Nachdruck
(orthographisch modernisiert): Köln : Atlas-Verlag, 1960
(Imprimatur) mit falscher Übersetzer-Angabe (O. Bachmann).
Einleitung, Anmerkungen und Sperrung der Bibelzitate wurden nicht
übernommen. Die Lachmannsche Übersetzung wurde gewählt,
da sie die modernste deutschsprachige urheberrechtsfreie Gesamtübersetzung ist.
Register:
ERSTES BUCH
Erstes Kapitel
Groß bist du, o Herr, und deines Lobes
ist kein Ende; groß ist die Fülle deiner Kraft, und deine
Weisheit ist unermeßlich. Und loben will dich der Mensch, ein so
geringer Teil deiner Schöpfung; der Mensch, der sich unter der
Last der Sterblichkeit beugt, dem Zeugnis seiner Sünde, einem
Zeugnis, daß du den Hoffärtigen widerstehest; und doch will
dich loben der Mensch, ein so geringer Teil deiner Schöpfung. Du
schaffest, daß er mit Freuden dich preise, denn zu deinem
Eigentum erschufst du uns, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in
dir. Kläre mich auf, o Herr, und laß mich erkennen, ob wir
dich zuerst anrufen oder dich preisen; ob wir dich eher erfassen als
anrufen sollen? Doch wer ruft dich an, solange du ihm unbekannt bist?
Könnte dich, der dich nicht erkennt, statt des einen ein anderes
Wesen anrufen? Oder wirst du zuvor angerufen, auf daß du erkannt
werdest? Wie sollen sie aber anrufen, an den sie nicht glauben? Wie
sollen sie aber glauben an den, der ihnen nicht geprediget worden?
Loben werden den Herrn, die ihn suchen. So ihn aber suchen, werden ihn
finden, und die ihn finden, werden ihn loben. Ich will dich suchen, o
Herr, im Gebet, und ich werde dich anrufen im Glauben: denn du bist uns
verkündigen worden. Mein Glaube, den du mir gegeben, o Herr, ruft
dich an, mein Glaube, den du mir einhauchtest durch die Menschwerdung
deines Sohnes durch die Vermittlung deines Predigers.
Erstes Buch - Zweites Kapitel
Wie aber soll ich anrufen ihn, meinen Gott und
Herrn? Denn zu mir hinein rufe ich ihn ja, wenn ich ihn anrufe. Wie
heißt die Stätte, dahin mein Gott komme zu mir, wohin der
Gott komme zu mir, der Himmel und Erde gemacht hat? So ist also, Herr
mein Gott, etwas in mir, das dich zu fassen vermag? Fassen dich denn
Himmel und Erde, die du gemacht hast und in deren Bereich du mich
geschaffen? Oder faßt dich deshalb alles, weil ohne dich nicht
wäre, was ist? Da nun auch ich bin, was bitte ich dich denn, in
mich zu kommen, der ich nicht wäre, wenn du nicht wärst in
mir? Denn noch bin ich nicht im Reiche des Todes, und doch bist du
dort. Denn bettete ich mich auch in die Hölle, siehe, so bist du
auch da. Ein Nichts wäre ich, mein Gott, wäre überhaupt
nicht vorhanden, wenn du nicht wärest in mir. Oder ich wäre
vielmehr nicht, wenn ich nicht wäre in dir, von dem alles, durch
den alles, in dem alles ist. Ja, so ist es, so ist es, o Herr. Wenn ich
dich anrufe, wohin rufe ich dich, da ich ja bin in dir? Von wannen
sollst du kommen zu mir? Wohin sollte ich wohl gehen über Erde und
Himmel hinaus, daß von da käme zu mir mein Gott, der da
gesprochen: Bin ich es nicht, der Himmel und Erde füllet?
Erstes Buch - Drittes Kapitel
Fassen dich also Himmel und Erde, weil du sie
erfüllst? Oder erfüllst du sie doch nur teilweise, da sie
dich nicht völlig fassen? Und wohin ergießest du den
Überfluß, wenn Himmel und Erde von dir erfüllt sind?
Oder bedarfst du keines Gefäßes, das dich als Ganzes
enthält, der du alles fassest? Denn alle Gefäße, die du
erfüllst, erfüllst du, indem du sie zusammenhältst. Denn
nicht die Gefäße, die dich beschließen, geben dir
feste Selbständigkeit; denn wenn sie auch zerbrochen würden,
wirst du doch nicht ausgeschüttet. Und wenn du (im heiligen
Geiste) über uns ausgegossen wirst, so liegst du nicht darnieder,
sondern richtest uns auf; du wirst nicht zerstreut, sondern sammelst
uns. Aber der du alles erfüllst, erfüllst du alles in deiner
Gesamtheit? Oder, weil nicht jegliches dich in deiner Gesamtheit zu
fassen vermag, umfaßt es nur einen Teil deines Wesens und
umfaßt alles zugleich denselben Teil deines Seins? Oder umfassen
die einzelnen Kreaturen einzelne Teile, die größeren
größere und die kleineren kleinere? Ist demnach ein Teil von
dir größer oder kleiner als der anderes Oder bist du
überall eine Ganzheit und faßt dich nichts in deiner
Gesamtheit?
Erstes Buch - Viertes Kapitel
Mein Gott, was bist du also? Was frag' ich
erst? Was anders denn als der Herr mein Gott? Denn wer ist Herr neben
dem wahrhaftigen Herrn und wer Gott außer dir, unserem Gott?
Höchster, Bester, Mächtigster Allmächtigster,
Barmherzigster und doch Gerechtester, Verborgenster und doch
Allgegenwärtiger, Schönster und Stärkster, feststehend
und doch nicht zu fassen, unwandelbar und doch alles wandelnd, nie neu,
nie alt, der du alles erneuerst, die Stolzen aber gibst du anheim der
Vergänglichkeit, ohne daß sie es fassen; immer wirkend,
immer ruhig, sammelnd und doch nie bedürfend, tragend,
erfüllend und schützend, schaffend, ernährend und
vollendend, suchend, da doch nichts dir ermangelt. Du liebst, doch ohne
Leidenschaft, du eiferst, doch mit ruhiger Milde, deine Rede ist
schmerzlos, du zürnst und bist doch ruhig, wandelbar sind deine
Werke, unwandelbar dein Ratschluß, du nimmst auf, was du findest,
und hast es doch niemals verloren, nie arm, freust du dich des Gewinns,
nie habsüchtig, forderst du Zinsen. Es wird dir geliehen, auf
daß du zum Schuldner werdest und doch, wer hat etwas, das nicht
wäre dein Eigentum? Schulden zahlst du, die du nie schuldig bist;
du erlässest uns unsere Schuld und verlierst trotzdem nichts. Was
aber habe ich mit all dem vorgebracht, mein Gott, mein Leben, meine
heilige Wonne? Oder wie redet einer, wenn er redet von dir? Wehe denen,
die von dir schweigen, denn auch die Stummen werden dich bekennen.
Erstes Buch - Fünftes Kapitel
Wer wird mir verleihen, zu ruhen in dir? Wer
mir beistehen, daß du kommst in mein Herz und es ganz
erfüllost, daß ich vergesse all mein Elend und dich nur,
mein einziges Gut, umfasse? Was bist du mir? Habe Erbarmen mit mir,
daß ich mich unterfange, von dir zu reden. Was bin ich dir,
daß du Liebe von mir forderst und dein Zorn mir droht und
unermeßliches Elend, wenn ich es nicht täte? Ist es denn ein
geringes Elend, wenn ich dich nicht liebe? Wehe mir! Sage mir, o mein
Herr und mein Gott, um deiner erbarmenden Liebe willen, was du mir
bist. Sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe. So sprich, auf
daß ich dich hören kann. Siehe meines Herzens Ohr lauschend
vor dir; erschließe es, o Herr, und sprich zu meiner Seele: Ich
bin deine Hilfe. Betend will ich folgen dieser Stimme und dich
ergreifen. Verbirg dein Angesicht nicht vor mir, ich will sterben,
damit ich (ewig) lebe und dich schaue von Angesicht zu
Angesicht. Eng ist das Haus meiner Seele, erweitere es, daß es
werde deine Wohnung. Hinfällig ist es, darum erneuere es. Flecken
sind darin enthalten, welche dein Auge beleidigen, gern bekenne ich es,
aber wer wird es reinigen? Oder wem anders als dir kann ich zurufen:
Mache mich rein von verborgenen Fehlern und bewahre deinen Knecht vor
fremder Missetat. Ich glaube, darum rede ich, Herr, du weißt es
ja. Habe ich dir nicht, mein Gott, mein Vergehen bekannt, und hast du
mir nicht vergeben meines Herzens Ruchlosigkeit? Nicht rechten will ich
mit dir, der du bist die lautere Wahrheit, und ich will mich nicht
selbst täuschen, daß nicht meine Sünde sich selbst
belüge. Nicht rechten will ich mit dir, denn so du willst
Sünde zurechnen, o Herr, Herr, wer will bestehen?
Erstes Buch - Sechstes Kapitel
Aber laß mich dennoch reden zu dir, dem
barmherzigen Gott, mich, der ich Staub und Asche bin. Laß mich
dennoch reden, denn siehe, deine Barmherzigkeit ist es, zu der ich
rede, nicht ein Mensch, der meiner spottet. Auch du spottest vielleicht
meiner, aber du wirst dich mir zuwenden und dich meiner erbarmen. Was
ist es denn aber, das ich reden will, mein Herr und mein Gott, als
daß ich nicht weiß, von wannen ich hierhergekommen? Soll
ich sagen in dieses sterbliche Leben oder in dieses lebendige Sterben?
Es empfingen mich die Tröstungen deiner Barmherzigkeit, wie ich es
erfahren habe von meinem irdischen Vater, aus welchem du mich, und von
meiner irdischen Mutter, in welche du mich in der Zeit gebildet hast,
denn ich kann mich ja dessen nicht selbst erinnern. Dann empfingen mich
die Tröstungen der Muttermilch. Doch nicht meine Mutter oder meine
Ammen füllten sich aus eigener Kraft die Brüste, sondern du
spendetest mir durch ihre Vermittlung die Nahrung meiner frühesten
Kindheit, gemäß deiner Einrichtung und deines Reichtums dem
tiefen Sein der Dinge angeschaffen. Du verliehst mir auch die
Eigenschaft, nicht mehr zu verlangen, als was du mir gabst, und denen,
die mich nährten, den Willen, mir zu geben, was du ihnen gabst.
Denn gemäß dem von dir angeordneten Liebestriebe gaben sie
mir gern von dem Uberflusse, den du ihnen verliehen. Denn das Gute, das
sie mir erwiesen, tat ihnen selbst wohl; aber nicht aus ihnen stammte
es, sondern nur durch sie kam es mir zu. Denn von dir allein kommt ja,
mein Gott, alles Gute, und alles Heil strömt mir zu von meinem
Gott. Später freilich erkannte ich dies erst als du mich mahnend
riefst zu dir, durch alles das, was du innerlich und
äußerlich mitteilst, denn damals verstand ich nur die
Muttermilch zu saugen und in behaglichem Genusse der Ruhe zu pflegen
und bei leiblichem Schmerze zu weinen; weiter aber nichts.Dann begann
ich zu lächeln, zuerst im Schlafe, dann aber auch im Wachen. So
ist es mir wenigstens erzählt worden, und ich habe es geglaubt,
weil wir dasselbe auch bei anderen Kindern wahrnehmen, denn meine
Erinnerung reicht nicht daran. Doch siehe, allmählich empfand ich,
wo ich war, und wollte meine Wünsche denen kundtun, die sie
erfüllen sollten; doch nicht vermochte ich es, weil jene in meinem
Innern wohnten, diese aber außer mir, und mit keinem ihrer Sinne
vermochten sie es, in die Tiefe meiner Seele zu dringen. Daher
strampelte und schrie ich in einer meinen Wünschen, deren nur
wenige waren und nur solche, die meiner Fähigkeit entsprachen,
nicht ganz gleichenden Weise. Denn ganz entsprechend waren sie nicht.
Und ward mir nicht gewillfahrt, weil man entweder meine Wünsche
nicht verstehen konnte oder ihre Erfüllung spärlich war, so
ward ich zornig auf die Großen, die mir nicht untertan, und die
Freien, die mir nicht zu Diensten waren, und suchte mich an ihnen durch
Geschrei zu rächen. Daß solches der Kinder Art ist, habe ich
kennengelernt an denen, deren Bekanntschaft ich machte, und daß
ich nicht ebenso war, haben sie mich in ihrer Unwissenheit besser als
meine Ernährer, die es doch wußten, gelehrt. Aber siehe,
meine Kindheit ist längst geschieden, und ich lebe noch. Du aber,
o Herr, der du lebst von Ewigkeit zu Ewigkeit und in dem nichts stirbt,
denn vor dem Anfang der Zeiten und vor allem, was Vorzeit genannt
werden kann, bist du, Gott und Herr, bist du deiner gesamten
Schöpfung, und auf festem Grunde ruhen in dir der Urgrund aller an
sich unbeständigen Dinge und alles Wandelbaren unwandelbarer
Ursprung; in dir leben die ewigen Ideen alles Vernunftlosen und
Zeitlichen; so sage mir, o Gott, mir, der dich anfleht in heißem
Gebet, sage es in göttlichem Erbarmen, ob meine Kindheit einem
schon vergangenen Leben gefolgt sei oder ob jenes dasselbe ist, welches
ich im Mutterleibe zubrachte? Denn auch darüber ist mir einiges
erzählt worden; auch habe ich mit eigenen Augen schwangere Frauen
gesehen. Doch was war ich noch vor jener Zeit, meine Wonne, mein Gott;
war ich überhaupt irgendwo oder irgendwer? Denn ich habe
niemanden, der mir es sagen könnte, weder Vater noch Mutter
vermochten es, weder anderer Erfahrung noch meine eigene Erinnerung
(klärten mich darüber auf). Verlachst du etwa solche Frage
und befiehlst, daß ich dich nach meinem besten Wissen lobe und
dir mein Bekenntnis ablege?So will ich dir denn bekennen, du Herr des
Himmels und der Erden, und will dich preisen im Danke für meinen
Ursprung und meine Kindheit, deren ich mich nicht mehr erinnere. Du
hast dem Menschen die Fähigkeit verliehen, von anderen auf sich zu
schließen und in betreff der eigenen Person auch dem Zeugnis der
Frauen fest zu vertrauen. Denn schon damals war und lebte ich, und
schon an der Grenze meiner Kindheit suchte ich Zeichen, um anderen
meine Empfindungen deutlich zu machen. Woher aber kommt ein solch
beseeltes Wesen, wenn nicht von dir, o Herr? Gibt es irgend jemand, der
die Kunst besäße, sich selbst zu erschaffen? Oder quillt
anderswo irgendeine Quelle, aus welcher Sein und Leben in uns
fließt, denn bei dir, Herr, der du uns geschaffen hast, bei dem
es keinen Gegensatz zwischen ewigem und zeitlichem Leben gibt, denn
beider Herr bist du selbst. Denn der Höchste bist du und
unveränderlich; in dir vergeht nicht der heutige Tag, und dennoch
vergeht er in dir, weil du alles (auch die Zeiten) umfaßtest.
Denn nicht würden sie auf geordneten Bahnen dahinziehen, wenn du
sie nicht zusammenhieltest. Denn da deine Jahre kein Ende nehmen, sind
deine Jahre wie der heutige Tag, und wie viele unserer und unserer
Väter Tage sind schon vorübergezogen durch dein ewiges Heute
und erhielten von ihm das Gepräge und waren, wie sie waren, und
werden noch vorüberziehen und ihr Gepräge empfangen und sein,
wie sie waren. Du aber bleibst, wie du bist, und alles Morgende und was
darüber hinausgellt und alles Gestrige und noch weiter
Zurückgehende wirst du machen zum Heute und hast das schon in der
Ewigkeit deiner Gegenwart gewirkt Was kümmert es mich, wenn es
jemand nicht begreifen sollte? Möge auch er sich freuen, der
spricht: "Was ist das?" Auch er freue sich, und möge er dich
lieber finden, indem er dich nicht findet, als daß er dich nicht
finde, indem er (hochmütig) dich gefunden zu haben wähnt.
Erstes Buch - Siebentes Kapitel
Erhöre mich, o Gott! Wehe über uns
sündige Menschen! So spricht der Mensch, und du erbarmst dich
seiner, weil du ihn, aber nicht die Sünde in ihm geschaffen hast.
Wer erinnert mich wieder an die Sünden meiner Kindheit? Denn vor
dir ist niemand sündenrein, auch das Kind nicht, das nur einen Tag
auf der Welt gelebt hat. Wer erinnert mich (an meine Sünden, die
ich damals begangen)? Jedes beliebige Kindlein, an dem ich das sehe,
was meinem Gedächtnis entflohen? Wie sündigte ich also
damals? Etwa, weil ich schreiend nach der Mutterbrust verlangte? Denn
täte ich jetzt dasselbe, wenn auch nicht nach der Mutterbrust, so
doch nach einer meinem Alter entsprechenden Speise gierig verlangend,
würde mich da nicht mit vollem Rechte spottender Tadel treffen?
Damals tat ich also Tadelnswertes; aber da ich den Tadel nicht
verstehen konnte, war es gegen Herkommen und Vernunft, mich zu tadeln.
Zwar legen wir derartiges, wenn wir älter werden, ab und entfernen
es. Denn nie sah ich einen Verständigen, der beim Sondern des
Guten vom Schlechten auch das Gute mit preisgibt. Oder galt es
seinerzeit auch für gut, mit Tränen das zu begehren, was mir,
wäre es mir gewährt worden, zum Schaden gereicht hätte?
Oder denen zu zürnen, die mir nicht untergeben waren, freien und
älteren Leuten, oder den Eltern und vielen, die bei
größerer Einsicht unserem Eigenwillen nicht willig Folge
leisteten, ihnen mit Schlagen und Stoßen möglichst zu
schaden, weil sie dem kindlichen Eigensinn ohne Schaden für uns
nicht gehorchen konnten? So ist nur die Schwäche der kindlichen
Glied maßen unschuldig, nicht die Kindesseele. Mit eigenen Augen
beobachtete ich ein zorniges Kind; noch konnte es nicht sprechen und
doch sah es bleich mit feindseligbitterem Blick auf seinen Milchbruder.
Doch das weiß jeder. Mutter und Ammen sagen, daß sich das
gäbe und durch irgendwelche Mittel verlöre. Ist es aber etwa
auch Unschuld an der Quelle, die reichlich, ja überreichlich eine
Fülle von Milch hervorströmen läßt, den der Hilfe
so bedürftigen Bruder nicht zu dulden, der doch nur durch dies
eine Nahrungsmittel sein Leben fristen kann? Doch man erträgt es
in blinder Zärtlichkeit, nicht als ob es geringfügig oder von
gar keiner Bedeutung wäre, sondern weil es sich mit den Jahren
verlieren wird. Fände man dasselbe freilich bei einem älteren
Menschen, so würde man es nicht mit dem Gleichmute ertragen wie in
diesem Falle.Du, mein Gott und Herr, der du dem Kinde Leben und Leib
gabst, den du, wie wir sehen, ausstattetest mit den Sinnen, den du aus
Gliedern zusammenfügtest und mit Schönheit schmücktest
und dem du alle Triebe eines lebenden Wesens zur Erhaltung seines
unversehrten Daseins eingepflanzt hast, dein Wille gebeut mir, dich
dafür zu preisen und dir zu danken und deinem Namen, du
Höchster, zu lobsingen, weil du bist der allmächtige und
gütige Gott, auch wenn du nur das geschaffen, was niemand anders
schaffen kann denn du allein, dem alles Dasein sein Sein verdankt, du
Schönster, der du alles schön geschaffen rund alles ordnest
nach deinem Gesetz. Dieses Alter also, o Herr, von dessen Durchleben
ich keine Ahnung habe, das ich nur nach anderer Glaubwürdigkeit
und andern Kindern gefolgert habe, mag ich, obgleich diese
Schlüsse vollen Glauben verdienen, kaum zu dem Leben rechnen, das
ich in dieser Zeitlichkeit lebe. Denn der dunkle Schleier der
Vergessenheit ruht darüber, gerade wie über jenem Leben, das
ich verbracht in meiner Mutter Leibe. Doch wenn ich aus sündlichem
Samen gezeuget und meine Mutter mich in Sünden empfangen hat, wo,
mein Herr und Gott, o sage es mir, ich flehe dich an, wo oder wann war
dein Knecht sündlos? Doch lassen wir jene Zeit, ist mir ja von ihr
in meiner Erinnerung keine Spur zurückgeblieben.
Erstes Buch - Achtes Kapitel
Bin ich nicht aus der Kindheit auf dem Wege zu
meinem jetzigen Lebensalter in das Knabenalter gelangt, oder besser
gesagt: kam es nicht in mich und folgte meiner Kindheit Doch jene ist
nicht vergangen; wohin sollte sie auch gehen: Und doch war sie nicht
mehr. Denn nicht mehr war ich ein unmündig Kind, sondern ein
Knabe, der Sprache wohl kundig. Ich erinnere mich noch daran, und woher
ich die Sprache lernte, erfuhrt ich nachher. Denn es unterrichteten
mich nicht Erwachsene, indem sie mir nach einem bestimmten klar
durchdachten Lehrplane Worte mitteilten, wie bald nachher die
Buchstaben, sondern ich erlernte es selbst kraft des Geistes, den du, m
ein Gott, mir gegeben, wenn ich mit Seufzen und allerlei Tönen und
Gebärden die Gefühle, die mein Herz empfand, ausdrücken
wolte, damit man meinem Willen nachkäme; und ich war nicht
imstande, alles, was ich wollte, zu äußern, und sprach mir
zuvor stillinnerlich die Worte vor im Gedächtnis; benannte man
irgendeinen Gegenstand und wandte man sich bei dem Worte danach, so
bemerkte ich es und behielt es bei nur, daß das Ding von ihnen
benannt werde, welches sie aussprachen, wenn sie es zeigen wollten.
Daß man aber dies damit bezweckte, erhellte aus der Bewegung des
Körpers, gleichsam die Universalnatursprache für alle
Völker; durch das Mienen- und Augenspiel und die Tätigkeit
der übrigen Glieder und durch den Klang der Stimme, welcher
anzeigt, was die Seele wünscht und begehrt, was sie verwirft und
meidet. So begriff ich allmählich die Worte in ihrer
mannigfaltigen Bedeutung, in ihrer verschiedenen Stellung und bei ihrem
häufigen Gebrauche, welche Dinge die Worte bezeichneten, und
sprach durch sie, da meine Mutter sich bereits an diese Ausdrucksweise
gewöhnt hatte, meine Wünsche aus. So bin ich mit denen, unter
welchen ich lebte, in eine Gemeinschaft hinsichtlich der Bezeichnung
der Willensäußerungen getreten und schritt weiter hinein in
die Stürme des gesellschaftlichen Lebens, doch noch abhängig
von der Autorität der Eltern und vom Willen Erwachsener.
Erstes Buch - Neuntes Kapitel
Gott, mein Gott, welche Not erfuhr ich da und
welchen Spott! Da mir in den Knabenjahren als Richtschnur für das
Leben empfohlen wurde, denen zu gehorchen, die mich ermahnten,
daß ich zur Zeit vorwärtskäme, und mich auszeichnete
durch rhetorische Kunstfertigkeit, welche Ehre bei den Menschen nur
trügerische Reichtümer verschafft. Dann wurde ich zur Schule
geschickt, Wissenschaften zu erlernen, deren Nutzen ich Beklagenswerter
nicht einsah, obwohl ich, war ich träge im Lernen, geschlagen
wurde. So hieß es den Eltern gut, und viele vor uns, die ihr
Leben also hinbrachten, hatten dornenvolle Pfade vorgebaut, welche wir
Söhne Adams wandeln mul3ten unter verdoppelter Mühe und Qual.
Wir fanden aber Menschen, o Herr, die dich anriefen, und von ihnen
lernten wir nach unserem Vermögen, daß du ein mächtiges
Wesen seiest, das uns erhören und helfen könne, wem auch
unseren menschlichen Sinnen verborgen. Denn schon da ich noch ein Knabe
war, begann ich zu dir zu beten, du, meine Hilfe und Zuflucht, und im
Gebet zu dir brach ich die Bande, die meine Zunge fesselten, und flehte
zu dir, noch klein zwar, doch mit großer Innigkeit, daß ich
in der Schule doch keine Schläge bekäme, und da du mich nicht
erhörtest, was mir zum Heile war, spotteten die Erwachsenen, ja
selbst meine Eltern, die doch nur mein Bestes wollten, über die
Schläge, die ich bekam und die mir damals ein großes und
schweres Leid zu sein schienen.
Hat jemand, o Herr, einen solch starken Geist,
mit so überschwenglich großer Liebe dir anhängend, gibt
es, sage ich, irgend jemand - denn eine gewisse Stumpfheit bewirkt dies
auch -, der so erhaben gestimmt, mit solcher Frömmigkeit an dir
hinge, daß er die größten und verschiedenartigsten
Foltern, von denen verschont zu werden alle Welt ängstlich fleht,
so gering achtete, daß er diejenigen verlacht, welche sich davor
ängstigen und zittern, wie unsere Eltern die Marterwerkzeuge
verlachten, mit denen wir Knaben von den Lehrern geschlagen wurden?
Denn nicht weniger fürchteten wir uns davor noch flehten wir
weniger zu dir, sie von uns abzuwenden, und doch sündigten wir
dadurch, daß wir uns weniger mit Schreiben und Lesen und
Denkübungen beschäftigten, als es von uns gefordert wurde.
Gedächtnis und Anlagen fehlten uns keineswegs, o Herr, du hattest
uns selbst davon für unser Alter hinreichend verlieben; aber das
Vergnügen am Spiel war es, und es wurde an uns von solchen
gestraft, die selbst dergleichen trieben. Aber die Spielereien der
Erwachsenen nennt man Geschäfte; Knaben aber, welche sie trieben,
wurden von den Erwachsenen gestraft, und niemand erbarmt sich der
Knaben, noch jener, noch beider. Würde wohl ein gerechter
Schiedsrichter es billigen, daß ich geschlagen wurde, weil ich
als Knabe oft Ball spielte und durch solches Spiel am schnellen
Erlernen der Wissenschaften behindert wurde, mit denen ich
späterhin noch häßlicher spielen sollte; oder handelte
der selbst irgendwie anders, welcher mich schlug und der mehr vom Neid
und von Galle gequält wurde, wenn er in irgendwelchem
geringfügigem Wortgefecht von einem gelehrten Rivalen
überwunden wurde, als wenn ich im Ballspiel von einem Mitspieler
übertroffen wurde?
Erstes Buch - Zehntes Kapitel
Und doch sündigte ich, mein Herr und mein
Gott, du Ordner und Schöpfer des Alls, aber der Sünde Ordner
allein. Ich sündigte, mein Herr und mein Gott, weil ich
zuwiderhandelte den Geboten der Eltern und jener Lehrer. Denn
späterhin konnte ich von den Wissenschaften, die ich nach dem
Willen und der Absicht der Meinigen erlernen sollte, einen guten
Gebrauch machen. Nicht in der Absicht, Besseres (als das Dargebotene)
zu erwählen, war ich ungehorsam, sondern aus Liebe zu Spielereien
und aus Begierde nach stolzen Siegen in Wettspielen, um durch
erdichtete Märlein meine Ohren zu reizen, daß sie immer
lüsterner wurden und nur dieselbe Neugierde immer mehr und mehr
aus den auf die Schauspiele und Spiele der Alten gehefteten Augen
leuchtete; die Veranstalter solcher Spiele genießen so hohe Ehre,
daß fast alle Eltern für ihre Kleinen ein gleiches Los
wünschen, und dennoch lassen sie es gern zu, daß ihre Kinder
gezüchtigt werden, wenn sie sich durch solche Schauspiele vom
Lernen abhalten lassen, wodurch sie es einmal dahin bringen sollen,
selbst solche Spiele zu geben. Siehe, o Herr, solches mit Erbarmen und
befreie uns, die wir dich schon anrufen; befreie auch die, welche dich
noch nicht anrufen, auf daß sie dich anrufen und du sie befreiest.
Erstes Buch - Elftes Kapitel
Schon als Knabe hatte ich Kunde von dem ewigen
Leben, uns verheißen durch die Erniedrigung unseres Herrn und
Heilandes, der herabstieg zu unserem Hochmute, und ich ward mit dem
Zeichen seines Kreuzes bezeichnet und mit seinem Salm geweiht schon von
dem Leibe meiner Mutter an, deren ganze Hoffnung du warst. Du sahst, o
Herr, wie ich, noch ein Knabe, eines Tages plötzlich von heftig
brennendem Magenkrampfe ergriffen wurde und fast dem Tode nahekam. Du
Sahst, mein Gott, denn du warst schon damals mein Hort und Hüter,
mit welcher Bewegung des Herzens, mit welchem Glauben ich die Taufe
deines Gesalbten, meines Herrn und Gottes, von der Frömmigkeit
meiner Mutter und der Mutter unser aller, deiner Kirche, verlangte. Und
meine leibliche Mutter, mächtig erschüttert, weil sie auch
mein ewiges Seelenheil als ein teures Pfand unter dem Herzen trug, das
im Glauben an dich zu heiliger Reinheit gelangt war, würde eilend
dafür gesorgt haben, daß ich in die heiligen Sakramente
eingeweiht und durch sie gereinigt würde in deinem Bekenntnis,
Herr Jesu, zur Vergebung der Sünden, wenn ich nicht sogleich
genesen wäre. Es wurde daher meine Entsühnung durch die Taufe
verschoben, gleich als müsse ich mich noch beflecken, solange ich
am Leben bliebe, weg nach der Taufe die Schuld sündiger Befleckung
noch größer und gefahrvoller würde. So war damals schon
ich, die Mutter und das ganze Haus gläubig, ausgenommen den Vater,
der, obwohl er ein Heide war, doch nicht das Recht der frommen
Mutterliebe zugunsten seines Vaterrechts umstieß, um mich am
Glauben an Christum zu hindern. Denn mit ängstlichem Eifer
schärfte mir meine Mutter ein, daß du, mein Herr und mein
Gott, in noch viel höherem Grade mein Vater wärest als jener,
und du standest ihr bei, daß sie den Gatten (im Glauben)
überwand, dem sie, als die bessere, untertan war, weil sie dadurch
dir und deinem Gebote gehorchte.
Ich bitte dich, mein Gott, laß mich
wissen, wenn es dein Wille ist, daß ich es wisse, welcher Art die
Absicht war, der zufolge meine Taufe damals verschoben wurde, ob
dadurch zu meinem Besten der Sünde Zügel gelockert wurden
oder nicht? Weshalb hören wir auch jetzt noch von dieser und jener
Seite: Laß ihn nur machen, er ist ja noch nicht getauft, und doch
sagen wir zum Wohle des Körpers nicht: der Wunden noch mehr, er
ist ja noch nicht geheilt. Wirt es nicht viel besser gewesen, ich
wäre schnell geheilt worden und man hätte mit mir durch die
Meinen und meine eigene Sorge so verfahren, daß das
wiedergewonnene Heil meiner Seele sicher unter deinem Schutz gewesen
wäre, den du mir verliehen hättest? Wohl wäre es besser
gewesen. Aber wie viele und wie mächtige Fluten der Versuchung auf
mich eindringen würden, wußte meine Mutter schon, und lieber
wollte sie den natürlichen Menschen vor der Wiedergeburt als das
(durch die Taufe wiederhergestellte) Ebenbild Gottes preisgeben.
Erstes Buch - Zwölftes Kapitel
Selbst in meinen Knabenjahren, wo man für
mich weniger ab im Jünglingsalter fürchtete, liebte ich die
Wissenschaften nicht, und ich haßte, zu ihrem Studium mit Gewalt
gedrängt zu werden. Und doch wurde ich dazu gedrängt; wohl
mir, daß es geschah, und doch handelte ich nicht gut. Denn ich
würde nichts gelernt haben, wenn ich nicht dazu gezwungen worden
wäre. Niemand aber handelt wider seinen Willen sittlich gut, auch
dann nicht, wenn sein Tun gut ist. Und auch die, welche mich (zum
Lernen) zwangen, handelten nicht gut; von dir allein kam mir das Gute,
o mein Gott! Denn jene achteten nicht darauf, daß ich das durch
ihren Zwang Gelernte nur zur Sättigung unersättlicher
Begierde nach reicher Armut und schmachvollem Ruhme anwenden
würde. Du aber, von dem die Haare unseres Hauptes gezählt
sind, wandeltest den Irrtum derer, die mich zum Lernen zwangen, zu
meinem Nutzen; meine Trägheit aber im Lernen ließest du mir
werden zur Züchtigung, die ich wohl verdiente, ein noch so kleiner
Knabe und doch ein schon so großer Sünder. So erwiesest du
mir Gutes durch die, welche mir Übles taten, und vergaltest mir
selbst in gerechter Weise meine eigene Siinde. Denn solches ist dein
Gebot, und so geschieht es, daß jeder zuchtlose Geist sich selbst
gereiche zur Strafe.
Erstes Buch - Dreizehntes Kapitel
Wie es aber eigentlich kam, daß mir die
griechische Literatur verhaßt war, ist mir selbst nicht ganz
klar. Denn die lateinische Literatur gewann ich lieb, freilich nicht,
wie sie die Elementarlehrer, sondern die sogenannten Grammatiker
lehrten; denn jener Elementarunterricht war mir nicht weniger
lästig und peinlich als alles Griechische. Woher jedoch stammte
dies, wenn nicht aus der Sünde und der Eitelkeit des Lebens,
wodurch ich Fleisch war und ein Wind, der dahinfährt und nicht
wiederkommt? Denn jene Anfangsgründe, durch welche es mir
möglich wurde und ist, durch welche ich es innehabe, sowohl
Geschriebenes lesen als auch selbst alles nach Willen schreiben zu
können, waren weit besser, weil sie zuverlässiger waren als
jene, vermittels deren ich gezwungen wurde, die Irrfahrten eines
Äneas meinem Gedächtnisse einzuprägen, während ich
meine eigenen Irrfahrten vergaß, und den Tod der Dido zu
beweinen, weil sie, von Liebesgram übermannt, sich selbst den Tod
gab, während ich, Tiefunglücklicher, es tränenlosen
Auges ertrug, daß ich vertieft in diese, von dir, Gott mein
Leben, abstarb.
Denn was ist wohl mitleidswürdiger als
ein Leidender, der selbst kein Mitleid mit sich hat und doch den Tod
einer Dido beweint, den sie aus Liebe zu Äneas findet, nicht aber
seinen Tod, welchen er stirbt aus Lieblosigkeit gegen dich, o Gott, du
Licht meines Herzens, du Lebensbrot und Kraft, die befruchtet mein
Gemüt und den Sproß meines Denkens. Ich liebte dich nicht,
und meine Seele, dir vermählt, handelte ehebrecherisch, und "recht
so, brav!" ertönte es dem Ungetreuen von allen Seiten zu. Denn die
Freundschaft dieser Welt ist ja der Abfall von dir, und Beifall rufen
sie, daß sich der Mensch schäme, wenn er anders geartet ist.
Und nicht diesem galten meine Tränen, sondern der Dido, "daß
geschieden sie sei, mit dem Stahl ihr Ende erreichend", verließ
dich und folgte deinen geringsten Geschöpfen, Staub zum Staube
zurückkehrend. Und wenn ich verhindert wurde, dieses zu lesen, so
war mir's schmerzlich, das nicht lesen zu dürfen, was mir Schmerz
erregte. Solche Torheit galt für edlere und fruchtbarere
Wissenschaft als Lesen und Schreiben.
Doch nun rufe mir in meine Seele, o Gott, und
deine Wahrheit sage: So ist es nicht, jener erste Unterricht ist bei
weitem besser, denn ich bin viel bereiter dazu, die Irrfahrten des
Äneas zu vergessen und alles andere Derartige als Schreiben und
Lesen. Vorhänge sind vor den Türen der Gelehrtenschulen; sie
bedeuten aber nicht sowohl ein ehrfurchtgebietendes Geheimnis als
vielmehr eine Fülle des Irrtums. Und nicht mögen gegen mich
diejenigen ein Geschrei erheben, die ich nicht fürchte, wenn ich
dir bekenne, was meine Seele will, o mein Gott, und Ruhe finde ich im
Verwerfen der bösen Wege, daß ich seine guten Wege lieben
lerne. Auftreten mögen auch nicht wider mich die Verkäufer
oder Käufer der weltlichen Literatur; denn wende ich mich mit der
Frage an sie, ob Äneas wirklich einst nach Karthago gekommen sei,
wie der Dichter sagt, dann werden die Ungelehrteren sich mit ihrer
Unwissenheit entschuldigen, die Gelehrteren aber werden es sogar
verneinen. Wenn ich aber frage, mit welchen Buchstaben Äneas
geschrieben wird, dann werden wir alle, welche dies gelernt haben, die
richtige Antwort geben nach dem Übereinkommen und Gutbefinden,
durch welche die Menschen jene Zeichen unter sich festgesetzt haben.
Ebenso, gesetzt ich früge, was von beiden wohl zum
größeren Nachteil für das Leben vergessen würde,
Lesen und Schreiben oder jene poetischen Erfindungen, weiß wohl
jeder die Antwort, der sich nicht gänzlich vergessen hat. ich
fehlte also, da ich als Knabe jene unnützen Dinge diesen
nützlichen eifrig vorzog oder vielmehr diese haßte, jene
aber liebte. Nun aber war mir das eins und eins ist zwei, zwei und zwei
ist vier ein Lied von gar verhaßtem Klang und das angenehmste
Schauspiel für meine Eitelkeit das hölzerne Pferd von
Bewaffneten, der Brand Trojas und der Schatten Creusas.
Erstes Buch - Vierzehntes Kapitel
Warum haßte ich denn aber die
griechische Literatur, die doch solches besang? Denn auch Homer
verstand es, das Gewebe solcher Märlein, und ist in seiner
Eitelkeit so süß und doch mir Knaben so bitter. Ich glaube,
auch den griechischen Knaben wäre es mit Vergilius also ergangen,
wenn man sie zwänge, ihn auf solche Art verstehen zu lernen wie
mich jenen. Natürlich vergällte die Schwierigkeit, eine
gänzlich fremde Sprache zu erlernen, mir alle Schönheiten der
griechischen Mythen. Ich verstand die Worte nicht und wurde dennoch mit
harten Drohungen und Strafen gewaltsam dazu angetrieben, sie zu
erlernen. Freilich kannte ich als Kind einst die lateinische Sprache
noch nicht und doch lernte ich sie mit Aufmerksamkeit ohne jegliche
Furcht und Qual unter den Liebkosungen meiner Ammen, unter den Scherzen
derer, die mir zulachten, und unter fröhlichen Spielen. So lernte
ich jene ohne die peinliche Belästigung von Drängen, wenn
mich mein Herz dazu antrieb, Empfangenes wiederzugeben, was ich nicht
imstande gewesen wäre, wenn ich nicht schon die Kenntnis einiger
Worte gehabt hätte, nicht von Lehrern, sondern von Sprechenden,
für deren Ohr ich meine Gedanken kundgab. Hieraus geht deutlich
hervor, daß die freie Wißbegierde eine größere
Macht besitzt zum Erlernen als furchteinflößender Zwang.
Aber dieser hemmt nach deinem Gesetz den Strom jener Wißbegierde,
o Gott, nach deinem Gesetz von der Rute der Lehrer bis zu den
Versuchungen der Märtyrer; heilsame Bitterkeit mischt sich nach
deinem gewaltigen Willen bei, welche uns wieder zurückruft zu dir
von der verderblichen Lust, durch welche wir uns von dir entfernt haben.
Erstes Buch - Fünfzehntes Kapitel
Erhöre, o Gott, mein Gebet, daß
meine Seele nicht müde werde unter deiner Zucht und daß ich
nicht lasch werde im Bekenntnis deines unendlichen Erbarmers, durch
welches du mich von allen Irrwegen abgebracht hast, daß du mir
süßer wirst als alle Verführungen, denen ich folgte,
daß ich dich hebe mit allen Kräften und deine Hand erfasse
mit ganzem Herzen und du mich entreißest aller Versuchung bis ans
Ende. Denn dir, o Herr, mein König und mein Gott, deinem Dienste
sei gewidmet, was ich als Knabe Nützliches erlernte, was ich
spreche, schreibe, lese und zähle; wenn ich Eitles erlernte,
züchtigtest und vergabst du mir meine sündhafte Lust an
solcherlei Eitelkeiten. Und ich lernte durch sie wohl viel
nützliche Worte, die aber auch ohne eitle Dinge erlernt werden
können, und das ist der sichere Weg, auf dem die Knaben wandeln
sollten.
Erstes Buch - Sechzehntes Kapitel
Aber wehe dir, Strom menschlicher Gewohnheit!
Wer kann dir widerstehen? Wann wirst du endlich versiegen? Wie lange
wirst du noch die Söhne Evas hinaustreiben in das große,
furchtbare Meer, welches kaum die durchsegeln, welche das Kreuzesschiff
der Kirche besteigen? Las ich nicht zur Zeit (da ich noch von dir
fortgerissen wurde) von einem Donnerer und Ehebrecher Jupiter? Zwar
vermochte er keines von beidem, sondern es wurde erdichtet, daß
man sich auf seine Autorität berufen könne, um einen wahren
Ehebruch nachzuahmen, wobei der falsche Donnerer den Kuppler machte.
Wer aber von den Lehrern, die da in ihren Mänteln umherstolzieren,
kann es ruhig mit anhören, wenn ein Mensch, der Staub ist,
ausruft: "Dies fabelte Homer und übertrug Menschliches auf die
Götter; wollte er doch lieber Göttliches auf uns
übertragen!" Mit mehr Recht sagt man aber wohl, er ersann dieses
zwar, aber so, daß er den lasterhaften Menschen Göttliches
beilegte, damit ihre Laster nicht für Laster geachtet würden
und damit jeder, der solche verübte, nicht Missetäter,
sondern die Götter im Himmel nachzuahmen schiene.Und doch werden
die Menschenkinder in dich, du Höllenfluß, hineingeworfen
mit dem Lohne, wofür sie dies lernen sollen, und Großes - so
glaubt man - steht auf dem Spiele, wenn dafür öffentlich auf
dem Forum dargestellt wird, angesichts der Gesetze, die dem Dichter
obendrein noch festen Gehalt bestimmen außer den Honoraren, wenn
du die Steine zu erschüttern suchst, prahlst und mit rauschendem
Wortschwall sprichst: Hier ist die Quelle, da man reden lernt; hier
erwirbt man die Beredsamkeit, um Leute zu beschwatzen, hier lernt man
die Kunst, die unumgänglich nötig ist, Meinungen
auseinanderzusetzen. Wir würden so nichts von den Worten: goldener
Regen, Schoß, Trug, Tempel des Himmels und was da noch für
andere derartige Ausdrücke sind, die dort vorkommen, verstehen,
wenn nicht Terenz einen jungen Taugenichts einführte, der sich den
Jupiter zum Vorbild der Unzucht nimmt, indem er ein Wandgemälde
beschaut, welches Jupiter darstellt, "wie er der Danae einst einen
Goldregen in den Schoß habe fallen lassen und so das Weib
überlistete". Und nun siehe hin, wie er sich selbst gleichsam
unter der Anleitung des Gottes zur Wollust reizt: "Welch ein Gott, der
mit seinem Donner des Himmels Zinnen erschüttert. Und ich
schwaches Menschlein sollte es nicht tun? Ich hab's getan, und zwar mit
Freuden." Keineswegs lernte man durch solche Schändlichkeit
derartige Worte mit größerer Leichtigkeit, nur wurde man
dadurch um so vertrauter mit der Schändlichkeit. Nicht die Worte
klage ich an, die nur erwählten köstlichen Gefäßen
gleichen, sondern den Wein (in solchen Gefäßen), der ums auf
Irrwege führte und uns von trunkenen Lehrern aus ihnen gereicht
wurde; tranken wir nicht, dann drohte uns Züchtigung, und an einen
nüchternen Richter uns zu wenden, blieb uns versagt. Und doch, o
Gott, vor dessen Angesicht ich mich sicher dessen erinnere, habe ich
solches gern gelernt und habe o ich Elender! daran Freude gefunden und
wurde demzufolge ein Knabe genannt, der zu schönen Hoffnungen
berechtige.
Erstes Buch - Siebzehntes Kapitel
Laß mich, o Gott, auch darüber
sprechen, mit wie törichtem Treiben sich mein Geist, deine Gabe,
abarbeitete. Mir wurde eine Aufgabe gestellt, die mein Gemüt nicht
wenig durch die Verheißung von Lob oder Schmach und durch die
Furcht vor Schlägen in Unruhe versetzte. Sie bestand nämlich
darin, daß ich die Worte der Juno, die in zornigem Schmerze
trauert, daß sie den König der Teukrer nicht von Italien
fernzuhalten vermag, vortragen sollte, Worte, die ich doch
natürlich die Juno nie hatte sprechen hören; wir wurden
genötigt, irrenden Fußes den Spuren des fabelnden Dichters
zu folgen und in
ungebundener Rede vorzutragen, was der Dichter in Versen ausgesprochen;
dessen Vortrag errang das höchste Lob, der die Affekte des Zornes
und des Schmerzes der Stellung der von ihm dargestellten Person
möglichst entsprechend wiedergab in Sätzen, die den Gedanken
auch in ihrer äußeren Form möglichst angepaßt
waren. Warum aber erntete ich, o Gott, der du wahrlich mein Leben bist,
bei meinem Vortrage von vielen Altersgenossen und Mitschülern
Beifall? War das nicht eitel Rauch und Wind? Dein Lob, o Herr, dein Lob
in den heiligen Schriften hätte den schwachen Keim in meinem
Herzen erstarken lassen sollen, und nicht wäre er geworden ein
Raub eitler Nichtswürdigkeiten, nicht eine schmähliche Beute
der gefiederten Kreatur. Aber freilich, auf gar mannigfache Weise
opfern wir den abtrünnigen Engeln.
Erstes Buch - Achtzehntes Kapitel
Wie aber ist es zu verwundern, daß mich
die Eitelkeit so in ihre Gewalt bekam und mich von dir, mein Gott, so
entfernte, da mir Menschen zu Vorbildern gesetzt wurden, die vor Scham
vergehen wollten, wenn in der Erzählung ihrer an und für sich
keineswegs bösen Handlungen ungebräuchliche oder fehlerhafte
Ausdrücke vorkamen, die sich aber rühmten und mit Lob
überschüttet wurden, wenn sie ihre Bubenstreiche fehlerfrei
mit wohlgesetzten Worten ausführlich und mit Ausschmückungen
erzählten? Du siehst dies, Herr, und du schweigst in deiner
Langmut, der du barmherzig, Der auch wahrhaftig bist. Doch wirst du
immer schweigen, o Herr? Und jetzt ziehst du empor zu dir aus dem
grausigen Abgrunde den Geist, der dich sucht und den nach deiner
Erquickung dürstet und sein Herz hält dir vor Ich habe
gesucht einst dein Antlitz, und nun suche ich dein Antlitz wieder, o
Herr. Denn fern von deinem Angesichte zu leben, das heißt in
finsterer Leidenschaft dahinwandeln, denn nicht mit dem Fuße oder
räumlich entfernen wir uns von dir oder kehren zu dir zurück.
Oder suchte jener dein jüngerer Sohn Pferde, Wagen oder Segel,
oder floh er mit sichtbarem Fittich, oder legte er eilenden Fußes
den Weg zurück, daß er im fernen Lande als Verschwender lebe
und das Gute verprasse, das du dem Dahinziehenden mitgegeben hattest?
Ein liebevoller Vater warst du ihm, der du gabst, ein liebevollerer
noch, da er mühselig und beladen heimkehrte. So ist ein Leben in
üppiger Lust ein Wandel in Finsternis und Fernsein von
dir. Siehe, o Herr, und siehe es nach deiner Gewohnheit mit Langmut an,
wie sorgfältig die Menschenkinder die Gesetze der Buchstaben und
Silben, die ihnen von den früheren Redenden überliefert sind,
beobachten und dagegen die von dir empfangenen dauernden Gesetze des
ewigen Heils vernachlässigen, so daß der, welcher jene alten
Lautgesetze weiß und lehrt, größeres Mißfallen
bei den Menschen erregt, wenn er gegen die grammatische Regel ohne
Aspiration der ersten Silbe omo anstatt homo sagen würde, als wenn
er deinen Geboten zuwider selbst ein Mensch, seinesgleichen
haßte. Gerade als ob er von irgendeinem Feinde Verderblicheres
erfahren könnte als von seinem Hasse selbst, der ihn gegen
denselben aufreizt, oder als wenn einer, indem er einen anderen
verfolgt, diesem einen schwereren Schaden zuzufügen imstande
wäre, als er seinem Herzen durch solche Feindschaft zufügt!
Gewiß ist das sprachliche Wissen nicht innerlicher als der ins
Herz geschriebene Gewissensvorwurf: man tue dem andern, was man selbst
nicht leiden möge. Wie bist du so geheimnisvoll, der du schweigend
wohnst in der Höhe, o Gott, du allein Erhabener, der du nach einem
unermüdlich wirkenden Gesetze zur Strafe Blindheit
ausgießest über unerlaubte Begierden. Wenn ein Mensch den
Ruhm der Beredsamkeit sucht und dasteht vor einem menschlichen Richter,
umgeben von einer Menschenmenge, seinen Feind mit wildem Haß
verfolgend, dann hütet er sich mit der größten Sorgfalt
vor Sprachfehlern wie: "Inter hominibus"; aber ohne Scheu vertilgt er
in seiner Raserei den Menschen aus dem Kreise der Menschen.
Erstes Buch - Neunzehntes Kapitel
An der Schwelle der Schule, wo solche Sitten
heimisch waren, lag ich als elender Knabe; eines solchen Kampfplatzes
Ringkunst war es, wo ich mich mehr davor fürchtete, einen
Sprachfehler zu machen, als ich mich hütete, wenn ich es dennoch
tat, diejenigen, welche es nicht taten, zu beneiden. Ich sage es und
bekenne es dir, mein Gott, worin ich von denen gelobt wurde, welchen zu
gefallen uns damals gerade so viel galt als ein gottgefälliges
Leben. Denn ich sah nicht den Abgrund der Schande, in welchen ich von
deinen Augen verstoßen wurde, denn wer konnte in deinen Augen
schändlicher sein als ich, da ich auch sogar solchen mißfiel
durch unzählige Betrügereien und Lügen, meinen Erziehern
und Eltern gegenüber durch Spielsucht, durch die Begierde Possen
zu sehen und in spielsüchtiger Unruhe
nachzuahmen? Auch den Keller und den Tisch meiner Eltern bestahl ich,
teils aus Naschsucht, teils um den Knaben ihre Rollen im Spiel, an dem
sie sich gleicherweise wie ich ergötzten, mir sie aber gleichwohl
verkauften, abzumarkten. Auch in diesem Spiel erschlich ich mir, von
eitler Begier zu glänzen verblendet, oft durch Betrug den Sieg.
Was aber wollte ich selbst so wenig dulden und tadelte ich so roh, wenn
ich andere dabei ertappte, als eben das, was ich anderen tat, und wenn
ich selbst darüber ertappt wurde, lieber tobte als mich
gefügt hätte? Ist das die kindliche Unschuld? Nein, o Herr,
sie ist es gewiß nicht. Das ist, was aus dem Knabenalter auf das
höhere folgende Alter übergeht, nur daß es sich anstatt
der Erzieher und Lehrer, der Nüsse und Kugeln und Sperlinge jetzt
um Präfekten und Könige, Gold, Landgüter und Sklaven
handelt, wie auch anstatt der Ruten schwerere Strafen eintreten. In der
Kleinheit der Kinder hast du, unser König, uns ein Symbol der
Demut gegeben, wenn du sprachst: Solcher ist das Himmelreich!
Erstes Buch - Zwanzigstes Kapitel
Doch Dank sei dir, o Herr unser Gott,
dargebracht, dem erhabensten und besten Schöpfer und Regierer des
Weltalls, wenn du auch nur gewollt hättest, daß ich solch
ein Knabe geworden wäre. Denn schon damals lebte ich und empfand
und mir lag mein unversehrtes Dasein am Herzen, eine Spur der
geheimnisvollen Einheit mit dir, der ich mein Dasein verdankte. Mit
meinem inneren Sinne behütete ich die Unverletztheit meiner
äußeren Sinne und freute mich an der Wahrheit selbst bei
kleinen Gedanken über kleine Dinge. Ich wollte mich nicht
täuschen lassen, mein Gedächtnis war frisch, mit Beredsamkeit
war ich ausgestattet, Freundschaft war mir angenehm, ich floh den
Schmerz, die Haltlosigkeit, die Unwissen heit. Was ist all einem
solchen Wesen nicht bewundernswert und des Lobes würdigt Aber
alles dies hat mir Gott geschenkt, nicht ich selbst habe es mir
verliehen, und es ist gut, und alles dies bin ich. Gut ist also mein
Schöpfer, und er selbst ist mein Gut und ihn preise ich mit
Frohlocken für all das Gute, wodurch ich auch als Knabe wirklich
war. Denn das war meine Sünde, daß ich nicht in ihm, sondern
in seiner Kreatur in mir und den anderen Vergnügen Herrlichkeit
und Wahrheit suchte, und so stürzte ich mich in Schmerz,
Verwirrung und Irrtum. Dank dir, du meine Wonne, meine Ehre, mein
Vertrauen, o mein Gott! Dank dir für deine Gaben! Bewahre sie mir
aber auch! Denn so wirst du mich bewahren und sie werden zunehmen, und
was du mir gabst, wird vollendet werden, ich selbst werde mit dir sein,
denn auch das Dasein hast du mir gegeben.
ZWEITES BUCH
Erstes Kapitel
Gedenken will ich meiner Befleckungen und des
Verderbens meiner Seele im Fleisch, nicht weil ich sie liebe, sondern
daß ich dich liebe, mein Gott. Liebe zu deiner Liebe ist es, die
mich noch einmal die schändlichen Wege durchwandern
läßt im Geiste mit der Bitterkeit der neu auflebenden
Erinnerung, auf daß du mir süß werdest, o
Süßigkeit, die nicht trügt, o Wonne, die zu Glück
und Frieden führt, und wenn ich mich sammle von der Zerstreuung,
von der ich stückweise zerrissen wurde, da ich von dir, dem Einen,
abgewandt, mich in die Vielheit verlor. Da ich ein Jüngling war,
flammte auch in mir die Begierde, mich zu sättigen in
höllischen Genüssen, und so gab ich mich in wechselnden und
lichtscheuen Liebesgenüssen der Verwilderung preis. Und mein Leib
verzehrte sich und ich verfiel vor deinen Augen, während ich mir
gefiel und den Menschen zu gefallen strebte.
Zweites Buch - Zweites Kapitel
Liebe und Gegenliebe, sie nur erfreuten mich.
Doch blieb ich nicht auf dem lichten Pfade der Freundschaft, der von
Seele zu Seele führt, sondern böse Dünste entstiegen dem
Schlamme meiner Fleischeslust und dem Sprudel meiner Jugend und
umwölkten und umnachteten mein Herz, daß es nicht mehr
scheiden konnte die heitere Klarheit der Liebe von dem Düster der
Sinnenlust. Beides wogte und wallte wirr durcheinander, riß meine
ohnmächtige Jugend durch die Abgründe der Lust und tauchte
sie hinein in den Sündenpfuhl. Da entbrannte dein Zorn über
mir und ich erkannte es nicht. Das Klirren der Kette, die mich an die
Sterblichkeit fesselt zur Strafe für meinen Hochmut, machte mich
taub (für deine Stimme), und weiter und weiter ging ich von dir,
und du ließest mich gewähren; ich trieb mich umher,
vergeudete meine Kräfte und schwächte mich und wallte mich in
meinen Ausschweifungen und du schwiegst. Du meine Freude, wie spät
wurdest du mir zuteil! Du schwiegst damals und ich entfernte mich immer
weiter und weiter von dir, immer mehr und mehr in jene unfruchtbare
Saat, die nur Schmerzen gebiert in stolzer
Verworfenheit und friedloser Erschöpfung.
O, wer meinem Elende ein Maß gesetzt und die flüchtige
Schönheit des steten Wechsels mir zu Nutzen gewandelt und
ihren Reizen ein Ziel gesteckt hätte, daß die
stürmischen
Fluten meiner Jugend, da sie nicht ruhen konnten, gebrandet wären
am Ufer der Ehe, die sich genügen läßt mit dem Zweck
der Fortpflanzung, wie dein Gesetz,o Herr, es vorschreibt, der du
Kinder des Todes schaffst und deine
linde Hand aufzulegen vermagst zur Linderung der Dornen, die
ausgeschlossen
sind von deinem Paradiese. Denn deine Allmacht ist nicht fern
von uns, wenn wir auch fern sind von dir. Wachsamer hätte
ich gewißlich dann dein Wort, das aus deiner Wolke hervorging,
beachtet: Es werden solche leibliche Trübsal
haben. Ich verschonte aber eurer gern; und: Es ist dem Menschen
gut, daß er kein Weib berühre, und: Wer ledig ist,
der sorget, was dem Herrn angehöret, wie er dem Herrn gefalle.
Wer aber freier, der sorget, was der Welt angehört, wie er
dem Weibe gefalle. Hätte ich wachsamer solchen Worten gelauscht,
der Sinnenlust abgestorben um des Himmelreichs willen, seliger
hätte ich geharrt, von deiner himmlischen Liebe umfangen
zu werden.
Aber ich Elender brauste auf, willenlos fortgerissen von den Wogen
(die in meinem Innern stürmten), verließ ich dich und
übertrat alles, was dein Gesetz verordnet, und entrann deiner
Geißel nicht; wer von den Sterblichen könnte auch dies?
Denn immer warst du mir nahe in gnädigem Zorn und sprengtest
bittersten Wermut auf alle meine unerlaubten Freuden, auf daß
ich Vergnügen aufsuchte ohne Schmerz, und hätte es in
meinem Vermögen gestanden, wahrlich, nichts hätte ich
gefunden als nur dich allein, o Herr, dich, der du Schmerz in
dein Gebot legtest, der du verwandest, um zu heilen, und tötest,
auf daß wir dir nicht absterben. Wo war ich und wie weit
verbannt von den Ursonnen deines Hauses in jenem sechzehnten Jahre
meines leiblichen Lebens, da der Wahnsinn der Wollust die Herrschaft
über mich gewann und ich ihr beide Hände bot, ihr, die
'sich frech zur Schande der Menschen alles erlauben darf und die
doch deine Gesetze verbieten. Die Meinigen sorgten nicht dafür,
mich, den Strauchelnden, aufzuhalten und zu verheiraten; sie waren
nur darauf bedacht, daß ich möglichst gut und möglichst
überzeugend reden lernte.
Zweites Buch - Drittes Kapitel
In jenem Jahre nun erfolgte eine Unterbrechung meiner Studien
durch meine Rückreise von Madaura, der Nachbarstadt, in welcher ich den ersten Unterricht in den Wissenschaften
und der Beredsamkeit empfing. Es wurden Vorbereitungen zu einem längeren Aufenthalte in Karthago
getroffen, mehr durch die Hoffart meines Vaters als durch seinen
Reichtum veranlaßt, da er ein ziemlich unbemittelter Bürger
von Thagaste war. Warum erzähle ich dies? Nicht dir, o mein
Gott; aber vor deinem Angesichte erzähle ich es meinem Geschlechte,
dem Geschlechte der Menschen, wie klein auch der Leserkreis dieser
meiner Schrift sein möge. Und zu welchem Zweck erzähle
ich es? Damit ich und jeder Leser bedenke, aus welchen Tiefen
man zu dir rufen muß. Denn was ist näher als dein Ohr,
wenn ein Herz sein Bekenntnis ablegt und das Leben aus dem Glauben
ist? Denn wer pries nicht damals meinen menschlichen Vater, daß
er über sein Vermögen auf seinen Sohn verwandte, so
viel zu der weiten Studienreise nötig war. Denn viele reichere
Bürger machten keinen solchen Aufwand für ihre Kinder,
währenddessen mein Vater sich nicht darum kümmerte,
wie ich dir entgegenreifte oder wie es mit meiner Reinheit stünde,
wenn ich nur redegewandt oder vielmehr abgewandt von deinem Dienst
war, o Gott, du einzig wahrer und guter Herr deines Ackers, das
ist meines Herzens.
Als ich aber in jenem sechzehnten Jahre häuslichen Mangels
wegen müßig ging und so Schulferien habe und bei meinen
Eltern lebte, da entwuchsen meinem Haupte die Dornen der Wollust
und niemand raufte sie aus. Ja, als mein Vater einst im Bade mich,
den kräftig heranreifenden Jüngling, sah mit seiner
ungestümen Jugendkraft, teilte er es voll Freude der Mutter
mit, als frohlocke er schon über die künftigen Enkel,
in dem Freudenrausche, in welchem diese Welt dich, ihren Schöpfer,
vergaß und das Geschöpf statt deiner liebte, berauscht
von dem unsichtbaren Weine seines verkehrten und zur Tiefe gewandten
Willens. Aber in meiner Brust hattest du schon deinen Tempel (aufzurichten)
begonnen und den Grund je zu deinem Heiligtum gelegt; jener aber
(der Vater) war seit kurzem erst Katechumen geworden. Daher lebte
sie in heiliger Furcht und Zittern, und ob ich gleich noch kein
Christ (noch nicht getauft) war, fürchtete sie doch Öl,
die Irrwege, welche ich wandelte und die dir den Rücken zukehren
und nicht das Angesicht.
Wehe mir! Und ich wage zu sagen, du hättest geschwiegen,
mein Gott, da ich mich noch weiter von dir entfernte? Schwiegst
du denn damals wirklich so ganz? Und die Worte, die du durch den
Gesang meiner Mutter, die im Glauben an dir hing, so oft an mein
Ohr tönen ließest, wessen waren sie, wenn nicht dein?
Doch keines davon drang mir in das Herz, daß ich danach
gehandelt hätte. Mit dem besten Willen ermahnte sie mich
oft, wie ich mich noch erinnern kann, heimlich mit tiefem Grame,
daß ich nicht der Wollust verfiele und vor allem nicht die
Ehe eines andern entweihte. Aber weibisch erschienen mir solche
Ermahnungen, denen ich ohne Erröten nicht zu gehorchen vermochte.
Von dir kamen sie und ich wußte es nicht und glaubte, du
schwiegest und nur jene (meine Mutter) rede, durch welche zu mir
sprachst, und du wurdest in ihr von mir, ihrem Sohne, verachtet,
dem Sohne deiner Magd, deinem Knechte. Aber ich wußte es
nicht, und mit solcher Blindheit geschlagen eilte ich jählings
vorwärts, so daß ich mich vor meinen Altersgenossen
schämte, wenn ich minder schändlich gelebt hatte als
sie, weil ich sie mit ihren Vergehen prahlen und um so mehr Rühmens
davon machen hörte, je schändlicher sie waren: so verführte
mich nicht nur die Lust an dar Tat, sondern auch die Lust gelobt
zu werden. Was ist tadelnswerter als das Laster? Um nicht getadelt
zu werden, wurde ich noch lasterhafter, und wo ich es den Verworfenen
nicht gleichtun konnte, gab ich vor, die Untat begangen zu haben,
damit ich nicht desto verächtlicher erschiene, je unschuldiger ich war, und um
nicht für desto geringer zu gelten, je reiner ich war.
Wehe, mit welchen Spießgesellen ich mich auf den Straßen
Babds umhertrieb und mich in ihrem Kote wälzte wie in köstlichen
Spezereien und Salben. Und in ihrer Mitte trat mich der unsichtbare
Feind mit Füßen (in den Kot), daß ich desto fester
an ihm hinge, und verführte mich, weil ich verführbar
war. Auch meine leibliche Mutter, die zwar aus der Mitte Babels
schon eilend geflohen war, in den übrigen Straßen aber
langsamer ging, sorgte, so sehr sie mich auch zur Keuschheit ermahnte,
doch nicht dafür, das, was sie durch ihren Gatten von mir
gehört und schon als verderblich und für die Zukunft
als gefährlich erkannt hatte, in die Schranken der ehelichen
Liebe zu bannen, wenn es nicht bis auf die letzte Lebensspur vernichtet
werden konnte. Sie sorgte dafür nicht, aus Furcht, die Ehefessel
könnte meine Hoffnungen vereiteln, nicht jene Hoffnung, welche
meine Mutter für das Jenseits auf dich setzte, sondern die
Hoffnung der wissenschaftlichen Ausbildung, deren Besitz meine
Eltern allzusehr für mich 'wünschten, der Vater, weil
er über dich fast gar nichts, über mich nur Eitles dachte,
die Mutter, weil sie glaubte, daß jene gewöhnlichen
wissenschaftlichen Studien nicht nur nichts schadeten, sondern
vielmehr von einigem Nutzen sein könnten, zu dir zu gelangen.
Denn solches ist meine Vermutung, wenn ich, soweit ich vermag,
über den Charakter meiner Eltern nachdenke. Auch im Spiel
ließ man mir die Zügel mehr schießen als das
rechte Maß der Strenge erlaubt, so daß ich mich in
mancherlei Gelüste verlor, und überall herrschte Finsternis,
die mir, mein Gott, die heitere Klarheit deiner Wahrheit verschloß,
und wie aus fettem Erdreich sproßte meine Ungerechtigkeit
auf.
Zweites Buch - Viertes Kapitel
Gewiß straft, o Herr, dein Gesetz
den Diebstahl und das Gesetz, das geschrieben stehet im Menschenherzen,
das selbst die Sünde nicht tilgt. Denn gibt es wohl einen
Dieb, der einen andern mit Gleichmut duldet? Nicht einmal der
Reiche, der Überfluß hat, duldet den durch Mangel zum
Diebstahl getriebenen Dieb. Und ich war willens, einen Diebstahl
zu begehen, und beging ihn weder durch die Not noch durch den
Mangel dazu getrieben, sondern durch den Ekel vor der Gerechtigkeit
und die Gier nach Ungerechtigkeit. Denn ich stahl, was ich im
Überfluß besaß und weit besser; und nicht der
Genuß an der Sache selbst, sondern am Diebstahl und an der
Sünde war es, den ich begehrte. In der Nähe unseres
Weinberges stand ein Birnbaum, mit Früchten beladen, die
jedoch weder durch ihr Aussehen noch ihren Geschmack reizen konnten.
Diese abzuschütteln und fortzutragen, begaben wir ruchlosen
Jünglinge uns in später Nachtstunde, bis zu der wir
in Spielhäusern nach schändlichem Brauche das Spiel
herausgezogen hatten, dorthin und trugen große Massen hinweg,
nicht um sie zum Mahle zu genießen, sondern um sie den Schweinen
vorzuwerfen, nachdem wir ein wenig davon gekostet hatten nur
um nach unserem Geiste Unerlaubtes zu tun. Siehe mein Herz an,
o mein Gott, siehe mein Herz an, denn du hast dich seiner erbarmt,
da es in der Tiefe des Abgrundes schmachtete. Und was es dort
suchte, das sage dir jetzt mein Herz, daß ich um nichts
böse war, ohne irgend etwas dadurch erreichen zu wollen;
boshaft war ich, nur um boshaft zu sein. Schändlich war es
und ich liebte es, ich liebte das Verderben, ich liebte meinen
Abfall (von dir), nicht das Objekt meines Abfalls, sondern meinen
Abfall selbst: schändliche Seele, die sich, von deiner Himmelsfeste
trennend, selbst verbannt, die nicht etwas durch Schande, nein
die Schande selbst begeht.
Zweites Buch - Fünftes Kapitel
Schöne Körper gewähren
einen reizenden Anblick, ebenso wie Gold, Silber und alles Derartige,
und für das Gefühl übt fleischliche Sympathie einen
starken Reiz aus; gleichermaßen haben alle übrigen
Sinne eine ihnen entsprechende Eigentümlichkeit der Körper.
Auch zeitliche Ehre, Herrschergewalt und Oberhoheit und der aus
ihnen entspringende Trieb nach Freiheit haben ihren Reiz: doch
dürfen wir, wollen wir dies alles erlangen, nicht weichen
von dir, o Herr, und uns nicht entfernen von deinem Gesetz. Auch
unser Menschenleben hat einen bestechenden Reiz durch eine gewisse
Art von Anmut und Harmonie mit allem irdischen Schönen. Süß
ist auch die Freundschaft der Menschen durch das teure Band, das
viele Seelen vereint. Sünde aber wird alles dieses und ähnliches,
wenn wir in zügelloser Hinneigung zu diesen Gütern,
obgleich sie sehr gering sind (im Verhältnis zu denen, die
du uns schenkst), die besseren und höchsten im Stich lassen,
ja dich selbst, o Herr unser Gott, und deine Wahrheit und dein
Gesetz. Wohl macht auch dies Geringe uns Freude, aber nicht wie
du, mein Gott, der alles gemacht hat; denn die Gerechten freuen
sich des Herrn und er selbst ist die Wonne derer, die geraden
Herzens sind. Fragt man nun nach der Ursache eines Verbrechens,
so findet man keinen Glauben, wenn nicht die Begierde nach jenen
Gütern, welche wir die niedrigsten nannten, als Grund nachgewiesen
werden kann oder die Furcht, sie einzubüßen. Wohl sind
sie schön und reizend, aber im Vergleich zu jenen höheren
und seligmachenden Gütern sind sie wertlos und verwerflich.
Es beging einer einen Mord. Weshalb? Er liebte des Ermordeten
Weib oder Gut, oder er wollte rauben, um davon zu leben, oder
er fürchtete, von dem Ermordeten derartiges einzubüßen,
oder Rachgier erfüllte ihn. Beging er etwa den Mord ohne
Ursache und aus bloßer Freude am Mord? Das klingt unglaublich.
Wird doch selbst bei jenem Wahnsinnigen und beispiellos grausamen
Menschen als Ursache seiner nutzlosen Bosheit und Grausamkeit
das Wort von ihm angeführt: »Nicht soll mir in Untätigkeit
Hand und Herz erschlaffen.« Was war aber der wirkliche Grund?
Daß er durch die Übung im Verbrechen nach Eroberung
der Stadt Ehrenstellen, Gewalt, Reichtümer erlangte und von
der Furcht vor den Gesetzen aus seiner mißlichen Lage, da
sein Vermögen zerrüttet und sein Gewissen mit Verbrechen
belastet war, befreit würde. Selbst ein Catilina liebte nicht
seine Verbrechen, sondern anderes, demzufolge er sie beging.
Zweites Buch - Sechstes Kapitel
Was liebte ich denn nun aber an dir, meinem
Diebstahl, ich Elender, und jener nächtlichen Schandtat im
sechzehnten Jahre meines Lebens? Du warst nicht schön, weil
du eben ein Diebstahl warst, oder warst du denn überhaupt
etwas, daß ich zu dir rede? Schön waren jene Früchte,
die wir stahlen, weil du sie geschaffen, du Schönster von
allen, du Schöpfer des Alls, gütiger Gott, du mein höchstes,
du allein wahres Gut. Schön waren jene Früchte, aber
nicht sie waren es, die meine elende Seele begehrte, denn bessere
hatte ich in Menge; jene pflückte ich nur, um zu stehlen.
Denn das abgepflückte Obst warf ich hinweg, und die Speise,
die mich ergötzte, war einzig und allein die Sünde.
Aß ich auch etwas davon, so wurde es mir doch nur durch
die Sünde gewürzt. Und nun, mein Herr und mein Gott,
frage ich dich, welche Freude mir der Diebstahl gewährte;
er hat nichts Schönes, nichts Reizendes, wie es von Mäßigung
und Klugheit ganz und ·gar zu schweigen in der Einsicht,
dem Erinnerungsvermögen, den Sinnen und der Lebensfreudigkeit
liegt, r nichts Reizvolles, wie es der Glanz der Gestirne hat,
welche das Himmelszelt zieren, nicht wie die Erde und das Meer,
voll zeugenden Lebens, wo Entstehen und Vergehen in ewigem Wechsel
begriffen sind kurz meine Tat hatte nicht einmal jenen mangelhaften,
nachäffenden Reiz, wie ihn Sünden haben, die uns täuschen
(indem sie sich als Tugenden darstellen). So ahmt der Stolz die
Erhabenheit nach, während du doch, o Gott, allein über
alles erhaben bist; so sucht die Ehrsucht nur Ehre und Ruhm, während
du doch vor allen allein zu verehren bist und zu preisen in Ewigkeit;
so will die Strenge der Mächtigen gefürchtet werden;
ist es denn nicht Gott, dem allein Furcht gebührt? Was kann
deiner Macht entzogen und entrissen werden ? Wann, wo oder von
wem wäre dies wohl möglich? Die Liebkosungen der Mutwilligen
wollen gefallen; doch nichts ist liebenswürdiger als deine
Huld, und keine Liebe ist heilsamer als die Liebe zu deiner Wahrheit,
die vor allem schön und lichtvoll ist. Die Neugierde strebt
wißbegierig zu erscheinen, während du doch allwissend
bist. Selbst die Unwissenheit und Torheit hüllen sich in
den Deckmantel schlichter Einfalt und Unschuld, und doch gleicht
dir niemand an Unschuld und Unsträflichkeit, denn die Taten
der Bösen strafen sich selbst; die Trägheit will für
Seelenruhe gelten, doch gesicherte Ruhe ist allein bei dem Herrn.
Die Üppigkeit möchte gern Genüge und Fülle
heißen, du aber bist allein (wahre) Fülle und unergründliche
Quelle unvergänglicher Wonne. Die Verschwendung heuchelt
Freigebigkeit zu sein, du aber bist der freigebigste, reichlichste
Spender aller Güter; die Habsucht will Edles besitzen du
besitzt alles. Die Scheelsucht streitet über den Vorzug,
doch wer ist vorzüglicher als du? Die Furcht schaudert vor
ungewöhnlichen und plötzlich hereinbrechenden Ereignissen,
die über das, was uns lieb, hereinbrechen, und macht ängstlich
für ihre Sicherheit; doch was ist dir ungewöhnlich,
was Unvermutet? Wer will von dir scheiden, was du liebst? Oder
wo gibt es wahre Sicherheit, wenn nicht bei dir? Die Trauer verzehrt
sich, wenn sie verloren, was die Wollust erfreute, weil sie wollte,
daß ihr nichts genommen würde, wie dir nichts genommen
werden kann. So bricht die Seele den Bund der Treue, wenn sie sich
von dir abwendet und nicht suchet in dir, was sie rein und klar
nur findet, wenn sie zurückkehrt zu dir. Verkehrt ahmen dich
alle nach, die sich von dir entfernen und stehen auf wider dich.
Allein indem sie dich so nachahmen, zeigen sie doch, daß
du der Schöpfer der gesamten Natur bist und daß es
ein Ding der Unmöglichkeit ist, sich völlig von dir
zu scheiden. Was also liebte ich an jenem Diebstahle, Und worin
ahmte ich meinen Herrn nach, wenn auch nur in frevelhafter und
verkehrter Weise? War es die Lust, dem Gesetz zuwiderzuhandeln,
wenigstens durch Trug, weil ich mit meinem menschlichen Vermögen
die dem Gebundenen mangelnde Freiheit durch strafloses Tun strafbarer
Handlungen nicht nachahmen und so ein Zerrbild deiner Allmacht
geben konnte? Es ist jener Knecht, der seinen Hemd verließ,
um dem Schatten zu folgen. O Verderbnis, o Schauer des Lebens
und Tiefe des Todes! Konnte ich wirklich Gelüst nach Unerlaubtem
tragen, nur weil es Unerlaubtes war?
Zweites Buch - Siebentes Kapitel
Wie aber soll ich es dem Herrn vergelten,
daß mein Gedächtnis solches noch einmal im Geiste an
sich vorübergehen läßt und daß meine Seele
nicht davor zurückbleibt? Lieben will ich dich, o Herr, und
dir Dank sagen und deinen Namen bekennen, da du so viele schändliche
Missetaten mir verziehen hast. Deiner Gnade verdanke ich es und
deiner Barmherzigkeit, daß du meine Sünde dahinschmelzen
ließest wie Eis. Deiner Gnade verdanke ich auch, was ich
an Bösem zu tun unterließ; denn was konnte ich nicht
tun, ich, der den Herrn liebte, selbst wo es zwecklos war? Und
nun kann ich bekennen, daß mir alles vergeben ist, wo ich
aus freien Stücken handelte und wo ich's nicht tat weil du
mich leitetest. Welcher Mensch, der seine Schwachheit bedenkt
wagt es, seine Reinheit und Unschuld als seiner eigenen Kraft
entsprossen sich beizulegen, um ein Recht zu haben, dich weniger
zu lieben; als ob er deiner Barmherzigkeit weniger bedürfte,
mit der du allen, die sich zu dir bekehren, ihre Sünden vergibst.
Denn wer von dir gerufen deiner Stimme folgt und das, was er in
meinen Erinnerungen und Bekenntnissen liest, vermieden hat zu
tun, der möge mich nicht verlachen, daß mich von meiner
Krankheit der Arzt heilte, welcher ihn vor Krankheit oder besser
gesagt vor schwerer Krankheit bewahrte. Deshalb sollte er dich
geradeso, ja noch mehr lieben, weil er r mich aus meinem tiefen
Sündenschlafe erweckt sieht durch denselbigen, der ihn selbst
davor bewahrte.
Zweites Buch - Achtes Kapitel
Was hatte ich nun, einst elend, für Frucht
von dem, dessen ich mich jetzt in der Erinnerung schäme:
hauptsächlich von jenem Diebstahle, bei dem ich nur den Diebstahl
an sich liebte? Nichts anderes (als eben den Diebstahl), da er
selbst nichts war und ich durch ihn nur noch elender wurde. Und
doch hätte ich es für mich allein nicht getan, insoweit
erinnere ich mich meiner damaligen gemütlichen Verfassung;
allein hätte ich es gewißlich nicht getan. So liebte
ich dabei auch die Gesellschaft meiner Mitschuldigen, also doch
noch etwas anderes als den Diebstahl, im Grunde genommen aber
doch nichts anderes, weil auch jene ein Nichts. Was aber hat denn
ein wahres Sein? Wer soll mich darüber belehren, wenn nicht
du, welcher mein Herz erleuchtet und zerstreut seine Schatten'
Was ist es, was mir in den Sinn kam, zu erforschen, zu untersuchen
und zu betrachten? Wenn ich an jenen entwendeten Früchten
damals Gefallen gefunden und sie zu genießen begehrt hätte,
dann konnte ich es auch allein tun, wenn ich jene Sünde begehen
wollte, nur um meiner Lust zu frönen, und hätte nicht
nötig gehabt, durch Reizung meiner Mitschuldigen den Kitzel
meiner Lust zu entzünden. Aber weil ich an jenen Früchten
kein Vergnügen fand, so fand ich an der Tat selbst den Reiz,
welcher durch die Gesellschaft meiner Mitschuldigen erhöht
wurde.
Zweites Buch - Neuntes Kapitel
Was war nun jenes Streben meines Herzens? Gewiß
war es überaus schändlich, und mir war's wehe, daß
ich es hatte. Doch was war es eigentlich? Wer durchschaut die
Missetat? Ein Hohnlachen war's, das hervorging aus einem Kitzel
des Herzens, weil wir die betrogen, welche uns solcher Missetat
nicht für fähig hielten und sie von Grund ihres Herzens
verdammten. Weshalb ergötzte es mich deshalb mehr, als wenn
ich es allein getan hätte? Etwa weil niemand leicht allein
lacht? Gewiß tut dies niemand so leicht, aber doch befällt
einzelne Menschen, welche allein sind und niemand anderes gegenwärtig
ist, zuweilen ein Lachen, wenn ihnen etwas allzu Lächerliches
in den Sinn kommt oder vor die Seele tritt. Aber ich hätte
es ganz allein nicht getan, gewiß nicht Siehe, mein Gott,
offen liegt vor dir die lebendige Erinnerung meiner Seele. Allein
hätte ich jenen Diebstahl nicht verübt, bei welchem
mich nicht nach dem Objekt, sondern nach dem Diebstahle selbst
gelüstete, der, allein begangen, mich ganz und gar nicht
ergötzt haben würde. O Freundschaft, die doch nur Feindschaft
ist, unerforschbare Verführung des Geistes; Begierde, die
zum Spaß und Scherz zu schaden sucht; Lust nach fremdem
Schaden, nicht entsprungen aus Gewinnsucht, nicht hervorgegangen
aus Rachgier, sondern aus den Worten: »Kommt, laßt
uns gehen, laßt uns etwas verüben«, und man schämt
sich der Unverschämtheit nicht, Folge zu leisten.
Zehntes Kapitel
Wer löst diesen verworrensten und verwickeltsten
Knoten? Doch hinweg, ich mag ihn nicht fest ins Auge fassen, ich
will ihn nicht sehen. Dich nur will ich sehen, die Gerechtigkeit
und Unschuld, schön und herrlich in erhobener Klarheit und
von einer Sättigung ohne Ende. Groß ist die Ruhe bei
dir und ein Leben ohne Trübsal. Wer eingeht zu dir, geht
ein zu seines Herrn Freude, keine Furcht macht ihn erzittern,
und am besten wird ihm sein bei dem Besten. Von dir bin ich gewichen
und in die Irre gegangen, mein Gott, auf Abwegen, allzu fern von
deiner Feste in meiner Jugend, und wurde zu einer Stätte
des Darbens.
DRITTES BUCH
Erstes Kapitel
Nach Karthago kam ich und von allen Seiten umtoste
mich das ekle Gewirr schändlicher Liebeshändel. Noch
liebte ich nicht, doch suchte ich Liebe, und aus einem tieferen
und besseren Liebesbedürfnis zürnte ich mir, daß
Ich wenig liebesbedürftig war. Im Drange nach Liebe suchte
ich den Gegenstand meiner Liebe und haßte die Sicherheit
und den Weg ohne Fallstricke. Du selbst, o mein Gott, hattest
mir eingepflanzt in das Herz einen Hunger, der du selbst bist
die Speise des Herzens; dieser Hunger aber war nicht lebendig
in mir, sondern ich war ohne Sehnsucht nach unvergänglicher
Speise, doch nicht, weil ich etwa erfüllt war von ihr, sondern
je leerer ich war, desto mehr widerstand sie mir. Deshalb siechte
meine Seele, und in ihrem Elend warf sie sich hinaus in die Außenwelt,
gierend nach sinnlicher Reizung. Wohl würde auch das Sinnliche
nicht geliebt werden, wenn es nicht beseelt wäre; aber Lieben
und Geliebt werden, es war mir am köstlichsten, wenn ich auch
den Körper der Geliebten genießen konnte. So trübte
ich den Quell der Freundschaft mit dem eklen Schlamme der Sinnenlust,
ihren reinen Glanz verdunkelte ich durch höllische Lüste,
und so abscheulich und ehrlos ich war, so wollte ich doch im Übermaß
der Eitelkeit für fein und gebildet gelten. So stürzte
ich mich hinein in die Liebe, die mich fesseln sollte. Du aber,
o mein Gott und mein Erbarmer, wie hast du mir in deiner Güte
diese Süßigkeit vergällt! Denn ich wurde geliebt,
und insgeheim verstrickte ich mich in die Fesseln des Genusses
und ließ mich mit schmerzbringenden Banden umgarnen, um
dann gepeitscht zu werden von den glühenden Eisenruten der
steten Eifersucht, des Argwohns, der Furcht, des Zorns und das
Zwistes.
Drittes Buch - Zweites Kapitel
Auch die Schauspiele rissen mich hin, weil
sie erfüllt waren von Bildern meines eigenen Elends und neuen
Zunder boten für mein brennendes Herz. Wie kommt es doch,
daß der Mensch den Schmerz sucht beim Anblick von tragischen
Szenen, Schmerzen, die er doch selbst nicht erleiden möchte?
Und doch will er im Zuschauen Schmerz erleiden, und der
Schmerz selbst ist es, der ihm Wonne schafft. Was ist dies anders
als klägliche Torheit? Und um so mehr wird jemand von ihnen
erregt, je weniger er von solchen Leidenschaften frei ist. Leidet
er sie selbst, so pflegt er sie Leid, leidet er sie mit anderen,
so pflegt er sie Mitleid zu nennen. Was aber bezweckt ein solches
Mitleid bei szenischen Dichtungen? Der Hörer wird nicht zur
Hilfe herbeigerufen, nur zum Scherz wird er eingeladen, und das
ist der beste Schauspieler, der den größten Schmerz
zu erregen weiß. Und gelangweilt und verdrossen geht er
hinweg, wenn jene menschlichen Leiden, die entweder weit hinter
uns liegen oder ganz und gar erdichtet sind, so dargestellt werden,
daß der Zuschauer keine schmerzliche Regung empfindet; wird
dagegen sein Mitgefühl in hohem Grade erregt, so bleibt er
in Spannung und freut sich unter Tränen. So kann also auch
der Schmerz gebebt werden, während doch jeder Mensch die
Freude sucht. Und wenn auch das Leiden an und für sich keinem
gefällt, so gefällt ihm doch das Mitleid. Weil dies
aber ohne Schmerz unmöglich ist, so werden vielleicht nur
um deswillen die Schmerzen geliebt. Das aber hat in jenem Quell
der Freundschaft seine Begründung. Doch wohin eilt dieser
Quell, wohin fließt er? Warum verläuft er sich in einen
wilden Pechstrom, der kochend heraufsteigen läßt die
entsetzliche Glut aufwallender scheußlicher Gelüste,
in welche er sich verwandelt und verkehrt, abgelenkt und hinabgestürzt
von himmlischer Klarheit durch den eigenen sündigen Gang?
Soll aber darum das Mitleid verworfen werden? Keineswegs, denn
nur so kann der Schmerz zuweilen geliebt werden. Aber hüte
dich, meine Seele, vor der Unreinigkeit, unter dem Schutz meines
Gottes, des Gottes unserer Väter, des Preiswürdigen,
in alle Ewigkeit Erhabenen, ja hüte dich vor Unreinigkeit.
Auch jetzt bin ich nicht mitleidslos; damals aber im Theater freute
ich mich mit den Liebenden, wenn sie die Frucht ihrer Schande
genossen, obgleich sie es nur spielweise im Theater aufführten.
Wenn sie einander verloren, so trauerte ich mit ihnen, als sei
ich wahrhaft mitleidig, und doch erfreute mich beides. Ich aber
nahm einen größeren Anteil an dein, der in der Schande
seine Freude fand, als widerführe ihm Hartes durch den Abbruch
verderblicher Lust und die Einbuße elenden Glückes.
Das aber ist das wahrhaftige Mitleid, in welchem der Schmerz keinen
Genuß findet. Denn obgleich durch die Pflicht der Nächstenliebe
Mitleid an und für sich geboten ist, so wünscht der
von aufrichtigem Mitgefühl Beseelte doch Leber keine Ursachen,
solchen Schmerz zu empfinden. Denn gäbe es ein böswilliges
Wohlwollen, was freilich unmöglich, dann könnte auch
der, welcher wahrhaft aufrichtiges Mitleid hegt, wünschen,
es gäbe Leidende nur zu dem Zwecke, Mitleid empfinden zu
können. So kann also ein Schmerz wohl gebilligt, nie aber
darf er geliebt werden. Denn du, mein Herr und mein Gott, bist
es, der die Seelen liebt, und zwar weit reiner denn du, dessen
Mitleid ein unvergängliches ist, weil du voll keinem Schmerze
verwundet wirst. Und wer ist hierzu tüchtig,
Aber ich Unseliger liebte den Schmerz und suchte nach einem
Gegenstände für meinen Schmerz, da mir die Darstellung
eines Schauspielers bei fremdem erlesenem, unwahrem und vorgegaukeltem
Schmerze am besten gefiel und mich um so mächtiger anzog,
je mehr er mir Tränen entlockte. Was Wunder, wenn ich unglückliches
Lamm, voll der Herde abirrend und deiner Flut mich entziehend,
durch häßlich, Räude entstellt ward. Daher stimmt
meine Liebe zum Schmerz, doch nicht solchen Schmerzen, die mich
tiefer durchdringen, war es doch keineswegs mein Wunsch, das Geschehene
selbst zu erleiden, nur oberflächlich wollte ich von der
gehörten Dichtung berührt werden. Und doch folgte, wie
bei denen, die sich mit den Nägeln zerkratzen, brennende
Geschwulst, Fäulnis und ekler Eiter. Das war mein Leben,
o mein Gott; war denn das aber überhaupt ein Leben?
Drittes Buch - Drittes Kapitel
Doch ob meinem Haupte umschwebte mich dein treues göttliches
Erbarmen von fern. Wie verfaulte ich in großen Sünden
und ging nach frevelhaftem Fürwitz, der mich, da ich dich
verließ, in trügerische Tiefen führte und zum
Gehorsam gegen dämonische Mächte verleitete, die mich
überlisteten und denen ich als Opfer meine Schandtaten darbrachte
und all dies diente mir zur Züchtigung Sogar bei der Feier
des dir geweihten Dienstes innerhalb der Mauern deiner Kirche
vermaß ich mich, fleischliche Lüste zu liegen und mich
um Fruchte des Todes zu bewerben. Deshalb schlugst du mich mit
schweren Strafen; doch ich erkannte nicht die Größe
meiner Schuld, du mein erhabener Erbarmer, du mein Gott, der meine
Zuflucht vor den bösen Feinden, unter denen ich mich vermessenen
Hauptes umhertrieb, um mich weit von dir zu entfernen deine Wege
waren nicht die meinigen, und ich Lebte die flüchtige Freiheit.
Auch jene wissenschaftlichen Studien, die man für ehrenvoll
hielt, hatten ihr Anziehendes für mich, besonders im Hinblick
auf Rechtshändel, damit ich mich in ihnen je trügerischer,
um so lobenswerter auszeichnete. So groß ist die Blindheit
der Menschheit, daß sie sich sogar ihrer Blindheit rühmt.
Schon glänzte ich in der Rednerschule und stolze Freude erfüllte
mich darob, und meine Hoffart nahm zu, wenn auch mehr Maß
haltend du weißt es, o Herr! und zugleich fern von solchen
Verwüstungen, welche anrichteten jene "Wüstlinge"
dies ist ihr Name, ominös und teuflisch gilt er gleichsam
als Kennzeichen feiner Bildung. Unter ihnen lebte ich in schamloser
Scham, weil ich noch nicht ihre Verderbtheit erreicht hatte; mit
ihnen verkehrte ich und freute mich über ihre Freundschaft,
und doch schreckte ich zurück vor ihren Taten, vor ihren
wüsten Streichen. womit sie frech der Einfalt Unerfahrener
nachstellten, die sie irrezuführen suchten und mit denen
sie in teuflischer Schadenfreude ihr frevelhaftes Spiel trieben.
Nichts ist den Taten der teuflischen Mächte ähnlicher,
und mit vollem Rechte heißen sie "Wüstlinge",
selbst gänzlich verdorben und verkehrt durch die trug vollen
Mächte, die sie unbemerkt verhöhnen und verführen,
heben sie es, nun auch andere auf gleiche Art zu verhöhnen
und zu verführen.
Drittes Buch - Viertes Kapitel
Im Umgange mit solchen Menschen beschäftigte ich mich, der
damals noch Unmündige, mit den Schriften der Beredsamkeit,
in der ich mich auszuzeichnen strebte, in verwerflicher und eitler
Absicht zur Frönung menschlicher Eitelkeit; in der herkömmlichen
Folge geriet ich auf die Schrift eines gewissen Cicero, dessen
Sprache, nicht dessen Geist wohl alle bewundern. Dieses Buch enthielt
eine Ermahnung zur Philosophie und war "Hortensius"
betitelt. Dieses Buch wandelte meinen Sinn, kehrte, o Herr, mein
Gebet zu dir und gab meinen Wünschen und meinem Sehnen eine
andere Wendung. Plötzlich sank zusammen all meine eitle Hoffnung,
und mit unglaublichem Herzensdrang ersehnte ich unsterbliche Weisheit
und ich machte mich auf, zu dir zurückzukehren. Denn nicht
um die Sprache zu verfeinern nahm ich dies Buch vor, wie es das
Geld, welches die Mutter dafür ausgab der Vater war nämlich
zwei Jahre vorher gestorben für den nun neunzehnjährigen
Jüngling bezweckte, nein, nicht deshalb benutzte ich jenes
Buch, nicht der Stil, sondern der Inhalt war es, welcher mich
gewann.
Von welch glühender Sehnsucht ward ich nun erfaßt,
o mein Gott, wie entbrannte ich, mich über den Staub der
Erde zu erheben und aufzuschweben zu dir, und ich wußte
nichts von deinem Ratschluß! Bei dir ist die Weisheit. Die
Liebe zur Weisheit heißt nun in griechischer Sprache Philosophie,
und jene Schrift feuerte mich dazu an. Menschen aber gibt es,
die uns durch die Philosophie verführen, indem sie ihre Irrlehren
mit einem großen, lockenden und ehrenvollen Namen färben
und schmücken, und fast alle früheren und zeitgenössischen
Philosophen werden in dem Buche aufgeführt und charakterisiert.
Dies bestätigt deines Geistes heilsame Mahnung, die du aussprachst
durch deinen frommen und getreuen Knecht: Sehet zu, daß
euch niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung,
nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen und nicht
nach Christo; denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit
leibhaftig. Damals, du weißt es, Licht meines Herzens, freute
ich mich besonders, da die apostolischen Worte mir noch nicht
bekannt waren, über jene Mahnung, weil ich nicht diese oder
jene philosophische Richtung, sondern die Weisheit selbst, in
welcher Form sie mir auch entgegentrat, liebte, sie aufsuchte,
verfolgte und fest und innig umschloß. Mächtig ergriffen
ward ich durch jene Schrift, entzündet und entflammt war
ich, nur dies stieß mich trotz solcher hohen Begeisterung
zurück, daß der Name Christi nicht darin enthalten
war. Denn nach deiner Barmherzigkeit, o Herr, hatte mein Herz
in zarter Kindheit mit der Muttermilch den Namen meines Erlösers
eingesogen und unvergeßlich festgehalten, und was diesen
Namen nicht enthielt, so gelehrt, so fein und wahr es auch immer
sein mochte, es konnte mich nicht mit ganzer Seele erfassen.
