, wenn er dafür auf
den Hund verzichten müsste, und ehe er auf das Hundefell verzichten
wollte, will er mich verwerfen und verleugnen.
Gibt es etwas, das dem Sinn so wenig behagt, dass man gar nicht daran
denkt und es mehr begehrt, als mich? Denn wenn sie mich höher schätzen
würden, als irgendein geschaffenes Wesen, dann würden sie mich mehr
als andere Dinge lieben. Aber nun haben sie nichts, was so klein ist,
dass sie es nicht höher schätzen, als mich. Über alles sorgen sie
sich mehr, als über mich. Sie bekümmern sich über ihre eigenen
Verluste oder die ihrer Freunde. Sie sind traurig über ein
beleidigendes Wort, sie machen sich keine Sorgen, andere Menschen zu
beleidigen, die höher stehen als sie, aber es macht ihnen nichts aus,
mich zu beleidigen, den Schöpfer aller Dinge. Welcher Mensch ist so
verachtet, dass er nicht gehört wird, wenn er um etwas bittet, und
keine Gegengabe erhält, wenn er vorher etwas fortgibt? Ich dagegen
bin in ihren Augen äußerst lumpig und verächtlich, denn sie meinen,
ich sei nichts Gutes wert, obwohl ich ihnen alles Gute gegeben habe.
Du, meine Mutter, hast mehr von meiner Weisheit erfahren, als andere,
und nie ging aus deinem Munde etwas anderes hervor, als Wahrheit. Ich
werde mich nun in den Augen aller Heiligen rechtfertigen; erstens
gegenüber dem, der sagte, ich hätte den hässlichsten Leib, und ich
werde beweisen, dass ich sicher den alleredelsten Körper habe, ohne
Makel und Sünde, und er wird von ewiger Schande betroffen werden, die
alle zu sehen bekommen.
Was den betrifft, der gesagt hat, dass meine Wort unwahr wären, und
dass er nicht gewusst hat, wie weit ich Gott sei oder nicht, will ich
beweisen, dass ich in Wahrheit Gott bin, und er wird wie Kot in die Hölle
niederfahren. Aber den dritten, der mich für den allerschäbigsten
hielt, den werde ich zu ewiger Verdammnis verurteilen, so dass er
niemals meine Ehre und meine Freude sehen darf.“
Dann sagte er zur Braut (Birgitta). „Verharre standhaft in meinem
Dienst. Du bist wie in eine Mauer hineingekommen, in der du
eingeschlossen bist, so dass du nicht fliehen oder das Fundament
untergraben kannst. Ertrage also die kleine Trübsal willig, so wirst
du später ewige Ruhe in meinen Armen finden. Du kennst den Willen des
Vaters, du hörst die Worte des Sohnes, du kennst meinen Geist, du
hast Trost und Freude im Gespräch mit meiner Mutter und mit meinen
Heiligen. Bewahre deshalb Standhaftigkeit, sonst wirst du meine
Gerechtigkeit kennen lernen, durch die du dann gezwungen würdest, das
zu tun, wozu ich dich jetzt mild ermahne.“
[1]. D.h. auch nicht die Sünde. |
47. Kapitel |
Christus schildert das neue Gesetz d.h. die
Lehre des Neuen Testaments, und sagt, dass dies nun von den Menschen
vergessen ist, und am allermeisten von den Priestern, die mehr nach
schnödem Gewinn trachten, als nach der Vermehrung von Gottes Ehre und
der Errettung der Seelen. Er spricht eine strenge Drohung über solche
Priester aus.
Ich bin der Gott, der früher den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs
genannt wurde. Ich bin der Gott, der Mose das Gesetz gab. Das Gesetz
war wie in einer Kleidung. Denn wie eine Mutter, die ein Kind im
Mutterleib trägt, dem Kinde Kleider beschafft, so habe ich, Gott, das
Gesetz beschafft, das nur ein Gewand und ein Schatten und ein Zeichen
dessen war, was hernach geschehen würde.
Ich habe mich in die Gewänder dieses Gesetzes gekleidet und eingehüllt.
Und wie ein Kind aufwächst, sein altes Kleid ablegt und ein neues
anzieht, so habe ich das Gewand des alten Gesetzes abgelegt, als es
verbraucht war, und habe das neue Gewand angezogen, nämlich das neue
Gesetz, und allen, die sie haben wollten, gab ich Kleider, so wie ich
sie habe.
Diese Kleidung ist nicht eng oder schwer zu tragen, sondern überall
gut angepaßt. Sie ist nicht dazu da, dass man fasten oder übermäßig
arbeiten, sich selber umbringen oder etwas tun soll, was über die Möglichkeiten
hinausgeht, sondern sie ist passend und geeignet, Leib und Seele zu zügeln
und zu kasteien. Denn wenn der Leib an der Sünde festhält, verzehrt
diese Sünde auch den Leib.
In dem neuen Gesetz gibt es nun zwei Dinge. Erstens ein kluges Maßhalten
und einen rechten Gebrauch aller Dinge für Leib und Seele. Zweitens
die Bereitschaft, das Gesetz leicht zu befolgen, denn wer in dem einen
nicht feststehen kann, kann es in einem anderen.
Daraus folgt, dass der, der nicht jungfräulich leben kann, dem steht
es frei, eine Ehe einzugehen, und wer fällt, mag sich wieder erheben.
Aber dieses Gesetz wird jetzt von der Welt verworfen und verachtet.
Die Leute sagen nämlich, dass es eng, schwer und unförmig ist. Sie
nennen das Gesetz eng, weil es vorschreibt, dass man sich mit dem begnügen
soll, was notwendig ist, und den Überfluß verabscheuen soll. Diese
wollen dagegen alles ohne vernünftiges Maß besitzen, indem sie wie
das Vieh das begehren, was über die Körperkräfte geht, und deshalb
ist ihnen das Gesetz zu eng.
Zweitens sagen sie, dass es schwer ist, denn es sagt, dass man etwas
in vernünftigem Maß und nach festen Zeiten genießen soll, aber
diese Menschen befriedigen ihre Genusssucht mehr, als was nützlich
ist und mehr, als was vorgeschrieben ist.
Drittens sage ich, dass das Gesetz mir unvollkommen ist, denn es
gebietet uns, die Demut zu lieben und Gott alles Gute zuzuschreiben.
Diese Leute dagegen wollen sich erheben und äußern ihren Hochmut über
die guten Dinge, die ihnen Gott gegeben hat. Sieh, so verachtet ist
mein Gewand. Ich habe all das Alte vervollständigt und habe so das
neue begonnen, denn das alte war sehr schwer, und es war meine
Absicht, dass das neue bleiben sollte, bis ich komme, Gerichte zu
halten.
Aber sie haben das Gewand schamlos weggeworfen, womit die Seele umhüllt
wird, nämlich den rechten Glauben. Dazu häufen sie Sünde auf Sünde,
denn sie wollen mich sogar verraten. Sagt David nicht im Psalm:
„Der, der mein Brot gegessen hat, dachte an Verrat gegen mich?“[1]
Mit diesen Worten will ich, dass du dich an zwei Dinge erinnern
sollst. Erstens, dass er nicht sagt „denke“, sondern „dachte“,
als ob es etwas beträfe, was schon vergangen ist. Zweitens, dass er
mit diesen Worten nur einen einzigen Menschen bezeichnet, der Verrat
geübt hat. Ich sage dagegen, dass diesen meine Verräter sind, die es
jetzt gibt, nicht die, die einmal gewesen sind oder die kommen sollen,
sondern die, die jetzt leben. Ich sage auch, dass es nicht nur ein
einziger Mensch ist, sondern viele.
Aber nun kannst du vielleicht fragen: „Gibt es nicht zwei Brote, ein
unsichtbares und geistliches, von dem die Engel und Heiligen leben,
und ein irdisches, von dem die Menschen essen? Aber die Engel und
Heiligen wollen ja nichts anderes als das, das nach deinem Willen ist,
und die Menschen können auch nichts anderes, als was dir behagt. Wie
können sie dich dann verraten?“
Ich will dir im Beisein meiner himmlischen Heerschar antworten; sicher
weiß und sieht sie alles in mir, aber ich rede deinetwegen, dass du
es wissen sollst. Es gibt tatsächlich zwei Brote. Eines ist das Brot
der Engel. Die Engel essen mein Brot in meinem Reich, auf dass sie von
meiner unsagbaren Herrlichkeit gesättigt werden. Sie verraten mich ja
nicht, sondern sie wollen nichts anderes, als was ich will.
Aber mich verraten die, die mein Brot am Altar essen. Ich bin in
Wahrheit dieses Brot. Dieses Brot hat drei Eigenschaften: Gestalt,
Geschmack und Rundung. Ich bin in Wahrheit dieses Brot. Ebenso wie das
Brot habe auch ich drei Eigenschaften: Geschmack, Gestalt und Rundung.
Ich habe Geschmack, denn so wie jede Speise geschmacklos und ohne
Kraft ist, wenn das Brot fehlt, so ist alles, was es gibt, ohne mich
geschmacklos, kraftlos und eitel.
Ich habe ferner die Gestalt des Brotes, weil ich ja von Erde bin. Ich
bin ja von meiner jungfräulichen Mutter geboren, aber meine Mutter
stammt von Adam ab, und Adam von der Erde. Ich habe auch die runde
Form, in der es keinen Anfang und kein Ende gibt. Niemand kann ein
Ende oder einen Anfang in meiner Weisheit, Macht oder Liebe sehen oder
finden.
Ich bin in allem, über allem und außerhalb von allem. Ja, wenn
jemand wie ein Pfeil ohne Aufenthalt und in Ewigkeit fliegen würde, würde
er doch ein Ende oder einen Grund von meiner Macht und Tugend finden.
Auf Grund dieser drei Eigenschaften – nämlich Geschmack, Gestalt
und runder Form, bin ich das Brot, das auf dem Altar zu sehen und zu
spüren ist, aber in meinen Leib verwandelt wird, der gekreuzigt
wurde.
Denn wie ein trockenes und leicht brennbares Holzstück, wenn es aufs
Feuer gelegt wird, schnell verzehrt wird und nichts von der Gestalt
des Baumes übrigbleibt, sondern alles zu Feuer wird, so wird bei den
Worten „Hoc est corpus meum“, das, was vorher Brot war, gleich
mein Leib, aber es wird nicht vom Feuer, sondern von meiner Göttlichkeit
wie Holz verbrannt.
Daher wurde ich von denen verraten, die mein Brot essen. Welcher Mord
kann abscheulicher sein als der, wenn jemand sich selbst ums Leben
bringt? Und welcher Verrat ist niedriger, als wenn zwei mit einem unlösbaren
Band vereint sind, wie es mit zwei Eheleuten der Fall ist, und der
eine den anderen verrät?
Was tut nun der Mann, wenn er seine Frau verraten will? Ja, er sagt
scheinheilig zu ihr: „Laß uns an den und den Platz gehen, damit ich
meinen Willen mit dir vollenden kann.“ Sie geht in aller Einfalt mit
ihm, zu allem bereit, was ihr Gatte will. Aber wenn er eine Passende
Zeit und einen geeigneten Platz findet, wendet er eines dieser drei
Mittel an, sie ums Leben zu bringen: Entweder etwas so Schweres, dass
es sie mit einem Schlage tötet, oder etwas so Scharfes, dass es
gleich in ihre Eingeweide dringt, oder etwas, womit ihr Lebensatem
gleich erlischt und erstickt wird.
Wenn nun die Gattin tot ist, denkt der Verräter bei sich selbst:
„Nun habe ich etwas Böses getan. Wenn meine Untat allgemein bekannt
wird, werde ich zum Tode verurteilt.“ Deshalb geht er hin und legt
den Leib der toten Hausfrau an einen heimlichen Platz, damit sein
Verbrechen nicht aufgedeckt wird.
So verfahren nun die Priester mit mir, die meine Verräter sind. Sie
und ich sind mit einem Band vereint, wenn sie das Brot nehmen und wenn
sie es, wenn sie die Worte aussprechen, in meinen wahren Leib
verwandeln, den ich von der Jungfrau angekommen habe. Das könnte kein
Engel tun, denn nur den Priestern habe ich diese Vollmacht gegeben;
ich habe sie zu dem höchsten Amt auserwählt.
Aber nun handeln sie gegen mich wie Verräter, denn sie zeigen mir ein
frohes und freundliches Gesicht und führen mich zu einem heimlichen
Platz, um mich zu verraten. Diese Priester zeigen ein glattes Gesicht,
wenn sie gut und einfältig zu sein scheinen, und sie führen mich
vorsätzlich an einen geheimen Platz, wenn sie zum Altar treten. Ich
bin dann wie eine Braut oder ein Bräutigam, allen ihren Willen zu
tun, aber sie verraten mich.
Erstens legen sie eine Last auf mich, wenn der heilige Gottesdienst,
den sie für mich halten, ihnen beschwerlich und zur Last wird. Lieber
sprechen sie hundert Worte zur Welt, als ein einziges zu meiner Ehre.
Lieber geben sie hundert Mark für die Welt aus, als einen Pfennig für
mich. Lieber arbeiten sie hundertfach zu ihrem eigenen Nutzen und den
der Welt, als ein Mal für meine Ehre.
Mit dieser schweren Bürde drücken sie mich nieder, so dass ich wie
tot in ihrem Herzen bin. Zweitens stechen sie mich wie mit einem
scharfen Eisen, das in die Eingeweide dringt. Wenn der Priester zum
Altar geht, denkt er nämlich daran, dass er gesündigt hat, und
bereut, aber er ist fest entschlossen, von neuem zu sündigen, wenn
der Gottesdienst vorüber ist, indem er bei sich selbst denkt: „Wohl
bereue ich meine Sünde, aber ich lasse es nicht von mir, womit ich
gesündigt habe, um das nicht mehr zu tun.“
Diese Priester stachen mich gleichsam mit dem schärfsten Eisen.
Drittens wird gleichsam mein Geist erstickt, wenn sie bei sich denken:
„Es ist gut und behaglich, mit der Welt zu leben. Es ist gut,
ausschweifend zu leben, und ich kann das nicht aufgeben. Ich will
meinen Willen in der Jugend tun; wenn ich alt werde, dann werde ich
enthaltsam werden und mich bessern.“ Von diesem abscheulichen
Gedanken wird mein Lebensgeist erstickt.
Aber nun kann man fragen, wie ihre Herzen so lauwarm und kühl für
mich und alles Gute sind, dass sie sich nie für meine Liebe erwärmen
und wieder aufstehen können. Wie eine Flamme nicht aus einem Eisstück
auflodern kann, auch wenn es aufs Feuer gelegt wird, sondern das Eisstück
stattdessen schmilzt, so können diese Leute, auch wenn ich ihnen
meine Gnade schenke und sie ermahnende Worte hören, doch nicht zum
Weg des Lebens finden, ohne dass sie verdorren und in allem Guten verkümmern.
So verraten sie mich also, indem sie sich ehrlich zeigen und es doch
nicht sind, und weil sie von meiner Ehre belastet und betrübt sind,
an der sie doch statt dessen ihre Freude haben sollten, und haben
ihren Willen, zu sündigen und nehmen sich vor, bis zuletzt weiter zu
sündigen. Und sie vergessen mich gleichsam und versetzen mich an
einen geheimen Platz, wenn sie bei sich denken: „Ich weiß, dass ich
gesündigt habe, aber wenn ich es unterlasse, das Messopfer zu feiern,
stehe ich mit Scham da und werde von allen getadelt.“
Und so gehen sie ungescheut zum Altar und stellen mich vor sich hin
und berühren mich, der wahrer Gott und Mensch ist. Ich befinde mich
sozusagen mit ihnen an einem geheimen Platz, denn niemand weiß und
bedenkt, wie schlecht und ehrlos sie sind, vor denen ich, Gott, wie an
einem geheimen Platz liege. Denn auch wenn der schäbigste Mann ein
Priester wäre, würde er doch, wenn er die Worte Hoc est Corpus meum
ausspräche, meinen wahren Leib weihen, und ich, der wahre Gott und
Mensch, würde in seinen Händen liegen.
Aber wenn er mich auf seine Lippen legt, da bin ich nicht durch Gnade
mit meiner Gottheit und Menschlichkeit bei ihm gegenwärtig – nein,
ich bin fort, und nur die Gestalt und der Geschmack des Brotes bleiben
bei ihm. Nicht so, als ob ich für die Bösen ebenso wie für die
Guten in Wahrheit anwesend wäre, denn ich bin es kraft der Stiftung
des Sakraments. Nein, ich meine, dass dessen Wirkung für die Bösen
nicht dieselbe wie für die Guten ist.
Sieh, solche Priester sind nicht meine Priester, sondern wirkliche
Verräter, denn sie verkaufen mich, wie es Judas tat, und verraten
mich. Ich betrachte Heiden und Juden, aber sehe keine, die schlimmer
sind als diese Priester, denn sie sind in derselben Sünde, die den
Fall Luzifers herbeiführte.
Nun will ich dir auch ihr Gericht sagen, und wem sie gleichen. Ihr
Gericht ist Verfluchung. David verwünschte die, die Gott nicht
gehorsam waren, und da er ein gerechter Prophet und König war,
verfluchte er sie nicht aus Zorn oder bösem Willen oder Ungeduld,
sondern aus Gottes Gerechtigkeit.
So verwünsche ich, der besser ist als David, die, die Priester sind;
nicht aus Zorn oder bösem Willen, sondern aus Gerechtigkeit.
Verflucht sei daher alles, was sie von der Erde zu ihrem Nutzen
nehmen, denn sie preisen ihren Gott und Schöpfer nicht, der ihnen
dies gegeben hat. Verflucht sei die Speise und der Trank, der in ihren
Mund geht, und der ihren Leib als Speise für die Würmer und ihre
Seele für die Hölle nährt.
Verflucht sei ihr Leib, der in der Hölle auferstehen wird, um ewig zu
brennen. Verflucht sei die Stunde, die für sie in der Hölle beginnt,
und die niemals enden wird. Verflucht seien ihre Augen, mit denen sie
das Licht des Himmels gesehen haben. Verflucht seien ihre Ohren, mit
denen sie meine Worte hörten, um die sie sich nicht gekümmert haben.
Verflucht sei ihr Geschmack, mit dem sie meine Gaben geschmeckt haben.
Verflucht sei ihr Geruch, womit sie die Annehmlichkeiten der Welt
gekostet haben, während sie mich vergessen haben, der lieblicher als
alles andere ist.
Aber nun kann man fragen: Auf welche Weise sollen sie verflucht
werden? Ja, ihre Sehkraft soll verflucht werden, denn sie sollen nicht
Gottes Angesicht in mir sehen, sondern das Dunkel und die Pein der Hölle.
Ihre Ohren sollen verflucht werden denn sie sollen nicht meine Worte hören,
sondern nur die Schreie und den Schrecken der Hölle. Ihr Geschmack
soll verflucht werden, denn sie sollen nicht die Freude meiner ewigen
Güte, sondern nur das ewige Feuer spüren. Ihr Geruchssinn soll
verflucht werden, denn sie sollen nicht den lieblichen Wohlgeruch in
meinem Reich vernehmen, der alle Düfte übersteigt, sondern nur den
Gestank in der Hölle spüren, der bitterer als Galle und schlimmer
ist, als Schwefel.
Sie sollen von Himmel und Erde und von allen unvernünftigen Geschöpfen
verflucht werden, denn diese gehorchen Gott und preisen ihn, während
sie selbst ihn verachten. Deshalb schwöre ich in meiner Wahrheit
(denn ich bin die Wahrheit), dass, wenn sie sterben und in einem
solchen Zustand der Sünde sind, wie sie sich jetzt darin befinden, so
wird sie niemals meine liebe oder meine Güte umschließen, sondern
sie sollen einer Verdammnis ohne Ende anheimfallen.“
[1]. Ps. 41, 10. |
48. Kapitel |
Christus setzt seine Klage über die
treulosen Priester fort, die er mit abtrünnigen Juden vergleicht. Er
deutet an, welchen schrecklichen Einfluß ihr schlechtes Beispiel ausübt,
und droht ihnen mit seiner Strafe.
Eine große Heerschar wurde in Himmel sichtbar, und Gott sagte zu
ihr: „O meine Freunde, die ihr alles in mir kennt, versteht und
schaut, ich rede in eurem Beisein um meiner Braut willen, die hier
steht. Seht, wie wenn jemand zu sich selber spricht, so redet meine
Gottheit zu meiner Menschlichkeit.
Mose war mit dem Herrn vierzig Tage und Nächte auf dem Berge, und als
das Volk sah, dass er so lange fort war, nahmen sie Gold und warfen es
in den Schmelzofen, und davon wurde ein Kalb geschmiedet, das sie
ihren Gott nannten. Da sagte Gott zu Mose: „Das Volk hat gesündigt.
Ich werde es vernichten, wie etwas Geschriebenes aus einem Buche
ausgestrichen wird.“
Mose antwortete: „Nein, mein Herr. Bedenke, dass du es aus dem Roten
Meer geführt und wunderbare Dinge mit ihm getan hast. Wenn du es
jetzt vernichtest – wo ist dann dein Versprechen? Ich bitte dich, tu
das nicht, denn dann werden deine Gegner sagen: „Israels Gott ist
schlecht, er, der das Volk aus dem Meer herausgeführt hat, aber es
dann in der Wüste umkommen ließ.“ Und Gott ließ sich von seinen
Worten erweichen.
Ich bin dieser Mose, um in einem Gleichnis zu sprechen. Meine Gottheit
redet zur Menschheit, wie Moses, und sagt: „Sieh, was dein Volk
getan hat, sieh, wie es mich verschmäht hat. Alle Christen sollen
umkommen, und ihr Glaube ausgelöscht werden.“ Meine Menschlichkeit
antwortete aber: „Nein, Herr. Bedenke, dass ich das Volk in meinem
Blut (am Kreuz) durchs Meer geführt habe, als ich vom Scheitel bis
zur Sohle verwundet war. Ich habe ihnen ewiges Leben versprochen;
erbarme dich über sie um meines Leidens willen.“
Nachdem sie diese Worte gehört hatte, wurde die Gottheit besänftigt
und sagte: „Es geschehe dein Wille, denn alles Gericht ist dir übergeben.
Seht, meine Freunde, welche Liebe! Aber nun klage ich vor euch, meine
Freunde, Engel und Heiligen, und vor meinen leiblichen Freunden, die
aber nur mit Leibe auf der Welt sind, dass mein Volk doch Holz
gesammelt hat, ein Feuer angezündet und Gold hineingeworfen hat, so
dass ihnen daraus ein Kalb entstand, das sie jetzt als Gott anbeten.
Der steht nun wie ein Kalb auf vier Füßen, hat einen Kopf, Hals und
Schwanz. Als Moses sich länger auf dem Berge aufhielt, sagte das
Volk: „Wir wissen nicht, was ihm passiert ist.“ Und es missfiel im
plötzlich, dass er sie aus der Gefangenschaft geführt hatte, und sie
sagten: „Laßt uns einen anderen Gott suchen, der vor uns hergehen
kann.“
So verfahren nun diese verwünschten Priester mit mir. Sie sagen nämlich:
„Warum sollen wir ein strengeres Leben führen, als andere? Was
erhalten wir für einen Lohn dafür? Es ist besser für uns, in
Frieden zu leben, und so, wie wir wollen. Wollen wir also die Welt
lieben, deren wir sicher sind – über seine Verheißung sind wir nämlich
unsicher.“
Dann sammeln sie Holz d.h. geben sich mit all ihren Sinnen der
Weltliebe hin, und sie zünden ein Feuer an, wenn sie vollkommen
entschlossen sind, der Welt zu folgen. Sie brennen, wenn ihre Lust in
ihrem Sinne glüht und zum Handeln schreitet. Dann werfen sie Gold
hinein, d.h. all die Liebe und Ehrenbezeugung, die sie mir erweisen
sollten, die opfern sie jetzt der Welt zu ehren. So entsteht das Kalb,
d.h. eine vollständige Liebe zur Welt. Es hat vier Fuße, nämlich
Leichtsinn, Ungeduld, übermäßige Freude und Gier.
Denn diese Priester, die mein sein sollten, sind faul, wenn es gilt,
mir Ehre zu erweisen, sie sind ungeduldig, etwas um meinetwillen zu
ertragen, übertrieben in ihrer Freude und nie zufrieden mit dem, was
sie gewonnen haben. Das Kalb hat auch einen Kopf und eine Kehle. Das
bezeichnet ihren ganzen Willen, der auf Schwelgerei aus ist; er kann
nie gesättigt werden, auch wenn das ganze Meer hineinfließen würde.
Aber der Schwanz dieses Kalbes ist ihre Bosheit, denn sie lassen
niemanden seine Besitzanteile behalten, wenn sie ihm die nehmen können.
Durch ihr schlechtes Beispiel und ihre Verachtung verletzen sie die,
die mir dienen, und bringen sie zu Fall.
Das Kalb einer solchen Liebe ist in ihrem Herzen; darüber freuen sie
sich und vergnügen sich damit. Sie denken von mir, wie die Israeliten
über Mose. „Er ist lange fortgewesen“, sagen sie. „Seine Worte
scheinen nutzlos und seine Taten mühselig zu sein. Lasst uns unserem
eigenen Willen folgen; unsere Macht und unser Wille sei unser Gott.“
Ja, sie begnügen sich nicht damit; sie vergessen mich ganz und gar,
sondern sie halten mich für einen Abgott. Die Heiden haben Bäume,
Steine und tote Menschen verehrt. Unter anderem verehrten sie einen
Abgott mit Namen Beelzebub, dessen Priester ihm Weihrauch opferten,
vor ihm die Knie beugten und ihn mit lauten Rufen priesen. Und alles
von ihrem Opfer, das unnütz war, ließen sie auf die Erde fallen, und
Vögel und Fliegen verzehrten es. Alles, was nützlich war, behielten
dagegen die Priester für sich. Sie verschlossen die Tür um ihren
Abgott und behielten den Schlüssel für sich, so dass niemand
eintreten sollte.
So handeln die Priester in dieser Zeit gegen mich. Sie opfern mir
Weihrauch, d.h. sie reden und predigen schöne Worte, aber zu ihrer
eigenen Ehre und um irgendwelche zeitlichen Güter zu gewinnen, aber
nicht aus Liebe zu mir. So wie der Weihrauchduft nicht eingefangen
werden kann, sondern nur gefühlt und gesehen werden kann, so dienen
ihre Worte nicht zum Nutzen der Seelen, so dass sie Wurzel schlagen
und im Herzen bewahrt werden – nein, sie werden nur gehört und
scheinen für kurze Zeit auch angenehm zu sein.
Sie opfern mir Gebete, aber keineswegs solche, die mir behagen – so
wie die, die Lobpreisungen mit dem Munde rufen und doch im Herzen
schweigen, stehen sie vor mir und rufen mit dem Mund, während ihre
Gedanken um weltliche Dinge kreisen. Wenn sie dagegen mit einer mächtigen
Persönlichkeit reden würden, würde ihr Herz dem folgen, was sie
reden, so dass sie sich bei der Rede nicht vertun, und so dass man bei
ihnen nichts zu beanstanden hätte.
Aber vor mir beten die Priester so wie Menschen, die verwirrten Sinnes
sind, die etwas mit dem Munde sprechen, aber etwas anderes im Herzen
haben. Niemand, der die Worte solcher Menschen hört, kann sicher
sein, was sie beinhalten. Sie beugen vor mir ihre Knie, d.h. sie
geloben mir Demut und Gehorsam. Aber in Wahrheit ist ihre Demut wie
die von Luzifer; sie sind ihren Begierden gehorsam, und nicht mir. Sie
versperren mir sogar die Tür und haben den Schlüssel in eigener
Verwahrung. Sie schließen andere Dinge um mich herum auf und
lobpreisen mich, wenn sie sagen: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel,
so auf Erden“, aber sie schließen andere Dinge vor mir zu, wenn ihr
eigener Wille in Erfüllung geht, und mein Wille wie der eines
eingesperrten und ohnmächtigen Mannes ist, den man weder hören noch
sehen kann.
Sie haben den Schlüssel in eigener Verwahrung, wenn sie auch andere
durch ihr Beispiel verführen, die gern meinen Willen tun würden, und
die ihnen das gern verbieten würden, wenn sie könnten, so dass mein
Wille sich nicht durchsetzen und in Erfüllung gehen kann, sondern nur
nach ihrem eigenen Willen verlaufen würde.
Weiter verbergen sie im Opfer all das, was für sie notwendig und nützlich
ist, und sie verbergen alle Ehrenbezeugungen und alles, was man ihnen
schuldig ist, aber den menschlichen Leib, der zu Boden fällt d.h.
stirbt, und dem sie doch das beste Opfer bringen sollten, den halten
sie für unnütz und überlassen ihn Fliegen, d.h. den Würmern, und
um das, wozu sie verpflichtet sind, es für ihn zu tun – darum kümmern
sie sich überhaupt nicht und denken nicht daran, wenn es auch die Erlösung
seiner Seele betrifft.