Drittes Buch - Fünftes Kapitel
Daher beschloß ich, mich an die heilige Schrift zu wenden,
um ihr Wesen und ihren Wert zu ergründen. Und siehe, ich
erblicke in ihr, was nicht erforscht von den Hoffärtigen,
nicht enthüllt ist den Unmündigen, sondern was niedrig
beim Eingang, erhaben beim Fortgang und verschleiert ist von Geheimnissen;
ich aber war nicht also beschaffen, daß ich hätte in
die Tiefe eindringen oder den Nacken hätte beugen können,
um ihrer Spur zu folgen. Denn ich fühlte damals nicht, als
ich die Schrift las, wie ich jetzt rede; die Schrift schien mir
unwürdig, mit der ciceronianischen Würde nur überhaupt
verglichen zu werden. Meine Aufgeblasenheit scheute ihr Maßhalten
und mein Scharf blick drang nicht ein in ihre Tiefen. Und doch
war sie derart, daß sie mit den Kleinen wachsen sollte;
ich aber verschmähte dieser Kleinen einer zu sein, und geschwollen
von Stolz, dünkte ich mich groß zu sein.
Drittes Buch - Sechstes Kapitel
Ich geriet deshalb unter Menschen voll wahnsinniger Überhebung,
voll Fleischeslust und Geschwätzigkeit, in deren Munde Schlingen
des Teufels waren und ein Vogelleim, bereitet aus einer Mischung
toter Buchstaben deines Namens und des Herrn Jesu Christi und
unseres Trösters, des heiligen Geistes. Diese Namen wichen
nicht von ihren Lippen; aber es war nur leerer Schall und Wortgeklingel,
und ihr Herz war ohne die Wahrheit. Und doch war "Wahrheit"
und immer wieder Wahrheit ihr Losungswort und viel sprachen sie
nur von ihr aber Wahrheit war nicht in ihnen. Lügen sprachen
sie nicht nur von dir, der du wahrhaftig die Wahrheit bist, auch
von den Elementen dieser Welt, deiner Schöpfung, über
welche ich auch die wahren Ansichten der Philosophie verlassen
mußte, aus Liebe zu dir, mein höchster und bester Vater,
Schönheit alles Schönen. O Wahrheit, Wahrheit, wie sehnte
sich damals mein Geist in seinen innersten Tiefen nach dir, wenn
jene mir mit Wort und Schrift ohne Aufhören von dir redeten.
Lockspeisen waren es nur, die mir, da ich nach dir Hunger hatte,
statt deiner Sonne und Mond reichten, deine schönen Werke,
doch deine Werke nur, nicht du selbst noch deine erstgeschaffenen.
Denn vor jenen körperlichen Geschöpfen, wie herrlich
sie auch am Himmel erglänzen, waren deine geistigen. Ich
aber hungerte und dürstete auch nach jenen erstgeschaffenen
Werken nicht, sondern nach dir allein, der du die Wahrheit bist,
bei welchem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts
und der Finsternis. Hirngespinste wurden mir in jenen Lockspeisen
dargeboten; besser noch wäre es gewesen, jene Sonne zu begehren,
die wenigstens vor unseren Augen wirklich scheint, als jene Truggebilde,
die unsere Seelen durch das Auge berücken. Und doch genoß
ich damals, dieweil ich dich meinte, nicht gierig davon, da du
nicht schmecktest in meinem Munde, wie du wirklich bist; du warst
nicht in jenen Truggebilden begriffen, keine Nahrung gewährten
sie mir, sie erschöpften mich nur mehr und mehr. So ist die
Speise, die wir im Traume genießen, der Speise, die wir
im Wachen zu uns nehmen, ganz ähnlich, und doch werden die
Schlafenden nicht davon gesättigt sie schlafen eben. jene
Gebilde aber waren dir, wie du mir jetzt geoffenbart bist, ganz
und gar unähnlich; denn es waren sinnliche Vorstellungen,
schöne Bildungen auf Grund jener wahren Körper, die
wir mit leiblichen Augen sehen und die viel zuverlässiger
sind, sie mögen nun hier auf der Erde sich befinden oder
am Himmel. Wir erblicken sie ebenso wie die Tiere und die Vögel,
und sie haben größere Wirklichkeit, als wenn wir sie
uns denken. Und wiederum denken wir sie uns mit größerer
Wirklichkeit, als wenn wir aus ihnen andere größere,
ja unendliche Wesen uns ableiten, die überhaupt nicht sind.
Mit solchen nichtssagenden hohlen Begriffen ward ich damals abgespeist
und doch nicht gespeist. Du aber, meine Liebe, für die ich
schwach bin, damit ich stark sei, hast deinem Wesen nach nichts
mit jenen Körpern gemein, die wir sehen, obgleich sie am
Himmel sind, noch mit denen, die wir dort nicht sehen, weil du
sie geschaffen hast, noch zählst du sie zu deinen höchsten
Schöpfungen. Wie weit entfernt bist du nun gar von jenen
meinen Hirngespinsten, jenen Scheingebilden, die gar nichts sind.
Eine größere Gewißheit bilden die Vorstellungen
von Körpern, welche sind, und gewisser noch als diese sind
die Körper selbst, an denen jedoch dein Wesen unteilhaft
ist; selbst die Seele bist du nicht, die das Leben des Körpers
ist, wenn auch dies Leben der Körper besser ist als der Körper
selbst. Du aber bist das Leben der Seelen, das Leben der Leben;
du lebst dich selbst in steter Gleichheit Leben auch meiner Seele.
Wo warst du nur damals und wie weit entfernt? Weit hinweg war
ich gegangen von dir; die Trebern, damit ich die Säue nährte,
waren mir selbst versagt. Wie weit besser waren da noch die Märlein
der Grammatiker und Dichter als jene Schlingen, Verse und Dichtungen,
die dahinschwebende Medea, sie war gewißlich nicht so schädlich
wie jene Elemente, die wegen de, fünf Höhlen der Finsternis
fünf verschiedene Farben haben und gar nicht sind und den,
der daran glaubt, zugrunde richten. jene Verse und Dichtungen
wurden mir Mittel zu echter Geistesnahrung. Wenn ich auch vortrug,
Medea sei durch die Luft geflogen, ich hielt es doch nicht für
wahr und glaubte es nicht, auch wenn andere es vortrugen; jenes
aber habe ich wirklich geglaubt. Wehe! Wehe mir, auf welchen Stufen
ward ich hinabgeführt in die Tiefe der Hölle! Denn ich
rang und sehnte mich nach der Wahrheit, als ich dich, meinen Gott,
ich bekenne es dir, der du barmherzig warst mit mir, auch als
ich dich noch nicht bekannte, als ich dich, mein Gott, suchte,
nicht mit der Erkenntnis des Geistes, damit du mich über
das Tier erheben wolltest, sondern aus fleischlichem Sinn. Du
aber warst tiefer als mein lnnerstes und höher als in ein
Höchstes. Ich traf auf jenes wilde törichte Weib, jenes
salomonische Rätsel, das da sitzet in der Tür ihres
Hauses auf dem Stuhl und spricht: Das verborgene Boot ist niedlich
und die verstohlenen Wasser sind süße. Diese hat mich
verführt, da sie mich fand draußen mit dem Auge meines
Fleisches, wie ich wiederkäute, was ich mit jenem verschlang.
Drittes Buch - Siebentes Kapitel
Denn ich kannte das andere nicht, was wirklich ist, und beinahe
aberwitzig reizte es mich, törichten Betrügern beizupflichten,
wenn sie mich fragten, woher das Böse stamme, ob Gott durch
körperliche Gestalt begrenzt werde, ob er Haare und Nägel
habe, ob man solche für gerecht halten könne, die Vielweiberei
getrieben, Menschen getötet und Tiere geopfert hätten.
Dadurch ward ich Unkundiger verwirrt, und da ich mich von der
Wahrheit entfernte, rühmte ich mich, ihr näher zu treten,
weil ich nicht wußte, daß das Böse nur eine Schmälerung
des Guten ist, bis es zuletzt gar nicht mehr ist. Wie hätte
ich dies erkennen können, ich, dessen Sehen mit leiblichen
Augen nur auf den Körper, mit den Augen des Geistes nur auf
Trugbilder gerichtet war? Ich wußte nicht, daß Gott
ein Geist sei, der keine Glieder besitze von räumlicher Ausdehnung
und keinen festen Stoff an sich habe, weil ein Teil des Stoffes
kleiner ist als das Ganze und weil, gesetzt er wäre unbegrenzt,
der Teil doch durch einen begrenzten Raum beschränkt, kleiner
ist als das Unendliche und nicht überall ein Ganzes wie der
Geist, wie Gott. Und wer der Gottähnliche in uns sei, demzufolge
die Schrift uns "zum Bilde Gottes" geschaffen nennt,
das war mir gänzlich unbekannt.
Unverstanden blieb auch die wahre innere Gerechtigkeit, die nicht
nach dem Gesetz der Gewohnheit richtet, sondern nach dem untrüglichen
Gesetz des allmächtigen Gottes, nach welchem sich bilden
sollen die Sitten der Länder und Zeiten, wie es deren Eigentümlichkeit
angemessen ist, während das göttliche Gesetz selbst
überall und stets dasselbe ist und nicht nach Ort und Zeit
sich wandelt; nach ihm sind Abraham, Isaak, Jakob, Moses, David
und alle jene gerecht, welche Gott selbst gerechtfertigt hat.
Und von den Unkundigen werden sie für ungerecht gehalten,
weil diese richten nach einem menschlichen Tage und alle Sitten
des Menschengeschlechts nur einseitig nach ihrer Sitte beurteilen.
Ist das aber nicht gerade so, wie wenn jemand, der von Waffen
nichts versteht und von ihrer Benutzung nichts weiß, sein
Haupt mit der Beinschiene bedecken und mit dem Helme den Fuß
rüsten Will und der murrt, weil sich nichts anpassen will,
oder wenn für einen Nachmittag Gerichts und Handelsferien
festgesetzt sind und er dann unzufrieden wäre, daß
er nachmittags nichts feilbieten könne, da es doch vormittags
erlaubt gewesen; oder darüber, daß er in einem Hause
irgendeinen Sklaven etwas verrichten sieht, was der Mundschenk
nicht verrichten darf, oder wenn irgend etwas hinter dem Stalle
geschieht, was bei Tisch nicht schicklich ist, und er darüber
zürnen wollte, daß nicht allen dasselbe zuerteilt und
erlaubt sei, obgleich es ein und dasselbe Haus und ein und dasselbe
Gesinde ist? Solch Geistes Kinder sind diejenigen, welche unwillig
sind, wenn sie vernehmen, daß in jenem Zeitalter den Gerechten
von Gott etwas erlaubt gewesen sei, was jetzt denen, die gerecht
sein wollen, nicht mehr gestattet ist, und daß Gott diesen
und jenen verschiedene Gesetze gab nach den Zeitumständen,
während sie beide derselben Gerechtigkeit dienten, wenn sie
sahen, wie bei denselben Menschen an demselben Tage in demselben
Hause dies dem einen Gliede und jenes dem andern schicklich ist
und anders schon lange erlaubt war, was nach einer Stunde nicht
mehr erlaubt ist, daß irgend etwas in einem Winkel erlaubt
oder geboten sei, was in einem andern mit Recht verboten oder
gestraft wird. Ist denn die Gerechtigkeit wandelbar und ausständig?
O nein, nur die Zeiten, über weiche die Gerechtigkeit thront,
sie fließen nicht in gleichem Strome dahin ' denn es sind
Zeiten. Die Menschen freilich, deren Erdenleben nur eine kurze
Spanne Zeit umfaßt, sie vermögen die Zustände
früherer Jahrhunderte und anderer Völker, die sie nicht
erlebt haben, mit den von ihnen durchlebten nicht in Einklang
zu bringen in ihrem Sinn, ob sie auch an jedem Körper, Tage
oder Gesuche zu erforschen wissen, was jedem Gliede schicklich
sei, sowie jedem Augenblick und jedem Mitglied des Hauses, diesem
fügen sie sich, an jenem nehmen sie Anstoß.
Dies wußte ich damals weder noch erkannte ich es. Überall
trat es mir entgegen und ich sah es nicht. Ich trug Gedichte vor
und durfte das Versmaß nicht nach Belieben feststellen,
sondern mußte in einer den jeweiligen Umständen angemessenen
Weise verfahren und konnte auch, wenn es das selbe Versmaß
war, nicht immer denselben Versfuß setzen. Die Kunst selbst,
die mir als Richtschnur diente, enthielt nicht nur diese oder
jene Versart, sondern alle zugleich. Und doch sah ich nicht ein,
daß die göttliche Gerechtigkeit, der gute und fromme
Menschen untertan waren, in weit herrlicherer und erhabenerer
Weise alle Vorschriften enthält und keinerlei Schwankung
zeigt und doch zu verschiedenen Zeiten nicht alles zugleich, sondern
nur das ihnen Zukommende zuerteilt und befiehlt. Ich Blinder tadelte
die frommen Väter, nicht bloß, weil sie so, wie Gott
ihnen befahl und eingab, die Gegenwart anwendeten, sondern auch,
wenn sie so weissagten, wie Gott ihnen die Zukunft enthüllte.
Drittes Buch - Achtes Kapitel
Hat man es wohl je für ein Unrecht gehalten, Gott zu lieben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt
und den Nächsten als sich selbst? Darum sind Schandtaten,
die wider die Natur sind, immer und überall zu verabscheuen
und zu bestrafen als solche' die denen Sodoms gleichkommen. Begingen
alle Völker solche, so würden sie nach dem göttlichen
Gesetze derselben Strafe verfallen, da sie nicht dazu geschaffen
sind, um auf solche Weise Mißbrauch zu üben. Die Gemeinschaft,
welche wir mit Gott haben sollen, wird verletzt, wenn die Natur,
deren Schöpfer er ist, durch widernatürliche Lust befleckt
wird. Die Vergehen aber, insofern sie sich nur auf die Sitten
der Menschen erstrecken, sind nach der Verschiedenheit der Sitten
zu meiden, damit der Brauch, welchen Gemeinde oder Volk durch
Gewohnheit oder Gesetz festigte, durch keine Zügellosigkeit
eines Bürgers oder Fremden verletzt wird. Denn schändlich
ist jedes Glied, das nicht mit seinem Ganzen übereinstimmt.
Wenn aber Gott gegen Sitte und Brauch einiger Menschen etwas verordnet,
so ist sein Gebot, auch wenn es dort noch nie geschehen ist, doch
zu vollführen, doch zu erneuern, wenn es bisher unterlassen,
und einzuführen, wenn es bisher noch nicht eingeführt
war. Wenn schon ein König die Macht hat, in dem Staate, über
den er herrscht, Befehle zu erteilen, die vorher weder ein anderer
noch er selbst erteilt hat, und es nicht gegen das Staatsrecht
ist, Gehorsam zu leisten, im Gegenteil eine Verweigerung des Gehorsams
Rechtsverletzung wäre denn Gehorsam gegen den König
ist der Kardinalpunkt des bürgerlichen Rechtes , um wie viel
mehr gebührt Gott, dem König der gesamten Schöpfung,
zweifellos Gehorsam allen seinen Befehlen gegenüber. Denn
wie bei den Mächten der menschlichen Gesellschaft die größere
Macht Gehorsam von der kleineren verlangt, so verlangt Gott von
allen Gehorsam.
Ebenso ist es bei den Freveltaten, deren Ausgangspunkt Schadenfreude
ist; sei es, daß man dem andern Schmach oder Unrecht zuzufügen
sucht, oder beides, wo Rachsucht vorhanden, wie der Feind dem
Feinde; oder um sich der andern Hab und Gut anzueignen wie der
Räuber, wenn er den Wanderer beraubt, oder auch um ein Übel
abzuwenden wie einer, der Furcht empfindet; oder wenn Neid die
Triebfeder ist, wie der Unglückliche aus diesem Grunde dem
Glücklichen zu schaden sucht; oder bei glücklichem Fortgang
einer Sache aus Furcht und Ärger über den Wetteifer
eines anderen; oder auch aus reinem Vergnügen an fremdem
Leid wie der Zuschauer gegenüber den Gladiatoren bei den
Fechterspielen oder wie der Schöker und andere hämische
Leute. Dies sind die hauptsächlichsten Sünden, die hervorgehen
aus der Fleischeslust und der Augenlust und hoffärtigem Leben,
entweder aus einem oder aus zweien oder auch aus allen zugleich;
so wird gesündigt wider drei und sieben derlei Gebote, wider
deinen Psalter mit den zehn Seiten, gegen dein Gesetz, du höchster
und herrlichster Gott! Können wir dich denn alle durch Freveltaten
beleidigen, der du doch nicht verletzt wirst, oder welche Verbrechen
können wir gegen dich verüben, dem zu schaden unmöglich?
Du aber strafst die Sünden der Menschen, weil sie im Sündigen
gegen dich auch gegen ihre eigenen Seelen sündigen und ihre
Bosheit sich selbst belügt durch Verderben und Verkehrung
ihrer Natur, welche du geschaffen und geordnet hast, oder durch
unmäßigen Gebrauch des Erlaubten oder durch entflammte
Lust nach dem Unerlaubten, das wider die Natur ist, oder sie laden
Schuld auf sich, wenn sie mit Herz und Worten gegen dich wüten
und wider den Stachel löcken. Oder sie durchbrechen die Schranke
der menschlichen Gesellschaftssatzungen und freuen sich in ihrer
Frechheit an Sonderverbänden und Trennungen, je nachdem sie
etwas ergötzt oder ihren Ärger erregt. Das entspringt
daraus, wenn dich die Menschen verlassen, O Quelle alles Lebens,
der du bist alleiniger und wahrer Schöpfer und Regierer des
Weltalls, und wenn sie in selbstsüchtigem Hochmute einzelnes
heben, das trüglich ist. Und in kindlich demütiger Liebe
können wir zurückkehren zu dir; du reinigst uns von
bösen Lüsten und schenkst deine Gnade denen, die ihre
Sünde reuig bekennen, und erhörst das Seufzen der Gefangenen
und erlösest uns von den Banden, die wir uns selbst geschmiedet,
wenn wir nicht mehr gegen dich falsche Freiheitsgelüste hegen
und ablassen von der Gier, mehr zu besitzen, die uns Gefahr schafft,
alles einzubüßen, wenn wir unser Eigentum mehr lieben,
denn dich, Gut aller Güter.
Drittes Buch - Neuntes Kapitel
Unter den Freveltaten aber und Verbrechen und so vielen anderen
Unbilden sind auch noch die Sünden der in der Heiligung Fortschreitenden,
die von gerecht Urteilenden nach dem Maße der erreichten
Vollkommenheit getadelt und nach der Hoffnung auf gute Frucht
wie die luftgrünende Saat gelobt werden. Auch sieht gar manches
einer Sünde und einem Verbrechen ähnlich und ist es
doch gar nicht, weil es weder dich, den Herrn unsern Gott, verletzt
noch die menschliche Gesellschaft. So wird z. B. etwas zu Nutz
und Frommen des Lebens in günstiger Zeit erworben, und ist
es ungewiß, ob es nicht mir aus Habsucht geschieht, oder
es wird manches von der dazu verordneten Macht in der Absicht,
Besserung zu bewirken, bestraft, und ist unsicher, ob es nicht
nur aus Schadenfreude geschah. Vieles, was die Menschen verworfen,
ist doch nach deinem Zeugnisse gebilligt; über vieles aber
dagegen, was die Menschen lobenswert finden, hast du dein Verdammungsurteil
ausgesprochen. Denn oft ist das Äußere einer Tat ganz
anders als Sinn und Absicht des Handelnden und die den Menschen
in ihrer Eigentümlichkeit verborgenen Zeitumstände.
Wenn du ,iber irgend etwas völlig Ungewohntes oder Unerwartetes
gebietest, auch wenn du es einstmals verboten hättest, so
müßte doch jedenfalls dein .Befehl befolgt werden,
selbst wenn du die Ursache deines Gebotes zur Zeit noch verborgen
hieltest und es gegen gesellschaftlichen Brauch der Menschen wäre,
wenn jene menschliche Gesellschaft gerecht ist, welche dir dient
Glücklich sind die, welche wissen, was du ihnen befahlst,
denn alles, was deine Diener tun, geschieht entweder zum Heile
der Gegenwart oder auf die Zukunft hin.
Drittes Buch - Zehntes Kapitel
In meiner Unkenntnis der Dinge verlachte ich deine heiligen Knechte
und deine Propheten. Aber da ich sie verlachte, was tat ich anders,
als daß ich selbst ward ein Sport vor dir? Allmählich
kam ich so weit in den Torheiten der Manichäer, daß
ich glaubte, die Feige mitsamt ihrem mütterlichen Bäume
vergieße milchweiße Tränen, wenn man sie pflücke.
Wenn jedoch ein Auserwählter eine solche durch fremdes, nicht
durch eigenes Vergehen abgepflückte Feige gegessen hätte,
so würde er, wenn er sie verdaue, Engel, ja sogar Teilchen
Gottes aushauchen, während er bete oder wenn es ihn aufstoße.
Diese Teilchen des höchsten und wahren Gottes wären
so hatte man mir gesagt an jene Frucht gebunden geblieben, wenn
sie nicht die Auserwählten mit ihren Zähnen und ihrem
Magen befreit hätten. Und ich Elender glaubte, man müsse
den Früchten der Erde mehr Barmherzigkeit zollen als den
Menschen, um derentwillen sie erschaffen; denn wenn ein Nichtmanichäer
hungernd nach Speise begehrte, so wäre der Bissen gleichsam
verdammt gewesen, den man ihm gereicht hätte.
Drittes Buch - Elftes Kapitel
Und du sandtest deine Hand von der Höhe und errettetest meine
Seele aus der Tiefe der Hölle, da für mich meine Mutter
in treuem Glauben zu dir weinte, mehr Wohl, als eine Mutter sonst
den leiblichen Tod ihres Kindes beweint. Denn sie sah, daß
ich tot war kraft des Glaubens und Geistes, den sie von dir hatte,
und du hast sie erhört, o Herr! ja, du erhörtest sie
und verachtetest nicht ihre Tränen, damit ihr Auge die Erde
netzte, denn sie flehte zu dir; du hast sie erhört. Denn
woher kam ihr sonst jener tröstliche Traum, der sie aufrichtete,
so daß sie mir wieder gestattete, bei ihr zu leben und mit
ihr den Tisch zu teilen, was sie mir verweigert hatte in tiefer
Abscheu vor den Lästerungen meines Irrtums? Sie träumte,
ich stände auf einem hölzernen Richtscheit; da trete
zu ihr ein Jüngling von glänzender Erscheinung, heiter
und fröhlich, während sie traurig und schier vorn Gram
erdrückt war; der fragte sie, warum sie denn so traurig sei,
und nach der Ursache ihrer täglichen Tränen, nicht aus
Neugierde, sondern, wie gewöhnlich bei solchen Erscheinungen,
um seine Belehrung daran zuknüpfen. Und als sie ihm nun antwortete,
mein Verderben beklage sie, da gebot er ihr, sich zu beruhigen,
und ermahnte sie aufzuachten und aufzusehen, denn wo sie wäre,
da sei auch ich. Und da sie nun aufblickte, da sah sie nüch
neben sich stehen auf demselbigen Richtscheit. Woher kam dieser
Traum, wenn nicht von dir, der du dein Ohr neigtest zu ihrem Herzen?
O du Allmächtiger, Gütiger, der du für einen jeden
von uns also sorgst, als hättest du nur für ihn allein
zu sorgen, und dich aller so annimmst wie jedes einzelnen.
Da sie mir nun ihr Gesicht erzählt hatte und ich es gewaltsam
dahin zu deuten nüch unterfing, daß sie vielmehr nicht
daran verzweifeln möchte, das zu vergessen, was ich war,
da sagte sie rasch ohne alles Bedenken: "Mitnichten, denn
es ist mir nicht verkündet worden: 'Wo jener, da auch du',
sondern: 'Wo du, da auch jener.'" Dir, o Herr, bekenne ich
soweit meine Erinnerung mich zurückgehen läßt
, was ich auch sonst nicht verschwieg, daß ich mehr durch
die Antwort, welche du mir durch die sorgende Mutter gabst, bewegt
wurde, weil sie durch meine falsche, so naheliegende Auslegung
nicht in Verwirrung gebracht wurde und so schnell das Richtige
erkannte, was ich, bevor sie es aussprach, wahrlich nicht erkannt
hatte, als durch den Traum, durch den dem frommen Weibe die erst
viel später eintretende Freude zum Trost in ihrem gegenwärtigen
Kummer vorausgesagt wurde. Denn neun lange Jahre folgten tucli
dieser Zeit, in welcher ich in der Tiefe des Sündenschlammes
in der Nacht des Wahnes mich umherwand und der ich, sooft ich
mich erheben wollte, doch nur um so heftiger hineingestoßen
wurde. Währenddessen jedoch hörte jene züchtige
fromme und weise Witwe wie du sie liebst nicht auf, in all ihren
Gebeten zu dir klagend zu flehen um mein Heil. Schon war ihre
Hoffnung lebendiger, doch ward sie trotzdem nicht lässiger
in ihrem Weinen und Seufzen. Und es kam ihr Gebet vor dich, aber
noch ließest du mich wälzen in jener Finsternis und
von ihr eingehüllt werden.
Drittes Buch - Zwölftes Kapitel
Noch eine andere Antwort gabst du meiner Mutter, deren ich mich
erinnere. Denn vieles übergehe ich, deshalb einerseits, weil
ich zu dem eile, was mir dringender erscheint, es dir zu gestehen,
andererseits, weil ich vieles vergaß. jene andere Antwort
gabst du ihr durch einen deiner Priester, einen frommen Bischof,
in deinem Dienst erwachsen und in deiner Schrift wohlerfahren.
Als ihn nun jenes Weib bat, mich einer Unterredung zu würdigen,
um meine Irrtümer zu zerstreuen, mich vom Bösen abzubringen,
das Gute aber mir beizubringen so tat sie es, wenn sie glaubte,
einen geeigneten Mann gefunden zu haben , da verweigerte er es
ihr und tat klug daran, wie ich später erst erkannte. Denn
er antwortete ihr, daß ich noch keiner Belehrung zugänglich
sei, weil ich noch allzusehr von jener neuen Irrlehre erfüllt
sei und viele Unerfahrene schon mit verfänglichen Fragen
beunruhigt hätte, wie sie ihm ja selbst anvertraut habe.
"Laß ihn dort", so sagte er, "und bete für
ihn zum Herrn; er selbst wird durch Lesen schon finden, was sein
Irrtum ist und wie groß seine Gottlosigkeit." Dabei
erzählte er, wie er, als er noch ein kleiner Knabe war, von
seiner verführten Mutter den Manichäern übergeben
worden sei, fast alle ihre Schriften gelesen und sogar oftmals
abgeschrieben habe; wie er dann selbst ohne jemandes Überlegung
und Überführung erkannt habe, wie verderblich jene Sekte
sei und wie er sich von ihr losgemacht habe. Als sie nach diesen
seinen Worten sich noch nicht beruhigen wollte, sondern unter
strömenden Tränen ihn inständig bat, mich zu sehen
und mit mir zu sprechen, da rief er in scheinbarem Unwillen: "Gehe,
denn so wahr du lebst, es ist nicht möglich, daß ein
Sohn solcher Tränen verloren gehe." Und oft sagte mir
meine Mutter, wenn wir in unserem Gespräch darauf kamen,
das Wort habe sie ergriffen, als sei es vom Himmel gekommen.
VIERTES BUCH
Erstes Kapitel
In jenem Zeitraume von neun
Jahren, vom neunzehnten Jahre meines Lebens ab bis zum
achtundzwanzigsten, ward ich irregeführt und führte andere
irre, betrogen und betrügend durch mancherlei Mittel und Wege,
öffentlich durch die Künste, welche man freie nennt, und
heimlich durch den falschen Trugnamen: Religion. Dort war ich stolz,
hier abergläubisch, nichtig aber in allem. Dort suchte ich den
eitlen Ruhm vor dem Volke bis zu theatralischem Beifalle,
Preisgedichten und welken Heukronen, Schauspielpossen bis zur
Zügellosigkeit der Lüste; hier strebte ich mich wieder von
diesem Unrat zu reinigen, indem ich denen, welche Auserwählte und
Heilige genannt wurden, Speise darbrachte, um daraus in der Werkstatt
ihres Magens Engel und Götter zuzubereiten, mittels deren wir
befreit würden. ich hing solchen an und trieb es mit meinen
Freunden, die durch mich und mit mir in die Irre geführt waren.
Mögen mich die Hochmütigen verlachen und alle, die von dir, o
mein Gott, noch nicht zu ihrem Heile gebeugt und niedergeworfen sind;
ich aber will dir meine Freveltaten zu deinem Lobe bekennen. Laß
mich, ich flehe dich an, laß mich meine Irrwege, die ich vordem
gewandelt bin, jetzt in meiner Erinnerung noch einmal verfolgen und dir
bringen das Opfer jubelnden Dankes. Denn was bin ich mir selbst ohne
dich, als mein Führer in das Verderben, oder was bin ich, selbst
wenn es mir wohlgeht, wenn ich nicht trinke deine Milch oder nicht dich
genieße, eine Speise, die nicht vergänglich ist? Wie ist
doch ein jeglicher Mensch geartet, insofern er ein Mensch ist?
Mögen uns verlachen, die da haben die Stärke und die Gewalt;
wir aber, wir, die Armen und Elenden, rühmen deinen Namen.
Viertes Buch - Zweites Kapitel
In jenem Jahre lehrte ich auch
die Redekünste und bot, von meiner Lehrbegierde gefesselt, die
überwindende Geschwätzigkeit feil. Doch wünschte ich
mir, du weißt es, o Herr, nur gute Schüler, was man so gute
nennt, und ohne Trug lehrte ich ihnen Trugkünste, nicht um damit
gegen einen Unschuldigen auftreten zu können, wohl aber zugunsten
der Schuldigen. Und du, o Gott, sahest von ferne meinen auf
schlüpfrigem Wege dahingleitenden und unter großem Rauche
schwach dahinglimmenden Glauben, den ich bei meinem Unterrichte ihnen,
die das Eitle so heb und die Lüge so gern hatten, als ihr Genosse
darbot. In jener Zeit hatte ich auch ein Weib bei mir, zwar nicht in
gesetzlicher Ehe von mir erkannt, sondern eine unstete Brunst war es,
die sie leichtsinnig ausgeschürt hatte. Aber doch nur sie allein
war es, zu der ich hielt und ihr treu blieb. An ihr aber und mir bewies
sich deutlich, was doch für ein Unterschied ist zwischen dem Bund
der Ehe, der geschlossen wird, um Kinder zu zeugen, und einem
Übereinkommen in sündlicher Liebe, wo Kinder geboren werden
wider Wunsch und das geborene Kind uns gleichsam erst zur elterlichen
Liebe zwingt.
Auch erinnere ich mich,
daß mich ein Zeichendeuter, als ich einen dichterischen Zweikampf
eingehen wollte, fragen ließ, was ich ihm geben würde, wenn
er mir den Sieg verschaffte; mit Abscheu vor jenen schändlichen
Zaubereien erwiderte ich aber: "Und wenn der goldene Siegeskranz
Unsterblichkeit verliehe, so wollte ich dennoch nicht, daß
für meinen Sieg auch nur eine Fliege getötet würde."
Jener wollte nämlich bei seinen Opfern Tiere töten, und mir
schien es, als ob er dadurch mir die bösen Geister geneigt machen
wollte. Aber auch diese Sünde verwarf ich nicht mit der Reinheit,
die aus dir stammt, o Gott meines Herzens, denn ich verstand dich ja
noch nicht zu lieben, da ich statt deiner nur gleißende
Scheinbilder zu erkennen vermochte Eine Seele aber, die sich sehnt nach
solcherlei Trugbildern, ist sie dir gegenüber nicht untreu und
setzt ihr Vertrauen auf Trug und treibt sie nicht Winde auf die Weide?
Wollte ich auch nicht, daß man für mich den bösen
Geistern opfern sollte, so opferte ich mich doch ihnen selbst durch
jenen Aberglauben. Denn was ist Winde weiden anderes als jene
bösen Geister weiden, das heißt ihnen durch Verirrungen zur
Lust und zum Hohn werden?
Viertes Buch - Drittes Kapitel
Daher ließ ich nicht ab,
jene Betrüger, die man Astrologen nennt, zu befragen, gleich als
ob sie keine Opfer gebracht hätten und an keinen Geist Gebete
richteten, daß er ihnen seine Kraft aus der Höhe sende,
Dinge, welche die wahre christliche Frömmigkeit ihrem Wesen nach
streng verwirft. Gut ist es, dir, o Herr, zu bekennen und zu sagen:
Herr, sei mir gnädig, heile meine Seele, denn ich habe an dir
gesündigt; nicht aber deine Nachsicht zu sündiger
Schrankenlosigkeit zu mißbrauchen, sondern eingedenk zu sein
deines göttlichen Wortes: Siehe zu, du bist gesund geworden,
sündige hinfort nicht, daß dir nicht Ärgeres
widerfahre. Dieses unser Heil, das uns gesunden macht, unterfangen jene
sich zu vernichten, wenn sie sprechen: Vom Himmel herab ist dir, o
Herz, unvermeidliche Ursache zum Sündigen gekommen, oder: Mars und
Saturn haben es getan. Als wenn der Mensch, dieses Gewächs aus
Fleisch, Blut und stolzer Verwesung, ohne Schuld wäre, der
Schöpfer und Lenker des Himmels und der Gestirne aber zu
beschuldigen sei. Und wer ist es, wenn nicht unser Gott, unsere Wonne,
die Quelle der Gerechtigkeit, der du einem jeglichen vergiltst nach
seinen Werken und ein zerstoßenes und demütiges Herz nicht
verachtest.
Zu jener Zeit lebte ein
scharfsinniger, in der Heilkunde wohlerfahrener und berühmter
Mann, der in Vertretung des Konsuls den Siegeskranz der Beredsamkeit
meinem siechen Haupte aufsetzte, freilich nicht, als sei er der Arzt.
Denn du allein bist der Arzt jener Krankheit, der du den Stolzen
widerstehest und gibst Gnade den Demütigen. Warst du mir aber
nicht auch nahe in jenem Greise, oder ließest du ab, meiner Seele
beizustehen? Denn da ich ihm vertrauter wurde und an seinen Lippen hing
- denn seine Rede war einfach, ohne jedweden Schmuck, zog aber gewaltig
an durch den geistvollen, belebenden Inhalt -, da erkannte er aus
meinem Gespräch, daß ich mich auf das Studium der
Bücher über Sterndeuterei gelegt habe, und mit
väterlichem Wohlwollen ermahnte er mich, sie wegzuwerfen und Zeit
und Mühe, die nützlicheren Dingen gebührten, nicht auf
solche Nichtigkeiten zu wenden. Dabei erwähnte er, daß auch
er sie in seiner Jugend erlernt habe in der Absicht, sie zu seinem
Gewerbe zu machen und dadurch seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und
da er Hippokrates verstanden habe, so hätte er wohl am Ende auch
jene Schriften verstehen können; doch habe er sie nur darum
aufgegeben und sich dem Studium der Heilkunde zugewandt, weil er sie in
ihrer ganzen trügerischen Nichtigkeit erkannt und als ehrlicher
Mann es verschmäht habe, sich durch Täuschung seiner
Mitmenschen sein Brot zu erwerben. "Du aber", so fuhr er fort,
"hältst dich an die Redekunst, um dir deinen Unterhalt zu
verschaffen; diese Betrügereien aber treibst du nur aus
Liebhaberei und nicht aus Sorge um das tägliche Brot. Um so mehr
mußt du mir aber Glauben schenken, mir, der ich sie
gründlich zu erlernen bemüht war, weil ich allein durch sie
mein Leben zu fristen beabsichtigte." Als ich ihn nun fragte, woher es
denn käme, daß so viele Prophezeiungen doch in
Erfüllung gingen, da antwortete er mir, daß es die Macht des
Zufalls sei, der durch die ganze Welt hin verbreitet sei. Wenn jemand
sich Rat holt bei einem Dichter, der etwas ganz anderes, dem Gegenstand
der Anfrage ganz und gar nicht Entsprechendes besingt und bezweckt und
sich dann oft ein zu der Angelegenheit wunderbar stimmender Vers
darböte, so sei es nicht zu verwundern, wenn aus der menschlichen
Seele durch eine höhere Anregung, so daß sie selbst nicht
wisse, was in ihr geschehe, nicht durch Kunst, sondern durch Zufall
etwas ausgesprochen würde, was mit der Lage und dem Tun des
Fragenden übereinstimmt. Dies ließest du nur von ihm oder
durch ihn mir zukommen. Und was ich selbst später durch eigene
Forschung
kennen lernen sollte, dafür bahntest du in meinem Geiste den Weg
zur Entwicklung an. Doch damals vermochte weder er noch mein teurer
Freund Nebridius, ein braver und kluger Jüngling, der sich
über jene ganze Deuterei lustig machte, mich dazu zu bewegen,
daß ich davon Abstand genommen hätte. genossen bei mir ein
allzu großes Ansehen; auch gesuchten sicheren Beweis noch nicht
gefunden, woher Gewißheit erhellte, daß das von dem
Befragten Gesagte durch Zufall oder durch das Geschick eingetroffen
sei, nicht aber durch die Kunst derer, die in den Gestirnen forschten.
Viertes Buch - Viertes Kapitel
In jenem Jahre, wo ich in
meiner Vaterstadt zu lehren begonnen hatte, hatte ich mir auch einen
Freund erworben, der mir durch die gleiche Richtung seiner Studien sehr
lieb war und gleich mir in der Blüte der Jugend stand. Er war mit
mir als Knabe aufgewachsen, mein Schul- und Spielkamerad war er
gewesen.
Dessen ungeachtet war unser Verhältnis doch nicht so ausgebildet,
wie es die wahre Freundschaft verlangt, die nur die wahre sein kann,
wenn du die dir anhangenden Seelen vereinst in der Liebe, die in
unseren Herzen durch den heiligen Geist ausgegossen ist, der uns
verliehen. Dennoch aber war sie so süß, seit sie uns durch
glühenden Eifer in gleichem Studium gleichsam
zusammengeschweißt hatte. Vom wahren Glauben hinweg, der in dem
Jüngling noch nicht feste Wurzeln geschlagen hatte, von dem er
noch nicht ganz durchdrungen war, verführte ich ihn abseits zu
jenen abergläubischen
unverderblichen Irrlehren, um welcher willen meine Mutter mich
beweinte. Schon irrte er mit mir im Geiste und meine Seele konnte nicht
ohne ihn leben. Aber siehe, du, mein Gott, der du verfolgst, die dich
fliehen, du Gott, des die Rache ist und der du zugleich bist der Quell
der Barmherzigkeit, der du uns bekehrest zu dir auf oft wundervolle
Weise, siehe, du nahmst ihn hinweg aus diesem Leben, da unsere
Freundschaft kaum ein Jahr gewährt hatte, sie, die mir so
süß war über alle Wonnen meines Lebens.
Wer kann deine großen
Taten aufzählen, die er an sich allein nur erfahren? Was tatest du
damals, mein Gott, und wie unergründlich ist die Tiefe deiner
Gerichte? Lange lag er im Fieber, ohne Bewußtsein, schon im
Todesschweiß. Und da man die Hoffnung aufgab, so ward er getauft,
bewußtlos wie er war, ohne daß ich mich darum
bekümmerte, der ich voraussetzte, daß das. was er von mir
empfangen, sein Leben eher zu erhalten vermöchte, als was ohne
sein Wissen an ihm geschah. Ganz anders aber ist es gekommen, er
erholte sich und ward gesund. Sobald ich aber mit ihm sprechen konnte,
ob er in den Spott über die Taufe, die er bewußtlos
empfangen hatte, von deren Empfang er aber unterrichtet war, mit
einstimmen würde, da entsetzte er sich vor mir wie vor einem
Feinde und ermahnte mich mit wundersam heftigem Freimut, solcher Reden
mich zu enthalten, wenn ich sein Freund sein wolle. Wohl war ich
betroffen und in Verwirrung gebracht, aber ich hielt meine
Gemütsbewegung zurück, auf daß er baldigst genese, um
mit Wiedererlangung seiner Kräfte geeignet zu sein zur Besprechung
dessen, was ich im Sinne hatte. Da aber entrissest du ihn meiner
Torheit, auf daß er bewahrt bliebe bei dir zu meinem Troste. Nach
wenigen Tagen wiederholte sich das Fieber und er verschied, da ich
gerade abwesend war.
Welch ein Schmerz aber war es,
der mein Herz umnachtete, und überall starrte mir nur Tod
entgegen. Die Heimat ward mir zur Qual und das Vaterhaus zu unsagbarem
Leid; was ich mit ihm gemeinschaftlich genossen, das wandelte sich ohne
ihn zu unendlicher Qual. Überall suchten ihn meine Augen, aber ich
fand ihn nicht; ich haßte alles, weil ich ihn nicht hatte, weil
ich mir nicht sagen konnte: "Siehe, er kommt!" wie so oft, wenn er eine
Zeitlang abwesend war. Ich selbst stand vor mir wie vor einem
großen Rätsel, und ich fragte meine Seele: "Was
betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mit? " Doch
die Antwort, sie blieb aus. Und wenn ich sprach: "Harre auf Gott!", da
gab sie mit vollem Rechte mir kein Gehör, denn der teure Freund,
den sie verloren, war wahrhaftiger und besser als das Trugbild, darauf
sie harren sollte. Süß nur war mir die Träne, die ich
dem Freunde ins Grab nachweinte; sie vertrat mir ihn als Erquickung
meiner Seele.
Viertes Buch - Fünftes Kapitel
Nun aber, o Herr, ist auch das
vorüber, und die Zeit hat den Schmerz der Wunde gemildert. Darf
ich vernehmen von dir, der du die Wahrheit bist, darf ich nähern
das Ohr meines Herzens deinem Munde, auf daß du mir kündest,
warum die Träne, die wir im Unglück weinen, so süß
ist? Oder hast du, obwohl du allgegenwärtig bist, unser Elend weit
von dir getan? Du bleibst ewig in deinem Frieden, wir aber werden
umhergetrieben in mancherlei Anfechtung. Und doch wäre unser
Hoffen ein Nichts, wenn wir nicht vor dich kommen dürften mit
unseren Klagen. Wie wird doch das Seufzen, Weinen, Stöhnen und
Klagen gepflückt als eine süße Frucht von der
Bitterkeit des Lebens? Ist es unser Hoffen auf deine Erhörung, die
uns erquickt? Wohl ist dies die Absicht unserer Bitte, welche die
Sehnsucht nach Erfüllung in sich birgt. Aber lag denn das in dem
Schmerze und der Trauer um das Verlorene, die damals auf mir lastete?
Nein, denn mein Hoffen ging nicht darauf, ihn wieder lebendig zu sehen,
noch wollten meine Tränen das, sondern ich grämte mich eben
nur und weinte. In Trauer verloren war ich und hatte verloren meine
Freude. Ist denn das Weinen an und für sich etwas Bitteres und
wird es nur süß, wenn wir es mit dem Schauder vergleichen,
den wir vor dem Tode dessen haben, an dem wir unsere Freude hatten und
den wir nun verabscheuen?
Viertes Buch - Sechstes Kapitel
Was aber soll das? jetzt ist
es nicht Zeit, zu fragen, sondern dir zu bekennen! Elend war ich und
elend ist jedes Herz, das gefesselt ist durch Bande sterblicher Liebe.
Von Schmerz wird es zerrissen bei seinem Verluste und fühlt dann
das Elend erst, in dem es doch schon schmachtete, bevor es den Verlust
erlitt. Das war mein damaliger Seelenzustand, da ich so bitterlich
weinte und im Scholle der Bitterkeit mich barg. So war ich zwar elend,
aber dennoch liebte ich das elende Leben mehr als den Freund. Denn
obwohl mir eine Änderung erwünscht gewesen wäre, so
wollte ich mich. trotz alledem von ihm ebensowenig trennen als von
jenem. Schwerlich hätte ich das für ihn getan, was von
Orestes und Pylades erzählt wird wenn es anders wahr ist -, welche
füreinander oder zusammen den Tod erleiden wollten, weil jedem der
Tod ein geringeres Übel war als ein Leben ohne Gemeinschaft. Aber
ein mir selbst unbewußtes Gefühl trat allzu mächtig
diesem entgegen: der tiefste Ekel vor dem Leben und Todesfurcht wohnten
nebeneinander in meiner Seele. ich glaube, je mehr ich den Freund
liebte, desto mehr haßte und fürchtete ich den Tod, der ihn
mir entrissen hatte, als meinen bittersten Feind, und ich vermeinte, er
würde mir plötzlich alle Menschen hinwegnehmen, da er es
vermocht hatte, jenen hinwegzunehmen. So war ich, dessen erinnere ich
mich. Siehe mein Herz, o Gott, siehe mein Inneres, wie es in meiner
Erinnerung vorhanden! Du, meine Hoffnung, reinigst mich von der
Unreinigkeit solcher Leidenschaften, läßt meine Augen zu dir
sehen und ziehst meinen Fuß aus dem Netze. ja, ich wunderte mich,
daß die übrigen Sterblichen noch fortlebten, da der eine,
den ich wie einen Unsterblichen geliebt hatte, dahingeschieden war; am
meisten freilich wunderte ich mich, daß ich, der ihm ein zweites
Ich war, noch lebte, da er starb. Schön nannte mir jemand seinen
Freund "die Hälfte seiner Seele". Auch ich empfand, wie meine und
seine Seele nur eine einzige Seele gewesen war in zwei Körpern;
deshalb war mir das Leben jammervoll, weil ich nicht leben wollte als
ein halber
Mensch, und darum fürchtete ich mich auch zu sterben, auf daß der, den ich so sehr geliebt, nicht ganz sterbe.
Viertes Buch - Siebentes Kapitel
O über den Wahnsinn, der
die Menschen nicht menschlich zu lieben weiß! O über den
törichten Menschen, der das Menschliche nicht mit Maß zu
ertragen weiß! Ein solcher aber war ich. Ich war immer in
Aufruhr, stöhnte, weinte, war in Aufregung und fand weder Frieden
noch Rat. Ein zerrissenes, blutendes Herz trug ich in mir, das-nicht
ruhen wollte in mir, und nirgends fand ich doch eine Stätte, da
ich es hätte zur Ruhe betten können. Weder im lieblichen
Haine noch bei Spiel und Sang, nicht im duftenden Saal noch beim
Gelage, nicht in den Freuden der Nacht in der Wollust noch in
Büchern und Gedichten fand es Ruhe. Alles schreckte mich ab,
selbst da, Licht; alles, was nicht war, was er war, fand ich widrig und
hassenswert, nur die Seufzer und Tränen, nur sie allein
gewährten mir eine kurze Rast: Wohin meine Seele sich wandte, da
lastete auf mir die gewaltige Bürde des Elends. O Herr, zu dir
hätte ich die Seele erheben sollen, dir hätte ich
aufbürden sollen mein Leid; aber ich wollte es nicht noch
vermochte ich es, um so weniger, als ich dich nicht mir als fest und
unwandelbar dachte, denn nicht du, sondern ein Leeres Trugbild, ein
Irrtum war mein Gott. Wenn ich es nun versuchte, hier meine Seele zur
Ruhe zu betten, da zerrann es ins Leere und wiederum stürzte es
sich auf mich, und ich war mir zuletzt selber ein unglückseliger
Ort, da ich weder bleiben noch den ich verlassen konnte. Wohin aber
sollte mein Herz denn fliehen vor dem eigenen Herzen, wohin sollte ich
vor mir selbst flüchten, wohin mußte ich mir nicht folgen?
Und doch floh ich aus meiner Heimat; denn meine Augen suchten ihn dort
weniger, wo sie ihn nicht schon zu sehen gewohnt waren. So kam ich von
Thagaste wieder nach Karthago.
Viertes Buch - Achtes Kapitel
Nicht leer sind die Zeitwogen,
nicht wirkungslos wälzen sie sich dahin durch unsere Sinne,
wunderbar Großes wirken sie an der Seele. Siehe, sie kamen und
gingen von Tag zu Tag, und im Kommen und Gehen pflanzten sie mir neue
Gestalten und neue Erinnerungen ein und stellten mich allmählich
durch die früher gewohnten Vergnügungen wieder her. Denn mein
Schmerz wich, und es folgten nun zwar nicht andere Schmerzen, aber doch
die Ursachen zu anderen Schmerzen gingen daraus hervor. Denn jener
Schmerz hatte mich so leicht und so tief durchdrungen, weil ich meine
Seele gegründet hatte auf Sand, da ich einen Sterblichen liebte,
als stürbe er nimmer. Am meisten tröstete und ermunterte mich
der Trost meiner Freunde, mit denen ich liebte, was ich statt deiner
liebte: der Manichäer große Fabel und lange Lüge
nämlich, durch deren treulosen Reiz mein Geist in lüsternem
Verlangen verderbt wurde; denn jene Irrlehre erstarb nicht mit dem Tode
des Freundes. Vieles andere gab es da, was mein Herz von neuem
fesselte: Gespräche und Scherze, gegenseitige wohlwollende
Hingebung, gemeinschaftliches Lesen von Büchern angenehmen
Inhalts, Tändeleien und gegenseitige Höflichkeit, bisweilige
Meinungsverschiedenheit ohne Haß, wie es der Mensch wohl selbst
mit sich tut und eine Würze der meist herrschenden
Übereinstimmung durch höchst seltene Verschiedenheit der
Ansichten; gegenseitige Belehrung, gegenseitiges Lernen, die Abwesenden
ungern vermissen, die Kommenden mit Freude empfangen. Derartige
Äußerungen gehen aus dem Herzen der einander Befreundeten
durch
Vermittlung des Mienenspiels, der Sprache, der Blicke und tausend
freundliche Gebärden und schmelzen die Gemüter wie durch
Zündstoff zusammen und schaffen aus vielen ein einziges.
Viertes Buch - Neuntes Kapitel
Das liebt man an den Freunden,
und so sehr liebt man es, daß unser Gewissen sich Vorwürfe
macht, wenn es den Wiederliebenden nicht liebt und den Liebenden nicht
wiederliebt, ohne von ihm irgend etwas mehr zu verlangen als nur
Zeichen seines Wohlwollens. Hierauf gründet sich jene Trauer, wenn
ein Freund stirbt, und die finstere Nacht der Schmerzen und das
blutende Herz, wenn die Süßigkeit sich in Bitterkeit
gewandelt hat und der Tod der Lebenden durch den Verlust des Lebens der
Sterbenden. Selig, wer dich liebt und den Freund in dir und den Freund
um derentwillen. Der allein verliert keinen teuern Freund, dem sie alle
teuer sind in dem, der nie verlorengeht. Das aber ist unser Gott, der
Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und sie erfüllt, weil er
ihnen das Dasein gab, indem er sie erfüllte Dich kann nur der
verlieren, der dich verläßt, und wer dich
verläßt, wohin geht er, wohin flieht er denn als nur von
dir, dem Liebevollen, zu dir, dem Zornigen? Wo stößt der
Fliehende nicht auf dein Gesetz in seiner Strafe? Und dein Gesetz ist
die Wahrheit und die Wahrheit bist du!
Viertes Buch - Zehntes Kapitel
Herr Gott Zebaoth, bekehre uns
zu dir, lasse dein Angesicht leuchten, so genesen wir. Denn wohin auch
die Seele des Menschen sich wenden mag, anderswo als in dir wird sie
von Schmerz durchbohrt, auch wenn sie an schönen Dingen
hängt, die außer dir und ganz äußerlich sind.
Auch diese wären nicht, wenn sie nicht wären von dir; sie
entstehen und vergehen, und im Entstehen ist ihres Daseins Beginn
begriffen; sie wachsen, um der Vollendung entgegenzugehen, sie altern
in ihrer Vollendung lind vergehen; nicht alles altert, aber alles
vergeht. Wenn sie also entstehen und der Vollkommenheit ihres Seins
entgegenstreben, so eilen sie, je schneller sie in ihrem Sein wachsen,
ihrem Nichtsein entgegen; das ist ihre Bestimmung. Und das hast du
ihnen gegeben, weil sie nur Teile der Dinge sind, die nicht alle
zugleich sind; denn erst durch ihr Dahinschwinden und die
Aufeinanderfolge ihres Seins bilden sie alle zusammen das Ganze, dessen
Teile sie sind. So wird auch unsere Rede erst durch tönende,
aufeinanderfolgende Laute gebildet. Denn die Rede wird zu keinem
Ganzen, wenn nicht das einzelne Wort verklungen, wenn es seinen Teil
hat hören lassen, damit nun ein anderes ihm folge. Auch deshalb
lobe dich meine Seele, dich, den Schöpfer des Alls; nicht mehr
möge sie sich hängen daran mit der Glut sündiger Liebe.
Es geht fort und fort dahin, wohin es seit seinem Entstehen ging, dein
Nichtsein entgegen, und sie zerfleischen die Seele mit verderblichem
Begehren, weil sie in dem nur sein will und zu ruhen begehrt, was sie
liebt. Aber in ihnen ist keine bleibende Stätte, weil sie keiner
Bestand haben, weil sie unstet sind. Wer aber vermag ihnen zu folgen
mit fleischlichem Sinn, oder wer ergreift sie Selbst, wenn sie
gegenwärtig sind. Denn träge ist des Fleisches Sinn, weil es
fleischlich ist; seine eigene Natur setzt ihm eine Schranke. Er
genügt zu etwas anderem, wozu er geschaffen ist; nicht aber
genügt er, daß er das Vorübereilende festhalte von dem
verhängten Anfang bis zu dem Ende, das ihm verhängt ist. Nur
in deinem Worte, das sie schuf, vernehmen sie die Stimme: Von dort bis
hierhin und nicht weiter!
Viertes Buch - Elftes Kapitel
Sei nicht eitel, meine Seele,
und laß dir nicht betäuben das Ohr deines Herzens durch das
Getümmel deiner Eitelkeit. Höre mich, du: das Wort selbst
ruft dir zu zurückzukehren, und bei ihm ist der Ort lauterer Ruhe;
er die Liebe nicht verlassen wird, es sei denn, sie verließe sich
selbst. Siehe, jenes vergehet, damit anderes an seine Stelle trete und
das irdische Ganze aus all seinen Teilen sich zusammensetze. Entferne
ich mich irgendwohin? so sagt Gottes Wort. Da gründe deine
bleibende Heimat; vertraue alles an dem Worte, was du von ihm hast,
meine Seele, endlich der Täuschungen müde. Der Wahrheit
vertraue an, was du hast von der Wahrheit, und du wirst nichts
verlieren, und was vermorscht, es wird wieder grünen und all deine
Gebrechen werden geheilt werden, und was dir zerronnen, es wird wieder
Gestalt gewinnen, erneut und mit dir verbunden werden, und es wird dich
nicht niederschlagen, wo es herabströmt, sondern es wird mit dir
bestehen und bleiben beim ewig bestehenden und bleibenden Gott.
Warum, verkehrte Seele, folgst
du deinem Fleische? Sollte doch vielmehr dieses bekehrt werden und dir
folgen. Was du vermöge der Seele empfindest, es ist nur ein Teil
des Ganzen; doch das Ganze hassest du nicht, davon du Teile genommen,
und doch erfreuen sie dich. Wären aber die Sinne deines Fleisches
fähig, das Ganze zu fassen, und wäre es nicht selbst in einem
Teil des Alls gemäß deiner Strafe auf ein bestimmtes
Maß beschränkt, so würdest du wünschen, daß
alles Gegenwärtige vorüberginge, damit du ein
größeres Gefallen am Ganzen haben könntest. Denn auch
das, was wir reden, hörst du durch denselben Sinn des Fleisches,
und du willst nicht, daß die einzelnen Silben bleiben, sondern
daß sie vorübereilen, daß andere folgen und du das
Ganze hörst. So geht stets alles vorüber in seinen Teilen,
woraus etwas besteht, und alle, woraus es besteht, sind nicht ein
Ganzes, sondern eben nur Teile; das Ganze aber erfreut mehr als seine
Teile, könnten sie auf einmal als ein Ganzes empfunden werden.
Aber weit besser als alles dies ist der Schöpfer des Alls, unser
Gott selbst, er vergeht nicht, denn nach ihm ist nichts.
Viertes Buch - Zwölftes Kapitel
Wenn irdische Wesen dein
Gefallen erregen, so lobe Gott in ihnen und liebe ihren Schöpfer,
auf daß du nicht mißfällig werdest in dem, das dir
gefällt. Gefallen dir Seelen, so liebe sie in Gott, weil sie
selbst wandelbar sind, auf ihn aber sich gründend Bestand
gewinnen. Sonst würden sie da hingehen und vergehen. in ihm nur
empfinde Liebe zu ihnen und raffe mit dir zu ihm, soviel du vermagst,
und sprich zu ihnen: Lasset uns ihn lieben, ihn lasset uns lieben, er
selbst schuf ja dies alles und ist nicht fern. Er schuf nicht und ging
dann von dannen, nein, aus ihm ist es in ihm. Siehe, wo er ist, da ist
die Wahrheit. In des Herzens Tiefen, da wohnet er; aber das Herz, es
irrte hinweg von ihm. ihr Übertreter, gehet in euer Herz und
hanget an dem, der euch schuf Stehet zu ihm und ihr werdet bestehen,
ruhet in ihm und Friede wird mit euch sein. Wo gehet ihr hin in die
Finsternisse? Wo gehet ihr hin? Das Gute, das ihr liebt, ist von ihm;
aber nur soweit es ihm geweiht ist, ist es gut und angenehm, mit Recht
aber wird es bitter, sofern wir es mit Unrecht lieben, was von ihm ist,
indem wir seiner dabei vergessen. Was sollen wir auch fort und fort
wandeln auf steilem und dornenvollem Pfade? Da ist der Friede
gewißlich nicht, wo ihr ihn sucht. Suchet, soviel ihr könnt;
aber wo ihr sucht, da ist er nicht. Ihr sucht die Seligkeit auf dem
Gefilde des Todes, dort aber ist sie nicht. Wie könnte da seliges
Leben sein, wo nicht einmal Leben ist?
"Und er selbst, unser Leben
stieg herab und trug unsern Tod und tötete ihn durch die
Fülle seines Lebens. Und mit Donnerstimme ruft er uns zu,
daß wir von hier zu ihm zurückkehren in jenes geheimnisvolle
Heiligtum, aus dem er hervorging zu uns eingehend zuerst in den
jungfräulichen Leib, wo sich mit ihm der Mensch, das sterbliche
Fleisch, vermählte, auf daß er nicht ewig sterblich bleibe,
und von da ging er hervor wie ein Bräutigam aus seiner Kammer und
freuet sich wie ein Held zu laufen seinen Weg. Er säumte nicht,
sondern rief eilends mit Worten und Taten, mit Tod und Leben, mit
Höllenfahrt und Himmelfahrt, ja er rief, daß wir zu ihm
zurückkehrten. Er ist unseren Augen entrückt, auf daß
wir in uns gingen und ihn fänden. Er ging hinweg, und siehe, hier
ist er. Nicht wollte er weilen bei uns lange Zeit, und doch hat er uns
nicht verlassen. Er ist dahin gegangen, von wo er nie weggegangen, weil
die Welt durch ihn gemacht ist. Er war in dieser Welt und kam in die
Welt, die Sünder selig zu machen. Ihm bekennt meine Seele ihre
Missetat, und er heilt sie von all ihrer Krankheit; ihr Menschenkinder,
wie lange wollt ihr beschwerten Herzens bleiben? Wollt ihr nicht, da
das Leben herabstieg, hinaufsteigen? Aber wohin wollt ihr euch noch
erheben, da ihr in der Höhe seid und euer Haupt bis an den Himmel
erhebet? Steiget herab, auf daß ihr euch erhebet; steiget hinauf
zu Gott. Denn gefallen seid ihr, die ihr euch gegen ihn erhobt." Dies
verkünde ihnen, damit sie weinen im Tal der Tränen, und so
raffe sie mit dir zu Gott hin, denn aus seinem Geiste redest du zu
ihnen, wenn du redest entflammt vom Feuer heiliger Liebe.
Viertes Buch - Dreizehntes Kapitel
Damals kannte ich das nicht
und liebte nur das niedere Schöne; ich wandelte dein Abgrund
entgegen und sprach zu meinen Freunden: Sollen wir nicht nur das
Schöne lieben? Aber was ist denn schön und was ist
Schönheit? Was zieht uns zu dem, was befreundet uns dem, das wir
lieben: Wenn es nicht Ansehen und Schönheit besäße,
nimmer würden wir uns von ihm fesseln lassen. Und ich bemerkte
wohl, wie das Schöne eine Harmonie des Ganzen sei, das Schickliche
aber die Harmonie der Teile, wie ein Teil des Körpers sich dem
ganzen Körper anfüge oder die Ferse dem Fuße u. a. m.
Diese Betrachtung erfüllte mich ganz und gar und ich schrieb
über "Das Schöne und Schickliche", einige Bücher, ich
glaube zwei oder drei waren es. Du weißt es, o Gott, denn mir ist
es entfallen. Ich besitze sie nicht mehr, sie kamen mir abhanden, ich
weiß es nicht, wie.
Viertes Buch - Vierzehntes Kapitel
Was bewog mich aber, o Herr
mein Gott, jene Bücher dem Hierius zu widmen, einem Redner aus
Rom, den ich nicht persönlich kannte, den ich aber wegen des
Ruhmes seiner Gelehrsamkeit verehrte und von dem ich einige
Äußerungen gehört hatte, die mir gefallen hatten? Aber
noch mehr erregte es mein Gefallen, weil er anderen gefiel und weil sie
ihn lobten und staunten, daß er, von Geburt ein Syrer und
früher mit der griechischen Beredsamkeit vertraut, später
sich auch als ausgezeichneter lateinischer Redner erwiesen hatte und in
allem, was zum Studium der Weltweisheit gehört,
außerordentlich bewandert war. Er wurde gepriesen und sogar in
seiner Abwesenheit verehrt. Kommt aber erst diese Liebe von dem Munde
dessen, der ihn lobt, in des Hörers Herz? O nein, denn nur von der
Liebe des einen entbrennt auch die des ändern. Gelobt wird der
Gelobte erst, wenn die Überzeugung vorhanden ist, daß
derjenige, welcher ihn preist, nicht mit einem Herzen voll Trug ihn
lobt, sondern mit wahrer Liebe im Herzen.
So liebte auch ich damals die
Menschen nach dem Urteil der Menschen und nicht nach dem deinigen, mein
Gott, darin niemand Täuschung erfährt. Warum jedoch wurde er
nicht gepriesen wie ein Wagenlenker oder ein Tierkämpfer, weit und
breit im Volke bekannt, sondern ganz anders und bedeutender ward er
gelobt; und so wollte auch ich gelobt werden. Nicht wie ein
Schauspieler wollte ich gepriesen und geliebt werden, obgleich ich
selbst diese lobte und ihnen Anerkennung zollte. Lieber wollte ich
unbekannt bleiben, als so bekannt sein; lieber wollte ich gehaßt
sein, als so gebebt zu werden. Woher aber stammen diese verschiedenen
Maße für verschiedene Arten der Liebe in ein und derselben
Seele? Wie kommt es doch, daß ich an einem andern etwas liebe,
was ich, wenn ich es nicht schon haßte, an mir selbst
verabscheuen und verwerfen würde, da wir doch beide Menschen sind?
Wenn einer ein gutes Pferd liebt, ohne daß er selbst es sein
möchte, auch wenn es wirklich möglich wäre, so
läßt sich doch dasselbe nicht von dem Schauspieler sagen, da
er unser Mitmensch ist. Liebe ich also an einem Menschen, was ich zu
sein verabscheue, obgleich ich auch Mensch bin? Eine dunkle,
rätselhafte Tiefe ist der Mensch, dessen Haare auf dem Haupt du,
Herr, gezählt hast, die sich ohne deinen Willen nicht vermindern,
und doch sind seine Haare leichter zu zählen als seine
Leidenschaften und seines Herzens Regungen.
Dieser Redner Hierius aber war
von der Art, daß ich ihm gleichen wollte, da ich ihn so verehrte;
in meinem Hochmute irrte ich und ließ mich von dem Winde
umhertreiben und wurde doch wunderbar von dir geleitet. Woher aber
weiß ich und woher bekenne ich dir mit Gewißheit, ich jenen
wegen der Liebe derer, die ihn priesen, mehr liebte als wegen der Dinge
selbst, um derentwillen sie ihn priesen? Weil ich, wenn man ihn nicht
gelobt, sondern getadelt und dann ganz dasselbe von ihnen, aber mit
einem Anflug von Tadel und Verachtung erzählt hätte, ich mich
nicht für ihn begeistert und erwärmt haben würde. Und
doch wäre weder der Sachverhalt noch der Mann selbst ein anderer
gewesen sondern nur die Gesinnung des Erzählers. Siehe, wie liegt
doch die Seele so schwach darnieder, solange sie nicht haftet an der
Säule der Wahrheit Wenn der unstete Wind die Meinungen aus der
Brust derer weht, die sie ausdenken, so wird sie hier umhergetrieben im
Wirbeltanz also wird ihr Licht verdunkelt und die Wahrheit nicht
erkannt, und siehe, doch ist sie vor uns. Ein Großes dünkte
es mir zu sein, wenn meine Schrift und mein Studium jenem Manne bekannt
würden. Hätte er es gebilligt, so hätte mich um so mehr
Begeisterung für ihn ergriffen, wenn er sie gemißbilligt
hätte, so wäre mein eitles Herz, das noch keinen Halt an dir
hatte, verwundet worden. Und doch habe ich meine Abhandlung "Über
das Schöne und Schickliche", die ich dein Hierius widmete, gern im
Geiste durchdacht und durchsonnen und habe Sie bewundert, obwohl
niemand da war, der sie mit mir gepriesen hätte
Viertes Buch - Fünfzehntes Kapitel
Aber noch erkannte ich nicht
das Wesentliche dieses großen Gegenstandes in deiner
Schöpferkunst, o Allmächtiger der du allen
Bewunderungswürdiges schaffst, und mein Geist durchforschte die
einzelnen körperlichen Formen, und ich versuchte zu bestimmen, zu
unterscheiden Lind mir Beispielen zu belegen, was schön an sich
Lind was durch Harmonie mit anderm schicklich sei. Hierauf wandte ich
mich zur Erforschung des Wesens der Seele, über meine falsche
Ansicht über das Geistige ließ mich die Wahrheit nicht
sehen. Die Kraft der Wahrheit trat mir vor das Angesicht, ich aber
wandte den schwankenden Verstand von dein Wesenlosen auf die Umrisse,
Farben und schwellende Größen. Und weil ich im Geiste
solcherlei nicht sehen konnte, so glaubte ich meinen Geist
überhaupt nicht sehen zu können. Da ich aber in der Tugend
den Frieden liebte, im Laster aber den Zwiespalt haßte, so gab
ich für jene die Einheit, für dieses den Zwiespalt als
charakteristisches Merkmal an. In jener Einheit schien mir der Geist
der Vernunft, das Wesen der Wahrheit und des höchsten Gutes zu
liegen; in diesem Zwiespalte des vernunftlosen Lebens wähnte ich
Elender, liege irgendwelche Substanz und Wesen des höchsten
Bösen, das nicht bloß Substanz, sondern auch Leben in sich
enthalte, jedoch nicht von dir erschaffen sei, o mein Gott, von dem
doch alles ist. Und doch nannte ich jenes eine Monade, in welchem noch
kein Geschlecht sich für sich geltend machte, diese aber eine
Dyade, den Haß bei den Verbrechern, die Lust am Laster; ich
wußte nicht, was ich redete. Ich hatte noch nicht erkannt,
daß das Böse kein selbständiges Wesen noch unser Geist
das höchste unwandelbare Gut sei.
Denn so wie Gewalttaten
entstehen, wenn die Geistesbewegung sündlich ist, in welcher ein
heftiger Trieb und diese Bewegung sich anmaßend und wüst
gebärdet, Schandtaten aber, wenn die Leidenschaft der Seele
maßlos ist, welche fleischliche Lüste gierig genießt,
so beflecken Irrtümer und falsche Meinungen das Leben, wenn die
Vernunft selbst verderbt ist. So war die meinige, da ich nicht
wußte, daß sie durch ein ander Licht erleuchtet werden
müßte, um an der Wahrheit teilzuhaben, weil sie nicht die
wesentliche Wahrheit selbst ist. Denn du erleuchtest meine Leuchte,
Herr, der Herr mein Gott macht meiner Finsternis Licht, und aus deiner
Fülle haben wir alle genommen; du bist das wahrhafte Licht,
welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen, denn bei
dir ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der
Finsternis. Zu dir strebte ich empor und ward hinweggestoßen von
dir, auf daß ich den Tod kostete, weil du den Hoffärtigen
widerstehest. Und was gibt es Hoffärtigeres, als in
unfaßlicher Torheit zu behaupten, an Wesen dir gleich zu sein?
Denn da ich wandelbar war und, wie dies schon daraus hervorgeht,
daß ich weise zu werden wünschte, um besser zu werden, so
wollte ich doch lieber dich für wandelbar halten als glauben,
daß ich nicht sei, was du bist. So ward ich
zurückgestoßen, und du widerstandest meinem stolzen Nacken,
und ich träumte von körperlichen Gestalten und klagte, selbst
Fleisch, das Fleisch an - ein Wind, der dahinfährt und kam nicht
wieder zu dir. Und ich ging in der Irre und irrte in dem, das nicht
ist, weder in dir, noch in mir, noch in den Körpern, noch in dem
von deiner Wahrheit ins Leben Gerufenen, sondern das von meiner eitlen
Spekulation nach Eindrücken der Körper gebildet wurde. Und
ich sprach zu den Kleinen, deinen Gläubigen, meinen
Mitbürgern, von welchen ich in meiner Unwissenheit hinweggeirrt
war in albernem Geschwätz: "Warum irrt die Seele, die Gott schuf?"
Aber ich wollte nicht, daß man mir darauf sagte: "Warum irrt also
Gott? " ich behauptete deshalb lieber, dein unwandelbares Wesen
wäre gezwungen, ehe ich bekannte, daß mein wandelbares Wesen
freiwillig abgewichen sei und nun zur Strafe irre.
Sechs- oder siebenundzwanzig
Jahre war ich ungefähr alt, als ich jene Schrift verfaßte
und mich mit jenen sündlichen Trugvorstellungen beschäftigte,
die meines Herzens Ohr betäubten; wollte ich, o süße
Wahrheit, auf deine innere Melodie horchen, nachsinnend über das
Schöne und Schickliche, begehrte ich festzustehen und dich zu
hören und mich zu freuen hoch über des Bräutigams
Stimme, da vermochte ich es nicht; durch die Stimmen meines Irrtums
ward ich fortgerissen in die Außenwelt und durch das Gericht
meines Stolzes fiel ich in den Abgrund. Du ließest mich nicht
hören Freude und Wonne, daß die Gebeine fröhlich
wurden, die noch nicht zerschlagen waren.
Viertes Buch - Sechzehntes Kapitel
Welchen Gewinn brachte es mir,
als ich, ungefähr zwanzig Jahre alt, eine aristotelische Schrift,
"Die zehn Kategorien" betitelt, Unter die Hände bekam - nach ihnen
lechzte ich förmlich, als ob sie Göttliches und Wunderbares
enthielten, hatten sie mir doch meine Lehrer in der Rhetorik zu
Karthago und andere, die in dem Ruf der Gelehrsamkeit standen, mit
vollen Backen, die, ich möchte sagen, voll Hochmut geschwollen
waren, angepriesen, ich sie allein las und ich verstand? Ich besprach
sie mit denen, welche bekannten, daß sie dieselben kaum unter der
Anleitung der gelehrtesten Lehrer verstanden hätten, obgleich
diese nicht nur durch mündlichen Vortrag, sondern auch durch viele
Zeichnungen verstanden zu werden suchten - auch sie konnten mir nichts
anderes sagen, als was ich allein für mich herausgelesen und
verstanden hatte. Deutlich genug schienen sie mir zu sprechen von dem
Wesen der Dinge sowie dem Wesen der Menschen und seines Wesens
Eigenschaften, wie z. B. von der Gestalt des Menschen, voll seiner
Natur, voll der Anzahl seiner Füße, von seinen
Blutsverwandten, von seinem Wohnorte, der Zeit seiner Geburt, ob er
sitze oder stehe, ob er beschuht, ob er gewappnet sei, von seinem Tun
und Leiden und sollst noch in diesen zehn Kategorien enthalten ist,
voll dem ich einzelne Beispiele anführte, oder in der Kategorie
"Substanz" selbst Unzähliges sich findet.
Welchen Nutzen mir das, da es
mir doch nur schadete? Denn auch dich, o mein Gott, den wunderbar Einen
und Unveränderlichen, wollte ich, von dem Glauben befangen,
daß jene zehn Kategorien das All umfaßten, so auffassen,
als wärest du deiner Größe und Schönheit
unterworfen und sie wären an dir gleichsam Eigenschaften als eines
Subjektes, wie am Körper, der du doch selbst die Größe
und Schönheit bist. Ein Körper könnte, auch ohne
groß und schön zu sein, ein Körper sein. Falsch wir es,
was ich von dir dachte, nicht Wahrheit, ein Trugbild meines Elends,
kein festes, auf dich gegründetes Bild deiner Seligkeit. Nach
deinem Befehl geschah es an mir: Dornen und Disteln sollte der Acker
mir tragen und im Schweiße meines Angesichts sollte ich mein Brot
essen.
Was half es mir, daß ich
alle Bücher der sogenannten freien Künste las, soweit ich sie
erlangen konnte, ein schändlicher Sklave böser
Leidenschaften, daß ich sie für mich las und sie verstand?
Ich erfreute mich all ihnen und wußte nicht, woher das stamme,
was etwa wahr und zuverlässig an ihnen war. Ich wandte dem Licht
den Rücken und das Angesicht dem Erleuchteten zu, daher mein
Angesicht, damit ich das Erleuchtete sah, nicht erleuchtet wurde. Was
ich in der Kunst der Beredsamkeit und der Kunst des Vortrags über
Maß, Musik und Zahlen ohne große Mühe und Anleitung
von seiten anderer verstand, du weißt es, o Herr mein Gott, weil
die schnelle Auffassungskraft meines Geistes und sein Scharfblick dein
Geschenk ist; aber ich dankte dir nicht dafür. Deshalb gereichen
sie mir auch nicht zum Heile, sondern vielmehr zum Verderben, weil ich
nur darauf bedacht war, einen solch guten Teil meines Vermögens in
meiner Gewalt zu haben, und ich berührte meine Kraft nicht zu
deiner Ehre, sondern ich zog von dir in ein fernes Land, daß ich
sie in buhlerischen Lüsten vergeudete. Was aber half mir so mein
Vermögen, da ich es nicht gut verwandte, denn ich bemerkte nicht,
daß jene Künste selbst von Fleißigen und Geistreichen
nur mit großer Anstrengung erlernt wurden, wenn ich ihnen
dieselben nicht erklärte, und das war unter ihnen der
Trefflichste, welcher meiner Auslegung nicht gar zu langsam zu folgen
vermochte.
Welchen Gewinn aber brachte
mir das, da ich glaubte, daß du, o Herr mein Gott, der du die
Wahrheit bist, seiest ein unermeßlich großer leuchtender
Körper, und ich wäre ein Teilchen davon? Welch große
Verkehrtheit! Ich erröte nicht, dir deine Barmherzigkeit an mir zu
bekennen und dich anzurufen, ich, der ich damals nicht errötete,
meine Lästerungen vor den Menschen auszukramen und wider dich zu
bellen. Was nützte mir damals mein Geist, der spielend jene Lehren
bewältigte und ohne menschliche Lehrer jene vielfach verknoteten
Schriften auflöste, während ich die Lehre deiner heiligen
Liebe entstellte und in gotteslästerlicher Schande umherirrte?
Oder schadete deinen Kindern der langsame Geist, da sie von dir sich
nicht weit entfernten, um im Nest deiner Kirche flügge zu werden
und um die Fittiche der Liebe durch die Nahrung des gesunden Glaubens
erstarken zu lassen? O Herr, mein Gott, unter dem Schatten deiner
Flügel rühme ich mich! Schirme und trage uns. Du willst uns
tragen im Mutterschoß und willst uns tragen, bis daß wir
grau werden. Denn unsere Kraft ist nur deine Kraft, wenn du sie bist;
ist sie unser, so ist sie Unkraft. Bei dir lebt immer unser Gut; weil
wir von ihm uns abkehrten, sind wir verkehret worden. Wiederkehren
wollen wir nun, o Herr, damit wir nicht verkehret werden, weil bei dir
unser Gut lebt ohne alle Gefährde, denn du bist es selbst. Und wir
fürchten nicht, daß wir einst nicht haben, dahin wir
zurückkehren können, weil wir von dort abfielen, denn uns,
auch wenn wir fern sind, stürzt nicht ein unser Haus - deine
Ewigkeit.
FÜNFTES BUCH
Erstes Kapitel
Empfange das Opfer meiner
Bekenntnisse aus der Hand meines Mundes und heile alle meine Gebeine,
und sie müssen sagen: Herr, wer ist deinesgleichen? Denn wer vor
dir bekennt, der lehrt dich nicht, wes Geistes Kind er ist, denn deinem
Auge ist auch ein verschlossenes Herz offen, und der Menschen
Härte drängt nicht zurück deine Hand, sondern du
schmilzest sie, wenn du willst, sei es nun als Erbarmer oder als
rächender Richter, und es bleibt nichts vor deiner Hitze
verborgen. Aber meine Seele lobe dich, daß sie dich liebe; sie
bekenne sich zu deinem Erbarmen, daß sie dich lobe. Nicht weicht
noch schweigt vor deinem Lobe das All deiner Schöpfung; nicht des
Menschen Geist, der durch sein Bekenntnis sich wendet zu dir, nicht die
Tiere noch die Körper hören auf dich zu preisen durch den
Mund der sie betrachtenden Menschen, auf daß unsere Seele sich
erhebe aus ihrer Laßheit zu dir, gestützt von deiner
Schöpfung, und sich hinaufringe zu dir, der du solches wundervoll
schufest. Das aber ist Erquickung und wahre Stärke.
Fünftes Buch - Zweites Kapitel
Mögen gehen und fliehen
vor dir die Friedlosen und Ungerechten, du siehest sie und durchdringst
den Nebel. Und siehe, da ist alles schön um sie, und sie allein
sind häßlich. Welchen Schaden brachten sie dir, oder womit
haben sie dein Reich, das von den Himmeln bis zu den niedrigsten
Geschöpfen gerecht bleibt und unverletzt, verunehrt? Wohin eilten
sie denn flüchtigen Fußes, da sie flohen vor deinem
Angesicht? Oder wo ist die Stätte, da du sie nicht findest? Aber
sie flohen hinweg damit sie dich, den Sehenden, nicht sähen und
verblendet sich wider dich empörten, weil du nichts
verläßt von dem, was du geschaffen hast; an dir sollen die
Ungerechten sich stoßen und mit Recht geplagt werden, wenn sie
sich deiner Milde entziehen, deiner Rechten Widerstand leisten und
ihrer eigenen Härte verfallen. Vielleicht wissen sie nicht,
daß du, den kein Raum beschließt, allenthalben bist und
allen gegenwärtig, auch denen, die sich weit von dir entfernen.
Mögen sie sich wenden und dich suchen, denn nicht hast du, wie sie
ihren Schöpfer verließen, dein Geschöpf verlassen. Sie
mögen sich wenden und dich aufsuchen, und siehe, du bist in ihren
Herzen, in den Herzen deiner Bekenner, die sich in deine Arme werfen
und an deiner treuen Brust sich ausweinen nach ihren mühseligen
Wegen, und leutselig trocknest du ihre Tränen. Und reichlich
fließt die Träne und sie freuen sich unter Tränen, weil
du, Herr, nicht bist ein Mensch, Fleisch und Blut, weil du, o Herr, ihr
Schöpfer, sie erquickst und tröstest. Und ich, wo war ich, da
ich dich suchte? Du warst vor mir, ich aber war von mir selbst
hinweggewichen und fand mich nicht, wieviel weniger dich!
Fünftes Buch - Drittes Kapitel
Reden will ich vor dem
Angesichte meines Gottes von jener Zeit, da ich neunundzwanzig Jahre
alt war. Da kam nach Karthago ein Bischof der Manichäer, Faustinus
mit Namen, eine gewaltige Schlinge des Satans; viele fingen sich darin,
durch die Lobsprüche seiner süßen Rede betört, und
obgleich ich dieselbe lobte, so unterschied ich sie doch von der
Wahrheit der Dinge selbst, die ich zu lernen eifrig begehrte, und
deshalb achtete ich nicht auf das Gefäß der Rede, sondern
auf den Inhalt dessen, was mir als wissenschaftliche Nahrung jener
gerühmte Faustus darbot. Denn ihm ging der Ruf voraus, daß
er ein in ehrlicher Wissenschaft vielerfahrener Mann sei und in den
freien Künsten außerordentlich unterrichtet. Und da ich
ziemlich viel mich mit Philosophie beschäftigt und mein
Gedächtnis einiges davon behalten hatte, so verglich ich manches
mit den Ammenmärchen und Hirngespinsten der Manichäer, und
mir erschienen jene Aussprüche der Wahrheit viel näher zu
kommen, die soviel haben mögen einsehen, daß sie konnten die
Welt ermessen, obgleich sie den Herrn derselben nicht gefunden haben.
Denn du, Herr, bist groß und siehest auch das Niedrige und kennst
den Stolzen von ferne, und du bist nahe bei denen, die gebrochenen
Herzens sind. Du läßt dich nicht von den Stolzen finden,
wenn sie auch in ihrem Fürwitz die Steine und den Sand zählen
und den Sternenhimmel messen und nach den Bahnen der Gestirne
spüren.
Denn mit ihrem Verstande und
dem Geist, den du ihnen gegeben, erforschen sie vieles und sie fanden
vieles; viele Jahre zuvor wissen sie die Mond- und Sonnenfinsternisse
zu verkünden, an welchem Tage und zu welcher Stunde sie
stattfinden, welchen Umfang sie haben werden; ihre Berechnung
täuscht sie nicht, und wie sie vorher verkündeten, so geschah
es; auf Grund ihrer Forschungen stellen sie darin feste Regeln auf, die
man noch heute anwendet, und aus ihnen erkundet man, in weichem Jahre,
Monate, Tage, zu welcher Stunde und um wieviel sich Mond oder Sonne
verfinstern werde, und es geschieht nach ihrem Wort. Und die Menschen
wundern sich darüber und die Unkundigen entsetzen sich, die
Kundigen aber frohlocken und brüsten sich, und in ruchlosem Stolze
entfernen sie sich und entziehen sich deinem Lichte, sehen lange vorher
der Sonne Verfinsterung, aber die ihrige sehen sie nicht. Denn sie
fragen nicht mit frommen Sinne, woher sie ihren Geist haben, durch den
sie dies erforschet. Und wenn sie endlich erforschen, daß du sie
geschaffen, so geben sie sich nicht dir zu eigen, auf daß du
erhältst, was du geschaffen, und wie sie selbst sich machen zu
ihren Götzen, so sterben sie dir ab und trotzen dir mit Hochfahren
wie die Vögel unter dem Himmel und mit ihrem Fürwitz wie die
Fische im Meere, mit dem sie auf den verborgensten Pfaden des Meeres
umherschweifen, und mit ihren Lüsten wie die Tiere des Feldes,
damit du Gott, ein fressend Feuer, ihrer Toten Sorgen verzehrst und sie
wiedergeboren werden lässest zur Unsterblichkeit.
Aber sie kennen nicht den
Heilsweg, dein Wort, durch das du schufst, was sie zählen, und
sie, welche zählen, und den Verstand, womit sie zählen, aber
deiner Weisheit ist keine Zahl. Er selbst aber, der Eingeborene, ist
uns gemacht zur Weisheit, zur Gerechtigkeit und Heiligung, er ward
unter uns gezählt und gab dem Kaiser, was des Kaisers ist. Den Weg
lernen sie nicht kennen, auf welchem sie von ihrer selbstgewählten
Höhe hinabsteigen zu ihm und durch ihn hinaufsteigen zu ihm. Den
Weg lernen sie nicht kennen und halten sich für leuchtend und
erhaben wie die Sterne, und siehe, sie stürzten zur Erde und ihr
unverständiges Herz ist verfinstert. Vieles Wahre wissen sie von
der Schöpfung zu sagen; aber die Wahrheit der Schöpfung,
ihren Ursprung suchen sie nicht mit frommem Herzen, und deshalb finden
sie ihn auch nicht, oder wenn sie ihn finden und Gott erkennen, so
preisen sie ihn nicht als Gott und danken sie ihm nicht, sondern sie
sind in ihrem Dichten eitel geworden und hielten sich für weise
und legen sich zu, was dein ist. Deshalb suchen sie auch in ihrer
verkehrten Blindheit dir zuzuschreiben, was das ihre ist, häufen
Lügen auf dich, der du die Wahrheit bist, und haben verwandelt die
Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild gleich dem
vergänglichen Menschen und den Vögeln und den
vierfüßigen und kriechenden Tieren und verwandeln deine
Wahrheit in Lügen und haben geehrt und gedient deinem
Geschöpfe mehr denn dem Schöpfer.
Vieles aber, was sie
vorhersagten von der Schöpfung, behielt ich, und die
wissenschaftliche Begründung ihrer Aussagen leuchtete mir ein
durch Berechnung und Ordnung in der Zeit und durch die sichtbaren
Zeugnisse der Gestirne, und ich verglich es mit den Aussprüchen
des Manichäers, welcher gerade darüber viel wahnwitziges Zeug
zusammenschrieb; doch entbehrte er so jeglicher wissenschaftlicher
Begründung in bezug auf Sonnenwende, Sonnen- und Mondfinsternisse,
wie denn in diesen Schriften auch nichts von Weltweisheit stand. Hier
mußte ich blindlings glauben, meine Kenntnisse, die auf
Berechnungen und Augenschein fußten, halfen mir nichts, denn
alles verhielt sich da ganz anders.
Fünftes Buch - Viertes Kapitel
Gefällt dir schon der,
welcher solches weiß, o Herr und Gott der Wahrheit?
Unglücklich ist wahrlich der Mensch, der solches alles kennt und
dich nicht kennt, selig aber, wer dich kennt, wenn er auch jenes nicht
kennt. Und wenn er auch dich und jenes kennt, so ist er um jener
Kenntnisse willen doch nicht glückseliger, sondern allein du bist,
der ihn beseligt, wenn er weiß, daß ein Gott ist, und wenn
er dich als seinen Gott preiset, dir danket und nicht eitel in seinem
Dichten wird. Denn wie der besser daran ist, welcher weiß,
daß er einen Baum besitzt, und für den Nutzen, den er ihm
bringt, Dank abstattet, ob er gleich nicht weiß, wieviel
Fuß er hoch ist oder welches sein Umfang ist, als jener, welcher
ihn ausmißt und alle seine Zweige zählt, während er ihn
weder besitzt noch seinen Schöpfer kennt oder liebt, so hat
unzweifelhaft der Gläubige den besseren Teil, dem die Welt mit all
ihren Schätzen ist, der nichts innehat und doch alles hat, weil er
den umfängt, dem alles dient, wenn er auch den Kreislauf des
Wagens nicht kennt; besser ist ihm als dem, der den Himmel mißt,
die Sterne zählt, die Elemente wägt und dich dabei
vernachlässigt, der da alles geordnet hat nach Maß, Zahl und
Gewicht.
Fünftes Buch - Fünftes Kapitel
Wer verlangte aber von dem
Manichäer, daß er auch über solche Sachen schreibe,
welche zur Aneignung der Frömmigkeit ganz und gar nicht nötig
waren. Denn du sprachst zum Menschen:" Siehe, die Furcht des Herrn, das
ist die Weisheit.,( In dieser freilich konnte er unerfahren sein, auch
wenn er jene Dinge völlig verstanden hätte; weil er sie aber
nicht verstand, sie aber trotzdem in bodenloser Frechheit zu lehren
wagte, so war ihm Gottesfurcht völlig fremd, denn Eitelkeit ist
es, mit solcherlei weltlichen Kenntnissen zu prahlen, Frömmigkeit
aber, dir zu bekennen. Von ihr eilte er hinweg zu solcherlei Dingen,
und die, welche wirklich etwas davon verstanden, konnten ihn
vermöge seiner Unwissenheit in Dingen, über welche er so viel
schwatzte, mit Leichtigkeit überführen und erkennen, wie es
mit seiner Kenntnis von tiefer verborgen liegenden Dingen beschaffen
sei, ob er gleich eine große Meinung von sich hatte und die Leute
zu überreden suchte, der heilige Geist, der Tröster und
Mehrer deiner Gläubigen, sei in seiner Fülle persönlich
in ihm erschienen. Wenn er daher über falschen Behauptungen
betreffs des Himmels, der Gestirne, der Sonne, des Mondes und seiner
Berechnungen betroffen wurde, so bewies dies, obgleich Astronomie ja
nicht mit zur Religionslehre gehört, doch genugsam sein
gotteslästerliches Streben, denn nicht nur das ihm Unbekannte,
sondern auch wissentlich Gefälschte trug er in wahnsinnig eitler
Ehrsucht also vor, als ob ihm diese Kenntnisse von einem Wesen
göttlichen Ursprungs zukämen.
Wenn ich einen christlichen
Mitbruder über weltliche Dinge eine Ansicht aussprechen höre,
die Unkenntnis der Tatsachen und Irrtümer verrät, so habe ich
doch Geduld mit ihm, denn ich weiß, daß ihm seine
Unkenntnis betreffs der Lage und Beschaffenheit der sinnlichen Natur
keinen Schaden bringt, sofern er nur von dir, dem Herrn und
Schöpfer aller Dinge, nichts Unwürdiges glaubt. Schaden
brächte es ihm ja nie, wenn er glaubte, daß solches in den
Bereich der Lehre von der Gottseligkeit gehöre, und er es wagte,
hartnäckig zu behaupten, wovon er doch nichts versteht. Aber auch
solche Schwachheit in der Kindheit des Glaubens wird von der Liebe als
einer Mutter ertragen, bis der neue Mensch werde ein vollkommener Mann,
der sich nicht mehr wägen und wiegen läßt von allerlei
Wind der Lehre. Wer aber sollte nicht bei dem, der als Lehrer, als
Stifter, Führer und Meister der von ihm Irregeführten also
aufzutreten wagte, daß seine Anhänger meinten, sie folgten
nicht einem Menschen, sondern deinem heiligen Geiste selbst, solchen
Wahnsinn auch von nachweislich falschen Lehren vorbringt, für
abscheulich und verwerflich erachten? Dennoch aber war ich noch nicht
zu völlig klarer Gewißheit durchgedrungen, ob nicht
vielleicht der Wechsel von Tag- und Nachtdauer der Wechsel von Tag und
Nacht selbst, die Finsternisse und was ich noch derartiges in anderen
Büchern gelesen hatte, auch nach seiner Weise erklärt werden
könnte. Falls dies nun möglich gewesen wäre, so
würde ich zwar in Ungewißheit geraten sein, ob sich die
Sache so verhalte oder nicht, den Ausschlag aber für mich
hätte schließlich doch das Ansehen Marius' und seiner
vermeintlichen Heiligkeit gegeben.
Fünftes Buch - Sechstes Kapitel
Fast neun Jahre hindurch, in
denen ich sie mit unstetem Geiste hörte, erwartete ich mit zu
lange hingehaltener Sehnsucht, daß jener Faustus kommen sollte,
auf den mich die anderen vertrösteten, so oft sie meinen Fragen
nicht gewachsen waren, indem sie mir versicherten, im persönlichen
Verkehr werde er mir das alles und noch viel höhere Fragen aufs
beste entwickeln. Als er nun kam, fand ich in ihm einen
liebenswürdigen, artigen Mann, der die Lehren jener mir noch viel
einnehmender vorschwatzte. Was aber fragte mein Durst nach
prächtigen Bechern, was half mir der artigste Mundschenk? Von
solchen Sachen waren meine Ohren schon gesättigt, auch schienen
sie uns dadurch nicht besser zu werden, weil sie besser gesagt wurden
und dadurch nicht an Wahrhaftigkeit zu gewinnen, weil sie in gewandter
Weise aufgetischt wurden, noch schien mir ein Geist deshalb weise, weil
sein Minenspiel entsprechend und seine Rede eine würdevolle war.
Jene aber, welche mich auf ihn vertröstet hatten, vermochten den
Sachverhalt gar nicht zu beurteilen, und nur deshalb erschien er ihnen
klug und weise, weil er sie durch seine Beredsamkeit ergötzte. Ich
lernte aber auch noch eine andere Art von Menschen kennen, welche die
Wahrheit verdächtigen und der Wahrheit nicht trauen wollten,
sobald sie mit reichem Schmuck vorgetragen wurde. Mich aber hattest du,
mein Gott, schon gelehrt auf wunderbare und verborgene Weise, und nur
darum glaube ich es, weil du es mich gelehrt hast, denn aus diesem
Grunde ist es wahr, und keinen andern Lehrer der Wahrheit gibt es denn
dich, woher er auch kommen möge. Schon hatte ich von dir gelernt,
nicht deshalb etwas für wahr zu halten, weil es beredt vorgetragen
werde, und nicht deshalb etwas für falsch, weil die Sprache eine
schwerfällige sei, und wiederum nicht deshalb etwas für wahr,
weil es kunstlos gesagt werde, noch deshalb für falsch, weil die
Rede glänzend sei; sondern mit Wahrheit und Torheit verhalte es
sich wie mit gesunden und ungesunden Speisen, die beide in
geschmückten und schmucklosen Worten wie in einfachen und feinen
Gefäßen aufgetragen werden können.
So ward meine Begierde, mit
der ich jenen Mann so lange erwartet hatte, zwar gestillt durch das
einnehmende und lebhafte Wesen und durch seine Gewandtheit im Ausdruck,
der den Eindruck des völlig Ungezwungenen machte. Viele
unterstützte ich in ihren Lobsprüchen; aber unangenehm war es
mir, daß ich in dem Hörerkreise nichts gegen ihn vorbringen
und ihm meine dringenden Fragen nicht zur Beantwortung vorlegen durfte
im vertraulichen Austausch der Gedanken. Als ich dies vermochte und
sein Gehör in Anspruch nehmen konnte mit meinen Freunden zu einer
Zeit, da es nicht unschicklich war, mit ihm zu disputieren, und ich
einiges vorbrachte, das mich am meisten bewegte, fand ich in ihm einen
Mann, der in den freien Künsten unbewandert war, die Grammatik
ausgenommen, die er auch nicht über das Maß des
Gewöhnlichen verstand. Er hatte einige Reden Ciceros gelesen, sehr
wenig Schriften von Seneca und einige Dichter und das, was in seiner
Sekte in gut stilisiertem Latein geschrieben war, und weil er
Gelegenheit hatte, täglich Reden zu halten, so gewann er dadurch
eine Redefertigkeit, die sich angenehm der Fassungskraft der Hörer
einschmeichelte und eines gewissen Mutterwitzes nicht bar war. Ist es
nicht so, mein Herr und mein Gott, der du Richter meines
Bewußtseins? Offen liegt vor deinem Herz mein Herz und meines
Herzens Erinnerung, der du schon damals mich mit der geheimnisvoll
verborgenen Vorsehung leitetest und meine schmachvollen Irrtümer
mir vor die Augen brachtest, damit ich sie sähe und hassenswert
fände.
Fünftes Buch - Siebentes Kapitel
Nachdem ich von seiner
Unwissenheit in den freien Künsten überzeugt war, in denen
ich ihn für ausgezeichnet gehalten hatte, verzweifelte ich daran,
daß jener mir darüber Aufschluß zu geben imstande
wäre, die quälenden Zweifel lösen und auslegen
könnte; und doch hätte er, obwohl in solchen Dingen
unwissend, sich an die Wahrheit der Frömmigkeit halten
können, wenn er nur kein Manichäer gewesen wäre. Denn
ihre Bücher sind voll von lang ausgesponnenen Fabeln über den
Himmel und die Gestirne, über Sonne und Mond, über alles das
konnte er mir in der gewünschten Weise nicht genugsam Auskunft
geben, ob die Vergleichung der Berechnungen, die ich anderswo gelesen
hatte, dieselbe wie die der Manichäer sei, so daß ich sie
für wahr befunden hätte. Als ich ihm dies zur Betrachtung und
Besprechung vorlegte, war er doch bescheiden genug und wagte es nicht,
sich einer solchen schweren Aufgabe zu unterziehen; denn er
wußte, daß er nichts davon verstand, und schämte sich
nicht, dies zu bekennen. Er war keiner von den Schwätzern, deren
ich so viel zu ertragen hatte, die mich zu belehren versuchten und im
Grunde genommen gar nichts sagten. jener aber hatte ein Herz; obwohl er
nicht dir zugewandt war, hielt er doch nicht allzu vermessen an sich
fest. Er war überhaupt nicht unbekannt mit seiner Unkenntnis und
wollte nicht durch dummdreiste Wortfechterei in eine Enge getrieben
werden, von der aus weder irgendein Ausgang möglich noch ein
Rückweg leicht wäre; auch hierin gefiel er mir besser. Denn
diese Bescheidenheit einer aufrichtigen Seele ist besser als das, was
ich zu wissen wünschte; und so ging es mir mit ihm bei allen
schwierigen und verwickelten Fragen.
Da mein Eifer, den ich auf die
Schriften des Manichäers gewandt hatte, gebrochen war und ich mehr
und mehr auch an ihren übrigen Lehren verzweifelte, da jener
namhafte sich bei vielen Fragen, die mich bewegten, also bewies, so
fing ich an, mich jenem Studium anzuschließen, mit ihm zu
verkehren, weil er sich sehr auf die Wissenschaften warf, welche ich
damals schon als Rhetor zu Karthago die Jünglinge lehrte, und mit
ihm Bücher zu lesen, die er nur vom Hörensagen her kannte und
erkennen zu lernen wünschte oder die ich einem solchen Geist
für angemessen erachtete. Im übrigen aber wurde mein Eifer,
durch welchen ich es in der Sekte zu etwas zu bringen mir vorgenommen
hatte, durch die Bekanntschaft mit jenem Manne völlig untergraben;
aber da ich noch nichts Besseres fand als das, worin ich mich jetzt
gestürzt hatte, so trennte ich mich nicht gänzlich von ihnen,
sondern gab mich vorläufig zufrieden, bis sich vielleicht etwas
Besseres zur Auswahl darbieten würde. Und so begann Faustus, der
so vielen eine Schlinge des Todes ward, die zu lösen, in der ich
gefangen lag, ohne sein Wollen und Wissen freilich; denn deine
Hände, o Gott, hatten nach der Tiefe deiner Vorsehung meine Seele
nicht verlassen; meiner Mutter blutendes Herz brachte dir Tag und Nacht
für mich Tränenopfer, und du hast mich auf wunderbare Weise
geleitet. Du tatest jenes, mein Gott. Denn von dir werden der Menschen
Schritte geleitet, auf daß er Lust habe an deinen Wegen. Oder wo
ist Heil als nur durch deine Hand, die erquickt, was du schufst?
Fünftes Buch - Achtes Kapitel
Wunderbar hast du mich
geleitet daß mir geraten wurde, nach Rom zu reisen, um dort
besser lehren zu können, was ich zu Karthago lehrte. Auch wie mir
dies geraten wurde, will ich nicht unterlassen, dir zu bekennen, weil
hierin deine tiefsten Verborgenheiten und zugleich deine
gegenwärtigste Barmherzigkeit gegen uns zu bedenken und zu
prüfen ist. Nicht des größeren Erwerbes und des
größeren Ansehens halber, die mir die beratenden Freunde
zusicherten, wollte ich nach Rom reisen, obgleich auch das mich damals
anzog, sondern die Hauptsache, ja beinahe der einzige Beweggrund war,
weil ich vernahm, die jungen Studierenden lebten dort ruhiger und
würden durch geordnete Zucht in Schranken gehalten, so daß
sie nicht bald bei dem, bald bei jenem Lehrer sich eindrängen,
wiewohl sie nicht bei ihm hörten; überhaupt würden sie
gar nicht zugelassen, wenn jener nicht die Erlaubnis dazu erteilte. In
Karthago dagegen ist die Unverschämtheit der Studierenden
maßlos. Sie strömen unverschämt herein und wie rasend
stören sie die Ordnung, welche jeder seinen Schülern
festgestellt hat, um sie in ihren Studien zu fördern. Mit
unbegreiflicher Roheit verüben sie ihre Bubenstreiche, die der
Strafe des Gesetzes unterliegen sollten, wenn nicht die Gewohnheit sie
beschützte, die sie um so heilloser darstellt, da sie das, als ob
es erlaubt wäre, ausüben, was doch nach deinem ewigen Gesetz
nie erlaubt sein wird, und es ungestraft zu begehen glauben,
während sie doch schon durch diese sündige Verblendung
gestraft werden und ungleich mehr Böses erleiden, als sie tun. Die
Sitten, welche ich als Studierender mir nicht aneignen wollte, die
sollte ich nun gezwungenerweise als Lehrer an anderen ertragen, und
darum wollte ich dahin gehen, wo solches nach dem Zeugnis aller nicht
geschah. Du aber, meine Hoffnung und mein Teil im Lande der Lebendigen,
bewogst mich für das Heil meiner Seele, meinen Wohnort zu
ändern, und zu Karthago ließest du mich stacheln, um mich
von da loszureißen, und in Rom mir Lockspeisen vorhalten.
Durch Menschen, welche ein
totes Leben liebten, dort durch solche, die heillos handelten,
andererseits von solchen, die Eitles verhießen, und um meinen
Wandel zu bessern, bedientest du dich geheimnisvoll sowohl der
Verkehrtheit anderer als auch der meinen, denn die mich um meine Ruhe
brachten, waren blind in schändlicher Verwilderung und die mich
anders wohin luden, waren irdisch gesinnt. Ich aber, der ich hier das
wahre Elend verabscheute, suchte dort falsche Glückseligkeit.
Warum aber ich von Karthago
nach Rom ging, du wußtest es, o Gott, machtest es aber weder mir
noch der Mutter kund, die bei meiner Abreise bitterlich weinte und mir
bis zum Meere folgte. Ich täuschte sie, da sie mich mit Gewalt
festhielt, entweder um mich zurückzuhalten oder selbst mit mir zu
gehen, und gab vor, bei einem Freunde zu bleiben und nicht ohne sie
abzufahren, bis ein günstiger Wind die Abfahrt ermögliche. So
betrog ich meine Mutter, und welch eine Mutter! und entrann,
während du mir auch dies in deiner Barmherzigkeit vergabst und
mich bewahrtest vor den Wassern des Meeres, da ich voll verdammlichen
Schmutzes war bis zu dem Gnadenwasser der Taufe, durch das ich
gereinigt wurde, damit der Tränenstrom des Mutterauges versiegte,
mit welchem dir ihr Angesicht täglich die Erde netzte. Und da sie
sich weigerte, ohne mich zurückzukehren, überredete ich sie
mit Mühe, daß sie in dem unserm Schiff zunächst
gelegenen Bauwerk, der Begräbniskapelle des hl. Cyprian, die Nacht
verbrächte. In derselben Nacht aber fuhr ich heimlich ab, jene
aber blieb zurück in Gebet und Tränen. Und was bat sie von
dir, mein Gott, mit so viel Tränen, daß du mich nicht
abreisen lassen möchtest. Du aber nach deinem hohen
Ratschluß erhörtest wohl das Hauptziel ihrer Sehnsucht, aber
du erhörtest nicht, was sie damals bat, damit du an ihr es
erfülltest, was ihr stetes Gebet war. Es wehte der Wind, unsere
Segel füllten sich und entzogen unseren Augen das Ufer, an dem am
Morgen meine Mutter in bitterem Schmerze jammerte und mit Klagen und
Seufzen dein Ohr erfüllte, als hättest du ihr Flehen
verachtet, da du mich durch meine Gelüste fortrissest, um diesen
Gelüsten selbst ein Ende zu machen und meiner Mutter fleischliches
Verlangen mit der Geißel gerechten Schmerzes schlugest. In
mütterlicher Weise liebte sie, mich immer um sich zu haben, doch
viel inniger als andere, und sie wußte nicht, welche Freude du
ihr aus meiner Abwesenheit schaffen würdest. Sie wußte es
nicht und deshalb weinte und klagte sie, und in jenen Qualen verriet
sich in ihr das Erbteil der Eva, wenn sie mit Seufzen suchte, was sie
mit Schmerzen geboren. Doch, nachdem sie meinen Trug und meine
Grausamkeit verklagt hatte, da wendete sie sich wiederum zur
Fürbitte für mich, sie ging ihrer gewohnten Lebensweise nach
und ich - nach Rom.
Fünftes Buch - Neuntes Kapitel
Und siehe, dort ward ich von
der Geißel leiblicher Krankheit betroffen und wankte dem Tode zu,
mit mir tragend alles Böse, das ich gegen dich und mich und
andere, viel und schwer, verübt hatte, dazu gebunden von der
Fessel der Erbsünde, durch die wir alle in Adam sterben. Denn du
hattest mir noch nichts von alledem in Christo vergeben noch hatte
jener von seinem Kreuz die Feindschaften weggenommen, welche ich mir
durch meine Sünden gegen dich zugezogen hatte. Denn wie hätte
er sie am Kreuz als jenes Scheinbild, für das ich ihn gehalten, zu
lösen vermocht? So falsch mir daher der Tod seines Fleisches
erschien, so nahe war der Tod meiner Seele, und so wahr der Tod seines
Leibes war, so falsch war das Leben meiner Seele, welche nicht daran
glaubte. Mit zunehmendem schwerem Fieber ging ich schon meinem
Untergang entgegen. Denn wohin wäre ich gegangen, wenn ich damals
aus diesem Leben ging, als in Feuer und Qualm, meiner Taten
würdig, nach der Wahrheit deiner Ordnung. Die Mutter wußte
nichts davon und doch betete sie für mich, da ich fern war. Du
aber, Allgegenwärtiger, erhörtest sie, wo sie auch war und wo
ich war, da erbarmtest du dich meiner, daß ich meine Gesundheit
wiedererlangte, wenn auch noch krank durch das gottlose Herz. Nicht
sehnte ich mich auch in solch großer Gefahr nach deiner Taufe!
Besser war ich, da ich noch ein Knabe war, da ich sie, 'von der
Frömmigkeit der Mutter angeregt, verlangte, wie ich es ja schon
gesagt habe in meinen Bekenntnissen. ich aber war in meiner Schande
gewachsen; wahnsinnig verlachte ich den Rat deines Heils, der du mich
nicht zweimal, zeitlich und ewiglich, sterben ließest als ein
solcher. Wenn mit dieser Wunde das Herz meiner Mutter geschlagen worden
wäre, sie wäre nimmer genesen; denn nicht genug kann ich es
ja aussprechen, mit welcher Zärtlichkeit sie mich liebte und mit
wieviel größerer Bedrängnis sie mich im Geiste gebar,
als sie mich im Fletsche geboren hatte.
Um deswillen ist es mir nicht
denkbar, wie sie hätte genesen sollen, wenn solch ein doppelter
Tod ihr liebendes Herz durchbohrt hätte. Wo wären so innige
ununterbrochene Gebete geblieben, wo wären sie anders als bei dir?
Oder solltest du, Gott des Erbarmens, dies geängstete und
zerschlagene Herz einer züchtigen und verständigen Witwe
verachtet haben, die fleißig Almosen gab, deinen Heiligen
gehorsam war und ihnen diente, keinen Tag ohne Opfer auf deinem Altar
vorübergehen ließ, die zweimal am Tage, morgens und abends,
zu deiner Kirche ohne Unterlaß kam, nicht leerer Fabeln und
Altweibergeschwätzes wegen, sondern daß sie dich hörte
in deiner Rede und du sie in ihren Gebeten erhörtest? Solltest du
die Tränen, mit denen sie dich nicht um Gold oder Silber bat noch
sonst um ein wandelbares und unbeständiges Gut, sondern um das
Seelenheil ihres Sohnes, du, durch dessen Wirken sie also war, solltest
du sie zurückweisen und ihr deine Hilfe verweigern? Nicht doch! Du
warst ihr nahe, und du erhörtest sie nach der Heilsordnung, die du
vorher bestimmt hattest. Fern sei es, zu behaupten, du hättest sie
in jenen Gesichten und Offenbarungen getäuscht, die ich schon
erwähnte, und die ich noch nicht erwähnte, die sie in treuem
Herzen bewahrte und Gebete, die sie wie eine Handschrift dir immer
wieder vorhielt. Denn du würdigst, solange dein Erbarmen in der
Zeit währt, die, welchen du ihre Schulden erläßt, auch
durch deine Verheißungen ihr Schuldner zu bleiben.
Fünftes Buch - Zehntes Kapitel
So hast du mich denn von jener
Krankheit hergestellt und hast gesund gemacht den Sohn deiner Magd,
damals fürs erste leiblich, damit er am Leben bliebe und du ihm
ein besseres und sichereres Heil verliehest. Auch in Rom knüpfte
ich Verbindung an mit jenen betrogenen und betrügenden Heiligen,
nicht nur mit den sogenannten "Zuhörern", zu denen auch der
gehörte, in dessen Hause ich krank lag und gesundete, sondern auch
mit denen, die man die "Auserwählten" nennt. Denn mir schien es
noch, als ob wir es nicht wären, die da sündigten, sondern in
uns sündige eine andere Natur; und es erfreute meinen Stolz,
schuldlos zu sein und, wenn ich irgend etwas Böses getan hatte,
mich nicht zur Tat bekennen zu müssen, damit du meine Seele
heilest, denn sie hat an dir gesündigt; sondern ich pflegte sie zu
entschuldigen und etwas anderes anzuklagen, was mit mir war, ohne
daß ich es war. Aber mein Ich war das Ganze, meine Gottlosigkeit
hatte mich aber feindlich entzweit. Und eben darin beruhte meine
Sünde, die um so unheilbarer war, je weniger ich mich für den
Sünder hielt, und es war eine fluchwürdige Ungerechtigkeit,
daß ich lieber wollte, daß du, allmächtiger Gott, in
mir zu meinem Verderben überwunden würdest, als daß ich
von dir zu meinem Heile überwunden würde, Denn noch hattest
du meinem Mund keine Wache gesetzt und eine Türe der
Schweigsamkeit meinen Lippen, daß mein Herz nicht abwäge und
boshafte Worte vorbrächte, um die Entschuldigungen bei
Verständigungen zu entschuldigen mit Menschen, die gottlos
handeln; deshalb war ich noch mit ihren Auserwählten vereint.
Schon aber verzweifelte ich,
durch jene falsche Lehre Nutzen zu erlangen, und selbst das, womit ich
beschlossen hatte, zufrieden zu sein, wenn sich nichts Besseres
fände, hatte alle Anziehungskraft für mich verloren. Auch
hatte ich schon den Gedanken gehabt, daß jene Welt weiser, die
sogenannten Akademiker immer noch klüger gewesen seien als die
übrigen, weil sie lehrten, man müsse an allem zweifeln, und
sich dafür entschieden hatten, daß der Mensch die Wahrheit
zu erkennen überhaupt nicht imstande sei. Denn das schien mir klar
ihre Meinung gewesen zu sein nach der allgemeinen Ansicht, denn noch
erkannte ich nicht ihre Intentionen. Ohne Hehl suchte ich meinen
Gastfreund von zu großem Vertrauen abzubringen, das er, wie ich
bemerkte, zu den Fabeln hatte, von denen die Schriften der
Manichäer strotzen. Indessen blieb ich mit ihnen noch in
freundschaftlicherem Verkehr als mit denen, die nicht jener Sekte
angehörten. Doch auch sie verteidigte ich nicht mehr mit demselben
Feuer; der freundschaftliche Verkehr mit ihnen, von denen Rom ziemlich
viel birgt, machte mich lässiger, etwas anderes zu suchen, zumal
da ich an deiner Kirche verzweifelte, o Herr des Himmels und der Erden,
du Schöpfer des sichtbaren und unsichtbaren Alls, Wahrheit finden
zu können, von der mich jene abgewendet hatten. Für
häßlich hielt ich den Glauben, du habest die Gestalt des
menschlichen Fleisches und werdest begrenzt von den körperlichen
Umrissen unserer Glieder. Aber weil ich, wenn ich über meinen Gott
denken wollte, nichts zu denken wußte als körperliche
Massen, so war dies die größte und fast einzige Ursache
unvermeidlichen Irrtums.
Deshalb glaubte ich auch, es
gäbe auch eine ähnliche Substanz des Bösen, die eine
häßliche und ungestalte Masse habe, entweder eine plumpe,
welche sie Erde nennen, oder eine dünne, feine, wie der
Luftkörper ist, und von welcher sie sich einbildeten, daß er
als böser Geist durch die Erde krieche. Und weil meine
Frömmigkeit, so gering sie auch war, mich zu glauben zwang, der
gute Gott habe keine böse Natur geschaffen, so bestimmte ich zwei
sich feindliche Massen, beide unendlich, aber die böse im engem
Sinne, die gute im weitern. Aus dieser verderblichen Grundlage ergaben
sich die übrigen Gottlosigkeiten. Denn da mein Geist sich in den
Glauben der Kirche zurückzuversetzen versuchte, fühlte ich
mich abgestoßen, weil der kirchliche Glaube nicht so beschaffen
war, wie ich meinte. Es erschien mir frömmer, wenn ich dich, mein
Gott, dessen Erbarmen gegen mich ich bekenne, mir überall
unendlich dächte, obgleich ich mich gezwungen sah, auf der einen
Seite, wo sich dir die Masse des Bösen entgegensetzt, dich mir
begrenzt vorzustellen, als wenn ich glaubte, du seiest auf allen
Seiten, nach Art der menschlichen Gestalt, begrenzt. Besser schien es
mir, zu glauben, du habest nicht das Böse erschaffen, das mir in
meiner Unwissenheit nicht bloß eine Substanz, sondern auch
körperlich zu sein schien, da ich mir den Geist nur als einen
feinen Körper denken konnte, der sich durch den Raum
ausgieße, als zu glauben, die Natur des Bösen wäre
durch dich so gestaltet worden, wie ich sie mir vorstellte. Selbst von
unserm Erlöser, deinem Eingebornen, glaubte ich, daß er aus
dein Stoff deiner lichthellsten Masse zu unserm Heile herausgestaltet
worden, so daß ich von ihm nichts glaubte, als was ich mir nach
meiner eitlen Ansicht vorstellen konnte. Ich meinte, eine solche
Lichtnatur könne nicht von Maria geboren sein, ohne mit dem
Fleischlichen vermischt und dadurch befleckt zu werden. Diese
Vermischung aber wäre ohne Befleckung nicht möglich, weil ich
alles Fleisch für böse hielt. Ich fürchtete mich also
davor, an einen im Fleisch Gebornen zu glauben, um nicht an einen im
Fleisch Befleckten glauben zu müssen Hier werden mich deines
Geistes Kinder milde belächeln in feindlicher Weise, wenn sie lese
meine Bekenntnisse lesen, aber so war ich.
Fünftes Buch - Elftes Kapitel
Was die Manichäer ferner
in deinen Schriften getadelt hatten, das, glaubte ich, könne nicht
verteidigt werden; doch wünschte ich zuweilen mit irgendeinem in
jenen Büchern bewanderten Manne über einzelnes zu sprechen
und seine Meinung darüber zu erfahren. Schon in Karthago hatten
mich die Reden eines gewissen Helpidius angeregt, die er gegen die
Manichäer hielt, da er solche Stellen aus der Schrift
anführte, denen man nicht leicht widersprechen konnte, und die
Antwort jener schien mir auf schwachen Füßen zu stehen. Doch
brachten sie diese nicht öffentlich vor, sondern nur im geheimen,
indem sie sagten, die Schriften des Neuen Testamentes seien
gefälscht worden von Leuten, welche das jüdische Gesetz dem
christlichen Glauben hatten einpflanzen wollen; doch konnten sie keine
unverfälschten Exemplare aufweisen. Mich aber, der ich nun
gefangen und erstickt war, bedrückten bei meinen körperlichen
Vorstellungen jene Massen, unter welchen ich keuchend die klare reine
Luft deiner Wahrheit nicht atmen konnte.
Fünftes Buch - Zwölftes Kapitel
Mit Eifer begann ich nun
auszuführen, weshalb ich nach Rom gekommen war; als Lehrer der
Beredsamkeit versammelte ich zunächst einige Schüler um mich,
mit welchen und durch welche ich bekannt wurde. Hier in Rom mußte
ich aber anderes Unrecht erdulden, was mir in Afrika erspart geblieben
war. Zwar bestätigte sich es allerdings, daß jene
Zügellosigkeiten junger Wüstlinge Karthagos hier nicht
vorkamen; aber "plötzlich", so hieß es, geschieht es,
daß sich viele junge Leute verabreden, dem Lehrer kein Honorar
geben, und zu einem andern laufen; Wortbrüchige, denen aus
Geldgier die Gerechtigkeit feil ist. Mein Herz verabscheute, obwohl
nicht um Gottes willen. Denn weil ich von ihnen dergleichen erleiden
sollte, haßte ich sie vielmehr, als weil sie taten, was niemandem
erlaubt ist. Gewißlich sind solche schändlich, sind untreu
gegen dich, durch die Liebe zu flüchtigem Zeitvertreib und
schmutzigem Gewinn, der die Hand, die ihn angreift, besudelt;
während sie die flüchtige Welt umfassen, verachten sie dich,
den Unvergänglichen, der du sie zurückrufst und der
menschlichen Seele, die zurückkehrt zu dir von sündiger
Buhlschaft, verzeihest. Auch jetzt noch hasse ich solche als schlechte
und verkehrte Menschen, obwohl ich sie auch wiederum liebe als solche,
die zu bessern seien, damit sie fortan die Lehre selbst, die sie
lernen, dem Gelde, ihr aber dich, o Gott, der ,tu die Wahrheit bist und
die Fülle des wahren Guten und reinsten Friedens vorziehen. Damals
aber wollte ich diese Schlechten vielmehr um meinetwillen nicht dulden,
den sie beleidigten, als daß ich gewünscht hätte,
daß sie gut würden um deinetwillen.
Fünftes Buch - Dreizehntes Kapitel
Als daher von Mailand nach Rom
an den Präfekten der Stadt um einen Lehrer der Beredsamkeit
geschrieben und damit die kostenfreie Reise verbunden wurde, bewarb ich
mich, durch die von manichäischen Irrtümern Trunkenen - ich
ging hinweg, um sie loszuwerden, aber beiderseits wußte man es
nicht - empfohlen, sobald ich auch durch eine Proberede ausgewiesen
hatte, daß Symmachus mich nach Mailand schicken möchte. So
kam ich nach Mailand zum Bischof Ambrosius, einem der besten
Männer, die auf dieser Erde wandelten, einem frommen Verehrer von
dir, dessen Predigten deinem Volke kräftig darreichten deinen
besten Weizen und Freudenöl und des Weines nüchterne
Trunkenheit. Zu ihm aber ward ich durch dich geführt ohne mein
Wissen, damit ich durch ihn zu dir gerührt würde mit meinem
Wissen. Väterlich nahm mich der Gottesmann auf und an meiner
Übersiedelung hatte er ein bischöfliches Wohlgefallen. Und
ich lernte ihn lieben, anfänglich zwar nicht als einen Lehrer der
Wahrheit, die in deiner Kirche zu finden ich ganz aufgegeben hatte,
sondern nur als einen mir wohlwollenden Mann. ich hörte
fleißig seine Vorträge, zwar nicht in der Absicht, die mir
geziemt hätte, sondern gewissermaßen nur, um seine
Beredsamkeit zu prüfen, ob sie seinem Ruhme entspräche, ob
sie herrlicher oder dürftiger ströme, als man sie pries. Von
seinen Worten wurde meine Aufmerksamkeit gefesselt; ich bekümmerte
mich aber nicht um den Inhalt, den ich verachtete; ich freute mich
über die Anmut seiner Rede, die, obwohl gehaltreicher, aber
weniger erheiternd und einschmeichelnd als die des Faustus war, was die
Worte an sich betraf. In Hinsicht des Gegenstandes selbst konnte
natürlich kein Vergleich stattfinden, jener war ja von den
manichäischen Fallstricken irregeführt, dieser aber lehrte
heilsamst das Heil. Aber das Heil ist fern von den Gottlosen, wie ich
damals einer war, und dennoch näherte ich mich ihm allmählich
und unvermerkt.
Fünftes Buch - Vierzehntes Kapitel
Denn obwohl es mir nicht darum
zu tun war zu lernen, was er sprach, sondern nur zu hören, wie er
sprach - denn nur diese eitle Sorge war nur geblieben, mir, der ich
daran verzweifelte, daß den Menschen überhaupt ein Weg zu
dir offenstehe -, kam doch in meine Seele zugleich mit den Worten, die
ich gern hörte, noch der Inhalt, den ich geringschätzte, denn
ich konnte beides nicht voneinander trennen. Während ich nun mein
Herz auftat, um zu erfassen, was er also beredt sprach, ging zugleich
auch das mit ein, was er so wahr gesprochen, aber freilich auch nur
allmählich. Zuerst kam es mir so vor, als ob auch diese Lehren zu
verteidigen wären, denn es sei nicht unverschämt, die
Wahrheit des kirchlichen Glaubens zu behaupten, die mir bis dahin gegen
die Angriffe der Manichäer unhaltbar erschienen war, besonders
nachdem ich die eine und die andere dunkle Stelle im Alten Testamente
öfters hatte erklären hören, während ich, der am
Buchstaben festhielt, den Geist verlor. Daher tadelte ich, nachdem so
manche dieser Schriftstellen meinem Verständnis näher
gebracht waren, meine Verzweiflung, die mich glauben ließ, Gesetz
und Propheten vermöchten sich nicht gegen ihre Feinde und
Spötter zu halten. Keineswegs aber glaubte ich deshalb schon den
Weg der Kirche betreten zu müssen, weil er seine gelehrten
Verteidiger haben konnte, die beredt und vernünftig die
Einwürfe zurückwiesen, und nicht deshalb schon könne die
Richtung, die ich eingeschlagen, verdammt werden, weil die Verteidigung
in ihren Gründen einander gleichstand. Der kirchliche Glaube
erschien mir nicht mehr als besiegt, aber doch auch noch nicht als
Sieger. Nun aber strengte ich meinen Geist an, ob es mir nicht
gelänge, die Manichäer durch gewisse Beweise des Irrtums zu
überführen. Hätte ich mir eine geistige Substanz denken
können, so wären mit einem Male alle jene Trugwerke
zerstört und aus meinem Geist entfernt worden. Aber ich vermochte
es nicht. Ich fand aber, daß von der Körperwelt und der
ganzen Natur, soweit sie der Sinn des Geistes erfaßt, die meisten
Philosophen weit richtigere Ansichten hatten, je mehr ich mich mit
ihnen beschäftigte und sie verglich. Als ich daher nach Art der
Akademiker an allem zweifelte und zwischen allem schwankte, da
beschloß ich, die Manichäer zu verlassen, weil ich glaubte,
ich dürfte in dieser Zeit meines Zweifelns nicht mehr jener Sekte
angehören, der ich schon mehrere Philosophen vorzog. Diesen
Philosophen aber wollte ich die Heilung meiner kranken Seele auch nicht
anvertrauen, weil sie nicht auf den heilsamen Namen Christi
fußten. Ich faßte demnach den Entschluß, so lange in
der mir von den Eltern empfohlenen Kirche als Katechumen zu bleiben,
bis mir ein hellerer Stern meine Schritte auf sicheren Pfad lenke.
SECHSTES BUCH
Erstes Kapitel
Du meine Hoffnung von Jugend
auf, wohin watest du mir und wohin hattest du dich zurückgezogene
Hattest du mich denn nicht geschaffen und mich unterschieden von den
Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels? Du hattest mich
weiser gemacht, aber ich wanderte in Finsternis und auf
schlüpfrigem Pfade, ich suchte dich außer mir und fand nicht
den Gott meines Herzens, ich versank in der Tiefe des Meeres und
zweifelte und verzweifelte, die Wahrheit zu finden. Schon war meine
Mutter, eine Heldin im Glauben, zu mir gekommen, über Land und
Meer mir folgend, in allen Gefahren furchtlos im Vertrauen auf dich.
Denn auch in den Fährlichkeiten der See tröstete sie der
Schiffer, von welchem sonst die Neulinge in Seereisen in ihrer Angst
pflegen getröstet zu werden, und verhieß ihnen
glückliche Ankunft, die du ihr in meinem Gesichte verheißen.
Sie fand mich in tiefer Bedrängnis und schwerer Verzweiflung,
daß ich die Wahrheit nicht erlangen konnte. Als ich ihr gesagt,
daß ich zwar kein Manichäer mehr sei, doch auch kein
rechtgläubiger Christ, da frohlockte sie nicht, als ob sie etwas
Unerwartetes vernommen hätte. Aber Frieden gewann sie und
Beruhigung durch diese Veränderung in meinem Elend, in welchem sie
mich wie einen von dir zu erweckenden Toten beweint hatte und mich
hinausgetragen hatte auf der Bahre ihrer Gedanken, daß du
sprechest zu der Witwe Sohne: Jüngling, ich sage dir, stehe auf,
und daß er wieder lebendig würde und zu reden anfinge Lind
du ihn seiner Mutter wiedergäbest. Von keiner ungestümen
Freude ward dir Herz also erschüttert, als sie hörte,
daß von so vielem, um das sie tagtäglich zu dir seufzte,
wenigstens so viel geschehen sei, daß ich die Wahrheit zwar noch
nicht gewonnen, jedoch der Falschheit entronnen sei. Weil sie aber des
festen Glaubens lebte, daß du auch das noch Erübrigende
geben würdest, der du ihr das Ganze verheißen, antwortete
sie mir mit Sanftmut und vertrauendem Herzen, sie glaube in Christo,
ehe sie aus diesem Leben scheide, mich noch als rechtgläubigen
Christen zu sehen. So sprach sie zu mir; dich aber, du Quell der
Erbarmung, ging sie fort und fort an mit Bitten und Tränen, auf
daß du beschleunigen mögest das Werk deiner Hilfe und
erleuchten meine Finsternis.
nis. Um so eifriger ging sie
zur Kirche und hing an des Ambrosius Munde wie am Quell des Wassers,
das in das ewige Leben quillt. Sie liebte jenen Mann wie einen Engel
Gottes, weil sie wußte, daß durch ihn jenes innere
Schwanken herbeigeführt sei, aus welchem sie den Übergang von
Krankheit zur Genesung bei herzutretender dringlicherer Gefahr, wie bei
jenem Zustande, den die Ärzte Krisis nennen, erwartete.
Sechstes Buch - Zweites Kapitel
Als sie, wie es in Afrika
üblich war, zu den Begräbniskapellen der Heiligen Brot und
Wein brachte und vom Türhüter abgewiesen wurde, so fügte
sie sich, sobald sie erfuhr, daß der Bischof solches verboten
hätte, mit solch demütig frommem Gehorsam, daß ich
selbst mich verwunderte, wie leicht sie eher eine Anklägerin ihrer
Gewohnheit als eine Richterin jenes Verbots ward; denn nicht Trunkliebe
beherrschte ihren Geist und die Liebe zum Weine reizte sie nicht zum
Haß gegen die Wahrheit wie so viele Männer und Frauen,
welche zu der Predigt, die sie zur Nüchternheit ermahnt und zu dem
gewässerten Tranke mit Ekel kommen. Wenn meine Mutter dagegen
einen Korb mit den Weihegaben zum Vorkosten und zum Verteilen
herbeibrachte, dann nahm sie nie mehr als ein einziges Becherchen,
für ihren nüchternen Gaumen gemischt, den sie mit den Ihrigen
als Zeichen der Gemeinschaft genoß. Und wenn es auch viele solche
Begräbniskapellen gibt, deren Heilige man auf solche Weise ehren
wollte, so trug sie doch in allen nur jenen kleinen Becher mit sich
umher, dessen Inhalt nicht nur stark gewässertes, sondern auch
ganz laues Getränk war, das sie mit den Anwesenden in ganz kleinen
Teilen genoß, weil sie Frömmigkeit, nicht Vergnügen
daselbst suchte. Als sie nun erfuhr, daß dies von dem
vortrefflichen Prediger und Bischof selbst denen verboten sei, die es
nüchtern vollzögen, damit den Trunksüchtigen keine
Gelegenheit zur Ausschweifung geboten würde und weil ohnehin dies,
wie die Totenopfer, dem heidnischen Aberglauben sehr nahe käme,
enthielt sie sich ihrer bereitwilligst und lernte für den mit
irdischen Früchten angefüllten Korb ein von reinen
Gelübden volles Herz dem Gedächtnis der Märtyrer
darbringen, damit sie, soviel sie vermöchte, den Armen gäbe.
So ward von ihr die Gemeinschaft des Leibes Christi gefeiert, durch
dessen Leidensnachfolge die Märtyrer den Tod erduldet und die
Krone empfangen haben. Doch scheint es mir, mein Herr und mein Gott,
nur dies ist vor deinem Angesichte meines Herzens Meinung daß
meine Mutter nicht so leicht von dieser Gewohnheit abgelassen haben
würde, wenn ihr ein anderer als Ambrosius es untersagt hätte,
den sie nicht wie den Ambrosius liebte, zu welchem sie um meines
Seelenheiles willen eine große Zuneigung hegte. Aber auch er
liebte sie wegen ihres gottseligen Wandels, in welchem sie in guten
Werken, voll Inbrunst des Geistes, unablässig die Kirche besuchte,
so daß er, wenn er meiner ansichtig wurde, oft in ihr Lob
ausbrach und mir Glück zu einer solchen Mutter wünschte, ohne
daß er wußte, was für einen Sohn sie habe, der ich an
allem zweifelte und nimmermehr glaubte, daß ich den Weg zum Leben
zu finden vermöchte.
Sechstes Buch - Drittes Kapitel
Ich seufzte nicht mehr betend
nach deiner Hilfe, sondern mein Geist strengte sich an zu forschen und
sehnte sich unruhig nach Besprechung mit anderen. Den Ambrosius hielt
ich nach weltlichem Maßstabe für einen glücklichen
Mann, da ihm selbst Leute von der höchsten Machtbefugnis ihre
Ehrenbezeigungen erwiesen, nur seine Ehelosigkeit schien mir schwer
durchführbar. Was für Hoffnungen er in sich trug, wie er
gegen die Versuchungen seiner eigenen Vortrefflichkeit kämpfte,
welchen Trost er hatte in den Widerwärtigkeiten und weich
köstliche Freude seines Herzens verborgener Mund von deinem Brote
kostete, das konnte ich nicht ahnen, denn ich hatte es selbst nicht
erfahren. Auch wußte er nichts von meinen Unruhen noch von dem
Abgrunde meiner Gefahr, weil ich ihn nicht nach Wunsch fragen konnte,
da die Scharen geschäftiger Leute, deren Schwachheit er aufhalf,
von seinem Ohr und Munde mich trennten. Die wenige Zeit, die er nicht
mit ihnen zusammen war, erfrischte er den Körper mit der
nötigen Nahrung oder labte am Lesen den Geist. Und wenn er las,
schweiften die Augen über die Seiten und das Herz erforschte den
Sinn, er selbst aber schwieg. oft, wenn wir gegenwärtig waren,
denn jeder hatte Zutritt, auch pflegte der Kommende nicht angemeldet zu
werden, sahen wir ihn schweigend lesen, und nie anders; lange Zeit
saßen wir schweigend da - denn wer hätte es gewagt, eine
solche Vertiefung zu stören? -, dann gingen wir in der Vermutung,
daß er die kurze Spanne Zeit, die ihm zu seiner geistigen
Erholung zu Gebote stand, feiernd von dem Lärmen der Unruhe
fremder Angelegenheiten ungestört verbringen wolle. Auch vermied
er vielleicht die Lautlosen deshalb, damit er nicht genötigt
wäre, den in höchster Aufmerksamkeit in Spannung befindlichen
Zuhörern ein minder klar -geschriebenes Buch auszulegen oder sich
auf schwierige Fragen einzulassen und durch diese Verwendung seiner
Zeit mehr, als er wollte, von seinen Büchern abgezogen zu werden,
obgleich wohl noch außerdem der Umstand hinzukam, daß er
seine Stimme schonen mußte, die sehr leicht heißer wurde,
und er schon deshalb mit vollem Rechte still für sich las. In
welcher Absicht aber er es auch tat, er tat wohl daran.
Soviel aber stand fest,
daß ich niemals Gelegenheit fand, von seinem Herzen, deinem
heiligen Orakel, zu erfahren, was ich wünschte; ein kurzes
Gehör erlangte ich zuweilen. Meine innere Aufregung aber verlangte
nach einer ruhigen Aussprache mit ihm, nie aber fand sich Zeit dazu. An
jedem Sonntage aber hörte ich ihn das Wort der Wahrheit lauter
auslegen, und ich überzeugte mich mehr und mehr, daß alle
jene Knoten schlauer Verleumdungen, die jene unsere Betrüger gegen
die heiligen Schriften knüpften, gelöst werden konnten. Als
ich nun vollends erfuhr, daß die Lehre, wie der Mensch von dir
nach deinem Bilde geschaffen sei, von den geistlichen Söhnen, die
du aus Gnade durch der Mutter Kirche wiedergeboren werden
ließest, nicht so verstanden werden dürfe, als ob du nach
ihrer Vorstellung in ihren Gedanken von menschlicher Gestalt begrenzt
seiest, obgleich ich kaum dunkel ahnte, wie das Wesen des Geistes
beschaffen sei, da errötete ich vor Freude, daß ich nicht
den echten Kirchenglauben, sondern Hirngespinste fleischlicher Gedanken
angebetet hatte. Verwegen und gottlos aber war ich darin, daß ich
das, was ich hätte durch Forschen erst zu beurteilen lernen
sollen, angeklagt hatte. Du aber, Erhabenster und Nächster,
Verborgenster und Gegenwärtigster, der du keine Glieder, weder
größere noch kleinere, hast, sondern der du überall
ganz und unbegrenzt bist, du bist freilich nicht jene Körperform,
die ich mir einbildete; dennoch schufst du den Menschen nach deinem
Bilde, und siehe, er ist vom Raume begrenzt vom Kopf bis zu den
Füßen.
Sechstes Buch - Viertes Kapitel
Da ich also nicht wußte,
wie dieses dein Ebenbild beschaffen ist, so hätte ich anklopfen
und die Frage vorlegen sollen, was zu glauben sei, und nicht
höhnend widerlegen sollen, als glaube die Kirche so. Um so mehr
nagte die Sorge an meinem Herz, was ich als sicher annehmen solle, je
mehr ich mich schämte, so lange durch die Verheißung der
Gewißheit getäuscht und betrogen und in knabenhafter
Unbesonnenheit und Irrtum so viel Ungewisses als gewiß in die
Welt ausgeschwatzt zu haben. Denn daß es falsch war, ward mir
erst später klar. Sicher war jedoch, daß das, was von mir
einst für sicher gehalten wurde, unsicher war, als ich deine
Kirche mit blinden Beschuldigungen anklagte, von welcher ich zwar noch
nicht mit Gewißheit wußte, daß sie Wahres lehre,
jedoch daß sie nicht das lehre, was ich mit schwerer Anklage
belegt hatte. So zerfiel ich mit mir, und ich freute mich, mein Gott,
daß deine einige Kirche, deines Einigen Leib, in der mir als Kind
Christi Name beigelegt wurde, keinen Geschmack habe an kindischen
Albernheiten, daß sie in ihrer Dogmatik dich, den Schöpfer
des Alls, nicht in einen Raum, wenn auch in den erhabensten, so doch
überall begrenzten - in den Menschenleib einschloß.
Auch freute ich mich,
daß mir nicht mehr zugemutet wurde, die Schriften des Alten
Testaments, das Gesetz und die Propheten mit dem Auge zu lesen, mit
welchem sie mir früher unsinnig erschienen, als ich deine Heiligen
beschuldigte, so zu denken, in Wahrheit aber dachten sie nicht so. Mit
Freude hörte ich den Ambrosius in seinen Volkspredigten sagen,
eine Regel, die er aufs dringendste empfahl: "Der Buchstabe tötet,
der Geist aber macht lebendig." Er enthüllte, was nach dem
Buchstaben Verkehrtes zu besagen schien, indem er den mystischen
Schleier hinwegnahm, erklärte es nach dem Geiste und
äußerte dabei nichts, was bei mir Anstoß erregte, wenn
ich auch die Wahrheit des von ihm Vorgetragenen noch nicht verstand.
Denn ich suchte mein Herz vor jedem Beifall zu wahren, aus Furcht, in
die Tiefe zu fallen, und durch die Ungewißheit ward ich noch mehr
gequält, denn ich wollte mich von der Wahrheit der unsichtbaren
Dinge so gewiß überzeugen, als ich überzeugt war,
daß sieben und drei zehn seien. So unsinnig war ich aber doch
nicht, daß ich geglaubt hätte, selbst das lasse sich nicht
begreifen; gleich diesem aber wünschte ich auch das andere zu
verstehen, sei es nun etwas Körperliches und meinen Augen
Abwesendes, sei es etwas Geistiges, an das ich nur denken konnte, wie
ich an körperliche Dinge dachte. Durch den Glauben konnte ich
geheilt werden, durch den mein geläuterter Geist zu deiner immer
bleibenden, in keiner Hinsicht irrenden Wahrheit gelenkt worden
wäre. Aber wie der, welcher einem schlechten Arzt in die
Hände gefallen ist, auch einem guten sich anzuvertrauen
fürchtet, so war es auch mit der Krankheit meiner Seele der Fall,
die nur durch den Glauben geheilt werden konnte, und aus Furcht,
solches zu glauben, verschmähte sie die Heilung und leistete
deinen Händen Widerstand, der du die Heilmittel des Glaubens
bereitetest, der du sie über die Krankheiten des Erdkreises
verbreitet hast und ihnen so große Kraft verliehen.
Fünftes Kapitel
Seitdem ich die Lehre der
Kirche der manichäischen vorzog, sah ich, daß in der Kirche
sehr bescheiden und ohne allen Hinterhalt befohlen werde zu glauben,
was nicht bewiesen wurde, entweder in dem Falle, daß es wirklich
wäre, aber für jemand keine Wirklichkeit hätte, oder in
dem Falle, daß etwas nicht als wirklich und wahr gelten solle,
während dort (bei den Manichäern) solch ein Glaube in den
vermessenen Verheißungen des Wissens verlacht ward und danach
doch der blinde Glaube an so viel Fabelhaftes und Abgeschmacktes, was
sich nicht beweisen ließ, befohlen wurde. Dennoch aber hast du, o
Herr, mit der erbarmenden Milde deiner Hand mein Herz berührt und
geheilt und hast mich erwägen lassen, wie unzählig vieles ich
glaubte, ohne daß ich es sah, ohne daß ich bei seinem
Verlaufe gegenwärtig war, wie so vieles in der Geschichte der
Völker, so vieles von Orten und Städten, die ich nicht sah,
so vieles von Freunden, von Ärzten, von diesen und jenen Menschen,
ohne dessen glaubhafte Annahme wir in diesem Leben nichts ausrichteten,
endlich wie unerschütterlich fest der Glaube in mir wurzele, von
welchen Eltern ich geboren sei, was ich nicht wissen könnte, wenn
ich es nicht von anderen gehört hätte. Du überzeugtest
mich, daß nicht die anzuklagen seien, welche deiner Schrift
Glauben schenkten, deren Ansehen du so mächtig unter fast allen
Völkern begründetest, sondern diejenigen, die nicht glaubten,
und daß ich denen kein Gehör leihen dürfe, die zu mir
sagten: "Woher weißt du denn, daß diese Bücher durch
den Geist des einen, wahrhaftigen Gottes dem Menschengeschlecht
mitgeteilt wurden?" Und das mußte ich gerade deshalb glauben,
weil keine Angriffe durch böswillige Zweifel, die ich in so vielen
Büchern sich untereinander bekämpfender Philosophen gelesen
hatte, mir das Geständnis abnötigen konnten, daß ich
auch nur einmal nicht geglaubt hätte, daß du seiest, welcher
Art auch dein Wesen sein mochte, das mir immerhin unbekannt sein
konnte, oder daß ich daran gezweifelt hatte, daß die
Lenkung der menschlichen Dinge dir zugehöre. Wohl war dieser mein
Glaube bald mächtiger, bald schwächer; stets jedoch glaubte
ich, daß du seiest und uns leitetest, wenn ich auch nicht
wußte, wie ich mir dein Wesen zu denken habe oder welcher Weg zu
dir führte oder den, der sich von dir verirrt hat,
zurückführte zu dir. Weil wir nun deshalb zu schwach waren,
um die Wahrheit mit voller Gewißheit zu finden, und deshalb das
Ansehen der heiligen Schrift bedurften, so hättest du, das war
meine Ansicht, dies hohe Ansehen der heiligen Schrift nicht über
alle Länder der Erde verbreitet, wenn du nicht gewollt
hättest, man solle durch sie an dich glauben und solle dich suchen
durch sie. Was mir früher als abgeschmackt erschienen war, bezog
ich nun, nachdem ich vieles von ihnen mit großer
Wahrscheinlichkeit hatte erklären hören, auf die Tiefe der
heiligen Geheimnisse, und um so ehrwürdiger und des heiligen
Glaubens werter schien mir dieses Ansehen, je zugänglicher sie,
allen zum Lesen war, und wenn sie auch der Würde ihrer Geheimnisse
tieferes Verständnis bewahrte, doch in allen verständlicher
Sprache und den schlichtesten Worten allen sich darbot und das
angestrengte Forschen ernster Männer in Anspruch nahm, auf
daß sie alle aufnähme in ihren leutseligen Schoß und
durch die enge Pforte nur wenige zu dir hinüberführte und
doch weit mehrere, als wenn sie nicht mit solch erhabenem Ansehen
hervorleuchtete und die Scharen nicht an sich zöge in den
Schoß ihrer heiligen Niedrigkeit. Das bedachte ich und du
standest mir bei, ich seufzte und du vernahmst mich, ich stürmte
umher und du lenktest mich, ich ging die breiten Pfade dieser Welt und
du verließest mich nicht.
Sechstes Buch - Sechstes Kapitel
Ich trachtete gierig nach
Ehre, Gewinn und ehelicher Lust, und du verlachtest mich, Ich erduldete
in diesen Begierden die bittersten Beschwerden, und du warst mir um so
günstiger gesinnt, je weniger du es zuließest, daß mir
irgend etwas süß würde außer dir. Siehe mein Herz
an, o Herr, der du wolltest, daß ich solches bedächte und
dir gestände. Nun soll dir anhangen meine Seele, die du aus den
Netzen des Todes erlöset hast. Wie elend war sie! Du
berührtest empfindlich die schmerzende Wunde, daß sie alles
verlasse, sich zu dir wende, zu dir, der du über allen bist und
ohne den alles nicht wäre, damit sie sich zu dir wende und heil
würde. Wie elend ich war und wie du mich mein Elend fühlen
lassen wolltest, das merkte ich an jenem Tage, an welchem ich mich
vorbereitete, auf den Kaiser Valentinian eine Lobrede zu halten, in der
ich viel lügen und mir den Beifall solcher, die Wußten,
daß ich log, verschaffen wollte und mein Herz diese Sorge
ausseufzte und durch Fieberanfälle verzehrender Gedanken sich
ängstete. Als ich da durch einen Flecken bei Mailand ging,
bemerkte ich einen armen Bettler, der schon angetrunken war, scherzte
und guter Dinge war. Da seufzte ich und sprach mit den Freunden, die
mit mir waren, wie viele Schmerzen uns doch unsere Torheiten
bereiteten; mit all unseren Plänen, mit denen ich mich damals
belastete, und unter den Stacheln der Begierden die Bürde meiner
Unglückseligkeit mit mir umherschleppend, deren Druck immer
schwerer ward, wollten wir nichts erreichen, als zu sicherem
Genuß gelangen, worin der Bettler es uns zuvortat, während
wir vielleicht niemals dazu gelangen würden. Denn was jener sich
mit wenigen erbettelten Pfennigen verschafft hatte, das suchte ich auf
so krummen mühseligen Wegen und Umwegen zu erlangen. Wohl hatte er
keine wahre Freude, aber eine weit trüglichere suchte ich in
meinem Ehrgeize; er freute sich aber doch wenigstens, ich aber war
bange; jener war sorglos, ich aber zitterte. Und wenn mich jemand
gefragt hätte, ob ich lieber mich freuen oder mich ängsten
wolle, so hätte ich gewiß geantwortet: mich freuen.
Hätte er mich dann wiederum gefragt, ob ich lieber jener Bettler
oder der sein möchte, der ich damals war, so hätte ich mich,
den von - Sorge und Furcht Gequälten, gewählt. Aus
Verkehrtheit oder aus Wahrheit? Denn dem Bettler durfte ich mich nicht
meiner Gelehrsamkeit wegen vorziehen, denn darüber empfand ich
keine Freude, sondern suchte mit ihr den Menschen zu gefallen, nicht
damit ich sie belehrte, sondern nur uni ihr Gefallen zu erregen.
Deshalb hast du auch mit deinem Zuchtstabe meine Gebeine zerschlagen.
Hinweg von mir, die da sagen
zu meiner Seele: Es ist cm Unterschied, weshalb man sich freut. Der
Bettler freute sich der Trunkenheit, du wünschtest dich des Ruhmes
zu freuen. Welches Ruhmes, o Herr? Dessen, der nicht in dir ist. Denn
wie jene Freude nicht die wahre war, also war auch jener Ruhm nicht der
wahre und verkehrte nur noch mehr mein Gemüt. jener sollte noch in
derselben Nacht seinen Rausch verschlafen, ich mußte mit dem
meinen mich schlafen legen und stand wieder mit ihm auf und legte mich
wieder mit ihm schlafen und mußte wieder mit ihm aufstehen,
siehe, wie viele Tage! Freilich ist es ein Unterschied, worüber
man sich freut, ich weiß es wohl; aber die Freude jener
glaubensvollen Hoffnung ist unverhältnismäßig
verschieden von seiner Nichtigkeit; doch auch damals bestand ein
großer Unterschied zwischen uns. Ohne Zweifel war jener Bettler
glücklicher als ich, nicht nur weil er guter Dinge war,
während Sorgen mir das Herz abfraßen, sondern weil jener
sich auch durch seine guten Wünsche den Wein erworben hatte,
während ich durch Lügen die Befriedigung des Stolzes suchte.
In diesem Sinne sagte ich damals vieles zu meinen Freunden; oft
überlegte ich mir dabei, wie mir sei, und ich fand das, was
übel war, und das schmerzte mich und verdoppelte damit mir das
Übel selbst. Und wenn mir das Glück lächelte, so
verdroß es mich, danach zu greifen, während es doch, ehe es
festgehalten werden konnte, entflog.
Sechstes Buch - Siebentes Kapitel
Wir beklagten uns
darüber, die, wir in Freundschaft zusammen lebten, am meisten, und
am vertrautesten sprach ich aber mit Alypius und Nebridius
darüber. Alypius war nämlich aus meiner Vaterstadt der Sohn
angesehener Eltern und jünger als ich. Er war mein Schüler
gewesen, sowohl als ich in unserer Vaterstadt anfing zu lehren als auch
später zu Karthago; er liebte mich innig, weil er mich für
gut und gelehrt hielt, und ich liebte ihn wegen seiner
Tugendhaftigkeit, die ihn schon in frühem Alter auszeichnete.
Allein die Sittenlosigkeit der Karthager, die in den nichtsnutzigen
Schauspielen sich in ihrer ganzen Wildheit geltend macht, hatte ihn in
den Strudel dieses Elends hinabgezogen; er aber hörte,
während er noch elend darin umhergetrieben wurde, noch nicht auf
mich, der ich damals Lehrer der Redekunst war, noch auf seinen Lehrer,
eines Zwistes wegen, der zwischen mir und seinem Vater ausgebrochen
war. Ich vernahm, daß er den Zirkus bis zu seinem Verderben
bebte, und ich ward von schwerer Sorge ergriffen, daß solch
große Hoffnung verlorengehen sollte, ja ich meinte ihn schon
verloren zu haben. Allein es bot sich keine Gelegenheit, Um zu ermahnen
und ihn durch Zucht zurechtzuweisen weder durch das Wohlwollen des
Freundes noch durch das Recht des Lehramts; denn ich war der Meinung,
er sei derselben Gesinnung gegen mich wie sein Vater. Allein dem war
nicht so. Ohne auf den Willen seines Vaters zu achten, begann er mich
zu grüßen, kam in meinen Hörsaal, hörte einige
Zeit zu und ging dann wieder hinweg. - Indes war es meinem
Gedächtnis entfallen, ihm ernstlich zuzureden, daß er seine
so gut angelegte Natur nicht durch die blinde verderbliche Leidenschaft
nichtiger Spiele verderbe. Du aber, o Herr, der du der Lenker deiner
Schöpfung bist, du hattest ihn nicht vergessen, der einst unter
deinen Söhnen ein Vorsteher deines Heiligtums werden sollte. Und
damit seine Besserung offenbar nur dir zugeschrieben würde, so
ward ich, jedoch ohne es zu wissen, dein Werkzeug dazu. Denn einst, da
ich an meinem gewohnten Platze saß im Kreise meiner Schüler,
kam auch er, grüßte mich, setzte sich und schenkte dem, was
verhandelt wurde, seine Aufmerksamkeit; zufällig behandelte ich
eine Schrift, zu deren Erläuterung mir eine Vergleichung mit den
Zirkusspielen passend erschien; damit das, was ich erreichen wollte,
annehmlicher und klarer würde, sprach ich mit beißendem
Spotte von denen, welche mit Leidenschaft diesem Wahnsinn frönten;
du weißt es, o Herr unser Gott, daß ich damals nicht daran
dachte, Alypius von dieser Pest zu heilen. jener aber bezog es sogleich
auf sich und war der Meinung, ich hätte es nur seinetwegen gesagt.
Was ein anderer aber nur auf sich gemünzt angenommen hätte,
um mir zu zürnen, das nahm der edle Jüngling auf, nur uni
sich selbst zu zürnen und um mich noch glühender zu lieben.
Denn schon vormals hattest du gesagt und deiner Schrift eingefügt
das Wort: "Strafe den Weisen und er wird dich lieben." Ich war es
nicht, der ihn strafte; du aber, der du dich aller, wissend und nicht
wissend, bedienst nach deiner Ordnung, die nur du kennst und die stets
die rechte ist, du bereitetest aus meinem Herzen und meiner Zunge
glühende Kohlen, mit welchen du das hoffnungsvolle, dem
Erlöschen nahe Gemüt wieder entzündetest und heiltest.
Dein Lob verschweige, wer deine Erbarmungen nicht erkennt, die mich aus
der Tiefe meines Herzens dir das Bekenntnis ablegen lassen. jener
schwang sich nach jenen Worten aus der Tiefe des Schlammes empor, von
der er mit seinem Willen sich hatte verschlingen lassen und die ihn in
unseliger Lust blendete; mit mutiger Enthaltsamkeit streifte er den
Schmutz seiner Seele ab, aller Unrat des Zirkus fiel von ihm ab, er
betrat ihn nicht mehr. Dann setzte er es bei seinem widerstrebenden
Vater durch, ganz mein Schüler zu werden, jener gab nach, gab es
zu. Als er mich nun wieder hörte, ward er mit mir in gleichen
Aberglauben verwickelt, weil er an den Manichäern die zur Schau
getragene Enthaltsamkeit liebte und sie für wahr und echt hielt.
Sinnlos war sie aber und verführerisch, nahm edle Seelen gefangen,
welche noch nicht die Tugend bis in ihre Tiefen ergründen und
daher leicht durch ihre Oberfläche getäuscht werden konnten,
wiewohl es doch nur die Oberfläche eines Schattens von
geheuchelter Tugend ist.
Sechstes Buch - Achtes Kapitel
Nicht um den ihm von seinen
Eltern eingeredeten irdischen Weg zu verlassen, ging er nach Rom vor
mir, um dein Studium der Rechte sich zu widmen; er ward dort von
unglücklicher Leidenschaft für Gladiatorenspiele ganz
unglaublich hingerissen. Denn da er sie noch anfangs verabscheute und
verwünschte, führten ihn einige Freunde und Mitschüler,
als er ihnen, die vom Mahle kamen, begegnete, obgleich er sich mit
Aufbietung aller seiner Kräfte heftig weigerte und Widerstand
leistete, mit freundlicher Gewalt in das Amphitheater am Tage dieser
grausamen und mörderischen Spiele. Er sprach dabei zu ihnen: *Wenn
ihr auch meinen Körper an jenen Ort schleppt und dort festhaltet,
könnt ihr auch meinen Geist und meine Augen auf jenes Schauspiel
wenden? So will ich abwesend anwesend sein und euch und diese Spiele
überwinden." Trotz des Gehörten führten sie ihn mit sich
fort, begierig zu erfahren, ob er das wohl würde durchsetzen
können. Als sie dort anlangten, setzten sie sich, wo noch ein
Platz offen war, und alles glühte in unmenschlicher Lust. Jener
schloß die Augen und verbot seiner Seele, sich in solche
Fährnisse hinauszuwagen. O, hätte er doch auch seine Ohren
verstopft. Denn als einer im Kampfe fiel und das ganze Volk ein
mächtiges Geschrei erhob, erlag er der Neugierde, und bereit,
jeden Anblick, möge er sein, wie er wolle, stolz zu verachten,
öffnete er die Augen. Und seine Seele ward von schwererer Wunde
getroffen als jener am Körper, den er zu sehen begehrte, und er
sank elender als jener, bei dessen Falle das Geschrei entstand, das
durch seine Ohren eindrang und seine Augen aufschloß, so
daß eine Blöße entstand, durch welche er getroffen und
niedergeworfen werden konnte, im Gemüt mehr dreist als stark und
um so schwächer, als es auf sich vertraute, nicht, wie es gesollt,
auf dich. Denn da er das Blut sah, da sog er zugleich den Blutdurst ein
und wandte sich nicht mehr ab, sondern richtete sein Gesicht daran,
schlang die Wut in sich und wußte es doch nicht und ergötzte
sich an dem frevelhaften Kampfe und ward berauscht von dem blutigen
Vergnügen. Nun war er nicht mehr derselbe, als welcher er gekommen
war, sondern einer des Schwarmes, zu dem er gekommen war, und der echte
Spießgeselle derer, die in hergeführt hatten. Was ist da
noch viel zu sagen? Er sah, er schrie mit, er entbrannte und trug von
dannen mit sich das wahnsinnige Verlangen, das ihn reizte, immer wieder
und wieder hinzugehen, nicht nur in Begleitung derer, die ihn zuerst
mit hingeschleppt hatten, sondern allen voran und andere
verführend. Und selbst von dort hast du ihn mit starker und
erbarmender Hand hinweggerissen und ihn gelehrt, nicht auf sich,
sondern auf dich sein Vertrauen zu setzen - freilich erst viel
später.
Sechstes Buch - Neuntes Kapitel
Folgende Begebenheit aber
ward, um ihn in Zukunft vor Irrtümern zu bewahren, in sein
Gedächtnis eingesenkt. Als er einst in Karthago noch als mein
Zuhörer zur Mittagszeit auf dem Forum über eine Rede, die er
zu halten hatte, nachsann, wie es die Art der Studierenden ist, da
ließest du es zu, daß er von den Hütern des Forums als
vermeintlicher Dieb ergriffen wurde. Auch das hast du, o mein Gott, nur
zugelassen, damit jener später so bedeutende Mann lerne, daß
beim Urteilsfällen kein Mensch so leicht mit vermessener
Leichtgläubigkeit dürfe verdammt werden. Er ging nämlich
allein mit Schreibtafel und Griffel vor dem Tribunal auf und nieder,
während ein anderer Jüngling aus der Zahl der Studierenden,
der wirkliche Dieb, mit einem Beil, das er bei sich versteckt hielt,
ohne daß Alypius etwas davon ahnte, an die Bleigitter herantrat,
welche die tiefer laufende Wechslergasse überragen, und das Blei
abzuschlagen begann. Die Wechsler, die unten standen, waren durch den
Schall des Beiles aufmerksam geworden, besprachen sich heimlich und
schickten Häscher aus, die jeden festnehmen sollten, den sie oben
fänden. jener entfloh, als er das Stimmengeräusch hörte,
mit Hinterlassung seines Beiles, aus Furcht, man könnte ihn damit
ertappen. Alypius, der ihn beim Herankommen nicht bemerkt hatte,
bemerkte ihn nun beim Davoneilen und sah, wie er sich schnell
davonmachte, und neugierig, die Ursache zu erfahren, betrat er den
Tatort, fand das Beil, blieb dabei stehen und betrachtete es
verwundert. Die Häscher finden ihn mit dem Beil, dessen Klang sie
herbeigezogen hatte, in der Hand; sie legen Hand an ihn und schleppen
ihn fort; die Bewohner des Forums laufen zusammen, während die
Häscher sich rühmen, den Dieb auf der Tat ertappt zu haben.
So wurde er denn dem Richter zugeführt.
Hier aber sollte die Lehre,
die du ihm geben wolltest, ihr Ende erreichen; denn sogleich kamst du,
o Herr, der Unschuld, deren Zeuge du allein warst, zu Hilfe. Denn als
er zur Haft oder Strafe geführt ward, kam ihnen ein Baumeister
entgegen, der die Oberaufsicht über die öffentlichen Bauten
hatte. Die Häscher freuten sich eben, ihm zu begegnen, da er sie
gerade in Verdacht hatte, als pflegten sie das vom Forum
Abhandengekommene zu entwenden, so daß er nun endlich erkennen
möchte, wer der wirkliche Täter sei. jener aber hatte den
Alypius oft im Hause eines Senators gesehen, dem er aufzuwarten
pflegte, und sogleich, nachdem er ihn erkannt hatte, entriß er
ihn der Schar, erfuhr von ihm, was geschehen war, und befahl allen, die
unter heftigem Lärm und Drohungen dabeistanden, ihm zu folgen. Und
sie kamen an das Haus des Täters. Vor der Türe stand ein
Knabe, der zu klein war, als daß er aus einer Aussage Schlimmes
für seinen Herrn gefürchtet hätte und der leicht alles
angeben konnte, denn er war auf dem Forum sein Begleiter gewesen.
Diesen erkannte Alypius und vertraute dem Baumeister seinen Verdacht.
jener zeigte dem Knaben das Beil und fragte ihn, ob es seinem Herrn
gehörte. Dieser antwortete sogleich: "Ja, es ist das unsrige", und
weiter ausgefragt, erzählte er auch das übrige. So fiel die
Tat auf dieses Haus, und die Menge, die bereits über ihn
triumphierte, wurde beschämt. Er aber, der kräftige Verwalter
deines Wortes und der Schiedsrichter so vieler kirchlicher
Angelegenheiten, ging erfahrener und belehrter von dannen.
Sechstes Buch - Zehntes Kapitel
Ihn also traf ich in Rom, und
Bande inniger Freundschaft verknüpften uns; er reiste mit mir nach
Mailand, damit er mich nicht zu verlassen brauchte und um die
Rechtswissenschaft, die er mehr nach dem Willen seiner Eltern als nach
seinem eigenen erlernt hatte, auszuüben. Dreimal hatte er vorher
schon das Amt eines Beisitzers mit der edelsten Uneigennützigkeit
bekleidet, über die sich die übrigen wunderten, während
er sich mehr über sie wunderte, die das Gold der Rechtschaffenheit
vorzogen. Dort ward auch seine Tugend nicht nur durch lockenden Gewinn,
sondern auch durch die Anfechtung der Furcht versucht. In Rom
bekleidete er einst die Stelle eines Beisitzers im Schatzmeisteramte
für Italien. Damals war dort ein sehr mächtiger Senator, dem
viele durch ihnen geleistete Dienste verbunden oder aus Furcht
dienstbar waren. Der stellte einst nach der Art, wie eine Amtsgewalt
wie die seine gemißbraucht zu werden pflegt, ein gesetzwidriges
Ansinnen, dem Alypius entgegentrat, der jegliches Versprechen und jede
Belohnung verachtete; man suchte ihn durch Drohungen
einzuschüchtern, er verachtete sie, so daß jeder seinen
ungewöhnlichen Mut bewunderte, der solch einen Mann weder zum
Freunde wollte noch ihn als Feind fürchtete. Der Richter selbst,
dessen Rat Alypius war und der selbst gegen das Ansinnen war,
verweigerte es doch nicht offen, sondern schob die Schuld auf Alypius,
dessen Einwilligung nicht zu erhalten sei und der, würde er, der
Richter, es selbst tun, gegen ihn gestimmt haben würde. Nur das
eine hätte ihn in seinem Eifer für die Wissenschaften fast
verleitet, daß er sich nämlich aus den Gerichtssporteln
Bücher zu verschaffen besorgt war; sein Rechtssinn indes brachte
ihn zu besserem Entschluß; es erschien ihm die Billigkeit, die es
verbot, nützlicher als die Gewalt, die es ihm erlaubte. Das ist
ein kleines. Aber wer im geringsten treu ist, der ist auch im
großen getreu, und kein leeres Wort sprach der Mund deiner
Wahrheit: So ihr nun in dem ungerechten Mammon nicht treu seid, wer
wird euch das Wahrhaftige vertrauen? Und so ihr nun in dem Fremden
nicht treu seid, wer will euch geben dasjenige, das euer ist? Solche
Gesinnungen besserten damals ihn, der mir anhing und sich mit mir
über die Wahl unserer Lebensweise beriet.
Auch Nebridius hatte seine
Heimat, nahe bei Karthago gelegen, verlassen und Karthago Selbst, wo er
so oft war, und seinen schönen väterlichen Landsitz, sein
Haus und seine Mutter, wiewohl nicht zu erwarten war, daß ihm
seine Mutter folgen würde, und war einzig und allein nach Mailand
gekommen, mit mir im Feuereifer nach Wahrheit und Weisheit zu streben;
er litt gleiche Qualen, er schwankte gleicherweise wie ich, suchte in
glühender Sehnsucht ein glückliches Leben, er, der am
scharfsinnigsten die schwierigsten Fragen erforschte. Wir waren drei
Hungernde, die sich mit lechzendem Munde ihre Not klagten und auf dich
harrend, daß du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit. Und bei aller
Bitterkeit, die unserem weltlichen Treiben durch deine Barmherzigkeit
folgte, legte sich Finsternis über uns, wenn wir nach dem Zweck
dieser Leiden fragten; seufzend widerstrebten wir und sprachen: Wie
lange noch soll dies währen? Und oft sprachen wir also, und doch
ließen wir nicht ab von unserem Treiben, weil wir nichts
Zuverlässiges hatten, das wir zu erfassen vermocht hätten,
wenn wir jenes verließen.
Sechstes Buch - Elftes Kapitel
Am meisten aber erfaßte
mich Verwunderung, da ich mit Kummer mich erinnerte, welch lange Zeit
doch vom neunzehnten Jahre meines Lebens verstrichen sei, wo ich in
brennendem Eifer die Wahrheit gesucht hatte mit dem Vorhaben, wenn ich
jene gefunden hätte, die eitle Hoffnung auf alle nichtigen
Leidenschaften aufzugeben und alle lügnerischen Torheiten; und
siehe, schon war ich im dreißigsten Jahre und haftete noch an
demselben Unrate, voll Gier nach dem flüchtigen und zerstreuenden
Genusse der Gegenwart, und das war mein tägliches Wort: Morgen
werde ich es finden, es wird sich mir klar darbieten und ich werde es
festhalten; siehe, Faustus wird kommen und mir alles erklären. ihr
großen Akademiker! So ist also nichts Sicheres für das Leben
zu ergreifen. Nun dann laßt uns fleißiger suchen und nicht
verzweifeln.
Schon erscheint mir nicht mehr
sinnlos, was mir früher so in den Büchern der Kirche
erschien; es kann anders und vernünftig verstanden werden. So will
ich meine Schritte lenken auf die Bahn, auf die mich als Kind schon die
Eltern stellten, bis ich durchschauliche Wahrheit finde. Wo aber soll
ich suchen? Wann soll ich sie suchen? Es fehlt mir nicht Ambrosius, es
mangelt mir nicht an Schriften zum Lesen. Wo aber suchen wir die
Bücher selbst? Woher und wann sie anschaffen? Von wem sie nehmen?
Die Zeit muß eingeteilt, die Stunden müssen bestimmt werden
für das Heil der Seele. Eine große Hoffnung ist uns
aufgegangen, indem der Kirchenglaube nicht lehrt, was wir dachten und
ihm falsch vorwarfen. Seine Lehrer halten es für sündhaft, an
einen in Menschengestalt beschlossenen Gott zu glauben, und wir
zweifeln noch daran anzuklopfen, auf daß auch das übrige uns
kundwerde. In den Vormittagsstunden nehmen mich meine Schüler in
Anspruch, was tun wir in den übrigen Stunden? Warum betreiben wir
da nicht (was uns nottut)? Aber wann sollen wir denn da unseren
Gönnern aufwarten, deren Gunst wir bedürfen? Wann bereite ich
mich vor auf die Vorlesungen, welche die Schüler bezahlen? Wann
sollen wir uns erholen von der Abspannung des Geistes und den Sorgen,
die auf uns lasten?
Weg mit dem allen, verwerfen
wir es als eitel und nichtig, wenden wir uns einzig und allein der
Erforschung der Wahrheit zu. Das Leben ist voll Elends, die Stunde des
Todes ungewiß. Wenn er uns plötzlich überschliche, wie
müßten wir aus diesem Leben scheiden? Wo könnten wir
erlernen, was wir hier vernachlässigt haben? Müßten wir
nicht weit eher die Strafe dieser Vernachlässigung
büßen? Wie wenn der Tod all unser Streben mit dem
Bewußtsein abschnitte und endigte? Also auch das ist die Frage.
Doch ferne sei, daß es also sei.
Es ist etwas und nicht
zwecklos, daß ein so außerordentlich hohes Ansehen des
christlichen Glaubens sich über den ganzen Erdkreis verbreitet.
Nimmermehr würde Gott so Großes und Mächtiges für
uns vollbringen, wenn mit dem Tode des Körpers auch das Leben der
Seele sich endigte. Was zaudern wir denn da, die Hoffnung auf das
Zeitliche aufzugeben und uns voll und ganz dem Suchen nach Gott und dem
ewigen Leben zu weihen? Doch warte: denn auch die Dinge dieser Welt
haben ihren Reiz und gewähren süßen Genuß; nicht
leicht ist es, das Trachten nach ihnen aufzugeben; schmerzlich ist es
dagegen, zu ihnen zurückzukehren. siehe, wie wenig gehört z.
B. dazu, eine Ehrenstelle zu erlangen. Und was verlangt man mehr? ich
habe eine Menge angesehener vornehmer Freunde; lege ich mich nur recht
darauf und betreibe es recht eilig, so kann mir selbst ein Landvogtamt
gegeben werden; man kann ein Weib mit großem Vermögen
heiraten, damit sie nicht die Ausgaben über das Maß
vermehre, und es wird das rechte Maß und Ziel des Verlangens
erfüllt sein. Viele große Männer, die der Nachahmung
wert sind, widmeten sich trotz ihrer Ehe dem Studium der Weisheit.
Als ich so sprach und solche
Winde (der Eitelkeit) ihr Spiel mit mir trieben und mein Herz hierhin
und dorthin rissen, verstrich die Zeit und noch zauderte ich, mich zum
Herrn zu wenden, und ich verschob es von einem Tag zum andern, in dir
zu leben, verschob es aber nicht, in mir täglich zu sterben. Ich
liebte das Leben der Seligen und fürchtete es in seinem Sitze, und
ich floh vor ihm, während ich es suchte. Denn ich glaubte, ich
würde gar zu elend werden, wenn ich des Weibes Umarmungen
entbehren müßte, und dachte nicht an das Heilmittel deiner
Barmherzigkeit, das mich von meiner Schwachheit zu heilen vermochte,
weil ich es noch nicht aus Erfahrung kannte, und meinte, die
Enthaltsamkeit wäre ein Werk eigener Kraft, von der ich
wußte, daß sie mir fehlte, da ich in meiner Torheit so weit
ging, nicht zu wissen, was da geschrieben stand: ich kann nicht anders
züchtig sein, es gebe mir's denn Gott. Gewiß hättest du
mir's gegeben, wenn das Seufzen meines Herzens zu deinem Ohr gedrungen
wäre und wenn ich in festem Glauben alle Sorge auf dich geworfen
hätte.
Sechstes Buch - Zwölftes Kapitel
Wohl suchte mich Alypius von
der Heirat abzuhalten, der immer und immer mir wiederholte, daß
ein Leben in ungestörter, der Liebe zur Weisheit gewidmeter
Muße, nach der wir uns ja schon lange sehnten, mit der Ehe
unvereinbar sei. Er selbst lebte schon damals in fast beneidenswerter
Keuschheit; in seinen ersten Jünglingsjahren hatte er die Liebe
genossen, aber er war nicht in ihren Banden geblieben; jetzt schmerzte
es ihn uni so mehr, und er verachtete das Laster und lebte seitdem ganz
züchtig. ich aber widerstand ihm, indem ich ihm die Beispiele
solcher Männer anführte, die, obwohl verheiratet, doch sich
der Weisheit befleißigt und Gottes Gnade erworben hätten und
in treuer Liebe an ihren Freunden festgehalten hätten. Ich aber
war freilich weit entfernt von der Seelengröße jener
Männer und gebunden von der krankhaften Sinnenlust nach
todbringendem Genusse; ich schleppte meine Kette und fürchtete
mich, sie zu lösen, und da mir schon die Wunde geschlagen war, so
verschmähte ich die Worte dessen, der mir wohlmeinend riet, wie
die Hand dessen, der mich lösen wollte. Außerdem aber sprach
auch die Schlange selbst durch mich zum Alypius und umstrickte ihn und
legte ihm durch meine Rede Schlingen auf seinen Weg, durch welche ihm
die Füße, die auf ehrbaren Wegen frei wandelten, verwickelt
werden sollten.
Denn während er sich
über mich wunderte, wie ich, auf den er nicht wenig hielt, so tief
von der Macht der Wollust gefesselt sein könnte, daß ich
versicherte, wenn wir darüber sprachen, kein eheloses Leben
führen zu können, und ich mich dann damit verteidigte, wenn
ich seine Verwunderung sah, daß ich sagte, es sei ein
großer Unterschied zwischen der von ihm hastig und heimlich
genossenen Lust, deren er sich ja kaum noch erinnern und die er leicht
und ohne Schwierigkeit verachten könne, und den Freuden meines
fortgesetzten Umganges, zu welchen nun noch der Ehrenname der Ehe
hinzukäme, er solle sich nicht wundern, wenn ich dieses Leben
nicht verachten könne, da begann er selbst nach der Ehe Verlangen
zu tragen, keineswegs freilich von dem Reize der Wollust besiegt,
sondern aus Neugier. Er wünschte zu wissen, wie er mir sagte, was
denn das sei, ohne das mir das Leben,. welches jenem so recht gefiel,
nicht als ein Leben, sondern als Strafe erschien. Ein von dieser Fessel
freier Geist staunte über meine Sklaverei, und da er darüber
staunte, wandelte ihn selbst die Lust an, den Versuch zu machen und
sich in die Sklaverei zu stürzen, die er so angestaunt hatte, weil
er mit dem Tode einen Bund eingehen wollte; denn wer sich gern in
Gefahr gibt, der verdirbt darinnen. Keinen von uns zog ja das an, oder
nur schwach, was an der Ehe ehrwürdig ist in der Pflicht, den
Hausstand zu leiten, Kinder zu zeugen und zu erziehen. Mich, den
Gefesselten, quälte größtenteils nur die gewohnte
heftige Begier, meine unerforschliche Fleischeslust zu befriedigen;
jenen zog Neugier zur Fessel. So waren wir, bis du, o Höchster,
der du unsere Asche nicht verließest, dich der Elenden erbarmtest
und uns auf wundersame und verborgene Weise zu Hilfe kamst.
Sechstes Buch - Dreizehntes Kapitel
Es wurde mir unablässig
zugesetzt, daß ich mich verheiraten solle. Schon bewarb ich mich
und es ward mir das Jawort gegeben, da die Mutter sich vorzüglich
Mühe gab, daß die heilsame Taufe mich, wenn ich schon in der
Ehe lebte, reinigen möchte, und dies um so mehr, da sie sich
freute, daß ich von Tag zu Tag für die Taufe geeigneter
würde, und wahrnahm, daß ihre Wünsche und deine
Verheißungen in meinem Glauben erfüllt würden. Da sie
aber sowohl auf mein Bitten und aus eigener Sehnsucht mit lautem
Seufzen des Herzens täglich zu dir flehte, du möchtest ihr
durch ein Gesicht eine Offenbarung über meine künftige Ehe
geben, so erhörtest du sie nie. Sie sah einiges Richtige und
Phantastische, wozu sie der Drang ihres hierüber bekümmerten
menschlichen Geistes trieb, und erzählte es mir, aber nicht mit
dem gewöhnlichen Vertrauen, wenn du ihr es offenbartest, sondern
mit einer gewissen Geringschätzung Denn sie äußerte,
sie wisse durch eine Empfindung, die sie mit Worten nicht auszusprechen
vermöge, wie es ein Unterschied sei, wenn du ihr etwas
offenbartest und wenn ihr Geist träume. Dennoch betrieb man es,
und die Wahl fiel auf ein Mädchen, aber wegen ihrer zu
großen Jugend mußte noch zwei Jahre gewartet werden, und
weil sie uns gefiel, so wurde gewartet.
Sechstes Buch - Vierzehntes Kapitel
Wir Freunde, wenn wir in
größerer Anzahl zusammen waren, erwogen, besprachen und
verwünschten die wirren Beschwerden des menschlichen Lebens und
beschlossen fest, fern von dem Treiben der Menge in Muße zu
leben, und um zu dieser Ruhe zu gelangen, hatten wir folgenden
Lebensplan gemacht. Das, was wir besaßen, wollten wir
zusammenlegen und aus allem ein gemeinsames Familiengut bilden,
daß bei dem Freundesbund nicht das eine diesem, das andere jenem
gehöre, sondern, da aus allem eins gebildet wurde, das Ganze den
einzelnen gehöre und alles allen. Es schienen uns zehn Männer
in diesem Bunde sein zu können, und zwar darunter sehr
Vermögende, vor allen Romanianus, unser Landsmann, den schwere
Verlegenheiten in seinen Geschäften an den Hof gezogen hatten, von
Jugend auf mein vertrautester Freund. Er nahm sich am meisten der Sache
an, und bei seinem großen Ansehen fielen seine Ratschläge am
meisten ins Gewicht, weil er das größte Vermögen hatte.
Wir beschlossen, daß jedesmal zwei Mitglieder ein Jahr lang, wie
bei dem Magistrat, alles Notwendige besorgten, die übrigen aber in
Ruhe lebten. Aber als wir überlegten, ob das wohl den Frauen, die
einige von uns schon hatten und die wir andern uns wünschten,
recht sein würde, da zerrann uns der ganze Plan, den wir so
trefflich ausgesonnen hatten, unter den Händen und wurde beiseite
gelegt. Wir seufzten, klagten und richteten unsere Schritte wieder auf
die breiten und betretenen Wege dieser Welt, mancherlei Gedanken waren
in unserem Herzen. Dein Ratschluß, o Gott, bleibt in Ewigkeit.
Diesem Ratschlusse gemäß verlachtest du das Unsrige und
schafftest das Deine. Du gibst uns unsere Speise zu seiner Zeit, du
tust deine Hand auf und sättigest alles, was lebt, mit
Wohlgefallen.
Sechstes Buch - Fünfzehntes Kapitel
Inzwischen mehrten sich meine
Sünden. Und da die von meiner Seite gerissen ward - ein Hindernis
freilich für meine Vermählung -, mit welcher ich mein Bett zu
teilen gewohnt war, ward mein Herz, das an ihr hing, durchbohrt,
verwundet und blutete. Sie aber war nach Afrika zurückgekehrt und
hatte dir gelobt, nie mehr einem andern Manne anzugehören, und
ließ mir zurück den natürlichen Sohn, welchen ich mit
ihr gezeugt hatte. Ich aber war unglücklich und konnte nicht
einmal Nachahmer des Weibes sein, sondern des Aufschubs ungeduldig, da
ich erst in zwei Jahren die erhalten würde, um die ich geworben,
verband ich mich, weil ich nicht Freund der Ehe, sondern Sklave der
Lust war, mit einer andern, freilich nicht als Gattin, um so die
Krankheit meiner Seele zu nähren und durch den Dienst
ununterbrochener Gewohnheit bis in das Reich der Ehe ungeschwächt
oder gar vergrößert fortzuführen. Doch heilte darum
jene Wunde nicht, welche mir durch die Trennung von jener ersten
geschlagen wurde, sondern nach Brand und wütendem Schmerz ging sie
in Fäulnis über, schmerzte wohl weniger brennend, aber um so
hoffnungsloser.
Sechstes Buch - Sechzehntes Kapitel
Dir sei Preis, dir sei Ehre,
du Quell des Erbarmens! Elender ward ich und du kamst mir näher.
Schon nahete sich mehr und mehr deine Rechte, mich aus dem Pfuhle zu
reißen und mich zu reinigen, und ich wußte nichts davon.
Nichts rief mich zurück von dem tieferen Schlunde fleischlicher
Lust als Furcht vor dem Tode und dem kommenden Gerichte, die, auch wenn
meine Ansichten darüber wechselten, doch nie ganz aus meinem
Herzen wich. Ich sprach mit meinen Freunden Alypius und Nebridius
über das höchste Gut und höchste Übel; ich sagte
ihnen, daß ich dem Epikur den Siegespreis zuerkennen würde,
wenn ich nicht der festen Ansicht wäre, daß es nach dem Tode
noch ein Leben der Seele und eine Vergeltung gäbe, eine Ansicht,
die Epikurus verneinte. Ich stellte die Frage auf, warum wir,
angenommen, wir könnten unsterblich und im beständigen
Genusse des Körpers ohne die Furcht, ihn jemals zu verlieren,
weiterleben, doch nicht glückselig seien oder was wir noch weiter
suchten? Ich wußte nicht, daß darin eben die
Größe meines Elends bestand, daß ich, zu versunken und
zu verblendet, nicht imstande war, das Licht der Tugend und der ohne
fleischlichen Genuß zu hebenden Schönheit zu denken, die das
Auge des Fleisches nicht sieht, sondern die nur von den Tiefen der
Seele aus geschaut wird. Ich Elender bedachte nicht, aus welcher Quelle
mir flösse, was ich über dieses doch so Schändliche
ruhig mit den Freunden besprach, und ohne diese Freunde konnte ich
nicht glücklich sein, selbst nach der Gesinnung, die ich damals
bei jedem Strome sinnlicher Lust bewies. Diese Freunde liebte ich
wirklich ohne Eigennutz und wußte, daß auch sie mich ohne
Eigennutz liebten. O wundersam gewundene Pfade!
Wehe dem verwegenen Geiste,
der da gehofft hat, wenn er von dir gewichen, Besseres zu besitzen! Mag
er sich vorwärts, rückwärts, auf den Rücken oder
auf die Seite legen, überall findet er nur harte Beschwerden; du
allein bist die Ruhe. Siehe, du bist da und befreist uns von unserem
elenden Irrtum, führest uns auf deinen Weg, tröstest uns und
sprichst: Wohlan! Ich will euch tragen, ich will euch fuhren, ich will
euch geleiten zur Heimat göttlicher Ruhe.
SIEBENTES BUCH
Erstes Kapitel
Dahingegangen war die Zeit
meiner verwerflichen Jugend und ich trat in das Mannesalter ein und
war, je älter an Jahren, desto schändlicher an schnöder
Eitelkeit. Da ich das Wesenhafte mir nur sichtbar vorstellen konnte,
nicht anders dachte ich dich mir, o Gott, als in menschlicher Gestalt.
Seitdem ich aber etwas von deiner Weisheit zu fassen begann, floh ich
dies und freute mich, daß ich das auch im Glauben unserer
geistigen Mutter, deiner Kirche, bestätigt fand. Aber wie ich dich
anders ausdenken sollte, darauf verfiel ich nicht, und ich, ein Mensch
und solch ein Mensch, wagte dich, den höchsten und allein wahren
Gott, zu denken, und an dich, den Unvergänglichen,
Unverletzlichen, Unwandelbaren, glaubte ich von Grund meines Herzens,
weil ich klar erkannte und sicher war, obwohl ich nicht wußte,
woher diese meine Ansicht komme, daß das, was vergänglich
ist, geringeren Wert haben müsse als das, was unvergänglich
ist; das Unverletzbare zog ich ohne Zögern dem Verletzlichen vor
und das Unwandelbare dem Wandelbaren. Mein Herz schrie heftig auf gegen
alle meine Truggebilde, und mit einem Schlage versuchte ich den mich
umwirbelnden Schwarm von Unlauterkeit ans den Augen meines Geistes zu
vertreiben; kaum aber hatte ich ihn für einen Augenblick
zerstreut, so war er schon wieder da, zusammengescharrt, und
stürzte sich auf mein Gesicht und verdunkelte es, so daß ich
dich, mein Gott, wenn auch nicht in menschlicher Gestalt, so doch als
etwas Körperliches, den Raum Erfüllendes zu denken gezwungen
war, sei es nun innerhalb der Welt oder außerhalb der Welt
ergossen durch das Unendliche, auch wohl als das Unzerstörbare,
Unverletzbare, Unveränderbare, dem ich den Vorzug gab vor dem
Zerstörbaren, Verletzbaren und Veränderbaren. Denn was ich
mir nicht räumlich denken konnte, schien mir gar nichts sein zu
können, ein völliges Nichts, nicht einmal eine Leere, wie
etwa ein von seinem Körper verlassener Raum, sei nun dieser
Körper erdig, feucht, luftig oder ätherisch; ein von ihm
leerer Ort deuchte mir gleichsam ein räumliches Nichts.
Ich glaubte also,
fühllosen Herzens und mir selbst nicht einmal erkennbar, daß
alles, was keine räumliche Ausdehnung habe, sich ergieße
oder zusammengedrängt werde oder aufschwölle oder irgendeine
solche Beschaffenheit habe oder doch haben könne, überhaupt
nichts sei. Denn aus den Formen, welche meine Augen durchzugehen
pflegten, bildete sich mein Herz Vorbilder, und ich sah nicht ein,
daß dies Vorstellungsvermögen, vermöge dessen ich diese
Bilder erzeugte, nichts Körperliches noch Räumliches sei; und
doch hätte es sich jene nicht gebildet, wenn es nicht selbst etwas
Großes wäre. So dachte ich auch von dir, du Leben meines
Lebens, ausgedehnt durch unendlichen Raum, durchdrängest du die
ganze Weltmasse und außer ihr die Unendlichkeit ohne Schranke, so
daß dich Erde, Himmel und das All habe und in dir begrenzt sei,
du aber nirgends. Wie aber der Lichtkörper, der sich über der
Erde befindet, dem Sonnenstrahl keinen Widerstand entgegengesetzt, so
daß er sie nicht durchdringen könnte und durchschneiden -
wie es ihn ganz erfüllt, so glaubte ich auch von dir, daß du
nicht allein Himmel, Luft und Meer, sondern auch die Erde
durchdrängest, und zwar in ihren größten und kleinsten
Teilen, um deine Gegenwart zu fassen, daß du innerhalb und
außerhalb des Alls alles Geschaffene regierst in geheimer
geistiger Energie. So war meine Vermutung, weil ich ein anderes nicht
zu denken vermochte, aber es war falsch. Denn auf diese Weise
würde ein größerer Teil der Erde ein
größeres Stück von dir innehaben und ein kleinerer ein
kleineres; so würde alles von dir erfüllt sein, so daß
der Leib eines Elefanten mehr von dir enthielte als der eines Sperlings
in dem Maße, als der Elefantenleib größer ist und
einen größeren Raum einnimmt; so würdest du
zerstückt großen Teilen der Welt große Teile, kleinen
Teilen derselben kleine Teile deines Wesens vergegenwärtigen. So
bist du aber nicht. Aber noch immer hattest du meine Finsternis nicht
erleuchtet.
Siebentes Buch - Zweites Kapitel
Es war genug, Herr, gegen die
Betrogenen und Betrüger und stummen Schwätzer, weil aus ihnen
nicht dein Wort hervortönte; genug war es, was Nebridius bereits
in Karthago aufgebracht hatte und wovon wir alle, die wir es
hörten, erschüttert waren. Was würde ein Geschlecht der
Finsternis, welches sie dir aus einer entgegengesetzten Weltmasse
entgegenzustellen pflegten, dir haben anhaben können, wenn du mit
ihm nicht hättest streiten wollen? Wenn man antwortete, es
hätte dir schaden können, so wärest du verletzbar und
vergänglich. Wenn man aber gesagt hätte, es konnte dir keinen
Schaden zufügen, so war keine Ursache zum Streit vorhanden, und
zwar eines Streites, daß ein Teil oder ein Glied von dir oder ein
Sproß deines Wesens sich mit den feindlichen Mächten und
nicht von dir geschaffenen Naturen vermischte und so weit verdorben und
zum Schlechten verwandelt würde, daß er von der Seligkeit
ins Elend sänke und der Hilfe bedürfte, um befreit und
gereinigt zu werden; ein solcher Teil, ein solcher Sprößling
aber war die Seele, der dein freies Wort im Zustande der Knechtschaft,
dein reines Wort im Zustande der Befleckung und dein unverderbtes Wort
im Zustande des Verderbens zu Hilfe käme, aber auch dies
verderbbar, weil es von einer und derselben Substanz ist. Wenn sie
daher dich und was du bist, dein Wesen, unwandelbar nannten, so ist
ihre ganze Lehre falsch und verwerflich; wenn sie es aber für
verderbbar halten, so ist dies schon an und für sich falsch und
von Grund aus verwerflich. Es war dies also Grund genug, mich von dem
Druck zu befreien, der auf meinem Herzen lag, weil es für sie
keinen Ausweg gab, ohne schreckliche Gotteslästerung des Geistes
und der Zunge, wenn sie in dieser Weise von dir dachten und redeten.
Siebentes Buch - Drittes Kapitel
Noch aber war mir, obwohl ich
dich als den Unbefleckbaren und Unwandelbaren bekannte und des festen
Glaubens war, daß du, Herr, unser wahrer Gott seiest, der nicht
nur unsere Seelen geschaffen, sondern auch unsere Körper, nicht
nur unsere Seelen und Körper, sondern alle und alles - noch war,
sage ich, mir die Ursache des Bösen nicht enträtselt und
entwirrt. Was sie aber auch sein mochte, ich glaubte sie so suchen zu
müssen, daß ich durch sie nicht genötigt würde,
dich, Gott, den Unwandelbaren, für wandelbar zu halten, auf
daß ich nicht selbst würde, wonach ich forschte. So suchte
ich unbekümmert und war sicher, daß die diesbezüglichen
Lehren der Manichäer Lügen seien, die ich aus Grund meiner
Seele floh, weil ich sah, daß für Forschen nach dem Urgrunde
des Bösen nur aus Bosheit geschehe, weil sie glaubten, daß
dein Wesen viel eher dem Bösen unterliege, als daß ihr Wesen
das Böse tue.
Ich bestrebte mich nun, die
gehörte Lehre zu begreifen, daß nämlich die freie
Entscheidung unseres Willens die Ursache des Bösen sei und
daß dein Gericht, das wir erlitten, ein gerechtes sei. Diese
klare Ursache einzusehen vermochte ich aber nicht. Sooft ich daher die
Schärfe meines Geistes aus der Tiefe hervorzuführen
versuchte, tauchte sie wiederum unter, und bei dem oft wiederholten
Versuche sank ich immer und immer wieder zurück. Denn es erhob
mich zu deinem Lichte, daß ich ebenso überzeugt war von dem
Vorhandensein meines freien Willens wie von meinem Leben. Wenn ich
daher etwas wollte oder nicht wollte, so war ich ganz sicher, daß
niemand anders als ich es wollte oder nicht wollte, und allmählich
kam ich zu dem Bewußtsein, daß hierin wohl der Urgrund des
Bösen liege. Was ich aber wider Willen tat, das betrachtete ich
mehr als ein Leiden von meiner Seite als eine Tat und glaubte,
daß es keine Schuld, sondern eine Strafe wäre, die ich aber,
da ich deine Gerechtigkeit anerkannte, sehr bald nicht ungerecht
über mich verhängt bekannte. Wiederum aber sagte ich: Wer
schuf mich? Mein Gott, der nicht nur gut, sondern überhaupt das
Gute ist? Woher da der Wille zum Bösen und der Nichtwille zum
Guten, so daß ich gerechte Strafe verbüßen muß?