Aber was wurde zu Mose gesagt? „Schlag sie tot, die diesen Abgott
gemacht haben!“ So wurden damals manche totgeschlagen, doch nicht
alle. Ebenso sollen jetzt meine Worte kommen und sie töten – manche
sollen durch ewige Verdammnis mit Leib und Seele getötet werden,
andere sollen zum Leben gerettet werden, so dass sie sich bekehren und
leben; andere sollen zu einem plötzlichen Tod verurteilt werden, denn
diese Priester sind mir ganz verhasst.
Womit soll ich sie vergleichen? Sie gleichen der Frucht des
Dornbuschs, die äußerlich rot und schön ist, aber im Innern voller
Schmutz und Stacheln sind. So treten sie vor mich wie Männer, die rot
vor Liebe sind, und den Menschen scheinen sie rein zu sein, während
ihr Inneres voll Unreinheit ist. Wenn diese Frucht in die Erde gelegt
wird, so wachsen andere Dornen daraus hervor. So verbergen sie ihre Sünden
und ihre Bosheit im Herzen wie in der Erde, und sie verwurzeln so im Bösen,
dass sie sich nicht einmal scheuen, öffentlich aufzutreten und mit
ihrer Sünde zu prahlen.
Daraus nehmen andere nicht nur den Anlaß, zu sündigen, sondern
werden auch tief in ihrer Seele verwundet, indem sie bei sich selbst
denken: „Wenn Priester so handeln, ist es für uns noch mehr
zugelassen.“ Ja, die Priester sind nicht nur wie Früchte des
Dornbuschs, sondern auch die Stacheln, denn sie denken nicht daran,
mit Tadel und Ermahnung in Berührung zu kommen, und sie meinen, dass
niemand weiser ist als sie, und dass sie also alles tun können, wenn
sie wollen.
Daher schwöre ich in meiner Gottheit und Menschlichkeit, so dass es
alle Engel hören, dass ich die Tür zerbrechen werde, mit der sie
meinen Willen eingesperrt haben, und mein Wille wird in Erfüllung
gehen, und ihr Wille soll zunichte werden und auf ewige Zeiten in Pein
und Qual eingeschlossen werden. Denn wie es früher gesagt worden ist:
„Ich werde mein Gericht bei den Priestern und bei meinem Altar
beginnen.“
|
49. Kapitel |
Die schlechten Priester treiben ihn fort,
sagt Christus; er wird sich deshalb an die wenden, die bereit sind,
ihn zu empfangen.
Gottes Sohn sprach: „Ich habe mich früher mit Mose verglichen.
Als er das Volk hinausführte, stand das Wasser recht und links wie
eine Mauer. Ich bin in Wahrheit, um in einem Gleichnis zu sprechen,
der Mose, der das christliche Volk hinausgeführt hat, d.h. ihnen das
Himmelreich geöffnet und ihnen den Weg gezeigt hat. Aber jetzt habe
ich mir andere Freunde gesucht, lieber und vertrauter als die
Propheten, nämlich die Priester, die meine Worte nicht nur hören und
sehen, wenn sie mich selbst sehen, sondern mich auch mit ihren Händen
berühren[1], was keiner der Propheten oder Engel tun konnte.
Diese Priester, die ich anstelle der Propheten als meine Freunde wählte,
rufen zu mir – aber nicht mit solcher Sehnsucht und Liebe wie die
Propheten, nein, die Priester und Propheten rufen mit zwei
verschiedenen Stimmen. Die Priester rufen nicht wie die Propheten:
„Komm, Herr, denn du bist lieb, sondern sie rufen: „Geh fort von
uns, denn deine Worte sind bitter, und deine Taten schwer und bereiten
uns Verdruß.“
Höre, was die verfluchten Priester sagen! Ich stehe vor ihnen wie das
sanfteste Lamm, von dem sie Wolle nehmen, um sich zu kleiden, und
Milch zu trinken, und doch verabscheuen sie mich trotz meiner großen
Liebe. Ich stehe wie ein Gast vor ihnen und sage: „Freund, gib mir
das Notwendige zum Leben, denn ich brauche es, und du wirst als
Entgelt den besten Lohn von Gott erhalten.
Aber obwohl ich mit der Sanftmut des Schafes aufgetreten bin, treiben
sie mich weg wie den Wolf, der es auf die Schafe des Bauern abgesehen
hat. Anstatt mir Gastfreundschaft zu gewähren, demütigen sie mich
wie einen Verräter, der unwürdig ist, eine Herberge zu erhalten, und
weigern sich, mich aufzunehmen.
Was soll der weggetriebene Gast tun? Soll er keine Waffengewalt gegen
den Bauern anwenden, der ihn vertrieben hat? Keineswegs – das wäre
nicht gerecht, denn der Besitzer kann sein Eigentum dem geben oder
verweigern, wenn er will. Aber was soll der Gast dann tun?
Ja, er soll dem sagen, der ihn wegjagt: „Freund, nachdem du mich
nicht aufnehmen willst, werde ich zu einem anderen gehen, der mir
Barmherzigkeit erweist.“ So kommt er zu einem anderen und hört ihn
sagen: „Willkommen, Herr – alles, was mein ist, gehört dir! Du
sollst nun der Herr sein, und ich will dein Diener und dein Gast
sein.“ In einer Herberge, wo ich solche Worte höre, behagt es mir
zu sein.
Ich bin gewiß so wie ein Gast, der von den Menschen vertrieben ist,
aber obwohl ich die Macht habe, überallhin einzutreten, tue ich das
doch nicht um der Gerechtigkeit willen, sondern ich kehre nur bei
denen ein, die mich gutwillig und wie einen wirklichen Herrn
empfangen, nicht wie irgendeinen Gast, und die mir all ihren Willen
anvertrauen.“
[1]. Bei der Kommunion. |
50. Kapitel |
Maria betet zu Christus für die Menschen im
Fegefeuer und auf Erden. Christus bewilligt ihre Bitten. Das Kapitel
ist bemerkenswert für seinen Hinweis auf die Jungfrau Maria als
Vermittlerin aller Gnaden, ein Thema, das die Mariologen unserer Tage
sehr beschäftigt.
Gottes Mutter sprach zu ihrem Sohn und sagte: „Gesegnet ohne Ende
sei dein Name, mein Sohn, mit deiner Gottheit, die ohne Anfang und
ohne Ende ist. In deiner Gottheit sind drei wunderbare Dinge
enthalten, nämlich Macht, Weisheit und Tugend. Deine Macht ist wie
ein gewaltig loderndes Feuer, vor dem alles, was fest und stark ist,
wie vertrocknetes Stroh im Feuer anzusehen ist. Deine Weisheit ist wie
ein Meer, das so groß ist, dass es nicht geleert werden kann, und
das, wenn es ansteigt und überfließt, Täler und Berge bedeckt. So
unfasslich und unerforschlich ist deine Weisheit.
Wie weise hast du doch den Menschen geschaffen und ihn über deine
ganze geschaffene Welt gesetzt! Wie weise hast du doch die Vögel in
der Luft, die Tiere auf der Erde und die Fische im Wasser geordnet,
und einem jeden seine Lebenszeit und Ordnung gegeben! Wie wunderbar
schenkst du alles Leben und nimmst es wieder! Wie weise gibst du den
Unweisen Weisheit und nimmst sie den Übermütigen! Deine Tugend ist
wie das Licht der Sonne, die am Himmel leuchtet und die Erde mit ihrem
Licht erfüllt. So sättigt deine Tugend das Höchste und Niedrigste
und erfüllt alles. Daher seist du gesegnet, mein Sohn, du, der du
mein Gott und mein Herr bist!“
Der Sohn antwortete: „Meine liebste Mutter, deine Worte sind mir
lieblich, nachdem sie ja aus deiner Seele hervorgehen. Du bist wie die
Morgenröte, die in Klarheit hervorbricht. Du hast über alle Himmel
gestrahlt; dein Licht und deine Klarheit hat die von allen Engeln übertroffen.
Mit deiner Klarheit hast du die wahre Sonne an dich gezogen, nämlich
meine Gottheit, so dass die Sonne meiner Gottheit zu dir kam und in
dir Fuß fasste. Von ihrer Glut bist du mehr als andere durch meine
Liebe erwärmt; von ihrem Glanz bist du mehr als andere durch meine
Weisheit erleuchtet.
Das Dunkel der Erde ist durch dich verjagt und sind alle Himmel
erleuchtet. Ich sage in meiner Wahrheit, dass deine Reinheit, die mir
mehr behagte als alle Engel, meine Gottheit zu dir gezogen hat, dass
du den wahren Gott und Mensch in deinem Schoß beherbergst, woraus das
Menschengeschlecht Licht erhielt, und die Engel sich erfreuten.
Daher seist du von deinem gesegneten Sohn gesegnet. Deshalb gibt es
keine Bitte, die du an mich richtest, die nicht erhört wird, und
durch dich sollen alle, die um Erbarmen bitten und den Willen haben,
sich zu bessern, Gnade empfangen. Du bist nämlich wie eine üppige
Quelle, aus der Erbarmen für die Elenden fließt.“
Die Mutter antwortete dem Sohn: „Alle Tugend und Ehre sei dir, mein
Sohn! Du bist mein Gott und mein Erbarmen; von dir stammt alles Gute,
was ich habe. Du bist wie die Saat, die nicht gesät wurde, aber
dennoch wuchs und hundertfach, ja tausendfach Frucht brachte. Denn
alles Erbarmen geht von dir aus, und weil es unzählig und
unaussprechlich ist, kann es wohl mit einer Hundertzahl bezeichnet
werden, womit alle Vollkommenheit ausgedrückt ist, denn von dir
stammt alle Vollendung und Vollkommenheit.“
Der Sohn erwiderte der Mutter: „In Wahrheit, Mutter, du hast gut
gesprochen, als du mich mit der Saat verglichst, die nicht gesät
wurde, aber dennoch wuchs, denn ich bin mit meiner Gottheit zu dir
gekommen, und meine Menschlichkeit wurde nicht durch das
Zusammenkommen von Mann und Frau gesät, aber ist trotzdem in dir
gewachsen, von der das Erbarmen zu allen fließt; daher hast du gut
gesprochen. Da du mit den Lieblichen Worten deines Mundes mir Erbarmen
entlockst, sollst du begehren, was du willst, und es wird dir gegeben
werden.“
Die Mutter antwortete: „O mein Sohn, da ich Erbarmen von dir
empfangen habe, bitte ich um Erbarmen und um Hilfe für die Elenden.
Es gibt nämlich vier Plätze. Der erste ist der Himmel, wo die Engel
und Seelen der Heiligen nichts anderes brauchen als dich, denn in dir
haben sie alles Gute. Der zweite Platz ist die Hölle, und die, die
sich dort aufhalten, sind von Bosheit erfüllt und von allem erbarmen
ausgeschlossen. Deshalb kann nichts mehr von dem, was gut ist, zu
ihnen eingehen.
Der dritte Platz ist das Fegefeuer, und die, die dort weilen, brauchen
dreifaches Erbarmen, denn sie werden auf dreifache Weise gepeinigt.
Sie werden nämlich durch das Hören geplagt, denn sie hören nichts
anderes als Pein, Qual und Elend. Sie werden durch das Sehen geplagt,
denn sie sehen nichts anderes als Elend. Sie werden durch das Gefühl
geplagt, denn sie spüren die Glut des unerträglichen Feuers und der
schweren Pein. Schenk ihnen, mein Herr und Sohn, dein Erbarmen um
meiner Gebete willen!“
Der Sohn erwiderte: „Gern will ich ihnen deinetwegen dreifaches
Erbarmen schenken. Das Schwere, das sie hören, soll erleichtert
werden, das Schwere, das sie sehen, soll gemildert werden; ihre Pein
soll gedämpft und milder werden, und alle die, die sich in der
schwersten Plage des Fegefeuers befinden, sollen von dieser Stunde an
in die mittlere kommen. Die in der mittleren sind, sollen in die
leichteste Plage kommen, und die, die in der leichtesten sind, sollen
heim zur Ruhe kommen.“
Die Mutter antwortete: „Lob und Ehre sei dir, mein Herr!“ Und sie
fügte gleich hinzu: „Der vierte Platz ist die Welt, und ihre
Bewohner brauchen drei Dinge. Zum erstens Reue über ihre Sünden. Zum
zweiten Buße und Wiedergutmachung. Drittens Kraft, um das Gute zu
tun.“
Der Sohn entgegnete: „Jeder, der deinen Namen anruft und Hoffnung
auf dich hat sowie den Vorsatz hat, für seine Sünde Buße zu tun und
sich zu bessern, dem sollen diese drei Dinge gegeben werden, und das
Himmelreich dazu. Ich höre nämlich eine so große Lieblichkeit bei
deinen Worten, dass ich dir nichts abschlagen kann, worum du bittest,
denn du willst ja auch nur das, was ich will. Du bist wie eine
leuchtende und brennende Flamme, mit der die erloschenen Lichter angezündet
werden, und die entzündeten genährt werden. Denn von deiner Liebe,
die in meinem Herzen aufgestiegen ist und mich zu dir gezogen hat,
sollen die, die tot in Sünde waren, neues Leben erhalten, und die,
die gegenüber meiner Liebe matt und schwarz wie Rauch waren, sollen
neue Kraft empfangen.“
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51. Kapitel |
Christus preist seine Mutter und erklärt,
wie ihre Tugenden die der Engel und der alttestamentlichen Heiligen übertreffen.
Gottes Mutter sprach zum Sohn und sagte: „Gesegnet sei dein Name,
mein Sohn Jesus Christus! Ehre über alles, was geschaffen ist, sei
deinem Mannesmut! Ehre sei deiner Göttlichkeit über alle guten
Dinge; sie ist ein Gott mit deiner Menschengestalt!
Der Sohn erwiderte: „Meine Mutter, du bist wie eine Blume, die in
einem Tal wuchs. Rund um das Tal herum waren fünf hohe Berge, und die
Blume wuchs aus drei Wurzeln mit einem geraden Stengel, der keinerlei
Knoten hatte. Diese Blume hatte fünf Blätter, voll von aller
Lieblichkeit.
Das Tal erhob sich aber mit seiner Blume über diese fünf Berge, und
die Blumenblätter breiteten sich über die ganze Himmelshöhe und die
Chöre der Engel aus. Du, meine geliebte Mutter, bist dieses Tal um
deiner Demut willen, die du im reicheren Maße hattest, als alle
anderen. Es erhob sich höher als fünf Berge. Der erste Berg war Mose
wegen seiner Macht. Er hatte nämlich durch das Gesetz die Macht über
mein Volk, als wäre es in seiner Hand geschlossen. Du hast dagegen
den Herrn aller Gesetze in deinem Schoß beschlossen, und daher bist
du höher als dieser Berg.