Wer legte das in mich und säete in mich hinein den Keim der
Bitterkeit, da ich ganz und gar von meinem süßen Gott
geschaffen bin? Ist der Teufel der Urheber, nun woher stammt denn der
Teufel? Und wenn er selbst erst durch Verkehrung seines Willens aus
einem guten ein böser Engel ward, woher kam ihm dieser böse
Wille, durch den er zum Teufel ward, da er, der Engel, seinem ganzen
Wesen nach von dem besten Schöpfer gut erschaffen ward? Von diesen
Gedanken ward ich immer wieder niedergedrückt und geängstet;
aber ich versank nicht in die Tiefe des Irrtums, wo niemand sich
schuldig bekennt, indem man glaubt, du seiest eher der Dulder als der
Mensch der Täter des Bösen.
Siebentes Buch - Viertes Kapitel
Nun strebte ich, auch das
übrige aufzufinden, wie ich denn bereits gefunden hatte, daß
das Unwandelbare besser sei als das Wandelbare, und ich bekannte,
daß du, was du auch sein magst, unveränderlich seiest. Denn
kein Geist vermag oder wird je vermögen, etwas Besseres, als du
bist, auszudenken, der du das höchste und beste Gute bist. Wenn
nun aber wahrhaftig und gewiß das Unwandelbare dem Wandelbaren
vorzuziehen ist, wie ich davon schon überzeugt war, so konnte ich
mit meinem Forschen etwas erreichen, nämlich, daß es etwas
Besseres als dich, o mein Gott, geben müßte, wenn du
veränderbar wärest.
Sobald ich einsah, daß
das Unveränderbare dem Veränderlichen vorzuziehen sei,
mußte ich dich suchen und von da aus forschen, wo der Sitz des
Bösen sei, das heißt, woher das Verderben selbst stamme, von
dem dein Wesen nie ergriffen werden kann. Denn keine
Vergänglichkeit vermag unsern Gott in irgendeiner Weise zu
verletzen, weder durch den Willen noch durch eine Notwendigkeit noch
durch ein Ungefähr, weil er selbst Gott ist, und was er will, ist
gut, er selbst ist das Gute, verderbt werden aber heißt nicht gut
sein. Auch wirst du nie wider deinen Willen zu etwas genötigt,
weil dein Wille nicht größer ist als deine Macht.
Größer wäre er nur, wenn du selbst größer
wärest, als du bist; denn Gottes Wille und Gottes Macht sind Gott
selbst. Und was käme dir, der du alles kennst, wohl unvermutet? Es
gibt kein Geschöpf als nur dadurch, daß du es erkennst. Was
sollen wir noch viel darüber sagen, warum das Wesen, welches Gott
heißt, unveränderlich ist? Denn wäre es nicht also, so
wäre Gott nicht.
Siebentes Buch - Fünftes Kapitel
Ich forschte danach, woher
denn das Böse komme, und forschte schlecht; ich erkannte in meinem
Forschen selbst nicht das Böse. Vor meinen Geist stellte ich die
ganze Schöpfung und was in ihr zu sehen ist, die Erde, das Meer
und die Luft, die Gestirne, die Bäume und die anderen sterblichen
Geschöpfe; ferner alles, was wir in ihr nicht erblicken, wie die
Himmelsfeste droben mit ihren Engeln und sämtlichen Geistern; aber
freilich auch dies ordnete meine Einbildung in bestimmte Räume,
als ob es Körper wären, und ich bildete aus deiner
Schöpfung eine einzige große Masse, in sich geschieden nach
Geschlechtern, als seien sie wirklich Körper oder als stellte ich
mir die Geister als Körper vor. Groß machte ich mir diese
Masse, aber nicht, wie sie wirklich ist, denn das konnte ich nicht
wissen, sondern nach meinem Belieben von allen Seiten begrenzt. Dich
aber, o Herr, bildete ich mir ein als den sie Überall Umfassenden
und Durchdringenden und Allbegrenzten. Gesetzt, das Meer erfüllte
alles und allenthalben durch die unermeßlichen Räume
wäre nur allein das Meer und Es enthielte in sich einen Schwamm
von beliebiger, jedoch begrenzter Größe, so wäre dieser
Schwamm vollständig und in jedem seiner Teile erfüllt von
diesem unermeßlichen Meere. So stellte ich mir deine begrenzte
Schöpfung, die von dir, dem Unbegrenzten, erfüllt ist, vor
und sprach: Siehe, so ist Gott und so ist Gottes Schöpfung
beschaffen, und gut ist Gott und viel besser als jenes; doch hat der
Gute Gutes erschaffen, und siehe, wie er es umfaßt und
erfüllt! Wo ist nun also der Sitz des Bösen, woher kommt es
und auf welchem Wege hat es sich eingeschlichen? Was ist seine
Würze und sein Same? Existiert es etwa überhaupt nicht? Warum
fürchten wir uns aber denn und hüten uns vor dein, was nicht
ist? Oder aber, wenn unsere Furcht mächtig ist, ist dann die
Furcht selbst das Böse, von der das Herz vergebens gereizt und
gepeinigt wird? Und das Übel ist um so schwerer, als nichts ist,
was wir zu fürchten hätten, als unsere Furcht nichtig ist und
wir uns dennoch fürchten? Es ist daher entweder das Böse
wirklich, das wir fürchten, oder das Böse besteht eben darin,
daß wir uns fürchten. Woher ist es doch, da der Gott alles
schuf, der Gute Gutes? Das größere und höchste Gut
schuf kleineres Gut, aber doch war der Schöpfer und Lenker in
ihrer Gesamtheit gut. Woher kommt nun also das Böse? War es eine
böse Materie, mit der er dies schuf? Hatte er dieselbe gebildet
und geordnet und blieb etwas zurück, das er nicht ins Gute
wandelte? Fehlte ihm die Macht, das Ganze umzuwandeln, daß nichts
Böses zurückbliebe, da er doch allmächtig ist? Endlich,
warum wollte er aus der bösen Materie etwas schaffen, warum hat er
sie mit seiner Allmacht nicht gänzlich vernichtet? Oder konnte sie
gegen seinen Willen existieren? Wenn sie ewig war, warum ließ er
sie so lange durch unendliche Zeiten rückwärts gewendet sein
und wollte erst so lange hernach etwas aus ihr machen? Und wenn er so
plötzlich etwas mit ihr vornehmen wollte, so hätte er sie in
seiner Allmacht vernichten sollen, damit er selbst allein das ganze,
wahre, höchste, unbeschränkte Gute wäre? Und wenn nichts
gut vorhanden war, aus dem er, der gut war, Gutes bilden und schaffen
konnte, warum hat er nicht die böse Masse beseitigt und vernichtet
und eine gute bereitet, aus der er alles schaffen konnte? Er wäre
ja nicht der Allmächtige, wenn er nichts Gutes schaffen
könnte; er würde dann von einer Masse unterstützt, die
er nicht selbst schuf. - Solche Gedanken bewegte ich in meinem elenden
Herzen, beschwert von nagenden Sorgen und Furcht vor dem Tode und dem
fruchtlosen Suchen nach Wahrheit; doch haftete in meinem Herzen der
kirchliche Glaube an Christum, unsern Herrn und Heiland, oft freilich
noch gestaltlos und über die Schranke der wahren Lehre
fließend; aber doch ließ ihn meine Seele nicht, sondern von
Tag zu Tag sog sie mehr von ihm ein.
Siebentes Buch - Sechstes Kapitel
Schon hatte ich auch die
trügerischen Prophezeiungen der Sterndeuter und ihre gottlosen
Albernheiten verworfen. Auch das, mein Gott, dankt mein innerstes Herz
nur deinen Erbarmungen. Denn du, nur du, wer anders ruft uns hinweg von
allem tödlichen Irrtum als das Leben, das nicht zu sterben
weiß, und die Weisheit, die den Geist in seiner
Bedürftigkeit erleuchtet, sie, die keines Lichtes bedarf, die ihre
Welt erhält bis zu der Bäume flatternden Blättern. Du
lenktest meine Hartnäckigkeit, mit der ich dem scharfsinnigen
Greise Vindicianus und dem Nebridius mit jener wunderbaren
Jünglingsseele widerstand. Von diesen behauptete der eine mit
eifriger Festigkeit, der andere zwar noch mit etwas Zweifel, aber desto
öfter, es gäbe keine Kunst, die Zukunft vorauszusehen, die
Berechnungen der Menschen hätten oft die Macht des Zufalls
für sich, und wenn man so viel spreche, so werde zufällig
auch manches gesagt, das in Erfüllung gehe, ohne Wissen
derjenigen, die es sagten, nur durch vieles Reden träfen sie es
zufällig. Du sorgtest mir für einen Freund, der kein
lässiger Frager der Sterndeuter war, doch ihre Schriften nicht
gründlich verstand, sie nur aus Neugierde befragte und einiges,
was er wußte, von seinem Vater gehört haben wollte. Er ahnte
nicht, wie viel das dazu beitrug, bei mir das Vertrauen zu jener Kunst
zu entkräften. Dieser Mann, mit Namen Firminus, in der
Beredsamkeit wohlunterrichtet und wohlbewandert, fragte mich als seinen
vertrauten Freund über einige Dinge, auf die er seine zeitliche
Hoffnung aufbaute, unter anderen auch, was ich von der Konstellation
halte, unter der ich geboren sei, und ich, der ich mich schon in dieser
Hinsicht der Ansicht des Nebridius zuneigte, versagte ihm zwar nicht,
auf sein Verlangen einzugehen und ihm meine Deutung zu sagen, wendete
ihm aber doch dabei ein, daß ich von der Lächerlichkeit und
Nichtigkeit jener überzeugt sei. Darauf erzählte er mir,
daß sein Vater auf derlei Bücher außerordentlich
erpicht gewesen sei und einen Freund von gleicher Neigung besessen
habe. Beide hätten sich mit einem wahren Feuereifer auf diese
Possen geworfen, so daß sie selbst die Geburtsstunde ihrer
Haustiere beobachteten und die dabei in Frage kommenden Stellungen der
Gestirne sich aufmerkten, um Versuche für ihre Kunst zu sammeln.
Im weiteren Gespräch sagte er mir dann, sein Vater habe ihm
mitgeteilt, daß, als seine Mutter mit ihm schwanger gewesen, auch
eine Sklavin des väterlichen Freundes in gleicher Lage gewesen
sei, was ihrem Herrn nicht verborgen bleiben konnte, der ja auch die
Geburten seiner Hunde mit größter Sorgfalt und Genauigkeit
zu erfahren Sorge trug; und so geschah es, daß mein Vater
für die Gattin, dieser für die Sklavin Tage, Stunden und
Minuten ganz genau zählte. Beide wurden zu gleicher Zeit
entbunden, so daß die Konstellationen bei beiden Geburten sowohl
für den Sohn als für den kleinen Sklaven bis auf die Minute
übereinstimmten. Als die Geburten bei beiden Weibern begannen,
gaben sich beide durch bereitgehaltene Boten, die sie sich
wechselseitig einander zuschicken wollten, Nachricht über das, was
zu Hause vorging, sobald die Geburt des Kindes angekündigt wurde,
was sie als Herren in ihrem Reiche leicht bewerkstelligen konnten. So
begegneten sich die beiden Boten unterwegs zwischen den beiden
Häusern und die Konstellationen der beiden zeigten auch nicht den
geringsten Unterschied, und doch eröffnete sich dem Firminus eine
glänzende Karriere, er kam zu Reichtum und gelangte zu
Ehrenämtern; jenem Sklaven aber ward nie sein Joch erleichtert,
und er diente seinem Herrn fort, wie Firminus der ihn kannte, bezeugte.
Als ich das hörte und
glaubte, denn er war vollkommen glaubwürdig, sank aller
Widerstand, und ich suchte nun sogleich den Firminus von jenem
Aberglauben zu heilen, indem ich ihm sagte, wenn ich nach der Einsicht
in seine Konstellationen die Wahrheit hätte verkünden sollen,
hätte ich in derselben Konstellation gesehen haben müssen,
daß seine Eltern vornehmen Standes, daß seine Familie
angesehen in der Stadt sei, daß sie frei geboren seien, daß
seine Erziehung eine freie, daß der Unterricht, den er genossen,
ein wissenschaftlicher gewesen sei. Und wenn mich nun der Sklave
über seine Konstellation gefragt hätte, die ja bei ihm ganz
dieselbe sei, so hätte ich in ihr der Wahrheit gemäß
wiederum seine geringe Familie, seinen Sklavenstand und alles andere
von dem vorigen doch so ganz und gar verschieden sehen müssen.
Woher sollte es geschehen, daß ich, um das Richtige
auszusprechen, dieselben Konstellationen entgegengesetzt deuten sollte,
daß ich dagegen falsch es spräche, wenn ich dasselbe sagte:
Daraus ging für mich mit Bestimmtheit hervor, daß die
richtigen Antworten auf Konstellationen nicht aus zuverlässiger
Kunst, sondern aus Zufall sich ergaben, daß dagegen die falschen
Antworten nicht aus Unkenntnis der Kunst hervorgingen, sondern durch
Trug des Zufalls.
So war der Zugang
eröffnet und ich dachte mir die Sache noch weiter aus, damit mir
nicht einer von den Betrügern, welche ein Gewerbe damit trieben
und die ich nun immer mehr und mehr zu widerlegen und zu verspotten
suchte, den Vorwurf machte, als hätte Firminus mir oder sein Vater
ihm Falsches berichtet, und wandte meine Aufmerksamkeit auf die
Zwillingsgeburten, von denen die meisten einander so schnell folgen,
daß der kleine Zeitunterschied, welchen Einfluß sie ihm
auch auf die Natur beilegen, doch durch die menschliche Beobachtung
nicht aufgefaßt und aufgezeichnet werden kann in Zeichen, in
welche der Sterndeuter dann Einsicht nehmen muß, um Wahres zu
prophezeien. Doch es wird nie wahr sein, da derjenige, der auf
dieselben Aufzeichnungen sähe, von Esau und Jakob auch ein und
dasselbe hätte aussagen müssen, und beide hatten doch
verschiedene Schicksale. Er würde demnach Falsches sagen, oder
wenn er Wahres aussagte, würde er aus denselben Zeichen nicht
dasselbe sagen. Nicht also durch die Kunst, sondern einzig und allein
durch den Zufall würde er Wahres sagen. Du aber, o Herr, gerechter
Lenker des Weltalls, wirkst in den Fragenden und Befragten, ohne
daß sie es wissen, durch deinen verborgenen Antrieb, so daß
jeder, wenn er dich fragt, das hört, was er aus der Tiefe deines
göttlichen Gerichts hören muß, nach dem, was
menschlichen Augen verborgen, die Seelen verdient, welchem der Mensch
nicht entgegnen darf: Was ist das, warum das? Er soll es nicht
sprechen, denn er ist Mensch.
Siebentes Buch - Siebentes Kapitel
Aus diesen Banden hattest du
mich, o mein Helfer, bereits befreit, noch aber forschte ich nach dem
Urgrunde des Übels und noch fand ich keinen Ausgang. Aber du
ließest mich nicht durch die Wogen meiner Gedanken
hinwegreißen von dem Glauben, durch den ich der festen
Überzeugung war, daß du bist und daß dein Wesen
unveränderlich ist, daß dein ist die Sorge und das Gericht
über die Menschen und daß du in Christo, deinem Sohne,
unserem Herrn, und den heiligen Schriften, die das Ansehen deiner
Kirche empfiehlt, einen Weg des Heils für die Menschen geschaffen
hast zu dem Leben, das nach diesem zeitlichen Tode folgen wird. So war
dies gerettet und stand unerschütterlich in meiner Seele fest, und
mit glühender Sehnsucht forschte ich nun, was der Urgrund des
Bösen sei. Welche Qualen meines keuchenden Herzens, welche
Seufzer, o mein Gott! Und gegenwärtig war dein Ohr, doch
wußte ich nicht davon. Und als ich im verborgenen fort und fort
suchte, da war die stille Zerknirschung meines Herzens eine laute
Stimme von deinem Erbarmen. Du wußtest. was ich litt, sonst
keiner der Menschen. Wie wenig ward davon mitgeteilt durch die Sprache
meines Mundes den Ohren meiner vertrautesten Freunde! Sprach sich etwa
der ganze Aufruhr meiner Seele gegen sie aus, wozu weder die Zeit noch
mein Mund hinreichte? Und dennoch kam alles zu deinem Ohre, was ich in
der Angst meines Herzens schrie, vor dir war all mein Sehnen und meiner
Augen Licht war mir entwichen. Denn es war in meinem Innern, ich aber
war draußen. Das Licht war nichts Räumliches; ich aber
lenkte meinen Sinn auf das, was den Raum einschließt, und fand
dort keine Ruhestätte, auch nahm mich jenes nicht auf, daß
ich hätte sagen können: Es ist genug und hier ist's gut;
nicht ließ es mich in mein Inneres zurückkehren, wo mir
genugsam wohl gewesen wäre. Denn ich war darüber erhaben,
aber doch niedriger als du, und du bist die wahre Freude, wenn ich mich
dir unterwerfe, und du unterwarfest, was du niedriger schufst als mich,
und dies war das richtige Verhältnis und der mittlere Bereich
meines Heils zwischen dem, was über mir, und dem, was unter mir,
damit ich bleibe nach deinem Bilde und in deinem Dienste den Leib
beherrschte. Aber da ich mich stolz wider dich erhob und wider den
Herrn anlief, mein Nacken hart unter meinem Schilde, da erhob sich
jenes Niedrige über mich und drückte mich, und nirgends fand
ich Erleichterung und Erholung. Die Krassesten, die Dinge selbst traten
mir, wenn ich die Augen auftat, haufenweise und zusammengebaut in den
Weg, meinem Denken aber die Bilder der Dinge, wenn ich
zurückkehren wollte, als sprächen sie: Wohin, du
Unwürdiger und Unreiner? Und dies war aus meiner Wunde
hervorgewachsen, weil du den Stolzen niederwirfst gleich einem
Verwundeten. Meine Hoffart aber trennte mich von dir und meines
Angesichtes Aufgeblasenheit schloß mir die Augen.
Siebentes Buch - Achtes Kapitel
Du aber, o Herr, bleibst in
Ewigkeit und du zürnst uns nicht ewig. Weil du erbarmt dich hast
des Staubes und der Asche, so wolltest du, dich mir erbarmend nahend,
meine Mißgestalt umbilden, und du triebst mich mit dem innern
Stachel, daß ich keine Ruhe hatte, bis ich deiner durch inneres
Schauen gewiß wäre; da wich meine Geschwulst deiner
verborgenen Heilkraft und die gestörte und verfinsterte Sehkraft
meines Geistes ward von Tag zu Tag von dem scharfen Balsam
heilbringender Schmerzen geheilt.
Siebentes Buch - Neuntes Kapitel
Vor allem wolltest du mir
zeigen, wie du den Stolzen widerstehest, den Demütigen aber Gnade
gibst, und wie groß sich dein Erbarmen den Menschen auf dem Wege
der Demut erwiesen hat, da dein Wort Fleisch ward und unter uns wohnte.
Du schafftest mir durch einen von unbändigem Stolze aufgeblasenen
Menschen einige aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzte
Bücher der Platoniker, und ich las darin, zwar nicht mit denselben
Worten, aber dem Sinne nach, mit vielen und mancherlei Gründen
behauptet: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott
war das Wort; dasselbe war im Anfang bei Gott, alle Dinge sind durch
dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht
ist, in ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen; und
das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht
begriffen. Daß aber die Menschenseele, obwohl sie Zeugnis gibt
von dem Licht, doch nicht selbst das Licht ist, sondern das Wort, Gott
selbst das wahre Licht ist, welches alle Menschen erleuchtet, die in
diese Welt kommen; es war in der Welt und die Welt ist durch dasselbige
gemacht und die Welt kannte es nicht. Daß er in sein Eigentum kam
und die Seinigen ihn nicht aufnahmen, wie viele ihn aber aufnahmen,
daß er denen Macht gab, Gottes Kinder zu werden, die an seinen
Namen glauben - das las ich dort nicht.
Ferner las ich dort, das Wort,
Gott selbst ist nicht aus dem Fleische, nicht aus dem Blute, nicht aus
dem Willen des Mannes noch aus dem Willen des Fleisches, sondern aus
Gott geboren. Aber daß das Wort Fleisch wurde und wohnete unter
uns, das las ich dort nicht. In jenen Schriften fand ich auch oft und
in verschiedener Weise ausgedrückt, daß der Sohn sei in
Gestalt des Vaters und daß er es nicht für einen Raub
gehalten, Gott gleich zu sein, wie er es schon von Natur sei. Allein
daß er sich selbst erniedrigt, Knechtsgestalt angenommen und
gleich ward wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch
erfunden, sich selbst erniedrigte und gehorsam wurde bis zum Tode, ja
bis zum Tode am Kreuze, daß ihn Gott erhöhet und ihm einen
Namen gegeben habe, der über alle Namen ist; daß in dem
Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf
Erden und unter der Erde sind und alle Zungen bekennen sollen,
daß Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters, das
enthalten diese Schriften nicht. Daß vor Beginn der Zeiten und
unwandelbar über den Zeiten dein eingeborener Sohn gleich ewig mit
dir bliebe und daß die Seelen von seiner Fülle Gnade um
Gnade nehmen, um selig zu sein, und durch Teilnahme an der immer
für sich bestehenden Weisheit erneut werden, auf daß auch
sie weise seien, das findet sich dort. Daß er aber nach der Zeit
für uns Gottlose gestorben ist und daß du auch deines
eigenen Sohnes nicht hast verschonet, sondern für uns alle
dahingegeben, das suchst du vergeblich. Denn das hast du den Weisen und
Klugen verborgen und hast es den Unmündigen geoffenbaret,
daß zu ihm kommen sollten alle, die mühselig und beladen
sind, und er sie erquicke, denn er ist sanftmütig und von Herzen
demütig und er führt die Demütigen auf dem Wege der
Gerechtigkeit und lehrt die Sanftmütigen seine Wege, indem er
unsere Demut sieht und unsere Sünde vergibt. Die aber auf dem
Kothurn einer angeblich erhabenen Weisheit dahinschreiten, sie
hören nicht die Stimme, die ihnen zuruft: Lernet von mir, denn ich
bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe
finden für euere Seelen. Sie haben, obgleich sie Gott erkannt, ihn
doch nicht als einen Gott gepriesen und gedanket, sondern sind in ihrem
Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist
verfinstert; da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren
geworden. Deshalb las ich auch dort, wie sie die Herrlichkeit des
unveränderlichen Gottes verwandelt haben in ein Bild gleich den
vergänglichen Menschen und den Vögeln und den
vierfüßigen und kriechenden Tieren, die ägyptische
Speise nämlich, durch welche Esau seine Erstgeburt verlor, wie das
erstgeborene Volk statt deiner einst das Haupt eines
vierfüßigen Tieres verehrte, da es sein Herz nach
Ägypten wandte und dein Bild ihre Seele vor dem Bilde eines
heufressenden Kalbes beugte. Dies fand ich, doch genoß ich nicht
davon. Denn es gefiel dir, Herr, von Jakob die Schmach der Erniedrigung
hinwegzunehmen, damit der Größere dem Kleineren diene, und
du riefst die Heiden in dein Erbe. Und ich kam zu dir von den Heiden
und gierte nach dem Golde, was du dein Volk aus Ägypten mitnehmen
ließest, weil es dein Eigentum war, wo es sich auch befand. Und
zu den Athenern sprachst du durch deine Apostel: In ihm leben, weben
und sind wir, wie auch einige von den Euren sagen, und von dieser Art
waren auch jene Schriften. Ich wandte mich nicht zu den Götzen der
Ägypter, denen sie von deinem Golde opferten, sie, welche die
Wahrheit Gottes in Lüge verwandelten, und haben mehr gedient dem
Geschöpfe, denn dem Schöpfer.
Siebentes Buch - Zehntes Kapitel
Hierdurch gemahnt, zu mir
selbst zurückzukehren, trat ich ein in mein Innerstes unter deiner
Führung, und ich vermochte es, denn du standest mir helfend zur
Seite. Ich trat ein und sah, so blöde auch das Auge meiner Seele
noch war, ob diesem Auge meiner Seele, ob meinem Geiste das
unwandelbare Licht, nicht dies gemeine und jedem Fleisch sichtbare,
auch nicht, als wenn es größer wäre, jedoch von
derselben Art und weit, weit heller noch erglänzend, alles mit
seiner Größe erfüllt. Nein, nicht also, sondern anders,
ganz anders und gewaltig von alledem unterschieden. Auch war es nicht
also über meinem Geiste wie das Öl über dem Wasser, auch
nicht wie der Himmel über der Erde, sondern weit erhabener, weil
er mich selbst schuf, und ich weit tiefer, weil ich sein Geschöpf
war. Wer die Wahrheit kennt, der kennt es, und wer es kennt, der kennt
auch die Ewigkeit, die Liebe kennt er.O ewige Wahrheit und wahre Liebe
und liebe Ewigkeit , du bist mein Gott und Tag und Nacht seufze ich zu
dir. Und da ich dich erkannte, da nahmst du mich an, auf daß ich
sähe, es sei wahrhaftig, was ich sehen könnte, ich aber sei
noch nicht imstande zu sehen. Du machtest die Blendung meiner
geschwächten Sehkraft zunichte, da du mächtig über mir
strahltest, und ich bebte vor Liebe und Schauer, und ich fand,
daß ich weit entfernt sei von dir im Abstand meiner
Unähnlichkeit; da war mir's, als hörte ich deine Stimme aus
der Höhe, die spräche: Ich bin eine Speise der Starken;
wachse und du wirst mich genießen. Nicht wirst du mich in dich
wandeln, gleich der Speise deines Fleisches, du wirst gewandelt werden
in mich. Und ich erkannte, wie du den Menschen züchtigst um der
Sünde und wie du gleich einem zerstörten Spinngewebe meine
Seele verschrumpfen ließest, und ich sprach: Ist denn die
Wahrheit nichts, weil sie weder durch den endlichen noch durch den
unendlichen Raum verbreitet ist? Und du riefst mir aus der Ferne: ja,
sie ist; ich bin, der ich bin. Da hörte ich, wie man hört im
Herzen, und der Zweifel wich von mir gänzlich. Eher hätte ich
daran gezweifelt, daß ich lebe als daß es Wahrheit
gäbe, die man an der Schöpfung der Welt wahrnimmt.
Siebentes Buch - Elftes Kapitel
Nun betrachtete ich das, was
unter mir steht, und ich sah, daß es weder durch uns ist noch
durch uns nicht ist. Es ist zwar, weil es von dir ist, es ist aber
nicht, weil es nicht das ist, was du bist. Denn nur das ist wirklich,
was ohne Veränderung bleibt. Mein Gut ist, daß ich mich zu
Gott halte, denn bliebe ich nicht in ihm, so könnte ich keine
bleibende Stätte in mir selbst haben. Er aber bleibt, was er ist,
und erneut alles. Und du bist mein Gott, der meines Gutes nicht bedarf.
Siebentes Buch - Zwölftes Kapitel
Dies wurde mir dadurch
offenbar, weil es der Charakter der guten Dinge ist, Verschlechterung
erleiden zu können, die, weder wenn sie die höchsten
Güter wären noch wenn sie keine Güter wären,
verderbt werden könnten; wären sie die höchsten
Güter, so wären sie nicht verderblich, wären sie keine
Güter, dann gäbe es nichts an ihnen, was verderbbar
wäre. Denn das Verderben bringt Schaden; wenn es aber das Gute
nicht verringerte, dann könnte es nicht schaden. Entweder also
bringt die Verderbnis keinen schaden, was nicht möglich ist, oder
nur das steht durchaus sicher da, alles, was dem Verderben unterliegt,
wird eines Gutes beraubt. Wenn aber etwas alles Guten beraubt wird,
dann wird es überhaupt nicht sein. Denn wären sie noch und
könnten nicht mehr verdorben werden, " wären sie besser, denn
sie würden unverderbbar bleiben. Was wäre aber
ungeheuerlicher, als zu sagen, Dinge würden nach dein Verluste
alles Guten besser? Werden sie also alles Guten beraubt, so sind sie
überhaupt nicht; solange sie also sind, sind sie gut; alles, was
da ist, ist also gut. Das Böse, nach dessen Ursprung ich forschte
ist also keine Substanz, denn wäre es Substanz, dann wäre es
gut. Denn entweder wäre es eine unverderbliche Substanz also ein
hohes Gut, oder es wäre eine verderbliche Substanz, welche, wenn
sie nicht gut wäre, nicht verderbt werden könnte. Daher sah
ich und war es mir klar, daß alles, was du schufest, gut ist, und
daß es keine Substanz gibt, die du nicht geschaffen. Obwohl du
nicht alles gleich geschaffen hast, so ist doch alles, weil es als
Einzelding gut ist, auch in seiner Gesamtheit gut, denn unser Gott
schuf alles sehr gut.
Siebentes Buch - Dreizehntes Kapitel
An dir ist überhaupt
nichts Böses, und nicht nur an dir, sondern auch an deiner
gesamten Schöpfung; denn nichts ist außer ihr, was
einbräche und die Ordnung, die du festgesetzt hast,
zerstörte. Im einzelnen aber hält man das für böse,
was mit anderem nicht übereinstimmt; aber dasselbe stimmt mit
anderem überein und ist gut und darum auch in sich selbst gut. Und
alles das, was nicht miteinander übereinstimmt, stimmt mit
Niedererem überein, nämlich mit dem, was wir Erde nennen, die
ihren entsprechenden wolkigen und stürmischen Himmel hat. Fern sei
es von mir zu sprechen: "Wenn doch das Niedere gar nicht erst
existierte; denn wenn ich es allein schaute, so würde ich sicherer
suchen; aber auch für jenes allein müßte ich dich
loben, weil verkündigen dein Lob die Drachen von Erde und alle
Tiefen, Feuer und Hagel und Schnee und Eis und die Stürme der
Wetter, welche dein Wort ausrichten, Berge und alle Hügel,
fruchttragende Bäume und alle Zedern, Raubtiere und alle niederen
Tiere, Gewürm und gefittigte Vögel, die Könige der Erde
und alle Völker, die Fürsten und alle Richter der Erde,
Jünglinge und Jungfrauen, Alte und junge loben deinen Namen. Da
sie aber auch von dem Himmel dich loben, unser Gott in der Höhe,
alle deine Engel, alles dein Heer, Sonne und Mond, alle Sterne und das
Licht, die Himmel der Himmel und die Wasser, die über dem Himmel
sind, deinen Namen loben, so sehnte ich mich nicht mehr nach Besserem,
der ich aller Dinge gedachte, und ich erwog nach gesundem Urteil,
daß das Erhabenere zwar besser sei als das Niederere, daß
das Ganze aber doch besser sei als das Erhabenere allein.
Siebentes Buch - Vierzehntes Kapitel
Unvernünftig sind
diejenigen, welchen etwas an deiner Schöpfung mißfällt,
wie auch ich es war, solange mir so vieles, was du erschaffen hattest,
mißfiel. Und weil sich meine Seele nicht so weit wagte, daß
du mir, o mein Gott, mißfällig geworden wärest, so
wollte sie das, was mir mißfiel, nicht für dein Werk halten.
So kam sie zu der Ansicht von den zwei Substanzen, und ich ruhte nicht
und sprach irre. Von da zurückgekommen, schuf sie sich einen Gott,
der durch die Unendlichkeit des Raumes verbreitet sein sollte; den
hielt sie für dich und stellte ihn in ihrem Herzen auf und ward
wieder ein Tempel ihres Götzen, den du verabscheutest. Doch darauf
bargst du, ohne daß ich es wußte, mein Haupt in deinem
Schoß, schlossest meine Augen, daß sie nicht sähen die
Nichtigkeit; ich bekam ein wenig Ruhe vor mir selbst und mein Wahnsinn
schlief ein, und dann erwachte ich in dir und sah dich unendlich
anders, doch dies Schauen war nicht vorn Fleisch.
Siebentes Buch - Fünfzehntes Kapitel
Und ich blickte zurück
auf das andere und fand, daß sie dir ihr Dasein verdanken und
daß alles in dir begrenzt sei, aber nicht gleichsam durch den
Raum, sondern weil du in deiner Hand mit deiner Wahrheit alles
umfassest, und alles ist wirklich, soweit als es ist; nichts ist
Falschheit als das, was nicht ist, während es nach unserer Ansicht
ist und nicht ist. Und ich sah, daß alles nach seiner
Eigentümlichkeit nicht nur seinem Orte, sondern auch seiner Zeit
entspreche, weil du, der allein Ewige, nicht erst nach unzählbaren
Zeiträumen zu wirken begonnen, weil alle Zeiträume, die
vergingen sowohl, als die vergehen werden, weder gingen noch
kämen, wenn du nicht wirktest und bliebest.
Siebentes Buch - Sechzehntes Kapitel
Ich weiß es aus
Erfahrung, daß man sich nicht wundern darf, wenn dem kranken
Gaumen das Brot zur Pein wird, welches dem gesunden wohl schmeckt; ist
doch auch dem kranken Auge das Licht zuwider, das dem klaren angenehm
ist. So mißfällt deine Gerechtigkeit den Ungerechten, von
der Natter und dem Wurme ganz zu schweigen, die du doch gut erschufst
und die den niedersten Reihen deiner Schöpfung angehören; so
ist es auch mit den Ungerechten, je unähnlicher sie dir sind; je
ähnlicher sie dir aber sind, desto höheren Ordnungen
gehören sie an. ich forschte, was die Ungerechtigkeit wäre,
und fand in ihr keine Substanz, sondern nur eine Verkehrtheit des
Willens, der sich von der höchsten Substanz, von dir, Gott, zu der
niedrigsten Kreatur wendet, indem er sein Innerstes wegwirft und es
eitel auf die Außenwelt richtet.
Siebentes Buch - Siebzehntes Kapitel
Ich wunderte mich, daß
ich dich schon liebte und nicht ein bloßes Trugbild statt deiner.
Doch beeiferte ich mich nicht, zum Genuß meines Gottes zu
gelangen, sondern bald ward ich hingerissen zu dir durch deine
Schöne, bald hinweg von dir durch meine Last und sank mit Seufzen
zurück, und diese Last, es war meine Gewohnheit des Fleisches.
Doch noch dachte ich deiner, nicht mehr zweifelte ich, daß der in
Wahrheit sei, dem ich anhangen sollte, daß ich aber noch nicht so
weit gefördert sei, um Gott anhangen zu können. Denn der
sterbliche Leib beschwert die Seele, und unsere irdische Behausung
beschwert den zerstreuten Sinn. Ich war gewiß, daß dein
unsichtbares Wesen, deine Kraft und Gottheit wird ersehen, so man des
wahrnimmt an den werken, nämlich an der Schöpfung der Welt.
Denn als ich danach forschte, woher ich ein Urteil über die
Schönheit der Körper entnähme, sowohl derer, die am
Himmel, als auch derer, die auf Erden sind, und was ich mir
vergegenwärtige, wenn ich unbedenklich über das Wandelbare
ein Urteil fällte und sprach: Dies muß so sein, jenes nicht
so, als ich forschte, woher ich so urteilte, fand ich eine unwandelbare
und wahre Ewigkeit der Wahrheit über meinem wandelbaren Geiste.
Und so stieg ich stufenweise auf von den Körpern zu der Seele, die
mittels des Körpers empfindet, von dieser zu ihrer inneren Kraft,
welcher die Sinne des Körpers von einer Außenwelt Kunde
bringen, soweit reicht auch das Vermögen der Tiere, von dort
wiederum zu der beurteilenden Kraft, welche die Sinneseindrücke
zur Prüfung empfängt. Diese aber erkannte sich in mir selbst
als veränderlich und erhob sich zur Erkenntnis seiner selbst,
entzog sich der bisher gewohnten Denk-weise und machte sich frei von
dem verworrenen, ihr widersprechenden Schwarm von Trugbildern, um das
Licht zu finden, von dem sie erleuchtet würde, da sie ohne allen
Zweifel behauptete, daß der Unwandelbare dem Wandelbaren
vorzuziehen sei, und um zu erforschen, woher sie der Unwandelbare
kenne, welches sie, ohne es irgendwie zu kennen, nimmermehr so sicher
dem Wandelbaren vorziehen würde. Und sie gelangte zu dem
wesentlichen Sein im Moment eines zagenden Aufblicks. Damals erkannte
ich dein unsichtbares Wesen, das in deiner Schöpfung im Geiste
wahrgenommen wird; aber ich vermochte nicht das Geistesauge darauf zu
heften, und in meine Schwachheit zurückgeworfen und dem Gewohnten
preisgegeben, behielt ich nichts mehr in mir als die liebende
Erinnerung, die gleichsam nach dem Dufte der Speise verlangte, die zu
genießen ich noch nicht befähigt war.
Siebentes Buch - Achtzehntes Kapitel
Ich suchte den Weg zu der
beharrlichen Stärke, die da befähigt ist, dich zu
genießen, doch ich fand ihn nicht, bis ich den Mittler zwischen
Gott und den Menschen, den Menschen Jesus Christus umfaßte, der
da ist Gott über alles, hochgelobt in Ewigkeit, der da spricht:
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; der die Speise, für
die ich zu schwach war, mit dem Fleisch mischte, denn das Wort ward
Fleisch, auf daß unserer Kindheit zu Milch werde deine Weisheit,
durch die du alles geschaffen. Denn nicht erfaßte ich meinen
Herrn Jesus, den Demütigen in Demut, noch erkannte ich, was seine
Niedrigkeit uns lehren solle. Denn dein Wort, die ewige Wahrheit,
erhaben über der ganzen Schöpfung, richtet auf zu sich, die
sich unterwerfen; unter den Niedrigen aber hat er sich gebaut eine
niedere Wohnung aus unserem staube, wodurch er alle, die er sich
unterwerfen wollte, von ihrer Selbsterhebung herunterdrückte und
zu sich überführte, vom stolz sie heilend, ihre Liebe
nährend, damit sie nicht in Selbstvertrauen noch weiter wankten,
sondern vielmehr zum Gefühl ihrer Schwäche kämen beim
Anblick der Gottheit zu ihren Füßen, die sich
herabließ zu unserer Schwachheit, angetan mit dem Gewande der
Sterblichkeit, und ermattet sich zu ihr niederwürfen, diese aber
sich erhöbe, um sie aufzuheben.
Siebentes Buch - Neunzehntes Kapitel
Ich aber war anderer Meinung
und hielt nur so viel von meinem Herrn Jesu Christo, als ich von einem
Manne von unvergleichbarer Weisheit gehalten hätte, dem niemand
vergleichbar sei, zumal da er, wunderbar von einer Jungfrau geboren, um
ein Beispiel zu geben, wie man zeitliche Güter verachten
müsse, um die Unsterblichkeit zu erlangen, mir es verdient zu
haben schien, daß sein Lehramt durch göttliche Fürsorge
für uns ein solches Ansehen erlangte. Was für ein
Gnadenmittel es sei, daß das Wort Fleisch geworden, konnte ich
damals noch nicht einmal ahnen. Nur so viel erkannte ich aus den
Schriften, die von ihm erzählen, weil er aß und trank,
schlief, wandelte, sich freute, betrübt war und redete, so
könne dein Wort mit dem Fleische nur vermittels menschlicher Seele
und menschlichem Geiste zusammenhängen. Denn das weiß jeder,
der die Unwandelbarkeit deines Wortes erkennt, die ich nun erkannte,
soweit ich vermochte, ohne noch von der Seite daran zu zweifeln. Denn
wenn sich die Glieder des Leibes nach Willkür jetzt bewegen, jetzt
nicht, jetzt durch irgendwelchen Affekt erregt werden, dann wieder
nicht, jetzt weise Gedanken ausgesprochen werden, jetzt wieder
Stillschweigen eintritt - so sind das Eigenschaften, die der
wandelbaren Seele und dem Geiste angehören. Wäre dies falsch
von ihm erzählt worden, so liefe alles Gefahr, für Lüge
zu gelten, und den Menschen bliebe kein Heil des Glaubens in jenen
Schriften. Da nun das, was von ihm geschrieben steht, Wahrheit ist, so
erkannte ich Christum als vollen Menschen nach Leib, Seele und Geist,
nicht nur den Körper des Menschen oder die Seele und den Leib ohne
den Geist, sondern den ganzen Menschen, wie er ist; ich vermeinte,
daß Christus nicht als die Wahrheit in Person, sondern wegen der
großen Vortrefflichkeit seiner menschlichen Natur und seines
größeren Anteils halber an der Weisheit den übrigen
vorgezogen werde. Alypius aber glaubte, es sei Glaube der Kirche,
daß er Gott im Fleische sei, und zwar so, daß neben Gott
und dem Fleische in Christo keine Seele sei, und glaubte nicht,
daß ihm ein menschliches Wesen beigelegt werden dürfe. Da er
nun überzeugt war, daß das, was uns von Christus
erzählt ist, nur einem mir Seele und Geist begabten menschlichen
Wesen möglich sei, so verhielt er sich lau gegen das Christentum.
Später aber erkannte er, daß seine Ansichten mit den
Irrlehren des Apollinaris übereinstimmten, und ist nun des
Glaubens der Kirche froh und mit ihr verbunden worden. Ich aber
bekenne, daß ich erst später zu der Erkenntnis gelangte, wie
in dem Satze Das Wort ward Fleisch sich die kirchliche Wahrheit von der
Irrlehre des Photinus unterscheidet. Denn die Mißbilligung der
Irrlehrer bewirkt, daß die gesunde Lehre deiner Kirche den Sieg
gewinnt. Es müssen Irrlehrer unter euch sein, auf daß die,
so rechtschaffen sind, offenbar unter euch werden.
Siebentes Buch - Zwanzigstes Kapitel
Damals war ich durch das Lesen
von Schriften der Platoniker angeregt, die übersinnliche Wahrheit
zu erforschen; ich erkannte dein unsichtbares Wesen an den Werken der
Schöpfung, und wieder zurückgedrängt, empfand ich, was
auch die Verfinsterung meiner Seele früher nicht hatte erkennen
lassen, und doch war ich gewiß, daß du seiest, seiest
unendlich und werdest doch nicht durch endliche und unendliche
Räume verbreitet; gewiß war ich, du seiest wahrhaft, der du
immer derselbe seiest, du seiest ewig in dir unveränderlich, alles
andere sei aus dir, aus keinem anderen Grunde, als weil es kein Sein
außer dir gibt, als weil es ist; des war ich sicher, jedoch war
ich zu schwach, um mich deiner zu freuen. Ich schwatzte wie ein Kenner
und wäre doch, hätte ich nicht in Christo, dem Erlöser,
deinen Weg gesucht, nicht erfahren, sondern in Gefahren des Verderbens.
Schon wollte ich für einen Weisen gelten, und das Maß meiner
Strafe war von, und dennoch weinte ich nicht, sondern erhob mich, und
das Wissen blähte mich auf Wo war jene Liebe, die sich auf dem
Grunde der Demut, weiche ist Jesus Christus, aufbaut? Wie hätten
jene Bücher vermocht, sie mich zu lehren! Doch glaube ich,
daß ich nach deinem Willen erst auf jene Bücher stieß,
bevor ich deine heilige Schrift kennenlernte, um es meinem
Gedächtnisse einzuprägen, welchen Eindruck die Schriften der
Platoniker auf mich gemacht, und damit, wenn ich erst durch deine
Schrift gezähmt wäre und durch deine pflegende Hand meine
Wunden geheilt wären, ich erkennen lernte, welch ein Unterschied
sei zwischen der hochmütigen Anmaßung der Philosophen und
dem demütigen Bekennen der Gläubigen, zwischen denen, die da
sehen, wohin zu gehen ist, und denen, die nicht sehen, auf welchem Wege
und den Weg, der zum seligen Vaterland führt, nicht bloß zu
schauen, sondern auch zu bewohnen. Denn wäre ich zuerst durch die
heilige Schrift belehrt worden und ich hätte vertraut mit ihr
deine Wonne geschmeckt und wäre dann erst auf jene Bücher
gekommen, vielleicht hätten sie mich dem wahren Grunde der
Frömmigkeit entrissen, oder wenn ich auch festgeblieben wäre
an dem eingezogenem Heil, ich hätte geglaubt, auch aus jenen
Büchern könne dasselbe geschöpft werden, auch wenn man
sie allein läse.
Siebentes Buch - Einundzwanzigstes Kapitel
Mit höchster Begierde
griff ich zu der ehrwürdigen Schrift deines Geistes und besonders
dem Apostel Paulus. Und es schwanden alle jene Fragen, in denen er nur
sich selbst zu widersprechen und wo der Inhalt jener Rede mir nicht
ganz mit dem Gesetz und den Propheten übereinzustimmen schien. Ein
einziger Charakter nur tat sich kund in den Reden, da lernte ich mich
freuen mit Zittern. Ich fand, daß das, was in den Schriften der
Platoniker Wahres gesagt wurde, auch hier, doch als Gnadengabe von dir
gesagt werde, damit der, welcher sieht, sich nicht rühme, als
hätte er es nicht empfangen, nicht nur das, was er sieht, sondern
auch, daß er sieht, denn was hat er, was er nicht empfangen
hätte? Und damit er nicht allein ermahnt wird, dich, der du immer
derselbe bist, zu sehen, sondern auch gesundet, um dich festzuhalten,
und daß der, welcher dich nicht von fern zu erschauen vermag,
doch den Weg gehe, auf welchem er dahinkommen, dich schauen und
festhalten kann.
Denn hat der Mensch auch Lust
an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen, was wird er tun nach dem
andern Gesetze in seinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetze in
seinem Gemüt und nimmt ihn gefangen in der Sünde Gesetz,
welches ist in seinen Gliedern? Nur du bist gerecht, o Herr, wir aber
haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen, und deine
Hand liegt schwer auf uns, und mit Recht sind wir dem alten
Sünder, dem Fürsten des Todes hingegeben, denn er hat unsern
Willen gebracht zu einem Ebenbild seines Wollens, mit dem er nicht
bestanden ist in deiner Wahrheit. Was soll der Mensch des Elendes tun?
wer wird ihn erlösen von dem Leibe dieses Todes, wenn nicht deine
Gnade durch Jesum Christum unseren Herrn, den du dir ewig gleich
zeugtest und schufest im Anfang deiner Wege, an dem der Fürst
dieser Welt nichts des Todes Würdiges fand und ihn tötete,
wodurch vertilgt ward die Handschrift, die wider uns zeugte. Das
enthalten jene Bücher nicht. Auf ihrer Seite stehen nicht die
Züge der Frömmigkeit, nicht die Tränen dieses
Bekenntnisses, nichts vom Opfer eines reuigen Geistes, eines
demütigen, zerknirschten Herzens, nichts von des Volkes Heil, von
der Braut, der Stadt Gottes, nichts von des heiligen Geistes
Unterpfand, nichts von dem Kelche unserer Erlösung. Dort singt
keiner: Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft; denn er ist mein
Hort. meine Hilfe, mein Schutz, und ich werde nicht mehr wanken. Dort
hört niemand die Stimme: Kommt her zu mir alle, die ihr
mühselig und beladen seid; sie verschmähen es, von ihm zu
lernen, daß er sanftmütig ist und von Herzen demütig.
Das hast du den Klugen und Weisen verborgen, aber geoffenbart den
Unmündigen. Etwas anderes ist es, von waldigem Bergesgipfel das
Land des Friedens zu sehen, doch den Weg zu ihm nicht finden zu
können und umsonst auf Umwegen sich abzumühen, wo ringsum die
Flüchtlinge und Überläufer mit ihrem Führer dem
Löwen und Drachen lauern und nachstellen, und ein anderes, auf dem
rechten Wege sicher dahinzuwandeln, der da geschirmt ist durch die
Fürsorge des himmlischen Königs und wo die nicht rauben,
welche verlassen haben die himmlische Kämpferschar, denn sie
meiden ihn wie eine Qual. Dies drang mir wunderbar tief ins Herz, da
ich den geringsten deiner Apostel las; ich betrachtete dein Wirken, und
ein Schauer ergriff mich.
ACHTES BUCH
Erstes Kapitel
Mein Gott, laß mich dankend deiner
Erbarmungen gedenken und sie dir bekennen! Mein Gebein, es ist
durchdrungen von Liebe zu dir und spricht: Herr, wer ist dir gleich? Du
zerrissest meine Fesseln, und ich will dir das Opfer meines Lobes
bringen. Wie du sie zerrissest, will ich erzählen und alle, die
dich anbeten, werden dann sagen, wenn sie es hören: Gepriesen sei
der Herr im Himmel und auf Erden; groß und wunderbar ist sein
Name. Es hafteten in meinem Herzen deine Worte, und ringsumher umgabest
du mich. Gewiß war ich deines ewigen Lebens, obgleich ich
dasselbe erst nur durch einen Spiegel und in einem dunkeln Wort sah;
aller Zweifel an eine unvergängliche Substanz war mir entnommen
und daß von dieser alle Substanzen ihr Dasein hätten, und
mein Wunsch war es, nicht deiner gewisser, aber in dir fester zu sein.
In meinem irdischen Leben war noch alles im Schwanken und mein Herz
mußte von dem alten Sauerteige gereinigt werden. Der Heiland, der
selbst der Weg ist, gefiel ihm; aber durch die enge Pforte zu wandeln
scheute ich mich. Da legtest du mir es ans Herz, und es dünkte mir
gut, soweit ich es beurteilen konnte, zum Simplicianus zu gehen, den
ich kannte als deinen treuen Knecht, an dem deine Gnade offenbar
geworden. Auch hatte ich gehört, daß er von Jugend auf ein
dir geweihtes Leben geführt habe; damals war er schon Greis, und
in den langen Jahren, in denen er mit löblichem Eifer in der
Nachfolge deines Weges begriffen war, schien er mir vieles erfahren und
vieles gelernt zu haben, und so war es wirklich. Ich wünschte,
daß er mir, wenn ich mich mit ihm über meine Anfechtungen
besprach, aus dem Schatze seiner Erfahrungen vortrüge, auf welche
Weise ich bei meiner Gemütsstimmung am besten auf deinem Wege zu
wandeln vermöchte.
Ich sah die Kirche
gefüllt; aber der eine ging diesen Weg, der andere jenen. Mir aber
mißfiel es, daß ich in weltlichen Verhältnissen lebte,
und schwer lastete es auf mir, da mich nicht mehr die gewohnte Lust
entflammte, um in Hoffnung auf Ehre und Reichtum solche schwere
Sklavenketten zu tragen. Sie hatten ihren Reiz verloren vor deiner
Süßigkeit und vor der Herrlichkeit deines Hauses, das ich
lieben gelernt; noch aber war ich an ein Weib gebunden, auch verbot mir
ja der Apostel nicht zu heiraten, obgleich er zum Bessern riet und so
sehr wollte, daß alle Menschen wären, wie er war. Aber zu
schwach, zog ich es vor, mich weicher zu betten, und um dieses Einen
willen trieb ich mich matt in den übrigen Lebensverhältnissen
herum, entkräftet durch Verbuhltheit, wie ich mich auch in andere
Dinge, die ich nicht dulden wollte, um des ehelichen Lebens willen zu
schicken genötigt war.
Ich hatte aus dem Munde der
Wahrheit gehört, es, gäbe jungfräuliche Seelen, die
für das Himmelreich ihre Jungfrauenschaften bewahrten; aber nur,
wer es fassen könne, möge es fassen. Es sind zwar alle
Menschen eitel, die von Gott nichts wissen und an den sichtbaren
Gütern nicht erkennen den, der da ist. Ich aber war nicht mehr in
solcher Eitelkeit, ich hatte sie überschritten, und durch das
Zeugnis deiner gesamten Kreatur hatte ich dich, unsern Schöpfer,
und dein Wort, das Gott ist in dir und Gott ist mit dir, durch welches
du alles schufest, gefunden. Es gibt noch eine andere Art von
Gottlosen, die Gott erkennen und ihn doch nicht als Gott ehren und ihm
nicht danken. Unter diese war ich gefallen, deine Rechte hatte mich
aufgefangen, zog mich hinweg und brachte mich an den Ort, wo ich
genesen sollte, denn du sprachest zu dem Menschen: Siehe, Gottesfurcht
ist Weisheit, und dünke dich nicht weise zu sein, denn da sie sich
für weise hielten, sind sie zu Narren geworden. Ich hatte die
köstliche Perle gefunden; ich sollte nun verkaufen, was ich
besaß, um sie zu erkaufen, und ich zweifelte.
Achtes Buch - Zweites Kapitel
So ging ich zu Simplicianus,
dem geistlichen Vater des Bischofs Ambrosius, der ihn liebte, als sei
er sein wirklicher Vater. Ich erzählte ihm die Irrfahrt meines
Lebens. Als ich aber dabei erwähnte, ich hätte einige
Schriften der Platoniker gelesen, die der ehemalige römische
Rhetor Victorinus, der, wie ich gehört hätte, als Christ
gestorben sei, ins Lateinische übertragen habe, da
beglückwünschte er mich, weil ich nicht auf die Schriften
anderer Philosophen verfallen sei, von loser Verführung und
Täuschung nach der Welt Satzungen, während in diesen
allenthalben auf Gott und sein Wort gedeutet werde. Hierauf, um mich
zur demütigen Nachfolge Christi zu bewegen, die den Weisen
verborgen und den Unmündigen geoffenbart ist, gedachte er des
Victorinus selbst, mit welchem er zu Rom in vertrauter Freundschaft
gelebt hatte; von ihm erzählte er mir einiges, was ich nicht
verschweigen will. Denn hoch zu preisen hatte er deine Gnade; ein
Hochgelehrter, erfahren in allen Wissenschaften, der so viele Schriften
der Philosophen gelesen und beurteilt hatte, der Lehrer so vieler edler
Senatoren, der, weil er im ansehnlichen Lehramte sich aus gezeichnet,
eine Bildsäule auf dem römischen Forum verdient und erhalten
hatte, was Weltleute als etwas Außerordentliches ansahen, der bis
zu jener Zeit ein Verehrer der Götzenbilder, ein Teilnehmer an
gottlosem Gottesdienst gewesen, von dem beinahe der ganze römische
Adel angesteckt war, durch welchen das Volk die Ungeheuer aller Arten
von Göttern überkam, so den Anubis mit dem Hundskopfe, die
einst ihre Geschosse richtete "auf Neptun und gegen die Venus und gegen
Minerva", vor welchen Rom, die Siegerin, das Knie beugte und die der
Greis Victorinus so manches Jahr mit schrecklich lärmendem Munde
verteidigt hatte, er errötete jetzt nicht, ein Kind deines Sohnes
Jesu Christi zu sein und ein Säugling seines Gedankenquells zu
werden, seinen Nacken zu beugen unter das Joch der Demut und
gebändigt seine Stirn zu senken unter die Schmach des Kreuzes.
Herr, Herr, der du die Himmel
erniedrigt hast und zu uns herabgefahren bist, der du die Berge
berührtest, und sie rauchten, auf welche Weise bahntest du dir den
Weg in dieses Herz? Er las, wie mir Simplicianus sagte, die heilige
Schrift und durchforschte eifrigst die Bücher der Christen, und
dann sprach er nicht öffentlich, sondern heimlich und im Vertrauen
zu Simplicianus: Wisse, jetzt bin ich Christ! Der aber antwortete ihm:
ich kann es nicht glauben, noch zähle ich dich nicht unter die
Christen, es sei denn, daß ich dich in der Kirche Christi sehe.
jener aber sprach lächelnd: So machen die Wände den Christen?
Und oft wiederholte er seine Worte, er sei schon Christ; ebenso
antwortete ihm Simplicianus, und oft spottete jener über die
Wände. Denn er scheute sich, seine Freunde, stolze
Götzendiener, anzugreifen, und glaubte, daß ihre Feindschaft
würde sich von dem Gipfel ihrer babylonischen Erhabenheit wie von
Libanons Zedern, die der Herr noch nicht zerbrochen hatte, schwer auf
ihn herabstürzen. Als er aber immer und immer wieder las und
begierig forschte, da gewann er Festigkeit und geriet in Furcht, von
Christus vor den heiligen Engeln verleugnet zu werden, wenn er sich
scheute, ihn vor den Menschen zu bekennen, glaubte schwere Schuld auf
sich zu laden, wenn er sich des Geheimnisses der Demut deines Wortes
schämte, dagegen nicht errötete über den
lästerlichen Gottesdienst hoffärtiger Dämonen, denen er
sich als ihres Stolzes Nachahmer ergeben. Er legte die falsche Scham ab
und schämte sich vor der Wahrheit und sprach plötzlich
unvermutet zu Simplicianus: Laß uns zur Kirche gehen, ich will
ein Christ werden. Jener ging mit ihm, kaum sich vor Freude fassend.
Bald nachdem er den ersten Unterricht empfangen hatte, wurde er
getauft. Rom staunte, die Kirche jubelte. Die Gottlosen sahen es und es
verdroß sie; ihre Zähne bissen sie zusammen und vergingen
vor Wut; du aber, o Herr, bliebst die Hoffnung deines Dieners, und er
wandte sich nicht zu den Hoffärtigen, die mit Lügen umgehen.
Ab nun die Stunde gekommen
war, wo er sein Glaubensbekenntnis ablegen sollte - es geschah dies zu
Rom von erhabener Stätte aus im Angesicht des gläubigen
Volkes nach einer auswendig gelernten Formel, Von denen, die deiner
Taufgnade nahen wollen -, da wurde dem Victorinus von den Presbytern
das Zugeständnis gemacht, wie es bei sehr Schüchternen Sitte
war, er möge es nur vor ihnen ablegen; Victorinus aber entgegnete,
er wolle sich zu seinem Heile lieber vor der Gemeinde der Heiligen
bekennen. Denn was er als Lehrer der Rhetorik vortrug, es war nicht das
Heil, und trotz alledem hatte er es öffentlich verkündigt. Er
durfte sich um so weniger vor deiner sanften Herde scheuen, zu deinem
Worte sich bekennend, er, der sich nicht gescheut hatte, seine
Vorträge vor dem Schwarm der Unsinnigen zu halten. Als er daher
die erhöhte Stätte bestieg, um sein Bekenntnis abzulegen, da
riefen sich alle, die ihn kannten, glückwünschend seinen
Namen zu mit lautem Jubel. Und wer hätte ihn nicht gekannt? Und
"Victorinus! Victorinus! <, schallte es einstimmig aus der Freudigen
Munde. Plötzlich, wie sie ihn sahen, brach ihr Jubel aus;
plötzlich schwiegen sie gespannt, ihn zu hören. Mit fester
Zuversicht legte er das Bekenntnis des wahrhaftigen Glaubens ab und
alle wollten ihn in ihr Herz hineinziehen, und ihre Liebe und ihre
Freude waren die sie umschlingenden Arme.
Achtes Buch - Drittes Kapitel
Gütiger Gott, wie kommt
es, daß sich der Mensch mehr über das Heil seiner Seele
freut, wenn sie verzweifelte und aus großer Gefahr gerettet
wurde, als wenn die Hoffnung nie fehlte oder die Gefahr eine geringere
war? Auch du, o barmherziger Vater, freutest dich mehr über einen
Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte,
die der Buße nicht bedürfen. Mit großer Freude
hören wir, wie auf den Schultern der frohlockenden Hirten das
Schaf, das verirrt war, zurückgetragen wird und wie der
wiedergefundene Groschen unter der Mitfreude der Nachbarn von dem
Weibe, das ihn gefunden, zu ihrem Schatz gelegt wurde. Tränen
entlockt uns die Freudenfeier deines Hauses, wenn es in deinem Hause
von dem jüngeren Sohne heißt: Denn er war tot und ist wieder
lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden. Du freust
dich in uns und in deinen Engeln, die da geheiligt sind durch heilige
Liebe. Denn du bist immer derselbe, weil du alles, was nicht immer,
noch auf dieselbe Weise ist, immer auf dieselbe Weise kennst.
Wie kommt es also, daß
die Seele mehr erfreut ist über das, was sie liebt, wenn sie es
wiederfindet, als wenn sie es immer besessen? Daß dem so ist,
beweist auch anderes; ja, überall stoßen wir auf Zeugnisse,
die da rufen: So ist es! Der siegreiche Feldherr triumphiert, und er
hätte nicht gesiegt, wenn er nicht gekämpft hätte, und
je größer die Gefahr in der Schlacht war, desto
größer ist die Freude des Triumphes. Der Sturmwind wirft die
Schiffer umher und es droht der Schiffbruch, alle erblassen angesichts
des kommenden Todes; Himmel und Meer beruhigt sich und ihre Freude ist
ohne maß, weil sie sich allzusehr fürchteten. Ein Freund ist
krank und seine Pulsader kündet Übles; alle, die ihm Genesung
wünschen, kranken mit ihm zugleich im Geiste; er erholt sich, noch
wandelt er nicht in seiner alten
Kraft und schon wird die
Freude so groß, wie sie früher nicht war, da er gesund und
frisch umherging. Selbst die Vergnügungen erwerben sich die
Menschen nicht durch Beschwerden, die unvermutet und wider ihren Willen
hereinbrechen, sondern durch absichtliche und freiwillige. Es gibt
keine Lust beim Essen und Trinken, wenn nicht die Beschwerde des
Hungerns und Durstens vorangeht. Die Trinker genießen Gesalzenes,
wodurch ein brennender Reiz entsteht, und darin besteht der
Genuß, diesen durch Trinken zu tilgen. Sitte ist es, daß
sich die verlobten Bräute nicht sogleich dem Manne ergeben, damit
er sie nicht geringachte, wenn er nicht zuvor als Bräutigam nach
der Zögernden seufzte
Dasselbe finden wir bei
häßlicher und verabscheuungswürdiger Freude, dasselbe
aber auch bei erlaubter und gestatteter Lust, ja bei der reinsten Liebe
der Freundschaft; dasselbe findet sich bei dem, der tot war und wieder
lebendig wurde, der verloren war und wiedergefunden wurde. Überall
geht größeres Leid, größere Freude voran. Wie
kommt dies, mein Gott, da du dir selbst die ewige Freude bist und da es
Geister gibt in deiner seligen Nähe, die sich über dich und
in deiner Umgebung stetig freuen? Warum wechselt bei diesem Teil der
Schöpfung Ab- und Zunahme, Freundschaft und Versöhnung? Oder
ist das ihre Weise? Ist das die Bedingung ihres Lebens, die du ihr
mitgabst, als du von der Höhe des Himmels bis zum Untersten der
Erde, vom Anbeginn bis zum Ende der Zeiten, vom Engel bis zum
Gewürm, von der ersten Regung bis zur letzten alle Arten der
Güter, alle deine gerechten Werke, jedes an seiner Stelle,
ordnetest und jedes zu seiner Zeit hinstelltest? 0 wie erhaben bist du
im Erhabenen und wie tief in der Tiefe! Nirgends hin entfernst du dich,
und dennoch kehren wir kaum zur dir zurück.
Achtes Buch - Viertes Kapitel
Wohlan, o Herr, wirke es,
erwecke uns und rufe uns zurück, entzünde uns, reiße
uns fort, entflamme uns und entzücke uns, auf daß wir dich
lieben und zu dir eilen Kehren nicht viele aus einer noch tieferen
Hölle der Blindheit als Victorinus zurück zu dir, gehen hin
und werden durch den Empfang deines Lichtes erleuchtet und empfangen
dadurch die Macht, Gottes Kinder zu werden? Wenn sie aber im Volke
wenigen bekannt sind,
118 dann ist auch die Freude
derer, welche sie kennen, weniger groß über sie. Ist aber
die Freude allgemeiner, so ist sie auch bei den einzelnen
größer, weil sie sich untereinander erwärmen und
begeistern. Sind sie ferner vielen bekannt, so gereicht ihr Ansehen
vielen zum Heil und gehen sie vielen zur Nachfolge voran. Deshalb
werden auch diejenigen, welche ihm vorausgegangen sind, von
großer Freude erfüllt, weil sie sich nicht über ihn
allein freuen. Fern sei es, daß die Reichen vor den Armen, die
Edlen vor den Unedlen in dein Heiligtum aufgenommen würden;
vielmehr, was schwach ist vor der Welt, das hast du erwählet,
daß du zuschanden machest, was stark ist; und das Unedle vor der
Welt und das Verachtete hast du erwählet und das da nichts, das du
zunichte machtest, was etwa ist. Und doch wollte der geringste unter
deinen Aposteln, durch dessen Mund du diese Worte sprachst, statt
Saulus Paulus heißen zum Zeichen des herrlichen Sieges an Paulus,
dem Prokonsul, dessen Stolz er durch seinen heiligen Dienst
überwand, da er ihn beugte unter das sanfte Joch deines Gesalbten
und ihn zum Untertan des großen Königs machte. Denn
stärker wird der Feind besiegt in dem, den er fester in Banden
hielt und durch den er mehrere fesselt. Die Stolzen aber fesselt er
stärker um ihres Adels willen und durch ihr Ansehen werden ihm
viele zugeführt. je völliger das Herz des Victorinus, welches
der Teufel als uneinnehmbares Bollwerk besessen hatte, bezwungen wurde
und die Zunge des Victorinus, mit welchem großen und scharfen
Geschoß er viele verderbt hatte, in um so größerem
Maß mußten deine Kinder frohlocken, weil unser König
den Starken gebunden und weil sie das ihm entrissene Gefäß
gereinigt sahen und geschickt gemacht für deine Ehre,
nützlich dem Herrn zu jedem guten Werke.
Achtes Buch - Fünftes Kapitel
Als mir Simplicianus, dein
Diener, solches von Victorinus erzählte, da entbrannte ich, ihm
nachzuahmen; zu diesem Zwecke hatte er es mir auch erzählt. Als er
aber noch hinzufügte, daß er, als zur Zeit des Kaisers
Julianus auf ein Gesetz hin den Christen der Lehrstuhl für
Literatur und Rhetorik untersagt war, diesem Gesetz Folge geleistet und
lieber die Schule der Geschwätzigen verlassen habe als dein Wort,
welches der Unmündigen Zungen beredt macht, da erschien er mir
nicht weniger glücklich als stark, weil er Gelegenheit zur
Muße fand, um dir zu leben. Danach seufzte ich, gebunden nicht
von fremder Kette, sondern von meinem eigenen eisernen Willen.
Mein Wollen hielt der Feind
gefangen, und von ihm aus hatte er mir eine Kette geschmiedet und mich
umschlungen. Denn aus dem verkehrten Willen geht die böse Lust
hervor, und wer der bösen Lust dient, dem wird sie zur Gewohnheit,
und wer der Gewohnheit nicht Widerstand leistet, dem wird sie
Notwendigkeit. In diesen gleichsam untereinander verbundenen Ringen -
ich nannte es deshalb eine Kette - war ich gefesselt in harter
Sklaverei. Der neue Wille aber, mit dem ich begann, dir um deiner
selbst willen zu dienen und dich zu genießen, o mein Gott, war
noch nicht stark genug zur Überwindung des durch das Alter
erstarkten Willens. So stritten sich zwei Willen in mir, ein alter und
ein neuer, ein fleischlicher und ein geistlicher, und sie zerrissen
meine Seele.
So erfuhr ich an mir durch
eigene Erfahrung, was ich gelesen hatte, das Fleisch gelüstete
wider den Geist und den Geist wider das Fleisch. Mein Ich war in
beidem; aber es gehörte mehr dem an, was ich in mir billigte, was
mir als das Rechte erschien, als dem, was ich in mir mißbilligte.
Denn letzteres gehörte schon weniger meinem Ich an, weil ich dies
größtenteils mehr wider meinen Willen litt, als daß
ich es mit Willen getan hätte. Aber durch meine eigene Schuld war
die Gewohnheit gegen mich widersetzlicher geworden, weil ich wollend
dahin gekommen war, wohin zu kommen ich nicht wollen gesollt
hätte. Und wer hätte ein Recht dazu, Widerspruch dagegen zu
erheben, wenn der Sünde die gerechte Strafe auf dem Fuße
folgte? jetzt war jene Entschuldigung zunichte geworden, daß ich
mir den Schein zu geben pflegte, ich diente dir deshalb nicht und
verachtete deshalb die Welt, weil mir die Erkenntnis der Wahrheit noch
unsicher war; denn sie war mir zur vollsten Gewißheit geworden.
Ich aber war noch an die Welt gefesselt und zögerte deshalb noch,
in deinen Dienst zu treten, und ich fürchtete So, von allen Lasten
entlastet zu werden, wie man sich fürchten muß, belastet zu
werden.
So lag die Last der Welt, wie
auf einem Schlafenden, sanft auf mir, und die Gedanken, welche ich
sinnend auf dich richtete, glichen den Anstrengungen derer, die
aufstehen wollen, aber von der Tiefe, des Schlafes
überwältigt wieder zurücksinken. Und wie es keinen
Menschen gibt, der immer schlafen will, und nach aller gesundem Urteil
das Wachen besser ist, dessenungeachtet es aber der Mensch oft
verschiebt, den Schlaf abzuschütteln, wenn er in seinen Gliedern
eine große Schwere empfindet, und um so lieber den Schlaf
genießt, den er abschütteln möchte, da die Stunde des
Aufstehens herangekommen ist - so war ich gewiß, es sei besser,
mich deiner Liebe hinzugeben als meiner Lust nachzugeben; aber jene
gefiel mir und überwand mich, diese gelüstete mich und band
mich. Nichts hatte ich dir zu erwidern, mein Gott, wenn du zu mir
sprachst: Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten,
so wird Christus dich erleuchten! Und wenn du mir offenbartest die
Wahrheit deines Wortes, so hatte ich, von der Wahrheit überzeugt,
überhaupt keine Antwort als höchstens die träumigen und
säumigen Worte: Im Augenblick, ja gleich, warte nur ein wenig!
Aber dieser Augenblick hatte kein Ende, und dies "Warte ein wenig!" zog
ich in die Länge. Vergebens hatte ich Lust an Gottes Gesetz nach
dem inwendigen Menschen; ich sah ein anderes Gesetz in meinen Gliedern,
das da widerstritt dem Gesetze in meinem Gemüte, und nahm mich
gefangen in der Sünde Gesetz, welches war in meinen Gliedern, denn
das Gesetz der Sünde besteht in der Macht der Gewohnheit, die den
Geist auch wider seinen Willen lenkt und festhält, und zwar
verdientermaßen, weil er mit Willen in die Macht der Gewohnheit
fällt. Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem
Leibe dieses Todes als nur deine Gnade durch unsern Herrn Jesus
Christus?
Achtes Buch - Sechstes Kapitel
Wie du mich aus den Banden der
Sinnenlust, die mich so fest umschlangen, und aus der Sklaverei
weltlichen Treibens rettetest, will ich erzählen und deinen Namen
bekennen, o Herr, mein Helfer und Erlöser. Ich ging meinem
gewohnten Treiben nach; doch meine Angst wuchs und täglich seufzte
ich nach dir; häufig besuchte ich deine Kirche, so oft mir die
Geschäfte, unter deren Last ich Seufzte, es nur verstatteten. In
meiner Begleitung war Alypius, der, nachdem er zum dritten Male
Beisitzer bei dem Gerichte gewesen war, frei von Amtsgeschäften,
eine Gelegenheit erwartete, seinen Rechtsbeistand angedeihen zu lassen,
wie ich mit der Beredsamkeit Handel trieb, wenn sie sich überhaupt
lehren läßt. Nebridius aber fehlte unserem
Freundschaftsbunde, um einem guten Freunde von uns allen, dem
Verecundius, einem Mailänder Bürger und Lehrer, helfend an
die Hand zu gehen. Denn dieser bedurfte seines Beistandes gar sehr und
verlangte, auf das Recht der Freundschaft sich stützend, aus
unserem Kreise eine Hilfe, auf die er sich verlassen konnte und der er
sehr bedurfte. Nicht Gewinnsucht hatte den Nebridius dorthin
geführt; er hätte Größeres erreichen können,
hätte er literarische Vorträge halten wollen; nur das
Pflichtgefühl des Wohlwollens und unser Wunsch hatten den
hingebenden und sanften Freund bestimmt, nachzugeben. Er tat aber sehr
weislich, sich zu hüten, den Großen dieser Welt bekannt zu
werden und hierbei seinen Geist von aller Unruhe frei zu halten, denn
frei und unabhängig wollte er sein und möglichst Herr seiner
Zeit bleiben, die er nutzbringend im Forschen, Lesen und Hören
für die Weisheit anwendete.
Einst kam, Nebridius war, ich
weiß nicht mehr recht weshalb, gerade abwesend, zu mir und
Alypius Pontitianus, unser Landsmann aus Afrika, der ein ansehnliches
Hofamt bekleidete, mit irgendwelchem Wunsche. Wie wir so ins
Gespräch vertieft dasaßen, bemerkte er zufällig auf dem
Studiertisch ein Buch; er nahm es, schlug es auf und fand wider
Erwarten die Schriften des Apostels Paulus; denn er glaubte irgendein
Buch zu finden, das zu meinem Gewerbe gehörte. Lächelnd
blickte er mich an und wünschte mir verwundert Glück,
daß er gerade diese Schriften hier gefunden habe. Denn er war ein
treuer Christ, der sich vor dir, unserm Gotte, auf das Knie warf in der
Kirche unter anhaltendem und ernstem Gebete. Als ich ihm mitteilte,
daß ich der heiligen Schrift ein ernstes Studium widmete, kam er
auf den ägyptischen Mönch Antonius zu sprechen, dessen Name
bei deinen Dienern in hoher Achtung stand; uns aber war er bis zu
dieser Stunde unbekannt. Als er dies erfahren, verweilte er bei diesem
Gegenstande und entrollte uns voll Staunen über unsere Unkenntnis
ein Bild von diesem großen Manne. Wir erstaunten aber, als wir
hörten, wie in einer so naheliegenden, ja man könnte sagen in
unserer Zeit in dem rechten Glauben deiner Kirche sich so unbestritten
Wunderbares ereignet habe. Wir alle waren erstaunt über solche
Geschehnisse, jener, weil es uns unbekannt war.
Seine Rede verbreitete sich
nun über die Herden der Klöster und über die
gottgefälligen Sitten, über die fruchtbaren Einöden der
Wüste, von denen wir nichts wußten. Auch vor Mailands Mauern
war ein Kloster voll frommer Brüder unter des Ambrosius Pflege,
und wir wußten es nicht. Er fuhr fort und sprach weiter, wir aber
schwiegen gespannt. Er erzählte, einst sei er in Trier,
während der Kaiser am Nachmittag sich im Zirkus befand, mit drei
Freunden in den an die Stadtmauer grenzenden Gärten
spazierengegangen; zufällig hätten sie sich dort in zwei
Paare getrennt, einer sei mit ihm diesseits, die andern beiden jenseits
gegangen. Diese seien beim Umherstreifen auf eine Hütte
gestoßen, wo deine Knechte wohnten, die geistlich Armen, deren
das Himmelreich ist. Dort fanden sie ein Buch, welches die
Lebensbeschreibung des Antonius enthielt. Der eine begann dasselbe zu
lesen; er ward von mächtiger Bewunderung ergriffen, und beim Lesen
sann er darauf, ein solches Leben zu ergreifen, den Dienst der Welt zu
verlassen und dir zu dienen. Beide waren nämlich Provinzialbeamte.
Plötzlich erfüllt voll heiliger Liebe und voll Scham sich
selbst zürnend, wandte er den Blick auf seinen Freund und sagte zu
ihm: Sage mir, ich bitte dich, wozu all unser Mühen, wohin
gelangen wir damit? Was suchen wir? Warum dienen wir? Können wir
bei Hofe etwas Größeres erhoffen, als Freunde des Kaisers zu
bleiben? Und was ist hier nicht hinfällig und gefahrdrohend? Durch
wieviel Gefahren kommen wir zu immer größeren? Wann
erreichen wir das Ziel? Ein Freund Gottes kann ich, wenn ich nur will,
jetzt sofort werden. Dies sagte er, und im innern Aufruhr durch das
Kreisen des neuen Lebens warf er die Augen von neuem auf das Buch und
las und ward im Innern verwandelt, wo du es sahst; und sein Gemüt
löste sich ab von der Welt. wie sich's bald zeigte. Denn
während er las und das Herz pochte, seufzte er tief von Zeit zu
Zeit und unterschied das Bessere und entschied sich dafür, und
schon dir angehörig, sagte er seinem Freunde: Ich habe mich schon
losgerissen von dem, was wir hofften, und beschlossen, Gott zu dienen,
und das will ich von dieser Stunde ab und an diesem orte angreifen.
"#Willst du nicht sein mein Nachfolger, so sei zum mindesten nicht mein
Widersacher." jener aber erwiderte, er wolle Genosse ihm bleiben
solchen Lohnes und solchen Dienstes. Und beide nun dein, erbauten sich
eine Burg ihres Heils, zu deren Aufführung es genügte, alles
zu verlassen und dir zu folgen. Alsdann suchten Pontitianus und die mit
ihm in einem anderen Teile des Gartens lustwandelten sie auf, fanden
sie und forderten sie auf zurückzukehren, denn der Tag habe sich
geneigt. jene aber erzählten ihnen ihren Entschluß und die
Ursache seiner Entstehung und Befestigung und baten uns, ihnen nicht
hinderlich zu sein, wenn sie sich nicht anschließen wollten.
Diese blieben, obwohl sie sich beweinten, in ihrem alten Leben, wie er
uns mitteilte, wünschten ihnen Segen und empfahlen sich ihren
Gebeten, und ihr Herz der Welt zuwendend, gingen sie zum Palast. Diese
aber blieben, das Herz zum Himmel erhoben, in ihrer Hütte. Beide
hatten Bräute, welche, als sie hörten, was geschehen war,
sich nun auch dir verlobten.
Achtes Buch - Siebentes Kapitel
Dies erzählte
Pontitianus; du aber, o Herr, stelltest mich mir selbst vor Augen,
indem du mich von meinem Rücken entferntest, wohin ich mich
gestellt hatte, weil ich mich nicht schauen wollte, und stelltest mich
vor mein Angesicht, daß ich sähe, wie häßlich ich
wäre, wie verwildert und verunreinigt, wie befleckt und
zerschlagen. ich sah es und schauderte und hatte nicht, wohin ich
hätte fliehen können vor mir. Und wenn ich mich von meinem
Anblick abwenden wollte, da erzählte jener und erzählte, und
du stelltest mich mir selbst wieder gewaltsam vor Augen, daß ich
meine Sünde fände und haßte. Ich kannte sie, aber ich
verhehlte sie mir, beruhigte mich und vergaß sie.
J mehr ich damals jene liebte,
von deren heilsamen Gemütsbewegungen ich hörte, daß sie
sich dir ganz zur Heilung anheimstellen wollten, desto
größer war mein Haß gegen mich selbst, wenn ich mich
mit ihnen verglich. Denn schon waren zwölf Jahre dahingeflossen,
seit ich im einundzwanzigsten Jahre den Hortensius des Cicero gelesen
hatte und durch ihn zur Erforschung der Weisheit angeregt worden war;
ich hatte es stets verschoben, mit Verachtung meines irdischen
Glückes mich ihr ganz und gar zu weihen, die ich nicht nur finden,
sondern die ich schon durch das Forschen nach ihr höher stellen
sollte als alle Schätze und Königreiche der Erde und die
leiblichen Lüste, die mir auf meinen Wink dienten. Schon als
Jüngling war ich elend, sehr elend; bei dem Beginn meiner
Jünglingsjahre hatte ich dich um Keuschheit gebeten und gesagt:
"Gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, doch nicht sogleich!" Denn ich
fürchtete, du möchtest mich allzu schnell erhören, mich
allzu schnell heilen von der Krankheit meiner Lüste, die ich
lieber bis zur Hefe genießen als erlöschen wollte. So
wandelte ich auf schlimmen Pfaden in gottlosem Aberglauben, zwar nicht
davon überzeugt aber ich zog ihn allem andern vor, was ich nicht
mit Frömmigkeit suchte, sondern feindliclich bekämpfte.
Ich hatte geglaubt, daß
ich es nur deshalb von Tag zu Tag Aufgehoben alle Hoffnung der Welt
aufzugeben und dir allein zu folgen, weil sich mir nichts Sicheres
darböte, um meinen Lauf dahin zu richten. So war der Tag gekommen,
wo ich in meiner ganzen Blöße vor mir stand und mein
Gewissen in mir schrie: Wo bist du, Sprache? Du sagtest ja, du wollest,
weil die Wahrheit unsicher sei, die Bürde der Eitelkeit noch nicht
abwerfen. Siehe, sicher ist sie nun, und noch drückt dich deine
Bürde; jenen aber, die nicht sich also durch Forschen
geschwächt haben, noch zehn Jahre und länger darüber
nachsannen, wachsen Schwingen an den freieren Schultern. Ich ward
innerlich zerrissen und von tiefer Scham ergriffen, als Pontitianus
solches redete. Nachdem er seine Erzählung beendet und den Grund
seines Kommens erledigt hatte, entfernte er sich. Und ich, wie sprach
ich nicht zu mir? Mit welcher Gedankengeißel schlug ich nicht
meine Seele, daß sie mir Folge leiste, da ich auf deinem Wege
wandeln wollte. Wohl hatte sie Widerrede, aber keine Ausrede. Verzehrt
und abgewichen waren alle Einwürfe, zurückgeblieben war nur
ein gewaltiges Zagen, und wie der Tod scheute meine Seele, vom Strome
der Gewohnheit fortgerissen zu werden, in dem sie langsam hinsiechte.
Achtes Buch - Achtes Kapitel
In diesem heftigen Kampfe, der
in meinem Herzen gewaltig wider meine Seele tobte, erregt am
Körper und Geist, wandte ich mich hastig an Alypius und rief. Was
geschieht uns? Was ist dies? Was hast du gehört? Die Ungelehrten
erheben sich und reißen das Himmelreich an sich, und wir mit
unserem herzlosen Wissenskram, siehe, wie wir uns wälzen in
Fleisch und in Blut! Weil Ungelehrte vorangingen, schämen wir uns
da vielleicht zu folgen, und schämen uns nicht, ihnen nicht zu
folgen? Das war ungefähr der Sinn meiner Worte; ich riß mich
los von ihm in meiner glühenden Aufregung, während er mich in
tiefer Bestürzung anblickte und schwieg. Ich äußerte
mich nicht auf gewohnte Weise, und Stirn, Wangen, Augen, meine
Gesichtsfarbe, der Ton meiner Stimme, sie offenbarten mehr mein Inneres
als die Worte, welche ich vorbrachte. An unser Haus stieß ein
Gärtchen, das uns, wie überhaupt das ganze Haus, zur freien
Verfügung stand, denn der Besitzer und Hausherr wohnte nicht
darin. Hierhin trieb mich der Sturm meines Herzens, daß niemand
den heißen Streit finden möchte, den ich mit mir
auszufechten hatte, bis er einen Ausgang nähme, welchen, das
wußtest du; ich aber wußte es nicht, sondern mich hatte ein
seltsamer Wahnsinn ergriffen, und ich starb, um zu leben; ich
wußte wohl, wie schlecht ich war, das aber wußte ich nicht,
wie gut ich in kurzer Zeit sei. Ich ging also in den Garten und Alypius
folgte mir auf dem Fuße. Denn meine Einsamkeit blieb mir auch,
wenn er zugegen war. Wie hätte er mich auch in solcher Seelenangst
verlassen können! Wir setzten uns vom Hause möglichst weit
entfernt; ich erschauderte im Geiste, ergrimmt in stürmischem
Ingrimm, daß ich nicht den Bund mit dir einging, o mein Gott, und
alle meine Gebeine schrien und erhoben ihn lobpreisend in den Himmel.
Aber man geht dahin nicht zu Schiffe oder zu Wagen oder zu Fuß,
nicht einmal so weit, wie vom Hause bis zu dem Ort, wo wir saßen.
Denn hingehen und hingelangen ist da nichts anderes als hingehen
wollen, aber wollen von ganzem Herzen, nicht den halbwunden Willen bald
hierhin, bald dorthin werfen, So daß sein aufstrebender Teil mit
dem fallenden rang.
So verrichtete ich mit meinem
Körper viel in der Glut meiner Unentschlossenheit, was oft
Menschen wollen und nicht vermögen, wenn sie entweder die Glieder
nicht haben oder diese entweder gefesselt oder durch Mattigkeit
kraftlos oder auf irgendeine andere Weise verhindert sind. Wenn ich mir
das Haar ausraufte, mir die Stirne schlug, wenn ich mit gefalteten
Händen das Knie umfaßte, weil ich es wollte, so tat ich es.
Ich konnte dies aber wollen und doch nicht tun, wenn die Glieder aus
Mangel an Beweglichkeit meinem Willen nicht Folge leisteten. Ich habe
also so vieles getan, wobei Wollen und Können nicht eins war,
dagegen ich das nicht tat, was ich mit ungleich stärkerem Triebe
erstrebte und was ich alsbald, wenn ich es nur gewollt hätte, auch
gekonnt hätte, weil ich alsbald, wenn ich es wollte, allerdings
wollte. Denn auf diesem Gebiete ist das Können und der Wille eins,
und das Wollen selbst war schon ein Tun und doch geschah es nicht, und
leichter gehorchte der Leib dem geringsten Willen der Seele, so
daß sich die Glieder auf den Wink des Geistes bewegten. als sonst
die Seele sich selbst gehorcht und ihren starken Willen im Gebiet, wo
der Wille allein herrscht, durchgesetzt hätte.
Achtes Buch - Neuntes Kapitel
Woher stammt diese Unnatur,
Und warum? Deine Barmherzigkeit erleuchte mich, und ich will fragen, ob
die verborgensten Strafgerichte und die finstersten Zerknirschungen der
Kinder Adams mir Antwort zu geben vermögen. Woher diese Unnatur?
Und warum? Der Geist gebietet dem Körper und er gehorcht sogleich.
Der Geist gebietet sich selbst und er findet Widerstand. Er gebietet,
daß die Hand sich bewege, und so leicht geschieht es, daß
kaum vom leiblichen Dienst der geistige Befehl geschieden werden kann.
Und der Geist ist Geist, die Hand aber ist zum Körper
gehörig. Der Geist gebietet, daß der Geist es wolle; er ist
kein anderer und tut es trotzdem nicht. Woher stammt diese Unnatur? Und
warum ist es so? Der Geist gebietet, sage ich, daß er wolle; er
würde nicht befehlen, wenn er nicht wollte, und es geschieht
nicht, was er befiehlt. Aber nicht von ganzem Herzen will er, also
befiehlt er auch nicht von ganzem Herzen. Denn nur inwieweit er
befiehlt, insoweit will er auch, und insofern geschieht es nicht, was
er befiehlt, inwiefern er es nicht will. Denn der Wille gebietet,
daß der Wille sei und kein anderer, sondern er selbst. Daher
befiehlt er nicht ganz, deshalb ist auch das nicht, was er gebietet.
Wäre der Wille ein ganzer, so würde er nicht befehlen zu
sein, weil es schon wäre. Also ist es nicht Unnatur, teils zu
wollen, teils nicht zu wollen, sondern eine Krankheit der Seele ist es,
weil nicht der ganze Geist sich aufrichtet, von der Wahrheit
emporgehoben, von der Gewohnheit aber niedergezogen. Es sind deshalb
zwei Willen, weil der eine derselben nicht ein ganzer Wille ist und der
eine nur hat, was dem andern fehlt.
Achtes Buch - Zehntes Kapitel
Umkommen müssen die
Gottlosen vor deinem Angesichte, mein Gott, als die da Eitles reden und
Herzen verführen, wenn sie in ihres Herzens Rat zwei Willen
wahrnehmen und zwei geistige Naturen, eine gute und eine böse
behaupten. Sie selbst sind in Wirklichkeit böse, wenn sie jene
bösen Gedanken haben, und dieselben werden gut sein, wenn sie
wahre Gedanken haben, und dem Wahren beistimmen, wie zu ihnen dein
Apostel spricht: Ihr waret weiland Finsternis, nun aber seid ihr ein
Licht in dem Herrn. Denn während jene ein Licht sein wollen, so
wollen sie es nicht werden in dem Herrn, sondern in sich selbst,
dadurch, daß sie glauben, die Seele sei mit Gott gleicher Art; so
sind sie von noch dichterer Finsternis umhüllt, weil sie weiter
von dir wichen in ihrem grauenhaften Stolze, von dir, dem wahren
Lichte, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Merket
euch das, was ihr saget, und errötet und gehet zu ihm, und ihr
werdet Licht und euer erleuchtetes Angesicht wird nicht mehr
erröten. Als ich mit mir zu Rate ging, wie ich dem Herrn, meinem
Gott, dienen sollte, wie ich es mir schon lange vorgenommen, so war ich
es, der wollte, ich, der es nicht wollte; ich, ja ganz allein ich war
es. Ich wollte es nicht von ganzem Herzen und ich verschloß mich
auch wiederum nicht dagegen mit ganzem Herzen. So stritt ich mit mir
und wurde zwiespältig mit mir selbst. Und dieser Zwiespalt zeigte
nicht hin auf die Natur eines fremden Geistes, sondern auf die Strafe
des meinigen Und so tue ich nun dasselbige nicht, sondern die
Sünde, die in mir wohnte, durch die Strafe einer ohne Zwang
begangenen Sünde, dem ich war Adams Sohn.
Wenn es so viel
entgegengesetzte Naturen gäbe, als Willen im Widerspruch stehen,
es würde nicht nur zwei, sondern viel mehr geben. Wenn einer
unentschlossen erwöge, ob er zu der Zusammenkunft der
Manichäer oder ins Theater gehen Sollte, da schrien sie: Siehe, da
hast du die zwei Naturen! Die gute, sie führt dich zu uns, die
böse, sie stößt dich wieder zurück. Denn woher
käme sonst die Unentschlossenheit der unter sich im Zwiespalt
befindlichen Willensmeinungen? Ich nenne sie beide böse, sowohl
die, die zu ihnen führt, als auch die, die zum Theater führt.
Sie aber, die Manichäer, halten nur die für gut, die zu ihnen
führt. Wenn etwa einer von uns mit sich zu Rate geht und bei dem
Zwiespalt seines Willens ungewiß hin- und herschwankt, ob er ins
Theater gehen soll oder in unsere Kirche, werden da nicht auch jene ins
Schwanken geraten, was sie antworten sollen? Sie werden ihm gestehen,
was sie nicht wollen, daß er sich nämlich mit gutem Willen
zu unserer Kirche wende, wie es diejenigen tun, die in ihre Geheimnisse
eingeweiht und gebunden sind, oder sie werden der Meinung sein,
daß zwei böse Naturen und zwei böse Geister in einem
Menschen im Widerstreit liegen, und es wird dann nicht wahr sein, was
sie gewöhnlich sagen, daß der eine gut, der andere böse
sei, oder sie werden sich zur Wahrheit bekennen und nicht leugnen, wenn
jemand unentschlossen ist, daß die eine Seele von verschiedenen
Willensmeinungen angeregt werde.
Sie können also nicht
sagen, wenn sie sich denken, es ständen sich zwei Willen in einem
Menschen feindlich gegenüber, daß zwei entgegengesetzte
Geister und zwei einander entgegengesetzte Substanzen und Prinzipien
sich streiten, das eine gut, das andere böse. Denn du, o
wahrhaftiger Gott, mißbilligst sie und überführst sie,
wie bei jedem bösen Willen, wenn einer überlegt, ob er einen
Menschen durch Gift oder durch das Schwert umbringen solle, ob er in
dieses oder jenes fremde Gut einbrechen soll, da er beides nicht
zugleich kann; ob er durch Verschwendung sich Vergnügen
verschaffen soll oder durch Geiz sein Geld zusammenscharre, ob er zum
Zirkus oder zum Theater gehen soll, wenn beide an einem Tage
geöffnet sind; ich setze noch ein drittes hinzu -oder zu einem
Diebstahl in einem fremden Hause, und nun endlich viertens noch, um
einen Ehebruch zu begehen, wenn die Gelegenheit günstig ist, wenn
alles auf einen Zeitpunkt zusammenträfe und alles
wünschenswert erschiene, aber doch nicht zugleich ausgeführt
werden kann. Denn wenn auch durch diese vier verschiedenen
Willensäußerungen oder selbst noch mehrere, da die Masse der
begehrenswert erscheinenden Gegenstände so groß ist, das
Herz zerspalten wird, so erkennt man doch nicht eine Vielheit von
verschiedenen Substanzen, sondern nur zwei, ebenso bei den
Willensäußerungen zum Guten. Denn ich frage sie, ob es gut
ist, sich am Lesen der Schriften des Apostels Paulus zu erfreuen, und
ob es gut sei, sich an einem herrlichen Psalm zu erquicken, oder ob es
gut ist, über das Evangelium zu reden. Sie werden auf jede der
einzelnen Fragen antworten: Gewiß ist es etwas Gutes! Wenn sie
nun aber alle zu gleicher Zeit erfreuen, bringen verschiedene
Willensmeinungen da nicht Zwiespalt ins Herz, wenn es überlegt,
was es von allem ergreifen soll? Alles ist gut daran und steht im
Kampfe mit sich untereinander, bis eines ausgewählt wird, dem sich
der Wille ungeteilt zuwendet, der vorher mehrfach geteilt war. So auch,
wenn die Ewigkeit eine reinere Freude gewährt und die Luft am
zeitlichen Gut die Seele fesselt, so ist es dieselbe Seele, die nicht
mit dem ganzen Willen dieses oder jenes will, und deshalb wird sie von
schwerer Unruhe zerrissen, während sie jenem durch die Wahrheit
bestimmt den Vorzug gibt, dies aus Angewöhnung nicht ablegt.