Der zweite Berg war Elias, der so heilig war, dass er mit Leib und
Seele in meiner heiligen Stadt aufgenommen wurde. Aber du, meine
liebste Mutter, deine Seele wurde aufgenommen und über alle Engelchöre
bei Gottes Thron gesetzt, und mit dem ist dein allerreinster Leib;
daher bist du höher als Elias.
Der Dritte Berg war Simsons stärke, die die von allen anderen
Menschen übertraft. Doch besiegte ihn der Teufel durch seine Tücke,
aber du hast den Teufel durch deine Stärke besiegt; also bist du stärker
als Simson.
Der vierte Berg war David, der ein Mann nach meinem Herzen und meinem
Willen war, aber dennoch in Sünde fiel. Aber du, meine Mutter, bist
meinem Willen in allem gefolgt und hast niemals gesündigt.
Der fünfte Berg war Salomo, der voller Weisheit war, aber trotzdem
betört wurde. Aber du, meine Mutter, warst voller Weisheit, wurdest
aber niemals unweise und ließest dich nie betören. Daher bist du höher
als Salomo.
Die Blume wuchs jedoch aus drei Wurzeln, denn du hattest von Jugend an
drei Eigenschaften: Gehorsam, Liebe und göttlichen Verstand. Aus
diesen drei Wurzeln wuchs der Stengel ohne jeden Knoten; damit ist
dein Wille gemeint, der sich niemals beugte und sich bog, außer vor
meinem Willen. Die Blume hatte auch fünf Blätter, die über alle Chöre
der Engel hinauswuchs. Du, meine Mutter, bist in Wahrheit diese Blume
mit fünf Blättern.
Das erste Blatt ist deine Ehrbarkeit; sie ist so groß, dass meine
Engel, die ehrbar vor mir sind, deine Ehrbarkeit sehen und finden,
dass sie mehr ist als sie, und ihre Heiligkeit und Ehrbarkeit noch überragt.
Daher bist du höher als die Engel.
Das zweite Blatt ist deine Barmherzigkeit, die so groß ist, dass du,
als du die Not aller Seelen sahst, dich über sie erbarmtest, und die
größte Pein bei meinem Tode littest. Die Engel sind zwar voller
Barmherzigkeit, und doch empfinden sie niemals Schmerz, aber du,
mildeste Mutter, hast dich über die Elenden erbarmt, als du bei
meinem Tode alle Pein empfandest, und in deiner Barmherzigkeit
wolltest du lieber Pein erdulden, als davon getrennt zu sein. Daher überstieg
deine Barmherzigkeit der Engel.
Das dritte Blatt ist deine Milde. Die Engel sind gewiß auch milde und
wünschen allen Menschen Gutes, aber du, liebste Mutter, hattest vor
deinem Tod den Willen eines Engels in deiner Seele und deinem Leib und
hast allen Gutes getan. Und auch jetzt noch weist du keinen ab, der
verständig um seinen Nutzen bittet. Daher ist deine Milde höher, als
die der Engel.
Das vierte Blatt ist deine Schönheit. Die Engel betrachten nämlich
einander ihre Schönheit und bewundern auch die Schönheit deiner
Seele alles übertrifft, was geschaffen ist, und die Vornehmheit
deines Leibes übertrifft alle geschaffenen Wesen. So übertrifft
deine Schönheit auch alle Engel und alles, was geschaffen ist.
Das fünfte Blatt ist deine göttliche Freude, denn nichts erfreute
dich außer Gott, so wie die Engel nichts anderes als Gott erfreut.
Jeder von ihnen empfindet und spürt seine Freude in sich selbst, aber
wie sei deine Freude über Gott sahen, sahen sie in ihrem Inneren, wie
ihre Freude in ihnen wie ein Licht in göttlicher Liebe aufflammte.
Sie sahen, dass deine Freude wie ein flammender Holzstoß war, der mit
dem stärksten Feuer brannte und so hoch war, dass seine Flamme meine
Gottheit erreichte. Und deshalb, liebste Mutter, brannte deine göttliche
Freude so schön über alle Chöre der Engel.
Nachdem diese Blume fünf Blätter hatte, nämlich Ehrbarkeit,
Barmherzigkeit, Milde, Schönheit und die höchste Freude, war sie
voll von aller Lieblichkeit. Aber wer die Lieblichkeit schmecken will,
mag sich ihr nahen und sie in sich aufnehmen. So war es auch mit dir,
gute Mutter. Du warst für meinen Vater ja so lieblich, dass er dich
ganz und gar in seinen Geist aufnahm, und deine Lieblichkeit gefiel
ihm mehr als alles andere.
Die Blume trägt jedoch den Samen mit Hilfe der Hitze und der Kraft
der Sonne; daraus erwächst die Frucht. So nahm die gesegnete Sonne,
meine Göttlichkeit, in deinem jungfräulichen Schoß Menschengestalt
an. Denn wie die Saat, wo immer sie ausgesät wird, Blumen von
derselben Art hervorbringt wie die Saat, so waren meine Glieder in
Gestalt und Aussehen wie die deinen, obwohl ich ein Mann und du eine
Frau und Jungfrau warst. Ja, dieses Tal wuchst mit seiner Blume höher
als alle Berge, als dein Leib mit deiner allerseligsten Seele über
alle Engelchöre erhöht wurde.“
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52. Kapitel |
Christus ermahnt Birgitta, ihre Offenbarungen
durch Matthias, ihren Freund und Lehrer, Erzbischof Hemming von
Uppsala und anderen Bischöfen vorzulegen. Auch dem Papst mögen sie
vorgelegt werden. – Das geschah auch; die schwedischen Prälaten dürften
an den Offenbarungen im Jahre 1345 teilgenommen haben. Bischof Hemming
von Åbo und Prior Petrus von Alvastra leiteten sie irgendwann in den
nächsten Jahren zu Papst Clemens weiter.
Die heilige Jungfrau sprach zu ihrem Sohn und sagte: „Gesegnet
seist du, mein Sohn und mein Gott, der Herr der Engel und der König
der Ehre. Ich bitte dich, dass deine Worte, die du gesprochen hast, im
Herzen deiner Freunde Wurzel schlagen mögen, und dass ihr Sinn so
fest an diesen Worten hängen möge, wie das Pech Noahs Arche
zusammenhielt, die weder Sturmwogen noch Winde vernichten konnten. Mögen
sie sich über die Welt ausbreiten, wie die lieblichsten Zweige und
Blumen, deren Duft sich weit umher verbreitet! Mögen sie auch Frucht
bringen und süß sein wie die Dattel, deren Süße die Seele
erquickt.“
Der Sohn erwiderte: „Gesegnet seist du, meine liebste Mutter! Mein
Engel Gabriel sagte zu mir: „Gesegnet seist du, Maria, vor allen
Frauen!“ Und ich lege das Zeugnis über dich ab, dass du gesegnet
und erhaben über alle Chöre der Engel bist. Du bist wie eine Blume
im Garten; wenn auch viele verschiedene, wohlriechende Blumen sie
umgeben, übertrifft sie diese doch an Duft, Schönheit und Tugend.
Diese Blumen sind alle von Adam ausgewählt und enden bis zum Ende der
Welt; sie wurden im Garten der Welt eingepflanzt und leuchteten und
dufteten in mannigfachen Tugenden.
Unter all denen, die gewesen sind und nachher kommen werden, bist du
die erste im guten Lebenswandel und im Wohlgeruch der Demut, in der
Schönheit der liebenswertesten Jungfräulichkeit und in der Tugend
der Enthaltsamkeit. Ich lege Zeugnis über dich ab, dass du bei meinem
Leiden mehr warst als irgendein Märtyrer, in deiner Enthaltsamkeit
als irgendeiner der Bekenner, in deiner Barmherzigkeit und deinem
guten Willen mehr als ein Engel. Daher will ich um deinetwillen meine
Worte wie das festeste Pech im Herzen meiner Freunde befestigen. Sie
sollen sich ausbreiten wie Wohlduftende Blumen und Frucht tragen, wie
die liebliche, wunderbare Dattelpalme.“
Dann sprach der Herr zur Braut (Birgitta): „Sag zu meinem Freunde,
deinem Vater[1], dessen Herz nach meinem Herzen ist, dass er diese
geschriebenen Worte gewissenhaft dem Erzbischof[2] und dann dem
anderen[3] vorlegt. Wenn diese genau unterrichtet sind, soll er sie
weiter an den dritten Bischof senden.
Sag ihm auch in meinem Namen: „Ich bin dein Schöpfer und Erlöser
der Seelen. Ich bin Gott, den du über alles liebst. Sieh und schau,
dass die Seelen, die ich mit meinem Blut erlöst habe, wie die Seelen
derer sind, die nichts von Gott wissen, und sie sind vom Teufel so
schwer gefesselt, dass er sie mit allen Gliedern wie in einer harten
Presse peinigt.
Daher sollst du, wenn meine Wunden in deiner Seele zu spüren sind,
und wenn du meine Geißelungen und meine Qual bedenkst, durch deine
Taten zeigen, wie sehr du mich liebst. Und meine Worte, die ich mit
meinem eigenen Mund gesprochen habe, sollst du zu öffentlicher
Kenntnis bringen und sie selbst dem Oberhaupt der Kirche vortragen.
Ich will dir nämlich meinen Geist schenken, so dass du, wo immer
zwischen zweien Unstimmigkeit herrscht, sie in meinem Namen und mit
der Kraft, die dir gegeben ist, versöhnen kannst, wenn sie glauben.
Und außerdem sollst du, um meine Worte weiter zu verdeutlichen, dem
Papst das Zeugnis von denen bringen, denen meine Worte gut gefallen.
Meine Worte sind nämlich wie Fett, das umso schneller schmilzt, je größer
die Hitze darin ist, aber wenn keine Hitze da ist, so wird das Fett
ausgestoßen und gelangt nicht hinunter in die Eingeweide. So ist es
auch mit meinen Worten. Denn je mehr der Mensch in meiner Liebe glüht,
desto mehr wird er von der Süßigkeit der himmlischen Freude und der
innerlichen Liebe gesättigt, und desto mehr entflammt er in Liebe zu
mir.
Aber die, denen meine Worte nicht gefallen, die haben so etwas wie
Schweinefett im Munde, das ihnen nichts schmeckt, und das sie deshalb
gleich ausspucken und es zertreten. So werden meine Worte von manchen
verschmäht, weil die Süßigkeit der geistlichen Dinge ihnen nicht
schmeckt. Aber der Herr des Landes, den ich zu meinem Glied erwählte
und in Wahrheit mir zu eigen machte, er wird dir mannhaft helfen und
dich mit den notwendigen Dingen aus recht erworbenen Gütern für die
Reise versehen.“
[1]. Magister Matthias.
[2]. Erzbischof Hemming von Uppsala (+1351)
[3]. Bischof Hemming von Åbo (+1366). Dieser brachte mit dem Prior
Petrus von Alvastra Birgittas Botschaft an Papst Clemens VI. in
Avignon. |
53. Kapitel |
Christus klagt darüber, dass die Menschen
die Welt mehr lieben als ihn selbst, droht ihnen mit seiner Strafe,
aber stellt doch sein Erbarmen mit denen in Aussicht, die sich
bekehren. Weiter gibt er denen Ratschläge, die Birgittas
Erweckungspredigt an die Menschen ihrer Zeit weitergeben.
Maria sprach zu ihrem Sohn: „Gesegnet seist du, mein Sohn, mein
Gott, Herr der Engel! Du bist der, dessen Stimme die Propheten hörten,
dessen Leib dann die Apostel sahen, und an dem sich die Juden und
deine Gegner vergriffen haben. Du bist ein einziger Gott mit Göttlichkeit,
Menschengestalt und dem Heiligen Geist. Denn die Propheten haben nur
den Geist gehört, die Apostel sahen deine Gottesehre, und die Juden
haben deine Menschengestalt ans Kreuz geschlagen. Daher seist du ohne
Anfang und Ende gesegnet.“
Der Sohn erwiderte: „Gesegnet seist du, denn du bist Jungfrau und
auch Mutter. Du bist die Bundeslade, die es zur Zeit des alten Bundes
gab, und in der sich drei Dinge befanden: Der Stab, das Manna und die
Tafeln (des Gesetzes). Mit dem Stab geschahen drei Dinge. Zuerst wurde
er in eine ungiftige Schlange verwandelt. Zweitens wurden die Wogen
des Meeres durch ihn geschieden. Drittens rief er Wasser aus den
Felsen hervor.
Ich, der ich in deinem Mutterleib lag und von dir Menschengestalt
annahm, vergleiche mich mit diesem Stab. Erstens bin ich ebenso gefährlich
für meine Gegner, wie die Schlange für Mose. Sie fliehen nämlich
vor mir, wie vom Anblick einer Schlange, und doch bin ich ohne das
Gift der Bosheit und stattdessen voll von aller Barmherzigkeit. Ich
lasse mich von ihnen lieb haben, wenn sie wollen. Ich kehre zu ihnen
zurück, wenn sie mich suchen. Ich eile ja zu ihnen, wie eine Mutter
zu ihrem verlorenen und wiedergefundenen Sohn, wenn sie mich anrufen.
Ich erweise ihnen Barmherzigkeit und vergebe ihre Sünden, wenn sie
mich anrufen. So handele ich gegenüber denen, und dennoch scheuen sie
mich, wie eine Schlange.
Zweitens wurden die Wogen des Meeres durch diesen Stab getrennt, als
der Weg zum Himmel, der wegen ihrer Sünde verschlossen war, durch
mein Blut und meine Pein geöffnet wurde. Ja, da teilte sich
wahrhaftig das Meer, und es wurde ein Weg geschaffen, wo es vorher
keinen gab, als alle Schmerzen meiner Glieder auf zum Herzen stiegen,
und das Herz von dieser gewaltigen Plage brach.
Als das Volk dann durchs Meer geführt wurde, führte Mose sie nicht
gleich ins Land der Verheißung, sondern in die Wüste, damit sie dort
geprüft und unterwiesen würden. So ist es auch jetzt: Wenn das Volk
meinen Glauben und meine Gebote angenommen hat, wird es nicht gleich
ins Himmelreich geführt, nein – es ist notwendig, dass die Menschen
in der Wüste, d.h. in der Welt, geprüft werden, wie sehr sie Gott
lieben.
Mit drei Dingen reizte aber das Volk Gott in der Wüste zum Zorn.
Erstens dadurch, dass sie sich einen Abgott machten und ihn anbeteten.
Zweitens, weil sie sich nach den Fleischtöpfen in Ägypten sehnten.