Achtes Buch - Elftes Kapitel
So war ich krank und
quälte mich, indem ich mich selbst härter anklagte als je,
und ich wand und wälzte mich in meiner Fessel, bis sie ganz von
mir fiele; wiewohl sie schon schwach geworden war, hielt sie mich
dennoch fest. Und du, o Herr, setztest mir zu in meinem Innern mit
strengem Erbarmen, mit der Geißel, die Furcht und Scham
verdoppelte, auf daß ich nicht wieder wiche und dir diene und
schwach gewordene Bande, die noch geblieben waren, vollends zerrisse,
auf daß sie nicht wiederum erstarkten und mich fester
umschlängen. Da sprach ich in meines Herzens Grunde zu mir: Bald,
bald wird es geschehen! Und mit dem Worte ging ich schon ein auf den
Entschluß. Fast tat ich's und tat's doch nicht; aber doch fiel
ich nicht in das frühere zurück, sondern stand ganz nahe und
verschnaufte. Und dann versuchte ich es zum zweiten Male und war
beinahe am Ziele und erreichte es beinahe und hielt es fest; und doch
war ich nicht am Ziele und erreichte es weder noch hielt ich es fest
noch zauderte ich zwischen Tod und Leben, und mehr vermochte noch in
mir das gewohnte Schlechtere als das ungewohnte Bessere, und je
näher mir der Zeitpunkt trat, wo ich ein anderer werden sollte,
desto größerer Schauder erfüllte mich; doch warf er
mich weder zurück noch lenkte er mich ab, ich blieb in Hangen und
Bangen.
Zurück hielten mich die
Nichtigkeiten und Eitelkeit, meine alten Freundinnen, zerrten mich am
Mantel meines Fleisches und flüsterten mir zu: Was, du willst uns
verlassen? Von dem Augenblick werden wir nicht mehr bei dir sein in
Ewigkeit. Von dem Augenblick an wird dir dies und jenes nicht erlaubt
sein in Ewigkeit. Welche Bilder brachten sie mir vor die Seele in dem
"dies und jenes"! Welche Bilder, o mein Gott! Deine Barmherzigkeit
wende es ab von der Seele deines Dieners. Welche Schmach reichten sie
mir dar, welche Schande! Schon hörte ich sie nicht einmal mehr zur
Hälfte an, schon sprachen sie weniger frei, nur hinter meinem
Rücken murmelnd und mich verstohlen zupfend, auf daß ich
zurückschauen möchte. Dennoch hielten sie mich auf, und ich
zögerte, sie von mir abzuschütteln und loszureißen und
hinüberzugehen, wohin ich gerufen ward, indem die mächtige
Gewohnheit zu mir sprach: Glaubst du es ohne jene Dinge aushalten zu
können?
Aber kaum hörbar sprach
sie dies mit lässiger Stimme; denn es enthüllte sich mir von
der Seite, wohin ich mein Antlitz wandte und wohin ich zu gehen doch
noch schauderte, die keusche Würde der Enthaltsamkeit, heiter,
doch nicht zügellos lustig, mich ehrbar ladend, daß ich
käme und nicht mehr Zweifel hegte, nach mir ausstreckend, um mich
aufzunehmen und zu umfassen, die segnenden Hände mit einer
Fülle guter Vorbilder. Dort sah ich so viele Knaben und
Mädchen, Jünglinge und Jungfrauen in großer Zahl, jedes
Alter, gebeugte Witwen, Alte im Kranze der Jungfrauenschaft. Und bei
allen fand ich dieselbe Keuschheit, die gesegnete Mutter der heiligsten
Freuden, gezeugt in deiner Umarmung, o Herr. Und sie spottete meiner in
ermahnendem Spotte: Wirst du, so sagte sie, wirst du denn nicht das
vermögen, was diese Knaben, was diese Weiber vermochten?
Vermögen diese es denn aus eigener Kraft und nicht in dem Herrn,
ihrem Gotte? Der Herr, ihr Gott, hat mich ihnen verliehen. Was stehst
du auf dich fußend, und stehst nicht fest? Wirf dich auf ihn,
fürchte dich nicht, er wird dich nicht verlassen, so daß du
fielest; wirf dich auf ihn ohne Sorgen, er wird dich aufnehmen und dich
heilen. Und wie errötete ich, denn noch hörte ich das
Geflüster jener Nichtigkeiten, und zweifelnd war ich wiederum ohne
Entschluß. Und wiederum sagte sie mir: Sei taub gegen deine
unreinen Glieder auf Erden, auf daß sie ersterben. Sie
verheißen dir Freuden, die nicht sind nach dem Gesetz des Herrn,
deines Gottes. So stritten in meinem Herzen die Gedanken gegeneinander.
Alypius aber saß an meiner Seite und erwartete schweigend den
Ausgang meiner ungewöhnlichen Bewegung.
Achtes Buch - Zwölftes Kapitel
Als aber eine tiefe
Betrachtung aus geheimem Grunde all mein Elend hervorzog und vor dem
Angesichte meines Herzens sammelte, da brach ein gewaltiger
Gewittersturm, den Tränen in Strömen begleiteten, in mir los.
Ihm freien Lauf zu lassen, erhob ich mich und ging hinweg von Alypius;
denn die Einsamkeit erschien mir geeigneter, um mich ausweinen zu
können; ich ging hinweg, so weit, daß mich seine Gegenwart
nicht mehr zu stören vermochte. So war ich damals und jener
fühlte mit mir. Ich glaube auch, daß ich schon etwas gesagt
hatte, wobei der tränenschwere Ton meiner Stimme stockte, und so
erhob ich mich denn. Er blieb, wo wir uns niedergesetzt hatten,
zurück, von Staunen erfüllt. Ich aber warf mich am Stamme
eines Feigenbaumes nieder und ließ meinen Tränen freien
Lauf, und der Quell des Auges strömte hervor, ein Opfer, das du
gern empfingst, und ich sprach, zwar nicht mit denselben Worten, aber
doch in dein Sinne, vieles zu dir: Du, o Herr, wie so lange? Wie lange,
Herr, wirst du zürnen? Sei nicht eingedenk unserer vorigen
Missetat. Denn von ihr fühlte ich mich gefesselt und stöhnte
laut in kläglichem Jammer. Wie lange? Wie lange? Morgen und immer
wieder morgen? Warum nicht jetzt, weshalb setzt nicht diese Stunde
meiner Schande ihr Ziel?
So sprach ich und weinte
bitterlich in der Zerknirschung meines Herzens. Und siehe, da
hörte ich eine Stimme aus einem benachbarten Hause in singendem
Tone sagen, ein Knabe oder ein Mädchen war es: Nimm und lies! Nimm
und lies! Ich entfärbte mich und sann nach, ob vielleicht Kinder
in irgendeinem Spiele dergleichen Worte zu singen pflegen, konnte mich
aber nicht erinnern, jemals davon gehört zu haben. Da drängte
ich meine Tränen zurück, stand auf und legte die
gehörten Worte nicht anders, als daß ein göttlicher
Befehl mir die heilige Schrift zu öffnen heiße und daß
ich das erste Kapitel, auf welches mein Auge fallen würde, lesen
sollte. Denn ich hatte von Antonius gehört, daß er beim
Vorlesen des Evangeliums in der Kirche, zu dem er zufällig
gekommen war, das Wort, das da vorgelesen wurde, als eine Ermahnung auf
sich bezog: Gehe hin und verkaufe alles, was du hast, und gib es den
Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir
nach. Durch solche Gottesstimme sei er sogleich bekehrt worden. Und so
kehrte ich eiligst zu dem Orte zurück, wo Alypius saß und wo
ich bei meinem Weggehen die Schriften des Apostels Paulus
zurückgelassen hatte. ich ergriff das Buch, öffnete es und
las still für mich den Abschnitt, der mir zuerst in die Augen
fiel: Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht
in Hader und Neid, sondern ziehet an den Herrn Jesum Christum und
wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde. Ich las
nicht weiter, es war wahrlich nicht nötig, denn alsbald am Ende
dieser Worte kam das Licht des Friedens über mein Herz und die
Nacht des Zweifels entfloh.
Alsdann legte ich den Finger
oder ein anderes Zeichen hinein, schloß das Buch und
erzählte mit ruhiger Miene dem Alypius, was mir geschehen war. Er
aber erzählte mir auch, was in ihm vorging und wovon ich nichts
wußte. Er wünschte die Stelle zu lesen, ich zeigte sie ihm,
und er las auch das Weitere. Ich wußte aber nicht, was folgte. Es
folgte aber: Den Schwachen im Glauben nehmet auf. Dies bezog er auf
sich und eröffnete es mir. Durch solche Ermahnung fühlte er
sich gestärkt; ohne Zaudern und Unruhe trat er meinem Entschlusse
und guten Vorsatze bei, der seiner Sinnesart völlig entsprach, war
er ja darin viel besser als ich und unterschied sich gewaltig von mir.
Wir gingen sogleich zur Mutter und erzählten ihr, was geschehen
war, und sie freute sich. Wir erzählten ihr, wie es geschehen war;
sie jubelte und triumphierte, und sie pries dich, der
überschwenglich mehr tun kann, über alles, das wir bitten
oder verstehen, da sie sah, daß ihr von dir weit mehr
gewährt worden war, als sie in ihrem Jammer und ihren Tränen
zu bitten pflegte. Du bekehrtest mich zu dir, so daß ich weder
ein Weib begehrte noch irgendeine Hoffnung dieser Welt; jetzt stand ich
auf jenem Richtscheit des Glaubens, auf welchem du mich ihr vor so viel
Jahren gezeigt hattest. Du wandeltest ihre Trauer in Freude, viel
reichlicher, als sie gewollt, viel herrlicher und reiner, als sie von
den Enkeln meines Fleisches suchte.
NEUNTES BUCH
Erstes Kapitel
O Herr, ich bin dein Knecht,
deiner Magd Sohn; du hast meine Bande gelöset. Dir will ich Dank
opfern und des Herrn Namen verkünden. Es soll dich loben mein
Herz, preisen soll dich meine Zunge, und alle meine Gebeine müssen
sagen: Herr, wer ist dir gleich? So sollen sie sagen, und antworte mir
und sage meiner Seele: Ich bin dein Heil. Wer bin ich und was bin ich?
Gibt es ein Böses, das ich nicht getan, oder wenn ich es nicht
getan, so doch geredet, oder wenn ich es nicht geredet, so doch gewollt
habe? Du aber, o Herr, du bist barmherzig, und die Tiefe meines Todes
beachtend, schöpftest du mit deiner Rechten und bis auf den Grund
meines Herzens die Tiefe des Verderbens aus. Und dadurch wollte ich
nicht mehr nach meinem, sondern nur noch nach deinem Willen. Wo aber,
wo in so später Zeit und aus welcher tiefen und doch so hohen
Verborgenheit ward im Augenblick mein freier Wille hervorgerufen,
daß ich meinen Nacken unter dein sanftes Joch beugte und meine
Schultern unter deine leichte Bürde, Jesus Christus, mein Helfer
und mein Versöhner? Wie herrlich war es mir plötzlich, die
Reize der Nichtigkeiten zu entbehren, und wenn ich ihren Verlust sonst
fürchtete, war es mir jetzt eine Freude, sie preiszugeben. Denn du
warfst sie von mir, du wahre und höchste Wonne, du warfst sie von
mir und tratest an ihre Stelle, wonniger als alle Wonne, freilich nicht
dem Fleisch und dem Blute; leuchtender als alles Licht, aber tiefer
liegend als alles Verborgene; höher als alle Herrlichkeit, doch
nicht denen, die sich selbst hoch dünken. Schon war meine Seele
frei von den nagenden Sorgen des Ehrgeizes und der Gewinnsucht, des
Wälzens und Schattens im Schlamme der Lüste; ich lallte wie
ein Kind dir entgegen- meiner Klarheit, meinem Reichtume, meinem Heile,
Gott, meinem Herrn.
Neuntes Buch - Zweites Kapitel
Und ich beschloß vor
deinem Angesichte, den Dienst meiner Zunge vom Markt der
Geschwätzigkeit nicht gewaltsam, sondern unbemerkt
zurücktreten zu lassen, damit nicht ferner Jünglinge, die
nicht bedacht sind auf dein Gesetz, nicht auf deinen Frieden, sondern
auf lügenhaften Unsinn und gerichtliche Streitigkeiten, sich nicht
aus meinem Munde die Waffen kauften für ihre Raserei.
Glücklicherweise waren nur noch wenige Tage bis zu den Ferien der
Weinlese, und ich beschloß, so lange noch in meinem Berufe
auszuharren, um ehrenhaft abzutreten und freigekauft von dir nicht
wieder ein feiler Sklave zu werden. Diese unsere Absicht wurde einzig
und allein unter deiner Zeugenschaft gefaßt, sie war niemandem
außer den Unsrigen bekannt. Und wir kamen überein, daß
dieser Plan nicht diesem oder jenem verraten wurde, obwohl du uns, die
wir aus dem Tränental aufstiegen und den Stufenpsalm sangen,
scharfe Geschosse gabest und glühende Kohlen gegen die
trügliche Zunge, die unter dem Schein, Gutes zu raten, vom guten
Vorsatz abrät und uns aus falscher Liebe verzehrt, die wir die
Speise zu uns nehmen.
Du hattest unser Herz durch
deine Liebe getroffen, und wie im Herzen haftende Pfeile trugen wir
deine Worte; die Vorbilder deiner Knechte, die du aus Schatten zu
Kindern des Lichtes, aus Toten zu Lebenden umgewandelt hattest,
vereinigten sich im Schoß unserer Gedanken und verbrannten und
verzehrten die schwere Erstattung, damit wir nicht zur Hölle
führen, und sie begeisterten uns mächtig, so daß jeder
Hauch der trügerischen Zunge des Widerspruchs uns nur um so
schärfer entflammte, nicht aber erlöschen ließ. Da
jedoch deines Namens wegen, den du auf Erden heiligtest, unser Vorhaben
und unser Entschluß großes Lob erfahren würde, so
erschien mir es wie Prahlerei, nicht bis zu den demnächstigen
Ferien zu warten, sondern noch vorher aus meinem öffentlichen Amte
vor den Augen aller auszuscheiden, so daß sich aller Blicke auf
meine Tat gerichtet haben würden, wodurch es scheinen konnte, als
ob ich dem Tage der Weinleseferien hätte zuvorkommen wollen, und
viele hätten mir dann nachgesagt, daß ich es getan
hätte, um groß zu erscheinen. Und wozu erst, daß
über meine Gesinnung hin und her geurteilt und gestritten
würde und unser Schatz verlästert würde?
Dazu kam, was mich zuerst
beunruhigt hatte, daß durch angestrengte literarische
Tätigkeit im Sommer meine Lunge angegriffen war, mir das Atemholen
erschwerte und durch Brustschmerzen mir ihren leidenden Zustand
verraten hatte. Meine frühere klare und volle Stimme versagte
ihren Dienst, und ich war schon dadurch genötigt, die Bürde
meines Amtes abzulegen, oder doch, um mich auszuheilen und gesunden zu
können, eine Unterbrechung eintreten zu lassen. Als aber in mir
der volle Wille aufging und fest ward, mein Amt aufzugeben und zu
sehen, daß du der Herr bist, da freute ich mich, o mein Gott, du
weißt es, daß diese Entschuldigung keine Lüge war, den
Anstoß der Leute weniger zu erregen, die um ihrer Kinder willen
mir keine Ruhe ließen. Voll Freude ertrug ich nun jene
Zwischenzeit, bis sie ablief, ich glaube, es waren an die zwanzig Tage,
aber tapfer wurden sie ertragen, weil die Begierde zurückgetreten
war, welche mir die schwere Arbeit ertragen half, und ich war der
Erdrückung preisgegeben, wäre nicht die Geduld an ihre Stelle
getreten. Vielleicht hätte einer deiner Diener gesagt, daß
ich gesündigt habe, weil ich, das Herz begierig dir zu dienen, es
über mich gebracht habe, auch nur eine Stunde noch auf dem
Lehrstuhle der Lüge zuzubringen. ich kann mich nicht dagegen
wahren. Du aber, o Herr, voll Erbarmens, hast du nicht auch diese
Sünde mit den übrigen schreckenvollen und trauererregenden
mir in deinem heiligen Wasser verziehen und erlassen?
Neuntes Buch - Drittes Kapitel
Verecundus aber ward von
Bangigkeit bei unserem Glücke verzehrt, weil er sah, daß er
seiner Bande wegen, die ihn förmlich fesselten, von unserer
Gemeinschaft ferngehalten werde. Er war, obwohl seine Gattin
gläubig war, noch kein Christ; aber weil seine Frau gläubig
war, ward er durch sie wie durch eine engere Fessel von dem Wege, den
wir eingeschlagen hatten, zurückgehalten, denn er wollte, so sagte
er, auf keine andere Weise Christ sein als auf die, da er es doch nicht
sein konnte. In seiner Güte machte er uns das Anerbieten, die Zeit
unseres dortigen Aufenthaltes auf seinem Landgute zu verbringen. Du
wirst es ihm verzeihen, o Herr, bei der Auferstehung der Gerechten. Du
selbst hast ihm ja sein Erbteil verliehen. Denn in unserer Abwesenheit,
als wir schon in Rom waren, ward er von einer Krankheit ergriffen, und
in ihr zum gläubigen Christen geworden, schied er aus diesem
Leben. So hast du dich seiner und unser erbarmt, daß wir beim
Andenken an die ungemeine Leutseligkeit des Freundes gegen uns nicht
von unerträglichem Schmerz gequält wurden, wenn wir ihn nicht
zu deiner Gemeinde zählen konnten.
Dank sei dir, unser Gott, wir
sind die Deinen, das bezeugen deine Ermahnungen und Tröstungen:
treuer Verheißer, vergelten wirst du dem Verecundus für
Cassiciacum, sein Landgut, wo wir vom unruhigen Treiben der Welt ruhten
in dir; vergelten wirst du es ihm mit der Wonne deines immer
grünenden Paradieses, weil du ihm seine Sünden noch auf Erden
vergabst, auf dem fruchtbaren Berge, auf deinem Berge, dem fruchtbaren
Gebirge.
Damals aber war er in
Betrübnis; Nebridius aber freute sich mit uns; denn obgleich er,
noch kein Christ, in den Abgrund jenes verderblichen Irrtums gefallen
war, daß er den Leib deines Sohnes, der die Wahrheit ist,
für einen Scheinkörper hielt, erhob er sich doch aus solchem
Irrtum und war, obwohl er noch nicht in die Geheimnisse unserer Kirche
eingeweiht war, doch ein begeisterter Forscher der Wahrheit. Nicht
lange nach unserer Bekehrung und der Wiedergeburt durch deine heilige
Taufe ward er ein gläubiger Christ und diente dir in vollendeter
Keuschheit und Enthaltsamkeit in Afrika bei den Seinigen; nachdem er
sein ganzes Haus zum Christentum bekehrt hatte, da erlöstest du
ihn von diesem Leibe, und nun lebt er in Abrahams Schoß. Was es
auch ist, was mit diesem Schoße bezeichnet wird, dort lebt
Nebridius, mein teurer Freund, einst ein Freigelassener, den du, Herr,
zu deinem geistlichen Kinde angenommen hast; ja dort lebt er. Denn
welchen andern Ort gäbe es für solch eine Seele? Dort lebt
er, worüber er mich armen, unwissenden Menschen viel fragte. Er
neigt nicht mehr sein Ohr zu meinem Munde, sondern den Mund seines
Geistes an deine Quelle und trinkt in durstendem Verlangen Weisheit,
selig ohne Ende. Doch glaube ich nicht, daß er so sehr davon
trunken werde, daß er meiner vergessen könnte, da auch du,
Herr, der du sein Trank bist, meiner gedenkest. So lebten wir also, den
trauernden Verecundus tröstend, in ungetrübter Freundschaft
über unsere Bekehrung und ermahnten ihn zur Treue in seinem
Stande, d. h. in seinem ehelichen Leben, warteten aber, wann Nebridius
nachfolgen würde, wozu er schon ganz fähig und vorauszusehen
war, daß er es sehr bald tun würde; endlich nahte auch mein
Tag, auf den ich im Verlangen nach Freiheit vom Berufe lange geharrt,
um aus vollem Herzen zu singen: Mein Herz hält dir vor dein Wort,
dein Angesicht habe ich gesucht! Dein Angesicht, o Herr, will ich
suchen.
Neuntes Buch - Viertes Kapitel
Endlich kam der Tag, an
welchem ich auch in der Tat von meinem Berufe erlöst werden
sollte, wie ich es ja im Geiste schon war. Und es geschah. Frei wie
mein Herz hattest du auch meine Zunge gemacht; freudig pries ich dich
und ging mit all den Meinen auf das Landgut. Wie ich mich dort mit
wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte, die deinem Dienst
geweiht waren, aber die Schule des Stolzes noch ausschnauften, wie beim
Ausruhen, davon legen die Schriften Zeugnis ab, welche die
Unterredungen mit den Anwesenden und mir selbst in deiner Gegenwart
enthalten; wie ich aber mit dem Nebridius, der ja abwesend war,
verkehrte, davon zeugt unser Briefwechsel. Warm aber würde die
Zeit zureichen, alle deine großen Wohltaten, die du mir erwiesen
hast in jener Zeit, zu erwähnen, besonders da ich zu andern
größern eile? Meine Erinnerung ruft mir mein damaliges Ich
ins Gedächtnis, und es ist süß für mich, Herr, dir
zu bekennen, durch welchen innerlichen Stachel du mich vollends
gezähmt und wie du die Berge und Hügel meiner Gedanken
erniedrigt und, was krumm war und uneben, geebnet hast, wie du auch
selbst den Alypius, den Bruder nach meinem Herzen, dein Namen deines
Eingeborenen, unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi, unterworfen
hast, dem er anfangs in unserer literarischen Tätigkeit keinen
Platz einräumen wollte. Er wollte sich lieber am Duft der Zedern,
die der Herr schon zerbrochen hatte, als an dein heilbringenden Kraute
der Kirche, dem Heilmittel wider die Schlange, laben.
Wie pries ich dich, o mein
Gott, da ich die Psalmen Davids las, die Lieder des Glaubens, die
Töne der Gottesfurcht, die mit ihrem Schall den Geist der
Aufgeblasenheit vertreiben; ich las sie als Katechumen, noch ein
Neuling in der wahren Liebe zu dir, da ich auf dem Landgute mit
Alypius, der auch Katechumen war, der Ruhe lebte und die Mutter uns
anhing in stiller Weiblichkeit, mit festem Glauben und der Sicherheit,
die das Alter verleiht, mit der mütterlichen Liebe, in
christlicher Frömmigkeit. Wie pries ich dich bei diesen
Lobgesängen, wie ward ich durch sie zu dir begeistert und
entflammt, sie, wenn es möglich gewesen, dem ganzen Erdkreise als
heilsames Mittel wider des Menschen Stolz zu verkündigen! Und doch
werden sie auf dem ganzen Erdkreis gesungen, und keiner ist, der sich
vor deiner Hitze verbirgt. Von welch heftigem und großem Schmerze
ward ich wider die Manichäer ergriffen und von ebenso großem
Mitleid gegen sie, daß sie jene göttlichen Geheimnisse, jene
Heilmittel nicht kannten und heillos der Arznei widerständen,
durch welche sie gesunden könnten! Ich wünschte nur,
daß sie damals ohne mein Wissen in meiner Nähe gewesen
wären und mein Angesicht geschaut hätten und meine Stimme
gehört, wenn ich in jener Ruhezeit den vierten Psalm las, und wie
dieser Psalm auf mich wirkte: Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott
meiner Gerechtigkeit, der du mich tröstest in Angst; sei mir
gnädig und erhöre mein Gebet. Sie hätten es hören
sollen, wenn sie es ohne mein Wissen hätten hören
können, damit sie nicht meinten, ich hätte um ihretwillen
also gesprochen; sie hätten es hören sollen, was ich unter
jenen Worten sprach. Denn ich hätte es gewißlich nicht
gesprochen noch hätte ich es so gesprochen, wenn ich gewußt
hätte, daß ich von ihnen gehört würde, noch
würden sie es so aufgenommen haben, als wenn sie es hörten,
wie ich mit mir und für mich in deiner Gegenwart in vertrauter
Andacht meiner Seele redete.
Denn ich erschauderte
fürchtend und zugleich erglühte ich hoffend in jubelnder
Freude zu deiner Barmherzigkeit, o Vater. Und alles dies leuchtete aus
meinen Augen, sprach aus meiner Stimme, wenn dein guter Geist zu uns
gewendet spricht: Liebe Kinder, wie lange soll meine Ehre
geschändet werden; wie habt ihr das Eitle so lieb und die
Lügen so gerne? Denn ich hatte einst die Eitelkeit lieb und suchte
die Lüge. Und du, Herr, hattest erhöhet schon deinen Heiligen
und ihn erwecket von den Toten und gesetzt zu deiner Rechten, von
wannen er niedersendet den verheißenen Geist der Wahrheit; und er
hatte ihn bereits gesandt und ich wußte es nicht. Er hatte ihn
gesandt, weil ich schon erhöhet war, auferstehend von den Toten
und auffahrend gen Himmel. Vorher aber war der Geist noch nicht
verliehen, weil Jesus noch nicht verherrlicht war. Und es ruft der
Prophet: Wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wie habt ihr
das Eitle so lieb und die Lüge so gerne? Erkennet doch, daß
der Herr seine Heiligen wunderlich führet. Er ruft: Wie lange? Er
ruft: Erkennet! Und ich hatte so lange in Unwissenheit das Eitle so
lieb und die Lügen so gerne. Und ich hörte und zitterte, denn
es ward zu solchen gesagt, wie ich wußte, daß ich gewesen
war. Denn die Gebilde, die ich für Wahrheit hielt, sie waren nur
Eitelkeit und Lüge. Und oft stieß ich laute und schwere
Klagen aus, wenn ich schmerzlich bewegt daran zurückdachte. Wenn
es doch die vernommen hätten, welche noch jetzt die Eitelkeit
lieben und die Lügen so gern haben. Sie wären vielleicht
erschüttert worden und hätten es von sich geworfen, und du
würdest sie erhören, wenn sie dich anriefen; denn er starb
eines wirklichen Todes im Fleisch für uns, der uns bei dir
vertritt.
Ich las: Zürnet ihr, so
sündiget nicht. Wie ward ich erschüttert, mein Gott, der ich
bereits gelernt hatte, mir über das Vergangene zu zürnen, auf
daß ich fortan nicht mehr sündigte. Und mit Recht
zürnte ich mir, denn keine fremde Natur aus dem Geschlechte der
Finsternis sündigte an mir, wie die sprechen, welche sich nicht
selbst zürnen können, und die sich den Zorn häufen auf
den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes.
Meine Güter, sie lagen nicht mehr in der Außenwelt noch
suchte ich sie mit Fleischesaugen im Sonnenlichte. Denn die ihre Freude
in der Außenwelt finden, die werden leicht eitel und verlieren
sich in das Sichtbare und Zeitliche, an dessen Vorstellungen sie mit
hungrigem Denken lecken. O wenn sie doch der Hunger ermattete und sie
riefen: Wer wird uns die wahren Güter zeigen, Und wir wollen sagen
und sie mögen es vernehmen: Herr, erhebe über uns das Licht
deines Angesichtes. Denn wir selbst sind nicht das Licht, das alle
Menschen erleuchtet, sondern wir werden von dir erleuchtet, daß
wir, die wir weiland in Finsternis waren, ein Licht in Finsternis
waren, ein Licht in dir sind. O könnten sie im Innern das Ewige
schauen; weil ich dies geschmeckt, ergrimmte ich, daß ich es
ihnen nicht zeigen konnte, weil sie mir ein Herz zubrächten, das
in ihren auf die Außenwelt gerichteten Augen war und
sprächen: Wer wird uns die wahren Güter zeigen? Denn erst, da
ich mir in meines Herzens Tiefe zürnte, als ich zerschlagen war,
als ich meinen alten Menschen als Schlachtopfer darbrachte und durch
begonnenes Sinnen auf meine Erneuung meine Hoffnung auf dich
gründete, da erst begannst du mir süß zu werden und
erfreutest mein Herz. Und ich schrie auf, da ich dies Wort las von
außen und in meinem Innern seine Wahrheit erkannte; nimmer wollte
ich reich werden an irdischen Gütern, Zeitliches verschlingend und
selbst von ihm verschlungen, da ich in der ewigen Einfalt andere
Früchte, andern Wein und anderes Öl gefunden hatte.
Und ich rief bei dem folgenden
Verse mit lauter Stimme meines Herzens: O in Frieden! O in dir selbst
will ich schlafen und ruhen! Denn wer mag wider uns sein, seit da
geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in den Sieg? Und du bist
der ganz Unwandelbare, und in dir ist die Ruhe, die alle
Mühseligkeiten vergißt, denn nicht ein anderer neben dir und
nicht um vieles andere zu erlangen, das doch nicht ist, was du bist,
sondern du Herr allein hast meine Hoffnung fest gegründet. Ich las
es und erglühte, und ich fand nicht, was ich mit den tauben Toten,
deren einer ich gewesen bin, machen sollte, eine Pest, ein rauher
Beller, blind gegen die Schriften, die da süß sind von
himmlischem Honig und deinem Lichte erleuchtet, und ich verzehrte mich
über diese Feinde der heiligen Schrift. -Wie soll ich alles dessen
gedenken, das in jenen Tagen der Ruhe in mir vorging? Aber ich habe
weder vergessen noch will ich verschweigen die Zucht deiner
Geißel und die wunderbare Schnelligkeit deines Erbarmens. Damals
züchtigtest du mich mit Zahnschmerzen, und da sie so schlimm
wurden, daß ich nicht sprechen konnte, kam es in mein Herz, die
Anwesenden zu ermahnen, für mich zu dir, dem Gott jeglichen Heils,
zu beten. Ich schrieb es auf ein Wachstäfelchen und gab es ihnen,
daß sie es lesen sollten. Und als wir das Knie zum Gebet gebeugt
hatten, da schwand der Schmerz. Aber welch ein Schmerz und wie schnell
verging er! Ich erschrak; offen bekenne ich es dir, mein Herr und mein
Gott, denn ähnliches hatte ich seit meiner Jugend nicht erfahren.
Und ich erkannte in meines Herzens Tiefe deinen Wink und pries in des
Glaubens Freude deinen Namen. Und dieser Glaube ließ mich nicht
sicher und sorglos sein über die Sünden meiner Vergangenheit,
die mir damals noch nicht durch die Taufe vergeben waren.
Neuntes Buch - Fünftes Kapitel
Nach Ablauf der Herbstferien
entsagte ich meinem Mailändischen Schulamte, damit sich die
Mailänder nach einem andern Wortverkäufer für ihre
Schulen umsähen, teils weil ich zu dein Entschlusse gekommen
wäre, dir zu dienen, teils weil ich wegen Atmungsbeschwerden und
Brustschmerzen meinem Amte nicht mehr genügen könnte.
Zugleich teilte ich deinem Bischof Ambrosius, deinem heiligen Manne,
meine früheren Irrtümer mit und zugleich meinen
gegenwärtigen Wunsch, daß er mir einen guten Rat gäbe,
welches deiner Bücher ich vor allem lesen sollte, um mich zum
Empfange so großer Gnade geschickter und würdiger zu machen.
Jener hieß mich den Propheten Jesaias lesen, vermutlich, weil
derselbe vor allen ein Verkündiger des Evangeliums und der
Berufung der Völker ist. Indes verstand ich ihn, als ich darin
anfing zu lesen, nicht, und weil ich glaubte, daß das ganze Buch
nach Art des Anfangs sei, so legte ich es einstweilen beiseite, um es
erst wieder vorzunehmen, wenn ich geübter in der Redeweise des
Herrn wäre.
Neuntes Buch - Sechstes Kapitel
Als nun die Zeit kam, wo ich
mein Taufgesuch einreichen mußte, verließen wir das Landgut
und kehrten nach Mailand zurück. Auch Alypius hatte den
Entschluß gefaßt, mit mir zusammen die Taufe zu empfangen,
schon ganz erfüllt mit der zur Aufnahme deiner Gnadenmittel
geschickt machenden Demut; mit Charakterstärke bändigte er
den Leib, so daß er den Winter hindurch mit bloßen
Füßen ging. Auch den Knaben Adeodatus nahmen wir mit uns,
den Sohn, den ich in Sünden gezeugt hatte. Doch du hattest ihn gut
geschaffen. Fünfzehn Jahre war er alt und übertraf an Geist
manche ältere und gelehrte Männer. ich bekenne dir deine
Gaben, o Herr mein Gott, du Schöpfer des Alls, der du schön
gestaltest unsere Mißgestalt, denn außer der Sünde
hatte mir jener Knabe nichts zu verdanken. Denn daß er von uns in
deiner Zucht aufgezogen ward, das hattest du uns eingegeben, kein
anderer; ja, ich bekenne dir dankbar deine Gaben. In einem meiner
Bücher, "Der Lehrer" betitelt, lasse ich den Adeodatus mit mir
sprechen. Du weißt es, daß alle Gedanken, die ich ihn dort
sprechen lasse, wirklich die seinigen waren, obwohl er erst im
sechzehnten Lebensjahre stand. Vieles andere noch
Bewundernswürdigere bemerkte ich an ihm, Heiliger Schauer
erfaßte mich bei diesen wunderbaren Gaben, und wer anders als du
ist der Geber solcher Wunder? Früh nahmst du ihn von dieser Erde
und sorgenfreier gedenke ich nun seiner, ohne Furcht für den
Knaben, für den Jüngling, für sein ganzes Leben. Wir
hatten ihn uns als unsern Altersgenossen zugesellt in deiner Taufgnade,
zur Erziehung in deiner Zucht, und wir wurden getauft und von uns wich
der Kummer über unsere Vergangenheit. In jenen Tagen konnte ich
nicht satt werden in der wunderbaren Süßigkeit, die
Höhe deines Ratschlusses über das Heil des
Menschengeschlechtes zu betrachten. Wie habe ich geweint unter deinen
Hymnen und Gesängen, tief bewegt von dem Wohllaut der Stimmen
deiner Kirche. jene Stimmen, sie fluteten in mein Ohr, und durch sie
ward die Wahrheit in mein Herz eingeflößt und fromme
Gefühle wallten in ihm auf, die Tränen strömten und mir
war so selig in ihnen zumute.
Neuntes Buch - Siebentes Kapitel
Noch nicht lange hatte die
Mailänder Kirche diese Art der Erbauung und des Trostes
eingeführt unter großer Beteiligung der Brüder, die mit
Mund und Herzen einstimmten. Ein Jahr war es ungefähr oder
vielleicht auch etwas länger, da verfolgte Justina, die Mutter des
jungen Königs Valentinian, deinen Anhänger, den Ambrosius, um
ihrer Ketzerei willen, zu der sie von den Arianern verführt worden
war. Das fromme Volk blieb die Nacht hindurch in deiner Kirche, bereit,
mit ihrem Bischof, deinem Diener, zu sterben. Dort war auch meine
Mutter, deine Magd; vor allen eifrig im Sorgen und Wachen, lebte sie
nur dem Gebete. Wir, noch nicht erwärmt von der Glut deines
Geistes, wurden doch von dem Bangen und der Verwirrung der Stadt mit
ergriffen. Damals ward nach der Sitte der morgenländischen Kirche
das Singen der Hymnen und Psalmen eingeführt, damit das Volk nicht
durch ermüdende Trauer matt würde, und seitdem ist es bis auf
den heutigen Tag so geblieben, und viele, ja fast alle deine Kirchen
des Erdkreises sind uns gefolgt.
Damals offenbartest du deinem
Bischof, dem schon erwähnten Ambrosius, wo die Leiber der
Märtyrer des Protasius und Gervasius verborgen ruhten, die du so
viele Jahre hindurch im Schoß deiner Verborgenheit unverwest
verwahrt hattest, um sie zur rechten Zeit zur Bändigung der Wut
jenes Weibes, das doch eine Kaiserin war, hervorzubringen. Denn als sie
aufgefunden und ausgegraben mit den ihnen zukommenden Ehren zur
Basilika des Ambrosius gebracht wurden, da wurden nicht nur die, welche
von unreinen Geistern besessen waren, nach dem Bekenntnis ihrer
Dämonen selbst, geheilt, sondern auch ein angesehener Bürger,
der mehrere Jahre hindurch blind war. Als dieser nämlich nach der
Ursache fragte, warum das Volk vor Freude jauchzte, und es hörte,
da sprang er hinaus und bat seinen Führer, ihn dorthin zu
führen. Nachdem er in die Kirche eingetreten war, bat er um die
Erlaubnis, mit seinem Schweißtuche die Bahre der Heiligen
berühren zu dürfen, deren Tod ist wert gehalten vor dem
Herrn. Als er dies tat und dann seine Augen damit berührt hatte,
da wurden sie sogleich ihm aufgetan. Der Ruf davon aber verbreitete
sich weit und breit; alles war voll deines Lobes, und der Sinn jener
Feindin wurde, wenn auch nicht zu gesundem Glauben fortschreitend, doch
von der Wut zurückgehalten. Dank dir dafür, o mein Gott!
Wohin hast du meine Erinnerung geführt, daß ich dir auch
dieses bekenne, das ich, wiewohl so groß, doch am rechten Orte zu
erwähnen vergessen hatte. Und damals, als so der Geruch deiner
Salben lieblich entströmte, eilten wir dennoch nicht zu dir.
Deshalb weinte ich so sehr unter dem Gesange deiner Hymnen, einst zu
dir aufseufzend und nun endlich aus voller Brust die Himmelsluft
einatmend, soweit sie eindringen kann in dieses Haus, das dem Heu
gleicht.
Neuntes Buch - Achtes Kapitel
Der du Frieden bringst in die
Wohnungen der Menschen, du geselltest uns auch den Evodius zu, einen
jungen Mann aus unserer Vaterstadt. Er war kaiserlicher Sachwalter und
hatte sich früher als wir zu dir bekehrt und sich taufen lassen,
hatte den Staatsdienst verlassen und sich zu deinem Dienste
gegürtet. Wir waren unzertrennlich und beschlossen, unser der
Frömmigkeit geweihtes Leben zusammen zu führen. Wir suchten
einen Ort, an dem wir ungestört dir dienen könnten, und
traten zusammen die Heimreise nach Afrika an. Wir kamen nach Ostia an
dem Tiber, da starb meine Mutter. Ober vieles gehe ich nun raschen
Schrittes hinweg. Nimm an mein Bekenntnis und meinen Dank, o mein Gott,
für Unzähliges, auch wenn ich darüber schweige. Das aber
will ich doch nicht übergehen, was meine Seele über deine
Magd ans Licht bringen will, die mich gebar, im Fleische für das
zeitliche, im Herzen für das ewige Leben. Nicht ihre, sondern
deine Gaben in ihr will ich nennen; denn nicht sie selbst hatte sich ja
geschaffen oder erzogen. Du hast sie geschaffen, und weder Vater noch
Mutter wußten, welcher Art ihr Kind werden würde. In deiner
Furcht erzog sie der Hirtenstab deines Gesalbten, das Walten deines
eingeborenen Sohnes in einem gläubigen Hause, einem treuen Glied
deiner Kirche. Hinsichtlich ihrer Erziehung pries sie nicht so sehr die
Sorgfalt der Mutter als vielmehr die einer ergrauten Dienerin, die
bereits ihren Vater getragen hatte, wie so die ziemlich
herangewachsenen Mädchen die Kleinen auf dein Rücken
herumzutragen pflegen. Deswegen und wegen ihres Alters und ihrer
strengen Sittlichkeit ward sie in dein christlichen Hause nicht wenig
hoch gehalten, so daß man ihr die Beaufsichtigung der
Töchter des Hauses übertrug, die sie mit treuer Sorge
führte und, wo es nötig war, bei ihrer Erziehung eine heilige
Strenge ausübte und beim Unterricht besonnene Umsicht. Außer
den Stunden, in welchen sie am elterlichen Tische sehr mäßig
genährt wurden, erlaubte sie ihnen nicht, auch wenn der Durst sie
quälte, auch nur Wasser zu trinken, um übler Gewohnheit
vorzubeugen, indem sie dies heilsame Wort hinzufügte: "Jetzt
trinkt ihr Wasser, weil ihr euch keinen Wein verschaffen könnt;
habt ihr aber erst Männer bekommen und seid Herrinnen von Vorrats-
und Weinkammern, so wird euch das Wasser nicht mehr munden, aber die
Gewöhnung zu trinken wird euch geblieben sein.« Durch diese
Art der Belehrung und die Entschiedenheit, mit der sie befahl,
zügelte sie die Begehrlichkeit des zarten Alters und minderte den
Durst der Mädchen zu sittsamem Maßhalten, daß nur das
Schickliche ihr Gefallen erregte.
Und dennoch hatte sich ein
Gelüst nach Wein bei ihr eingeschlichen, wie nur, ihrem Sohne,
deine Magd erzählte. Denn als sie, da sie ein nüchternes
Mädchen war, von ihren Eltern den Auftrag erhielt, aus der
Weinkufe Wein zu holen, indem sie einen Becher unter den Hahn hielt,
schlürfte sie mit gespitzten Lippen, bevor sie den vollen Becher
in die Flasche goß, zuerst ein weniges ab, da ihr mehr
widerstand. Doch tat sie dies nicht in roher Begierde, sondern aus
jugendlichem Übermut, der in mancherlei Gelüsten aufsteigt
und den das Gewicht älterer Personen im Kinderherzen
niederzuhalten pflegt. Zu dem wenigen fügte sie aber täglich
wieder ein weniges, und weil, wer Geringes verachtet, allmählich
zu Fall kommt, gewöhnte sie sich endlich daran, daß sie fast
schon ganze Becherchen begierig austrank. Wo war da die
verständige Alte und ihr strenges Verbot? Was hilft uns gegen die
verborgene Krankheit, wenn nicht deine Hilfe, o Herr, über uns
wacht? Da Vater, Mutter und Pflegerin fern waren, warst du da, der du
sie schufst, der du uns zu dir rufst, der du auch durch verkehrte
Menschen Gutes zum Heil der Seele wirkst, was tatest du damals, o mein
Gott? Wie halfest, wie heiltest du sie? Ein hartes Schmähwort aus
(-!er Seele eines andern brachtest du hervor nach deiner geheimen
Fürsorge, daß es das Messer des Arztes würde, damit du
auf einen Schnitt die Fäulnis ausschnittest. Die Magd, welche sie
zur Weinkufe zu begleiten pflegte, geriet mit ihrer jüngeren
Herrin in Streit, wie das ja, wenn sie allein sind, zu geschehen
pflegt, und warf ihr diesen Fehler vor und schalt sie mit bitterem
Schimpf eine Weinsäuferin. Von diesem Schimpf getroffen, erkannte
sie ihren Fehler, verdammte ihn sogleich und legte ihn ab. Wie Freunde
mit ihrer Schmeichelei uns verderben, so bessert uns gewöhnlich
der Tadel der Feinde. Nicht aber das Gute, das du durch sie
vollbringst, sondern ihren bösen Willen vergiltst du ihnen. jene
wollte im Zorn ihre jüngere Herrin nur kränken, nicht heilen
von ihrem Fehler, und zwar heimlich, sei es, daß Zeit und Ort, da
der Streit ausbrach, es so fügten, sei es, daß sie nicht
selbst in Ungelegenheiten käme, wenn sie so spät erst es
anzeigte. Du aber, o Herr, du Lenker des Himmels und der Erden, der du
zu deinen Zwecken die Wogen der Tiefe aufregst und den wüsten
Strom der Zeiten ordnest, du heiltest durch die Heillosigkeit der einen
Seele nur die andere; niemand aber möge, wenn er dies bedenkt,
auch wenn er des Willens war, es seiner Macht zuschreiben, wenn durch
sein Wort jemand gebessert wird.
Neuntes Buch - Neuntes Kapitel
Züchtig und
verständig, mehr von dir den Eltern als von den Eltern dir
untergeben, wurde sie, nachdem sie zur jugendlichen Reife gekommen war,
einem Manne vermählt, dein sie wie ihrem Gebieter diente und sich
bemühte, ihn dir zu gewinnen, indem sie dich durch ihre Sitten ihm
predigte, durch welche du sie so schön gemacht hattest, daß
sie ihrem Manne zugleich Liebe und Achtung einflößte. Auch
seine Untreue ertrug sie so, daß sie mit ihrem Gatten
darüber nie in Streit geriet. Denn sie hoffte von deinem Erbarmen
über ihn, daß er im Glauben an dich keusch würde.
Außerdem aber war er, so gutmütig er auch war, ebenso
jähzornig. Sie aber verstand es, dem zornigen Manne weder mit der
Tat noch dem Worte zu widerstehen. Wenn er ausgetobt und sich
besänftigt hatte, dann gab sie ihm Rechenschaft über ihre
Handlungsweise, wenn er sich etwa in Übereilung darüber
aufgeregt hatte. Wenn viele Frauen, deren Männer doch
sanftmütiger waren, im entstellten Gesichte die Spuren der
Schläge trugen und in traulichem Gespräch sich über das
Leben ihrer Männer beschwerten, so gab sie ihren Zungen die Schuld
und erinnerte sie scherzweise und doch nachdrücklich daran,
daß sie seit Abschluß ihres Ehekontraktes Dienerinnen
geworden wären; deshalb dürften sie, eingedenk ihres Standes,
gegen ihre Eheherrn sich nicht erhaben dünken. Wenn diese nun sich
wunderten, daß man noch nie gehört oder gesehen habe,
daß Patricius seine Gattin gemißhandelt, obwohl man
wußte, wie jähzornig ihr Gatte sei, oder daß sie auch
nur einen Tag in häuslichem Zwist miteinander uneinig gewesen
wären und wenn sie dann vertraulich nach der Ursache forschten, so
belehrte Monica sie über die Art und Weise, in der sie verfahre
und die ich schon erwähnt habe. Und die, welche darnach handelten,
dankten ihr, wenn sie ihre Weise erprobt hatten, die sie aber nicht
befolgten, blieben ihrer Unbill unterworfen.
Auch ihre Schwiegermutter, die
anfangs durch falsche Hinterbringungen schlechter Mägde gegen sie
aufgereizt war, gewann sie so sehr durch stilles Ertragen, Sanftmut und
aufmerksame Liebe, daß sie ihrem Sohn voll Unwillen aus freien
Stücken die Zwischenträgerinnen angab, die den Hausfrieden
zwischen ihr und der Schwiegertochter störten und ihre Bestrafung
forderte. Als dieser Sohn, der Mutter nachgebend und für die Zucht
des Hauses sowie für die Einigkeit unter den Seinigen besorgt, die
Schuldigen nach dem Willen der Mutter durch Schläge
gezüchtigt hatte, verhieß jene einer jeden den gleichen
Lohn, die, um sich beliebt zu machen, ihrer Schwiegertochter etwas
Böses nachreden werde. Von nun an wagte es keine mehr und sie
lebten nun fortan in liebevollster Eintracht.
Auch die große Gabe
hattest du deiner Magd, aus deren Leibe du mich geschaffen, o mein
Gott, du mein Erbarmer, geschenkt, daß sie bei Hader und
Zwietracht, wo sie nur konnte, Frieden stiftete. Wenn zum Beispiel die
eine oder die andere in Abwesenheit der Feindin ihr einen Schwall von
bittern Redensarten zum Anhören gab, wie sie hervorsprudelnde und
leidenschaftliche Zwietracht auszustoßen pflegt, wenn in
Gegenwart der Freundin sich der leidenschaftliche Haß in heftige
Worte über die abwesende Feindin ergießt, so entdeckte sie
der Anwesenden nie etwas davon, sondern redete nur zum Guten, um die
Versöhnung herbeizuführen. Es würde mir dies als ein
kleines Gut erscheinen, das du ihr zuteil werden ließest,
hätte ich nicht zu meiner Betrübnis unzählige
Zerwürfnisse kennenlernen, da sich die schreckliche Seuche dieser
Sünde so weit verbreitet hat, mit der man dem zürnenden
Feinde nicht nur die Worte zorniger Feinde überbringt, sondern
sogar Verleumdungen hinzufügt, während der Menschenfreund es
sich doch nicht damit genug sein lassen soll, die Feindschaft unter den
einzelnen Menschen nicht zu vermehren, sondern auch bestrebt sein soll,
sie durch freundliches Zureden zu tilgen. So tut es meine Mutter und du
warst ihr Lehrer, der sie also in der Schule ihres Herzens lehrte.
Endlich gewann sie dir auch
ihren Gatten am Ende seines zeitlichen Lebens und beklagte sich nicht
mehr über das, was sie, da er noch Heide war, von ihm zu ertragen
hatte, nachdem er gläubig geworden war. Auch eine Dienerin deiner
Diener war sie. Wer sie kennenlernte, mußte dich aus vollem
Herzen loben, ehren und lieben in ihr, weil in ihrem Herzen
Früchte ihren heiligen Umgang mit Gott bezeugten. Sie war eines
Mannes Weib gewesen, sie hatte ihren Eltern gleiches vergolten, ihr
eigenes Haus göttlich regiert und hatte ein Zeugnis guter Werke.
Sie hatte ihre Söhne auferzogen und so oft dieselben mit
Ängsten geboren, als sie sie von dir abirren sah. Und endlich, o
Herr, trug sie für uns alle, deine Diener, der du uns nach deiner
Milde reden läßt, die wir vor ihrem Heimgange nach dem
Empfang deiner Taufgnade in dir vereint lebten, also Sorge, als ob sie
uns allesamt geboren hätte, und diente uns also, als ob sie unser
aller Kind sei.
Neuntes Buch - Zehntes Kapitel
Als aber der Tag nahte, an dem
sie aus diesem Leben scheiden sollte, nur dir, nicht uns war er
bekannt, da begab es sich durch dein geheimes Walten, daß wir,
die Mutter und ich, allein an ein Fenster gelehnt standen, das eine
Aussicht auf den Garten unseres Hauses gewährte, dort in Ostia an
dem Tiber war es, wo wir in stiller Zurückgezogenheit nach den
Beschwerden einer langwierigen Reise uns zum Einschiffen vorbereiteten;
ein trautes liebliches Gespräch war es, wir vergaßen, was
dahinten ist, und streckten uns zu dem, was da vornen ist, und
forschten unter uns bei der Wahrheit, die da gegenwärtig ist und
die du bist, nach der zukünftigen Herrlichkeit deiner Heiligen,
die kein Auge geschaut und kein Ohr gehört und in keines Menschen
Herz gedrungen ist. Sehnsuchtsvoll öffneten wir unsern Mund,
Quellwasser von oben, die Quelle des Lebens, die bei dir ist, auf
daß wir, nach unserem Fassungsvermögen, von ihr besprengt,
solch erhabnen Gegenstand nach allen Seiten hin betrachteten.
Als nun unsere Rede dahin
gelangte, daß auch die höchste sinnliche Freude, wie sie das
leibliche Auge zu schauen vermag, vor der Wonne jenes Lebens keiner
Vergleichung, geschweige denn Erwähnung wert schien, uns in
glühender Sehnsucht zu ihm selbst erhebend, durchwandelten wir im
Geiste stufenweise alles Sinnliche, ja selbst den Himmel, von welchem
Sonne, Mond und Sterne auf die Erde herabglänzen. Dann drangen wir
weiter empor im Bedenken, Besprechen und Bewundern deiner Werke und
kamen auf unsern Geist, und auch darüber schritten wir hinaus, um
das Gebiet unvergänglicher Fülle zu erreichen, wo du Israel
weidest reichlich mit der Nahrung der Wahrheit und wo Weisheit das
Leben ist, durch welches alles entsteht, Vergangenes und
Zukünftiges; sie selbst aber wird nicht, sie ist, wie sie war, und
wird immer so sein, denn Vergangenheit und Zukunft ist nicht in ihr,
sondern allein das Sein, weil sie ewig ist; gewesen sein und sein
werden ist aber nicht ewig. Und während wir so redeten und uns
nach ihr sehnten, da berührten wir sie leise mit dem vollen
Schlage des Herzens, seufzten und ließen dort gebunden die
Erstlinge unseres Geistes zurück und kehrten uns wieder zum Laut
unseres Mundes, wo das Wort beginnt und endet. Und was gleicht deinem
Worte, unserem Gebieter, das ohne zu altem in sich bleibt und alles
erneut?
Dann sprachen wir: Wenn des
Fleisches Ungestüm schweigt, wenn die Bilder der Erde, das Wasser
und die Luft schweigen, wenn auch die Pole schweigen, wenn auch die
Seele selber sich schweigt und über den Gedanken ihrer selbst sich
erhebt, wenn Träume und Bilder der Offenbarung schweigen, jedes
Wort, jedes Zeichen und alles, was vorübergeht, wenn alles dies
für uns schweigt; denn alles dies verkündigt ja: Nicht wir
selbst haben uns gemacht, sondern Er hat uns gemacht, der in Ewigkeit
bleibet, wenn sie nach diesen Worten schweigen, nachdem sie das Ohr zu
dem aufgerichtet haben, der sie gemacht hat, und er selbst allein
redet, nicht durch jene, sondern durch sich selbst, und wir sein Wort
vernehmen, nicht durch die Zunge des Fleisches noch durch die Stimme
des Engels noch durch den Hall der Wolke noch durch den Schatten des
Gleichnisses, sondern ihn selbst, den wir in jenem heben, ohne jenes zu
vernehmen, wie wir uns nun zu ihm erhoben haben und in
vorüberfliegender Betrachtung die ewig über allem ruhende
Weisheit berührt haben, wenn diese Betrachtung dauert und jegliche
Anschauungen weit niederer Art entschwunden sind und sie allein uns
hinreißt und in sich aufnimmt und in innerlichster Wonne ihren
Schauenden birgt und solches Leben ewig währet, wie wir es jetzt
aufatmend in einem Augenblicke geschmeckt haben, erfüllt sich dann
nicht das Wort: Gehe ein zu deines Herrn Freude? Und wann wird dies
stattfinden? Etwa, wenn wir alle auferstehen, aber nicht alle
verwandelt werden?
Solches sprach ich, wenn auch
nicht auf diese Weise und mit diesen Worten, so doch, o Herr, du
weißt es ja, wie sie an diesem Tage, als wir solches besprachen
und unter diesen Gesprächen die Welt mit all ihrer Lust uns feil
war, wie sie da also sprach: Mir, mein Sohn, macht auf dieser Erde
nichts mehr Freude. Was soll ich hier noch und warum bin ich noch hier,
da meine Hoffnung für diese Welt ihr Ziel erreicht hat? Eins war
es sonst, warum ich noch in diesem Leben eine Zeitlang zu bleiben
wünschte, daß ich dich noch als guten Christen sähe,
bevor ich stürbe. Dies hat mein Gott mir über mein Bitten
gewährt, da ich dich jetzt das irdische Glück verachten und
Gott dienen sehe. Was soll ich hier noch tun?
Neuntes Buch - Elftes Kapitel
Ich weiß nicht mehr, was
ich darauf antwortete. Fünf Tage etwa nachher erkrankte Monica am
Fieber. Während ihrer Krankheit überkam sie eines Tages eine
Ohnmacht und verlor sie auf Augenblicke die Besinnung. Wir redeten zu
ihr, schnell aber kehrte ihr Bewußtsein zurück, sie sah mich
und meinen Bruder, die wir an ihrem Lager standen, an und sagte zu uns
in fragendem Tone: Wo war ich? Und als sie uns von der Trauer
überwältigt sah, setzte sie hinzu: ihr werdet hier euere
Mutter bestatten. Ich schwieg, indem ich meinen Tränen Einhalt
gebot. Mein Bruder aber sagte, daß sie ja hoffentlich hier in der
Fremde nicht sterben werde, sondern einen seligeren Tod in der Heimat.
Als sie dies hörte, blickte sie ihn mit stillem Vorwurfe an,
daß er an so etwas dächte, wandte sich dann zu mir und
sagte: "Siehe, was er sagt", und dann noch einmal zu uns beiden:
Bestattet hier irgendwo meinen Leib und macht euch deshalb keine Sorge;
nur dies erbitte ich von euch, daß ihr am Altar des Herrn meiner
gedenkt, wo ihr auch sein mögt! Nachdem sie so ihre Willensmeinung
so gut sie konnte uns kundgetan hatte, schwieg sie und ihre Krankheit
nahm an Heftigkeit zu.
Ich aber gedachte deiner
Gaben, unsichtbarer Gott, die du in die Herzen deiner Gläubigen
einsenkst, damit aus ihnen wunderbare Früchte hervorsprossen, ich
freute mich und dankte dir, weil ich mich daran erinnerte, wie
ängstlich sie immer um ihr Grab besorgt gewesen war, das sie sich
neben der Leiche ihres Gatten ausersehen und vorbereitet hatte. Denn da
sie in großer Eintracht gelebt hatten, so wünschte sie, wie
denn der Menschen Sinn ist, solange er für das Göttliche noch
weniger empfänglich bleibt, es möge dies eine noch zu ihrem
Glücke hinzukommen, daß in der Erinnerung der Menschen
fortlebe, wie es nach einer langen Seereise es ihr vergönnt sei,
daß die irdischen Reste der beiden Gatten beieinander begraben
würden. Wann aber dieser nichtige Wunsch durch die Fülle
deiner Güte begonnen hatte, aus ihrem Herzen zu weichen, ich
wußte es nicht; staunend freute ich mich, als sie es mir so
kundtat, obgleich in ihrem Gespräche am Fenster, als sie zu mir
sagte: Was tue ich hier noch? bereits die Sehnsucht, in der Heimat zu
sterben, geschwunden war. ich hörte auch nachher, daß sie
bei unserem Aufenthalte in Ostia mit einigen meiner Freunde in
mütterlicher Vertraulichkeit - ich war selbst nicht zugegen
über die Verachtung dieses Lebens und dem Gute des Todes sprach;
als diese die Tugend, die du ihr gegeben hattest, bewunderten und sie
fragten, ob es ihr nicht schrecklich sei, so fern von der Heimat
begraben zu werden, erwiderte sie: "Nichts ist fern von Gott und ich
fürchte nicht, daß er am Ende der Zeit die Stätte, wo
er mich auferwecke, nicht kennen wird!" Am neunten Tage ihrer
Krankheit, im sechsundfünfzigsten Jahre ihres Lebens, im
dreiunddreißigsten Jahre meines Alters ward ihre gottselige und
treue Seele vom Leibe erlöst.
Neuntes Buch - Zwölftes Kapitel
Ich drückte ihr die Augen
zu, Trauer floß in meiner Brust zusammen und floß über
in Tränen und meine Augen drängten die Tränen
zurück in die Brust, bis sie trocken waren, und meine Seele litt
Qualen bei solchem Kampf mit dem Schmerze. Bei ihrem letzten Atemzuge
weinte Adeodatus laut auf und ward von uns nur mit Mühe beruhigt.
So ward auch mein kindisches Herz, das sich dem Weinen hingeben wollte,
durch des Jünglings Herzensschreie zurückgehalten und zum
Schweigen gebracht. Denn wir hielten es nicht für recht, die
Hingeschiedene mit tränenvollem Klagen und Seufzen zu bestatten,
mit welchen man die Sterbenden beklagen mag, deren Elend im Tode oder
deren gänzliches Erlöschen man beweint. Monica aber starb
nicht elend, sie starb nicht ganz, davon gab uns sichern Beweis ihr
sittenreines Leben und ihr ungeheuchelter Glaube.
Was war es also, was mich so
tiefinnerlich schmerzte, als die frische Wunde, die mir die
plötzliche Vernichtung unseres so süßen, mir so teueren
traulichen Zusammenlebens verursachte? Wohl fand ich Trost in dem
Zeugnis, das sie mir in ihrer letzten Krankheit noch gab, mit
Zärtlichkeit mir für meine kindlichen Dienstleistungen
wiederholt dankte, mich ihren treuen Sohn nannte und mit liebevoller
Innigkeit mir versicherte, daß sie aus meinem Munde nie ein
hartes oder beleidigendes Wort gehört habe. Doch was will das
sagen, mein Gott, der du uns schufst, wie war die Ehre, die ich ihr
erwies, irgend zu vergleichen mit dem Magddienst, den sie mir
gewährte? Darum weil ich von ihrem Troste nun verlassen war, wurde
meine Seele verwundet und mein Leben zerrissen, ein Leben war ja aus
ihrem und dem meinigen geworden.
Nachdem wir also Adeodatus
beruhigt hatten, ergriff Evodius ein Psalmenbuch und sang einen Psalm,
wir alle antworteten: "Ich will rühmen, o Herr, deine
Barmherzigkeit und dein Gericht". Als sich die Nachricht von ihrem Tode
verbreitete, kamen viele unserer Brüder und fromme Frauen zu uns
und während jene, deren Amt es war, nach herkömmlicher Sitte
das Begräbnis besorgten, unterredete ich mich abseits, wie es
geziemend erschien, mit denen, die mich in meinem Schmerze nicht
verlassen zu dürfen glaubten, wie es der Zeit angemessen war, und
durch den Balsam der Wahrheit linderte ich die Pein, die nur dir
bekannt war und nicht jenen, die aufmerksam mir zuhörten und mich
ohne Schmerzgefühl wähnten. Aber zu dir, da niemand es
vernahm, flehte ich um Linderung meines Schmerzes und staute der Trauer
Flut zurück; sie wich mir auf Augenblicke, dann aber wiederholte
sich ihr Anprall, zwar nicht bis zum Ausbruch der Tränen, nicht in
der Veränderung der Mienen, aber ich wußte, was ich im
Herzen zu unterdrücken hatte. Und weil es mir so sehr
mißfiel, daß das Los der Menschheit, das nach dem
Naturgesetz uns alle trifft, so viel über mich vermöge, so
ward ich von doppeltem Schmerze gequält, denn mich schmerzte
dieser mein weltlicher Schmerz. Der Leib ward bestattet, ich ging und
kehrte trockenen Auges zurück. Weder während der Gebete, die
wir zu dir sandten, als das Opfer für sie dargebracht war, indes
die Leiche neben das Grab hingestellt wurde, bevor sie hinabgesenkt
wurde, wie es dort zu geschehen pflegt, noch bei den Gebeten weinte
ich; den ganzen Tag aber ward ich von beängstigendem Schmerze im
geheimen gequält und in meiner geistigen Verwirrung bat ich dich
um Heilung meines Schmerzes, aber du tatest es nicht, um mich, wie ich
glaube, durch dies eine Zeichen daran zu erinnern, wie fest das Band
der Gewohnheit sei, selbst gegen den Geist, der schon von dem Worte,
das nimmer trügt, geweidet wird (auf grüner Aue). Es schien
mir gut, baden zu gehen, weil ich gehört hatte, daß das Bad
daher benannt sei, die Griechen nennen es nämlich Balaneion, weil
es die Angst aus dem Herzen entfernt. Auch dies bekenne ich deinem
Erbarmen, Vater der Waisen, daß ich badete, ich blieb aber nach
dem Bade derselbe wie zuvor. Es ward aber aus meinem Herzen die
Bitterkeit der Trauer nicht entfernt. Darauf legte ich mich schlafen
und erwachte und fand mein Inneres milder gestimmt, und da ich allein
auf meinem Lager lag, erinnerte ich mich an die so viel Wahrheit
enthaltenden Verse deines Dieners Ambrosius:
Gott, der du 'Weltalls Schöpfer bist,
Dem untertan der Himmel ist,
Du schmückst den Tag mit Lichtes Pracht,
Mit gnäd'gem Schlummer unsre Nacht.
Die Glieder ruhn in Schlafes Haft,
Der ihnen neue Kräfte schafft,
Der müden Seele Ruh gewährt
Und bange Seufzer schweigen lehrt.
Von da an führte ich mir,
wie sonst, vor die Seele deine Magd, ihren frommen Umgang mit dir, den
heilig freundlichen und uns willfährigen, dessen ich so
plötzlich beraubt ward und um sie und für sie, um mich und
für mich gewährte es mir eine Erleichterung, vor dir zu
weinen. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf, und die ich
verhalten hatte, sie flossen, soviel sie wollten, sich meinem Herzen
unterbettend, und ich ruhte auf ihnen, weil dort nur dein Ohr war und
keines Menschen, der meine Tränen hart gedeutet hätte. Und
nun, o Herr, bekenne ich dir es in diesem Buche. Mag es lesen, wer da
will, mag er es auslegen, wie er will, und findet jemand darin ein
Vergehen, daß ich meine Mutter kaum eine Stunde beweint habe,
eine Mutter, die für eine Zwischenzeit meinen Augen tot war, die
mich viele Jahre beweint hatte, auf daß ich im Licht deines Auges
lebte, der mag darüber nicht spotten, vielmehr weine er, wenn sein
Herz reich an Liebe ist, weine über meine Sünden zu dir, dem
Vater aller Brüder deines Gesalbten.
Neuntes Buch - Dreizehntes Kapitel
Da mein Herz nun von jener
Wunde geheilt ist, an der ich die Schwäche meines Fleisches
erkannte, so bringe ich dir, o unser Gott, für deine Magd ganz
andere Tränen dar, wie sie rinnen aus dem zerstoßenen Geist,
der die Gefahr einer jeden Seele betrachtet, die in Adam stirbt. Obwohl
sie in Christo lebendig gemacht war und auch von des Fleisches Banden
noch nicht gelöst also lebte, daß dein Name durch ihren
Glauben und ihr Leben gepriesen wurde, dennoch wage ich nicht zu sagen,
daß, seitdem du sie durch die Taufe wiedergeboren hast, kein Wort
aus ihrem Munde hervorgegangen ist, das wider dein Gesetz wäre.
Hat nicht dein Sohn, der die Wahrheit ist, gesagt: Wer zu seinem Bruder
sagt, du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig? Wehe auch
dem lobenswertesten Leben der Menschen, wenn du darüber ein Urteil
fällen wolltest, ohne das Erbarmen in die Waagschale zu werfen.
Und nur deshalb, weil du nicht mit Strenge unsere Vergehungen ansiehst,
hoffen wir vertrauend, daß es eine Zuflucht gebe bei dir. Wer dir
seine wahren Verdienste vorzählt, kann dir damit nichts
vorzählen als deine Gaben. O wenn doch die Menschen
bedächten, daß sie Menschen sind, und wer sich rühmte,
sich des Herrn rühmte.
Deshalb bitte ich dich, mein
Preis und mein Leben, du Gott meines Herzens, mit Hintansetzung der
guten Worte meiner Mutter, für die ich dir freudig Dank sage,
jetzt für die Vergehungen meiner Mutter, erhöre mich bei dem
Heiland unserer Wunden, der am Holze hing und nun zu deiner Rechten
sitzt und uns vertritt. Ich weiß, daß sie Barmherzigkeit
,geübt hat und daß sie von Herzen allen ihren Schuldigem
vergeben hat, vergib auch du ihr ihre Schuld, wenn sie deren auf sich
lud, so viele Jahre nach dem Empfang des heilsamen Wassers. ja vergib
ihr, o Herr, vergib ihr, ich flehe dich an, gehe nicht mit ihr ins
Gericht. Die Barmherzigkeit erhebe sich über das Gericht, denn was
du sagst, ist gewiß, und du hast Barmherzigkeit den Barmherzigen
verheißen. Und daß sie also wurden, hast du ihnen
verliehen, der du gnädig bist denen, denen du gnädig sein
willst und dich dessen erbarmst, des du dich erbarmst.
Ich glaube, du hast schon
meine Bitte gewährt, doch laß dir gefallen, o Herr, das
willige Opfer meines Mundes. Als der Tag ihrer Auflösung gekommen
war, hat sie nicht daran gedacht, prächtig bestattet oder mit
Spezereien gesalbt zu werden, noch wünschte sie ein kostbares
Denkmal oder trug sie Sorge um ein Grab in der Heimat. Nichts von
diesem hat sie uns geboten, sondern nur begehrt, daß wir ihrer
gedenken sollen an deinem Altare, an welchem sie jeden Tag ohne
Unterlaß diente, von welchem, wie sie wußte, das heilige
Opfer gespendet würde, wodurch die Handschrift, die gegen uns
zeugte, ausgetilgt ist und der Feind überwunden, der unsere
Übertretungen rügt und sucht, was er entschuldige, und nichts
an dem findet, in welchem wir siegen. Wer wird ihm sein unschuldiges
Blut wiedergeben, wer wird, um uns ihm zu entreißen, ihm den
Preis wiedererstatten, für welchen er uns gekauft hat. An das
Sakrament dieses Preises hat deine Magd durch das Band des Glaubens
ihre Seele gebunden. Niemand trenne sie von deinem Schutze. Nicht kann
sich ihr mit Gewalt oder List der Löwe und der Drache widersetzen,
weil sie nicht antworten wird, daß sie keine Schuld habe, damit
sie nicht von dem schlauen Widersacher überwiesen werde und in
seine Gewalt komme, sie wird antworten, daß ihre Schuld ihr von
dem erlassen sei, welchem keiner ersetzen kann, was er unschuldig
für uns geopfert hat.
Möge sie also in Frieden
mit ihrem Manne ruhen, vor welchem und nach welchem sie keinem
verehelicht war, dem sie gedient und dir, o Gott, Frucht in Geduld
gebracht hat, um auch ihn für dich zu gewinnen. Gib, o Herr mein
Gott, deinen Knechten, meinen Brüdern, deinen Kindern, meinen
Gebietern. denen ich mit Herzen, Mund und Händen diene, es ihnen
ins Herz, wie viele unter ihnen diese Schrift gelesen haben, daß
sie deiner Magd Monica und des Patricius, der einst ihr Ehegemahl war,
durch deren Fleisch du mich in dieses Leben eingeführt hast, wie,
ist mir ein Geheimnis, an deinem Altar gedenken. Mögen sie im
vorübergehenden Licht dieses irdischen Lebens mit frommem
Gefühle meiner Eltern gedenken und meiner Brüder, die unter
dir, dem Vater, Kinder in deiner Mutterkirche sind und meiner
Mitbürger, in dem himmlischen Jerusalem, wohin dein Volk in der
Pilgerschaft vom Ausgang bis zur Heimkehr sich schmerzlich sehnt, auf
daß, was meine Mutter zuletzt von mir gefordert hat, durch vieler
Gebete und Bekenntnisse reicher als durch meine Gebete erfüllt
werde.
ZEHNTES BUCH
Erstes Kapitel
Ich werde dich erkennen, der du mich kennest,
werde erkennen, gleich wie ich erkannt bin. Kraft meiner Seele, dringe
ein in sie und mache sie dir geschickt, damit du sie habest und
besitzest ohne einen Flecken oder Runzel. Das ist meine Hoffnung, darum
rede ich; und in solcher Hoffnung bin ich fröhlich, bin
fröhlich, wie es mir heilsam ist. Was aber sonst noch dies Leben
bietet, ist um so weniger zu beweinen, je mehr man weinet; und um so
mehr zu beweinen, je weniger man darin weinet. Denn siehe, die Wahrheit
hast du geliebt, denn wer sie tut, der kommt an das Licht. Ich will sie
tun in meinem Herzen vor dir im Bekenntnisse; schriftlich aber
meinerseits vor vielen Zeugen.
Zehntes Buch - Zweites Kapitel
Und vor dir, o Herr, vor dessen Augen
bloß ist die Tiefe menschlichen Gewissens, was wäre
unbekannt in mir, ob ich dir es auch nicht gestehen wollte? Dich
würde ich mir verbergen, nicht aber mich vor dir. Nun aber, da
mein Seufzen Zeuge ist, daß ich dir mißfalle, da leuchtest
und gefällst du, wirst geliebt und ersehnet; daß ich
erröte über mich, mich verwerfe und dich erwähle, und
weder dir noch mir gefallen möchte, als nur durch dich. Dir also,
Herr, bin ich offenbar, wer ich auch sein möge; und warum ich dir
dies Geständnis mache, habe ich dir gesagt. Denn nicht tue ich das
mit des Fleisches Wort und Stimme, sondern mit der Seele Wort und
meines Denkens Schreien, das dein Ohr kennet, Denn wenn ich böse
bin, so ist mein Bekenntnis vor dir und mein Mißfallen an mir
dasselbe; wenn ich aber fromm bin, so bedeutet mein Bekenntnis vor dir
nichts anderes, als daß ich dies nicht mir zurechne, denn du,
Herr, segnest den Gerechten, zuvor aber machst du ihn, den Gottlosen,
gerecht. Daher geschieht mein Bekenntnis, mein Gott, vor dir stille und
doch nicht still. Denn es schweigt im Geräusch, es schreit im
Gemüt. Denn nicht sage ich etwas Rechtes vor den Menschen, was
nicht du zuvor von mir gehört, noch hörst du dergleichen von
mir, was du nicht zuvor mir gesagt.
Zehntes Buch - Drittes Kapitel
Was habe ich jedoch mit den Menschen zu
schaffen, daß sie meine Bekenntnisse hören sollen, als
könnten auch sie alle meine Gebrechen heilen? Ein Geschlecht,
eifrig bemüht, ein fremdes Leben kennenzulernen, ist es
überhaupt müßig, sein eigenes zu verbessern. Was
trachten sie von mir zu hören, wer ich sei, die von dir nicht
hören wollen, wer sie sind? Und woher wissen sie, wenn sie von mir
über mich selbst hören, ob ich die Wahrheit rede; denn
niemand weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist, der in ihm
ist. Wenn sie aber von dir hören über sich selbst, so werden
sie nicht sagen können: Der Herr lügt. Denn was ist von dir
über sich hören anders als sich selbst erkennen? Ferner, wer
erkennt sich und spricht dennoch: Es ist unwahr, wenn er nicht selbst
lügt. Aber weil die Liebe alles glaubt, zumal bei denen, die sie
mit sich in eins vereint, so mache ich dir, o Herr, meine Bekenntnisse,
daß sie die Menschen hören, denen ich freilich nicht
beweisen kann, ob meine Bekenntnisse wahr sind; aber es glauben mir
die, denen die Liebe das Ohr für mich öffnet.
Aber du, mein vertrauter Arzt, erläutere
mir, warum ich dies tun soll. Denn wenn die Bekenntnisse meiner
begangenen Sünden, welche du vergeben und bedeckt hast, damit du
mich segnetest in dir, meine Seele wandelnd durch Glauben und dein
Sakrament, gelesen und gehört werden, so erwecken sie das Herz,
damit es nicht schlafe in Verzweiflung und sage: Ich kann nicht;
sondern erwache in der Liebe deines Erbarmens und der
Süßigkeit deiner Gnade, durch welche erstarkt jeder
Schwache, der sich durch sie seiner Schwachheit bewußt wird. Und
es erfreut die Guten, zu hören von begangenen Sünden derer,
die ihrer jetzt ledig sind; nicht deswegen freut sie es, weil es
Sünden sind, sondern weil sie es gewesen sind und nicht mehr sind.
Zu welchem Nutzen, Herr mein Gott, dem täglich sich bekennt mein
Gewissen, sicherer durch die Hoffnung auf dein Erbarmen als durch seine
Unschuld, zu welchem Nutzen, frage ich, bekenne ich dir auch vor den
Menschen durch diese Schrift, wer ich jetzt noch sei, nicht wer ich
gewesen bin? Denn jenen Nutzen sah und erwähnte ich. Aber wer ich
jetzt noch sei, gerade in dieser Zeit meiner Bekenntnisse, das wollen
sowohl viele wissen, die mich kennen, als auch die, welche mich nicht
kennen, aber von mir oder über mich etwas gehört haben, aber
ihr Ohr ist nicht an meinem Herzen, wo ich auch bin und wer immer ich
bin. Darum wollen sie mein Bekenntnis hören, was ich im Innern
bin, dahin sie kein Auge, kein Ohr und keinen Verstand richten
können; sie wollen es dennoch im Glauben; werden sie es erkennen?
Es sagt ihnen nämlich die Liebe, durch welche sie gut sind,
daß ich nicht lüge in meinem Bekenntnis von mir, und sie,
die in ihnen wohnt, glaubet mir.
Zehntes Buch - Viertes Kapitel
Aber zu welchem Nutzen wollen sie das? Wollen
sie mir Glück wünschen, wenn sie hören, welchen Zutritt
ich zu dir habe durch deine Gnade, und wollen sie beten für mich,
wenn sie hören, wie sehr ich zurückgehalten werde von meiner
Last? Offenbaren will ich mich solchen Leuten. Denn es ist viel wert,
Herr, mein Gott, daß durch viele Personen dir Danks geschehe
über uns und daß du von vielen gebeten werdest für uns.
Es liebe in mir des Bruders Seele, was du zu lieben lehrst, und
empfinde Schmerz um mich, wo du Schmerzenswertes zeigst. jener
brüderliche Sinn möge dies tun, kein fremder, keiner von
fremden Kindern, welcher Lehre ist kein nütze und ihre Rechte ist
eine Rechte des Unrechts, sondern nur der brüderlich gesinnte,
der, indem er mir zustimmt, sich über mich freut; der für
mein Wohl in Trauer gerät, wenn er mich tadeln muß: denn er
mag mich loben oder tadeln, er liebt mich doch. Solchen will ich mich
offenbaren; sie mögen frohlocken, wenn mir's gut geht, oder
seufzen, wem mir's schlecht geht. Mein Gutes ist dein Werk und
Geschenk, mein Böses ist mein Vergehen und dein Gericht. Sie
mögen frohlocken über jenes und seufzen über dieses;
Loblied und Tränen mögen aufsteigen zu dir aus der
Brüder Herzen, deinen Rauchgefäßen. Du aber, o Herr,
der du Wohlgefallen hast am Dufte deines Tempels, sei mir gnädig
nach deiner großen Güte um deines Namens willen; und der du
nimmer verlässest, was du begonnen, vollende, was an mir
unvollkommen ist.
Das ist die Frucht meiner Bekenntnisse, die
nicht besagen, wie ich war, sondern wie ich bin, daß ich dies
bekenne nicht nur vor dir mit heimlicher Freude und Zittern, mit
heimlicher Trauer und Hoffnung, sondern auch vor den Ohren
gläubiger Menschenkinder, der Genossen meiner Freude und meiner
Sterblichkeit, meiner Mitbürger und derer, die gleich mir Pilgrime
sind, meiner Vorgänger und Nachfolger und Begleiter meines Lebens.
jene sind deine Knechte, meine Brüder, die du dir zu Kindern
erwählt hast und mir zu Herren gesetzt hast, daß ich ihnen
diene, wenn ich mit dir leben will aus deiner Fülle. Und dieses
dein Wort wäre von geringem Wert für mich, wenn es mir nur in
Worten geboten hätte und nicht auch im Tun mir vorangegangen
wäre. Und ich betreibe das durch Tat und Wort, erstrebe das unter
deinen Flügeln mit zu ungeheurer Gefahr, wäre nicht meine
Seele unter deinen Flügeln dir unterworfen und meine Schwachheit
dir bekannt. Ein Kind bin ich, aber es lebt immerdar mein Vater und ich
habe einen zuverlässigen Beschützer; derselbe, der mich
gezeugt hat, derselbe beschützt mich auch: und du selbst bist all
mein Gut, du der Allmächtige, der du mit mir bist, noch ehe ich
mit dir bin. Darum will ich mich denen offenbaren, welchen ich nach
deinem Befehl dienen soll, nicht, wie ich gewesen bin, sondern wie weit
ich schon gefördert - wie weit ich noch zurück bin; jedoch:
auch richte ich mich selbst nicht: also will ich verstanden sein.
Zehntes Buch - Fünftes Kapitel
Denn du, Herr, bist es, der mich richtet; denn
wenn auch niemand weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist des
Menschen, der in ihm ist, so gibt es doch etwas im Menschen, das selbst
der Geist des Menschen nicht weiß, der in ihm ist; du aber, o
Herr, weißt alles von ihm, der du ihn gemacht hast. ich aber,
obgleich ich mich vor deinem Antlitz gering schätze und mich achte
als Staub und Asche, weiß doch von deinem Wesen etwas, was ich
von mir nicht weiß. Allerdings sehen wir jetzt durch einen
Spiegel in einem dunkeln Wort und noch nicht von Angesicht zu
Angesicht: und darum, solange ich außer dir walle, bin ich mir
gegenwärtiger als dir, und doch weiß ich, daß du auf
keine Weise entheiligt werden kannst; welchen Versuchungen ich aber zu
widerstehen vermöge, welchen nicht, das weiß ich nicht. Doch
es ist Hoffnung vorhanden, da du getreu bist, der du uns nicht
lässest versuchen über unser Vermögen, sondern machst,
daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß wir es
können ertragen. So laß mich bekennen, was ich von mir
weiß, bekennen auch, was ich von mir nicht weiß. Denn was
ich von mir weiß, das weiß ich nur, durch dich erleuchtet,
und was ich von mir nicht weiß, das weiß ich so lange
nicht, bis mein Dunkel wird sein wie der Mittag vor deinem Angesicht.
Zehntes Buch - Sechstes Kapitel
Nicht mit zweifelndem, sondern mit gewissem
Gewissen liebe ich dich, Herr. Du hast erschüttert mein Herz durch
dein Wort, und ich liebe dich. Aber siehe, auch Himmel und Erde und
alles, was darinnen ist, sagen mir allenthalben, daß ich dich
lieben solle, hören nicht auf, allen es zu sagen, also daß
sie keine Entschuldigung haben. Und in noch höherem Maße
wirst du gnädig sein, dem du gnädig bist, und dich erbarmen,
dessen du dich erbarmest: überhaupt verkünden Himmel und Erde
den Tauben dein Lob. Was aber liebe ich, wenn ich dich liebe? Nicht
Körpergestalt noch zeitliche Anmut, nicht den Glanz des Lichts,
der diesen Augen so lieb, noch die süßen Melodien
abwechslungsreicher Gesänge, nicht der Blumen und wohlriechenden
Salben und Gewürze lieblichen Duft, nicht Manna und Honig, nicht
Glieder, denen des Fleisches Umarmungen angenehm sind. Nicht liebe ich
dies, wenn ich meinen Gott liebe, und doch liebe ich ein gewisses
Licht, eine gewisse Stimme, einen gewissen Geruch, eine gewisse Speise,
eine gewisse Umarmung, wenn ich meinen Gott liebe, das Licht, die
Stimme, den Geruch, die Speise, die Umarmung meines inneren Menschen;
wo meiner Seele leuchtet, was kein Raum faßt, wo erklinget, was
keine Zeit raubt, wo duftet, was der Wind nicht verweht, wo schmecket,
was keine Eßgier vermindert und wo vereint bleibt, was kein
Überdruß trennt. Das ist es, was ich hebe, wenn ich meinen
Gott liebe.
Und was ist dies? ich fragte die Erde und sie
sprach: Ich bin es nicht, und alles, was in ihr ist, bekannte dasselbe.
Ich fragte das Meer und die Untiefen und was von lebenden Wesen da
kriecht, und sie antworteten: Wir sind nicht dein Gott; suche ihn
über uns. Ich fragte die wehenden Winde und es antwortete der
Luftbereich mit seinen Bewohnern: Es irrt Anaximenes; ich bin nicht
Gott. Ich fragte Himmel, Sonne, Mond und Sterne und sie antworteten:
Auch wir sind nicht Gott, den du suchest. Da sprach ich zu allen,
welche umgeben die Pforten meines Fleisches: Ihr sagt mir nur von
meinem Gott, daß ihr es nicht seid, sagt mir doch etwas über
ihn. Und sie riefen mit erhobener Stimme: Er hat uns gemacht. Meine
Frage bestand in sinnender Betrachtung derselben und ihre Antwort in
ihrer Schönheit. Und ich wendete mich an mich selbst und sprach zu
mir: Wer bist du? Und erhielt die Antwort: Ein Mensch. Und siehe, Leib
und Seele habe ich; jenes bildete das Äußere, dieses das
Innere. Von welchem der zwei sollte ich meinen Gott suchen. Schon hatte
ich ihn durch den leiblichen Sinn gesucht von der Erde bis zum Himmel,
soweit ich nur die Strahlen meiner Augen als Boten suchen konnte. Aber
von größerem Werte ist mein innerer Mensch. Ihm nämlich
brachten alle Boten des Körpers Meldung zurück, der ihr Herr
ist und die Antworten des Himmels der Erde und alles dessen, was darin
sagte: "Wir sind nicht Gott und er hat uns selbst erst gemacht"
beurteilt. Der innere Mensch erkennt dies durch den Dienst des
äußeren: ich als der innere Mensch erkannte dies; ich, ich
die Seele erkannte es durch den leiblichen Sinn. Ich fragte die gesamte
Welt über meinen Gott und sie antwortete mir: "Nicht bin ich es,
sondern er hat mich gemacht".
Wird allen, die einen gesunden Sinn besitzen, dieser Anblick zuteil? Warum sagt er nicht allen dasselbe?
Die Tiere, die kleinen und großen sehen
ihn und können doch nicht fragen, denn sie besitzen keine
Vernunft, die beurteilen könnte, was ihnen die Sinne melden. Die
Menschen aber können fragen, damit daß Gottes unsichtbares
Wesen wird ersehen an der Schöpfung. Aber sie werden durch ihre
Liebe zu ihr derselben untertan, und also untertan können sie ein
Urteil nicht fällen. Auch antwortet die Schöpfung, wenn sie
fragen, ohne beurteilen zu können; auch wandelt sie ihre Stimme
nicht, das ist: ihre Gestalt, wenn sie der eine nur mit dem leiblichen
Auge sieht, der andere zugleich schauend fragt, so daß sie dem
einen anders erscheint als dem andern; sondern ihre Gestalt zeigt sich
beiden auf dieselbe Weise, nur ist sie für jenen stumm, für
diesen beredt; ja sie redet zu allen, aber jene nur verstehen sie,
welche die Stimme von außen auch innerlich mit der Wahrheit
vergleichen. Denn die Wahrheit sagt mir: Dein Gott ist weder Himmel
noch Erde noch irgendein Körper. Das sagt die Natur dem, der Augen
hat zu sehen: Dies ist Masse; eine Masse, kleiner im Teil als im
Ganzen. Schon du bist höher, das sage ich dir, meine Seele; denn
du belebst die Masse deines Körpers, gibst ihr das Leben; was kein
Körper dem andern bieten kann. Dein Gott aber ist für dich
auch wiederum das Leben für dein Leben.
Zehntes Buch - Siebentes Kapitel
Was also liebe ich, wenn ich meinen Gott
liebe? Wer ist jener, der über dem Haupte meiner Seele waltet?
Durch meine Seele selbst steige ich zu ihm empor. Aber ich muß
noch weiter, als meine Kraft reicht, vermittels welcher ich am Leibe
hange und seine Verbindung lebend erfülle. Nicht durch solche
Kraft finde ich meinen Gott: denn so finden ihn auch Rosse und
Maultiere, die nicht verständig sind, welche dieselbe Kraft
besitzen, vermöge welcher auch ihre Körper leben. Aber es
gibt noch eine Kraft, vermöge welcher ich nicht nur belebe,
sondern auch mein Fleisch, das Gott geschaffen, fähig mache,
daß es empfindet; er befiehlt dem Auge, nicht daß es
höre, und dem Ohre, nicht daß es sehe, sondern jenem,
daß ich durch dasselbe sehe, und diesem, daß ich durch
dasselbe höre: und jedem anderen Sinne im einzelnen seine
Eigentümlichkeit an seinem Platze und mit seinen Aufgaben; und ob
ich verschiedenes durch sie verrichte, so bin ich doch immer ein und
dieselbe Seele. Doch noch höher hinauf muß ich, als diese
meine Kraft reicht, denn auch sie hat Roß und Maultier, dem auch
sie haben Empfindung vermöge ihres Körpers .
Zehntes Buch - Achtes Kapitel
Ich werde mich also auch noch über diese
Kraft meiner Natur erheben, schrittweise emporsteigend zu dem, der mich
bereitet hat; werde kommen zu den Gefilden und weiten Palästen
meines Gedächtnisses, wo sich befinden die Schätze
unzähliger Vorstellungen, welche über irgendwelche Dinge
durch die Sinne eingezogen sind, bald vermehrend, bald vermindernd,
bald irgendwie verändernd, was die Sinne berührt hat; und
wenn etwas anderes da zur Aufbewahrung niedergelegt ist, was nicht die
Vergeßlichkeit verzehrte oder begrub. Daselbst fordere ich,
solange ich bin, daß das Gedächtnis hervorbringe, was ich
will; manches ist gleich zur Stelle, manches muß länger
gesucht werden, manches tritt zutage gewissermaßen wie aus
wohlversteckten Magazinen; manches stürzt sich scharenweise
hervor, und während anderes verlangt und gesucht wird, ist es
plötzlich da, als ob es sagen wollte: "Bin ich nicht auch noch
da?" Aber ich beseitige es mit meiner geistigen Hand aus den Augen
meiner Erinnerung, bis sich enthüllt, was ich will und zutage
tritt aus Verborgenem. Manches stellt sich leicht und in
ununterbrochener Reihe, so wie es gefordert wird, dar; es weicht das
Frühere dem Nachfolgenden, und indem es weicht, verbirgt es sich,
bis ich es wieder hervortreten lassen will. Das alles geschieht, so oft
ich etwas aus dem Gedächtnisse erzähle.
Daselbst liegt alles einzeln und
geschlechtsweise auf bewahrt, alles ist aufgehäuft, jedes auf
seinem Wege hereingekommen; in dieser Weise das Licht und alle Farben
und Formen der Körper durch die Augen, durch die Ohren aber alle
Arten der Töne; alle Gerüche durch den Weg der Nase; alles,
was schmeckt, durch den Weg des Mundes, durch das Gefühl aber des
ganzen Körpers, was hart, was weich, was warm oder kalt, weich
oder rauh, schwer oder leicht, außerhalb oder innerhalb des
Körpers. Alles dies nimmt auf, um es, wenn nötig,
aufzubewahren und wiederzugeben die große Haupthöhle des
Gedächtnisses und ich weiß nicht, welche geheimen und
unbeschreiblichen Verzweigungen es gibt; was alles zu ihm eintritt
durch seine einzelnen Türen und darin niedergelegt wird. Dennoch
gehen daselbst nicht die Dinge selbst ein, sondern nur ihre
Vorstellungen sind daselbst für das Denken, das ihrer sich
erinnert, gegenwärtig. Aber wer kann sagen, aus welchem Stoff sie
gebildet sind, da nur augenfällig, durch welche Sinne sie
entnommen und ins Innere verborgen werden? Denn auch in dem Schweigen
der Nacht rufe ich mir, wenn ich will, die Farben ins Gedächtnis;
und scheide zwischen Weiß und Schwarz und zwischen anderen
Farben, die ich will; auch vermengen sich die Töne nicht noch
verwirren sie, was ich mit den Augen heraufholend betrachte, da sie
doch selbst hier sind und gewissermaßen abgesondert aufbewahrt
sind. Denn auch sie rufe ich her, wenn mir's beliebt, und sie sind zur
Stelle. Und während die Zunge ruht und die Kehle schweigt, singe
ich doch, soviel ich will; und jene Vorstellungen der Farben, welche
dessen ungeachtet da sind, stören und unterbrechen sich nicht,
denn da wird eine andere Vorratskammer, welche vom Ohr ihren Ausgang
hat, benutzt. So ist's auch mit dem übrigen, das durch die
übrigen Sinne eingegangen und gehäuft ist, ich erinnere mich
dessen, wenn ich will: und ich unterscheide den Duft der Lilien von den
Veilchen, ohne daß ich dabei etwas rieche; und Honig vom Most,
Weiches von Hartem, ohne daß ich dabei etwas schmecke oder
fühle, sondern ich stelle mir's in der Erinnerung vor.
Innerlich tue ich das, im großen Hof
meines Gedächtnisses. Daselbst sind mir Himmel, Erde und Meer
gegenwärtig und alles, was ich darin wahrnehmen konnte, mit
Ausnahme dessen, was ich vergessen habe. Daselbst begegne ich mir auch
selbst und bilde mich wieder von neuem, was, wann und wo ich gehandelt
habe und wie ich bei meinem Handeln gestimmt war. Dort ist alles,
dessen ich mich erinnere, gleichviel, ob ich's selbst erfuhr oder von
andern glaubte. Aus demselben Schatze entnehme ich bald diese, bald
jene Vorstellungen der Dinge, weiche ich entweder selbst kennengelernt
oder nach Analogie der mir bekannten andern geglaubt, und verwebe sie
mit Vergangenem; und danach überlege ich, was in der Zukunft
getan, gehofft werden und sich begeben kann, ich überlege dies,
als wäre alles gegenwärtig. "ich werde dies oder jenes tun",
spreche ich zu mir in dem ungeheuren Raume meines Geistes, der von von
Vorstellungen so vieler und so großer Dinge ist, "und dies oder
jenes möge folgen." O, wenn dies oder jenes schon da wäre."
"Möge Gott dies oder jenes abwenden." So sage ich zu mir: und
während ich rede, sind die Vorstellungen aller der Dinge da, von
denen ich rede, aus demselben Schatze des Gedächtnisses;
überhaupt würde ich nicht etwas davon nennen, wenn es fehlte.
Das ist die große Macht des
Gedächtnisses, übergewaltig, mein Gott, ein geheimes
Heiligtum, weit und grenzenlos. Wer kommt zu seinem Grunde? Und das ist
die Kraft meines Geistes, die meiner Natur angehört; und doch
fasse ich selbst nicht ganz, was ich bin. Denn der Geist ist zu eng, um
sich selbst zu fassen. Und wo mag das sein, was er vom Seinen nicht
faßt? Wäre es denn etwa außer ihm selbst, nicht in ihm
selbst? Wenn aber in ihm selbst, wie faßt er es doch nicht?
Gewaltige Bewunderung bemächtigt sich meiner, Staunen erfaßt
mich. Es ziehen die Menschen dahin, um zu bewundern die Höhen der
Berge und die gewaltigen Wogen des Meeres, den breiten Fall der
Flüsse, den Umfang des Ozeans, die Kreise der Gestirne, und
verlassen sie selbst, ohne sich zu wundem, daß ich das alles,
während ich davon redete, nicht mit Augen sah und doch nur von
Bergen, Strömen und Flüssen und Gestirnen sprach, die ich
gesehen, und vom Ozean, den ich mir nur vorstellte, und schaute es in
dem so ungeheuer großen Raume meines Gedächtnisses, als
schaute ich es vor mir; und doch, als ich es sah, hat es mir beim Sehen
nicht die Augen aufgezehrt; auch sind die Dinge nicht selbst in mir,
sondern nur ihre Bilder. Und ich weiß nur, aus welchem Sinne
meines Körpers sich mir etwas aufgeprägt hat.