Drittens durch ihren Übermut, als sie ohne Gottes Willen auftreten
und gegen ihre Feinde kämpfen wollten.
So sündigt auch der Mensch auf dieser Welt gegen mich. Erstens
verehrt er einen Abgott, denn er liebt die Welt und was darin ist,
mehr als mich, der doch sein Schöpfer ist. Also ist die Welt ihr
Gott, und nicht ich. Ich habe ja in meinem Evangelium gesagt: „Da,
wo des Menschen Schatz ist, da ist auch sein Herz.“ So ist die Welt
des Menschen Schatz, denn dahin drängt sein Herz, nicht zu mir.
Daher sollen diese Menschen ebenso, wie die Juden in der Wüste mit
dem Schwert im Leibe gefallen sind, mit dem Schwert der ewigen
Verdammnis in der Seele fallen, und sie sollen ewig in der Verdammnis
leben. Zweitens haben sie durch ihr Verlangen nach den Fleischtöpfen
gesündigt. Ich gab dem Menschen alles Lebensnotwendige, damit er es
anständig und maßvoll gebrauchen sollte, aber jetzt will er alles in
unmäßiger und unkluger Weise gebrauchen. Denn wenn seine Natur dazu
imstande wäre, würde er ohne Unterlaß prassen, trinken ohne Maß
und ohne Maß und Grenze nach mehr verlangen und so lange wie möglich
sündigen.
Daher wird es mit ihnen gehen, wie mit den Juden in der Wüste: Sie
werden eines plötzlichen Todes sterben. Denn was ist dieses
geistliche Leben anderes, als ein Augenblick im Vergleich mit der
Ewigkeit? Deshalb sollen sie eines plötzlichen leiblichen Todes
sterben, aus diesem kurzen Leben entrückt werden und seelisch ohne
Ende in Pein leben.
Drittens haben sie in der Sünde durch ihren übermut gesündigt, denn
ohne Gottes Willen wollten sie zum Kampf antreten. So wollen die
Menschen mit ihrem Hochmut auf zum Himmel steigen, und sie verlassen
sich nicht auf mich, sondern auf sich selber, indem sie ihrem Willen
folgen und den meinen beiseite schieben. Deshalb sollen sie, wie die
Juden von ihren Feinden, seelisch von Teufeln getötet werden, und
ihre Pein soll ewig dauern.
Sie hassen mich ja wie eine Schlange, sie verehren einen Abgott statt
meiner, trachten in ihrem Verlangen nach anderen Dingen mehr als nach
mir und lieben ihren Hochmut, statt meine Demut. Noch bin ich aber so
barmherzig, dass ich mich ihnen, wenn sie sich mit reuevollem Herzen
zu mir bekehren, wie ein milder Vater wieder zuwenden und sie zu mir
nehmen will.
Drittens hat der Felsen durch diesen Stab Wasser gegeben. Der Felsen
ist das harte Herz des Menschen, denn wenn es mit meiner Furcht und
meiner Liebe geschlagen wird, fließen gleich die Tränen der Reue und
der Bußfertigkeit. Keiner ist so unwürdig, keiner ist so schlecht,
dass nicht Tränen aus seinen Augen fließen und alle seine Glieder
zur Frömmigkeit erweckt werden, wenn er sich zu mir wendet, innerlich
mein Leiden betrachtet, meine Macht und Göttlichkeit bedenkt, wie sie
die Erde und die Bäume Frucht tragen lässt.
Zum zweiten gab es Manna in der Arche des Mose. So ruhte in dir, meine
jungfräuliche Mutter, das Brot der heiligen Seelen und das der
gerechten Erdengeschöpfe; es gefällt ihnen nichts, außer meiner Süßigkeit.
Für sie ist alle Welt tot, und sie würden gern ohne leibliche
Nahrung sein, wenn es mein Wille wäre. Drittens gab es in dieser
Arche die Gesetzestafeln. So weilte auch der Herr aller Gesetze in
dir. Daher seist du gesegnet vor allem, was im Himmel und auf Erden
geschaffen ist.“
Dann sprach er zur Braut (Birgitta) und sagte: „Sage meinen Freunden
drei Dinge. Als ich in leiblicher Gestalt auf der Welt war, wählte
ich meine Worte so, dass gute Menschen durch sie stärker und eifriger
wurden, und böse Menschen besser wurden, was aus der Bekehrung
Magdalenas, des Matthäus und vieler anderer hervorgeht. Ich wählte
meine Worte so, dass meine Feinde sie nicht widerlegen konnten.
Daher sollen die, durch die meine Worte gesendet werden, eifrig
arbeiten, so dass die Guten durch meine Worte eifriger im Guten
werden, und die Bösen sich vom Bösen abwenden, und sie sollen sich
vor meinen Feinden in Acht nehmen, dass meine Worte nicht behindert
werden. Ich tue ja kein größeres Unrecht gegen den Teufel, als gegen
die Engel in Himmel. Denn wenn ich wollte, könnte ich meine Worte
sehr gut so wählen, dass die ganze Welt sie hören würde. Ich könnte
auch die Hölle auftun, so dass man ihre Plagen sähe, aber das wäre
nicht gerecht, denn dann würde der Mensch mir nur aus Furcht dienen,
und er soll mir doch aus Liebe dienen. Denn niemand anderes als der,
der Liebe hat, soll ins Himmelreich eintreten. Ich würde schließlich
dem Teufel unrecht tun, wenn ich den, der ihm wegen seiner Sünden mit
Recht anheim fallen sollte, von ihm nehmen würde, ohne dass dieser
Mensch gute Taten vollbracht hat.
Ich würde auch den Engel im Himmel Unrecht tun, wenn ich den Geist
eines unreinen Menschen mit ihm gleichstellte, der rein ist, und der
vor Liebe glüht. Niemand soll daher in den Himmel eingehen, der nicht
im Fegefeuer wie Gold im Feuer erprobt ist, oder der sich durch gute
Taten eine so lange Schulung und Erprobung auf der Welt erworben hat,
dass es keinen Fleck mehr bei ihm gibt, der gereinigt werden müsste.
Wenn du nicht weißt, an welche meine Worte gerichtet werden sollen,
will ich es dir sagen. Der ist würdig, meine Worte zu hören, der mit
seinen Taten verdienen will, ins Himmelreich zu kommen; für ihn und für
den, der es mit früheren guten Taten verdient hat, sollen meine Worte
zur Verfügung stehen; zu ihnen sollen meine Worte gehen. Die, denen
meine Worte gut schmecken, und die demütig hoffen, dass ihr Name im
Buch des Lebens eingeschrieben steht – die halten meine Worte. Aber
die, denen die Worte nicht behagen, die hören sie wohl an, aber
verwerfen sie sogleich und spucken sie aus.“
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54. Kapitel |
Ein Engel lehrt Birgitta, zwischen den guten
Eingebungen, die von ihm selbst stammen, und den bösen Eingebungen zu
unterscheiden, die vom Teufel stammen. – Weiter beschreibt Maria,
wie die Frommen seit der Zeit des AT darauf warteten, dass Christus
sie aus dem Totenreich befreien würde.
Der Engel sprach zur
Braut (Birgitta) und sagte: „Es gibt zwei Geister, einen
ungeschaffenen und einen geschaffenen[1]. Der ungeschaffene hat drei
Eigenschaften. Erstens ist er warm, zweitens lieblich, drittens rein.
Erstens wärmt er, und seine Wärme geht nicht von irgendwelchen
geschaffenen Dingen aus, sondern von ihm selbst, denn zugleich mit dem
Vater und dem Sohn ist er aller Dinge Schöpfer und allmächtig. Er
wärmt, wenn die Seele ganz vor Liebe zu Gott brennt. Zweitens ist er
lieblich, denn nichts gefällt der Seele und nichts erscheint ihr
lieblich außer Gott und dem Gedanken an seine Taten.
Drittens ist er rein, so dass keine Sünde bei ihm anzutreffen ist und
nichts, was böse ist, oder was verändert werden oder vergehen kann.
Er wärmt jedoch nicht wie das irdische Feuer, und er bringt nichts
zum Schmelzen, wie die sichtbare Sonne, sondern seine Wärme ist die
innere Liebe und die Sehnsucht der Seele, die die Seele erfüllt und
sie zu Gott hinzieht.
Er ist lieblich für die Seele, nicht wie ein begehrenswerter Wein,
ein Genuß oder etwas anderes Weltliches – nein, die Lieblichkeit
dieses Geistes ist so grenzenlos, dass keine zeitlichen Freuden damit
verglichen werden können, und er ist für die unfassbar, die ihn
nicht geschmeckt haben. Drittens ist dieser Geist so rein, wie die
Strahlen der Sonne, an der kein Fleck zu finden ist.
Der zweite Geist, der geschaffen ist, hat auch drei Eigenschaften. Er
ist brennend, bitter und unrein. Erstens ist er brennend und
verzehrend wie ein Feuer, denn die Seele, die er besitzt, entzündet
er ganz mit dem Feuer der Wollust und dem bösen Begehren, so dass die
Seele an nichts anderes denken kann, als an die Verwirklichung seiner
Begierde, und die Folge ist oft, dass er deshalb sein zeitliches Leben
sowie alle Ehre und Freude verliert.
Zweitens ist er bitter wie Galle, denn er erfüllt die Seele zu einem
solchen Grad mit seiner Lust, dass ihm das ewige Gute als Torheit
erscheint, und all das, was von Gott kommt und was seine Pflicht ist
festzuhalten, für ihn bitter, ja abscheulich wie Spucke und Galle
wird.
Drittens ist er unrein, denn er macht die Seele so elend und so
geneigt zur Sünde, dass sie sich vor keiner Sünde scheut, ja auch
vor keiner Sünde Abstand nehmen würde, wenn sie das Urteil der
Menschen nicht mehr als Gottes Urteil fürchten würde. Deshalb ist
dieser Geist so brennend wie ein Feuer, denn er brennt vor Begierde,
etwas Böses zu tun, und er entzündet andere ebenso wie sich selbst.
Deshalb ist er bitter, denn alles Gute ist für ihn bittest, und er
will es auch für andere bitter machen. Daher ist er unrein, denn er
freut sich über Unreinheit und will, dass andere gleich wie er werden
sollen.
Aber nun würdest du mich fragen: „Bist nicht auch du ein
geschaffener Geist, so wie er? Warum bist du dann nicht so?“ Ich
antworte dir: Ich bin in Wahrheit vom selben Gott wie er geschaffen,
denn es gibt nur einen Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist, und
diese sind nicht drei Götter, sondern ein Gott. Und beide sind wir
gut und zum Guten geschaffen, denn Gott hat nur geschaffen, was gut
ist.
Aber ich bin wie ein Stern, denn ich bin in Gottes Güte und der Liebe
geblieben, in der ich geschaffen bin; er dagegen ist wie eine Kohle,
denn er ist von Gottes Liebe abgefallen. Und wie der Stein nichts ohne
Klarheit und Glanz ist, und die Kohle nichts ohne schwarze Farbe ist,
so ist der gute Engel, der wie ein Stern ist, nichts ohne die
Klarheit, d.h. den Heiligen Geist, denn alles, was er hat, das hat er
von Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, durch dessen
Liebe er glüht, und durch dessen Klarheit er strahlt. Er hält
beständig fest an ihm, richtet sich nach seinem Willen, und will
niemals etwas anderes, als was Gott ist. So glühend ist er, so rein
ist er.
Der Teufel dagegen ist wie eine missgestaltete Kohle und schlimmer,
als alle anderen geschaffenen Wesen. Denn ebenso wie er einmal
schöner war als andere, so sollte er hässlicher als andere werden,
nachdem er sich seinem Schöpfer widersetzt hat. So wie Gottes Engel
von Gottes Licht erstrahlt und unaufhörlich von seiner Liebe brennt,
so brennt und ängstigt sich der Teufel stets in seiner Bosheit. So
wie seine Bosheit unermesslich ist, so sind Gottes Güte und Gottes
Gnade unaussprechlich.
Denn niemand auf dieser Welt ist im Teufel so verwurzelt, dass der
gute Geist nicht manchmal sein Herz besucht und anrührt, und ebenso
ist niemand so gut, dass nicht der Teufel versucht, mit einer
Versuchung an ihn heranzukommen. Viele gute und gerecht Menschen
werden ja mit Gottes Zulassung vom Teufel versucht, und dies nicht
deshalb, weil sie etwas Böses getan haben, sondern darum, dass ihre
Ehre größer wird.
Gottes Sohn, der mit dem Vater und dem Heiligen Geist in seiner
Göttlichkeit eins ist, wurde ja auch versucht, als er Menschengestalt
annahm – wie viel mehr sollten dann nicht seine Auserwählten
versucht werden, damit ihre Belohnung umso größer wird! Auch viele
gute Menschen fallen manchmal in Sünde, und ihr Gewissen wird
zuweilen durch die Falschheit des Teufels verdunkelt, aber durch die
Kraft des Heiligen Geistes erheben sie sich von neuem, stärker als
vorher, und stehen dann umso fester. Es gibt niemanden, der nicht in
seinem Gewissen versteht, wie weit die Eingebung ihn zur Bosheit der
Sünde oder zum Guten leitet, soweit er genau nachdenken und sich
selbst reinigen will.
Daher sollst du, die Braut meines Herrn, an dem Geist deiner Gedanken
nicht zweifeln, ob er gut ist oder böse, denn dein Gewissen sagt dir,
was unterlassen werden und getan werden soll. Was mag der Tun, der
voll des Teufels ist? Der gute Geist kann nicht in ihn eingehen, weil
er voller Bösem steckt. Drei Dinge muß er tun. Erstens muß er eine
reine und vollständige Beichte über seine Sünden ablegen. Auch wenn
er wegen seines harten Herzens nicht gleich Reue empfinden kann,
nützt die Beichte doch so viel, dass der Teufel deshalb mit seinem
Betrug aufhört und vor dem guten Geist ausweicht.
Zweitens muß er demütig werden, so dass er Besserung für die
Sünden leisten will, die er begangen hat, und das Gute wirken, soweit
er kann; da beginnt der Teufel, sich zurückzuziehen.
Drittens muß mit demütigem Gebet Gott anrufen, um den guten Geist
zurückzubekommen, von Zerknirschung über begangene Sünden ergriffen
werden und wahre Liebe haben, denn die Liebe zu Gott vernichtet den
Teufel. Der will lieber hundertmal sterben, als dass der Mensch Gott
aus Liebe das allergeringste Gute erweisen würde, so neidisch und
boshaft ist er.