Zehntes Buch - Neuntes Kapitel
Aber nicht das allein trägt die gewaltige
Fassungskraft meines Gedächtnisscs. Daselbst ist auch alles, was
ich von den freien Wissenschaften, die ich erlernt, nicht verloren
habe, die ich, als wären sie zurückgeschoben, in einem
innerlichen Orte, der doch kein Ort ist, in mir trage; nicht ihre
Vorstellungen, sondern die Dinge selbst. Denn was ich an Sprachkunst,
an Disputierkunst und an gelehrten Untersuchungen weiß, ja was
ich von dem allem weiß, das befindet sich so in meinem
Gedächtnisse, daß ich nicht etwas außer mir gelassen,
dessen Bild ich in mir zurückbehalten oder es getönt habe und
vorübergezogen sei, sowie der Ton, der durch die Ohren sich mir
einprägte, gewissermaßen tönt und doch nicht
tönte; oder wie der Geruch, während er vorüberzieht und
in die Luft sich verflüchtigt, einen Geruch hinterläßt,
sobald er die Vorstellung von sich in (las Gedächtnis
überträgt, die wir, wenn wir daran denken, wiederholen; oder
wie die Speise, welche genossen, doch gewiß keinen Geschmack mehr
hinterläßt, demnach in der Erinnerung daran
gewissermaßen fortschmeckt; oder wie etwas vom Körper durch
Berühren empfunden wird, auch nachdem es von mir entfernt ist,
doch in der Erinnerung empfunden wird. Freilich werden diese Dinge
nicht selbst da hineingelassen, sondern ihre Vorstellungen werden da
mit wunderbarer Schnelligkeit aufgefaßt, gewissermaßen in
wunderbaren Zellen aufbewahrt und wunderbarerweise durch die Erinnerung
herausgeholt.
Zehntes Buch - Zehntes Kapitel
Aber während ich höre, daß es
dreierlei Arten der Abhandlung gibt; ob etwas sei, was es sei und wie
es sei, so behalte ich allerdings nur die Vorstellung der Töne,
durch welche die Worte zusammengesetzt sind und weiß, daß
sie durch die Luft mit Geräusch hindurchgegangen und bereits nicht
mehr vorhanden sind. Die Dinge selbst, welche mit diesen Tönen
bezeichnet werden, habe ich weder mit irgendwelchem leiblichen Sinne
berührt noch irgendwo gesehen, ausgenommen meine Seele, und in der
Erinnerung aufbewahrt nicht ihre Bilder, sondern die Dinge selbst.
Woher sie in mich eingedrungen, sage mir, wer es kann. Denn ich
durchlaufe alle Türen meines Fleisches, ohne zu finden, durch
welche von ihnen sie eingegangen sind. Die Augen sagten: Wenn sie
farbig sind, so haben wir sie angezeigt. Die Ohren sagen: Wenn sie
klangen, so sind sie von uns angezeigt worden. Die Nase sagte: Wenn sie
dufteten, so haben sie durch mich ihren Eingang gefunden. Der
Geschmackssinn sagt: Wenn kein Geschmack dabei ist, so brauchst du mich
nicht zu fragen. Das Gefühl sagt: Wenn es nicht etwas
Körperliches ist, so habe ich es nicht betastet; wenn ich es nicht
betastet habe, so habe ich es auch nicht angezeigt. Woher und wie hat
dies seinen Weg zum Gedächtnis gefunden? ich weiß nicht, auf
welche Weise; denn während ich dies lernte, habe ich nicht auf
Glauben angenommen vom Verstande eines andern, sondern im meinigen habe
ich es erkannt und wahr gefunden und es ihm übergeben,
gewissermaßen niederlegend an einen Ort, von wo ich es
hervornehmen könnte, wann ich wollte. Daselbst war es auch schon,
ehe ich es gelernt hatte, und doch war es nicht im Gedächtnis. Wo
war es also, oder warum habe ich es anerkannt, da es ausgesprochen
wurde, und gesagt: "So ist es, es ist wahr", wenn nicht, weil es schon
im Gedächtnis war, aber so entfernt und verborgen, sozusagen in
den versteckteren Höhlungen, daß, wäre es nicht durch
jemandes Aufforderung ans Licht gezogen worden, ich es vielleicht nicht
denken könnte?
Zehntes Buch - Elftes Kapitel
Deshalb finden wir, daß es ebendasselbe
ist, wovon wir nicht durch die Sinne die Vorstellungen schöpfen,
sondern ohne Vorstellung, so wie sie sind, durch sich selbst sie
erkennen als das, was zerstreut und ungeordnet das Gedächtnis
behält, indem man denkt, es gewissermaßen zu sammeln, und
durch darauf gerichtetes Denken dafür besorgt ist, so daß es
gewissermaßen handlich im Gedächtnis Selbst, wo es vorher
verstreut und vernachlässigt verborgen war, der mit ihm schon
vertraut gewordenen Spekulation leicht sich bietet. Und wieviel
Derartiges trägt mein Gedächtnis, was schon aufgefunden ist
und wie ich sagte, gewissermaßen handlich gemacht ist, wovon man
sagt, wir hätten es gelernt und kennten es. Wenn ich ablasse, es
in mäßigen Zwischenräumen von Zeit zu Zeit ins
Gedächtnis zurückzurufen, so taucht es wieder unter und
verliert sich sozusagen in die inneren Gemächer, so daß es,
als wäre es etwas Neues, von ebendaher wiederum auszudenken (denn
es gibt dafür keinen andern Bereich) und wieder zusammenzubringen
ist, so daß man es wissen kann, das will sagen, daß es wie
aus einer gewissen Zerstreutheit zu sammeln ist, von wo es auch seinen
Namen erhalten hat: cogito, d. i. "zusammendenken", "durch wiederholtes Denken zusammenbringen". Denn die Worte cogo und cogito,
das ist "ich denk" und "ich denke wiederholt", sind ebenso wie die
Worte ago und agito, d. i. ich handle und ich handle wiederholt, oder
wie facio und factito, ich tue und ich tue wiederholt. Dennoch hat der
Geist dies Wort für sich in Anspruch genommen, so daß nicht,
was anderswo, sondern was im Geiste gesammelt wird, d. h. wiederum
gedacht wird, schon im eigentlichen Sinne cogitari genannt wird.
Zehntes Buch - Zwölftes Kapitel
Ebenso enthält mein
Gedächtnis die Zahlen- und Maßbegriffe und ihre zahllosen
Gesetze, deren keines der leibliche Sinn eingeprägt hat, denn sie
sind selbst nicht farbig, noch tönen, noch riechen sie, noch kann
man sie schmecken oder fühlen. Ich hörte nur den Klang der
Worte, mit denen sie bezeichnet werden, wenn man sie behandelt; aber
jener Klang davon ist etwas anderes als die Begriffe selbst: denn der
Klang klingt im Griechischen anders als im Lateinischen; aber die
Begriffe sind weder griechisch noch lateinisch noch einer andern
Sprache angehörig. Ich sah auch die Linien der Künstler,
mitunter sehr zart, wie der Faden, den die Spinne webt. Aber diese
Linien sind wieder anderer Art, sie sind nicht die Vorstellungen von
den Linien, welche mir das leibliche Auge anzeigt; es kennt sie jeder,
der sie ohne ein sinnliches Bild mit seinem inneren Auge sieht. Ich
kenne auch mit meinen leiblichen Sinnen Zahlen, die wir benennen. Aber
jene Zahlen an sich sind verschieden von den Zahlen, die wir benennen,
und sie sind Vorstellungen von ihnen und deshalb bestehen sie für
sich. Mag mich, wer sie nicht gesehen, verlachen, wenn ich solches
sage, ich bedaure den nur, der mich darüber verlacht.
Zehntes Buch - Dreizehntes Kapitel
Das alles behalte ich im
Gedächtnis sowie die Art und Weise, wie ich es erlernte. Auch
vieles, was dagegen fälschlich eingewendet wurde, habe ich
gehört und es im Gedächtnis behalten; ob es auch falsch ist,
so ist es doch nicht falsch, wenn ich mich daran erinnere; auch daran
erinnere ich mich, daß ich jenes Wahre unterschieden habe von dem
Falschen, das dagegen eingewendet wurde. Ein anderes ist es, daß
ich jetzt sehe, wie ich jenes unterscheide, ein anderes, daß ich
mich erinnere, es oft unterschieden zu haben, da ich es oft
durchdachte. Darum erinnere ich mich auch oft, es verstanden zu haben;
und was ich jetzt unterscheide und verstehe, hebe ich im
Gedächtnis auf, um mich später zu erinnern, daß ich es
jetzt verstanden habe. Also erinnere ich mir mein früheres
Erinnern, so wie ich später, wenn ich mich erinnern werde,
daß ich jetzt imstande war, mir jenes frühere Erinnern ins
Gedächtnis zu rufen, auch dieses spätere Erinnern der Kraft
meines Gedächtnisses verdanken werde.
Zehntes Buch - Vierzehntes Kapitel
Auch meine
Gemütsbewegungen bewahrt mein Gedächtnis; nicht zwar auf
dieselbe Weise, wie sie meine Seele hat, während sie dieselben
empfindet, sondern auf eine andere um vieles verschiedene Weise, so wie
es die Kraft des Gedächtnisses mit sich bringt. Denn ich erinnere
mich, froh gewesen zu sein, ohne daß ich froh bin, und denke an
vergangene Trauer ohne Trauer, ohne Furcht stelle ich mir vor, wie ich
einst Furcht hatte, und bin früheren Verlangens eingedenk ohne
Verlangen; zuweilen denke ich im Gegenteil an überstandene
Traurigkeit mit Freuden und traurig an Freuden. Das ist körperlich
nichts Wunderbares: denn etwas anderes ist der Geist, etwas anderes der
Körper. Daher, wenn ich mit Freuden an vergangenen
Körperschmerz denke, so ist das nicht wunderbar. Das ist vielmehr
wunderbar, daß der Geist das Gedächtnis selbst ist; denn
während wir ihm etwas auftragen, daß er es im
Gedächtnis behalte, sagen wir: +Sieh, daß du es im
Gedächtnis behältst«; und wenn wir vergessen, sagen
wir: +Es war nicht im Gedächtnis« und +es ist dem
Gedächtnis entschwunden«; indem wir den Geist selbst
Gedächtnis nennen: wenn es also ist, was ist da Wunderbares dabei,
daß, während ich mit Freuden an vergangene Traurigkeit
denke, mein Geist Freude hat und meine Erinnerung Traurigkeit; und mein
Geist deshalb froh ist, weil ihm Freude innewohnt, mein Gedächtnis
aber, trotzdem daß ihm Trauer innewohnt, doch nicht traurig ist?
Gehört das Gedächtnis etwa nicht zum Geiste? Wer könnte
dies sagen? Daher ist allerdings das Gedächtnis
gewissermaßen der Magen des Geistes, die Freude aber und
Traurigkeit sozusagen die süße und saure Speise desselben:
wenn dem Gedächtnis etwas übergeben wird, was sozusagen auf
den Magen übertragen worden ist, so kann es hier nicht bleiben,
kann keinen Geschmack erzeugen. Es mag lächerlich erscheinen, das
mit jenem zu vergleichen, und doch ist es nicht gänzlich
unähnlich.
Aber siehe, aus dem
Gedächtnis nehme ich es, wenn ich sage, daß es vier
Gemütsbewegungen gibt: Begierde, Freude, Furcht und Trauer und
alles, was ich darüber werde zur Erörterung bringen
können, das einzelne in die Arten einer jeden Gattung teilend und
danach bestimmend - im Gedächtnis finde ich, was ich sagen soll,
aus ihm bringe ich es hervor; dabei werde ich durch keine Irrung
gestört, wenn ich dies aus der Erinnerung erwähne; ehe es
noch von mir wiedergegeben ward, war es daselbst; darum konnte es von
da mittels der Erinnerung hervorgeholt werden. Daher, wie die Speise
aus dem Magen durch Wiederkäuen, so wird dies aus dem
Gedächtnis durch die Erinnerung wieder zum Vorschein gebracht.
Warum wird also in dem Munde des Denkens von dem, der darüber
Erörterungen anstellt, das heißt, der daran sich erinnert,
die Süßigkeit der Freude und die Bitterkeit der Trauer nicht
empfunden? Oder ist das darum unähnlich, weil es nicht in allem
Bezug ähnlich ist? Wer möchte solches mit Willen reden, wenn
wir, so oft wir Traurigkeit oder Furcht nennen, allemal von Trauer oder
Furcht bezwungen würden? Und doch würden wir nicht
darüber reden, wenn wir in unserer Erinnerung nicht nur die Laute
der Namen gemäß den Vorstellungen, wie sie uns durch die
Empfindungen aufgedrückt sind, sondern nicht auch die
Bezeichnungen der Begriffe selbst fänden, die wir durch keine
körperliche Tür empfingen, sondern der Geist selbst hat im
Gefühl seiner erlebten Leiden sie dem Gedächtnis anvertraut
oder dieses selbst hat sie festgehalten ohne solch Anvertrauen.
Zehntes Buch - Fünfzehntes Kapitel
Aber wer mag mit Leichtigkeit
behaupten, ob die Tätigkeit des Gedächtnisses durch
Vorstellungen wirke oder nicht? Ich nenne einen Stein, nenne die Sonne,
da sie selbst meinen Sinnen nicht gegenwärtig sind, aber in meinem
Gedächtnis sind freilich ihre Vorstellungen vorhanden. Ich nenne
den Körperschmerz, obwohl er nicht vorhanden ist, solange ich
keinen Schmerz empfinde; wenn nicht dennoch seine Vorstellung in meinem
Gedächtnis wäre, so würde ich nicht wissen, was ich
sagte, so könnte ich in meiner Aussage ihn nicht von der Lust
unterscheiden. ich nenne körperliches Wohlbefinden, während
ich mich wohl befinde: es ist mir die Sache selbst gegenwärtig,
und doch, wenn das Bild davon nicht in meinem Gedächtnis
wäre, so würde ich mich keinesfalls erinnern können, was
der Klang dieses Namens bedeute. Auch würden die Kranken nicht
erkennen können, was man Wohlbefinden nennt, wenn nicht die
Vorstellung davon ebenso durch die Kraft des Gedächtnisses
festgehalten würde, obgleich die Sache selbst dem Körper
fernliegt. Ich nenne die Zahlen, mit welchen -wir zählen; nicht
ihre Vorstellungen, sondern sie selbst sind in meinem Gedächtnis.
Nenne ich die Vorstellung von der Sonne, so ist diese Vorstellung in
meinem Gedächtnis; und nicht meine ich die Vorstellung von dieser
Vorstellung, sondern die Vorstellung selbst; sie ist mir selbst in der
Erinnerung gegenwärtig. Nenne ich Gedächtnis, so erkenne ich,
was ich nenne. Und wo anders erkenne ich's als im Gedächtnis
selbst? Ist dies nun sich selbst gegenwärtig durch eine
Vorstellung, welche es von sich hat, oder nicht vielmehr durch sich
selbst?
Zehntes Buch - Sechzehntes Kapitel
Wie nun, wenn ich die
Vergessenheit meine, erkenne ich da ebenso, was ich nenne? Woher sollte
ich es erkennen, wenn ich mich nicht daran erinnerte? Nicht den Klang
des Namens meine ich, sondern das, was er bezeichnet; hätte ich
dies vergessen, so könnte ich freilich nicht die Bedeutung des
Klanges verstehen. Daher, wenn ich mich an das Gedächtnis
erinnere, so steht es selbst vor sich selbst: erinnere ich mich an die
Vergessenheit, so ist das Gedächtnis und die Vergessenheit dabei;
das Gedächtnis, durch welches, die Vergessenheit, deren ich mich
erinnere. Aber was ist die Vergessenheit, wenn nicht ein Ermangeln des
Gedächtnisses? Wie also ist diese Vergessenheit nun
gegenwärtig, daß ich mich ihrer erinnern kann, da mir doch,
wenn sie gegenwärtig, das Erinnern schwindet? Halten wir das,
dessen wir uns erinnern, im Gedächtnis fest, könnten aber,
wenn wir uns der Vergessenheit nicht erinnerten, auch nicht, wenn wir
sie nennen hörten, wissen, was ihr Name bedeute, so folgt,
daß +Vergessenheit« im Gedächtnis festgehalten wird.
Sie ist also gegenwärtig im Gedächtnis, so daß wir sie
nicht vergessen, wenn sie aber gegenwärtig ist, vergessen wir.
Oder ergibt sich hieraus, daß sie nicht an sich im
Gedächtnis ist, wenn wir uns ihrer erinnern, sondern nur die
Vorstellung von ihr? Denn wäre die Vergessenheit selbst
gegenwärtig, so würde sie nicht ein Erinnern, sondern ein
Vergessen bewirken. Und wer wird dies endlich ergründen? Wer es
erfassen, wie das ist?
Ich arbeite gewißlich
daran, o Herr, und mache mir Arbeit in mir selber: ich bin mir geworden
zum Acker der Mühsal und allzu großen Schweißes. Doch
haben wir jetzt nicht die Zonen des Himmels zu ergründen noch der
Gestirne Entfernung auszumessen noch nach der Erde Gewicht zu fragen:
ich bin es, der sich seiner erinnert, ich, die Seele. Es ist nicht sehr
zu verwundern. wenn das mir fernliegt, was ich nicht bin. Was aber ist
mir näher, als ich mir selbst bin? Und siehe, die Kraft meines
Gedächtnisses wird nicht von mit begriffen, da ich doch nicht
sagen werde, ich selbst liege nicht im Bereich desselben. Denn was soll
ich sagen, wenn mir gewiß ist, daß ich mich der
Vergessenheit erinnere? Oder soll ich sagen daß das, dessen ich
mich erinnere, nicht in meinem Gedächtnis sei? Oder soll ich
sagen, die Vergessenheit sei deshalb in meinem Gedächtnis, damit
ich nicht vergesse? Beides ist ganz sinnlos. Was ist nun das dritte?
Wie soll ich sagen, daß nur das Bild der Vergessenheit in meinem
Gedächtnis festgehalten werde, nicht die Vergessenheit selbst,
wenn ich daran denke? Wie kann ich dies sagen, da, wenn sich von einer
Sache das Bild im Gedächtnis einprägt, es vorher nötig
ist, daß die Sache selber vorhanden ist, von welcher sich diese
Vorstellung einprägen kann. Denn so erinnere ich mich Karthagos,
so aller der Orte, in denen ich gewesen bin, so der Gestalten der
Menschen und des übrigen sinnlich Wahmehmbaren, so selbst des
Wohlergehens und des Schmerzes des Körpers. Als das
gegenwärtig war, nahm von ihnen die Bilder das Gedächtnis,
damit ich sie gegenwärtig sähe und im Geiste bewegte, indem
ich mich jener und der abwesenden erinnerte. Wenn also durch ihr Bild,
nicht durch sie selbst im Gedächtnis behalten wird die
Vergessenheit, so mußte sie selbst einmal gegenwärtig sein,
um ihr Bild aufzufassen. Als sie aber da war, wie verzeichnete sie ihr
Bild im Gedächtnis, da sie ja durch ihre Gegenwart selbst das ins
Gedächtnis Eingezeichnete auslöscht? Und doch bin ich
gewiß, so unbegreiflich und unauseinandersetzbar es auch ist,
daß ich mich auch selbst der Vergessenheit erinnere, durch welche
alles, dessen ich in ich erinnere, ausgelöscht wird.
Zehntes Buch - Siebzehntes Kapitel
Eine große Kraft ist das
Gedächtnis, ich weiß nicht was, das mir einen heiligen
Schauder erregt, mein Gott, eine tiefe und unbegrenzte Vielheit-, und
so ist meine Seele, und so bin ich selbst. Was bin ich also, mein Gott,
welche Natur bin ich? Ein mannigfaltiges, vielartiges und überaus
unermeßliches Leben. Siehe, in des Gedächtnisses freien
Gefilden, Grotten und unzähligen Höhlen, die voll sind von
Dingen unzähliger Art, mögen sie in mich gekommen sein durch
Bilder, wie bei allen Körpern, oder durch ihre Gegenwart, wie bei
den Künsten oder durch - was weiß ich für Merkmale oder
Begriffe wie die Gemütsstimmungen, welche, wenn auch die Seele sie
nicht empfindet, doch das Gedächtnis festhält, da man im Sinn
hat, was im Gedächtnis ist: dies alles durchlaufe und durchfliege
ich, da und dorthin dringe ich, so weit ich kann und nirgends gibt's
ein Ende; so groß ist die Kraft des Gedächtnisses, so
groß die Kraft des Lebens in einem lebenden, sterblichen Menschen!
Was soll ich also tun, du mein
wahres Leben, mein Gott? Ich werde mich erheben auch über dieses
Leben, das Gedächtnis genannt wird, ich werde mich darüber
erheben, daß ich mich strecke zu dir, mein süßes
Licht. Was sagst du mir? Siehe, ich erhebe mich zu dir durch meinen
Geist, der du über mir beharrst. Ich erhebe mich auch über
diese meine Kraft, welche Gedächtnis genannt wird, indem ich dich
erreichen will, wo du erreicht werden kannst, und dir anhaften will, wo
man dir anhaften kann. Es haben nämlich Gedächtnis auch Vieh
und Vögel; sonst könnten sie nicht ihre Lager und Nester
wiederfinden und vieles andere nicht, daran sie gewöhnt sind; denn
sie vermöchten nicht, sich an etwas zu gewöhnen, wenn nicht
mit Hilfe des Gedächtnisses. Ich erhebe mich darum auch über
das Gedächtnis, um den zu erreichen, der mich geschieden hat von
den vierfüßigen Tieren und mich weiser gemacht hat als die
Vögel des Himmels. Ich erhebe nüch über das
Gedächtnis; und wo finde ich dich, wahrhaft gute Wonne des
Friedens? Und wo finde ich dich? Wenn ich außerhalb meines
Gedächtnisses dich finde, so bin ich deiner nicht eingedenk. Und
wie soll ich dich nun finden, wenn ich deiner nicht eingedenk bin?
Zehntes Buch - Achtzehntes Kapitel
Es hatte jenes Weib ihren
Groschen verloren und suchte ihn mit der Leuchte; wäre er ihr
nicht in der Erinnerung gewesen, sie hätte ihn nicht gefunden. Als
er sich aber fand, woher hätte sie gewußt, ob er es wirklich
wäre, wenn sie sich nicht an ihn noch erinnert hätte? Auch
ich erinnere mich, schon viel Verlorenes gesucht und gefunden zu haben.
Daher weiß ich, daß, wenn ich so etwas suchte und mir
gesagt wurde: +Ist's vielleicht das oder jenes?« ich so lange
sagte: +Nein«, bis mir das gebracht wurde, was ich suchte.
Hätte ich mich nicht daran erinnert, was es sei, so hätte ich
es auch nicht gefunden, wenn mir es gebracht worden wäre, denn ich
hätte es nicht gekannt. Und so geht es immer zu, wenn wir etwas
Verlorenes suchen und finden. Aber wenn zufällig etwas aus den
Augen entschwindet, nicht aus dem Gedächtnis schwindet es da, wie
irgendein sichtbarer Körper, sondern es wird sein Bild im Innern
festgehalten und gesucht, bis es wieder vor die Augen gebracht wird.
Sobald es gefunden ist, wird es erkannt aus dem Bilde,l das im Innern
ist. Wir können nicht sagen, daß wir gefunden haben, was
verloren war, wenn wir es nicht erkennen; und nicht erkennen
können wir es, wenn wir uns nicht seiner erinnern: aber das war
wohl für die Augen verlorengegangen, im Gedächtnis aber wurde
es festgehalten.
Zehntes Buch - Neunzehntes Kapitel
Wie nun, wenn das
Gedächtns etwas verliert, wie es beim Vergessen geschieht, suchen
wir es da auch, damit wir uns daran erinnern? Und wo suchen wir es,
wenn nicht im Gedächtnis selbst? Und wenn hier etwas anderes
zufällig für etwas anderes dargeboten wird, so weisen wir es
zurück, bis das zum Vorschein kommt, was wir suchen; und wenn es
zum Vorschein gekommen ist, so sagen wir: +Das ist es«, was wir
nicht sagen würden, wenn wir es nicht kennten, was wir nicht
kennen würden, wenn wir uns nicht daran erinnerten. Wir
hätten es also sicher vergessen gehabt. Oder war es nicht ganz
entfallen, sondern wurde von dem Teil aus, der festgehalten war, der
andere gesucht; weil das Gedächtnis empfand, nicht alles zugleich
in Bewegung setzen zu können, was es verbunden zu denken gewohnt
war, und wie hinkend, weil das Gewohnte verstümmelt worden,
Erstattung des Fehlenden verlangte? So ist es, wenn ein bekannter
Mensch entweder mit den Augen erblickt oder gedacht wird und nach
dessen Namen, den wir vergessen haben, wir suchen; wenn uns da ein
anderer Name in den Weg kommt, so verbinden wir ihn nicht mit
demselben; ist man doch nicht gewöhnt, ihn mit jenem zusammen zu
denken, und daher weist man ihn zurück, bis uns der Name
einfällt, mit welchem wir gewöhnt sind, den Menschen
verbunden zu denken, und bei welchem sich unser Denken als bei dem
entsprechenden Namen beruhigt. Und woher ist der Name da, wenn nicht
aus dem Gedächtnis? Auch wenn wir ihn erkennen, sobald ihn uns ein
andrer genannt hat, so kommt er von dort. Nicht glauben wir diesem
gewissermaßen etwas Neues, sondern indem wir uns erinnern,
billigen wir es, daß es so ist, wie gesagt wurde. Wenn er aber
ganz dem Geiste entfallen wäre, so würden wir auch ermahnt
uns nicht daran erinnern. Denn das haben wir noch nicht völlig
vergessen, wovon wir uns auch nur erinnern, daß wir es vergessen
haben. Das also werden wir nicht als Verlorenes suchen können, was
wir überhaupt vergessen haben.
Zehntes Buch - Zwanzigstes Kapitel
Wie nun suche ich dich, Herr?
Denn wenn ich dich als meinen Gott suche, so suche ich das selige
Leben. ich will dich suchen, damit meine Seele lebe. Denn es lebt mein
Leib von meiner Seele und meine Seele lebt von dir. Wie also suche ich
das selige Leben, da ich es noch nicht besitze, bis ich sage: +Ich habe
genug«, hier, wo ich es sagen muß? Wie suche ich es? Etwa
mittels der Erinnerung, als ob ich es vergessen habe und mich für
einen halte, der es vergessen hat; oder durch die Begierde, es als
etwas Unbekanntes kennenzulernen, oder als Solches, von dem ich noch
niemals gewußt oder das ich derart vergessen habe, daß ich
mich nicht erinnere, es vergessen zu haben? Ist das nicht das selige
Leben, welches alle haben wollen und wo überhaupt keiner ist, der
es nicht haben wollte? Woher kennen sie es, daß sie so danach
trachten? Wo haben sie es gesehen, daß sie es lieben? Wir haben
es, ich weiß nicht wie. Aber verschieden ist die Art, in welcher
jeder glücklich ist, wenn er es hat; und es gibt welche, die in
der Hoffnung glücklich sind. Sie haben es in einem niedereren
Grade als die, welche schon durch die Hoffnung glücklich sind; und
doch sind sie besser als die, welche weder in der Tat noch in der
Hoffnung selig sind. Wenn sie selbst nicht auf irgendeine Art sie
besäßen, so würden sie nicht also selig sein wollen,
wie es von ihrem Willen als ganz bekannt feststeht. Ich weiß
nicht, auf welche Weise sie die Seligkeit kennengelernt haben, und doch
haben sie dieselbe infolge einer Kunde, betreffs welcher ich mich
sorge, ob sie im Gedächtnis, ruhe; denn wenn sie dort ruht, so
waren wir schon einmal glücklich, ob hie das alle einzeln waren
oder ob in jenem Menschen, der zuerst gesündigt, in dem wir auch
alle gestorben sind und aus dem wir alle im Elend geboren sind, danach
frage ich jetzt nicht; aber ich frage, ob im Gedächtnis die
Seligkeit ruhe. Denn wir könnten sie nicht lieben, wenn wir sie
nicht kennten. Wir hören diesen Namen und bekennen, daß wir
alle nach der Sache selbst trachten; denn nicht am Klange finden wir
Ergötzen. Denn hört das der Grieche auf Lateinisch, so freut
es ihn nicht, denn er versteht nicht, was gesagt wurde; wir Lateiner
aber ergötzen uns wie jener, wenn er es auf Griechisch hörte;
die Sache selbst ist ja weder Griechisch noch Lateinisch, welche zu
erlangen die Griechen und Römer begierig trachten, sowie alle
anders redenden Menschen. Sie ist demnach allen bekannt, und
könnte man in Einer Sprache sie fragen, ob sie selig werden
wollten, sie würden ohne Zweifel mit ja antworten. Das würde
nicht geschehen, wenn nicht die Sache selbst, für welche das der
Name ist, in ihrem Gedächtnis festgehalten würde.
Zehntes Buch - Einundzwanzigstes Kapitel
Ist es mit dein
Gedächtnis so, wie sich jemand Karthagos erinnert, wenn er es
gesehen hat? Nein; das selige Leben wird nicht mit Augen gesehen, denn
es ist nicht körperlich. Ist es so, wie wenn wir uns der Zahlen
erinnern? Nein. Denn wer sie kennt, sucht nicht mehr in ihren Besitz zu
kommen; vom seligen Leben aber haben wir Kunde, darum lieben wir es,
und doch wollen wir es erlangen, um selig zu sein. Ist es so, wie wenn
wir uns der Beredsamkeit erinnern? Nein, wenn auch bei Nennung ihres
Namens sich an die Sache selbst erinnern diejenigen, welche noch nicht
beredt sind, und viele es zu sein wünschen, woher es sich
offenbart, daß sie im Bereich ihrer Kunde liegt, so haben sie
durch ihre körperlichen Sinne nur andere beredt gesehen und sind
dadurch ergötzt worden und wünschten es zu sein, obgleich sie
nur durch ihre innere Kunde dadurch ergötzt würden und es
nicht zu sein wünschten, wenn sie nicht ergötzt würden;
aber die Seligkeit erfahren wir mit keinem körperlichen Sinne an
anderen. Ist es so, wie wir uns an die Freude erinnern? Vielleicht ist
es so. Denn an meine Freude erinnere ich mich auch, wenn ich traurig
bin, sowie an die Seligkeit, wenn ich elend bin: denn nie habe ich mit
meinem leiblichen Sinne die Freude gesehen, gehört, gerochen,
geschmeckt, berührt; sondern in meiner Seele habe ich es
empfunden, wenn ich froh bin, und es haftet daran die Kunde in meinem
Gedächtnis, so daß ich mich zuweilen daran erinnern kann mit
Geringschätzung, dann wieder mit Sehnsucht, je nach
Verschiedenheit der Dinge, über welche ich mich gefreut zu haben
erinnere. Denn auch schändliche Genüsse haben mich mit einer
gewissen Freude erfüllt, was ich jetzt, wo ich mich daran
erinnere, durchaus verwünsche; zuweilen empfinde ich auch
über Gutes und Ehrenwertes, wonach ich mich sehne, obwohl es nicht
mehr da ist, darum traurig noch Freude.
Wenn nun und wo erfuhr ich von
meinem seligen Leben, daß ich daran denke, es liebe und erstrebe?
Und nicht nur ich oder mit wenigen, sondern alle wollen selig werden.
Wenn wir keine sichere Kunde davon hätten, würden wir nicht
mit so festem Willen danach streben. Aber wie ist es, wenn man zwei
fragt, ob sie Kämpfer werden wollten, so könnte der eine von
ihnen sagen, daß er es wolle, der andere, daß er es nicht
wolle; wenn man sie aber fragt, ob sie selig werden wollen, so
würde sich dies sofort jeder von ihnen wünschen; und jener
wollte nur darum Kämpfer werden, dieser nicht, weil sie selig
werden wollen. Darum der eine auf diese, der andere auf jene Weise sich
freut und so sie alle übereinstimmen, selig werden zu wollen, wie
würden sie übereinstimmen, wenn sie so gefragt würden,
daß sie wollten Freude haben und gar die Freude selbst Seligkeit
nennen? Wenn der eine auf diese, der andre auf jene Weise die Seligkeit
erstrebt, so ist es doch eines, dahin zu gelangen sie trachten,
daß sie Freude haben. Da nun das eine Sache ist, deren teilhaftig
zu sein niemand behaupten kann, so wird deshalb, wenn man den Namen
Seligkeit hört, dieselbe nach dem im Gedächtnis vorgefundenen
Begriffe gedacht.
Zehntes Buch - Zweiundzwanzigstes Kapitel
Fern sei es, Herr, fern sei es
von dem Herzen deines Knechtes, der dir bekennet, fern sei es,
daß ich in jeder Freude, der ich mich freue, mich für
glückselig halte. Denn es gibt eine Freude, die die Gottlosen
nicht haben, sondern die empfangen sie, die dich verehren, ohne es sich
verdienstlich anzurechnen, deren Freude du selbst bist. Darin besteht
das selige Leben selbst, sich zu dir zu freuen, um deinetwillen, und
außerdem gibt's kein anderes seliges Leben. Die aber glauben,
daß es ein anderes gebe, trachten nach andrer Freude und nicht
nach dem Wahren selbst. jedoch von irgendeiner Vorstellung von Freude
wendet sich ihr Wille nicht ab.
Zehntes Buch - Dreiundzwanzigstes Kapitel
Somit steht es also nicht
fest, daß alle glücklich zu sein wünschen, denn die,
weiche an dir nicht ihre Freude haben wollen, der du allein das selige
Leben bist, wollen überhaupt das selige Leben nicht. Oder wollen
es doch alle? Aber da das Fleisch gelüstet wider den Geist und den
Geist wider das Fleisch, also daß sie nicht tun, was sie wollen,
so verfallen sie auf das, was sie vermögen, und begnügen sich
damit, weil sie das, was sie nicht vermögen, nicht so innig
verlangen als nötig, um vermögend zu werden. Denn ich frage
alle, ob sie nicht lieber sich der Wahrheit als des Irrtums freuen
wollen, und sie tragen so wenig Bedenken, sich auf Seite der Wahrheit
zu stellen, als sie nicht anstehen zu sagen, daß sie selig werden
wollen. Denn das selige Leben ist die Freude an der Wahrheit. Das
nämlich ist die Freude an dir, der du die Wahrheit bist, Herr,
mein Licht, meines Angesichts Hilfe, mein Gott. Dies selige Leben
wollen alle, dies Leben, das allein selig ist, wollen alle, die Freude
an der Wahrheit wollen alle. Ich lernte zwar viele kennen, die
betrügen wollten, aber keinen, der betrogen werden wollte. Wo also
lernten sie dies selige Leben kennen, wenn nicht dort, wo sie die
Wahrheit kennenlernten? Denn sie lieben sie auch selbst, weil sie nicht
betrogen werden wollen. Und indem sie das selige Leben lieben, so ist
es nichts anderes als die Freude an der Wahrheit, überall heben
sie auch die Wahrheit; und nicht würden sie dieselbe lieben, wenn
es nicht irgendwelche Kunde davon in ihrem Gedächtnis gäbe.
Warum also freuen sie sich ihrer nicht? Warum sind sie nicht selig?
Weil sie stärker auf anderes versessen sind, was
größere Macht hat, sie elend zu machen, als das sie zu
beseligen vermag, dessen sie sich nur schwach erinnern. Bis jetzt
nämlich ist noch ein schwaches Licht in den Menschen; sie
mögen wandeln, wandeln, daß sie die Finsternis nicht
überfalle.
Warum aber erzeugt die
Wahrheit Haß, warum gilt ihnen der Mann als Feind, der ihnen die
Wahrheit sagt, während doch das ewige Leben geliebt wird, das
nichts anderes ist als Freude an der Wahrheit; weil nur so die Wahrheit
geliebt wird, daß, wer etwas anderes liebt, daß das, was er
liebt, die Wahrheit sei; und weil sie nicht getäuscht werden
wollen, wollen sie sich nicht überführen lassen, daß
sie betrogen sind. Daher hassen sie deshalb die Wahrheit, was sie als
Wahrheit lieben. Sie lieben nur die aufklärende Wahrheit und
hassen die strafende. Denn sie wollen nicht getäuscht werden und
wollen doch täuschen, und darum lieben sie die Wahrheit, wenn sie
sich offenbart, und hassen sie, wenn dieselbe sie selbst anzeigt. Darum
wird sie ihnen vergelten, so daß sie die, welche sich nicht von
ihr aufdecken lassen wollen, trotzdem aufdeckt und doch selbst dabei
verborgen bleibt. So, auch so will der menschliche Geist blind und
matt, schändlich und unanständig sich verbergen, will aber
nicht, daß ihm etwas verborgen sei. Aber es wird ihm vergolten
werden, daß er vor der Wahrheit nicht verborgen bleibe, sondern
die Wahrheit vor ihm. Und doch, solange sie so elend ist, will sie
lieber an dem Wahren sich freuen als an dem Falschen. Selig also wird
der sein, der ohne beschwerliche Störung an der Wahrheit selbst,
durch welche alles wahr ist, Freude findet.
Zehntes Buch - Vierundzwanzigstes Kapitel
Siehe, wie ich den Raum des
Gedächtnisses durchgegangen bin, dich suchend, Herr, und habe dich
nicht gefunden außerhalb desselben. Und dabei habe ich nichts von
dir gefunden, was nicht Erinnerung von der Zeit her wäre, da ich
dich kennengelernt. Denn seitdem ich dich kennenlernte, habe ich deiner
nicht vergessen. Denn wo ich die Wahrheit fand, da fand ich meinen
Gott, die Wahrheit selbst, die ich, seitdem ich sie kennenlernte, nicht
mehr vergessen habe. Seitdem ich dich daher kennengelernt habe, bleibst
du in meinem Gedächtnis, und da finde ich dich, wenn ich mich an
dich erinnere und in dir mein Ergötzen finde. Das sind meine
heiligen Wonnen, die du mir geschenkt hast nach deinem Erbarmen meine
Armut ansehend.
Zehntes Buch - Fünfundzwanzigstes Kapitel
Aber wo bleibst du in meinem
Gedächtnis, Herr, wo bleibst du da? Was für eine geheime
Stätte hast du dir zubereitet? Was für ein Heiligtum hast du
dir errichtet? Du hast mein Gedächtnis gewürdigt, in ihm zu
wohnen, aber in welchem Teile desselben du dich aufhältst, das
überlege ich. ich ging durch die Teile desselben, die auch die
Tiere haben, als ich dein gedachte, da ich dich nicht daselbst fand
unter den Bildern von körperlichen Dingen; und ich kam zu den
Teilen desselben, wo sich die Gemütsbewegungen befinden, und fand
dich auch da nicht. Da ging ich zu dem Sitz meiner Seele selbst, der in
meinem Gedächtnis ist, da die Seele sich auch ihrer selbst
erinnert, und auch da warst du nicht; denn du bist nicht das Bild eines
Körperlichen noch das Gefühl eines Lebenden, wie es ist, wenn
wir uns freuen, trauern, Verlangen tragen, Furcht haben, uns erinnern,
vergessen und dergleichen; nicht bist du selbst eine Seele, weil du der
Herr und Gott der Seele bist. Und das alles verändert sich, du
aber bleibst unveränderlich über allem; und du hast mich
gewürdigt, zu wohnen in meinem Gedächtnis, seit ich dich
lerne. Und was frage ich, an welchem Orte des Gedächtnisses du
wohnst, als wenn wirklich Räume daselbst wären? Du wohnst
gewißlich in ihm, seitdem ich dich lerne, und in ihm finde ich
dich, wenn ich mich deiner erinnere
Zehntes Buch - Sechsundzwanzigstes Kapitel
Wo also fand ich dich, um dich
zu lernen? Denn noch nicht warst du in meinem Gedächtnis, ehe ich
dich lernte. Wo also fand ich dich, um dich zu lernen, wenn nicht in
dir, über nur? Und nirgends ein Ort, wir mögen
zurückgehen oder uns ihm nahen; und nirgends ein solcher Ort. Als
die Wahrheit waltest du überall über denen, die dich angehen
um Rat, und antwortest zugleich allen, die auch verschiedenes dich
fragen. Klar antwortest du, aber nicht klar hören alle. Das ist
dein bester Diener, der weniger darauf sieht, das von dir zu
hören, vvas er will, als vielmehr das zu wollen, vas er von dir
hört.
Zehntes Buch - Siebenundzwanzigstes Kapitel
Spät habe ich dich
geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät habe ich
dich geliebt! Und siehe, du watest im Innern, und ich war draußen
und suchte dich dort; und ich, mißgestaltet, verlor mich
leidenschaftlich in die schönen Gestalten, welche du geschaffen.
Mit mir warst du und ich war nicht mit dir. Die Außenwelt hielt
mich lange von dir fern, und wenn diese nicht in dir gewesen wäre,
so wäre sie überhaupt nicht gewesen. Du riefest und schriest
und brachst meine Taubheit. Du schillertest, glänztest und
schlugst meine Blindheit in die Flucht. Du wehtest und ich
schöpfte Atem und atme zu dir auf Ich kostete dich und hungre und
dürste. Du berührtest mich und ich entbrannte in deinem
Frieden.
Zehntes Buch - Achtundzwanzigstes Kapitel
Wenn ich ganz an dir hangen
werde, so werde ich keinen Schmerz mehr haben und keine Arbeit; und
mein Leben wird lebendig sein, ganz erfüllt von dir. Nun aber,
weil du den, welchen du erfüllst, erhebst, so bin ich, weil ich
nicht von dir erfüllt, mir zur Last. Es kämpfen meine
beweinenswerten Freuden mit meiner erfreulichen Trauer; auf welcher
Seite der Sieg sein wird, weiß ich nicht. Wehe mir! Herr, erbarme
dich meiner. Weh mir! Siehe, meine Wunden verberge ich nicht: du bist
der Arzt, ich der Kranke; du bist barmherzig, ich erbarmenswürdig.
Ist das menschliche Leben auf Erden nicht eine stete Versuchung? Wer
wünschte sich Beschwerden und Mühseligkeiten? Zu ertragen
heißest du sie, nicht zu lieben. Niemand liebt, was er
trägt, wenn er auch zu tragen liebt. Denn obgleich er an dem
Tragen Freude hat, so will er doch lieber, daß es nicht vorhanden
sei, was er trägt. Günstiges ersehne ich bei
Widerwärtigem und Widerwärtiges fürchte ich bei
Günstigem. Wo ist zwischen diesen die Mitte, wo das menschliche
Leben keine Versuchung ist? Wehe dem zeitlichen Glück, doppeltes
Wehe um der Furcht vor Widerwärtigkeit und um der Freude willen,
welche verdirbt! Wehe über die zeitlichen Widerwärtigkeiten,
dreifaches Weh, weil der Unglückliche nach Glück verlangt,
die Widerwärtigkeit selbst hart und Gefahr ist, daß sie die
Geduld zerbricht! Ist nicht Versuchung das menschliche Leben auf Erden
ohne irgendwelche Unterbrechung?
Zehntes Buch - Neunundzwanzigstes Kapitel
Alle meine Hoffnung ruht nur in deinem
übergroßen Erbarmen. Gib, was du befiehlst, und befiehl, was
du willst. Du befiehlst uns Enthaltsamkeit. Da ich aber erfuhr, sagt
einer, daß ich nicht anders könnte züchtig sein, es
gäbe mir es denn Gott, so war dasselbige auch Klugheit, erkennen,
wes solche Gnade ist. Durch die Enthaltsamkeit werden wir ja gesammelt
und zu dein Einen zurückgebracht, von welchem weg wir in das Viele
zerflossen sind. Weniger nämlich liebt dich, wer mit dir zugleich
etwas liebt, was er nicht deinetwegen liebt. 0 Liebe, die du immer
brennst und nimmer erlischest. Liebe, du mein Gott, entzünde mich.
Enthaltsamkeit befiehlst du; gib, was du befiehlst, und befiehl, was du
willst.
Zehntes Buch - Dreißigstes Kapitel
Bestimmt befiehlst du,
daß ich mich enthalte von Fleischeslust, Augenlust und
hoffärtigem Wesen. Du warnst vor Beischlaf; betreffs der Elle
selbst warnst du besser davor, als daß du ihr Zugeständnisse
machst. Und da du mir das gewährtest, geschah es, ehe ich noch
Verwalter deines Sakramentes war. Aber noch leben in meiner Erinnerung,
darüber ich vieles geredet habe, die Bilder der Dinge, die dort
die Gewohnheit festgeheftet hat; und sie begegnen mir im Wachen, der
Kraft zwar entbehrend, im Schlafe aber steigern sie sich nicht nur bis
zum Ergötzen, sondern bis zur höchsten Beistimmung. Und so
viel vermag das Trugbild in meiner Seele und meinem Fleische, daß
falsche Bilder der Schlafenden zu etwas verlocken, wozu mich, wenn ich
wache, wahre nicht verlocken können. Bin ich dann nicht ich, Herr
mein Gott? Und doch bin ich vom Augenblick, da ich vom wachen Zustande
in den Schlaf übergehe, bis ich aus dem Schlaf zum Wachen
zurückkehre, wie ein andrer Mensch. Wo ist die Vernunft, welche im
Wachen solchen Einwirkungen widersteht? Wenn auch selbst sich
lüstern, so bleibt sie doch unbewegt. Schließt sie sich mit
den Augen zu? Wird sie eingeschläfert mit den Sinnen des
Körpers? Und woher kommt es, daß wir ihnen auch im Schlaf
widerstehen, unsres Vorsatzes eingedenk, und dabei ganz keusch
beharrend, ohne solchen Verlockungen beizustimmen? Und doch ist ein
Unterschied zwischen mir und mir, so daß, wenn das andere der
Fall ist, sobald ich erwache, mein Gewissen sich beruhigt, und ich
finde, eben wegen dieser Verschiedenheit von mir selbst, daß ich
das nicht getan habe, wiewohl es mich schmerzt, daß es
gewissermaßen in mir geschehen.
Aber bist du nicht
mächtig, allmächtiger Gott, alle Schlafsucht meiner Seele zu
heilen und mit noch reicherer Gnade die lüsternen Regungen auch
meines Schlafes zu tilgen? - Du wirst, o Herr, mehr und mehr in mir
deine Gaben mehren daß meine Seele mir folgt zu dir, frei vom
Fleische der Begierde, so daß sie nicht mit sich selbst im
Widerspruch und nie auch im Schlafe jene geilen Schändlichkeiten
nicht nur durch tierische Bilder nicht ausübe bis zur Erschlaffung
des Fleisches, sondern nicht einmal beistimme. Denn daß nichts
dergleichen, auch nicht das geringste in mir aufsteigen darf, nicht so
viel, als durch einen Wink unterdrückt werden könnte, selbst
wenn sich mir im Schlafe unreine Gedanken regten nicht nur in diesem
Leben, sondern auch in meinem jetzigen Lebensalter, das ist dir, dem
Allmächtigen, ein Geringes, der du tun kannst über alles, was
wir bitten und verstehen. Nun habe ich meinen jetzigen Zustand meines
Übels dir genannt, mein guter Herr, mich freuend mit Zittern
darüber, was du mir geschenkt hast, und trauernd darüber,
darin ich noch nicht vollkommen bin, hoffend, daß du an mir dein
Erbarmen vollenden werdest bis zum völligen Frieden, den mit dir
haben wird mein innerer und äußerer Mensch, wenn der Tod
verschlungen sein wird in den Sieg.
Zehntes Buch - Einunddreißigstes Kapitel
Es gibt noch eine andere Plage
des Tages, o böte er sonst keine. Dein Verfall des Leibes
müssen wir täglich durch Essen und Trinken begegnen, bevor du
die Speise und den Leib hinrichtest, wenn du getötet haben wirst
meine Ungenügsamkeit durch deine wunderbare Sättigung und das
Vergängliche wird angezogen haben das Unvergängliche auf
ewig. Nun aber ist mir das Bedürfnis angenehm und ich kämpfe
dagegen an, nicht von solcher Annehmlichkeit in Beschlag genommen zu
werden; und ich kämpfe einen täglichen Krieg in
Enthaltsamkeit, oft meinen Körper unterjochend; und meine
Schmerzen werden durch Lust vertrieben.
Denn Hunger und Durst sind
gewisse Schmerzen; sie brennen, und wie das Fieber töten sie, wenn
nicht das Heilmittel der Nahrung zugeführt wird. Weil solch
Heilmittel immer zu haben ist in deinen uns tröstenden Gaben, bei
welchen unserer Schwachheit Erde und Wasser und Himmel dienen, so wird
der Schmerz Ergötzen genannt.
Das hast du mich gelehrt,
daß ich wie Heilmittel die Nahrung nehme. Aber während ich
zur Ruhe des Sattseins von dem Beschwernis der Ungenügsamkeit
übergehe, droht mir bei solchem Übergange der Fallstrick der
Begehrlichkeit. Denn der Übergang selbst ist schon Ergötzen
und es gibt keinen andern Übergang als den, dazu die Notwendigkeit
zwingt. Und während der Grund des Essens und Trinkens der ist,
daß es heilend wirken soll, so schließt sich doch daran
gleichsam das auf dem Fuße folgende Ergötzen an; und
erkühnt sich meistens voranzugehen, so daß es zum Grunde
dafür wird, daß ich es um der Gesundheit willen zu tun sage
oder will. jedoch gibt es nicht ein gleiches Maß für beides:
denn was für die Gesundheit hinreichend ist, das ist für das
Vergnügen zu wenig. Und oft ist es ungewiß, ob die
notwendige Sorge für den Leib Hilfe verlangt oder täuschende
Eßlust bedient sein will. Diese Ungewißheit erfreut die
unglückliche Seele, auf sie fußend, ersinnt sie eine
vorschützende Entschuldigung, indem sie sich freut, daß es
ihr nicht klar sei, wie viel die maßhaltende Sorge für die
Gesundheit verlange, um so das, was aus Leckerei geschieht, zu
verstecken hinter dem Vor-wand, es geschehe nur zum Wohl. Diesen
Versuchungen versuche ich täglich zu widerstehen, rufe deine Hand
an und wälze all meine Glut auf dich, weil ich hierüber noch
nicht sichern Rat weiß.
Da höre ich die
gebietende Stimme meines Gottes: "Beschweret eure Herzen nicht mit
Fressen und Saufen. « Trunkenheit ist feme von mir; erbarme du
dich, daß sie mir nicht naher. Weinrausch hat noch nie deines
Knechtes sich bemächtigt; erbarme du dich, daß er ferne von
mir bleibe. Denn niemand kann züchtig sein, es gäbe ihm es
denn Gott. Vieles gibst du uns, wenn wir bitten; und was Gutes wir, ehe
wir baten, empfingen, haben wir von dir empfangen. Trunken war ich nie,
kenne aber Trunkene, die du ernüchtert hast. Dir also ist es zu
verdanken, daß sie das nicht wurden, was sie nie geworden, dem es
zu verdanken ist, daß sie das nicht immer waren, was sie waren,
dem es auch zu verdanken ist, daß beide wußten, wem es zu
verdanken ist. Ich hörte auch ein ander Wort: "Folge nicht deinen
bösen Lüsten, sondern brich deinen Willen." Ich hörte
auch jenes Wort, das ich sehr liebe nach deiner Gnade: "Essen wir, so
werden wir darum nicht besser sein; essen wir nicht, so werden wir
darum nichts weniger sein. « Das heißt: Es wird mich weder
jenes reich noch dieses elend machen. Ich hörte noch ein ander
Wort: "Denn ich habe gelernet, bei welchen ich bin, mir genügen zu
lassen. Ich kann beides: übrig haben und Mangel leiden. Ich vermag
alles durch den, der mich mächtig macht." Siehe, so spricht der
Streiter des himmlischen Heeres, nicht der Staub, der wir sind. Aber
denke daran, Herr, daß wir Staub sind, und vom Staube hast du den
Menschen gemacht; er war verloren und ist wiedergefunden. Auch der
vermochte das nicht durch sich, weil er gleicherweise Staub war, den
ich liebte, als er durch den Hauch deiner Eingebung folgendes sagte:
"Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht." Stärke
mich, daß ich das auch kann. Gib, was du befiehlst, und befiehl,
was du willst. Paulus gesteht, es empfangen zu haben, und was er sich
rühmt, das rühmt er sich in Gott. Ich hörte einen
anderen, der darum bat, daß er es empfinge: "Wende von mir alle
bösen Lüste". Daraus geht hervor, heiliger Gott, daß du
gibst, wenn geschieht, was du befiehlst, daß es geschieht. ]Du
lehrtest mich, guter Vater: "Es ist zwar alles rein; aber es ist nicht
gut dem, der es isset nur einem Anstoß seines Gewissens." Und
"alle Kreatur Gottes ist gut und nichts verwerflich, das mit Danksagung
empfangen wird"; und: "die Speise fördert uns nicht vor Gott";
und: "so lasset nun niemand uns Gewissen machen über Speise oder
über Trank"; und: "welcher isset, der verachte den nicht, der da
nicht isset; und welcher nicht isset, der richte den nicht, der da
isset." Ich lernte dies; Lob dir, Dank dir, meinem Gott, meinem Lehrer,
der du mein Ohr getroffen, mein Herz erleuchtet: entreiße mich
aller Versuchung. Nicht fürchte ich die Unreinigkeit der Speise,
sondern die Unreinigkeit der Begierde. Ich weiß, daß dem
Noah alles Fleisch, das zur Speise diente, zu essen erlaubt war;
daß Elias durch Fleischspeise gekräftigt wurde; daß
Johannes infolge seiner wunderbaren Enthaltsamkeit, durch Essen von
Tieren, nämlich von Heuschrecken, nicht befleckt worden ist. Ich
weiß aber auch, daß Esau durch sein Begeht nach Linsen
betrogen wurde, daß David einst wegen seiner Sehnsucht nach
Wasser sich selbst tadelt und daß unser König (des Himmels)
nicht mit Fleisch, sondern mit Brot versucht ward. Daher erwarb sich
das Volk in der Wüste Mißgunst, nicht weil es nach Fleisch
trachtete, sondern weil es aus Eßgier wider Gott murrte.
In diese Versuchungen
gestellt, kämpfe ich täglich gegen die Begier zu essen und zu
trinken: denn nicht ist es möglich, daß ich es ein für
allemal abschneiden kann und es nicht mehr zu berühren
beschließe, so wie ich*s beim Beischlaf vermocht habe. Daher
muß ich die Zügel meiner Kehle bald locker lassen, bald
fester anziehen. Und wer ist, Herr, der sich nicht etwas über das
Maß des Notwendigen hinreißen ließe? Wer es auch ist,
er steht groß da; er erhöhe deinen Namen. Ich aber bin es
nicht, denn ich bin ein sündiger Mensch. Aber auch ich preise
deinen Namen; und es bittet vor dir für meine Sünden, der die
Welt überwand, mich aufnehmend unter die schwachen Glieder seines
Leibes, denn deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war; und
waren alle Tage auf dein Buch geschrieben, die noch werden sollten.
Zehntes Buch - Zweiunddreißigstes Kapitel
Über die Versuchung der
Wohlgerüche ängstige ich mich nicht zu sehr. Sind sie nicht
da, so suche ich sie nicht; sind sie da, so verachte ich sie nicht,
stets bereit, sie auch zu entbehren. So kommt es mir vor; vielleicht
täusche ich mich darüber. In mir ist beklagenswerte
Finsternis, welche mir es verbirgt, wozu ich fähig bin, so
daß mein Geist, wenn er sich über seine Kräfte befragt,
sich nicht so leicht Glauben schenkt, weil das Innere meist auch
verborgen ist, wenn es nicht die Erfahrung an den Tag bringt. Und
niemand soll in diesem ],eben sicher werden, denn muß nicht der
Mensch immer im Streit sein auf Erden, ob er aus einem schlechteren ein
besserer werde, damit er nicht aus einem besseren ein schlechterer
werde? Eine Hoffnung, eines, darauf man trauen kann, eine sichere
Verheißung ist dein Erbarmen.
Zehntes Buch - Dreiunddreißigstes Kapitel
Die Vergnügungen der
Ohren nahmen mich fester in Beschlag und unterjochten mich; aber du
hast mich davon gelöst und befreit. jetzt bekenne ich, daß
ich mich den von deinen Worten beseelten Tönen etwas hingebe, wenn
sie mit lieblicher und künstlerischer Stimme gesungen werden,
jedoch nicht so, daß ich mich nicht von ihnen trennen
könnte, sondern daß ich aufstehen kann, wenn ich will. Aber
um bei mir, vereint mit den sie belebenden Textworten, selbst
zugelassen zu werden, verlangen die Töne auch einen
einigermaßen würdigen Platz in meinem Herzen, und kaum
weiß ich ihnen einen passenden anzuweisen. Manchmal glaube ich
ihnen mehr Ehre anzutun, als ihnen gebührt, wenn ich merke,
daß mein Gemüt durch die heiligen Worte in eine höhere
religiöse Begeisterung gerät, wenn sie also gesungen werden,
als wenn sie nicht gesungen würden, und daß alle Stimmungen
des Geistes nach ihrer Verschiedenheit eigentümliche Weisen haben
in der Stimme und im Gesang, durch deren mir unbekannte geheime
Sympathie sie erregt wurden. Aber das Ergötzen meines Fleisches,
dem das Gemüt nicht darf zur Entnervung preisgegeben werden,
täuscht mich oft, während die Empfindung das Denken nicht so
begleitet, daß es hintansteht, sondern weil sie des Denkens
halber verdient hat, zugelassen zu werden, versucht, auch voranzueilen
und die Führerschaft zu übernehmen Also fehle ich auch darin,
ohne daß ich es merke; ich merke es vielmehr erst hinterher.
Zuweilen hüte ich mich
jedoch vor solcher Selbsttäuschung allzusehr und irre aus allzu
großer Strenge: und zuweilen wünsche ich, daß alle die
lieblichen Sangesweisen, in denen Davids Psalter wiederholt gesungen
wird, von meinen Ohren und selbst von der Kirche fernbleiben
möchten; es scheint mir sicherer, was mir, wie ich mich erinnere,
von dem Bischof von Alexandrien, Athanasius, oft gesagt worden ist,
weicher den Vorleser die Psalmen nur mit wenigen Tönen
psalmodieren ließ, so daß der Vortrag dem Sprechen
ähnlicher war als dem Singen. Wiederum, wenn ich gedenke meiner
Tränen, die ich vergoß bei den Gesängen deiner Kirche
bei meiner Bekehrung und daß ich auch jetzt noch bewegt werde
nicht durch den Gesang, sondern durch den Inhalt des Gesanges,
daß er mit fließender und passendster Melodie gesungen
wird, dann erkenne ich wiederum den großen Nutzen dieser
Einrichtungen. So schwanke ich zwischen der Gefahr des Ergötzens
und der Erfahrung von der Heilswirksamkeit, und so werde ich mehr und
mehr dazu geführt, ohne dabei eine abgetane Meinung zum Vorschein
zu bringen, die Gepflogenheit, in der Kirche zu singen, zu billigen,
damit durch das Ergötzen der Ohren ein schwacher Geist sich zu
einer frommen Stimmung emporheben könne. jedoch, wenn es mir
widerfährt, daß mich mehr der Gesang als der Inhalt, der
gesungen wird, bewegt, so Bestehe ich, daß ich
sträflicherweise sündige und wollte dann lieber den
Sänger nicht hören. So steht es mit mir -, weinet mit mir und
weinet für mich, die ihr etwas Gutes im Herzen bewegt, aus welchem
Taten hervorgehen. Die ihr aber nicht handelt, euch kann das nicht
bewegen. Du aber, Herr mein Gott, erhöre, siehe mich an und siehe
und erbarme dich meiner und heile mich, du, vor dessen Augen ich mir
selbst zum Rätsel geworden bin und zur sittlichen Schwäche.
Zehntes Buch - Vierunddreißigstes Kapitel
Noch sind in meinen
Bekenntnissen, welche hören mögen die Ohren deines Tempels,
die Ohren der Brüder und der Frommen, die fleischlichen
Augenergötzungen zu erwähnen, um abzuschließen mit den
Versuchungen der fleischlichen Lust, welche mich noch seufzen und
verlangen machen nach unserer Behausung, die vom Himmel ist, daß
wir damit überkleidet werden. Schöne und mannigfaltige
Formen, glänzende und liebliche Farben lieben die Augen.
Mögen sie nicht meine Seele fesseln; möge die Seele Gott
fesseln, der dies gemacht hat, und zwar sehr gut; er selbst ist mein
Gut, nicht sie. Sie berühren mich, wenn ich wache, den ganzen Tag,
und es wird mir keine Ruhe vor ihnen gewährt wie vor der Stimme
des Gesanges und zuweilen überhaupt vor allem, wenn ich in die
Stille mich zurückziehe. Denn dies Licht ist die Königin der
Farben, alles Sichtbare durchströmend, wo ich auch den Tag
über bin, indem es mir auf vielfache Weise in die Augen fällt
und mir, wem ich etwas anderes tue, schmeichelt, so daß ich es
nicht von mir abwenden kann. Es schmeichelt sich aber so stark ein,
daß es, wird es plötzlich entfernt, sehnlichst wieder
verlangt wird: und, ist es lange fern, es den Geist traurig stimmt.
O Licht, das Tobias schaute,
als er mit geschlossenen Augen dem Sohne den Weg des Lebens lehrte und
ihm voranging in der Liebe, ohne zu irren. Oder du Licht, das Isaak sah
mit altersmüden und schwachen Augen, als A ihm vergönnt
wurde, seine Söhne zu segnen, nicht weil er sie erkannte, sondern
durch sein Segnen erkannte er sie. Oder du Licht, das Jakob sah, als er
selbst im hohen Alter des Augenlichts beraubt, aus lichtem Herzen
ausstrahlte die in seinen Söhnen zum voraus bezeichneten
Stämme des künftigen Volkes und seinen Enkeln, Josefs
Söhnen die in wundersamer Weise übers Kreuz gelegten
Hände auflegte, nicht wie es ihr Vater mit leiblichem Sinn
forderte, sondern wie es ihm selbst sein Inneres hieß. Das ist
das allein wahre Licht, und eins sind alle, die es sehen und lieben.
Aber jenes körperliche Licht, von dem ich redete, würzt den
innerlich blinden Liebhabern der Welt ihr Leben mit verlockender,
gefährlicher Süßigkeit. Die aber über dasselbe
dich zu loben wissen, "Gott, Schöpfer von allem", die nehmen das
Licht in den Lobgesang auf dich auf und werden nicht von ihm
hinweggenommen in ihrem Schlafe. So wünsche ich zu sein. Ich
widerstehe den Verführungen der Augen, damit sie nicht umstricken
meinen Fuß, mit welchem ich deinen Weg wandle; und ich erhebe zu
dir die unsichtbaren Augen, damit du meinen Fuß aus dem Netze
ziehest. Du befreist sie, denn sie werden sonst verstrickt. Du
hörst nicht auf mit Befreien, ich aber hafte oft noch an dem
überall gestellten Hinterhalt: denn siehe, der Hüter Israels
schläft noch schlummert nicht. Wie vieles Unzählige, in
verschiedenen Kunstwerken, in Gewändern, Schuhwerk,
Gefäßen und allerhand Gebilden, in Malereien und
verschiedenen Bildern, und das den notwendigen Gebrauch in seiner
Beschränktheit und die fromme Bedeutung weit überschreitend,
fügten die Menschen hinzu zur Verführung der Augen, indem sie
außen dem nachgehen, was sie schaffen, innerlich den verlassen,
von welchem sie geschaffen sind, und das von sich verbannen, als was
sie geschaffen sind. Aber ich, mein Gott und meine Zierde, singe auch
hier dir meinen Lobgesang und opfere dem Lob, der sich für mich
geopfert hat; weil das Schöne, durch die Seelen in
künstlerische Hände hinübergeleitet, von der
Schönheit stammt, welche über den Seelen ist, wonach meine
Seele Tag und Nacht seufzt. Aber der äußeren Schönheit
Künstler und Liebhaber stimmen dem Schönen nur bei, ohne es
zu benutzen. Und da ist Gott da, und sie sehen ihn nicht, So daß
sie sich noch weiter von ihm entfernen und ihre Stärke unter
deinen Schutz stellen und sie nicht in wollüstigen
Abschwächungen vergeuden. Ich aber, der ich dies sage und
darüber urteile, hefte doch meinen Fuß an dies Schöne;
aber du, Herr, befreie mich, befreie mich, denn deine Güte ist vor
meinen Augen. Ich werde oft in bedauerlicher Weise befangen, du aber
befreiest mich nach deiner Erbarmung, oft ohne daß ich es
wußte, weil ich unüberlegt hineinfiel, oft mit Schmerz, weil
ich schon darin befangen war.
Zehntes Buch - Fünfunddreißigstes Kapitel
Dazu kommt noch eine andere
vielfach gefährlichere Gestalt der Versuchung, denn außer
der fleischlichen Lust, welche in der Ergötzung aller Sinne und
ihrer Vergnügungen ist und die denen, welche ihr dienen und sich
von dir entfernen, Untergang bringt, ist in der Seele vermittels
derselben Sinne des Körpers noch eine andere, die sich zwar nicht
fleischlich ergötzen will, sondern leerer Fürwitz, der sich
mit dem Namen Erkenntnis und Wissenschaft beschönigt und das
Fleisch zu seinem Werkzeuge macht. Das ist nämlich die Neugier und
die Augen übernehmen dabei unter den Sinnen die Führerschaft;
von deinem heiligen Wort ist sie Augenlust genannt worden. Es bezieht
sich dies Wort auf das Sehen vermittels der Augen im eigentlichen
Sinne. Wir wenden das Wort auch auf andre Sinne an, wenn wir sie dazu
benutzen, daß sie etwas erkennen sollen. Wir sagen zwar nicht:
Horch, was schimmert, oder rieche, wie es glänzt, oder schmeck,
wie es leuchtet, oder greif, wie es strahlt - man sagt bei allem, es
werde gesehen. Aber wir sagen nicht nur: Sieh, was leuchtet, was allein
die Augen wahrnehmen können, sondern auch, sieh, was tönt,
sieh, was riecht, sieh, was schmeckt, sieh, was hart ist. Und darum
wird diese Hauptwahmehmung der Sinne, wie schon gesagt, Augenlust
genannt; ,denn das Sehvermögen, bei welchem die Augen die erste
Rolle spielen, eignen sich auch die übrigen Sinne nach der
Analogie an, wenn sie einen wissenschaftlichen Gegenstand erforschen.
Daraus wird aber deutlich
erkannt, was die Sinne zum Vergnügen und was sie aus Neugier
treiben, denn Vergnügen bringt das Schöne, das Wohllautende,
das Angenehme, Geschmackvolle und Weiche; die Neugier aber tut das dem
Entgegengesetzte, um es zu versuchen, nicht um sich dadurch Mühe
aufzubürden, sondern aus Lust, es zu erfahren und kennenzulemen.
Was gibt es denn für ein Vergnügen, einen zerfleischten
Leichnam zu sehen, vor dem man zurückschaudert; und doch laufen
sie da, wo er liegt, zusammen, um ihn zu beklagen und sich zu
fürchten. Sie fürchten, es im Schlafe zu sehen, gerade als
hätte sie jemand gezwungen, es wachend zu sehen oder als
hätte sie irgendein Ruf besonderer Schönheit dazu
verführt. So ist's auch bei den übrigen Sinnen, was zu
verfolgen zu weit führen würde. Infolge dieser krankhaften
Begier werden im Theater wunderbare Effektstücke aufgeführt.
Von da aus geht man weiter, die Geheimnisse der Natur, die außer
uns liegt, zu ergründen, was zu wissen nichts nützt und
nichts anderes ist als Neugier der Leute. Eher findet es sich aus,
daß man etwas mit demselben Zwecke einer falsch angewendeten
Wissenschaft durch magische Künste zu erreichen sucht. Da versucht
man selbst in der Religion Gott, indem man Zeichen und Wunder fordert,
die man nicht für sein Wohl begehrt, sondern lediglich, um einen
Versuch damit zu machen. Wie viel würde ich in diesem so
großen Walde, voll von Nachstellungen und Gefahren abgeschnitten
und von meinem Herzen entfernt haben, wie du es mir geboten, Gott
meines Heils; und doch, wann wage ich einmal es zu sagen, sobald so
viel von Derartigem mein tägliches Leben umgibt, wann wage ich
einmal es auszusprechen, mich in Zukunft von nichts Derartigem
beeinflussen zu lassen und mich nicht solch eitler Sorge preiszugeben?
Wohl kann mich das Theater nicht mehr hinreißen noch
beschäftige ich mich mit der Gestirne Lauf, noch sucht meine
Seele' eine Antwort bei den abgeschiedenen Geistern; alle gottlosen
Gebräuche verwünsche ich. Und doch: mit wie vielen listigen
Einflüsterungen versucht mich der Feind, von dir, Herr mein Gott,
dem ich in Demut und Einfalt dienen soll, ein Zeichen erbitten zu
sollen! Aber ich beschwöre dich bei unserm König, bei unsrer
schlichten und keuschen Heimat, dem himmlischen Jerusalem, daß,
wie diese Einwilligung dazu mir schon fern liegt, sie also mir immer
ferner liegen möge. Wenn ich aber dich bitte für jemandes
Heil, so ist das ein durchaus anderes Ziel meiner Bestrebung; und du
gibst mir, daß ich tue, was du willst, und wirst geben, daß
ich dir gern folge.
Und doch in wie viel
höchst geringfügigen und verächtlichen Dingen wird unsre
Neugier täglich auf die Probe gestellt; und wer kam zählen,
wie oft wir fehlen? Wie oft dulden wir gewissermaßen anfangs nur
fade Schwätzer, um ihnen in ihrer Schwäche nicht zu nahe zu
treten, dann aber wenden wir ihnen uns gerne zu! Den Hund, der hinter
dem Hasen herläuft, beachte ich schon nicht, wenn dies im Zirkus
geschieht, aber auf dem Felde, wenn ich zufällig darüber
hinweggehe, stört er mich vielleicht in einem wichtigen Gedanken
und er lenkt den Gedanken an eine Jagd auf sich, nicht körperlich,
aber doch im Geiste jage ich ihm nach. Und wenn du mich bei der bereits
gezeigten Schwäche nicht schnell ermahnst, daß ich aus
diesem Anschauen durch eine andere Betrachtung zu dir mich erhebe, oder
es ganz verachte und darüber hinweggehe, so schaue ich gedankenlos
hin. Wie, wenn meine Aufmerksamkeit, während ich zu Hause sitze,
eine Eidechse in Anspruch nimmt, welche Fliegen fängt, oder eine
Spinne, die sie umwickelt, wenn sie in ihr Netz geraten? Geht es mir da
nicht ebenso, obwohl die Tiere klein sind? Gehe ich dann dazu
über, dich, den wunderbaren Schöpfer und Ordner aller Dinge,
zu loben? Nein, nicht dadurch werde ich getrieben, meine Aufmerksamkeit
darauf zu richten. Ein anderes ist es dabei, sich schnell wieder zu
fassen, ein anderes, dabei überhaupt nicht zu straucheln. Und von
solchen Dingen ist mein Leben voll, und meine einzige Hoffnung ist dein
sehr großes Erbarmen. Da unser Herz ein Magazin von Dingen der
Art wird und Haufen reichlicher Eitelkeiten in sich trägt, so
werden dadurch unsre Gebete unterbrochen und gestört, und vor
deinem Angesicht, während wir mit der Stimme des Herzens vor dein
Ohr dringen, wird eine so große Sache durch das Einschleichen
jener nichtigen Gedanken abgeschnitten. Werden wir auch hier zwischen
Verwerflichem scheiden, oder wird etwas anderes uns zu der Hoffnung
zurückbringen, wenn nicht dein Erbarmen, nachdem du begonnen hast,
uns zu wandeln.
Zehntes Buch - Sechsunddreißigstes Kapitel
Und du weißt, wie weit
du mich wandeln wirst, der du zuerst mich heiltest von der Lust, mich
freizumachen, auf daß du mir alle meine Sünden
vergäbest und heiltest alle meine Gebrechen und erlösetest
mein Leben vom Verderben und kröntest mich mit Gnade und
Barmherzigkeit und sättigtest mein Verlangen mit deinem Gut; weil
du von der Höhe deiner Furcht meinen Stolz hinuntergedrückt
und meinen Nacken unter dein Joch gezähmt hast. Und nun trage ich
es, und dein Joch ist sanft, denn du hast es so verheißen und
getan; und es war wirklich so und ich wußte es nicht, da ich
fürchtete, es auf mich zu nehmen.
Aber wie, Herr, der du allein
ohne Stolz herrschest, weil du allein wahrer Herr bist und keinen
andern Herrn hast; wie, ist auch die dritte Art der Versuchung von mir
gewichen, oder kann sie in diesem ganzen Leben weichen, nämlich
gefürchtet und geliebt sein wollen von den Menschen, nicht wegen
etwas anderem, sondern damit daraus schon Freude entstehe, die doch
keine, Freude ist? Das ist ein elend Leben und ein häßliches
Sichbrüsten. Daher kommt es hauptsächlich, daß man dich
nicht liebt und dich nicht in Reinheit verehrt. Darum widerstehest du
den Hoffärtigen, den Demütigen aber gibst du Gnade; du
donnerst über dein Ehrgeiz der Welt und die Grundfesten der Berge
regten sich und bebten. Daher bedrängt uns, da wir gewisser
Ämter und Pflichten in der menschlichen Gesellschaft halber
geliebt und gefürchtet werden müssen von Menschen, der Feind
unsrer wahren Glückseligkeit und sät allenthalben sein "recht
so, recht so" in die Schlingen: und während wir gierig uns
sammeln, werden wir unvorsichtig gefangen und finden unsre Freude
abseits von deiner Wahrheit und setzen sie in die Trüglichkeit der
Menschen; es ist uns recht, geliebt und gefürchtet zu werden,
nicht deinetwegen, sondern an deiner Statt; auf diese Weise macht der
Feind sich uns ähnlich und
hat uns nicht zur Eintracht in
der Liebe, sondern zur Teilnahme am Gericht bei sich; er, der
beschloß, seinen Stuhl zu setzen an der Seite gegen Mitternacht,
damit ihm, der dir auf verkehrtem und qualvollem Wege nachahmt, die
finsteren und kalten Leute dienten. Wir aber, Herr, sind deine kleine
Herde; beschirme du uns. Breite deine Flügel über uns und
laß uns darunter Zuflucht nehmen. Du sollst unser Ruhm sein;
deinetwegen mögen wir geliebt werden, und dein Wort werde
gefürchtet. Wer gelobt werden will von Menschen, während du
tadelst, der wird nicht verteidigt werden von Menschen, wenn du
richtest, und wird deinem Gericht nicht entrissen werden. Wenn aber der
Gottlose nicht gerühmt wird seines Mutwillens und der, welcher
unrecht handelt, nicht gesegnet wird, sondern ein Mensch gelobt wird
wegen eines Geschenkes, das du ihm gegeben, jener aber mehr sich freut,
daß er gelobt werde, als daß er das Geschenk habe, weswegen
er gelobt wird, so wird er gelobt, auch während er von dir
getadelt wird: und besser ist schon der, welcher lobt, als der, welcher
gelobt wird. Denn jenem gefiel an dem Menschen die Gabe Gottes; diesem
gefiel mehr die Menschengabe als die Gottesgabe.
Zehntes Buch - Siebenunddreißigstes Kapitel
Durch solche Versuchungen
werden wir täglich versucht, o Herr; ohne Aufhören werden wir
versucht. Der tägliche Versuchsofen ist die menschliche Zunge. Du
legst uns auch auf diesem Gebiete Enthaltsamkeit auf. gib, was du
befiehlst, und befiehl, was du willst. Du kennst darüber das
Seufzen meines Herzens und die Ströme meiner Augen. Und nicht
leicht fasse ich, inwieweit ich rein bin von dieser Pest, und sehr
fürchte ich meine verborgenen Fehler, welche deine Augen kennen,
die meinigen aber nicht. In allen anderen Arten der Versuchungen
besitze ich eine Fähigkeit, mich zu erforschen; aber in dieser
fast gar nicht. Denn bei der Fleischeslust und bei der Neugier sehe
ich, wie weit es mir möglich ist, meinen Sinn zu zügeln,
sobald ich dieser Dinge entbehre, sei es infolge meines Willens oder
ihrer Abwesenheit. Dann nämlich frage ich mich, wie sehr oder wie
wenig es mir schwerfällt, sie nicht zu haben. Auch die
Reichtümer, welche deshalb begehrt werden, damit man einer von
diesen drei Begierden oder zweien von ihnen oder allen diene,
können, wenn der Geist nicht ausspüren kann, ob er, in ihrem
Besitz, dieselben verachte, aufgegeben werden, damit er sich
bewähre. Ist es denkbar, daß man, um des Lobes zu entbehren
und darin die Probe abzulegen, was man vermag, ein schlechtes Leben
führt, der Art verwerflich und ungeheuerlich, daß niemand
einen kennenlernen würde ohne Verachtung? Läßt sich ein
größerer Unsinn sagen oder denken? Aber wenn das Lob der
Begleiter eines guten Lebens und guter Werke zu sein pflegt, so soll
man weder den Begleiter noch das gute Leben selbst verlassen. Nicht
eher aber empfinde ich, ob ich mit Gleichmut oder nur ungern seiner
entbehren kann, ehe er nicht abwesend ist. Was also soll ich dir in
bezug auf diese Art der Versuchung, mein Herr, gestehen? Was anderes,
als daß ich durch Lob ergötzt werde, aber noch mehr durch
die Wahrheit selbst als durch Lob? Denn wenn mir es überlassen
würde, ob ich lieber, verrückt und in allen Dingen irrend,
von allen Menschen getadelt werden wollte oder nicht verrückt und
in der Wahrheit feststehend mich von allen tadeln ließe, so
weiß ich, was ich wählen würde. Ich wünschte aber,
der Beifall eines anderen möchte selbst meine Freude über
irgendein Gutes, das ich habe, nicht vermehren. Aber doch, ich gestehe
es, er mehrt sie nicht nur, sondern der Tadel vermindert sie auch. Und
wenn mich dieses Elend in Unruhe versetzt, so schleicht sich bei mir
eine Entschuldigung ein, deren Beschaffenheit du kennst, mein Gott;
denn sie macht mich unsicher. Du nämlich hast uns nicht nur
Enthaltsamkeit anbefohlen, das heißt, von welchen Dingen wir
unsre Liebe zurückhalten sollen, sondern auch Gerechtigkeit, das
heißt, wo wir Liebe erweisen Sollen, und du wolltest nicht nur,
daß wir dich, sondern auch den Nächsten lieben sollen: oft
glaube ich mich an der Förderung oder an der Hoffnung des
Nächsten zu ergötzen, wenn ich mich an dem Lobe eines
Verständigen ergötze; und wiederum sein Unglück zu
beklagen, wenn ich ihn etwas tadeln höre, was er entweder nicht
kennt oder was gut ist. Ich traure aber auch zuweilen über
Lobsprüche, die mir zuteil werden, wenn das an mir gelobt wird,
worin ich mir selbst mißfalle, oder wenn kleineres und
minderwertiges Gut höher geschätzt wird, als es zu
schätzen ist. Aber wiederum, woher weiß ich und weswegen
berührt es mich so, weil ich nicht will, daß, der mich lobt,
über mich selbst in andrer Ansicht ist als ich; doch nicht weil
ich durch seinen Vorteil mich bewegen lasse, sondern weil dasselbe Gut,
das mir an mir gefällt, mir noch angenehmer ist, wenn es auch
einem anderen gefällt? ich werde nämlich gewissermaßen
nicht gelobt, wenn mein Urteil über mich nicht gelobt wird, sobald
nämlich entweder das gelobt wird, was mir mißfällt,
oder das mehr gelobt wird, was mir weniger gefällt. Bin ich mir
daher über diese Tatsache nicht ungewiß?
Aber in dir, der du die
Wahrheit bist, sehe ich, daß mich das Lob nicht meinetwegen,
sondern wegen des Vorteils des Nächsten bewegen soll. Aber ob es
mit mir so ist, weiß ich nicht. Ich bin mir darin selbst weniger
bekamt als du. Ich beschwöre dich, mein Gott, und zeige mir mich
selbst, damit ich den Brüdern, die für mich beten, bekenne,
was ich an mir als wunden Punkt entdeckt habe. Noch genauer will ich
mich fragen. Wenn mich bei meinem Lob des Nächsten Nutzen bewegt,
warum werde ich weniger erregt, wenn jemand anderes unrecht getadelt,
als wenn ich getadelt werde? Warum werde ich von demselben Schimpfe
mehr gequält, der mich trifft, als von dem, der einen anderen mit
derselben Unbilligkeit in meiner Gegenwart trifft? Weiß ich auch
das nicht? Ist auch das noch übrig, daß ich mich selbst
verführe und mit Herz und Mund nicht das Wahre vor dir tue? jene
Torheit, Herr, entferne weit von mir, daß nicht mein eigener Mund
mir ein Sündenöl sei, um mein Haupt zu salben. Ich bin arm
und elend, und besser bin ich, wenn ich in verborgenem Seufzen mir
mißfalle und dein Erbarmen suche, bis ich Schwacher hergestellt
und vollendet werde bis zu dem Frieden, von dem das Auge des Stolzen
nichts weiß.
Zehntes Buch - Achtunddreißigstes Kapitel
Die Rede aber, die aus dem
Munde hervorgeht, und die Taten, welche den Menschen bekannt werden,
haben eine gefährliche Versuchung von seiten der Liebe zum Lobe,
welche erbettelte Beifallsbezeigungen zusammenbringt, um sich
auszuzeichnen. Sie versucht mich selbst, wenn sie von mir gerügt
wird an mir, das Rügen selbst versucht mich; und oft rühmt
man sich, durch Verachtung des eitlen Ruhmes noch viel eitler gemacht:
und darum kann er sich über die Verachtung des Ruhmes nicht
rühmen, denn er verachtet ihn nicht, wenn er ihn rühmt.
Zehntes Buch - Neununddreißigstes Kapitel
Ein anderes, sehr tiefes
innerliches Übel kommt bei derselben Art der Versuchung vor, wo
die leer werden an geistlichen Gütern, die sich selbst gefallen,
obgleich sie anderen entweder nicht gefallen oder mißfallen und
nicht darnach trachten, anderen zu gefallen. Aber die sich selbst
gefallen, mißfallen dir sehr, daß sie sich gefallen weniger
über Güter, die keine sind, als wären es welche,
vielmehr über deine Güter, als gehörten sie ihnen, oder
auch, indem sie sich so stellen, als ob sie dieselben für deine
Güter halten, sie aber dennoch ihren Verdiensten zusprechen, oder
auch über deine Gnade, indem sie sich nicht darüber als eines
Gemeingutes freuen, sondern andere darum beneiden. in all diesen
derartigen Gefahren und Mühsalen siehst du die Angst meines
Herzens; und ich fühle, daß meine Wunden in reicherem
Maße fort und fort von dir geheilt werden, als sie mir anhaften.
Zehntes Buch - Vierzigstes Kapitel
Wo wärest du nicht mit
mir gewesen, o Wahrheit, mich lehrend, wovor ich mich hüten und
was ich erstreben sollte, da ich auf dich bezog alle meine niederen
Anschauungen, so viele ich nur konnte und dich um Rat fragte? ich
musterte die äußere Welt, jedes mit dem entsprechenden Sinne
und faßte das Leben meines Leibes und meine Sinne selbst ins
Auge. Von da zog ich mich zurück in die weiten Räume meines
Gedächtnisses, die so zahlreich und erfüllt mit wunderbaren
Arten unzähliger Schätze; ich betrachtete sie und ein
heiliger Schauder ergriff mich, nichts konnte ich davon unterscheiden
ohne dich und fand dabei doch, daß du selbst nichts von diesem
seist. Ich selbst war der Erfinder nicht, der alles das durchmusterte
und es zu unterscheiden und nach seinem Wert zu würdigen
versuchte, einiges in mich aufnehmend, was die Sinne mir
verkündeten, anderes mir abfragend, da ich bemerkte, es sei mit
meinem Wesen verwachsen, es selbst als deine Boten betrachtend und
zählend, erst einiges in den weiten Schätzen meines
Gedächtnisses untersuchend, anderes dann zurückstellend,
anderes hervorholend. Nicht erforschte ich, als ich dies tat, aus
eignet Kraft noch warst du die in nur tätige Kraft, denn du bist
das ewig bleibende Licht, das ich bei allem befragte, ob es vorhanden
sei, wie es sei und wie hoch es zu schätzen sei: und ich
hörte dich, der mich belehrte und mir gebot. Und oft noch tue ich
das; das ergötzt mich und so viele Zeit, als ich von den
Geschäften erübrigen kann, nehme ich zu diesen
Geschäften meine Zuflucht. Und ich finde bei allem diesem, das ich
durchlaufe, dich dabei um Rat fragend, keinen sicheren Ort für
meine Seele außer in dir, wohin sich sammeln möge mein
Zerstreutes und nichts von dem Meinen sich von dir entfernen möge.
Zuweilen läßt du mich eingehen in ein Inneres, da mich ein
höchst ungewohnter Affekt ergreift und einem unbestimmten
angenehmen Gefühl, von dem ich, wenn es in mir vollendet wird,
nicht weiß, wie es sein wird, da es diesem Leben nicht mehr
angehören wird. Aber ich falle wieder zurück in die
Sorgenlasten und werde wieder verschlungen von dem Alltagsleben und
darin festgehalten; ich weine viel und doch werde ich darin recht
festgehalten. So sehr erdrückt die Last der Gewohnheit! Hier kann
ich sein und will nicht; da will ich sein und kann nicht, so bin ich
elend in beiden.
Zehntes Buch - Einundvierzigstes Kapitel
Also betrachtete ich die
Übel meiner Sünden nach einer dreifachen Lust; und ich habe
deine Rechte mir zur Hilfe angerufen. Denn ich sah deinen Glanz mit
wundem Herzen und zurückgeschlagen rief ich: "Wer kann dorthin?"
"Ich bin von deinen Augen verstoßen". Du bist die Wahrheit, die
über allem waltet: ich aber wollte in meiner Habgier dich nicht
verlieren, wollte aber mit dir zugleich die Lüge besitzen; sowie
niemand so Falsches sagen möchte, daß er selbst nicht mehr
weiß, was wahr ist. Daher verlor ich dich, weil du es nicht
billigst, dich zu besitzen neben der Lüge.
Zehntes Buch - Zweiundvierzigstes Kapitel
Wo finde ich den, der mich
wieder mit dir vereint? Sollte ich die Engel angehen? Mit welcher
Bitte? Mit welchen heiligen Handlungen? Viele versuchten es, zu dir
zurückzukehren, aber vermochten es nicht durch sich selbst, wie
ich höre, versuchten es und fielen in eine Sehnsucht nach
wunderbaren Erscheinungen und wurden dabei ein Opfer von
Täuschungen. Erhoben im Stolz ihrer Lehre suchten sie dich, warfen
sich lieber in die Brust, als sich vor die Brust zu schlagen, und durch
die Ähnlichkeit ihres Herzens zogen sie an sich mitverschworne
Genossen ihres Stolzes, die Fürsten, die in der Luft herrschen,
von denen sie durch magische Kräfte getäuscht wurden, einen
Mittler suchend, durch den sie gereinigt würden und der doch nicht
da war. Denn der Satan war es, der sich verstellte zum Engel des
Lichts. Und vielfach verlockte er das übermütige Fleisch, da
er selbst in einem Fleischleibe stak. Sie waren sterblich und
Sünder; du aber, o Herr, den sie übermütig zu
versöhnen suchten, bist unsterblich und ohne Fehl. Der Mittler
aber zwischen Gott und Menschen mußte etwas Gottähnliches
und etwas den Menschen Ähnliches haben, damit er nicht in beiden
den Menschen ähnlich, fern von Gott sei oder in beiden Gott
ähnlich, fern sei von Menschen und somit kein Mittler sei. Der
betrügerische Mittler, durch den, nach deinem geheimen Gericht,
der Stolz getäuscht zu werden verdient, hat mit den Menschen eins
gemein, nämlich die Sünde; ein anderes will er sich den
Schein geben, mit Gott gemein zu haben, indem er, weil er nicht in
sterbliches Fleisch eingehüllt ist, prahlt, als sei er
unsterblich. Aber da der Tod der Sünde Sold, so hat er das mit den
Menschen gemein, wofür er mit ihnen zum Tode verdammt wird.
Zehntes Buch - Dreiundvierzigstes Kapitel
Der wahre Mittler aber, den du
nach deinem geheimen Erbarmen den Niedrigen gezeigt und gesendet hast,
damit durch sein Beispiel sie die Demut selbst lernten, der Mittler
zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus, hat unter Sterblichen
und Sündern sich als unsterblich und gerecht geoffenbaret; ein
sterblicher wie die Menschen, ein gerechter wie Gott, damit er, weil
der Gerechtigkeit Sold Leben und Friede ist, durch die ihn mit Gott
verbindende Gerechtigkeit den Tod der gerechtfertigten Gottlosen
vernichtete, welchen Tod er mit diesen gemein haben wollte. So ist er
gezeigt worden den Heiligen des Alten Testaments, damit sie durch den
Glauben an sein zukünftiges Leiden sowie wir durch den Glauben an
sein geschehenes Leiden gerettet würden. Denn soweit er Mensch
ist, soweit ist er Mittler; soweit er das Wort ist, steht er nicht nur
in der Mitte, denn er ist Gott gleich, und Gott bei Gott und zugleich
der einige Gott.
Wie hast du uns geliebt, guter
Vater, der du deines eigenen Sohnes nicht hast verschonet, sondern hast
ihn für uns Sünder dahingegeben. Wie hast du geliebt uns,
für die er es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich sein
und gehorsam ward bis zum Tode am Kreuz; jener eine, der unter den
Toten frei war, der da Macht hatte, sein Leben zu lassen, und Macht
hatte, es wieder zu nehmen; für uns dir ein Priester und Opfer und
darum Priester, weil Opfer; machend dir uns aus Sklaven zu Kindern, aus
dir geboren, uns dienend! Mit Recht habe ich in ihm eine starke
Hoffnung, der du heilest alle meine Gebrechen durch den, welcher ist
zur Rechten Gottes und vertritt uns; sonst müßte ich
verzweifeln. Viel und groß zwar sind meine Gebrechen, viel und
groß, aber größer noch deine Arznei. Wir könnten
glauben, dein Wort sei ferne von der Verbindung mit Menschen, und an
uns verzweifeln, wenn er nicht Fleisch geworden wäre und unter uns
gewohnt hätte.
Von meinen Sünden
geschreckt und von der Last meines Elends bewegte ich es in meinem
Herzen, dachte darüber nach und floh in die Einsamkeit; aber du
hieltest mich auf und befestigtest mich mit den Worten: Darum ist
Christus für alle gestorben, auf daß die, so da leben,
hinfort ihnen nicht selbst leben, sondern dem, der für sie
gestorben ist. Siehe, Herr, auf dich werfe ich meine Sorge, auf
daß ich lebe und sehe die Wunden an deinem Gesetz. Du weißt
meine Unerfahrenheit und meine Schwäche: lehre mich und heile
mich. Er selbst, dein einiger Sohn, in welchem verborgen liegen alle
Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, kaufte mich los durch
sein Blut. Nicht sollen mich schmähen die Stolzen, denn ich
gedenke des Kaufpreises und esse und trinke und gebe aus; und ich Armer
suche Sättigung von ihm, unter denen, die essen und satt werden
und preisen Gott, die nach ihm fragen.
ELFTES BUCH
Erstes Kapitel
Bist du, o Herr, da die Ewigkeit dein ist,
wohl unkundig denen, das ich dir sage, oder siehst du erst zur Zeit,
was in der Zeit geschieht? Warum erzähle ich dir erst so vieles?
Sicherlich nicht, daß du sie durch mich erführst, sondern
ich erhebe mein Herz zu dir und die Herzen meiner Leser, auf daß
wir alle sprechen: "Der Herr ist groß und hoch zu loben." Ich
habe es gesagt und werde es nochmals sagen: "Aus Liebe zu deiner Liebe
tue ich es." Denn wir beten ja auch zu dir, obwohl die Wahrheit sagt:
"Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr ihn
bittet." Um unsere Hingebung dir kundzutun, bekennen wir dir unser
Elend und deine Barmherzigkeit über uns, auf daß du uns
gänzlich befreitest, wie du es begonnen hattest, damit wir
aufhörten, in uns elend zu sein und selig wären in dir; denn
du hast uns berufen, daß wir geistlich arm seien,
sanftmütig, Leid tragen und hungern und dürsten nach der
Gerechtigkeit, barmherzig, reinen Herzens, friedfertig. Siehe, vieles
habe ich dir nach bestem Wissen und Wollen erzählt; denn du
wolltest es zuerst, daß ich dir mein Gott und Herr bekennete,
denn du bist freundlich und deine Güte währet ewiglich.
Elftes Buch - Zweites Kapitel
Wann aber werde ich dem
Bedürfnis Genüge leisten können, durch die Sprache der
Feder alle deine Mahnungen, alle deine Schrecknisse, allen Trost und
Führungen mitzuteilen, durch die du mich dazu bewogen hast, dein
Wort zu verkündigen und dein Sakrament deinem Volke zu spenden?
Und wenn ich wirklich imstande wäre, es der Reihe nach
mitzuteilen, so sind mir doch die wenigen Augenblicke zu kostbar.
Längst entbrenne ich, über dein Gesetz Betrachtungen
anzustellen und dir darin meine Kenntnis und Unkenntnis, die
Anfänge deiner Erleuchtung und den Rest meiner Finsternis zu
bekennen, bis die Schwäche von der Stärke verzehrt wird. Ich
will nicht, daß die Stunden, die mir zu Gebote stehen und frei
sind von der Sorge der Erholung und der Anstrengung des Geistes und den
Diensten, welche wir unsern Nebenmenschen schulden, und denen, welche
wir, auch ohne sie schuldig zu sein, doch leisten, mit einer etwas
andern Beschäftigung verfließen. Herr, mein Gott, merke auf
mein Flehen und deine Barmherzigkeit erhöre mein Sehnen; denn
nicht allein für mich erglüht es, sondern der Bruderliebe
will sie dienen, und du erkennest, daß es mein Herz so meint.
Gern weihte ich dir den Dienst meines Denkens und meiner Zunge, gib,
was ich dir darbringen will. Denn ich bin elend und arm, du bist reich
über alle, die dich anrufen, der du fern von Sorgen für uns
sorgst. Beschneide von aller Vermessenheit und Lüge die Lippen
meines Mundes und meines Herzens. Möge deine Schrift meine keusche
Wonne sein, auf daß ich mich nicht irre noch andere irreleite;
Herr, höre mich und erbarme dich, Herr, mein Gott, du Licht der
Blinden und Kraft der Schwachen und dem sogleich Licht der Sehenden und
Kraft der Starken, merke auf meine Seele und höre die Stimme des
Rufenden aus der Tiefe. Denn wäre dein Ohr nicht auch in der
Tiefe, wohin sollten wir dann gehen, wohin sollten wir nach dir rufen?