Dann sprach die heilige Jungfrau zur Braut (Birgitta) und sagte: „Du
neue Braut meines Sohnes, kleide dich in dein Gewand und lege deinen
Brautschmuck an, d.h. das Leiden meines Sohnes!“ Sie antwortete ihr:
„O meine Frau, du solltest mir diesen Schmuck anlegen.“ Die
Jungfrau sagte: „Ja, ich will das tun. Ich will dir auch sagen, wie
mein Sohn beschaffen war, und warum er so innig von den Vätern
beneidet wurde.
Er stand sozusagen zwischen zwei verschiedenen Städten[2], und eine
Stimme aus der ersten Stadt rief ihn zu: „Du Mann, der auf dem Wege
zwischen den beiden Städten steht, du bist ein weiser Mann, denn du
weißt dich vor drohenden Gefahren in Acht zu nehmen. Du bist auch
stark darin, das Böse, das dir zustößt, zu erleiden; du hast auch
Mannesmut, denn du fürchtest dich vor nichts. Wir haben uns nach dir
gesehnt, und wir warten auf dich. Öffne deshalb unser Tor, denn
unsere Feinde belagern es, so dass es nicht geöffnet werden kann.“
Aus der anderen Stadt hörte man eine Stimme, die sagte: „O du
mildester und stärkster Mann, höre unsere Klage und unser Weinen!
Wir sitzen im Dunkel und leiden unerträglichen Hunger und Durst.
Bedenke daher unser Elend und unsere große Not. Wir sind geschlagen
wie Heu, das mit der Sense abgemäht ist. Alles Gute vertrocknet in
uns; alle unsere Stärke verkümmert. Komm zu uns und erlöse uns,
denn dich allein haben wir erwartet, auf dich haben wir gehofft als
auf unseren Befreier. Komm und beseitige unsere Not, wende unseren
Jammer in Freude und sei unsere Hilfe und Rettung! Komm, du
gesegneter, allerwürdigster Leib, der aus der reinen Jungfrau
hervorging!“
Diese beiden Stimmen hörte mein Sohn von den beiden Städten, d.h.
vom Himmel und aus dem Totenreich. Deshalb erbarmte er sich, öffnete
durch sein bitteres Leiden und sein Blutvergießen das Tor des
Totenreichs und führte seine Freunde hinaus. Er öffnete zur Freude
der Engel auch den Himmel, und führte die aus dem Totenreich
Befreiten dorthin[3]. Bedenke das, meine Tochter, und hab es stets vor
Augen.
[1]. D.h. den Heiligen Geist und den Teufel.
[2]. Der Himmel und das Totenreich.
[3]. Nach Lehre der Kirche befreite Christus während der Zeit
zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung die Frommen aus der Zeit
des Alten Testaments, die bis auf die Zeit Christi gewartet hatten,
dass die Pforte des Himmels geöffnet werden sollte. |
55. Kapitel |
Mit Hilfe eines Gleichnisses schildert
Christus, wie die Richter (= Priester), die Verteidiger (= Adlige) und
die Arbeiter (= Allgemeinheit) in der von ihm begründeten Stadt (=
Kirche) ihm anfangs treu waren, ihn aber in letzter Zeit im Stich
gelassen haben, um der Welt zu dienen.
Ich bin wie ein mächtiger Herr, der eine Stadt erbaute und sie
nach sich benannte. Dann baute er in der Stadt ein Schloß, und darin
waren viele Räume, die für nützliche Zwecke vorgesehen waren.
Nachdem er das Schloß gebaut und all seine Sachen geordnet hatte,
teilte er sein Volk in drei Teile und sagte: „Meine Wege führen zu
fernen Ländern. Bleibt mir treu und arbeitet mannhaft mir zu Ehren.
Ich habe ja für euch das Lebensnotwendige und die Verpflegung
geordnet, und ihr habt auch Richter, um zu urteilen, und Verteidiger,
euch gegen Feinde zu wehren. Ich habe auch Arbeiter gewählt, die euch
beköstigen sollen, mir das Zehnte von meiner Arbeit geben und zu
meinem Nutzen und meiner Ehre sparen sollen.“
Nachdem eine Zeitlang verstrichen war, geriet jedoch der Name der
Stadt in Vergessenheit. Da sagten die Richter: „Unser Herr ist in
ferne Gegenden gereist. Laßt uns daher rechte Urteile fällen und
gerecht verfahren, so dass wir nicht getadelt werden, wenn unser Herr
zurückkehrt, sondern Ehre und Segen heimbringen.“
Die Verteidiger sagten: „Unser Herr hat sich auf uns verlassen und
uns die Verteidigung seines Hauses übertragen. Laßt uns daher auf Überfluß
in Speise und Trank verzichten, so dass wir zum Kampfe nicht
untauglich werden. Laßt uns auch auf überlangen Schlaf verzichten,
so dass wir auf Wacht sein können und nicht überrumpelt werden.
Seien wir wohl bewaffnet und ständig wachsam, so dass man uns nicht
unvorbereitet findet, wenn Feinde kommen. Von uns hängt nämlich in höchstem
Grad die Ehre unseres Herrn und die Erlösung unseres Volkes ab.“
Die Arbeiter sagten: „Groß ist unseres Herrn Ehre, und ehrenvoll
ist seine Belohnung. Arbeiten wir daher tapfer und bieten ihm nicht
nur den zehnten Teil unserer Arbeit an, sondern alles, was von unserem
Lebensunterhalt übrig bleibt. Unser Lohn wird umso ehrenreicher sein,
je größer er sieht, dass unsere Liebe ist.“
So verging wieder eine Zeit, und der Herr der Stadt und des Schlosses
geriet in Vergessenheit. Da sagten die Richter zueinander: „Unser
Herr bleibt lange fort. Wir wissen nicht, ob er zurückkehrt oder
nicht. Laßt uns also nach eigenem Gutdünken urteilen und tun, was
uns richtig erscheint.“
Die Verteidiger sagten: „Es ist ja dumm von uns, zu arbeiten, wenn
wir nicht wissen, welchen Lohn wir erhalten werden. Wir sollten uns
besser mit unseren Feinden verbünden und mit ihnen zusammen schlafen
und zechen, denn wir kümmern uns nicht darum, wessen Feinde sie
gewesen sind.“
Die Arbeiter sagten: „Warum sparen wir unser Gold für einen
anderen, wenn wir nicht wissen, wer es nach uns bekommen soll? Es ist
besser, dass wir es selbst verwenden und darüber nach unserem Gutdünken
verfügen. Wir werden den Richtern den zehnten Teil geben und sie
dadurch freundlich stimmen; so können wir dann auch tun, was wir
wollen.“
Ich bin in Wahrheit wie dieser mächtige Herr, denn ich habe mir eine
Stadt – das ist die Welt – erbaut und ein Schloß darin
eingerichtet – das ist die Kirche. Der Name der Welt war göttliche
Weisheit, denn die Welt hatte diesen Namen schon von Anfang an, denn
sie war in göttlicher Weisheit geschaffen. Dieser Name wurde von
allen geehrt, und Gott wurde von seinen geschaffenen Wesen in seiner
Weisheit gelobt und wunderbar gepriesen. Aber jetzt ist der Name der
Stadt entehrt und verändert, und ein neuer Name ist aufgekommen:
Menschliche Weisheit. Denn die Richter, die vorher in Gerechtigkeit
und Gottesfurcht urteilten, die sind nun von Übermut ergriffen und
stellen einfältigen Menschen Fallen. Sie möchten redegewandt sein,
um das Lob der Menschen zu gewinnen, und sie reden das, was dem
Geschmack des Volkes entspricht, damit sie seine Gunst gewinnen.
Sie tragen alle Worte leise vor, damit sie gut und sanftmütig genannt
werden; sie nehmen Geschenke entgegen und verfälschen das rechte
Urteil. Sie sind weise zu ihrem zeitlichen Nutzen und für ihren
eigenen Willen, aber stumm, wenn es gilt, mich zu loben. Sie treten
die Einfältigen unter ihre Füße und bringen sie zum Schweigen. Sie
dehnen ihre Habsucht auf alle aus und machen das Rechte zum Falschen.
Eine solche Weisheit wird nunmehr geliebt, aber meine Weisheit ist
vergessen.
Die Verteidiger der Kirche, die Adlige und Ritter sind, sehen meine
Feinde und die Angreifer meiner Kirche, kümmern sich aber nicht
darum; sie hören ihre Schmähreden, scheren sich aber nicht darum,
sie nehmen die Taten derer, die meine Gebote ergreifen, wahr, aber
nehmen das geduldig hin. Sie sehen, wie diese täglich alle Todsünden
begehen, als wären sie zulässig, aber das macht ihnen nichts aus,
sondern schlafen und gehen mit ihnen um, ja sie verbinden sich eidlich
mit deren Gesellschaft.
Die Arbeiter, d.h. das ganze Volk, verschmähen meine Gebote und
halten die Gaben und den Zehnten, den sie mir darbringen sollten. Sie
bieten stattdessen ihren Richtern Geschenke an und erweisen ihnen
Verehrung, damit die Richter ihnen wohlwollend und günstig gestimmt
werden. Fürwahr, ich kann getrost sagen, dass das Schwert von mir und
meiner Kirche auf der Welt verworfen ist, und an seine Stelle der
Geldbeutel getreten ist.“
|
56. Kapitel |
Christus setzt seine Klage über die
Priester, die Adligen und die Allgemeinheit fort. Noch einmal will er
sie warnen, und dies soll durch die Botschaft geschehen, die Birgitta
empfängt und sie durch ihre priesterlichen Freunde weitervermitteln lässt.
Wenn sie nicht auf diese Botschaft hören wollen, haben sie Strafe zu
erwarten.
Ich sagte dir vorher, dass das Schwert meiner Kirche verworfen und
ein Geldbeutel an seine Stelle getreten ist, der an einem Ende offen
und am anderen Ende so tief ist, dass das, was man einlegt, nie den
Grund erreicht, und der Beutel niemals voll wird. Dieser Beutel ist
die Gier, die alle Maße übersteigt und so mächtig geworden ist,
dass man den Herrn verachtet und nichts anderes begehrt, als das Geld
und den eigenen Willen.
Ich bin wie ein Herr, der sowohl Vater als auch Richter ist. Wenn er
vortreten und (seinen vom Volk angeklagten Sohn) richten soll, sagen
die Umstehenden zu ihm: „Herr, tritt eilig vor und fälle das
Urteil! Der Herr erwidert ihnen: „Wartet etwas; bis morgen, denn
vielleicht bessert sich mein Sohn inzwischen.“
Wenn er am nächsten Tag zurückkommt, sagt das Volk wieder zu ihm:
„Tritt vor, Herr, und fälle das Urteil! Warum schiebst du das
Urteil so lange auf und verurteilst nicht die Schadenstifter?“
Da antwortet der Herr wieder: „Wartet noch etwas, um zu sehen, ob
mein Sohn sich bessert. Aber wenn er dann nicht zur Besinnung kommt,
werde ich tun, was gerecht ist.“
So ertrage ich den Menschen geduldig bis zum letzten Augenblick, denn
ich bin sowohl Vater als auch Richter. Aber meine Gerechtigkeit ist
unwandelbar, und wenn sie auch lange aufgeschoben wird, werde ich doch
die Sünder entweder bestrafen, wenn sie sich nicht bessern, oder
ihnen auch Barmherzigkeit erweisen, wenn sie sich bekehren.
Ich sagte dir vorher auch, dass ich das Volk in drei Teile geteilt
habe, nämlich in Richter, Verteidiger und Arbeiter. Wer wird mit
diesen Richtern bezeichnet, wenn nicht die Priester, die die göttliche
Weisheit in eine böse und eitle verwandelt haben? So wie es Priester
gewöhnlich tun, die viele Worte reden und sie in einige wenige
umwandeln, die dasselbe sagen wie die vielen, so haben die Priester in
dieser Zeit die Worte meiner zehn Gebote genommen und sie in ein
einziges zusammengezogen.
Was ist dieses eine Wort? Ja, das ist: Streck deine Hand aus und gib
Geld! Das ist die Weisheit der Priester, schön zu reden und schlecht
zu handeln, den Anschein zu erwecken, meine Diener zu sein, aber
boshaft gegen mich handeln. Um der Spenden willen lassen sie die Sünder
gern in ihren Sünden, und die Einfältigen bringen sie durch ihr
schlechtes Beispiel zu Fall. Außerdem hassen sie die, die auf meinem
Wege wandeln.
Mit den Verteidigern der Kirche sind die treulosen Ritter gemeint;
diese geben ihren Glauben und ihre Gelübde auf und ertragen gern die,
die gegen den Glauben und die Satzungen meiner Kirche sündigen. Die
Arbeiter, d.h. das ganze Volk, sind wie ungezähmte Stiere, die drei
Kennzeichen haben: Erstens wühlen sie die Erde mit ihren Klauen auf,
zweitens füllen und sättigen sie ihren Bauch, drittens vollbringen
sie ihre Lust nach ihrem Begehren. So trachtet nun das Volk mit all
seinem Begehren nach zeitlichen Dingen. Sie stopfen sich voll mit maßloser
Schwelgerei und weltlichen Nichtigkeiten und vollenden sinnlos ihre
sinnlichen Begierden.
Aber wenn auch meine Feinde zahlreich sind, habe ich unter ihnen doch
viele Freunde, wenn auch heimliche. Wie ich einst zu Elias sagte, der
glaubte, er sei der einzige Überlebende unter meinen Freunden: „Ich
habe siebentausend Mann, die ihre Knie nicht vor Baal gebeugt
haben[1], so habe ich auch jetzt, wenn es auch viele Feinde gibt, doch
viele heimliche Freunde unter ihnen, die täglich darüber betrübt
sind, dass meine Feinde übermächtig sind, und dass mein Name
verachtet wird.
Deshalb handle ich um ihrer Gebete willen wie ein liebevoller und
guter König, der wohl die bösen Taten der Stadt kennt, aber die
Einwohner geduldig erträgt und Briefe an seine Freunde sendet, um sie
vor Gefahr zu warnen: Ich sende meine Worte an meine Freunde, und sie
sind nicht so dunkel wie die der Apokalypse, die ich dem Johannes auf
eine dunkle Weise offenbart habe, dass sie zu der Zeit, die mir gefällt,
von meinem Geist gedeutet werden sollen.
Sie sind nicht so geheim, dass sie nicht verkündet werden können,
und es ist mit ihnen nicht so, wie mit den geheimnisvollen Dingen, die
Paulus sah, aber über die zu sprechen er nicht das Recht hatte,
sondern diese Worte sind so offenkundig, dass alle, Groß und Klein,
sie verstehen können, und so leicht begreiflich, dass alle, die es
wollen, sie erfassen können. Daher werden meine Freunde meine Worte
zu meinen Feinden gelangen lassen, so dass sie sich vielleicht
bekehren, wenn ihnen ihre Gefahr und das Gericht bekannt werden, und
sie ihre Taten bereuen.
Sonst werde ich die Stadt verurteilen, und wie eine Mauer abgerissen
wird, so dass kein Stein auf dem anderen bleibt und im Fundament nicht
einmal zwei Steine aneinander haften, so wird es mit der Stadt, d.h.
der Welt, gehen. Die Richter werden im kräftigsten Feuer brennen. Nun
brennt kein Feuer kräftiger als das, was mit etwas Fett genährt
wird. Diese Richter waren fett, denn sie hatten mehr Gelegenheit,
ihren Willen durchzusetzen, als andere; sie übertrafen andere an Ehre
und zeitlichem Überfluß, und sie übertrafen andere an Bosheit und
an Ungerechtigkeit. Daher werden sie im heißesten Kessel brennen.
Die Verteidiger wiederum werden am höchsten Galgen aufgehängt
werden. Der Galgen besteht ja aus zwei aufrechten Holzbalken und aus
einem dritten Balken, der quer über die beiden anderen gestellt ist.
Dieser Galgen mit zwei Balken bezeichnet ihre grausige und schwere
Strafe, die sich wie aus zwei Balken zusammensetzt.
Die erste ist, dass sie nicht auf meinem ewigen Lohn gehofft, und
nicht mit ihren Taten dafür gearbeitet haben. Der andere Balken
bedeutet, dass sie an meiner Macht und Güte verzweifelten, indem sie
glaubten, dass ich ihnen keine Erfüllung geben könnte oder wollte.
Der Querbalken ist ihre böse Gesinnung, die ihren Ausdruck darin
fand, dass sie schlecht handelten, obwohl sie sehr gut wussten, was
sie hätten tun sollen, und sich nicht scheuten, gegen ihr Gewissen zu
handeln. Aber der Strick des Galgens ist das ewige Feuer, das nicht
mit Wasser gelöscht werden kann, nicht mit einer Schere zerschnitten
werden kann oder vor Alter verlöschen kann.
An diesem Galgen, an dem die grausigste Pein und ein unauslöschliches
Feuer herrscht, werden sie hängen und Scham und Reue wie unglückliche
Verräter empfinden, weil sie treulos waren. Sie werden Schmähworte hören,
nachdem meine Worte ihnen nicht behagten. Wehrufe werden in ihrem
Munde sein, nachdem ihnen ihre eigene Ehre und Berühmtheit so teuer
war.
An diesem Galgen werden sie von lebenden Raben, die nie gesättigt
werden – d.h. den Teufeln – verletzt werden, und obwohl sie
verwundet werden, werden sie niemals ganz verzehrt werden, sondern sie
werden ewig leben und gepeinigt werden, und ihre Plagegeister werden
auch ewig leben. Da wird ein Weh herrschen, das niemals enden wird,
und ein Elend, das nie gelindert wird. Wehe ihnen, dass sie je geboren
sind! Wehe ihnen, dass ihr Leben so lang geworden ist!
Was schließlich die Arbeiter betrifft, wird ihre gerechte Strafe die
der Stiere sein. Die Stiere haben sehr hartes Fleisch und harte Haut,
daher besteht ihre Strafe in dem spitzesten Eisen. Dieses spitze Eisen
ist der Tod der Hölle, das die peinigen wird, die mich verachtet und
ihren eigenen Willen statt meiner Gebote geliebt haben.
Aber mein Brief, d.h. meine Worte, ist aufgeschrieben, und mögen
meine Freunde daran arbeiten, dass er klug und geschickt zu meinen
Feinden gelangt; sie wollen es vielleicht hören und sich bessern.
Aber wenn manche sagen, nachdem sie meine Worte hörten: „Laßt uns
noch ein wenig warten; die Zeit kommt nicht – es ist noch nicht
seine Zeit“, so schwöre ich bei meiner Gottheit, die Adam aus dem
Paradiese trieb und dem Pharao zehn Plagen schickte, dass ich
schneller zu ihnen komme, als sie glauben.
Ich schwöre bei meiner Gottheit, die ich zur Erlösung der Menschen
ohne Sünde von der Jungfrau annahm, und in der ich im Herzen Trübsal
ausstand und körperliche Qual und den Tod erlitt, damit die Menschen
leben können, in der ich von den Toten auferstand und zum Himmel
aufstieg und zur Rechten des Vaters sitze, wahrer Gott und Mensch in
einer Person – dass ich meine Worte in Erfüllung gehen lasse.
Ich schwöre bei meinem Geist, der am Pfingsttag über die Apostel
ausgegossen wurde und sie entzündet hat, so dass sie die Sprachen
aller Völker sprechen konnten, dass ich sie in meinem Zorn strafen
werde, wenn sie sich nicht bessern und als schwache Diener zu mir zurückkehren.
Wehe ihnen dann an Leib und Seele! Wehe ihnen, dass sie auf die Welt
gekommen sind und auf Erden gelebt haben! Wehe ihnen, denn ihre
Wollust war kurz und eitel, aber ihre Pein wird ewig dauern! Dann
sollen sie vernehmen, was sie jetzt nicht glauben wollen, nämlich
dass meine Worte Worte der Liebe waren. Dann werden sie verstehen,
dass ich sie wie ein Vater ermahnt habe, obwohl sie mich nicht hören
wollen. Ja, wenn sie meine Worten nicht gutwillig glauben wollten, müssen
sie den Taten glauben, wenn sie kommen.“
[1]. 1. Könige 19, 18. |
57. Kapitel |
Christus klagt über die schlechten Christen,
droht ihnen mit Strafe, stellt aber denen, die Buße tun, Vergebung in
Aussicht. Er deutet an, dass er dazu kommt, die unbußfertigen
Christen zu verlassen, um sich stattdessen an die Heiden zu wenden –
es ist der Kreuzzugsgedanke, der uns schon in Birgittas Offenbarungen
begegnet.
Der Sohn sprach zur Braut (Birgitta): „Die Christen handeln mir
gegenüber jetzt so, wie die Juden gegen mich gehandelt haben. Die
trieben mich aus dem Tempel und waren fest entschlossen, mich zu töten,
aber nachdem meine Stunde noch nicht gekommen war, entkam ich ihren Händen.
So handeln die Christen jetzt gegen mich. Sie vertreiben mich aus
ihrem Tempel (d.h. ihrer Seele, die mein Tempel sein sollte), und sie
würden mich gern ums Leben bringen, wenn sie könnten.
In ihrem Mund bin ich wie verfaultes und stinkendes Fleisch; ich
scheine ihnen ein Mann zu sein, der die Unwahrheit spricht, und sie
beachten mich nicht. Sie kehren mir den Rücken zu, und ich werde
ihnen auch den Nacken zuwenden, denn in ihrem Mund ist nichts anderes
als Begierde. In ihrem Fleisch wohnt eine tierische Wollust. Nur die
Hoffahrt ist in ihren Ohren angenehm, nur weltliche Vergnügen in
ihren Augen.
Aber mein Leiden und meine Liebe verabscheuen sie, und mein Leben ist
ihnen schwer und hart. Daher werde ich so handeln wie das Tier, das
viele Verstecke hat und das, wenn es von Jägern verfolgt und aus dem
einen Versteck vertrieben wird, in das andere flieht. So werde ich
handeln, denn die Christen verfolgen mich mit ihren bösen Taten und
vertreiben mich aus dem Versteck ihres Herzens. Deshalb will ich zu
den Heiden gehen, in deren Mund ich jetzt bitter und unappetitlich
bin, und ich werde in ihrem Mund lieblicher als Honig sein. Dennoch
bin ich noch so barmherzig, dass jeder, der um Verzeihung bittet und
sagt: „Herr, ich weiß, dass ich schwer gesündigt habe, und ich
will mich gern mit deiner Gnade bessern; erbarme dich über mich um
deines bitteren Leidens willen“ – den will ich mit Freude
aufnehmen.
Aber zu denen, die sich in ihrer Bosheit verhärten, werde ich kommen
wie ein Kämpfer, der drei Eigenschaften hat, nämlich Gefährlichkeit,
Stärke und Strenge. Ich werde so gefährlich zu den Christen kommen,
dass sie nicht wagen, den kleinsten Finger gegen mich zu rühren. Ich
werde auch so stark kommen, dass sie wie Mücken vor mir sein werden.
Drittens werde ich so streng zu ihnen kommen, dass sie Weh auf dieser
Welt und Weh ohne Ende spüren werden.“
|
58. Kapitel |
Christus antwortet auf die Ungerechtigkeit
und kurzsichtigen Klagen der Menschen über seinen Erlösungsplan.
Die Mutter sprach zur Braut (Birgitta): „Bedenke, du neue Braut,
das Leiden meines Sohnes, das an Bitterkeit die Leiden aller Heiligen
übertraf. So wie eine Mutter bittere Trübsal empfinden würde, wenn
sie ihren Sohn lebendig zerrissen sehen würde, so wurde ich beim
Leiden meines Sohnes betrübt, als ich seine bittere Qual sah.“
Dann sprach sie zu ihrem Sohn: „Gesegnet seist du, mein Sohn, du
bist so heilig, wie es gesungen wird: „Sanctus, sanctus, sanctus,
Dominus Deus Sabaoth“[1]. Gesegnet seist du, denn du bist lieblich,
lieblicher, am lieblichsten. Du warst schon heilig, ehe du
Menschengestalt annahmst, heilig im Mutterleib, heilig, nachdem du
Menschengestalt annahmst. Du warst schon lieblich vor Erschaffung der
Welt, lieblicher für die Engel, doch am lieblichsten für mich, als
du die Gestalt eines Menschen annahmst.“
Der Sohn erwiderte: „gesegnet seist du, Mutter, vor allen Engel. So
wie ich auf dreifache Weise, wie du jetzt gesagt hast, überaus
lieblich war, so bin ich für die Bösen bitter, bitterer, am
bittersten. Ich bin bitter für die, die sagen, dass ich vieles ohne
Ursache geschaffen habe, und schmähend sagen, ich hätte den Menschen
für den Tod und nicht zum Leben erschaffen.
O, welch elender und törichter Gedanke! Sollte ich, der am
gerechtesten und tüchtigsten ist, die Engel ohne Ursache geschaffen
haben? Sollte ich den Menschen mit so vielen guten Dingen bereichert
haben, wenn ich ihn zur Verdammnis geschaffen hätte? Keineswegs.
Nein, ich habe alles wohl geschaffen, und aus Liebe habe ich dem
Menschen alles Gute gegeben. Er hat jedoch all das Gute zum Bösen für
sich gewendet.
Ich habe nichts Böses geschaffen, aber der Mensch lenkt seinen Willen
in anderer Weise, als er nach Gottes Ordnung sollte, und das ist
schlecht. Aber ich bin bitterer für die, die sagen, dass ich dem
Menschen den freien Willen gab, zu sündigen, und nicht dazu, Gutes zu
tun, die sagen, dass ich ungerecht sei, weil ich manche verurteile und
andere gerecht spreche, und die mir die Schuld geben, dass sie böse
sind, nachdem ich ihnen meine Gnade entziehe.
Ich bin aber am bittersten für die, die sagen, dass mein Gesetz und
meine Gebote äußerst schwer sind, und dass niemand sie zu halten
vermag, die sagen, dass mein Leiden keinen Wert für sie habe, und die
es deshalb für nichts achten. Daher schwöre ich bei meinem Leben, so
wie ich früher durch die Propheten schwor, dass ich mich vor den
Engeln und allen meinen Heiligen rechtfertigen werde. Die, für die
ich bitter bin, sollen erfahren, dass ich alle Dinge vernünftig und
gut erschaffen habe, zum Nutzen und zur Unterweisung des Menschen, und
dass nicht einmal der kleinste Wurm ohne Ursache besteht.
Die dagegen, für die ich bitterer bin, sollen erfahren, dass ich den
Menschen wohlweislich dem freien Willen zu seinem Nutzen gegeben habe.
Und sie mögen wissen, dass ich gerecht bin, der dem guten Menschen
das ewige reich schenkt, aber dem Bösen die ewige Strafe. Es würde
sich nämlich nicht ziemen, dass der Teufel, der von mir gut
geschaffen war, der aber durch seine Bosheit stürzte, Gemeinschaft
mit einen guten Menschen haben sollte.
Die bösen Menschen sollen auch erfahren, dass es nicht meine Schuld
ist, dass sie schlecht sind, sondern ihre eigene Schuld. Denn wenn es
möglich wäre, würde ich gern für einen jeden Menschen eine solche
Pein auf mich nehmen, die ich einmal am Kreuz für alle gelitten habe,
wenn sie dadurch das verheißene Erbe gewinnen könnten. Aber des
Menschen Wille strebt dem meinen stets entgegen. Ich gab ihm die
Freiheit, um mir zu deinen, wenn er wollte, und einen ewigen Lohn zu
gewinnen. Aber wenn er nicht will, soll er mitsamt dem Teufel gestraft
werden, für dessen Bosheit und für die Bosheit seiner Anhänger die
Hölle mit Recht geschaffen wurde.
Aber weil ich liebevoll bin, will ich nicht, dass der Mensch mir aus
Furcht oder gezwungen wie ein unvernünftiges Tier dient, sondern aus
göttlicher Liebe. Niemand kann nämlich mein Angesicht sehen, der mir
unwillig oder aus Furcht vor Strafe gedient hat.
Die, für die ich am bittersten bin, sollen in ihrem Gewissen
verstehen, dass mein Gesetz sehr leicht und mein Joch sehr angenehm
war. Sie sollen untröstlichen Kummer darüber tragen, dass sie mein
Gesetz verachtet und die Welt mehr geliebt haben, deren Joch doch drückender
und viel schwerer zu tragen ist, als meins.“
Da erwiderte die Mutter: „Gesegnet seist du, mein Sohn, mein Gott,
mein Herr! Nachdem du für mich am lieblichsten gewesen bist, bitte
ich dich, dass auch andere an dieser Lieblichkeit teilhaben mögen.“
Der Sohn antwortete ihr: „Gesegnet seist du, liebste Mutter! Deine
Worte sind hold und voller Liebe. Daher soll ein jeder, der etwas von
deiner Lieblichkeit in seinen Mund nimmt und es voll und ganz behält,
Gewinn daraus ziehen. Aber wer etwas davon nimmt und es wieder
ausspuckt, soll eine umso bitterere Strafe erhalten.“ Da entgegnete
die Jungfrau: „Gesegnet seist du, mein Sohn, um deiner Liebe
willen!“
[1]. Heilig, heilig, heilig ist der Herr Gott Sebaoth. |
59. Kapitel |
Christus schildert mit Hilfe eines
Gleichnisses die Priester früherer Zeiten und ihren Eifer um die
Seelen sowie die heutigen Priester, die pflichtvergessen und selbstsüchtig
sind. Die guten Christen werden ermahnt, den jetzigen beklagenswerten
Zustand in der Kirche zu bessern.