Tag und Nacht sind dein, auf deinen Wink fliegen Augenblicke
vorüber. Gewähre mir aus ihnen die Zeit, mit meinen Gedanken
in die Geheimnisse deines Gesetzes einzudringen, und verschließe
es denen nicht, die anklopfen. Du hast nicht gewollt, daß die
dunkeln Geheimnisse so vieler Seiten umsonst geschrieben würden,
oder haben nicht auch jene Wälder ihre Hirsche, die sich
zurückziehen, ruhen, umherstreifen und weiden, sich niederlegen
und wiederkäuen? O Herr, vollende mich, enthülle mir sie.
Siehe, deine Stimme ist meine Freude, deine Stimme ist mir mehr als
alle Wonne der Lust. Gib mir, was ich liebe; denn ich liebe; und du
hast mir dies gegeben. Gib nicht dafür deine Gaben und verachte
nicht dein dürstendes Kräutlein. ich will dir alles bekennen,
was ich in deinen Büchern finden werde und ich will hören die
Stimme des Dankes und will dich schlürfen und betrachten die
Wunder an deinem Gesetze, von dem Anfange, wo du Himmel und Erde
schufest bis dahin, wo wir in deiner heiligen Stadt ewiglich mit dir
herrschen werden.
Herr, erbarme dich meiner und
erhöre mein sehnendes Flehen. Denn ich glaube, es verlangt nicht
nach dem, was von dieser Welt, nicht nach Gold und Silber und
Edelgestein und Kleiderschmuck, nicht nach Ehre und Macht und
fleischlichen Genüssen, nicht nach den Bedürfnissen des
Leibes und Lebens unserer irdischen Pilgerfahrt, das uns alles zufallen
wird, wenn wir nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit
trachten. Siehe, Herr, mein Gott, woher mein Verlangen stammt. Die
Stolzen graben mir Gruben, die nicht sind nach deinem Gesetze, O Herr.
Siehe also, woher mein Verlangen stammt. Siehe, o Vater, und schaue auf
mich, siehe es an und billige es, Gnade möge ich finden im
Angesicht deiner Barmherzigkeit, daß uns eröffnet werden die
inneren Tiefen deiner Worte, wenn ich sie betreten will. Ich flehe dich
an im Namen unseres Herrn Jesu Christi, deines Sohnes, des Mannes
deiner Rechten, des Menschensohnes, den du zum Mittler zwischen dir und
uns gemacht hast; durch den du uns aufgesucht hast, als wir dich noch
nicht suchten, durch den du uns aber aufsuchtest, auf daß wir
dich suchten. Dein Wort, durch das du alles geschaffen hast und mich
auch darunter; deinen Eingeborenen, durch den du berufen hast das Volk
deiner Gläubigen zur Kindschaft, wozu auch ich gehöre, durch
dies flehe dich ich an, der zur Rechten Gottes sitzt und uns vertritt;
in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der
Erkenntnis. Diese suche ich in deiner Schrift. Moses hat von Ihm
geschrieben, das sagt er selbst, das sagt die Wahrheit.
Elftes Buch - Drittes Kapitel
Hören will ich und
verstehen, wie du im Anfang Himmel und Erde geschaffen hast. Dies
schrieb Moses, er schrieb es und ging hinweg und ging von dir zu dir,
dann jetzt ist er nicht mehr vor mir. Wäre er noch hier, dann
würde ich ihn halten und ihn bitten und bei dir beschwören,
daß er mir dieses enthüllte; und ich würde das Ohr
meines Leibes den Worten leihen, die aus seinem Munde
hervorströmten. Redete er in hebräischer Sprache, so
würde es vergebens zu meinem Sinn dringen, und nichts davon
würde meinen Geist berühren; spräche er aber lateinisch,
dann würde ich seine Worte verstehen. Woher aber sollte ich
wissen, ob er auch die Wahrheit spräche? Wüßte ich auch
dieses, würde ich es von ihm wissen? In meinem Innern, innen in
der Wohnstätte der Gedanken würde keine hebräische,
keine griechische, keine lateinische, keine fremde Sprache mir ohne die
Werkzeuge der Zunge und des Mundes, ohne den Klang der Silben mir sagen
- "Er redet die Wahrheit". und ich würde dann gewiß sogleich
vertrauensvoll zu jenem Manne sagen: "Du sprichst die Wahrheit" Da ich
ihn nun nicht fragen kann, so bitte ich dich, dich, von dem er
erfüllt die Wahrheit sagte, dich mein Gott, dich bitte ich, schone
meiner Sünden, und du, der du jenem deinem Knechte verliehen hast,
so zu reden, gib auch mir solche Erkenntnis.
Elftes Buch - Viertes Kapitel
Siehe Himmel und Erde sie
sind: sie sagen, daß sie geschaffen sind; denn sie verändern
und verwandeln sich. Was aber nicht geschaffen ist Und doch ist, an dem
ist nichts, was vorher nicht war, was verwandelt und verändert
werden konnte. Sie sagen aber ferner auch, daß sie sich nicht
selbst geschaffen haben: Wir sind deshalb, weil wir geschaffen worden
sind; bevor wir da waren, waren wir nicht, so daß wir nicht von
uns selbst geschaffen werden konnten. Und die Stimme derer, die dies
sagen, ist der Beweis selbst. Du, o Herr, hast sie geschaffen, der du
schön bist, denn sie sind schön; der du gut bist, denn sie
sind gut; der du bist, denn sie sind. Nicht aber sind sie so
schön, nicht aber sie so gut wie du, ihr Schöpfer; mit dir
verglichen sind sie nicht schön, nicht gut, sind sie
überhaupt nicht. Wir wissen dies und danken dir. Und unser Wissen
mit deinem Wissen verglichen ist Nichtwissen.
Elftes Buch - Fünftes Kapitel
Wie aber hast du Himmel und
Erde geschaffen und welches war das Werkzeug deines so großen
Werkes? Denn nicht wie ein menschlicher Künstler bildest du aus
dem Einen etwas anderes, nach dem Gutdünken des Geistes, wenn er
dem, was ihm in dem Geiste vorschwebt, Gestalt zu geben sucht. Und das
vermag er doch auch nur, weil du ihn geschaffen hast. Er gibt dem
vorhandenen Stoffe, der Erde, dem Stein, dem Holz, dem Gold oder
irgendeiner andern Art Gestalt. Woher aber hätten diese Stoffe die
Fähigkeit, wenn du sie nicht dazu bestimmt hättest? Du
schufst dem Künstler den Leib, du schufst ihm den Geist, der den
Gliedern gebietet, du schufst ihm den Stoff zu seiner Arbeit, das
Talent, wodurch er die Kunst erfaßt und innerlich schaut, was er
äußerlich darstellen soll; du schufst ihm den Sinn für
die Verhältnisse des Körpers, durch dessen Vermittlung er
das, was er schafft, aus seines Geistes Tiefe auf den Stoff
überträgt und der dem Geiste wiederum mitteilt, was geschehen
ist, damit er die Wahrheit als entscheidende Richterin frage, ob es gut
sei. Alles dies preist dich als den Schöpfer aller Dinge; aber wie
schufst du sie? Wie schufst du, O Gott, Himmel und Erde? Du schufst
nicht Himmel und Erde im Himmel und auf Erden noch in der Luft und im
Gewässer, denn das gehört mit zum Himmel und der Erde, noch
hast du das Weltall im Weltall geschaffen, denn es gab ja nichts, wo es
hätte geschaffen werden können, bevor es geschaffen wurde,
daß es war. Nichts hieltest du in der Hand, damit du hättest
Himmel und Erde schaffen können, denn woher hättest du
gehabt, was du nicht geschaffen hattest? Was gibt es denn, was du nicht
bist? Deshalb hast du gesprochen und es ist geworden und in deinem
Worte hast du es gemacht.
Elftes Buch - Sechstes Kapitel
Aber wie hast du gesprochen?
Auf jene Weise vielleicht wie die Stimme aus den Wolken, die da sprach:
Dies ist mein Sohn? Jene Stimme ertönte und vertönte, begann
und endete. Die Silben erklangen und verklangen, die zweite folgte der
ersten, die dritte der zweiten und so der Reihe nach bis zur letzten,
Und nach der letzten trat Stillschweigen ein. Deshalb ist es klar und
deutlich, daß sie von einer zeitlichen Bewegung, von einer
Kreatur stammen mußte, die deinem ewigen Willen diente. Und diese
deine für den Augenblick geschaffenen Worte verkündete das
äußere Ohr dem vernünftigen Geiste, dessen inneres Ohr
dein ewiges Wort erkennt. Er aber verglich diese in der Zeit
verschollenen Worte mit deinem ewigen in Stillschweigen gehüllten
Worte und sprach: Es ist anders, ganz anders. Diese sind mir nicht
ebenbürtig, sie sind überhaupt nicht, weil sie
dahinfließen und vorübergehen. Das Wort meines Herrn aber
über mir bleibet in Ewigkeit. Hättest du also mit
erklingenden und verklingenden Worten gesagt: "Es werde Himmel und
Erde", und hättest du auf diese Weise Himmel und Erde erschaffen,
dann wäre bereits vor Himmel und Erde eine Körperwelt
vorhanden gewesen, durch deren zeitliche Bewegung zeitlich jene Stimme
entsprang.
Vor Himmel und Erde aber war
nichts Körperliches vorhanden, oder wenn es vorhanden war, so war
es sicherlich ohne diese vorübergehende Stimme von dir geschaffen,
damit du daraus eine flüchtige Stimme hervorbrächtest, mit
der du sagen könntest: Es werde Himmel und Erde. Was es auch immer
war, woraus du eine solche Stimme hervorgehen ließest, wäre
es nicht von dir geschaffen, so könnte es überhaupt nicht
sein. Mit welchem Wort sprachst du also, daß ein Körper
entstände, aus dem solche Worte hervorgingen?
Elftes Buch - Siebentes Kapitel
O Gott, du rufst uns zur
Erkenntnis des Wortes, das Gott ist bei dir, das von Ewigkeit
gesprochen und durch das alle Dinge ewig gesprochen werden; dein Wort
endet nicht und wird kein anderes gesprochen, damit das Ganze
ausgesprochen werde, sondern es wird damit alles zugleich und von
Ewigkeit her ausgesprochen; sonst wäre ja dort Wechsel und Zeit
und keine wahre Ewigkeit noch wahre Unsterblichkeit. Dies erkenne ich,
mein Gott, und danke dir dafür. Ich erkenne es, bekenne es dir, o
Herr, und mit mir erkennt es und preist dich ein jeder, der gegen die
gewisse Wahrheit nicht undankbar ist. Wir erkennen, Herr, wir erkennen,
daß insofern etwas nicht mehr ist, was es früher war, und
etwas ist, was es früher nicht war, es insoweit vergeht und
entsteht. Deshalb findet sich in deinem Worte kein Vergang noch ein
Fortgang, weil es wahrhaft unsterblich und reich ist. Du sprichst mit
deinem Wort, das gleich dir ewig ist, zugleich und ewig alles, was du
aussprichst, und alles, was du sagst, daß es werde, wird und
nicht anders als durch dein Wort schaffst du und doch nicht zugleich
und ewig werden alle Dinge, die du durch dein Wort schaffst.
Elftes Buch - Achtes Kapitel
Warum nur dies? frage ich
dich, mein Gott und Herr: Ich erkenne wohl dies einigermaßen und
doch weiß ich nicht, wie ich es anders sagen soll, als etwa so,
daß aller Dasein anfängt und aufhört, dann zu sein
anfängt und dann aufhört, wenn die ewige Vernunft, in der
weder Anfang noch Ende ist, erkennt, daß es anfangen und enden
soll. Dies aber ist dein Wort, welches auch der Anfang ist, weil es
auch zu uns redet. So spricht es Fleisch geworden im Evangelium und es
drang von außen zu den Ohren der Menschen, damit es Glauben finde
und innerlich im verborgenen gesucht und in der ewigen Wahrheit
gefunden würde, wo es als gütiger und alleiniger Lehrer alle
Jünger unterweist. Wer uns aber nicht unterweist, wenn er redet,
der redet nicht zu uns. Wer lehrt uns nun aber, wenn nicht die
unvergängliche Weisheit? Denn wenn wir auch durch die dem Wandel
unterworfene Kreatur ermahnt werden, so werden wir doch zur
unwandelbaren Wahrheit geleitet, wo wir wahrhaftig lernen, wenn wir
darin bestehen und ihn hören und uns hoch erfreuen an der Stimme
des Bräutigams, indem wir uns dem zurückgeben, von dem wir
das Dasein haben. Deshalb ist sie der Anfang, weil, wenn sie nicht
unwandelbar wäre, wir im Falle des Irrtums zu ihr
zurückkehren könnten. Wenn wir aber vom Irrtum
zurückkehren, so geschieht es durch die Erkenntnis der Wahrheit,
damit wir diese aber erkennen, lehrt sie uns, denn sie ist der Anfang
und redet mit uns.
Elftes Buch - Neuntes Kapitel
In diesem Anfange schufst du,
Gott, Himmel und Erde, in deinem Worte, in deinem Sohne, in deiner
Kraft, in deiner Weisheit, in deiner Wahrheit, in wunderbarer Weise
sprechend und auf wunderbare Weise schaffend. Wer wird es begreifen,
wer wird es erzählen? Was ist das, was mir entgegenschimmert und
mein Herz erschüttert, ohne es zu verletzten? Ich werde von
Schauer ergriffen und ich erbebe vor Wonne, erschaudere, insoweit ich
ihm unähnlich, und erglühe, insoweit ich ihm unähnlich
bin. Die Weisheit, ja, die Weisheit selbst ist es, deren Strahlen mir
entgegenleuchten und die den Nebel meiner Dunkelheit zerreißen,
der mich wieder umhüllt, wenn ich mich von ihr mit Finsternis
bedeckt und unter der Last meines Elends von ihr abwende; denn mein
Leben hat so abgenommen an Kraft vor Betrübnis, daß ich
selbst das Gute an mir nicht ertragen kann, bis du, o Herr, mir alle
meine Sünde vergibst und heilest alle meine Gebrechen; der du mein
Leben vom Verderben erlösest und mich krönest mit Gnade und
Barmherzigkeit und mein Verlangen mit Gütern erfüllest,
daß ich jung werde wie ein Adler. Denn wir sind nicht selig, doch
in Hoffnung und deine Verheißung erwarten wir mit Geduld.
Höre, was da kam auf die Stimme, die in unseren Herzen spricht;
ich aber will zuversichtlich mit deines Propheten Worten rufen: Herr,
wie sind deine Werke so groß und viel, du hast sie alle weislich
geordnet. Sie ist der Anfang und in diesem Anfang schufest du Himmel
und Erde.
Elftes Buch - Zehntes Kapitel
Sind nun jene nicht noch ganz
erfüllt von ihren alten Irrtümern, die zu uns sagen: Was tat
denn Gott, ehe er Himmel und Erde schuf? Wenn er bis dahin ruhete,
sagen sie, und weiter nichts tat, warum war er so nicht immer und in
der Folge, worin er auch vorher verblieben war. Wenn in Gott irgendeine
neue Bewegung entstand und ein neuer Wille, um einem Geschöpfe das
Dasein zu geben, das er zuvor noch nicht geschaffen hatte, ist denn das
eine wahre Ewigkeit, in der ein Wille entsteht, der vorher noch nicht
vorhanden war? Denn der Wille Gottes ist ja nicht ein Geschöpf,
sondern er ist vor aller Kreatur, weil nichts geschaffen werden konnte,
wenn nicht der Wille des Schöpfers vorhanden wäre; der Wille
Gottes gehört also zum Wesen Gottes selbst. Wenn also etwas in
Gottes Wesen entstand, was vorher nicht war, so könnte man jenes
Wesen nicht mit Wahrheit ewig nennen, wenn aber der Wille Gottes,
daß es eine Kreatur gebe, ewig war, warum soll denn nicht auch
die Kreatur ewig sein?
Elftes Buch - Elftes Kapitel
Die, welche so reden, erkennen
dich noch nicht, du Weisheit Gottes, Licht des Geistes; sie erkennen
nicht, wie das geschieht, was durch dich und in dir geschieht, sie
erdreisten sich, das Ewige verstehen zu wollen, aber ihr Herz flattert
noch in den vergangenen und zukünftigen Bewegungen der Dinge und
ist noch voll Eitelkeit. Wer wird es festhalten und zum Stillstand
bewegen, damit es nur ein wenig den Glanz der immer stetigen Ewigkeit
erfasse und ihn vergleiche mit der nie stetigen Zeit; und erkenne,
daß sie unvergleichbar seien, und sehe, daß eine lange Zeit
nicht lang werde als nur durch viele vorübergehende Augenblicke,
die nicht zugleich verfließen können; daß aber in der
Ewigkeit nichts vorübergehe, sondern in ihr alles stets
gegenwärtig sei; dagegen keine Zeit ganz gegenwärtig sei;
daß er sehe, wie alle Vergangenheit von der Zukunft
verdrängt werde und alle Zukunft der Vergangenheit folge und alle
Vergangenheit und Zukunft von der ewigen Gegenwart erschaffen werde und
ausgehe? Wer wird. das Herz des Menschen festhalten, daß es stehe
und in der Gegenwart fußend erkenne, wie es festgegründete,
zukünftige und vergangene Zeiten bestimme, wie aber die Ewigkeit
weder zukünftig noch vergangen ist. Vermag etwa meine Hand dieses,
oder kann die Hand meines Mundes durch Worte ein so großes Werk
vollbringen?
Elftes Buch - Zwölftes Kapitel
Siehe ich antworte dem, der da
fragt: Was tat Gott, bevor er Himmel und Erde schuf? Ich gebe ihm nicht
die Antwort, die einst jemand scherzweise gegeben haben soll, um der
Schwierigkeit dieser Frage zu entgehen: "Er bereitet denen, die sich
vermessen, jene hohen Geheimnisse zu ergründen, Höllen."
Etwas anderes ist "wissen" als "witzeln", darum möchte ich diese
Antwort nicht geben, lieber hätte ich geantwortet: Ich weiß
nicht, was ich nicht weiß, als eine Antwort zu geben, die den zum
Spott macht, der so Hohes erfragt, um dem nichtigen Spötter Lob
einzubringen. Aber ich nenne dich, unsern Gott, den Schöpfer der
ganzen Schöpfung. Und wenn man unter dem Namen Himmel und Erde die
ganze Schöpfung versteht, so sage ich kühn: "Bevor Gott
Himmel und Erde schuf, tat er nichts." Denn wenn er schaffte, was war's
anders als ein Geschöpf? Wenn ich doch das, was ich zu meinem
Nutzen zu wissen wünschte, so gut wüßte, wie ich
weiß, daß kein Geschöpf geschaffen wurde, bevor eine
Schöpfung stattfand. Wenn aber irgend jemandes
schwärmerischer Sinn sich mit seiner Phantasie in vergangene
Zeiten verliert und sich wundert, daß du, allmächtiger,
alles erschaffender und alles erhaltender Gott, der Baumeister von
Himmel und Erde, vor der Erschaffung dieses so großen Werkes
unzählige Jahrhunderte geruht hast, ehe du es schufest, so
möge er sich fassen und bedenken, daß er sich über
Falsches wundere. Dem wie konnten unzählige Jahrhunderte vergehen,
die du nicht geschaffen hättest, wenn du aller Jahrhunderte
Urheber und Schöpfer bist? oder wie hätte Zeit sein
können, die du nicht geschaffen hättest, und wie konnte sie
vorübergehen, wem sie niemals war? Wenn du also der Schöpfer
der Zeiten bist, und wenn es eine Zeit gab, bevor du Himmel und Erde
erschufst, wie kann man dann sagen, du habest damals nicht gewirkt?
Denn gerade diese Zeit ist es, die du geschaffen hattest, und es
konnten keine Zeiten vorübergehen, bevor du die Zeit erschufst.
Wenn es also vor Himmel und Erde keine Zeit gab, wie kann man dann
fragen, was du damals machtest? Denn es war kein Damals, wo noch keine
Zeit war.
Elftes Buch - Dreizehntes Kapitel
Du gehst nicht in der Zeit den
Zeiten voran, sonst könntest du nicht aller Zeit vorausgehen. Aber
du gehst in der Erhabenheit der stets gegenwärtigen Ewigkeit aller
Vergangenheit voran und bist über alle Zukunft erhaben, weil sie
eben zukünftig ist, und wenn sie einmal kommt, ist sie auch schon
vergangen; du aber bleibst, wie du bist und deine Jahre nehmen kein
Ende. Deine Jahre gehen weder, noch kommen sie; unsere irdischen Jahre
gehen und kommen, so daß sie endlich alle kommen. Alle deine
Jahre sind ein ewiges Heute, weil sie unbeweglich bestehen; und da sie
nicht dahingehen, werden sie von den kommenden nicht verdrängt,
weil sie nicht vorübergehen; aber unsere irdischen Jahre werden
erst dahin sein, wenn sie einmal alle dahin sind. Dein Heute ist die
Ewigkeit; deshalb zeugtest du den Gleichewigen, zu dem du sagtest:
Heute habe ich dich gezeuget. Alle Zeiten schufst du und vor allen
Zeiten bist du und nie gab's eine Zeit, wo keine Zeit war.
Elftes Buch - Vierzehntes Kapitel
Niemals also hat es eine Zeit
gegeben, wo du nicht schon etwas geschaffen hattest, weil du ja die
Zeit selbst geschaffen hast. Und keine Zeit ist ewig wie du, weil du
immerdar derselbe bleibst. Wenn sie aber bliebe und nicht verginge,
dann wäre sie keine Zeit. Denn was ist die Zeit? Wer
vermöchte dies leicht und in Kürze auseinanderzusetzen. Wer
kann nun darüber etwas je sprechen, es auch nur in Gedanken
umfassen? Und doch erwähnen wir nichts so häufig und nichts
ist als so selbstverständlich als die Zeit. Und wir verstehen es
allerdings irgendwie, wenn wir davon sprechen, noch verkennen wir es,
wenn wir eine andere von ihr reden hören. Was ist also die Zeit?
Wenn mich niemand darnach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber
einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht;
mit Zuversicht jedoch kann ich wenigstens sagen, daß ich
weiß, daß, wenn nichts verginge, es keine vergangene Zeit
gäbe, und wem nichts vorüberginge, es keine zukünftige
Zeit gäbe. jene beiden Zeiten also, Vergangenheit und Zukunft, wie
kann man sagen, daß sie sind, wenn die Vergangenheit schon nicht
mehr ist und die Zukunft noch nicht ist? Wenn dagegen die Gegenwart
immer gegenwärtig wäre und nicht in die Vergangenheit
Übergänge, so wäre sie nicht mehr Zeit, sondern
Ewigkeit. Wem also die Gegenwart nur darum zur Zeit wird, weil sie in
die Vergangenheit übergeht, wie können wir da sagen,
daß sie ist und wenn sie deshalb ist, weil sie sofort nicht mehr
ist; so daß wir insofern in Wahrheit nur sagen könnten,
daß sie eine Zeit ist, weil sie dem Nichtsein zustrebt?
Elftes Buch - Fünfzehntes Kapitel
Und doch sagen wir, das ist
eine lange, jenes eine kurze Zeit; dies können wir aber nur von
der Vergangenheit sagen und der Zukunft. Die vergangene Zeit, z. B. vor
hundert Jahren, nennen wir lange, ebenso nennen wir in der Zukunft die
Zeit nach hundert Jahren. Die Vergangenheit von zehn Tagen nennen wir,
meiner Meinung nach, kurz, sowie wir die zukünftige Zeit nach zehn
Tagen kurz nennen. Wie aber kann nun lang oder kurz sein, was gar nicht
ist? Denn die Vergangenheit ist nicht mehr und die ,Zukunft ist noch
nicht. Wir sollten daher von der Vergangenheit nicht sagen: "Sie war
lang!" und von der Zukunft: "Sie wird lang sein." O mein Gott und Herr,
mein Licht, spottet nicht auch hier deine Wahrheit der Menschen? Denn
wie war die vergangene Zeit lang, war sie lang, als sie bereits
vergangen war oder als sie noch gegenwärtig war, Denn dann nur
konnte sie lang sein, als sie überhaupt etwas war, was lang sein
konnte; als Vergangenheit aber war sie nicht mehr; deshalb konnte sie
auch nicht lang sein, wie sie überhaupt nicht war. Wir dürfen
also eigentlich nicht sagen: "Die vergangene Zeit war lang", denn wir
werden nichts an ihr finden, was lang gewesen wäre, da es, seitdem
es vergangen ist, nicht mehr ist; sondern wir müssen sagen: "jene
gegenwärtige Zeit war lang", weil sie nur, während sie
Gegenwart war, lang war. Denn noch war sie nicht zum Nichtsein
übergegangen, und deshalb war sie etwas, was lang sein konnte.
Sobald sie aber vergangen war, hörte sie zugleich auch auf, lang
zu sein, da sie zu sein überhaupt aufgehört hat.
Laß uns sehen, o
Menschenseele, ob die Gegenwart lang sein könne; denn dir ist's
gegeben, die Dauer der Zeit wahrzunehmen und zu berechnen. Was ist
deine Antwort darauf? Sind hundert Jahre der Gegenwart eine lange Zeit?
Sich zuerst, ob hundert Jahre überhaupt gegenwärtig sein
können. Wenn das erste Jahr vergeht, so ist dies nur
gegenwärtig, neunundneunzig Jahre aber sind noch zukünftig
und deshalb noch gar nicht; während nun das zweite Jahr vergeht,
ist bereits eins vergangen, das andere gegenwärtig, die
übrigen aber noch zukünftig. Und wenn wir so ein beliebiges
Jahr aus der Mitte dieser hundert als gegenwärtig setzen, so haben
wir vor ihm vergangene und nach ihm zukünftige; folglich
können hundert Jahre nicht gegenwärtig sein. Nun siehe, ob
nicht wenigstens das eine Jahr, das verläuft, gegenwärtig
ist. Während der erste Monat desselben verläuft, sind die
andern zukünftig, verläuft der zweite, so ist der erste
bereits wieder vergangen und die übrigen sind noch zukünftig.
Folglich gehört auch das Jahr, das vergeht, nicht ganz der
Gegenwart an, und ist es nicht in seinem ganzen Umfange
gegenwärtig, so ist es überhaupt nicht gegenwärtig. Denn
das Jahr hat zwölf Monate, von denen jedesmal der ablaufende Monat
gegenwärtig ist, die übrigen aber gehören entweder der
Vergangenheit oder der Zukunft an. Nun ist aber freilich auch nicht
einmal der ablaufende Monat ganz gegenwärtig, sondern nur ein Tag
davon; ist's der erste, so sind die übrigen noch kommende, ist's
der letzte, so sind die übrigen vergangene; ist's irgendeiner aus
der Mitte, so läuft er ab zwischen vergangenen und
zukünftigen Tagen.
So ist die gegenwärtige
Zeit, die allein, wie wir fanden, lang genannt werden kann, kaum auf
den Raum eines Tages beschränkt. Aber laßt uns auch diese
noch zerlegen, da auch nicht ein Tag ganz gegenwärtig ist. Er wird
von vierundzwanzig Stunden des Tages und der Nacht ausgefüllt, von
denen die erste die übrigen als zukünftig vor sich hat; die
letzte sie als vergangen nach sich; eine jede in der Mitte hat
vergangene vor sich und zukünftige nach sich. Und selbst die eine
Stunde verläuft in flüchtigen Augenblicken; was von ihr schon
enteilte, ist vergangen, und was noch übrig ist, zukünftig.
Könnte man sich irgendeine Zeit denken, die sich nicht mehr, auch
nicht in die kleinsten Teilchen zerteilen läßt, so
könnte diese allein gegenwärtig genannt werden. Und doch
würde auch diese so schnell von der Zukunft in die Vergangenheit
hinübereilen, daß sie auch nicht die geringste Dauer
aufweisen könnte. Denn wenn es der Fall wäre, so würde
es in Vergangenheit und Zukunft zu teilen sein; für die Gegenwart
bliebe kein Raum. Wo ist also eine Zeit, die wir lang nennen
könnten? Etwa die Zukunft? Wir können nicht sagen von ihr:
"Sie ist lang", weil ja noch gar nichts vorhanden ist, was lang sein
könnte; wir sagen vielmehr: "Sie wird lang sein." Wann wird sie es
erst nun sein? Denn wenn sie auch dann, wo sie noch Zukunft ist, nicht
lang sein kann, weil das, was lang sein soll, noch nicht ist, sie aber
ebensowenig lang sein kann, wenn sie aus der Zukunft, die noch nicht
ist, allmählich das Dasein gewinnt und zur Gegenwart wird, damit
etwas da sei, was lang wäre, da ruft uns bereits die Gegenwart mit
obigen Worten zu, daß sie nicht lang sein könne.
Elftes Buch - Sechzehntes Kapitel
Und doch, Herr, nehmen wir
Zeiträume wahr und vergleichen sie miteinander und nennen die
einen länger, die andern kürzer. Wir berechnen auch, um
wieviel diese Zeit kürzer oder länger ist als jene, und wir
sagen, diese ist zwei- oder dreimal so lang als jene, oder sie sind
sich gleich. Aber wir messen die Zeiten nur im Vorübergehen, wenn
wir sie durch die Wahrnehmung messen. Wer aber kann vergangene Zeiten
messen, die nicht mehr sind oder als zukünftige noch nicht sind?
Es sei denn, daß jemand zu behaupten wagte, etwas messen zu
können, was gar nicht ist. Während also die Zeit
vorübergeht, kann man sie wahrnehmen, wenn sie aber
vorübergegangen ist, ist es unmöglich, weil sie dann nicht
mehr ist.
Elftes Buch - Siebzehntes Kapitel
Ich forsche, o Vater, und behaupte nicht; mein
Gott schütze und regiere mich. Wer dürfte mir sagen, es
gäbe nicht drei Zeiten, wie wir als Knaben es gelernt haben und
wir wiederum den Knaben es gelehrt haben, Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft, sondern nur die Gegenwart, weil jene beiden nicht sind? Oder
sind auch diese und tritt etwa jene nur aus der Verborgenheit hervor,
wenn aus der Zukunft die Gegenwart wird, und tritt diese etwa nur in
die Verborgenheit zurück, wenn aus der Gegenwart die Vergangenheit
wird? Denn wie sahen es die, welche das Zukünftige voraussagten,
wenn es noch nicht war? Denn was nicht ist, kann nicht gesehen werden.
Und die, welche Vergangenes erzählen, würden nichts Wahres
erzählen, wenn sie es nicht im Geiste schauten. Wäre es gar
nicht, so könnte es überhaupt nicht gesehen werden. Es gibt
also eine Zukunft und Vergangenheit.
Elftes Buch - Achtzehntes Kapitel
Laß mich, Herr, noch
weiter fragen, meine Hoffnung, möge mein Bemühen nicht
gestört werden. Wenn es also eine Zukunft und Vergangenheit gibt,
so möchte ich wissen, wo sie sind. Wenn ich dies auch noch nicht
vermag, so weiß ich doch, daß, wo sie auch sein mögen,
sie dort nicht Zukunft oder Vergangenheit sind, sondern Gegenwart. Denn
wäre die Zeit nicht auch dort noch Zukunft, so wäre sie dort
noch nicht, wäre aber dort schon die Vergangenheit vergangen, so
wäre sie dort nicht mehr.
Wo immer also etwas ist, so
ist es nie in der Gegenwart vorhanden. Wem wir demgemäß
Vergangenes der Wahrheit gemäß erzählen, so
schöpfen wir zwar nicht die Dinge selbst, die vergangen sind, aus
dem Gedächtnis, sondern nur Worte, die den Vorstellungen von
Dingen entsprungen sind, die in der Seele gleichsam beim
Vorüberziehen dem Geiste Spuren einprägten. So gehört
meine Kindheit, die nicht mehr ist, der Vergangenheit an, die nicht
mehr ist. Wenn ich ihrer aber gedenke, schaue ich ihr Bild in der
Gegenwart, weil es noch in meinem Gedächtnisse ist. Ob nun bei der
Verkündigung der Zukunft die Sache sich ähnlich verhält,
so daß von Dingen, die noch gar kein Sein haben, die Bilder davon
als bereits seiend sich im Geiste spiegeln, ob dem so ist, o mein Gott,
ich bekenne, das weiß ich nicht. Das aber weiß ich sicher,
daß wir sehr oft über unsere zukünftigen Handlungen im
voraus nachdenken und daß diese Vorüberlegung der Gegenwart,
die Handlung selbst dagegen, über die wir nachdenken, der Zukunft
angehört, weil sie noch nicht ist; sobald wir aber mit der
Ausführung jener Handlung, die wir vorüberlegten, begonnen
haben, dann gewinnt sie das Sein, weil sie nun nicht mehr
zukünftig, sondern gegenwärtig ist.
Wie es sich auch mit dem
geheimen Vorgefühl für zukünftige, verhalten mag, was
kein Sein besitzt, kann auch nicht gesehen werden. Was aber bereits
ist, das ist nicht zukünftig, sondern gegenwärtig. Wenn man
also von einem Schauen in die Zukunft redet, so ist dies nicht ein
Schauen dessen, was noch nicht ist, sondern was bereits
gegenwärtig ist, aus dem das im Geiste Aufgefaßte als
zukünftig vorausgesagt wird. Diese Vorstellungen sind bereits da
und die, welche dies voraussagen, schauen sie in sich als
gegenwärtig. Unter so vielen Dingen möge ein beliebiges
Beispiel für mich sprechen. Ich sehe die Morgenröte, ich
verkündige den Aufgang der Sonne; was ich sehe, ist
gegenwärtig, was ich verkünde, ist zukünftig; die Sonne
aber ist in diesem Falle nicht das Zukünftige, denn sie ist
bereits da, sondern ihr Aufgang selbst, der noch nicht ist, doch auch
den Aufgang könnte ich nicht vorhersehen, wenn ich mir ihn nicht
im Geiste vorstellte wie eben jetzt, wo ich dies sage.
Indes ist weder jene
Morgenröte, die ich am Himmel sehe, der Sonnenaufgang, obgleich
sie ihm vorangeht, noch jene seelische Vorstellung; ich sehe aber beide
als gegenwärtig, so daß ich jene, die noch zukünftig
ist, voraussagen kann. Das Zukünftige ist also noch nicht
vorhanden, und was noch nicht ist, ist überhaupt nicht, und was
nicht ist, kann man auch gar nicht sehen, sondern nur vorhersagen aus
dem Gegenwärtigen, das bereits ist und somit gesehen werden kann.
Elftes Buch - Neunzehntes Kapitel
Du aber, Herrscher über
deine Schöpfung, wie belehrest du die Seele über das, was da
zukünftig ist? Denn du hast ja deine Propheten darüber
belehrt. Welches ist die Art, wie du, für den es keine Zukunft
gibt, die Zukunft lehrst, oder vielmehr bezüglich der Zukunft
Gegenwärtiges? Denn was nicht ist, kann ja überhaupt nicht
gelehrt werden. Diese Weise ist meiner Fassungskraft nicht gewachsen;
solche Erkenntnis ist mir zu wunderlich und zu hoch; ich kann es nicht
begreifen; durch dich aber vermag ich es wohl, wenn du es mir
verleihest, du süßes Licht meines inneren Auges.
Elftes Buch - Zwanzigstes Kapitel
Das ist nun wohl klar und
einleuchtend, daß weder das Zukünftige noch das Vergangene
ist. Eigentlich kann man gar nicht sagen: Es gibt drei Zeiten, die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, genau würde man vielleicht
sagen müssen: Es gibt drei Zeiten, eine Gegenwart in Hinsicht auf
die Gegenwart, eine Gegenwart in Hinsicht auf die Vergangenheit und
eine Gegenwart in Hinsicht auf die Zukunft. In unserem Geiste sind sie
wohl in dieser Dreizahl vorhanden, anderswo aber nehme ich sie nicht
wahr. Gegenwärtig ist hinsichtlich des Vergangenen die Erinnerung,
gegenwärtig hinsichtlich der Gegenwart die Anschauung und
gegenwärtig hinsichtlich der Zukunft die Erwartung. Wenn es uns
gestattet ist, so zu sagen, so sehe ich allerdings drei
Zeitunterschiede und gestehe, daß es wirklich drei gibt. Man mag
auch sagen: Es gibt drei Zeiten, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft,
wie es einmal der Mißbrauch der Gewohnheit ist; mag man es sagen,
ich kümmere mich nicht darum, ich widerstrebe nicht, ich tadele es
nicht; wem man nur versteht, was man sagt, und nicht der Meinung ist,
als ob das Zukünftige oder Vergangene jetzt sei. In der Sprache
gibt es weniges, was mit dem eigentlichen Ausdruck gesagt werden kann,
das meiste uneigentlich, dessenungeachtet erkennt man, was wir wollen.
Elftes Buch - Einundzwanzigstes Kapitel
Ich habe kurz vorher gesagt,
daß wir die Zeit im Vorübergehen messen, so daß wir
sagen können, diese Zeit ist im Verhältnis zu jener einfachen
Zeit das Doppelte oder diese ist gerade so groß wie jene. Deshalb
messen wir, wie ich sagte, die Zeiten, wenn sie vorübergehen. Wenn
mir nun jemand sagt: Woher weißt du das? würde ich
antworten: Ich weiß es, daß wir sie messen, und daß
das, was nicht ist, nicht gemessen werden kann, und daß
Vergangenheit und Zukunft nicht sind. Wie messen wir aber die
gegenwärtige Zeit, wenn sie keine Ausdehnung hat? Sie wird
gemessen, wenn sie vorübergeht, wenn sie aber bereits
vorübergegangen ist, wird sie nicht mehr gemessen, weil dann
nichts mehr da ist, was gemessen werden kann. Aber woher, wie und wohin
geht sie vorüber, indes sie gemessen wird? Woher, wenn nicht aus
der Zukunft, wie, wenn nicht durch die Gegenwart, wohin, wem nicht in
die Vergangenheit? Aus dem also, was noch nicht ist, durch das, was
keine Dauer hat, zu dem, was nicht mehr ist. Was messen wir aber, wenn
nicht die Zeit in irgendeiner Ausdehnung? Denn wenn wir sagen: Das
Einfache, das Doppelte, das Dreifache, das Gleiche, so sagen wir das
nur von der Zeit in ihrer Ausdehnung und Dauer. In welcher Dauer messen
wir also die vorübergehende Zeit? Etwa in der Zukunft, von wo aus
sie vorübergeht? Aber was noch nicht ist, messen wir nicht, oder
in der Gegenwart, durch die sie vorübergeht? Aber wir können
nicht messen, was keine Dauer hat. oder in der Vergangenheit, wohin sie
vorübergeht. Aber wir können nicht messen, was nicht mehr ist.
Elftes Buch - Zweiundzwanzigstes Kapitel
Meine Seele brennt vor
Verlangen, diesen rätselhaften Knoten zu lösen.
Verschließe nicht, o mein Gott und Herr, gütiger Vater, ich
flehe dich an im Namen Jesu Christi, verschließe meinem Verlangen
nicht dieses Alltägliche und doch so Geheimnisvolle, auf daß
mein Geist in dasselbe eindringe und es durch die Erleuchtung deiner
Barmherzigkeit, Herr, erhelle. Wen kann ich, Herr, über diese
Dinge befragen? Und wem kann ich mit größerem Nutzen meine
Unwissenheit bekennen, als dir, der meinen Eifer nicht tadelt, der mich
so in heißem Drange unwiderstehlich zu deiner Schrift hinzieht.
Gib, was ich liebe; denn ich hebe und auch dies hast du mir gegeben.
Gib, Vater, der du in Wahrheit deinen Kindern gute Gaben zu geben
weißt. Gib mir's, denn ich hab's auf mich genommen, zur
Erkenntnis zu gelangen, aber es ist mir zu schwer, bis du es mir
aufschließest.
Bei Christus beschwör ich
dich, im Namen dieses Heiligen der Heiligen, laß niemand mir
dabei hinderlich sein. Ich glaubte, deshalb redete ich auch. Das ist
meine Hoffnung und ihr lebe ich nach, daß ich schauen darf die
Freude des Herrn. Siehe du hast von alters her meine Tage bestimmt und
sie fliehen dahin, ich weiß nicht wie. Wir sprechen von Zeit und
Zeit, von Zeiten und Zeiten und fragen: Wann hat er das gesagt? Wann
hat er das getan? Wie lange habe ich das nicht gesehen? Und dann diese
letzteren Silben nehmen doppelte Zeit in Anspruch im Vergleich mit
jener einfachen kürzeren. Wir sagen es und hören es und wir
verstehen es und werden verstanden. Das ist so klar und gewöhnlich
wie etwas und doch auch wiederum so völlig dunkel und die
Lösung des Rätsels noch unbekannt.
Elftes Buch - Dreiundzwanzigstes Kapitel
Ich hörte
éinstmals von einem gelehrten Manne sagen, die Zeit sei die
Bewegung der Sonne, des Mondes und der Gestirne. Ich aber stimmte nicht
bei. Denn warum sollten nicht vielmehr die Bewegungen aller Körper
die Zeit sein? Oder wenn die Lichter des Himmels feierten und die
Scheibe des Töpfers sich nur noch bewegte, gäbe es dann keine
Zeit mehr, um die Drehungen dieser Scheibe zu messen, und sagen zu
können, daß sie entweder in gleicher Schnelligkeit
vollbracht würden, oder wenn die Bewegung vielleicht eine
langsamere oder schnellere wäre, daß einige mehr, die andern
minder langsam seien? Oder wenn wir dieses sprächen, würden
wir nicht auch noch in der Zeit sprechen, oder wären in unsern
Worten einige Silben nicht allein deshalb von verschiedener Länge
und Kürze, weil sie bald längere, bald kürzere Zeit
tönten?
Ich möchte zur Erkenntnis
der Bedeutung und des Wesens der Zeit kommen, wodurch wir die Bewegung
der Körper messen und zum Beispiel sagen, jene Bewegung sei
doppelt so lang als diese. De= ich frage dies, weil wir nicht
bloß den Zeitraum Tag nennen, wo die Sonne sich über dem
Horizont befindet, danach scheiden wir Tag und Nacht - sondern auch den
Zeitraum des ganzen Umlaufes vom Aufgang bis wieder zum Aufgang,
demgemäß wir sagen: "So viele Tage sind verflossen", wir
meinen dann die Tage mit den dazugehörigen Nächten und
zählen die Nächte nicht besonders; wird nun der Tag durch die
Bewegung der Sonne und ihren Kreislauf vom Morgen bis wieder zum Morgen
vollendet, so frage ich danach, ob die Bewegung selbst der Tag ist oder
ob es der Zeitraum ist, worin sie stattfindet, oder beides zugleich.
Denn wäre das erste der Tag, so wäre er also auch Tag, wenn
die Sonne ihren Lauf innerhalb einer einzigen Stunde vollendet;
wäre es das zweite, so wäre dann kein Tag, wenn es von einem
Sonnenaufgang bis zum andern nicht länger als eine Stunde
währte, sondern vierundzwanzigmal müßte alsdann die
Sonne umlaufen, um einen Tag zu vollenden.
Wäre endlich beides
zugleich der Tag, so wäre es weder ein Tag zu nennen, wenn die
Sonne ihren Lauf in der Zeit einer Stunde vollendete, noch auch, wenn
die Sonne ausbliebe und darüber so viel Zeit verginge, als sie in
der Regel braucht zur Vollendung ihres ganzen Umlaufs von einem Morgen
zum andern. ich will darum jetzt nicht weiter fragen, was eigentlich
ein Tag, sondern was denn die Zeit sei, mittels deren wir den Umlauf
der Sonne messen und sagen, er sei um die Hälfte Zeit kürzer
als gewöhnlich, wenn er in einem Zeitraume vollendet wäre, in
welchem zwölf Stunden ablaufen, und wenn wir beide Zeiten
vergleichen, würden wir jene die einfache, diese die doppelte Zeit
nennen, wenn die Sonne zuweilen in jener einfachen, zuweilen in jener
doppelten Zeit vom Aufgange bis wieder zum Aufgange liefe. Niemand sage
mir deshalb, die Bewegung der Himmelskörper sei die Zeit, denn als
einst die Sonne auf Eines Wunsch stillstand, damit er eine Schlacht
siegreich vollende, stand wohl die Sonne still, die Zeit dagegen ging
ihren Lauf, und jene Schlacht wurde geliefert und beendigt in dem
Zeitraume, der für sie genügte. Ich sehe also, daß die
Zeit eine gewisse Ausdehnung ist. Aber erkenne ich es, oder glaube ich
es nur zu erkennen? Du wirst mich es lehren, der du das Licht und die
Wahrheit bist.
Elftes Buch - Vierundzwanzigstes Kapitel
Willst du, daß ich
beistimme, wenn jemand sagt, die Zeit sei die Bewegung eines
Körpers? Das willst du nicht. Denn jeder Körper bewegt sich,
wie ich gehört habe, nur in der Zeit. So sagst du es. Daß
aber die Bewegungen eines Körpers die Zeit selber sei, höre
ich nicht; du sagst das nicht. Denn wenn sich ein Körper bewegt,
so messe ich durch die Zeit, wie lange er sich bewegt von Anfang bis zu
Ende der Bewegung. Und sehe ich nicht den Beginn jener Bewegung und
fährt er fort, sich zu bewegen, so daß ich das Ende der
Bewegung nicht absehe, so bin ich nicht imstande, sie zu messen, als
nur etwa von der Zeit an, wo ich sie wahrnahm bis zum Ende meiner
Wahrnehmung. Sah ich lange Zeit die Bewegungen, so kann ich mir sagen,
die Zeit ist eine lange, nicht aber, wie lang sie ist. Denn wenn wir
wirklich eine Bestimmung der Länge angeben, so tun wir das doch
nur infolge einer Vergleichung; so wenn wir sagen, diese ist so
groß als jene, oder diese ist doppelt so lang im Vergleich zu
jener usw. Wenn wir aber den Punkt bezeichnen könnten, woher und
wohin ein Körper bei jener Bewegung kommt, so könnten wir
auch bestimmen, wieviel Zeit der Körper oder einer seiner Teile
braucht, um sich von einem Punkt zum andern zu bringen. Da nun die
Bewegung eines Körpers etwas anderes ist als das Maß, mit
dem wir ihre Länge messen, wer erkennt nicht, was wir von diesen
beiden vielmehr Zeit nennen müssen? Denn wenn auch ein Körper
sich verschiedentlich bald bewegt, bald stillsteht, so messen wir doch
nicht bloß jene Bewegung, sondern auch die Dauer seines
Stillstandes und sagen: Er stand so lange still, als er sich bewegte,
oder zwei- oder dreimal so lang war, als sonst er war. Das ist das
Resultat unserer Messung, sei es ein genaues oder ungefähres. Es
ist also die Zeit etwas anderes als die Bewegung des Körpers.
Elftes Buch - Fünfundzwanzigstes Kapitel
Ich bekenne es dir, Herr,
daß ich immer noch nicht weiß, was die Zeit ist, und
wiederum ich bekenne dir, Herr, zu wissen, daß ich dieses in der
Zeit sage und daß ich schon lange über die Zeit rede: Wie
weiß ich nun dieses, wenn ich doch nicht weiß, was die Zeit
selber ist? oder weiß ich vielleicht das nicht auszudrücken,
was ich weiß, weh mir, daß ich nicht einmal weiß, was
ich nicht weiß? Siehe, mein Gott, ist's offenbar, daß ich
nicht lüge, wie ich rede, so ist mein Herz. Du erleuchtest, mein
Gott und Herr, meine Leuchte, machst meine Finsternis ficht.
Elftes Buch - Sechsundzwanzigstes Kapitel
Bekennt dir nicht meine Seele
in wahrhaftigem Bekenntnisse, daß ich die Zeiten messe? ja, mein
Gott, ich messe sie, und doch weiß ich nicht, was ich messe? Ich
messe die Bewegung des Körpers durch die Zeit, und doch messe ich
nicht die Zeit selbst? Oder könnte ich die Bewegung eines
Körpers messen, wie lang sie ist und in welcher Zeit er von einem
Punkte zum andern gelangte, wenn ich nicht die Zeit mäße, in
der er sich bewegt? Wodurch messe ich also die Zeit selbst? Messen wir
etwa die längere Zeit durch die kürzere, wie wir die
Länge eines Balkens durch das Maß eines Fußes messen?
Denn so scheinen wir durch das Maß einer kurzen Silbe das
Maß einer langen Silbe zu messen und nennen sie doppelt so lang.
So messen wir den Umfang von Gedichten durch die Länge der Verse
und die Länge der Verse durch die Länge der Füße
und die Länge der Füße durch die Länge der Silben
und die Länge der langen Silben durch die kurzen: doch nicht wie
sie auf dem Papier stehen - denn so messen wir räumliche
Ausdehnungen, nicht die Zeit -, sondern wie sie sich ergibt, wenn die
Worte beim Aussprechen vorübergehn und wir dann sagen: das Gedicht
ist lang, denn es besteht aus soundso vielen Versen, die Verse sind
lang, denn sie bestehen aus soundso viel Füßen; die
Füße sind lang, denn sie zählen soundso viel Silben;
die Silbe ist lang, denn sie hat das Doppelte einer kurzen. Aber auch
so wird noch kein sicheres Zeitmaß erreicht, da ja erst auch ein
kürzerer Vers, wenn er gedehnter ausgesprochen wird, einen
geraumeren Zeitraum hindurch ertönt als ein längerer, wenn er
rasch vorgetragen wird. Ebenso verhält es sich mit einem Gedichte,
mit einem Fuße, einer Silbe, deshalb scheint es mir, daß
die Zeit nichts anderes ist als eine Ausdehnung; aber von was,
weiß ich selber nicht; und wunderbar, wenn nicht von dem Geiste
selbst. Was messe ich, ich bitte dich, mein Gott, wenn ich unbestimmt
sage: "Diese Zeit ist länger als jene", Oder auch bestimmt-.
"Diese ist doppelt so lang als jene?" Ich messe die Zeit, ich
weiß es; aber ich messe nicht die zukünftige Zeit, weil sie
im Raume keine Ausdehnung; ich messe nicht die vergangene, weil sie
nicht mehr ist. Was messe ich also? Etwa die vorübergehende Zeit,
aber noch nicht vergangene Zeit. So war es meine Meinung.
Elftes Buch - Siebenundzwanzigstes Kapitel
Fasse dich, meine Seele, und
merke wacker auf; Gott ist unsere Hilfe; er hat uns gemacht, und nicht
wir selbst. Merke auf, wo das Morgenrot der Wahrheit aufgeht. Denke
dir, ein Körper beginnt mit seiner Stimme zu ertönen,
läßt sich hören, sie ertönt und ertönt fort
und verhallt; es ist Schweigen eingetreten und jene Stimme ist nicht
mehr. Ehe sie ertönte, war sie zukünftig und konnte nicht
gemessen werden, weil sie noch nicht war, und nun kann sie es nicht,
weil sie nicht mehr ist. Als sie ertönte, war es möglich,
denn da war sie in Wirklichkeit vorhanden und konnte gemessen werden.
Aber auch damals war sie nicht bleibend; sie kam und ging vorüber.
Oder war es deshalb um so eher möglich? Denn vorübergehend
dehnte sie sich zu einer gewissen Dauer aus, durch die sie gemessen
werden konnte, weil die Gegenwart keinen Raum hat. Wenn es also
möglich war, so denke dir, eine andere Stimme ertönt, und sie
ertönt noch fort und fort ohne Unterbrechung; laßt sie uns
messen, solange sie noch ertönt, denn wem sie zu tönen
aufgehört hat, wird sie bereits vorübergegangen sein, und
dann ist's nicht mehr möglich, sie zu messen; laßt sie uns
also wirklich messen und sagen, welche Dauer sie hat. Aber noch
ertönt sie, und doch kann sie nur gemessen werden von ihrem
Anfange, wo sie zu ertönen begann, bis zu dem Ende, wo sie
aufhörte. Wir messen nämlich den Zwischenraum selbst von
irgendeinem Anfange bis zu einem Ende. Daher kann die Stimme, die noch
nicht ihr Ende erreicht hat, nicht gemessen werden, daß man sagen
könne, wie lang oder wie kurz sie sei; auch läßt sich
nicht sagen, sie sei irgendeiner gleich oder im Vergleich zu
irgendeiner andern einfach oder doppelt oder etwas Derartiges. Ist sie
aber zu Ende, so ist sie überhaupt nicht mehr. Wie wäre es
also möglich, sie zu messen? Und doch messen wir die Zeiten; aber
weder die, welche noch ist, noch die, welche nicht mehr ist, noch auch
die, die sich auf keine Dauer erstreckt, noch auch die, die keine
Grenze hat; also weder die zukünftige Zeit, noch die vergangene,
noch die gegenwärtige, noch die vorübergehende Zeit messen
wir, und dennoch messen wir die Zeit.
"O Gott, du Schöpfer
aller Welt"; dieser Vers besteht aus acht abwechselnd kurzen und langen
Silben. Vier sind also kurz: die erste, dritte, fünfte und
siebente, sie sind einfach im Vergleich zu den vier langen, der
zweiten, vierten, sechsten und achten. Diese erfordern im Vergleich zu
jenen die doppelte Zeitdauer. Ich spreche sie aus, ich wiederhole sie,
und es ist so, soweit wir unserm Sinne darüber Gewißheit
verschaffen. Soweit nun die sinnliche Wahrnehmung zuverlässig ist,
messe ich die lange Silbe mit der kurzen und mache die Wahrnehmung,
daß sie doppelt so lang ist als jene. Aber wenn die eine nach der
andern ertönt, wenn die erste kurz, die folgende lang ist, wie
kann ich dann die kurze festhalten und sie beim Messen der langen
anwenden, um zu finden, daß sie die zweifache Länge von
jener hat, da die lange erst zu ertönen beginnt, wenn die kurze
bereits aufgehört hat? Auch die lange Silbe selbst messe ich
nicht, während siegegenwärtig ist, sie ist ja erst zu messen,
wenn sie beendet ist. Hat sie aufgehört, so ist sie bereits
vorübergegangen. Was soll ich da messen? Wo ist denn die kurze
Silbe, mit der ich messe, wo die lange, die ich messe? Beide sind
erklungen, sind verklungen, vergangen, sind bereits nicht mehr. Und
doch messe ich und gebe mit Zuversicht die Antwort, soweit man sich auf
ein geübtes Gehör verlassen kann, jene sei das Einfache,
diese das Zweifache, nämlich der Zeitdauer nach. Es wäre
unmöglich, wenn diese beiden Silben nicht bereits vergangen und
beendet wären. Ich messe also nicht sie selbst, die bereits nicht
mehr sind, sondern etwas, was sich meinem Gedächtnisse
eingeprägt hat.
In dir, mein Geist, messe ich
die Zeiten; entgegne mir nicht: Wieso das? Laß dich nicht durch
die Menge deiner Vorurteile verwirren. In dir, ich sage es nochmals,
messe ich die Zeiten; der Eindruck, den die vorübergehenden Dinge
auf dich machen, bleibt auch, wenn sie vorübergegangen sind, und
ihn messe ich, wenn ich die Zeiten messe. Es ist also entweder er
selbst die Zeit, oder es ist nicht die Zeit, die ich messe. Aber wie,
wenn wir nun selbst das Stillschweigen messen und sagen, dieses
Schweigen hat ebenso lange gedauert, als jene Stimme anhält?
Dehnen wir da nicht unsere Gedanken nach der Dauer der Stimme, als wenn
sie noch ertönte, um darnach etwas von der Dauer des Schweigens
angeben zu können? Denn wenn auch Stimme und Mund schweigen,
lassen wir doch in Gedanken Gedichte, Verse und jegliche Rede an
unserem Geiste vorübergehen und geben dann die betreffende
Ausdehnung ihres Vorübergangs und das Verhältnis der
Zeitdauer des einen zum andern gerade so an, als wenn wir jene Gedichte
usw. laut aussprächen. Wenn irgend jemand einen etwas
längeren Laut von sich gäbe und im voraus dessen Länge
bestimmte, so bestimmt er diesen Zeitraum in der Stille, übergibt
ihn seinem Gedächtnisse und beginnt jenen Ton hervorzubringen, bis
er die von ihm festgesetzte Dauer erreicht hat, oder vielmehr er
ertönte und wird ertönen, denn soweit er vorüber ist,
soweit erschallte er bereits; was aber noch übrig ist, das wird
noch ertönen. Es wird also vollendet, während die
gegenwärtige Aufmerksamkeit das Zukünftige in die
Vergangenheit überträgt, so, daß durch die Abnahme der
Zukunft die Vergangenheit wächst, bis sich nach gänzlichem
Aufbruch der Zukunft alles in Vergangenheit umgesetzt hat.
Elftes Buch - Achtundzwanzigstes Kapitel
Aber wie kann sich die
Zukunft, die noch gar nicht ist, verringern und erschöpfen? oder
wie kann die Vergangenheit, die nicht mehr ist, zunehmen, wenn sich
nicht im Geiste, in dem dieses vorgeht, ein dreifaches befindet? Er
erwartet, er faßt auf und erinnert sich, so daß das, was er
erwartet, durch seine Auffassung, was er auffaßt, in sein
Gedächtnis übergeht. Wer also leugnet, daß die Zukunft
noch nicht ist? Dessenungeachtet aber ist bereits in der Seele die
Erwartung des Zukünftigen. Und wer leugnet, daß die
Vergangenheit keine Existenz habe? Dennoch lebt in der Seele die
Erinnerung an Vergangenes. Und wer leugnet, daß die
gegenwärtige Zeit der Dauer entbehre, weil sie nur ein unteilbarer
Punkt ist? Aber doch währt die Wahrnehmung, durch welche das, was
vergangen ist, zu sein fortfährt. Es ist die zukünftige Zeit
nicht lang, weil sie nicht ist, sondern eine lange Zukunft ist nichts
anderes als die lange Erwartung der Zukunft; ebensowenig ist die
Vergangenheit, die nicht mehr ist, lang, sondern lange vergangen, ist
nichts anderes als die lange Erinnerung des Vergangenen.
Ich will ein Lied vortragen,
das ich auswendig kann; bevor ich anfange, richtet sich meine Erwartung
auf das Ganze; wenn ich aber begonnen habe, dann fällt das, was
ich davon vortrage, als Vergangenes dem Gedächtnis anheim; und die
Dauer dieser meiner Tätigkeit zerteilt sich in das Gedächtnis
dessen, was ich gesagt habe und was ich noch sagen werde;
gegenwärtig ist dagegen meine Aufmerksamkeit, durch die das, was
zukünftig war, hindurchgeht, um Vergangenes zu werden. je mehr nun
dieses geschieht, desto mehr verkürzt sich die Erwartung und
verlängert sich die Erinnerung, bis die ganze Erwartung sich
erschöpft, weil die ganze Handlung völlig beendet in das
Gedächtnis übergegangen ist. Und was bei dem ganzen Gedichte
geschieht, das geschieht auch bei jedem einzelnen Teile und den
einzelnen Silben desselben; ebenso bei einer längeren HandIung,
von der das Gedicht vielleicht ein Teil ist; ebenso bei dem ganzen
menschlichen Leben, dessen einzelne Handlungen nur Teile sind; ebenso
bei der ganzen Menschheit, von der das Leben der einzelnen Menschen nur
Teile sind.
Elftes Buch - Neunundzwanzigstes Kapitel
Aber deine Güte ist
besser denn Leben, siehe mein Leben ist Zerstreuung und deine Rechte
hat mich aufgenommen in meinem Herrn, dem Menschensohn, dem Mittler
zwischen dir, dem Einen und uns, den Vielen, in Vielem durch Vieles,
damit ich durch ihn es ergreife, von dem auch ich ergriffen bin und
mich von meiner Vergangenheit abwende, vergesse, was da hinten ist, und
mich ausstreckend nicht nach dem, was künftig und
vorübergehend, sondern zu dem, was da vorne ist, nicht zerstreut,
sondern strebend, eile ich der Palme der ewigen Berufung zu; wo ich
höre die Stimme deines Lobes und deine Wonne schaue, die weder
kommt noch vorübergeht. jetzt aber sind meine Jahre Jahre des
Seufzens. Du bist mein Trost, Herr, du bist mein ewiger Vater; ich aber
bin dem Wechsel der Zeiten hingegeben, deren Ordnung mir unerforschlich
ist; meine Gedanken, das innerste Leben meiner Seele, werden von dem
stürmischen Wechsel zerrissen, bis ich, gereinigt und
geläutert durch deiner Liebe Glut, ganz in dich mich ergieße
und sammle.
Elftes Buch - Dreißigstes Kapitel
Stark und fest will ich stehen
in dir, in meinem Urbild, in deiner Wahrheit, und ich werde nicht
dulden die Fragen der Menschen, die in strafbarer Sucht nach mehrerem,
als sie hoffen können, dürsten und sagen: "Was tat Gott, ehe
er Himmel und Erde schuf? Und wie kam Ihm der Gedanke, etwas zu
schaffen, da Er doch nie zuvor etwas machte? " Gib ihnen, Herr,
daß sie recht bedenken, was sie sagen, und daß sie finden,
daß man nicht reden kann von "niemals", wo es keine Zeit gibt.
Wenn man sagt, "er habe nie etwas geschaffen", so heißt das
nichts anderes, als "er habe zu keiner Zeit etwas geschaffen".
Mögen sie also erkennen, daß keine Zeit sein könne ohne
Schöpfung und mögen sie abstehen, diese Verkehrtheit zu
wiederholen. Mögen auch sie ihr Verlangen nach dem erstrecken, was
da vorne ist, und dich erkennen vor aller Zeit als den ewigen
Schöpfer aller Zeiten, also, daß keine Zeit mit dir gleich
ewig sei noch irgendeine Kreatur, auch wenn sie selbst uns über
die Zeit hinausreicht.
Elftes Buch - Einunddreißigstes Kapitel
Herr, mein Gott, wie
groß sind die Tiefen deiner Geheimnisse, wie haben mich die
Folgen meiner Vergehen davon entfernt? Heile meine Augen, auf daß
zugleich ich mich freue über dein Licht. Freilich gäbe es
einen Geist, begabt mit einer so großen Wissenschaft und Kenntnis
der Zukunft, daß ihm alle Vergangenheit und Zukunft so bekannt
wäre wie mir z. B. ein ganz bekanntes Lied, so wäre dieser
Geist allerdings bewunderungswürdig und zum Erschrecken
erstaunenswert, da alle Jahrhunderte der Vergangenheit und der Zukunft
enthüllt vor ihm lägen wie mir, weint ich das Lied singe, was
und wieviel ich vom Anfange bereits gesungen und was und wieviel noch
übrig ist. Doch ferne sei es, zu denken, daß du,
Schöpfer des Weltalls, Schöpfer der Seelen und Leiber; fern
sei es, daß du alles Zukünftige und Vergangene in
ähnlicher Weise wissen solltest. Du weißt es weit, weit
wunderbarer, weit geheimnisvoller. Denn nicht wie bei der Stimme
dessen, der ein bekanntes Lied singt oder ein bekanntes Lied hört,
durch die Erwartung der noch kommenden Verse und durch die Erinnerung
der bereits gesungenen verschiedenfach berührt und die
Aufmerksamkeit gespannt wird, ist es bei dir der Fall, dem wunderbar
Ewigen, d. h. dem wahrhaft ewigen Schöpfer aller Geister. Wie du
also im Anfang Himmel und Erde ohne Wandel deiner Kenntnisse kanntest,
so schufest du im Anfange Himmel und Erde ohne Änderung deiner
Tätigkeit. Wer dies erkennt, möge es dir bekennen; und wer es
nicht versteht, der preise dich ebenso. O wie erhaben bist du, und die
demütigen Herzens sind, sind deine Wohnung! Denn du richtest auf,
die zerschlagenen Herzens sind, und die werden nicht fallen, deren
Höhe du bist.
ZWÖLFTES BUCH
Erstes Kapitel
Vieles
bewegt mein Herz, Herr, in der Armseligkeit meines Lebens, wenn es von
den Schlägen der Worte deiner Schrift getroffen wird; deshalb ist
die Dürftigkeit der menschlichen Erkenntnis meistens wortreich;
das Suchen der Wahrheit ist wortreicher als das Finden; das Bitten ist
langweiliger als das Erlangen und geschäftiger ist die Hand, die
anklopft, als die, welche nimmt wir haben die Verheißung, wer
wird sie uns rauben? Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?
Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an,
so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer
da suchet, der findet; und wer da anklopfet, dem wird aufgetan. Das
sind deine Verheißungen; und wer fürchtet getäuscht zu
werden, wenn die Wahrheit verheißt?
Zwölftes Buch - Zweites Kapitel
Deiner Hoheit bekennt meiner
Zunge Niedrigkeit, daß du Himmel und Erde geschaffen hast; diesen
Himmel, den ich sehe, und die Erde, die ich betrete; und auch die Erde,
die ich an mir trage, hast du gemacht. Aber wo ist der Himmel des
Himmels, Herr, von dem wir hören in dem Worte des Psalms: Der
Himmel des Himmels ist des Herrn, aber die Erde hat er den
Menschenkindern gegeben? Wo ist der Himmel, den wir nicht sehen, gegen
den alles das, was wir sehen, Erde ist? Denn dieses ganz
Körperliche, dessen Unterstes unsere Erde ist, erhielt nicht
überall in den letzten Teilen eine schöne Gestalt, sondern
gegen diesen Himmel des Himmels ist auch unserer Erde Himmel Erde. Und
diese beiden großen Körper sind in Wahrheit Erde gegen jenen
Himmel, der des Herrn ist, und nicht der Menschenkinder.
Zwölftes Buch - Drittes Kapitel
Freilich war diese Erde
wüst und leer und ich weiß nicht welch eine Tiefe des
Abgrundes, auf der es finster war, weil sie keine Gestalt hatte.
Weshalb befahlst du, daß geschrieben würde, und es war
finster auf der Tiefe, wenn dieses nicht die Abwesenheit des Lichtes
wäre? Denn wo wäre Licht, wenn es wäre, wenn es sich
nicht erhoben und die Dinge erleuchtet hätte? Wo also das Licht
noch nicht war, was war da das Dasein der Finsternis anders als die
Abwesenheit des Lichtes? Finsternis war daher auf der Tiefe, weil das
Licht nicht da war, wie, wo kein Laut sich hören läßt,
Schweigen herrscht. Und was ist, daß dort Schweigen herrscht,
anders, als daß kein Laut hörbar ist? Hast du, Herr, nicht
meine Seele gelehrt, was sie dir bekennt? Hast du, Herr, mich nicht
gelehrt, daß, ehe du jene gestaltlose Masse bildetest und
ordnetest, nichts da war, keine Farbe, keine Gestalt, kein Körper,
kein Geist? Indes war nicht überhaupt nichts; es war eine
gestaltlose Masse ohne Gestaltung.
Zwölftes Buch - Viertes Kapitel
Wie sollte man es also
benennen, um es auch Einfältigeren irgendwie klarzumachen, als mit
einem gebräuchlichen Worte? Was läßt sich aber in dem
weiten Bereiche der Welt finden, das der gänzlichen
Gestaltlosigkeit mehr entspräche als die Erde und der Abgrund?
Denn auf ihrer untersten Stufe sind sie weniger gestaltet als alles
Höhere, was lichtvoll und leuchtend ist. Warum sollen wir daher
nicht die Gestaltlosigkeit des Stoffes annehmen, die du ohne Gestalt
geschaffen hattest, um daraus die gestaltvolle Welt zu bilden, die du
so passend den Menschen verständlich machtest, indem du die Erde
wüst und leer nanntest.
Zwölftes Buch - Fünftes Kapitel
Wenn nun aber unser Gedanke fragt, was der
Sinn erkenne, und sich selbst sagt: "Die Gestalt ist nicht erkennbar
wie das Leben, die Gerechtigkeit, weil sie der Stoff der Körper
ist; sie ist auch nicht empfindbar, weil es bei dem Wüsten und
Leeren nichts gibt, was man sehen und empfinden könnte", so
versucht der menschliche Verstand, indem er dieses sagt, sie entweder
durch Nichtwissen zu kennen oder durch Nichterkennen zu wissen.
Zwölftes Buch - Sechstes Kapitel
Wenn ich dir aber, Herr, alles
mit Wort und Schrift bekenne, was du mich von diesem Urstoffe gelehrt
hast, den ich schon früher nennen hörte, ihn aber nicht
verstand, als jene Manichäer, die ihn nicht verstanden, davon
sprachen, so dachte ich ihn mir in unzählig verschiedenen
Gestalten und deshalb dachte ich ihn mir in Wirklichkeit nicht. Der
Geist kehrte die Ordnung der Dinge um und wälzte in sich
scheußliche und schreckliche Gestalten, aber doch immer
Gestalten; und ich nannte ihn gestaltlos, nicht weil er der Gestalt
entbehrte, sondern weil er eine solche besaß, daß, wenn er
sichtbar hervorgetreten wäre, das Ungewöhnliche und
Unpassende meine Sinne abgeschreckt und die Schwäche des Menschen
mit Entsetzen erfüllt hätte. Aber was ich dachte, war nicht
durch die Beraubung aller Gestalt, sondern durch die Vergleichung mit
Wohlgestalterem gestaltlos; und die gesunde Vernunft riet, ich solle
jeglichen Rest aller Gestalt überhaupt hinwegnehmen, wenn ich das
schlechterdings Gestaltlose denken wollte; aber das vermochte ich
nicht. Eher glaubte ich, das wäre gar nicht, was jeder Gestalt
entbehrt, als daß ich dachte, es gäbe ein Etwas zwischen dem
Gestalteten und dem Nichts, weder gestaltet noch gestaltlos, das
beinahe nichts wäre. Mein Verstand stand davon ab, hierüber
meinen Geist zu befragen, der angefüllt von Bildern von
gestalteten Körpern war und sie nach Willkür ändern und
umwandeln konnte; ich wandte meine Aufmerksamkeit auf die Körper
selbst und drang tiefer in die Veränderlichkeit derselben, wodurch
sie zu sein aufhören, was sie waren, und zu sein anfangen, was sie
nicht waren; und vermutete, derselbe Übergang von einer Gestalt in
die andere finde durch etwas Gestaltloses statt, nicht durch ein
schlechterdings Nichts; aber ich wünschte dies zu erkennen, nicht
nur zu vermuten. Und wem dir meine Stimme und meine Schrift dieses
alles bekennen würde, was du mir über diese Frage geoffenbart
hast, welcher Leser vermöchte dieses zu fassen? jedoch soll mein
Herz nicht aufhören, dich zu preisen und zu loben um deswillen,
was zu sagen ich nicht vermag. Denn die Veränderlichkeit der
veränderlichen Dinge selbst ist aller Gestalten fähig, in die
sich die veränderlichen verwandeln. Und was ist sie? Ist sie
Geist? Ist sie Körper? Wenn man sagen könnte: "Das Nichts ist
etwas", und "was ist, ist nicht", würde ich sie so nennen; und
doch war es irgendein Etwas, wie es auch war, daß es jene
sichtbare und geordnete Gestalt annahm.
Zwölftes Buch - Siebentes Kapitel
Und woher nur war dies, wenn
nicht von dir, von dem alles ist, insoweit es ist? Aber je
unähnlicher es dir ist, desto weiter ist es von dir entfernt, aber
nicht räumlich. Du hast, O Herr, der du nicht bald auf diese, bald
auf jene Weise bist, sondern immer und überall derselbe, heilig,
heilig, heilig, Herr Zebaoth, im Anfange, der in dir ist, in deiner
Weisheit, die aus deinem Wesen geboren ist, Etwas aus Nichts gemacht.
Denn du machtest Himmel und Erde, nicht aus dir, aus deinem Wesen, dann
wäre es deinem Eingeborenen gleich und dadurch auch dir, und in
keiner Weise wäre es gerecht, daß das, was nicht aus dir
ist, dir gleich sei. Außer dir aber war es nicht, woraus du es
hättest machen können, Gott, Eins als Dreiheit und dreifach
als Einheit; du machtest also aus nichts Himmel und Erde, etwas
Großes und etwas Kleines, weil du allmächtig und gütig
bist, um alles zu schaffen, einen großen Himmel und eine kleine
Erde, ein Zwiefaches: Das Eine dir nahe, das Andere dem Nichts nahe;
das Eine, über das du erhaben wärst, das Andere, das nur das
Nichts unter sich hätte.
Zwölftes Buch - Achtes Kapitel
Aber jener Himmel des Himmels
ist nur dein, Herr; die Erde aber, die du den Menschenkindern
überließest zu schauen und zu berühren; Sie war
wüst und leer und es war eine Tiefe, auf der es finster war, oder
Finsternis war über der Tiefe, das heißt, mehr als in der
Tiefe. Denn die Tiefe der jetzt sichtbaren Gewässer hat auch in
ihren Abgründen ein Licht eigentümlicher Art, das nur den
Fischen und den in seinem Abgrunde kriechenden Tieren empfindbar ist;
dieses Ganze war aber nahe dem Nichts, weil es überhaupt noch
ungestaltet war, jedoch war es gestaltsunfähig. Denn du, Herr,
machtest die Welt aus gestaltlosem Stoff, den du aus Nichts zu einem
kaum Etwas schufest, um aus ihm Großes zu machen, das wir
Menschenkinder bewundern. Bewunderungswürdig ist dieser sinnliche
Himmel, den du als eine Feste zwischen den Gewässern und
Gewässern gründetest, als du am zweiten Tage nach der
Erschaffung des Lichtes sagtest: Es werde; und es geschah also. Diese
Feste nanntest du Himmel; aber den Himmel dieser Erde und des Meeres,
die du am dritten Tages schufest, durch Verleihung einer sichtbaren
Gestalt dem ungestalteten Stoffe, den du vor allen Tagen machtest. Denn
auch den Himmel hattest du bereits vor allen Tagen geschaffen, aber den
Himmel dieses Himmels, da du im Anfange Himmel und Erde geschaffen
hattest. Die Erde selbst aber, die du geschaffen hattest, war
gestaltlose Masse, weil sie wüst und leer und es finster auf der
Tiefe war, und aus dieser wüsten und leeren Erde, aus dieser
Gestaltlosigkeit, aus diesem dem Nichts so nahen Wesen wolltest du das
alles bilden, woraus die veränderliche Welt besteht, an der die
Veränderlichkeit sich zeigt, an der die Zeiten empfunden und
gezählt werden können; denn durch die Veränderungen der
Dinge entstehen die Zeiten, indem ihre Gestalten, deren Stoff vorhin
die wüste Erde genannt wurde, sich verändern und verwandeln.
Zwölftes Buch - Neuntes Kapitel
Deshalb schweigt der Geist,
der Lehrer deines Dieners, wenn er erwähnt, du habest im Anfange
Himmel und Erde geschaffen, von Zeiten, er redet nicht von Tagen, denn
der Himmel des Himmels, den du im Anfange schufest, ist eine geistige
Schöpfung, und wenn auch in keiner Weise dir, der Dreieinigkeit,
gleich ewig; doch beschränkt die Teilnahme an deiner Ewigkeit sehr
seine Veränderlichkeit durch die Wonne deiner seligen Anschauung,
und seit seiner Schöpfung ohne Störung mit dir verbunden, ist
er über allen flüchtigen Wechsel erhaben. jene
Gestaltlosigkeit aber, die wüste und leere Erde, wird selbst nicht
nach Tagen gezählt. Denn wo keine Gestalt, da ist keine Ordnung;
nichts kommt, nichts vergeht, und wo dies nicht geschieht, da sind
überhaupt keine Tage, kein Wechsel von Zeiträumen.
Zwölftes Buch - Zehntes Kapitel
O Wahrheit, Licht meines
Herzens, laß meine eigene Finsternis nicht zu mir reden. Zu
diesen Dingen, die vergehen, bin ich hinabgesunken und von ihnen
verfinstert, aber auch von dort gewann ich dich lieb. Ich irrte, aber
ich gedachte deiner. Ich vernahm deine Stimme von ferne, die mich zur
Rückkehr trieb, und ich hörte sie kaum vor der Unruhe und dem
Lärm. Und nun kehre ich erschöpft und atemlos zu deinem
Lebensquell zurück. Niemand möge mich hindern; daraus will
ich trinken, um dann zu leben. Ich bin nicht selbst mein Leben; habe
ich böse gelebt aus mir, so war ich mir selbst der Tod; und in dir
lebe ich wieder au£ Sprich du zu mir, rede du zu mir. Ich glaubte
deinen Schriften, aber ihre Worte sind geheimnisvoll.
Zwölftes Buch - Elftes Kapitel
Schon hast du, o Herr, mir mit
starker Stimme in mein inneres Ohr gesagt, daß du ewig bist,
daß du allein Unsterblichkeit habest, da du dich durch keine
Gestalt oder Bewegung verwandelst noch dein Wille sich in den Zeiten
ändert, weil ein Wille, der bald so, bald anders ist, nicht
unsterblich ist. Möchte mir dies in deinem Angesichte klarwerden
und mir mehr und mehr einleuchten, ich bitte dich, und möchte ich
bei dieser Offenbarung demütig unter deinen Flügeln
verharren; ebenso hast du mir, Herr, mit starker Stimme in mein inneres
Ohr gesagt, daß du alle Geschöpfe und Wesen, die nicht sind,
was du bist, und doch sind, gemacht hast, und nur das ist nicht von
dir, was nicht ist; und die Bewegung des Willens von dir, der du bist,
zu dem, was weniger ist, weil eine solche Bewegung ein Vergehen und
Sünde ist; und daß keines Menschen Sünde weder dir
schadet noch die Ordnung deines Reiches stört, weder im
höchsten noch im niedrigsten der Geschöpfe. Möchte mir
dies in deinem Angesichte klar-werden und mir mehr und mehr zur
Gewißheit werden, darum bitte ich dich, und möchte ich bei
dieser Offenbarung demütig unter deinen Flügeln verharren.
Ferner hast du mir mit starker
Stimme in mein inneres Ohr gesagt, daß jene Schöpfung auch
nicht mit dir gleich ewig ist, deren Wille du allein bist, die mit
ewiger Keuschheit dich in sich aufnimmt, die ihre Wandelbarkeit nie und
nirgends offenbart und die, da du, an dem sie mit voller Inbrunst
festhält, ihr stets gegenwärtig bist, nichts Zukünftiges
zu erwarten und nichts der Vergangenheit zu übergeben hat, um
dessen sich zu erinnern, die keiner Wandlung und keinem Wechsel der
Zeiten unterworfen ist. O wie selig ist diese Schöpfung, wenn es
eine gibt, durch die Teilnahme an deiner Seligkeit; selig durch deine
beständige Gemeinschaft und Erleuchtung! Ich wüßte
nichts, was ich eher glaubte, den Himmel des Himmels, der dein ist,
Herr, nennen zu sollen, als deine Wohnung, die deine Wonne schaut ohne
irgendeine Lust zur Abschweifung auf andere Dinge; einen reinen Geist,
auf das engste vereinigt durch das Band des Friedens der heiligen
Geister, der Bürger deiner Stadt im Himmel über dem
Firmamente der Erde.
Hieraus möge die Seele,
deren Pilgerfahrt lange währt, erkennen, wenn sie schon nach dir
dürstet, wenn schon ihre Tränen sind ihre Speise Tag und
Nacht, weil man täglich zu ihr sagt: Wo ist nun dein Gott?, wenn
sie schon eins von dir bittet, das sie gerne hätte, daß sie
im Hause des Herrn bleiben möge ihr Leben lang; und was ist ihr
Leben, wenn nicht du? Und welches sind deine Tage, wenn nicht deine
Ewigkeit, die wie deine Jahre kein Ende nehmen, weil du ewig
unveränderlich bist? - Hieraus möge also die Seele, die es
vermag, erkennen, wie weit die Ewigkeit über alle Zeiten erhaben
ist, wenn deine Wohnung, die durch keine Zeit pilgert und gleichwohl
nicht mit dir ewig ist, doch durch die unaufhörliche und
unerschütterliche Gemeinschaft mit dir keinen Wechsel der Zeiten
erleidet. Möchte mir dieses in deinem Angesicht klar und zur
Gewißheit werden, ich bitte dich, und ich bei dieser Offenbarung
demütig unter deinen Flügeln verharren.
Siehe, ich weiß nicht,
was für ein Ungestaltetes es in den Veränderungen gibt,
welche die äußersten und untersten Dinge erfahren. Wer kann
mir sagen, als nur wer in der Lehre seines Herzens mit seinen eitlen
Einbildungen umherirrt und sich verliert; wer, wenn nicht ein solcher,
wird mir sagen können, wie, wenn nach Verminderung und
Aufhören aller Gestalt nur die Ungestalt zurückbliebe, durch
welche ein Ding von Gestalt zu Gestalt sich bewegt und übergeht,
sie den Wechsel der Zeiten erzeugen könne? Das ist unmöglich,
weil ohne Verschiedenheit der Bewegungen keine Zeiten sind, und wo
keine Gestalt ist, da ist auch keine Mannigfaltigkeit der Bewegung.
Zwölftes Buch - Zwölftes Kapitel
Nach diesen Betrachtungen,
mein Gott, soweit du es mir verleihest, mich zum Anklopfen aufforderst
und dem Anklopfenden öffnest, finde ich ein zweifaches, das du der
Zeit nicht unterworfen hast, obgleich keines von beiden mit dir gleich
ewig ist: das eine, das so gestaltet, daß es ohne irgendeine
Unterbrechung in der Anschauung, ohne irgendeinen Zwischenraum der
Veränderung, obgleich veränderlich, doch nie verändert,
deine Ewigkeit und Unveränderlichkeit genießt; das andere,
was so ungestaltet ist, daß, aus welcher Gestalt und in welche
Gestalt der Bewegung oder der Ruhe es auch überging, es doch keine
Gestalt hatte, um der Zeit unterworfen zu sein. Aber du ließest
dies nicht so ungestaltet, weil du vor allen Tagen, im Anfange Himmel
und Erde, diese beiden Dinge, von denen ich eben sprach, geschaffen
hast. Die Erde war aber wüst und leer und es war finster über
der Tiefe. Mit diesen Worten wird die Gestaltlosigkeit bezeichnet, und
es sollen dadurch auch diejenigen belehrt werden, die sich jedwede
Beraubung einer Gestalt, ohne daß sie deshalb ein reines Nichts
wäre, nicht denken können, woraus ein anderer Himmel und eine
sichtbare und wohlgestaltete Erde und klare Gewässer entstanden
und was darnach bei der Bildung dieser Erde in Tagen, wie erzählt
wird, gemacht wurde; weil diese Dinge der Art sind, daß sie dem
Wechsel der Zeiten unterworfen sind, weil sie bestimmte
Veränderungen in ihren Bewegungen und Gestalten erfuhren.
Zwölftes Buch - Dreizehntes Kapitel
Ich verstehe dies einstweilen
so, mein Gott, wenn ich die Worte deiner heiligen Schrift höre: Im
Anfange schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und
leer und es war finster über der Tiefe, wobei nicht erwähnt
wird, an welchem Tage du dies tatest. Ich verstehe einstweilen so unter
diesem Himmel des Himmels den geistigen Himmel, in welchem die
Erkenntnis ein vollständiges Erkennen ist, nicht stückweise,
nicht wie in einem Rätsel, nicht durch einen Spiegel, sondern
völlig offenbar von Angesicht zu Angesicht; nicht bald dieses,
bald jenes, sondern, wie gesagt, ein vollständiges Erkennen ohne
irgendeinen Wechsel der Zeit; und unter der wüsten und leeren
Erde, auf der bald dieses, bald jenes stattfindet, weil, wo keine
Gestalt ist, auch wie dieses oder jenes ist; unter diesen beiden, dem
gleich anfangs Gestalteten und dem gänzlich Ungestalteten,
verstehe ich unter jenem den Himmel, jedoch den Himmel des Himmels;
unter diesem aber die Erde, jedoch die wüste und leere Erde; in
Beziehung auf dieses, beides glaube ich, daß deine heilige
Schrift ohne Erwähnung von Tagen sagt: Im Anfang schuf Gott Himmel
und Erde. Sie fügt sogleich hinzu, welche Erde gemeint sei. Da sie
am zweiten Tage die Erschaffung der Himmelsfestung erwähnt und sie
den Himmel nennt, so wird dadurch angedeutet, von welchem Himmel
früher ohne Erwähnung der Tage die Rede war.
Zwölftes Buch - Vierzehntes Kapitel
Wunderbar ist die Tiefe deiner
Worte, deren Oberfläche uns anlächelt; aber ihre Tiefe, mein
Gott, ist wunderbar! Mit erbebendem Schauer richte ich meine Blicke auf
sie, mit einem Schrecken der Ehrfurcht und mit einem Zittern der Liebe.
Ich verabscheue ihre Feinde in rechtem Ernst. O wenn du sie mit dem
zweischneidigen Schwerte tötest, daß sie nicht mehr ihre
Feinde wären! Denn ich wünsche, daß sie sich sterben,
damit sie dir leben. Andere aber tadeln nicht das Buch der
Schöpfung, sondern loben es und sagen: "Der Geist Gottes, der
durch seinen Diener Moses dieses schreiben ließ, wollte nicht,
daß diese Worte in dem Sinne verstanden würden; er wollte es
nicht verstanden wissen, wie du es sagst, sondern anders, wie wir es
sagen." Diesen antworte ich vor dir, mein Gott, der du mein und ihr
Schiedsrichter bist, in folgender Weise.
Zwölftes Buch - Fünfzehntes Kapitel
"Wollt ihr sagen, es sei
falsch, was die Wahrheit mit starker Stimme in das innere Ohr von der
wahrhaften Ewigkeit des Schöpfers sagt, daß sein Wesen dem
Wechsel der Zeiten nicht unterworfen ist und daß sein Wille nicht
von seinem Wesen getrennt werden könne? Daß er deshalb nicht
bald dieses wolle, bald jenes, sondern daß er es auf einmal,
zugleich und immer alles wolle, was er will, nicht wieder und wieder,
nicht bald dieses, bald jenes, so daß er hernach das wolle, was
er früher nicht wollte, oder nicht wolle, was er früher
wollte; denn ein solcher Wille ist wandelbar, und alles Wandelbare ist
nicht ewig; unser Gott aber ist ewig. Ferner, was sie mir ins innere
Ohr sagt, daß die Erwartung der künftigen Dinge nicht zur
Anschauung wird, wenn sie kommen; ferner, daß jede Richtung der
Seele, die so dem Wechsel unterliegt, wandelbar und alles Wandelbare
nicht ewig ist; unser Gott aber ist ewig." Dies stelle ich zusammen,
vergleiche es und finde, daß mein Gott, der ewige Gott, nicht
durch irgendeinen neuen Willen die Schöpfung gebildet habe und
daß sein Wissen nicht den Wechsel des Vorübergehens dulde.
"Was werdet ihr antworten, ihr
Widersacher? Etwa daß es falsch sei?" "Nein", sagen sie. "Was
dann? Ist es falsch, daß jedes gestaltete Wesen oder jeder
gestaltungsfähige Stoff nur von dein sei, der unendlich gütig
ist, weil er unendlich ist? " "Auch dies leugnen wir nicht", sagen sie.
Was also? Oder leugnet ihr das, daß irgendein erhabenes
geschaffenes Wesen mit so reiner Liebe mit dem wahrhaftigen und
wahrhaft ewigen Gott so innig verbunden sei, daß es, obgleich mit
ihm nicht gleich ewig, doch durch keinen Wechsel der Zeiten sich von
ihm löse und vergehe, sondern in völliger Anschauung Seiner
allein ruhe? Dem, mein Gott, der dich liebt, wie du es befiehlst,
zeigst du dich und bist ihm volles Genüge; und darum wendet er
sich von dir nicht noch hin zu sich. Dies ist das Haus Gottes, nicht
irdisch, auch nicht durch irgendeinen himmlischen Stoff
körperlich, sondern geistig, das auch an deiner Ewigkeit
teilnimmt, weil auf ewig ohne Fehl. Er hält die Himmel immer und
ewiglich; er ordnet sie, daß sie nicht anders gehen müssen.
Aber doch ist es mit dir, Gott, nicht gleich ewig, weil es nicht ohne
Anfang ist, weil es geschaffen ist.
Denn obgleich wir vor ihm
keine Zeit finden, denn die Weisheit ist vor allen Dingen geschaffen,
so ist doch diese Weisheit nicht mit dir, unser Gott, ihrem Vater
gleich ewig und völlig gleich, durch die alles geschaffen ist und
in welchem Anfang du Himmel und Erde schufest, sondern gewiß eine
Weisheit, die geschaffen ist, freilich ein geistiges Wesen, das durch
die Anschauung des Lichtes Licht ist; denn auch sie, obgleich
geschaffen, wird Weisheit genannt. Aber wie groß der Unterschied
ist zwischen dem Lichte, das erleuchtet, und dem Lichte, das erleuchtet
wird, ebenso groß ist der Unterschied zwischen der Weisheit, die
schafft, und der Weisheit, die geschaffen ist; wie zwischen der
Gerechtigkeit, die gerecht macht, und der Gerechtigkeit, die durch
Rechtfertigung geworden ist. Denn auch wir werden deine Gerechtigkeit
genannt. Es sagt einer deiner Diener, auf daß wir würden in
ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Es gibt also eine Weisheit,
die erschaffen ist, die aber vor allen Dingen erschaffen ist als
vemünftiges und geistiges Wesen deiner heiligen Stadt, die unser
aller Mutter ist, die droben ist, frei und ewig in den Himmeln; welchen
Himmeln als in den Himmeln der Himmel, die dich loben, weil dieser
Himmel der Himmel des Herrn ist? - Obgleich wir von ihr keine Zeit
finden, da sie der Schöpfung der Zeit voranging, da sie allen
Dingen voran geschaffen wurde; vor ihr aber ist die Ewigkeit des
Schöpfers selbst, von dem gemacht sie ihren Anfang nahm - wenn
auch nicht in der Zeit, da es noch keine Zeit gab - doch aber ihres
Daseins selbst.
Sie ist also von dir, unserem
Gott, und zwar so, daß sie etwas ganz anderes ist als du und
daß ihr Wesen von dir verschieden ist. Denn obgleich wir nicht
bloß vor ihr, sondern auch in ihr keine Zeit finden, da sie das
Vorrecht hat, stets dein Angesicht zu schauen, und niemals ihren Blick
von demselben abwendet, wodurch es geschieht, daß sie keiner
Veränderung unterworfen ist - so liegt doch in ihrer Natur selbst
die Ver änderlichkeit, wodurch sie verdunkeln und erkalten
würde, wenn sie nicht mit inniger Liebe dir anhinge und dadurch
gleich einer ewigen Mittagssonne von dir leuchtete und entbrennete. O
Haus, strahlend von Licht und Glanz, wie habe ich deine Stätte so
lieb und den Ort, wo die Ehre wohnt meines Herrn, der dich
gegründet hat und in dir wohnt! Nach dir sehnt sich meine
Pilgerfahrt; und ich sage zu dem, der dich gemacht hat, daß Er
auch mich aufnehme, da Er auch mich gemacht hat. Ich bin wie ein
verirrtes und verlorenes Schaf, aber auf den Schultern meines Hirten,
meines Erbarmers, hoffe ich zu dir zurückgebracht zu werden.
Was sagt ihr mir nun, ihr
Widersacher, zu denen ich redete, die ihr indes Moses für einen
treuen Diener Gottes und seine Bücher für Aussprüche des
heiligen Geistes haltet? Ist dies nicht das Haus Gottes, zwar nicht mit
Gott gleich ewig, aber doch in seiner Weise ewig im Himmel, wo ihr den
Wechsel der Zeiten vergeblich sucht, weil ihr dort ihn nicht .findet?
Denn es ist weit erhaben über jede Ausdehnung, über jeden
dahinfliegenden Zeitraum, da es seine Seligkeit ist, stets mit Gott
vereinigt zu sein. "ja", sagen sie. Was ist nun nach eurer Behauptung
von dem, was mein Herz zu meinem Gott rief, als es in seinem Innern die
Stimme seines Lobes hörte, was ist denn nun falsch? Etwa,
daß eine ungestaltete Materie war; wo aber keine Ordnung war, da
konnte auch kein Wechsel der Zeiten sein, und doch war dies, das fast
nichts war, insofern es überhaupt nichts war, auch von dem, von
welchem alles ist, was irgendwie etwas ist, "Auch dieses", sagen sie,
"leugnen wir nicht."
Zwölftes Buch - Sechzehntes Kapitel
Ich will etwa nur mit denen
vor dir, mein Gott, reden, die alles das als wahr erkennen, was deine
Wahrheit mir in meinem Herzen nicht verschweigt. Denn die, welche dies
leugnen, mögen schreien, soviel sie wollen, und sich selbst
betäuben; ich will nicht versuchen, sie zu bereden, daß sie
ruhig sind und deinen Worten den Eingang zu ihrem Herzen gestatten;
wollen sie dies nicht und weisen sie mich zurück, so bitte ich,
mein Gott, so schweige du mir nicht. Rede du wahrhaftig in meinem
Herzen, denn du allein redest so, und diese will ich hinausgehen
lassen, daß sie in den Staub blasen und Staubwolken in ihre
eigenen Augen blasen; ich will mich in stille Verborgenheit
zurückziehen, dir ein Loblied deiner Liebe singen und
unaussprechliche Seufzer auf meiner Pilgerfahrt seufzen, ich will
Jerusalems gedenken mit einem zu ihm emporgehobenen Herzen, des
Jerusalems, das meine Heimat und meine Mutter ist, und zu dir, der du
sein König, sein Licht, sein Vater, sein Beschützer, sein
Bräutigam, seine reine und ewige Wonne, seine wahrhaftige Freude,
sein einziges und unaussprechliches Gut, alles zugleich und insgesamt
bist; und ich mich nicht abwenden, bis du mich ganz, wie ich bin, in
dem Frieden der geliebtesten Mutter, wo schon die Erstlinge meines
Geistes sind, woher mir diese Gewißheit kommt, sammelst aus
dieser Zerstreuung und Ungestalt und bis du mich in deiner Ewigkeit,
mein Gott und mein Erbarmer, gestaltest und befestigst. Mit denen aber,
die alles, was wahr ist, nicht als falsch behaupten, indem sie deine
heilige Schrift, durch Moses geschrieben, verehren und ihr mit uns das
höchste Ansehen einräumen und doch uns in gewisser Hinsicht
widersprechen, rede ich folgendermaßen: Sei du, unser Gott,
Richter zwischen meinen Bekenntnissen und ihren Widersachern.