Ich bin der, der nie etwas Unwahres gesagt hat. Ich werde auf der
Welt wie ein Bauer angesehen, dessen Name verächtlich zu sein
scheint. Meine Worte hält man für töricht und mein Haus für einen
dürftigen Schuppen. Dieser Bauer hatte eine Frau, die nichts anderes
wollte, als das, was mit seinem Willen übereinstimmte, die alles mit
ihm teilte, die ihn als ihren Herrn hatte und ihm in allem gehorchte,
wie man einem Hausherrn gehorcht.
Der Bauer besaß auch viele Schafe, zu deren Pflege er für 5 Goldmünzen
einen Hirten anstellte, um damit den Hirten mit seinem Lebensunterhalt
zu versehen. Da dieser Hirte anständig war, verwendete er sein Gold
zu seinem Nutzen und zur Nahrung für seinen Lebensunterhalt.
Eine Weile, nachdem dieser Hirte weggegangen war, kam ein anderer und
schlechterer. Der kaufte sich eine Hausfrau für das Gold, brachte ihr
seine Nahrung, weilte ständig bei ihr und kümmerte sich nicht um die
Schafe, die von grausamen Raubtieren kläglich zerstreut wurden. Als
der Bauer sah, wie seine Schafe zerstreut wurden, rief er: „Mein
Hirte ist mir untreu! Meine Schafe sind von den grausamsten Raubtieren
zerstreut; manche sind von den Raubtieren mit Körper und Fell ganz
aufgefressen, andere sind getötet, aber ihre Leiber nicht
gefressen.“
Da sagte die Frau zu ihrem Mann, dem Bauern: „Mein Herr, es ist ja
sicher, dass wir die Körper, die verzehrt sind, nicht wiederbekommen
werden, aber die, die nicht angerührt sind, obwohl sie ohne Leben
sind, die können wir nach Hause bringen, um sie zu verwerten. Denn
wenn wir alles verlieren würden, würde das unerträglich für uns
werden.“
Der Mann antwortete ihr: „Aber was sollen wir machen? Die Raubtiere
hatten nämlich giftige Zähne, deshalb ist das Fleisch der Schafe
ebenso vergiftet, das Fell ist verdorben, und die Wolle verfilzt.“
Die Frau erwiderte: „Wenn alles verdorben und uns alles genommen
ist, wovon sollen wir da leben?“ Der Mann antwortete: „Ich sehe an
drei Stellen noch lebende Schafe. Manche sind wie tot und wagen aus
Furcht nicht zu atmen. Andere liegen in tiefem Schmutz und können
sich nicht erheben. Wieder andere liegen in einem Versteck und wagen
nicht hervorzukommen. Komm daher, meine Frau, und laß uns die Schafe
hochheben, die versuchen aufzustehen, das aber ohne fremde Hilfe nicht
fertig bringen, und laß uns sie nützlich verwerten.“
Siehe, ich der Herr bin dieser Bauer, denn von den Menschen werde ich
als ein Esel angesehen, der in seinem Stall nach seiner Weise und
seinen Sitten aufgezogen wird. Mein Name ist die Einrichtung der
heiligen Kirche, aber sie wird nun verächtlich angesehen, denn die
Sakramente der Kirche, nämlich die Taufe, Konfirmation, letzte Ölung,
Buße und Ehe, werden wie ein Spott empfangen und werden anderen aus
Gewinnlust gegeben. Meine Worte werden für töricht gehalten, denn
die Worte, die ich mit meinem Munde in Form von Gleichnissen
gesprochen habe, die werden nun von geistlichem Verständnis in eine
zeitliche Zerstreuung verwendet.
Mein Haus wird als verächtlich angesehen, denn die Menschen lieben
die irdischen Dinge statt der himmlischen. Unter diesem ersten Hirten,
den ich hatte, verstehen ich meine Freunde, die Priester, die ich früher
in der heiligen Kirche hatte, denn mit einem einzigen Wort meine ich
mehrere. Denen hatte ich meine Schafe anvertraut, d.h. damit sie
meinen hochwürdigen Leib weihen und die Seelen meiner Auserwählten
lenken und verteidigen.
Ich gab ihnen auch fünf gute Dinge, kostbarer als alles Geld. Zum
ersten Einsicht und Verständnis für alle schwer begreiflichen Dinge,
damit sie zwischen Gut und Böse, zwischen Wahrem und Falschem
unterscheiden können. Zweitens gab ich ihnen das Verständnis für
geistliche Dinge und Weisheit; das ist nun vergessen, und stattdessen
wird menschliche Weisheit geliebt. Drittens gab ich ihnen Keuschheit,
viertens Mäßigkeit in allen Dingen und Enthaltsamkeit, um den Körper
zu zügeln, fünftens Beständigkeit in guten Sitten, Worten und
Werken.
Nach diesem erstens Hirten, d.h. meinen Freunden, die früher in
meiner Kirche waren, sind nun andere, ungerechte Hirten gekommen, die
sich für Gold eine Frau gekauft haben, d.h. anstelle von Keuschheit
und dieser fünf guten Dinge haben sie weibliche Körper genommen, nämlich
Unmäßigkeit, und deshalb ist mein Geist von ihnen gewichen. Denn
wenn sie den festen Willen haben, zu sündigen und ihre Frau zu sättigen,
nämlich ihre Wollust zu befriedigen, da ist mein Geist fern von
ihnen, da sie sich nicht um den Verlust der Schafe kümmern, damit sie
nur ihr böses Verlangen verwirklichen können.
Aber die Schafe, die ganz verzehrt sind, das sind die, deren Seelen in
der Hölle sind, und deren Leiber in den Gräbern begraben sind – in
Erwartung der Auferstehung zur ewigen Verdammnis. Die Schafe, deren
Fleisch noch da ist, aber deren Lebensgeist dahin ist, das sind die,
die mich weder lieben noch fürchten oder irgendeine Zuneigung oder Fürsorge
für mich empfinden. Von ihnen ist mein Geist weit fort, denn ihr
Fleisch ist von den giftigen Zähnen der Raubtiere vergiftet, d.h.
ihre Seelen und Gedanken, die durch das Fleisch und die Eingeweide der
Schafe symbolisiert werden, sind mir ebenso zuwider und abscheulich zu
schmecken, wie vergiftetes Fleisch. Von ihrem Fell, d.h. ihrem Leib,
ist alles Gute und alle Liebe verdorrt, und es ist in meinem Reich zu
nichts nütze, sondern wird nach dem Gericht dem ewigen Feuer der Hölle
überlassen werden. Ihre Wolle, d.h. ihre Taten, sind so völlig unnütz,
dass sich nichts darin findet, dessen sie würdig sind, meine Liebe
und Gnade zu besitzen.
Was sollen wir da tun, meine Frau? – Mit der Gattin verstehe ich die
guten Christen. – Ich sehe an drei Stellen lebenden Schafe. Manche
sind wie tote Schafe und wagen aus Furcht nicht, zu atmen. Das sind
die Heiden, die gern den rechten Glauben haben wollten, wenn sie nur wüssten
wie, aber die nicht zu atmen wagen, d.h. wegen ihrer Furcht nicht
wagen, den Glauben zu verlassen, den sie haben, und den richtigen
anzunehmen.
Andere Schafe liegen an versteckten Plätzen und wagen nicht, hervor
zu kommen. Das sind die Juden; sie leben wie unter einer Decke und möchten
gern herauskommen, wenn sie überzeugt wären, dass ich geboren bin.
Sie verbergen sich nämlich unter einer Decke, weil sie auf Erlösung
durch die Bilder und Zeichen hoffen, mit denen ich im Gesetz
verzeichnet bin, und die in mir vollendet sind, und auf Grund dieses
nutzlosen Glaubens fürchten sie, sich dem rechten Glauben zu nähern.
Wieder andere Schafe liegen im Schmutz. Damit sind die Christen
gemeint, die im Zustand der Todsünde sind. Aus Furcht vor Strafe würden
sie sich gern erheben, aber das können sie wegen ihrer schweren Sünden
nicht, und weil sie keine Liebe haben. Hilf mir daher, meine Gattin,
d.h. die guten Christen! Denn wie Mann und Frau ein Fleisch und ein
Glied sein sollen, so ist der Christ mein Glied und ich das seine,
denn ich bin in ihm und er in mir. Deshalb, meine Gattin, d.h. ihr
guten Christen, eile mit mir zu den Schafen, die noch einen
Lebensgeist haben, so dass wir sie aufrichten und sie erquicken. Hab
Mitleid mit mir, denn ich habe sie sehr teuer erkauft. Wollen wir sie
aufrichten, du mit mir und ich mir dir, du mit dem Rücken, und ich am
Kopf. Froh trage ich sie mit meinen Händen. Einmal trug ich sie alle
auf meinem Rücken, als er ganz verwundet und am Stamm des Kreuzes
festgenagelt war.
O meine Freunde – so zärtlich liebe ich diese Schafe, dass ich noch
einmal, wenn es möglich wäre, für jedes Schaf den Tod erleiden
wollte, den ich einst für alle am Kreuz erlitten habe, und sie auf
diese Weise lieber erlöste, statt sie zu verlieren. Daher rufe ich
von ganzem Herzen zu meiner Freunden, dass sie um meinetwillen keine Güter
oder keine Arbeit sparen sollten, und wie mir, als ich auf der Welt
war, keine Schmähworte erspart blieben, so mögen sie sich nicht
scheuen, die Wahrheit über mich zu sagen.
Ich scheute mich ja auch nicht, den verächtlichen Tod für sie zu
sterben. Ich stand nackt, wie ich geboren wurde, vor den Augen meiner
Feinde. Sie schlugen mich mit Fäusten auf die Zähne. Sie zerrten
mich mit den Fingern an den Haaren. Sie geißelten mich mit ihren Geißeln.
Sie schlugen mich mit ihren Werkzeugen ans Holz, und so hing ich
zwischen Dieben und Räubern am Kreuz.
Daher sollt ihr, meine Freunde, euch in der Arbeit für mich nicht
schonen, der ich so etwas aus Liebe zu euch ausgestanden habe.
Arbeitet tüchtig und bringt den Notleidenden Schafen Hilfe. Ich schwöre
bei meiner Menschengestalt, die im Vater ist, und der Vater in mir,
und bei der Gottheit, die in meinem Geist ist; dass die, die mit mir
arbeiten und meine Schafe tragen, denen werde ich auf halbem Weg
entgegeneilen, um ihnen zu helfen, und ich werde ihnen die kostbarste
Belohnung schenken, nämlich mich selbst zu ewiger Freude.“
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60. Kapitel |
Christus ermahnt Birgitta, den Magister
Mattias ihre Botschaft weitervermitteln zu lassen. Als Kriterium für
die Wahrheit ihrer Botschaft soll man sich an Dämonenaustreibungen
halten, die durch Birgitta geschehen sind.
Gottes Sohn sprach zur Braut (Birgitta) und sagte: „Ich bin der
Gott Israels und der, der mit Mose gesprochen hat. Als Mose zu meinem
Volk gesandt wurde, begehrte er ein Zeichen, indem er sagte: „Sonst
glaubt das Volk mir nicht.“ Aber wenn das Volk, zu dem Mose gesandt
wurde, das Volk des Herrn war, warum glaubte es dann nicht?
Nun musst du aber wissen, dass dieses Volk drei Arten von Menschen
hatte. Manche glaubten Gott und Mose. Andere glaubten an Gott, aber
misstrauten Mose, weil sie meinten, dass er sich vielleicht aus
eigener Einbildung und Vermessenheit erdreistete, so zu reden und zu
handeln, wie er es tat.
Andere trauten weder Gott noch Mose. So gibt es auch unter den
Christen drei Arten von Menschen, die als die Hebräer bezeichnet
werden. Es gibt manche, die richtig an Gott und meine Worte glauben.
Es gibt andere, die an Gott glauben, aber meinen Worten misstrauen,
weil sie nicht imstande sind, zwischen dem guten und dem bösen Geist
zu unterscheiden.
So gibt es wieder andere, die weder an mich noch an dich glauben,
durch die ich meine Worte gesprochen habe. Aber wie ich sagte, wenn
auch manche der Hebräer dem Mose misstrauten, gingen sie doch alle
mit ihm durchs rote Meer und hinaus in die Wüste, und die, die nicht
glaubten, beteten dort Abgötter an und reizten Gott zum Zorn, weshalb
sie eines jämmerlichen Todes starben. Aber nur die, die einen
schlechten Glauben hatten, taten das.
Daher soll mein Freund[1], weil die Menschenseele erst spät zum
Glauben kommt, meine Worte weiter zu denen tragen, die ihm glauben.
Und diese sollen sie dann an andere weitergeben, die nicht in der Lage
sind, zwischen dem guten und dem bösen Geist zu unterscheiden. Aber
wenn die, die es hören, ein Zeichen begehren, soll man ihnen den Stab
zeigen, wie Mose es tat, d.h. ihnen meine Worte erklären.
Denn wie Moses Stab gerade und schrecklich war (denn er wurde ja in
eine Schlange verwandelt), so sind auch meine Worte gerade, und keine
Falschheit ist darin anzutreffen. Sie sind schreckenerregend, weil sie
das gerechte Gericht verkünden. Man kann auch hervorheben und
bezeugen, dass durch ein Wort oder einen Laut aus einem einzigen Mund
der Teufel von einem Gottgeschaffenen Wesen wich, der Teufel, der
Berge versetzen könnte, wenn er nicht durch meine Macht daran
gehindert würde.
Wie ist aber dann seine Macht, wenn er mit Gottes Zulassung vom Laut
einer einzigen Stimme vertrieben wurde? Deshalb gehen nun viele
Christen (wie die Hebräer, die weder Gott noch Mose glaubten,
trotzdem aus Ägypten hinausgingen und das gelobte Land erreichten),
gleichsam unwillig mit meinen Auserwählten zusammen. Aber sie
verlassen sich nicht auf meine Macht, dass ich sie heilen kann, sie
glauben meinen Worten nicht und haben eine falsche Hoffnung auf meine
Kraft. Dennoch sollen meine Worte auch ohne ihren Willen in Erfüllung
gehen und sich sozusagen zur Erfüllung drängen, bis sie an den Platz
kommen, der mir gefällt.“
[1]. Magister Mattias. |
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