Zwölftes Buch - Siebzehntes Kapitel
Sie sagen nämlich: "Wenn
dies auch wahr ist, so hat doch gewiß Moses, als er durch
Eingebung des heiligen Geistes schrieb: Im Anfang schuf Gott Himmel und
Erde, dieses beides nicht vor Augen gehabt. Er hat mit dem Worte Himmel
nicht jene geistige oder übersinnliche Schöpfung gemeint, die
stets das Angesicht Gottes schauet, noch auch mit dem Worte Erde jene
ungestaltete Materie." "Was denn also?" "Was wir sagen, das hat jener
Ausdruck gemeint, und das hat er mit diesen Worten gesagt. " "Welches?"
"Mit dem Namen des Himmels und der Erde", sagen sie, "wollte er jene
ganze sichtbare Welt überhaupt mit wenigen Worten bezeichnen, uni
darnach durch die Aufzählung der Tage gleichsam im Einzelnen das
Ganze, wie es dem heiligen Geist gefiel, es zu bezeichnen, zu ordnen.
Denn das rohe und fleischliche Volk, zu dein er sprach, waren Menschen
der Art, daß er glaubte, ihnen nur die sichtbaren Werke Gottes
darstellen zu dürfen. Daß unter der wüsten und leeren
Erde und der mit Finsternis bedeckten Tiefe, aus der, wie in der Folge
gezeigt wird, in jenen Tagen alles Sichtbare, was bekannt ist, gemacht
und geordnet ist, nicht unpassend jener ungestaltete Stoff zu verstehen
sei, darin stimmen sie überein."
Wie wenn nun ein anderer
sagte, eben diese Gestaltlosigkeit und Vermischung des Stoffs sei
vorerst mit dem Namen des Himmels und der Erde angedeutet, weil aus ihr
diese sichtbare Welt mit allen Wesen, die jetzt auf ihr offenbar
erscheinen, gebildet und vollendet worden ist, die gewöhnlich
Himmel und Erde genannt wird? Wenn ein anderer sagte, nicht unpassend
werde die unsichtbare und sichtbare Natur Himmel und Erde genannt und
hierdurch sei die allgemeine Schöpfung, die Gott in der Weisheit,
das heißt im Anfange schuf, in diesen beiden Worten begriffen; da
jedoch alles nicht aus dem Wesen Gottes selbst, sondern aus Nichts
gemacht ist, weil es nicht dasselbe ist, was Gott ist, und allem eine
gewisse Veränderlichkeit innewohnt, so möge es bleiben wie
das ewige Haus Gottes oder sich verändern wie des Menschen Seele
und Leib; sei der jetzt noch ungestaltete und gewiß
gestaltungsfähige gemeinsame Stoff aller unsichtbaren und
sichtbaren Dinge, woraus Himmel und Erde werden sollte, das heißt
beide bereits gebildeten Schöpfungen, die unsichtbare und
sichtbare, hervorgehen sollten, mit diesen Worten bezeichnet,
wüste und leere Erde und es war finster über der Tiefe, mit
dem Unterschiede, daß unter der wüsten und leeren Erde die
sinnliche Materie vor Annahme einer Gestalt; unter dem es war fisnter
über der Tiefe der geistige Stoff vor Hemmung der gleichsam
fließenden Maßlosigkeit und vor Erleuchtung der Weisheit
verstanden wird.
Es ließe sich noch ein
anderes sagen, wenn man wollte, "daß, wenn es heißt, im
Anfang schuf Gott Himmel und Erde, unter Himmel und Erde nicht die
vollendete und gestaltete unsichtbare und sichtbare Natur bezeichnet
werden sollte, sondern der noch rohe Entwurf der Dinge, der bildungs-
und schaffungsfähige Stoff; in ihm bereits vermischt nur noch
nicht durch Eigenschaft und Gestalt geschieden war, was nun, in
bestimmter Weise geordnet, Himmel und Erde genannt wird, jener die
geistige, diese die sinnliche Schöpfung bezeichnend".
Zwölftes Buch - Achtzehntes Kapitel
Wenn ich dieses alles
höre und erwäge, will ich nicht mit Worten streiten; denn es
ist zu nichts nütze, denn zu verkehren, die da zuhören. Ist
dein Gesetz, Herr, nicht bestimmt, diejenigen zu erbauen, die einen
rechten Gebrauch davon machen? Denn die Hauptsumme des Gebotes ist
Liebe von reinem Herzen und von gutem Gewissen und von ungefärbtem
Glauben. Und unser Meister wußte wohl, in welchen zwei Geboten
das ganze Gesetz und die Propheten begriffen sind. Wenn ich dies
inbrünstig bekenne, mein Gott, du Licht der inneren Augen meines
Herzens, was schadet es mir, wenn diese Worte verschieden verstanden
werden können, die dessenungeachtet wahr sind, was schadet es mir,
sage ich, wenn ich eine andere Meinung als ein anderer darüber
hege, was der Verfasser damit gemeint habe? Wir alle, die wir diese
Worte lesen, suchen zwar den Sinn zu erforschen und zu erfassen, dessen
Schrift wir lesen; und da wir Am für wahrheitsliebend halten,
wagen wir nicht die Vermutung, er habe etwas gesagt, wovon wir wissen
oder meinen, es sei falsch. Wenn also jeder sich bestrebt, das in der
heiligen Schrift zu erkennen, was der Verfasser dachte, und was kann es
denn Böses sein, wenn er das darin findet, was du, Licht aller
derer, welche die Wahrheit aufrichtig suchen, ihm als wahr zeigst, wenn
auch der, dessen Worte er liest, dies nicht dachte, so dachte er doch
Wahres, wenn auch nicht gerade dieses.
Zwölftes Buch - Neunzehntes Kapitel
Denn wahr ist, Herr, daß
du Himmel und Erde gemacht hast; wahr ist es, daß deine Weisheit
der Anfang ist, in dem du alles gemacht hast. Ferner ist es wahr,
daß diese sichtbare Welt ihre zwei großen Teile habe, wenn
man die ganze Schöpfung der gemachten und gebildeten Wesen kurz in
die zwei Worte Himmel und Erde zusammenfaßt. Wahr ist es,
daß alles Wandelbare unserer Erkenntnis eine gewisse
Gestaltlosigkeit mitteilt, worin es Gestalt gewinnt oder worin es sich
verändert umwandelt. Wahr ist es (daß die Gestaltlosigkeit),
daß das, was so mit der unveränderlichen Gestalt vereinigt
ist, obwohl veränderlich, doch nicht verändert wird und der
Herrschaft der Zeit nicht unterliegt. Wahr ist es, daß die
Gestaltlosigkeit, die dem Nichts nahe ist, keinen Wechsel der Zeit
erfahren kann. Wahrheit ist es, daß das, woraus etwas wird, nach
einer gewissen Redeweise schon den Namen der Sache trägt, die
daraus hervorgeht; daher konnte jene Gestaltlosigkeit Himmel und Erde
genannt werden, woraus Himmel und Erde gebildet wurde. Wahr ist es,
daß von allen Gestalten nichts dem Ungestalteten näher steht
als Erde und Tiefe. Wahr ist es, daß du nicht bloß allem
Geschaffenen und Gestalteten, sondern auch allem, was geschaffen und
gebildet werden kann, das Dasein gegeben hast, du, von dem alles ist.
Wahr ist es, daß alles, was aus dem Ungestalteten eine Gestalt
gewann, zuerst ungestaltet war, bevor es Gestalt gewann.
Zwölftes Buch - Zwanzigstes Kapitel
Aus all diesem Wahren, an dem
niemand zweifelt, dem es verliehen ist, solches mit dem inneren Auge zu
schauen, und der unerschütterlich glaubt, daß dein treuer
Diener Moses im Geiste der Wahrheit gesprochen habe; aus all diesem
Wahren hebt der eine dies hervor, wem im Anfang schuf Gott Himmel und
Erde; das heißt, "durch sein Wort, das mit ihm gleich ewig ist,
schuf Gott die übersinnliche und sinnliche oder die geistige und
körperliche Schöpfung". Ein zweiter hebt ein anderes her-vor,
wenn er sagt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, das heißt,
"in seinem Worte, das mit ihm gleich ewig ist, schuf Gott jene
allgemeine Masse dieser körperlichen Welt mit allen sichtbaren und
bekannten Wesen, die sie enthält". Ein dritter entnimmt ein
anderes, wenn er sagt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, das
heißt, "in seinem Worte, das mit ihm gleich ewig ist, schuf Gott
die ungestaltete Materie der leiblichen Schöpfung, wo noch Himmel
und Erde vermischt waren, die wir jetzt geschieden und gestaltet in dem
Gebäude dieser Welt bemerken". Ein vierter sagt: Im Anfang schuf
Gott Himmel und Erde, das heißt, "beim Beginn des Schaffens und
Wirkens schuf Gott die ungestaltete Materie, die Himmel und Erde noch
ungeordnet in sich umfaßte, woher diese gebildet nun hervortreten
und mit allem erscheinen, was in ihnen ist".
Zwölftes Buch - Einundzwanzigstes Kapitel
Was nun ferner den Sinn der
folgenden Worte betrifft, so hebt auch hier aus allem Wahren der eine
etwas hervor, wenn er sagt: Die Erde war wüst und leer und es war
finster auf der Tiefe, das heißt, "jenes Materielle, was Gott
schuf, war der nur noch ungestaltete Stoff der körperlichen Dinge,
ohne Ordnung, ohne Licht. Ein anderer sagt: Die Erde war wüst und
leer und es war finster auf der Tiefe, das heißt, "das Ganze, was
Himmel und Erde genannt wurde, war noch eine ungestaltete und finstere
Masse, aus der der körperliche Himmel und die körperliche
Erde gebildet werden sollte mit allem, was wir auf ihnen mit den Sinnen
wahrnehmen". Ein dritter sagt: Die Erde war wüst und leer und es
war finster auf der Tiefe, das heißt, "das Ganze, was Himmel und
Erde genannt wurde, war die noch ungestaltete und finstere Masse,
woraus der übersinnliche Himmel hervorgehen sollte, der sonst der
Himmel des Himmels genannt wird; und die Erde, die ganze
körperliche Natur, mit welchen Worten auch der körperliche
Himmel verstanden wird, das heißt, woraus alle unsichtbare und
sichtbare Schöpfung hervorgehen sollte". Ein vierter dagegen sagt:
Die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe;
"nicht jene Gestaltlosigkeit bezeichnete die Schrift mit den Worten
Himmel und Erde, sondern diese Gestaltlosigkeit selbst war es, die sie
eine wüste und leere Erde und eine finstere Tiefe nennt und von
der sie vorher gesagt hatte, daß aus ihr Gott Himmel und Erde
gemacht habe, nämlich die geistige und sinnliche Schöpfung."
Endlich sagt ein anderer: Die Erde war wüst und leer und es war
finster auf der Tiefe, das heißt, "die Gestaltlosigkeit war
gewissermaßen schon der Stoff, woraus, wie die Schrift schon
vorher sagte, Gott Himmel und Erde schuf, nämlich das ganze
sinnliche Gebäude der Welt in ihren zwei großen Teilen, dem
oberen und dem unteren, mit allen gewöhnlichen sichtbaren
Geschöpfen, die auf ihnen sind".
Zwölftes Buch - Zweiundzwanzigstes Kapitel
Wenn jemand diesen beiden
letzten Erklärungen also zu widersprechen versuchen wollte: "Wenn
ihr nicht behaupten wollt, daß diese Gestaltlosigkeit des Stoffes
mit den Worten Himmel und Erde bezeichnet werde, so war also bereits
etwas vorhanden, was Gott nicht geschaffen hatte, um daraus Himmel und
Erde zu schaffen; denn die Schrift erzählt nicht, daß Gott
diesen Stoff geschaffen hat, es sei denn, daß wir zugeben,
daß mit den Worten Himmel und Erde bloß die Erde bezeichnet
werde, wenn gesagt wird, im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, sowie
das, was folgt, die Erde war wüst und leer, obgleich es gefallen
hat, den ungestalteten Stoff so zu benennen, so verstehen wir darunter
doch nur den Stoff, den Gott nach den vorhergehenden Worten, Gott schuf
Himmel und Erde, geschaffen hat. Dann werden die, welche diese beiden
Ansichten, diese oder jene, die wir zuletzt anführten, aufstellen,
wenn sie dieses hören, erwidern und sagen: Wir leugnen zwar nicht,
daß diese ungestaltete Materie von Gott geschaffen sei, von dem
Gott, von dem alles Gute stammt; wie wir aber sagen, daß das
weniger gut ist, -was mit der Fähigkeit geschaffen ist, daß
es umgeschaffen und gestaltet werden kann, daß es aber doch gut
ist; die Schrift aber hat nicht erwähnt, daß Gott die
Gestaltlosigkeit geschaffen habe, ebenso, wie sie vieles andere nicht
erwähnt, als: die Cherubim und Seraphim und was der Apostel
ausdrücklich anführt, Thronen, Herrschaften,
Fürstentümer, Gewalten, die doch Gott offenbar geschaffen
hat. Wenn alles in den Worten, Er schuf Himmel und Erde, enthalten sei,
was sagen wir dann von den Wassern, auf denen der Geist Gottes
schwebte? Denn wenn sie unter der Benennung Erde zugleich mit begriffen
sind, wie kann dann unter dem Namen Erde die ungestaltete Materie
verstanden werden, wenn wir die schönen Wasser sehen? Oder wenn es
so verstanden wird, warum steht dann geschrieben, daß aus
ebendieser Gestaltlosigkeit das Firmament gemacht und Himmel genannt
wurde, während nicht gesagt ist, es seien daraus die Wasser
gebildet? Denn das ist nicht mehr gestaltlos und leer, das wir so
herrlich dahinfließen sehen. Oder haben sie damals jene Gestalt
erhalten, als Gott sprach, es sammele sich das Wasser unter dem Himmel
an besondere Örter, so daß das Sammeln selbst das Gestalten
ist; was sollen wir da in Beziehung der Wasser erwidern, die über
dem Firmamente sind? Denn ungestaltet hätten sie einen so
ehrenvollen Platz nicht verdient, auch steht nicht geschrieben, durch
welche Stimme sie gestaltet sind. Wenn die Genesis verschweigt,
daß Gott etwas geschaffen habe, was weder dem gesunden Glauben
noch der gewissen Erkenntnis zweifelhaft ist, daß Gott es dennoch
geschaffen habe, so wird doch deshalb der gesunde Verstand nie zu
behaupten wagen, diese Wasser seien mit Gott gleich ewig, weil wir sie
in dem Buche der Genesis zwar erwähnt finden, aber nicht lesen,
wann sie geschaffen sind; warum sollen wir nicht, unter Belehrung der
Wahrheit, erkennen, daß auch jener ungestaltete Stoff, welchen
die Schrift wüst und leer und die finstere Tiefe nennt, aus Nichts
erschaffen sei und deshalb mit ihm nicht gleich ewig, obgleich jene
Erzählung zu sagen unterlassen hat, wann er geschaffen sei?"
Zwölftes Buch - Dreiundzwanzigstes Kapitel
Nachdem ich nun diese
Ansichten nach der Schwachheit meiner Fähigkeit, die ich dir,
meinem allwissenden Gott, bekenne, gehört und erwogen habe,
erkenne ich, daß zwei Arten verschiedener Ansichten möglich
sind, wenn von glaubhaftigen Zeugen irgend etwas in Bildern mitgeteilt
wird: erstens, daß eine verschiedene Meinung über die
Wahrheit der Dinge, zweitens über die Meinung dessen besteht, der
berichtet. Denn etwas anderes ist es, zu fragen, was in Beziehung auf
die Schöpfungsgeschichte wahr ist, etwas anderes aber ist es, zu
fragen, was Moses, der ausgezeichnete Diener deines Glaubens, mit
diesen Worten dem Leser und Hörer hat sagen wollen. Hinsichtlich
der ersten Frage bin ich verschiedener Meinung von allen denen, die der
Meinung sind, sie wüßten, was falsch sei. Hinsichtlich der
zweiten Frage trenne ich mich ebenso von allen, welche meinen, Moses
habe, was falsch ist, gesagt. Vielmehr werde ich mich denen
anschließen und mich mit ihnen in dir erfreuen, die sich in
deiner Wahrheit, in der Fülle der Liebe ihre Nahrung suchen; wir
wollen vereint zu den Worten deines Buches treten und wollen in ihm
deinen Willen suchen, nach dem Willen deines Dieners, durch dessen
Feder du uns dies mitgeteilt hast.
Zwölftes Buch - Vierundzwanzigstes Kapitel
Indes, wer von uns wird bei so
vielem Wahren, das sich, bei dem abweichenden Verständnis jener
Worte, dem Forschenden darbietet, den völlig erschöpfenden
Gedanken finden, so daß er mit ebenso vollständiger
Zuversicht zu sagen vermöchte, dieses habe Moses gemeint und
dieses habe er in jener Erzählung sagen wollen, als er mit
Zuversicht sagen kann, dies sei wahr, sei es, daß er dies
besonders gemeint habe, oder nicht? Siehe, mein Gott, ich, dein Diener,
der ich dir das Opfer des Bekenntnisses in diesem Buche gelobt habe,
ich bitte, daß ich durch deine Barmherzigkeit dir meine
Gelübde erfülle; siehe, wie zuversichtlich ich sage, du hast
durch dein unwandelbares Wort alles geschaffen, Unsichtbares und
Sichtbares; kann ich mit derselben Zuversicht sagen, daß Moses
nichts anderes als dieses gemeint habe, als er die Worte schrieb: Im
Anfang schuf Gott Himmel und Erde? Nicht so wie ich jenes in der
Wahrheit als gewiß erkenne, erkenne ich in seinem Geiste, er habe
jenes gedacht, als er dieses schrieb. Denn er konnte, als er sagte.- Im
Anfang, an den Anfang des Schaffens selbst denken; er konnte hier auch
unter Himmel und Erde eine noch ungebildete und unvollendete, aber
bereits angefangene und noch unausgebildete geistige oder
körperliche Schöpfung verstanden wissen wollen. Ich sehe,
daß jede dieser Ansichten, die ausgesprochen wurden, wirklich
aufgestellt werden konnte; welche von diesen Ansichten er aber bei
diesen Worten gehabt habe, das erkenne ich nicht in dieser Weise,
obgleich ich gewiß bin, daß jener große Mann, mag er
nun etwas von dem gedacht haben, was ich anführte, oder etwas
anderes, was ich nicht erwähnt habe, im Geiste gesehen haben, als
er diese Worte schrieb, Wahres gesehen und auf angemessene Weise
berichtet habe.
Zwölftes Buch - Fünfundzwanzigstes Kapitel
Niemand sei mir noch
lästig dadurch, daß er zu mir sagt: Moses hat nicht gemeint,
was du sagst, sondern er hat gemeint, was ich sage. Denn wenn er mir
sagte: "Woher weißt du, daß Moses gemeint habe, was du in
seinen Worten findest?", so müßte ich es ruhig ertragen und
ihm etwa erwidern, was ich bereits oben sagte, oder vielleicht noch
ausführlicher, wenn er noch hartnäckiger darauf bestehen
sollte. Wenn er aber sagte: *Das hat er nicht gesagt, was du sagst,
sondern was ich sage", und doch nicht bestreitet, daß beides, was
jeder von uns sagt, wahr sei, dann, o mein Gott, du Leben der Armen, in
dessen Innerem kein Widerspruch gegen die Wahrheit wohnt, gieße
in mein Herz Ströme der Milde, auf daß ich die Menschen
geduldig ertrage, was sie sagen, sondern weil sie voll Hochmut sind und
nicht die Gedanken von Moses kennen, sondern nur die ihrigen heben,
nicht weil sie wahr sind, sondern weil sie die ihrigen sind. Sonst
würden sie ja die Ansicht anderer nicht ebensosehr lieben, wenn
sie wahr ist, wie ich liebe, was sie sagen, wenn sie sagen, was wahr
ist; nicht weil es ihre Meinung ist, sondern weil es wahr ist; und
deswegen weil es wahr ist, ist es nicht mehr das ihrige. Wenn sie es
aber deswegen lieben, weil es wahr ist, so ist es sowohl das Ihrige,
wie das Meinige, das allen Freunden der Wahrheit gemeinschaftlich
gehört. Aber gerade das, daß sie behaupten, Moses habe nicht
gemeint, was ich sage, sondern was sie sagen, das will ich nicht, das
liebe ich nicht; denn auch wenn es so wäre, gibt ihnen diese
Vermessenheit nicht die Wissenschaft, sondern der Hochmut; nicht ein
Schauen, sondern Stolz erzeugt sie. Deswegen sind deine Gerichte, Herr,
schrecklich; weil deine Wahrheit nicht mir gehört nicht diesem
oder jenem, sondern uns allen, die du öffentlich zu ihrer
Teilnahme berufest mit der ernstesten Erinnerung, daß wir
dieselbe nicht allein für uns besitzen sollen, um ihrer nicht
gänzlich beraubt zu werden. Denn jeder, der für sich in
Anspruch nimmt, was du für alle bestimmst, und der das als das
Seinige ansieht, was das Gut aller ist, wird von dem Gemeinsamen auf
das Seinige zurückgedrängt, das heißt, von der Wahrheit
zur Lüge. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem
Eigenen.
Höre, du gerechtester
Richter, Gott, der du die Wahrheit bist, höre, was ich diesen
Widersachern erwidere, höre; denn ich spreche vor deinem
Angesichte und vor meinen Brüdern, die das Gesetz, dessen letztes
Ziel die Liebe ist, auf die rechte Weise gebrauchen; höre und
siehe, was ich ihnen sage, wenn es dir gefällt. Ich erwidere ihnen
diese brüderlichen und friedlichen Worte: Wenn wir beide erkennen,
daß dies wahr ist, was du sagst, woher, ich bitte dich,
können wir dies erkennen? Gewiß, weder ich in dir noch du in
mir, sondern wir beide in der unwandelbaren Wahrheit, die weit
über unseren Geist erhaben ist. Wenn wir also nicht über das
Licht unseres Herrn und Gottes streiten, warum wollen wir über den
Gedanken des Nächsten streiten, der unserem Geiste nicht
zugänglich ist wie die unwandelbare Wahrheit; denn wenn selbst
Moses uns sagte, "dies habe ich gemeint", wir würden auch dann den
Gedanken nicht so erkennen, sondern müßten wir nicht
wiederum glauben? Nicht soll jemand höher von sich halten, denn
jetzt geschrieben ist, auf daß sich nicht einer wider den andern
um jemandes willen aufblase. Wir sollen Gott unseren Herrn heben von
ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte und unseren
Nächsten als uns selbst. Wenn wir nicht glaubten, daß in
Beziehung auf diese beiden Gebote der Liebe Moses alles das gemeint
habe, was er in seinen Büchern gemeint hat, so würden wir
Gott zum Lügner machen, da wir von dem Geiste des Mitknechtes
anders denken, als er gelehrt hat. Siehe endlich, wie töricht es
ist, unter so vielen völlig aufrichtigen Ansichten, die man in
jenen Worten finden kann, verwegen behaupten zu wollen, welche von
ihnen Moses vorzugsweise gemeint habe, und in verderblichem Streite die
Liebe selbst zu verletzen, um deretwillen er, dessen Worte wir zu
erklären wagen, alles gesagt hat.
Zwölftes Buch - Sechsundzwanzigstes Kapitel
Und doch, mein Gott, du Ruhm
meiner Niedrigkeit und Ruhe in meiner Mühsal, der du meine
Bekenntnisse vernimmst und mir meine Sünden vergibst, weil du mir
gebietest, meinen Nächsten zu lieben wie mich selbst, kann ich
annehmen, daß dein treuer Diener Moses weniger Gaben empfangen
habe, als ich von dir gewünscht und begehrt hätte, wenn ich
in jener Zeit, worin er lebte, gelebt hätte und du mich an jene
Stelle gesetzt hättest, also daß durch den Dienst meines
Herzens und meiner Zunge jene Schriften hätten verfaßt
werden sollen, die so lange nachher allen Völkern zum Heile dienen
sollten und auf dem Erdkreise durch ihr unermeßliches Ansehen die
Worte aller Lehren der Lüge und des Hochmutes niederwerfen
sollten? Ich hätte gewünscht, wenn ich damals Moses gewesen
wäre - wir gehen ja alle aus derselben Materie hervor; und was ist
der Mensch, daß du seiner gedenkest? -ich hätte also
gewünscht, wenn ich damals gewesen wäre, was er war, und wenn
es meine Aufgabe von dir gewesen wäre, das Buch der Genesis zu
schreiben, mir wäre eine solche Kraft der Rede verliehen worden
und eine solche Art, meine Gedanken auszudrücken, daß die,
welche noch nicht begreifen können, wie Gott schafft, meine Worte,
die über die Kraft ihres Geistes hinausgingen, nicht hätten
widerlegen können, und die, welche dieses zu begreifen bereits
imstande sind, auf welchen wahren Sinn sie auch immer mit ihren
Gedanken stießen, finden möchten, auch er sei in den wenigen
Worten deines Dieners nicht übergangen; und wenn ein anderer
wieder einen andern Sinn im Lichte der Wahrheit fände, daß
auch dieser in denselben Worten enthalten wäre.
Zwölftes Buch - Siebenundzwanzigstes Kapitel
Wie eine Quelle in geringem
Raume reicher ist und in mehreren Bächen größere
Strecken bewässert als jeder einzelne Bach, der aus dieser Quelle
hervorgeht und über große Strecken dahinfließt, so
entquillt die Erzählung deines treuen Dieners, die so vielen
anderen Verkündigern dienen sollte, in ihrer einfachen Art der
Rede wie ein Strom lauterer Wahrheit, aus dem jeder das Wahre
schöpft, der eine dies, der andere jenes, wie er es fassen kann,
durch die Krümmungen langer Schlüsse. Denn wenn die einen
diese Worte lesen oder hören, so denken sie sich Gott als einen
Menschen oder als ein materielles Wesen mit einer unbegrenzten Macht,
das durch einen neuen und plötzlichen Entschluß außer
sich und in entfernten Räumen Himmel und Erde geschaffen habe,
zwei große Körper, den einen oben, den andern unten, die
alles umfaßten. Und wenn sie hören, Gott sprach, es werde
und es ward, dann denken sie sich wirklich Worte, die anfingen und
endeten, in der Zeit ertönten und vorübergingen, nach deren
Verklingen sogleich der Gegenstand da wäre, der nach Seinem
Befehle da sein sollte, und ähnliches, was sie sich alles in
dieser Weise ihres fleischlichen Geistes denken. In diesen noch
umnündigen Wesen wird, während ihre Schwäche durch die
große Einfalt der Sprache gleichsam wie im mütterlichen
Schoße getragen wird, der Glaube heilsam erbauet, daß Gott
alle diese Dinge geschaffen, die ihre Sinne in ihrer wunderbaren
Mannigfaltigkeit um sich her erblicken. Wenn aber irgend jemand von
ihnen diese niedrige Schreibart verachten und in vermessener
Schwachheit seine tragende und nährende Wiege verlassen wollte,
der Unglückliche würde elend dahinfallen. Herr mein Gott,
erbarme dich, daß nicht die, welche des Weges vorübergehen,
das zarte Junge zertreten, und sende deinen Engel, daß er es
wieder in sein Nest trage, damit es nun leben bleibe, bis es fliegen
kann.
Zwölftes Buch - Achtundzwanzigstes Kapitel
Andere dagegen, für
welche diese Worte kein Nest mehr sind, sondern schattiges
Gebüsch, erblicken die in ihnen verborgenen Früchte, fliegen
fröhlich umher, suchen schwatzend und pflücken sie. Denn wenn
sie diese Worte lesen oder hören, sehen sie, mein Gott, daß
deine unwandelbare Ewigkeit über alle vergangenen und
zukünftigen Zeiten erhaben ist und daß es doch nichts in der
zeitlichen Schöpfung gibt, was du nicht geschaffen hast, der du
selbst dein eigener Wille bist, in welchem sich nichts ändert oder
Neues entsteht, was nicht schon vorher dagewesen wäre und kraft
dessen du alles geschaffen hast; aber nicht dein Ebenbild aus deinem
Wesen, das Urbild aller Dinge, sondern aus nichts das Gestaldose, das
dir unähnlich, aber durch dein Ebenbild gestaltet werden sollte,
so daß jede Art von Geschöpfen sich dir, dem
Allrnächtigen, nach dem ihr verliehenen Vermögen
anschlösse, und daß alles sehr gut würde, möge es
mit dir vereint bleiben oder stufenweise der Zeit und dem Raume nach
sich von dir entfernend die herrliche Mannigfaltigkeit des Alls
bewirken oder erleiden. Dies sehen sie und freuen sich im Lichte deiner
Wahrheit, soviel sie hier es vermögen.
Ein anderer von ihnen sieht
auf das, daß gesagt ist, im Anfang schuf Gott, und versteht unter
dem Anfange die Weisheit, weil auch sie selbst zu uns spricht. Ein
anderer sieht ebenfalls auf diese Worte und versteht unter dem Anfang
das Entstehen der geschaffenen Dinge, und so faßt er, im Anfang
schuf Gott, auf, als wenn gesagt wäre, zuerst schuf er. Von denen,
die unter im Anfang verstehen, in der Weisheit hast du Himmel und Erde
gemacht, meint der eine, Himmel und Erde sei der noch zu erschaffende
Stoff des Himmels und der Erde genannt; ein anderer sieht darin die
bereits gebildeten verschiedenen Wesen; noch ein anderer ein
gestaltetes, und zwar geistiges Wesen unter dem Worte Himmel und eine
ungestaltete körperliche Materie unter dem Namen Erde. Die aber
unter dem Namen Himmel und Erde eine noch ungestaltete Materie
verstehen, aus der Himmel und Erde gebildet werden sollen, die fassen
auch dies auf verschiedene Weise auf. der eine versteht darunter die
geistige und leibliche Schöpfung, der andere erkennt darin nur
das, woraus jene sichtbare körperliche Masse, die in ihrem
großen Schoße sichtbare und erkennbare Wesen birgt,
vollendet werden sollte. Auch die sind nicht eins, die der Ansicht
sind, daß die bereits geordneten und ausgebildeten Geschöpfe
an dieser Stelle Himmel und Erde genannt würden; sondern der eine
versteht darunter die unsichtbare und sichtbare Schöpfung; der
andere bloß die sichtbare, in der er den lichtvollen Himmel
erblickt und die finstere Erde und was auf ihnen ist.
Zwölftes Buch - Neunundzwanzigstes Kapitel
Aber der, welcher das: Im
Anfang schuf Gott in dem Sinne versteht, als wenn gesagt würde,
zuerst schuf Gott, der kann sich in Wahrheit unter Himmel und Erde
nichts anderes vorstellen als den Stoff des Himmels und der Erde,
nämlich der ganzen, das heißt, der geistigen und leiblichen
Schöpfung. Denn wenn er sie sich als bereits ganz gestaltet denken
will, so könnte man ihn mit Recht fragen: "Wenn Gott dies zuerst
schuf, was hat er denn noch nachher gemacht?" Nach dieser vollendeten
Schöpfung wird er nichts mehr finden und wird wider seinen Willen
hören müssen: "Wie hat er dieses zuerst geschaffen, wenn er
nachher nichts mehr geschaffen hat?" Wenn er aber sagt, er hat zuerst
das Gestaltlose, dann das Gestaltete gemacht, so ist das nicht
ungereimt, wenn er nur fähig ist zu unterscheiden, was durch
Ewigkeit, was durch Zeit, was durch Zweck, was durch Ursprung
früher ist; durch Ewigkeit, wie Gott allem vorangeht; durch Zeit,
wie die Blume der Frucht vorangeht; durch Zweck, wie die Frucht der
Blume; durch Ursprung, wie der Ton dem Gesange. Von diesen
erwähnten vier Arten ist die erste und die letzte am schwersten zu
verstehen, die beiden mittleren am leichtesten. Denn es ist ein
seltener und überaus erhabener Anblick, Herr, deine Ewigkeit zu
schauen, die, selbst unwandelbar, das Wandelbare schafft und folglich
allem vorangeht. Wer hat ferner einen so feinen Sinn, daß er ohne
große Mühe zu unterscheiden vermag, wie der Ton früher
ist als der Gesang, weil der Gesang ein gestalteter Ton ist und
freilich schon etwas da sein kann, was noch nicht gestaltet ist, wie
aber das nicht gestaltet werden kann, was überhaupt nicht ist? So
ist die Materie früher als das, was daraus gemacht wird; aber
nicht deswegen ist sie früher, weil sie die wirkende Ursache ist,
da sie vielmehr selbst erst wird; auch ist sie nicht früher in der
Ordnung der Zeit. Denn wir bringen nicht zuerst ohne Gesang
ungestaltete Töne hervor und bilden dann später daraus die
Gestalt des Gesanges, wie wir aus Brettern einen Kasten, aus Silber ein
Gefäß machen. Stoffe dieser Art gehen, auch der Zeit nach,
der Gestalt der Dinge voran, die daraus gemacht werden; aber bei dem
Gesange verhält es sich nicht so, denn wenn gesungen wird,
hört man den Ton des Gesanges, aber er ertönt nicht zuvor in
ungestalteter Weise, um dann zum Gesange sich zu bilden. Was vorher
irgendwie ertönte, das geht vorüber, und man wird an ihm
nichts finden, was man zurücknehmen und mit Kunst ordnen
könnte; deshalb beruht der Gesang in seinen Tönen, da seine
Töne sein Stoff sind. Denn dieser wird nicht gestaltet, damit er
zum Gesange werde, und deshalb, wie gesagt, ist der Stoff des Tones
früher als die Gestalt des Gesanges, nicht aber früher durch
die wirkende Ursache, denn nicht der Ton erzeugt den Gesang, sondern
durch den Körper ist er der Seele untertan, damit sie daraus den
Gesang bilde. Auch der Zeit nach nicht früher, da er zugleich mit
dem Gesange zutage tritt; auch nicht dem Werte nach, denn der Ton hat
keinen höheren Wert als der Gesang, weil der Gesang nicht
bloß ein Ton ist, sondern ein melodischer Ton. Aber früher
dem Ursprunge nach; denn der Gesang wird nicht gebildet, damit der Ton
sei, sondern der Ton, damit der Gesang sei. Dieses Beispiel
läßt uns erkennen, daß die Materie der Dinge zuerst
geschaffen und Himmel und Erde genannt ist, weil daraus Himmel und Erde
gemacht sind; aber der Zeit nach nicht zuerst geschaffen, weil die
Gestalten der Dinge erst die Zeiten hervorgehen lassen, jene Materie
aber war ungestaltet und wurde erst zugleich in der Zeit wahrgenommen,
und doch läßt sich von ihr nichts anderes sagen, als
daß sie gleichsam der Zeit nach früher ist, obgleich sie
geringer zu achten, weil gewiß das Gebildete vollkommener ist als
das Ungebildete, obwohl die Ewigkeit des Schöpfers diesem
vorangeht, damit aus dem Nichts etwas entstände, um daraus etwas
zu bilden.
Zwölftes Buch - Dreißigstes Kapitel
Bei dieser Mannigfaltigkeit
von wahren Meinungen möge die Wahrheit selbst die
Übereinstimmung erzeugen und möge unser Gott sich unser
erbarmen, daß wir einen rechten Gebrauch machen und wir alle eins
seien in der Liebe, die des Gesetzes Endzweck ist; wenn mich daher
jemand fragt, was Moses von diesem allem gemeint habe, so sind dies
nicht Reden, die zu meinen Bekenntnissen passen, wofern ich dir nicht
bekenne, ich weiß es nicht, und doch weiß ich, daß
diese Meinungen wahr sind, mit Ausnahme der grob sinnlichen, über
die ich auch soviel als nötig meine Ansicht geäußert
habe. jene hoffnungsvollen Kleinen mögen die Worte deines Buches,
in ihrer Einfalt so erhaben und in ihrer Kürze so reich, nicht
abschrecken. Aber wir alle, die wir, wie ich bekenne, in diesen Worten
Wahres erkennen, laßt uns gegenseitig lieben und uns ebenso dich
lieben, unseren Gott, die Quelle der Wahrheit, wenn wir nicht nach
Eitlem, sondern nach ihr dürsten, und laßt uns ebenso deinen
Diener, den Spender dieser Schrift, voll deines Geistes, also ehren,
daß wir glauben, daß er diese Worte durch deine Eingebung
geschrieben habe, was durch das Licht der Wahrheit wie durch den
heilsamen Erfolg aus ihnen hervorleuchtet.
Zwölftes Buch - Einunddreißigstes Kapitel
Wenn daher jemand sagte: "Moses hat gemeint,
was ich meinte", und ein anderer, "nein, das, was ich meine", so glaube
ich, würde ich der Furcht Gottes gemäßer sagen: "Warum
nicht vielmehr beides, wenn beides wahr ist?* Und wenn noch ein dritter
und noch ein vierter in diesen Worten überhaupt etwas anderes als
alles dieses erkannt habe, durch den Gott die heiligen Schriften dem
Fassungsvermögen so vieler anpaßte, die darin einen so
verschiedenen und doch wahren Sinn finden sollten? Ich wenigstens
erkläre unerschrocken aus der Tiefe meines Herzens, schriebe ich
etwas von so großer Bedeutung, so wünschte ich lieber so zu
schreiben, daß meine Worte nachklängen, was jeder Wahres aus
diesen Worten zu nehmen imstande wäre, als daß ich die wahre
Meinung so bestimmt beschränken sollte, daß ich alle anderen
ausschlösse, wenn mich ihre Unrichtigkeit nicht verletzte. Ich
will daher nicht vermessen sein, mein Gott, daß ich glauben
könnte, jener große Mann habe dieses Vorrecht von dir nicht
empfangen. Als er dieses schrieb, hat er gewiß bei jenen Worten
empfunden und gedacht, was wir bis jetzt darin finden konnten, und
selbst was wir darin nicht finden konnten, was aber in ihnen verborgen
liegt.
Zwölftes Buch - Zweiunddreißigstes Kapitel
Endlich, Herr, der du Gott
bist und nicht Fleisch und Blut, wenn auch ein Mensch dieses alles
nicht gesehen hätte, konnte es deshalb deinem Geiste der
Güte, der mich den ersten Weg leiten wollte, verborgen bleiben,
was du selbst in späterer Zeit denen, die deine Worte lesen,
offenbaren wolltest, obgleich jener, durch den sie gesprochen,
vielleicht nur an eine der vielen Meinungen gedacht hat? Wenn es sich
so verhält, dann wäre freilich diejenige, an die er dachte,
vortrefflicher als alle. Uns aber lehre sie, Herr, oder wenigstens eine
andere wahre, daß du uns entweder dasselbe offenbarst, was du
auch jenem Manne offenbarst, oder uns vermittels dieser Worte
beweisest, daß du uns doch weidest und uns kein Irrtum
täusche. Siehe, Herr, mein Gott, wie vieles habe ich über so
wenige Worte geschrieben, wie vieles, ich bitte dich! Würden alle
unsere Kräfte, alle unsere Zeit in dieser Weise allen deinen
Büchern genügen? Laß mich also kürzer in ihnen dir
bekennen und irgend etwas wählen, was du als wahr, gewiß und
gut eingabest, wenn auch vieles mir entgegentrat, wo so vieles mir
entgegentreten kam; laß mein Bekenntnis so treu sein, daß,
wenn ich sage, was dein Diener gemeint hat, ich es richtig und gut
ausdrücke; denn darauf muß mein Streben gerichtet sein; wenn
ich diesen Sinn nicht träfe, möchte ich wenigstens sagen, was
deine Wahrheit mir durch seine Worte sagen wollen, die auch ihm gesagt
hat, was sie wollte.
DREIZEHNTES BUCH
Erstes Kapitel
Ich rufe dich an, mein Gott,
mein Erbarmer, der du mich geschaffen hast und der du den, der dich
vergaß, nicht vergessen hast. Ich rufe dich in meine Seele, die
du bereitest, daß sie dich empfange, durch das Verlangen, das du
ihr einflößest. Verlaß jetzt nicht den, der dich
anruft, der du, ehe ich dich anrief, mir schon zuvorkamst und mich
unaufhörlich in aller Weise drängtest, daß ich dich in
der Ferne hören, zurückkehren und dich, der du mich riefst,
anrufen möchte. Denn du, Herr, tilgest alle meine Schuld, damit du
meinen Händen nicht vergeltest, durch deren Werke ich von dir
abfiel; und du kamest allen meinen guten Werken zuvor, daß du mir
mit deinen Händen, mit denen du mich gemacht hast, vergeltest;
denn bevor ich war, watest du; und ich war nichts, dem du hättest
das Dasein verleihen können, und doch bin ich durch deine
Güte, die dem Ganzen, wozu du mich machtest und woraus du mich
machtest, zuvorkam. Denn du bedurftest meiner nicht noch ist alles Gute
in mir derart, daß es dir, mein Herr und Gott, Nutzen
brächte noch daß ich dir also diente, damit du in deinem
Wirken gleichsam nicht ermüdetest oder damit deine Macht meines
Gehorsams entbehrend nicht geringer sei; noch daß ich dich also
verehrte wie ein irdisches Gebilde, so daß du unverehrt
wärest, wenn ich dich nicht ehre; sondern daß ich dir diene
und dich ehre, damit es mir wohl werde durch dich, von dem ich gemacht
bin als ein Wesen, dem wohl sein kann.
Dreizehntes Buch - Zweites Kapitel
Aus der Fülle deiner
Güte ist deine Schöpfung hervorgegangen, damit das Gute,
obwohl es dir keinen Nutzen gewährt und obgleich es von dir ist,
dir doch nicht gleich sein konnte, dennoch, da es nur aus dir werden
konnte, nicht fehle. Denn welches Verdienst haben um dich Himmel und
Erde, die du im Anfang geschaffen hast? Mögen die geistigen und
körperlichen Geschöpfe, die du in deiner Weisheit schufest,
sagen, wie sie verdient haben, daß das Angefangene und
Ungestaltete, jedes in seiner Art, geistig oder körperlich,
dennoch von ihr abhängt; welches zur Unordnung und zur
höchsten Unähnlichkeit mit dir strebt, das geistige
Ungestaltete vorzüglicher, als wenn es ein sinnlich Gestaltetes
wäre; das sinnlich Ungestaltete vorzüglicher, als wenn es
ganz und gar nichts wäre; und so wäre es, wie es zuerst in
deinem Worte bezeichnet ist, ungestaltet geblieben, wenn es nicht durch
dein Wort zu der Einheit mit dir berufen und gebildet wäre, auf
daß alles durch dich, das einzige und höchste Gut, sehr gut
würde. Wie aber hat es dies um dich verdient, auch nur gestaltlos.
zu sein, da auch dies nicht wäre, wenn nicht durch dich?
Wie hat es eine
körperliche Materie um dich verdient, daß sie wenigstens
wüst und leer war? Sie wäre auch dieses nicht, wenn du sie
nicht geschaffen; und deshalb konnte sie, weil sie nicht war, es auch
nicht um dich verdienen, daß sie war. Oder, wie verdiente es um
dich der Anfang der geistigen Schöpfung, daß sie auch nur
als eine finstere, der Tiefe ähnliche, dir unähnliche,
umhertrieb, wenn sie nicht durch dasselbe Wort zu dem gerichtet worden,
von welchem sie geschaffen ist und, von ihm erleuchtet, ein Licht
geworden, wenn auch nicht deinem Ebenbilde gleich, doch ihm
ähnlich? Denn wie es für einen Körper nicht dasselbe
ist, daß er ist und daß er schön ist, sonst
könnte es ja keine Ungestalt geben, so ist es auch bei einem
geschaffenen Geist nicht dasselbe, zu leben und weise zu leben, sonst
würde er unveränderlich weise sein. Für ihn ist es gut,
stets dir anzuhängen, damit er das, was er durch die Umkehr
gewonnen, nicht wieder durch Abkehr verliere und nicht wieder in ein
Leben des finsteren Abgrundes zurückfalle. Denn auch wir, die wir
durch die Seele eine geistige Schöpfung sind, von dir, unserem
Lichte abgewandt, waren wir weiland Finsternis in diesem Leben und wir
leiden noch an den Überbleibseln unserer Finsternis, bis wir in
deinem Eingeborenen deine Gerechtigkeit werden, wie Berge Gottes; denn
wir waren der Gegenstand deines Gerichts, tief wie der Abgrund.
Dreizehntes Buch - Drittes Kapitel
Was du aber beim Anfange der
Schöpfung sagtest, es werde Licht und es ward Licht, verstehe ich
wohl mit Recht von der geistigen Schöpfung, die bereits im Leben,
wie es auch sein mochte, vorhanden war, so daß du erleuchten
konntest, so hatte sie kein Verdienst, wenn sie auch das Dasein hatte,
daß sie von dir erleuchtet würde. Dir hätte ihre
Gestaltlosigkeit nicht gefallen, wenn sie nicht Licht wurde, nicht
durch die Kraft ihres eigenen Daseins, sondern durch das Anschauen des
erleuchtenden Lichtes und durch die Gemeinschaft mit Ihm, so daß
sie ganz allein deiner Gnade verdankt, sowohl, daß sie lebt, als
auch, daß sie glücklich lebt, weil sie sich durch eine
Umwandelung zum Bessern zu dem hingewandt hat, der sich weder zum
Bessern noch zum Schlechtern verändert, was du allein bist,
daß du allein wahrhaft bist, für welchen leben und
glückselig leben eins ist, da du deine Seligkeit selbst bist.
Dreizehntes Buch - Viertes Kapitel
Was könnte dir also an
der Seligkeit, die du dir selbst bist, mangeln, auch wenn jene Wesen
nicht wären oder wenn sie auch in ihrer Unvollkommenheit geblieben
wären, die du nicht, weil du ihrer bedurft hättest, gemacht
hast, sondern aus der Fülle deiner Güte, die du ordnetest und
gestaltetest, aber nicht damit durch sie gleichsam deine Freude
vollkommen würde? Gewiß mißfällt dir ihre
Unvollkommenheit. Denn dein guter Geist schwebte auf den Wassern; er
wurde nicht etwa von denselben getragen, um auf ihnen gleichsam zu
ruhen. Denn von welchen es heißt, ein guter Geist ruhe auf ihnen,
die läßt er in sich ruhen. Aber dein unvergänglicher
und unveränderlicher Wille, der sich selbst in sich genügt,
schwebte über dem Leben, das du erschaffen hattest, denn leben und
selig leben nicht dasselbe ist, weil es auch in seiner Finsternis
umhertreibend lebt; es muß zu dem zurückkehren, von dem es
geschaffen ist und immer mehr aus der Quelle des Lebens leben und das
Licht in Seinem Lichte schauen und darin seine Vollkommenheit, seine
Herrlichkeit und Seligkeit finden.
Dreizehntes Buch - Fünftes Kapitel
Siehe, wie in einem
Rätsel erscheint mir die Dreieinigkeit, die du, mein Gott, bist;
denn du, Vater, hast im Anfange unserer Weisheit, die deine von dir
geborene Weisheit ist, dir gleich und mit dir gleich ewig, das
heißt, in deinem Sohne hast du Himmel und Erde geschaffen. Wir
haben vieles von dem Himmel des Himmels gesprochen, von der wüsten
und leeren Erde und von der finstern Tiefe, das heißt, von den
Irrsalen und Mängeln der Gestaltlosigkeit der geistigen Wesen,
worin sie immer geblieben wären, wenn sie nicht zu dem
zurückgeführt worden wären, der ihnen dies unvollkommene
Leben gab, und wenn dies nicht kraft der Erleuchtung herrlich und ein
Himmel des Himmels geworden wäre, der dann zwischen das Wasser und
das Wasser gesetzt wurde; ich erkannte schon in dem Namen Gottes den
Vater, der dies schuf; in dem Worte Anfang, in dem er es schuf, den
Sohn; und da ich annahm, daß mein Gott dreieinig sei, wie ich ihn
glaubte, forschte ich in seinen heiligen Aussprüchen und siehe,
dein Geist schwebte über dem Wasser. Das ist die Dreieinigkeit,
mein Gott! Der Vater, der Sohn und der heilige Geist, der Schöpfer
der ganzen Schöpfung.
Dreizehntes Buch - Sechstes Kapitel
Was aber war die Ursache, o
Licht, du Quell der Wahrheit (laß mein Herz sich dir nahen, damit
es mich nicht zum Irrtume verleite, zerstreue seine Finsternis und sage
mir), ich bitte dich bei der Liebe, der Quelle alles Heiles, sage mir,
welches war die Ursache, daß erst nach der Erwähnung des
Himmels, nach Erwähnung der wüsten und leeren Erde und der
Finsternis auf der Tiefe die Schrift deines Geistes erwähnt? Etwa
darum, weil es nötig war, Ihn so zu bezeichnen, ihn über
etwas schweben zu lassen, und konnte dieses nicht geschehen, wenn nicht
zuvor erwähnt war, worüber der Geist schwebte. Nicht
über dem Vater, nicht über dem Sohne schwebte Er; und es
ließe sich nicht mit Recht sagen, Er schwebte über etwas,
wenn Er nicht wirklich über etwas schwebte. Zuvor mußte also
gesagt werden, worüber er schwebte, dann konnte dessen
erwähnt werden, welcher nicht anders als schwebend bezeichnet
werden sollte. Warum aber sollte von Ihm nicht anders als schwebend
gesprochen werden?
Dreizehntes Buch - Siebentes Kapitel
Von hier aus folge, wer es
vermag, mit seinen Gedanken deinem Apostel, wenn er sagte: Denn die
Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den heiligen Geist,
welcher uns gegeben ist, wenn er sagt: Strebet nach den besten Gaben.
Und ich will euch einen köstlicheren Weg zeigen; und weiter: Ich
beuge meine Knie gegen den Vater unseres Herrn Jesu Christi, auf
daß ihr erkennen möchtet, daß Christum heb haben viel
besser ist denn alles Wissen, auf daß ihr erfüllet werdet
mit allerlei Geistesfülle. Deshalb schwebte er im Anfange
über dem Wasser. Zu wem soll ich sprechen? Wie soll ich reden von
dem Hinabziehen der Leidenschaft in den tiefen Abgrund und von der
Erhebung der Liebe durch den Geist, der über dem Wasser schwebte?
Zu wem soll ich sprechen? Wie soll ich es aussprechen? Es ist kein Ort,
wo wir sinken und emporsteigen. Was ist ähnlicher? Was ist
unähnlicher? Es sind unsere Leidenschaften, es sind die Regungen
unserer Liebe; die Unreinheit unseres Geistes zieht uns durch die Liebe
zu irdischen Sorgen in diesen Abgrund hinab und die Heiligkeit hebt uns
empor durch das Verlangen der Gewißheit, so daß sich unsere
Herzen zu dir emporrichten, wo dein Geist über dem Wasser schwebt,
und wir zu der Ruhe gelangen, die über alles hinaus wohnt, wenn
unsere Seele durch die Wasser hindurchgegangen ist, die ohne Wesen sind.
Dreizehntes Buch - Achtes Kapitel
Der Engel sank hinab, die
Seele des Menschen sank hinab, und beide wiesen dadurch auf den Abgrund
aller geistigen Geschöpfe in der Tiefe der Finsternis hin, wenn du
nicht gleich im Anfange gesagt hättest: Es werde Licht, und wenn
es nicht Licht geworden wäre und alle geistigen Wesen deiner
himmlischen Stadt sich nicht durch den Gehorsam mit dir vereinigten, um
Ruhe zu finden in deinem Geiste, der unveränderlich über
allem Wandelbaren schwebt. Sonst würde selbst der Himmel des
Himmels in sich nur ein finsterer Abgrund sein; nun aber seid ihr ein
Licht in dem Herrn. Denn auch in der unseligen Unruhe der
zurücksinkenden Geister, die nach der Entkleidung von deinem
Lichtgewande nur den Anblick ihrer Finsternis darbieten, zeigst du uns
= Genüge die Größe der vernunftbegabten Geschöpfe,
denen nichts zu ihrer seligen Ruhe genügt, was geringer ist als
du, und deswegen kann sie auch sich selbst nicht genügen. Denn du,
unser Gott, erleuchtest unsere Finsternis -, aus dir kommt unsere
Kleidung, und die Nacht leuchtet wie der Tag und die Finsternis wie das
Licht. Gib mir dich, mein Gott, gib dich meinem Herzen zurück,
denn ich liebe dich und ist es auch noch wenig, ich will dich immer
lieben. Ich kann nicht ermessen, daß ich weiß, wieviel der
Liebe mir noch fehle, bis es hinreicht, daß mein Leben sich zu
deiner Anschauung erhebe und nichts es von dir entferne, bis es sich in
dem Geheimnisse deines Angesichts verliert. Nur eins weiß ich,
daß ich ohne dich elend bin, nicht bloß außer mir,
sondern auch in mir selbst; daß jeder Reichtum, der nicht mein
Gott ist, für mich nur Armut ist.
Dreizehntes Buch - Neuntes Kapitel
Schwebte nicht auch der Vater
oder der Sohn über den Wassern? Wenn dies wäre gleich wie ein
Körper über dem Raume, dann schwebte auch nicht der heilige
Geist darüber; wenn diese Worte aber die Erhabenheit der
unwandelbaren Gottheit über allem Wandelbaren anzeigen, so
schwebte der Vater und der Sohn und der heilige Geist über dem
Wasser. Warum also ist dies nur von dem heiligen Geist gesagt?
Gleichsam als wenn er dort räumlich wäre, der doch nicht
räumlich ist, sondern von welchem gesagt ist, daß er deine
Gabe sei. In deiner Gabe wollen wir ruhen, dort deiner genießen.
Dort ist unsere Ruhe, unsere Stätte. Dorthin erhebt uns die Liebe
und dein guter Geist erhöhet unsere Niedrigkeit über die
Pforten des Todes. Im guten Willen ist Friede für uns. Ein
Körper strebt durch eigenes Gewicht zu seinem Mittelpunkt. Dies
Gewicht zieht ihn nicht nur nach unten, sondern zu seinem Orte. Das
Feuer steigt aufwärts, der Stein fällt abwärts. Von
ihrem Gewichte getrieben, streben beide ihrem Mittelpunkte zu. Das
Öl, auf welches man Wasser schüttet, erhebt sich über
das Wasser; Wasser aber über Öl gegossen, sinkt unter das
Öl hinab; von ihrem Gewichte getrieben, streben beide ihrem
Mittelpunkte zu. Weniger geordnet, sind sie unruhig; wenn sie geordnet
sind, ruhen sie. Mein Gewicht ist meine Liebe; durch sie werde ich
getrieben, wohin ich immer getrieben werde. Durch deine Gabe werden wir
entzündet und emporgehoben. Wir entbrennen und wir gehen. Wir
steigen auf durch das Entzücken unseres Herzens und singen das
Lied der Stufen. Durch dein Feuer, durch dein heiliges Feuer
erglühen wir und wandeln wir; wir gehen hinauf zum Frieden
Jerusalems, wie freue ich mich des, das mir geredet ist, daß wir
werden in das Haus des Herrn gehen. Dorthin versetzt uns der gute
Wille, der in uns keinen andern Wunsch aufkommen läßt, als
dort zu bleiben in Ewigkeit.
Dreizehntes Buch - Zehntes Kapitel
Selig das Geschöpf, das
nichts anderes kennte, obgleich es selbst ein anderes wäre, wenn
es nicht durch deine Gabe, die über allem Wandelbaren schwebt,
gleich nach seiner Schöpfung ohne irgendeinen Zeitraum durch jenes
Wort, es werde Licht und es ward Licht, emporgehoben wäre. Denn
bei uns unterscheidet man in der Zeit, daß wir Finsternis waren
und wir Licht wurden; bei jenen Geschöpfen aber ist gesagt, was
sie wären, wenn sie nicht erleuchtet worden wären, und
demzufolge wurde gesagt, wie sie früher unstät und finster
gewesen, um die Ursache zu offenbaren, die es bewirkte, daß es
anders geworden sei, das heißt, daß sie hingewandt zum
unversiegbaren Lichte Licht wurden. Verstehe dieses, wer kann, und er
bitte dich um sein Verständnis! Wozu ist er auch mir lästig,
wie wenn ich das Licht wäre, das jeden Menschen erleuchten solle,
der in diese Welt kommt?
Dreizehntes Buch - Elftes Kapitel
Wer begreift die
allmächtige Dreieinigkeit? Und wer spricht nicht von ihr als etwas
ganz Gewöhnlichem, wenn er anders von ihr spricht? Selten ist der
Geist, der, wenn er von ihr spricht, weiß, was er sagt. Man
streitet und kämpft und doch schaut niemand ohne den Frieden und
die Ruhe der Seele dieses Geheimnis. Ich wünschte, die Menschen
bedächten bei sich drei Dinge. Freilich sind diese drei Dinge
etwas ganz anderes als jene Dreieinigkeit; doch gebe ich sie ihnen auf,
damit sie sich üben und erfahren, wie weit sie davon entfernt
sind. Diese drei Dinge sind: Sein, Wissen und Wollen. Ich bin, ich
weiß, ich will, ich bin, der weiß und der will; und ich
weiß, daß ich bin und daß ich will; ich will sein und
will wissen. Wie sehr von diesen Dingen das Leben unzertrennlich ist,
und zwar ein Leben, ein Geist, eine Wesenheit und welch ein
unzertrennlicher Unterschied und doch Unterschied, das begreife, dem es
möglich ist. Dies liegt vor jedem; er betrachte sich, er sehe, und
er antworte mir. Wenn er aber in diesem einen Aufschluß findet
und es mir sagt, so glaube er nicht, daß er schon das Wesen
erkannt habe, was über dieses Wandelbare erhaben ist, was
unwandelbar ist, was unwandelbar weiß, was unwandelbar will; und
ob dieser drei Dinge wegen auch dort die Dreieinigkeit ist oder ob alle
drei in jedem einzelnen, so daß alle drei in jeder Person sind,
oder ob beides auf wunderbare Weise einfach und dennoch auf
vielfältige Weise in ihr stattfindet, die sich selbst ihr Ziel
ist, sich kennt und unwandelbar in jener überaus großen
Einheit sich selbst genügt; wer vermag dieses zu begreifen? Wer
vermag es je zu sagen? Wer ist vermessen genug, es auf irgendeine Weise
aussprechen zu wollen.
Dreizehntes Buch - Zwölftes Kapitel
Fahre fort, mein Glaube, in
deinem Bekenntnisse; sage dem Herrn deinem Gott: Heilig, heilig,
heilig, mein Herr und Gott, auf deinen Namen sind wir getauft, Vater,
Sohn und heiliger Geist; auf deinen Namen taufen wir, Vater, Sohn und
heiliger Geist; denn auch bei uns schuf Gott in Christo, seinem Sohne,
Himmel und Erde, die geistlichen und fleischlichen Menschen seiner
Kirche; und bevor unsere Erde ihre Gestalt durch die Lehre des Wortes
empfing, war sie wüst und leer und bedeckte uns die Finsternis der
Unwissenheit, weil du den Menschen gezüchtigt hast um der
Sünde willen und weil deine Gerichte wie die Tiefen des Abgrundes
sind. Da aber dein Geist über dem Wasser schwebte, verließ
deine Erbarmung unser Elend nicht und du sagtest: Es werde Licht. Tut
Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Tut Buße, es
werde Licht. Und weil meine Seele betrübt in mir ist, darum denke
ich an dich, Herr, im Lande am Jordan und auf dem Berge, der gleich
groß ist wie du, aber klein um unseretwillen, und es
mißfiel uns unsere Finsternis, als wir zu dir zurückkehrten,
und es wurde Licht. Und siehe, die wir weiland Finsternis waren, nun
sind wir ein Licht in dem Herrn.
Dreizehntes Buch - Dreizehntes Kapitel
Doch sind wir dies nur erst im
Glauben, nicht schon im Schauen. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist
nicht Hoffnung. Noch rauschen deine Fluten daher, daß hier eine
Tiefe und da eine Tiefe brauset; und alle deine Wasserwogen und Wellen
gehen über mich, aber die Tiefe ruft doch bereits mit der Stimme
deiner Fluten. Auch jener, welcher spricht, ich konnte nicht mit euch
reden als mit Geistlichen, sondern als mit Fleischlichen, schätzt
sich selbst noch nicht, daß er es begriffen habe; ich vergesse,
was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist; er seufzet
unter der Last, die ihn niederdrückt, er dürstet nach Gott,
nach dem lebendigen Gott, wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser,
und sagt, wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht
schaue? Wir sehnen uns nach unserer Behausung, die vom Himmel ist, und
uns verlanget, daß wir damit überkleidet werden, und er ruft
dem untern Abgrunde zu, da er spricht: Stellet euch nicht dieser Welt
gleich, sondern verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes;
und, werdet nicht Kinder an dem Verständnis, sondern vor der
Bosheit seid Kinder, an dem Verständnis aber seid vollkommen; und,
o ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert? Aber schon
läßt sich nicht mehr seine Stimme, sondern deine Stimme
selbst vernehmen, der du vom Himmel herab deinen Geist gesandt hast
durch den, welcher zum Himmel aufgefahren ist und die
unerschöpfliche Quelle deiner Gnade öffnete, um Ströme
von Freude über deine heilige Stadt auszugießen. Nach ihr
sehnt sich der Freund des Bräutigams, der schon die Erstlinge des
Geistes empfangen hat, seufzt aber auch bei sich selbst nach der
Kindschaft und wartet auf des Leibes Erlösung; nach ihr seufzt er
(aber auch bei sich selbst), denn er ist ein Glied der Kirche, der
Braut; für sie eifert er, denn er ist ein Freund des
Bräutigams; für ihn eifert er, nicht für sich, weil er
durch die Stimme deiner Wasserfluten, nicht mit seiner eigenen Stimme
den andern Abgrund anruft; im Eifer für diesen befürchtet er,
daß nicht, wie die Schlange Eva verführte mit ihrer
Schalkheit, also auch eure Sinne verrückt werden von der
Einfältigkeit in Christo, unserm Bräutigam, deinem
Eingeborenen. Wie wird das Licht seines Angesichts leuchten, wenn wir
ihn sehen werden, wie er ist, und wenn die Tränen vorüber
sein werden, die Tag und Nacht meine Speise sind, weil man täglich
zu mir sagt - Wo ist nun dein Gott?
Dreizehntes Buch - Vierzehntes Kapitel
Auch ich spreche: Wo bist du,
mein Gott? Ach, wo bist du? ich atme in dir etwas auf, wenn ich mein
Herz herausschütte bei mir selbst mit Frohlocken und Danken, unter
dem Haufen derer, die da eifern. Doch ist meine Seele noch traurig,
weil sie bald wieder herabsinkt und ein Abgrund wird, oder vielmehr,
weil sie fühlt, daß sie noch ein Abgrund ist. Da spricht zu
ihr mein Glaube, den du in der Nacht angezündet hast: Was
betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre
auf Gott; dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf
meinem Wege. Hoffe und harre, bis die Nacht, die Mutter der Gottlosen,
vorübergeht, bis der Zorn des Herrn vorübergehe, dessen
Kinder auch wir einst waren, aber wir noch Finsternis waren, deren
Überbleibsel noch dieser durch die Sünde sterbende Leib an
sich trägt, bis der Tag kühl werde und die Schatten abnehmen.
Harre auf den Herrn; frühe will ich mich zu dir schicken und
darauf merken und will immerdar dein Lob verkündigen. Frühe
will ich mich zu dir schicken und werde das Heil meines Angesichtes
sehen, meinen Gott, der auch unsere sterblichen Leiber lebendig macht
um deswillen, dessen Geist in uns wohnt, und der erbarmend über
unserem finsteren und flutenden Innern schwebt. Durch ihn haben wir auf
der Pilgerfahrt dieses Lebens das Unterpfand empfangen, daß wir
bereits Licht sind, während wir schon in Hoffnung selig sind,
Kinder des Lichtes und Kinder des Tages, nicht Kinder der Nacht noch
der Finsternis, die wir einst waren. Zwischen diesen und uns
unterscheidest, bei der Ungewißheit menschlicher Erkenntnis,
allein du, der du unsere Herzen prüfst und das Licht Tag und die
Finsternis Nacht nennst, wer kann uns unterscheiden als du? Was haben
wir aber, was wir nicht empfangen haben, sind wir nicht alle von
derselben Erde genommen, um Gefäße der Ehre oder
Gefäße der Unehre zu sein?
Dreizehntes Buch - Fünfzehntes Kapitel
Oder wer, wenn nicht du, unser
Gott, hat die Veste der Autorität über uns in deiner
göttlichen Schrift geschaffen? Denn der Himmel wird wie ein Buch
aufgerollt werden und ist jetzt wie ein Kleid über uns
ausgespannt. Das Ansehen deiner heiligen Schrift ist um so erhabener,
seitdem jene Sterblichen, die du zu ihren Werkzeugen erwählt hast,
durch den Tod bereits von hier geschieden sind. Du weißt, Herr,
du weißt, wie du die Menschen mit Fellen bekleidetest, als sie
durch die Sünde sterblich wurden. Deshalb hast du die Veste deiner
Schrift wie ein Kleid über uns ausgebreitet, die völlig
übereinstimmenden Worte, die du durch Vermittlung sterblicher
Menschen über uns erhoben hast. Denn durch ihren Tod wird die
Befestigung des Ansehens deiner von ihnen mitgeteilten Worte hoch
über alles, was darunter ist, ausgebreitet, die, solange sie noch
herniederwallten, nicht so erhöhet und verbreitet war. Du hattest
noch nicht den Himmel wie ein Kleid über uns ausgebreitet noch
nicht ihres Todes Ruf überallhin getragen.
Laß uns, Herr, die
Himmel, die Werke deiner Hände schauen; zerstreue die Wolken, die
sie unseren Augen verhüllen! Dort ist dein Zeugnis, das den
Kleinen Weisheit gewährt. Bereite dir, mein Gott, dein Lob aus dem
Munde der jungen Kinder und Säuglinge. Wir kennen keine andern
Bücher, die so sehr zunichte machen den Stolz, so sehr zunichte
machen den Feind, der widerstrebend deiner Versöhnung seine
Sünde verteidigt. Ich kenne, Herr, o Herr, ich kenne keine
keuscheren Worte, die mich so zum Bekenntnis bewegten und meinen Nacken
unter dein Joch so beugten' dir aus Liebe zu dienen. Möchte ich
sie, gütiger Vater, verstehen; verleihe dieses mir, der sich ihnen
unterwirft, da du sie für die gegründet, die sich ihnen
unterwerfen.
Andere Gewässer gibt es
über dieser Veste, ich glaube, unsterbliche, bewahrt vor dem
irdischen Verderben. Mögen deinen Namen loben, mögen dich
loben die übersinnlichen Völker deiner Engel, die nicht
nötig haben, zu dieser Veste aufzublicken und dein Wort durch
Lesen zu erkennen. Denn sie sehen allezeit dein Angesicht und lesen
dort ohne Silben der Zeit, was dein ewiger Wille will. Sie lesen, sie
wählen, sie lieben sie; sie lesen immerdar und nie vergeht, was
sie lesen. Sie lesen selbst die Unwandelbarkeit deines Ratschlusses,
sie wählen und lieben sie. Für sie schließt sich dies
Buch nicht; ihr Buch rollt sich auf, denn du selbst bist ihr Buch und
bist es ewig; denn du hast sie über diese Veste gestellt, die du
über der Schwachheit der niederen Völker begründet hast,
daß sie hinaufblicken und deine Barmherzigkeit erkennen, die dich
ihnen zeitlich verkünden soll, der du die Zeiten geschaffen hast.
Denn im Himmel, Herr, wohnt deine Barmherzigkeit und deine Wahrheit,
soweit die Wolken geben. Die Wolken vergehen, der Himmel aber bleibt.
Die Verkündiger deines Wortes gehen vorüber, gehen aus diesem
Leben in ein anderes; deine Schrift aber breitet sich über die
Völker aus bis an das Ende der Tage. Aber auch Himmel und Erde
werden vergehen, aber dein Wort wird nicht vergehen. Denn auch das
Kleid des Himmels wird zusammengelegt werden, und das Gras, über
welches er ausgespannt war, wird mit all seiner Herrlichkeit
verschwinden; dein Wort aber bleibt in Ewigkeit; jetzt erscheint es uns
nur wie ein Rätsel in eine Wolke gehüllt; und wie durch den
Spiegel des Himmels, nicht aber wie es ist; denn obwohl wir die
Geliebten deines Sohnes sind, ist doch noch nicht erschienen, was wir
sein werden. Er blickt durch die Hülle des Fleisches, hat uns mit
Liebkosungen überhäuft und mit seiner Liebe entflammt, und
wir laufen seinem Wohlgeruche nach. Wenn er aber erschienen sein wird,
werden wir ihm gleich sein, denn wir werden ihn sehen, wie er ist; ihn
zu sehen, wie er ist, Herr, das ist uns doch nicht vergönnt.
Dreizehntes Buch - Sechzehntes Kapitel
Denn ganz, wie du bist, das
weißt du allein, der du unwandelbar bist in deinem Sein;
unwandelbar in dem, was du weißt; und unwandelbar in dem, was du
willst. Dein Wesen weiß und will unwandelbar; dein Wissen ist und
will unwandelbar, und dein Wille ist und weiß unwandelbar. Es
scheint vor dir nicht gerecht zu sein, daß, wie das unwandelbare
Licht sich selbst erkennt, daß es so auch von dem erleuchteten
Wandelbaren erkannt werde. Deshalb dürstet meine Seele nach dir
wie ein dürres Land, denn wie sie sich aus sich selbst nicht
erleuchten kann, vermag sie auch nicht aus sich selbst ihr Verlangen zu
stillen. So ist bei dir, bei dir die lebendige Quelle und in deinem
Lichte sehen wir das Licht.
Dreizehntes Buch - Siebzehntes Kapitel
Wer sammelte die bittern
Wasser an einen einzigen Ort? Sie haben dasselbe Ziel zeitlichen und
irdischen Glückes, dessentwegen sie alles tun, obwohl sie von
unzähligen Sorgen hin- und herschwanken. Wer, Herr, als du, der du
gesagt hast: Es sammele sich das Wasser an besondere Örter, damit
man das Trockene sehe, das nach dir dürstet? Denn auch das Meer
ist dein und du hast es gemacht und deine Hände haben das Trockene
bereitet; denn nicht die Bitterkeit der Willen, sondern die Sammlung
der Gewässer wird Meer genannt. Denn du hältst auch die
unordentlichen Neigungen der Seele zusammen und steckst Grenzen, die
sie nicht überschreiten dürfen und zwingst so die Wogen, sich
an sich selbst zu brechen, und gestaltest dies Meer nach der Ordnung
deiner Herrschaft über alles.
Doch die Seelen, die nach dir
dürsten und stets vor deinem Angesichte sind, die du in anderer
Absicht von der Gemeinschaft des Meeres getrennt hast, benetze du sie
im verborgenen mit dem süßen Quell, damit auch die Erde ihre
Frucht trage; es trägt unsere Seele Frucht und auf Geheiß
unseres Herrn und Gottes läßt sie aufgehen Werke der
Barmherzigkeit nach ihrer Art; sie liebt ihren Nächsten und hilft
ihm in den Nöten des Lebens und trägt in sich den Samen zu
Ähnlichem, denn, eingedenk unserer Schwachheit, fühlen wir
Mitleid, dem Dürftigen beizustehen, wie auch wir wünschen
würden, daß uns geholfen würde, wenn gleiche Not uns
drängte; nicht nur in geringen Dingen, die dem Grase gleichen, das
von selbst aus der Erde wächst, sondern auch in der kräftigen
Gewährung von Schutz und Hilfe, gleich einem fruchtbaren Baume,
das heißt, durch die Wohltat, den, der Unrecht leidet, aus der
Hand der Gewalt zu reißen und ihm eine Zufluchtsstätte durch
die Kraft eines gerechten Urteils zu gewähren.
Dreizehntes Buch - Achtzehntes Kapitel
Ich bitte dich, Herr,
laß also, wie du gewohnt bist, uns Freudigkeit und Kraft zu
geben, Wahrheit aus der Erde sprossen, und deine Gerechtigkeit uns vom
Himmel herabsehen und Lichter an der Veste des Himmels werden.
Laßt uns dem Hungrigen unser Brot brechen und die, so im Elend
irren, ins Haus führen; laßt uns, so wir einen nackend
sehen, ihn kleiden und uns nicht unserem Fleische entziehen. Wenn die
Erde unserer Herzen diese Früchte hervorbringt, dann siehe herab,
daß es gut ist, und laß unser zeitliches Licht
hervorbrechen und uns, von dieser niedrigen Frucht unseres Handelns zu
der Wonne des Anschauens durch das Wort des höheren Lebens
erhoben, scheinen wie die Lichter in der Welt und mit der Veste deiner
Schrift innig vereint sein. Denn dort wirst du uns lehren, daß
wir das Geistige vom Sinnlichen unterscheiden wie den Tag von der
Nacht, oder die geistigen Seelen von den sinnlichen, so daß du
nicht mehr allein in der Verborgenheit deines Gerichtes, wie vor der
Entstehung der Veste des Himmels, das Licht von der Finsternis
scheidest, sondern auch, daß die von dem Geiste Erfüllten,
die du an die Veste des Himmels gesetzt und geordnet hast, nach der
Offenbarung deiner Gnade über den Erdkreis leuchten, den Tag von
der Nacht scheiden und die Zeiten bezeichnen; denn das Alte ist
vergangen, siehe, es ist alles neu geworden; unser Heil ist näher,
als wir es glaubten, weil die Nacht vorausgegangen ist, und der Tag
nahet; weil du krönst das Jahr mit deinem Gut und Arbeiter in
deine Ernte sendest, die andere Arbeiter fruchtbar gemacht haben, und
sie auf eine andere Aussaat sendest, deren Ernte erst am Ende der Welt
ist. So erfüllest du unsere Wünsche und segnest die Jahre des
Gerechten; du aber bist immer derselbe, und deine Jahre, die nicht
vergehen, sind die Schatzkammer, wo du unsere Jahre, die vergehen,
aufbewahrst. Denn nach ewigem Ratschluß spendest du der Erde die
himmlischen Gaben zu ihrer Zeit.
Dem einen gibst du durch
deinen Geist, zu reden von der Weisheit gleich einem
größeren Lichte, um derer willen, die sich an dem reinen
Lichte der Wahrheit wie an der Morgenröte erfreuen; dem anderen
wird gegeben, zu reden von deiner Erkenntnis nach demselben Geiste
gleich einem geringeren Lichte; einem anderen der Glaube; einem anderen
die Gabel gesund zu machen, in demselben Geiste; einem anderen, wunder
zu tun; einem anderen Weissagung; einem anderen, Geister zu
unterscheiden; einem anderen, mancherlei Sprachen; und alle diese Gaben
gleichen den Sternen. Dies alles aber wirket derselbe einige Geist und
teilt einem jeglichen seines zu, nachdem er will, und läßt
die Sterne zum Heile erscheinen und leuchten. Aber was ist die Gabe der
Erkenntnis, die alle Geheimnisse in sich faßt, die je nach der
Zeit ihr Licht wechseln wie der Mond, und was sind die übrigen
Gaben des Geistes, die darnach gleich wie Sterne erwähnt wurden,
neben jener Herrlichkeit der Weisheit, deren sich der verheißene
Tag erfreuet, anders als die Dämmerung einer finsteren Nacht. Aber
für solche sind sie notwendig, mit denen dein weiser Diener nicht
reden konnte als mit Geistlichen, sondern als mit Fleischlichen, er,
der mit den Vollkommenen Weisheit redet. Aber der natürliche
Mensch, nur ein Kind in Christo, das sich mit Milch nährt, bis es
für kräftige Speise erstarke und sein Auge für den
Anblick der Sonne kräftige, soll die Nacht seiner Finsternis nicht
für verlassen halten, sondern sich mit dem Lichte des Mondes und
der Sterne begnügen. Dies lehrst du uns, mein Gott, du
höchste Weisheit, in deinem Buche, deiner Veste, auf daß wir
in wunderbarer Betrachtung alles unterscheiden, obwohl nur erst in
Zeichen, in Zeiten, in Tagen, in Jahren.
Dreizehntes Buch - Neunzehntes Kapitel
Aber zuvor waschet euch,
reinigt euch; tut euer böses Wesen von meinen Augen und lasset ab
von Übeltat, damit die trockene Erde erscheine. Lernet Gutes tun,
schaffet den Waisen Recht und führt der Witwen Sache, damit die
Erde nährendes Gras und fruchtbare Bäume hervorbringe; so
kommt denn und laßt uns miteinander rechten, spricht der Herr,
damit sie leuchtende Gestirne an der Veste des Himmels werden und ihr
Licht über die Erde ergießen. jener Reiche fragte den guten
Meister - was er tun solle, um das ewige Leben zu haben, und es spricht
zu ihm der gute Meister - den er für einen Menschen hielt und
für weiter nichts; gut ist er nur, weil er Gott ist - zu ihm
spricht er, willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote; er solle
von sich die Bitterkeit der Bosheit und der Ungerechtigkeit entfernen;
er solle nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht
falsches Zeugnis geben, damit die trockene Erde erscheine und Verehrung
des Vaters und der Mutter und Liebe gegen den Nächsten
hervorbringe. Da sprach er, das habe ich alles gehalten. Woher so viele
Disteln und Domen, wenn die Erde fruchtbar ist? Gehe und reiße
das dichte Dorngebüsch des Geizes aus; verkaufe, was du hast, und
gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm
und folge mir nach, wenn du vollkommen sein und dich zu denen gesellen
willst, unter denen der Weisheit redet, der den Tag von der Nacht zu
unterscheiden weiß, damit auch du es weißt, damit auch dir
an der Veste des Himmels Sterne aufgehen, was nicht geschehen wird,
wenn nicht dein Herz dort ist; und ebensowenig, wenn nicht dein Schatz
dort ist: wie du es von dem guten Meister gehört hast. Aber die
unfruchtbare Erde ward betrübt und die Domen erstickten das Wort.
Ihr aber seid das
auserwählte Geschlecht, ihr, die Schwachen in der Welt, die ihr
alles verlassen habt, um dem Herrn nachzufolgen; gehet ihm nach und
beschämet die Mächtigen der Welt; folget ihm nach, ihr
lieblichen Füße, und leuchtet an der Veste des Himmels,
damit die Himmel Seine Ehre erzählen, und unterscheiden das Licht
der Vollkommenen, die jedoch noch nicht den Engeln gleich sind, von der
Finsternis der Kleinen, doch deshalb nicht Verachteten; leuchtet
über die ganze Erde hin; und der Tag, leuchtend vom Glanze der
Sonne, rufe dem Tage das Wort der Weisheit zu, und die Nacht, erhellt
von dem Lichte des Mondes, verkündige der Nacht das Wort des
Erkennens. Mond und Sterne leuchten der Nacht; aber die Nacht
verdunkelt sie nicht; sie erhellen sie nicht; sie erhellen dieselbe
nach ihrem Maße. Siehe, gleichsam als spräche Gott: Es
werden Lichter an der Veste des Himmels, geschah schnell ein Brausen
vom Himmel als eines gewaltigen Windes, und man sah an ihnen die Zungen
zerteilet, als wären sie feurig; und er setzte sich auf einen
jeglichen unter ihnen; und sie wurden Lichter an der Veste des Himmels,
die das Wort des Lebens haben. Geht über die ganze Erde hin,
heilige Flammen, herrliche Flammen! Denn ihr seid das Licht der Welt,
bleibet nicht hinter dem Scheffel! Der ist erhöhet, dem ihr
anhinget, und Er hat euch erhöhet. Gebet hin und werdet kund allen
Völkern!
Dreizehntes Buch - Zwanzigstes Kapitel
Auch das Meer empfange und
gebäre eure Werke und es errege sich das Wasser mit webenden,
lebendigen Tieren. Denn ihr unterscheidet Kostbares von Gemeinem und
seid der Mund Gottes geworden, durch die er sprach. Es errege sich das
Wasser nicht mit der lebendigen Seele, welche die Erde hervorbringt,
sondern mit webenden, lebendigen Tieren und mit Gevögel, die auf
Erden unter der Veste des Himmels fliegen. Denn deine Geheimnisse, mein
Gott, gehen durch die Werke deiner Heiligen mitten unter den Fluten der
Versuchungen der Welt hindurch, um die Völker in deinem Namen, in
deiner Taufe zu weihen. Und es geschehen wunderbare Taten, wie
große Ungeheuer, und die Stimme deiner Boten flog über die
Erde unter der Veste deines Wortes, das ihnen zum höchsten Ansehen
gesetzt war, unter dem sie hineilten, wohin sie immer gingen. Denn es
ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre, als
ihr Ruf in alle Länder ausging und ihre Rede an der Welt Ende;
denn du, Herr, hast dies segnend vermehrt.
Irre ich etwa und vermenge und
unterscheide ich nicht die helle Erkenntnis dieser Dinge an der Veste
des Himmels von den körperlichen Werken im flutenden Meere und
unter dem Firmamente des Himmels? Die Erkenntnis der Dinge ist klar und
gewiß und begrenzt ohne Zuwachs von Geschlecht zu Geschlecht,
gleich den Lichtern der Weisheit und der Erkenntnis; die
körperlichen Wirkungen derselben Dinge sind viel und mannigfaltig
und werden unaufhörlich vermehrt, indem eins aus dem andern
erwächst unter deinem Segen, mein Gott, der du den
Überdruß der sterblichen Sinne dadurch tröstest,
daß in der Erkenntnis des Geistes eine Sache sich in der
körperlichen Bewegung auf vielfache Weise darstellt und offenbart.
Die Wasser haben dies erzeugt, aber in deinem Worte. Die
Bedürfnisse der der Ewigkeit deiner Wahrheit entfremdeten
Völker haben dies hervorgebracht, aber in deinem Evangelium; denn
die Wasser selbst werfen dasjenige aus, deren Bitterkeit und
Erschlaffung die Ursache war, daß in deinem Worte solches
hervorging.
Alles ist schön, wenn du
es machst, du aber, der du alles gemacht hast, bist unaussprechlich
schöner; wäre Adam nicht gefallen, so hätte sich nicht
aus seinem Schoße das salzige Meer ergossen, das
übermäßig vorwitzige, stürmisch schwülstige
und unstät wogende Menschengeschlecht; und ebenso wäre es
nicht nötig gewesen, daß mitten in diesen
unermeßlichen Gewässern aller Völker die gläubigen
Werkzeuge deines Willens so viele sinnliche und körperliche
Zeichen anwendeten und zu so vielen geheimnisvollen Worten und
Handlungen ihre Zuflucht nahmen. So traten mir nun die kriechenden
Tiere und die Vögel entgegen, in deren vorbildliche Bedeutung
eingeweiht, die Menschen, sinnlichen Symbolen unterworfen,
nicht weiter gelangt sein
würden, wenn nicht geistig die Seele auf einer anderen Stufe lebte
und nach dem Worte des Anfanges auf die Vollendung blickte.
Dreizehntes Buch - Einundzwanzigstes Kapitel
Deshalb bringt in deinem Worte
nicht des Meeres Tiefe, sondern die von der Bitterkeit des
Gewässers gesonderte Erde nicht belebte kriechende Tiere, sondern
eine lebendige Seele hervor. Denn sie bedarf nicht mehr der Taufe,
welche die Heiden nötig haben, so wie sie ihrer bedurfte, als sie
noch von den Wassern bedeckt wurde. Denn man kann nicht anders in das
Reich Gottes kommen, seitdem du angeordnet hast, daß man nur so
hineinkomme. Sie verlangt auch nicht mehr wunderbare Taten, um Glauben
zu erwecken; denn nicht mehr glaubt sie nicht, wenn sie nicht Zeichen
und Wunder sieht, da die gläubige Erde schon von den durch ihren
Unglauben bitteren Gewässern des Meeres geschieden ist; und die
Zungen sind zum Zeichen nicht den Gläubigen, sondern den
Ungläubigen. jener Art Gevögel, welche das Meer auf dein Wort
hervorbrachte, bedarf die Erde, die du über den Wassern
gründetest, nicht mehr. Sende auf sie durch deine Boten dein Wort
herab. Denn wir erzählen ihre Werke, aber du bist es, der in ihnen
wirkt, daß sie eine lebendige Seele hervorbringen. Die Erde
bringt sie hervor, weil die Erde die Ursache ist, daß sie dies
auf ihr wirken; wie das Meer die Ursache war, daß sie belebte,
kriechende Tiere und Gevögel unter dem Firmamente
hervorbrächten, deren die Erde nicht mehr bedarf; obgleich sie
sich mit dem aus der Tiefe emporgehobenen Fische nährt an dem
Tische, den du im Angesicht der Gläubigen bereitet hast; denn
deshalb wurde er aus der Tiefe emporgehoben, daß diese Speise die
Erde nähre. Und die Vögel, obwohl aus dem Meere geboren,
mehren sich auf der Erde. Denn die Ursache der ersten Verkündigung
des Evangeliums war der Unglaube des Menschen: aber auch die
Gläubigen empfangen von ihnen vielfältig Ermahnung und Segen
immer wieder. Aber die lebendige Seele hat von der Erde ihren Ursprung,
daß es jetzt nur den Gläubigen nützt, sich der Liebe
dieser Welt zu enthalten, daß ihre Seele dir lebt, die tot war,
als sie noch in Wollüsten, in todbringenden Wollüsten, Herr,
lebte; denn du bist die Lebenswonne des reinen Herzens.
Laß daher jetzt deine
Diener auf Erden wirken, nicht wie in den Wassern des Unglaubens durch
Verkündigung in Wundern, Geheimnissen und mystischen Worten, auf
welche die Unwissenheit, die Mutter der Bewunderung, in der Furcht vor
verborgenen Zeichen gerichtet ist. Denn das ist der Weg, der die Kinder
Adams zum Glauben führt, die deiner vergessen haben, sich vor
deinem Angesichte verbergen und ein Abgrund werden. Laß sie
vielmehr wirken wie auf trockener Erde, die gesondert ist von den
Fluten des Abgrundes, und laß deine Gläubigen in ihrem
Wandel ihnen ein Vorbild zur Nachahmung sein. Denn so vernehmen sie
nicht bloß zum Hören, sondern auch zum Befolgen: Suchet den
Herrn und eure Seele wird das Leben haben, daß das Land eine
lebendige Seele hervorbringe. Stellet euch nicht dieser Welt gleich;
enthaltet euch derselben. Wenn die Seele sie fliehet, lebt sie; wenn
sie dieselbe sucht, stirbt sie. Enthaltet euch der unmenschlichen
Roheit des Stolzes, der Weichlichkeit der Wollust und des Truges der
Erkenntnis, damit die wilden Tiere zahm, die Haustiere sanft und die
Schlangen unschädlich sind. Denn das sind sinnbildlich die
leidenschaftlichen Regungen der Seele; aber der Hochmut des Stolzes,
der Genuß der Sinnenlust und das Gift des Vorwitzes sind Regungen
einer toten Seele, die zwar tot ist, aber nicht so, daß sie aller
Regung entbehre, indem sie insofern stirbt, daß sie sich von der
Quelle des Lebens entfernt und so von der vorübergehenden Welt
hingenommen und ihr gleich wird.
Dein Wort aber, mein Gott, ist
die Quelle des ewigen Lebens und vergeht nicht; deshalb wird in deinem
Worte diese Entfremdung untersagt, wenn zu uns gesprochen wird: Stellet
euch nicht dieser Welt gleich; damit das Land des Herzens durch die
Quelle des Lebens eine lebendige Seele in uns erzeuge, in deinem Worte
durch dessen Verkündiger eine keusche Seele, durch die Nachahmung
der Nachfolger deines Gesalbten. Dies ist ein jedes in seiner Art; weil
der Mann gerne das Vorbild des Freundes nachahmt. Seid doch wie ich,
sagt er; denn ich bin wie ihr. So werden in der lebendigen Seele durch
die Sanftmut ihres Wandels gute Tiere wohnen. Das hast du befohlen,
wenn du sprichst: Vollbringe deine Werke mit Sanftmut, so wirst du von
allen gelebt werden; auch die Haustiere werden gut sein, und wenn sie
essen, keinen Überfluß haben, noch Mangel, wenn sie nicht
essen. Und die Schlangen werden gut sein, nicht mehr schädlich zum
Verderben, sondern klug zur Vorsicht; und sie erforschen nur insoweit
die zeitliche Schöpfung, als es genügt, daß an der
Schöpfung der Welt die ewige Kraft erkannt und ersehen wird. Denn
auch diese Tiere dienen der Vernunft, wenn sie von der todbringenden
Entfremdung von Gott zurückgehalten leben und gut sind.
Dreizehntes Buch - Zweiundzwanzigstes Kapitel
Siehe, unser Herr und Gott,
unser Schöpfer, wenn unsere Neigungen von der Liebe zur Welt
abgewandt sind, worin wir durch ein gutes Leben lebendig zu werden
beginnen und dein Wort erfüllt sein wird, stellet euch nicht
dieser Welt gleich, dann wird auch erfüllt, was du durch deinen
Apostel gesagt hast, sondern verwandelt euch durch die Verneuerung
eures Sinnes, nicht mehr je nach seiner Art, indem wir dem Beispiele
des Nächsten folgen und unser Leben nach dem Vorbilde eines
besseren Menschen gestalten. Denn du hast nicht gesagt, "es werde der
Mensch nach seiner Art", sondern laßt uns Menschen machen, in
unserem Bilde, nach unserem Gleichnis, auf daß wir prüfen
mögen, was dein Wille sei. Deshalb spricht jeder Spender deines
Wortes, damit die Kinder, die er durch das Evangelium zeugt, nicht
immer Kinder bleiben, die er mit Milch nährt und wie eine Amme
pflegen muß, verwandelt euch durch die Erneuerung eures Sinnes,
auf daß ihr prüfen möget, welches da sei der gute, der
wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille. Daher sagst du auch
nicht, es werde der Mensch, sondern, laßt uns Menschen machen. Du
sagest nicht, nach seiner Art, sondern, in unserem Bilde nach unserem
Gleichnis. Nämlich, der im Geiste erneuert, die Wahrheit
weiß und keines Menschen mehr bedarf zur Unterweisung, um seiner
Art nachzuahmen; sondern durch deine Erleuchtung möge er selbst
prüfen, welches da sei der gute, der wohlgefällige und der
vollkommene Gotteswille; und du lehrst ihn, der dessen fähig ist,
die Dreieinigkeit in der Einheit und die Einheit in der Dreieinigkeit
erkennen. Deshalb fügst du deinen Worten in der Mehrzahl,
laßt uns den Menschen machen, in der Einzahl hinzu, und Gott
schuf den Menschen; und den Worten in der Mehrzahl, nach unserem Bilde,
in der Einzahl hinzu, nach dem Bilde Gottes. So wird der Mensch
erneuert zur Erkenntnis nach dem Ebenbilde dessen, der ihn geschaffen
hat, und geistlich geworden richtet er alles, was überhaupt
gerichtet werden kann; er selbst aber wird von niemand gerichtet.
Dreizehntes Buch - Dreiundzwanzigstes Kapitel
Daß er aber alles
richtet, das heißt, er hat macht über die Fische des Meeres
und über die Vögel des Himmels und über alle zahmen und
wilden Tiere und über die ganze Erde und über alle
kriechenden Tiere, die sich auf der Erde bewegen. Dies lehrt ihn die
Erkenntnis des Geistes, durch den er vernimmt, was des Geistes Gottes
ist. Ohne diesen erkennt der Mensch, der sich in solcher Würde
befindet, nicht; sondern ist gleich dem Vieh, das vertilget wird. Daher
gibt es, unser Gott, in deiner Kirche kraft der Gnade, die du ihr
verliehen hast und weil wir dein Werk sind, geschaffen zu guten Werken,
nicht bloß als solche, die nach deinem Geiste vorstehen, sondern
auch die nach deinem Geiste denen untergeordnet sind, die da vorstehen.
Denn du schufest den Menschen als Mann und Weib in derselben Weise in
deiner geistlichen Gnade, wo nach dem leiblichen Geschlechte kein Mann
noch Weib, kein Jude noch Grieche, kein Knecht noch Freier ist.
Geistlich gesinnt also, urteilen sie geistlich, seien sie
übergeordnet oder untergeordnet; nicht aber über die
geistigen Kenntnisse, die am Firmamente leuchten, - denn es ist nicht
nötig, über so erhabene Dinge urteilen zu wollen; - ebenso
auch nicht über deine Schrift selbst, wenn auch dort etwas dunkel
wäre; denn wir unterwerfen ihr unsern Verstand und haben die
Gewißheit, daß auch das, was unserem Auge darin
verschlossen ist, recht und wahr gesagt ist. So muß der Mensch,
obgleich geistlich und erneuert in der Erkenntnis Gottes, nach dem
Bilde dessen, der ihn geschaffen hat, doch muß er ein Täter
des Gesetzes sein, nicht ein Richter. Er urteilt auch nicht über
jene Unterscheidung der geistlichen und fleischlichen Menschen, die
deinem Auge, unser Gott, bekannt sind, uns aber noch durch keine Werke
bekannt geworden sind, daß wir sie an ihren Früchten
erkennen könnten, aber du, Herr, kennst sie bereits, hast sie
abgesondert und im verborgenen berufen, noch ehe du das Firmament
schufest. Ebensowenig urteilt er, obgleich geistlich, über die
unruhigen Völker dieser Welt. Denn was gehen ihn die draußen
an, sie zu richten, da er nicht weiß, wer von ihnen zur
Süßigkeit der Gnade gelangen wird und wer dagegen in steter
Bitterkeit der Gottlosen beharren wird?
Daher empfing der Mensch, den
du nach deinem Bilde geschaffen hast, nicht die Macht über die
Lichter des Himmels noch über den verborgenen Himmel selbst noch
über Tag und Nacht, die du vor der Schöpfung des Himmels
beriefest noch über die Sammlung der Wasser, die das Meer sind;
wohl aber wurde ihm die Macht gegeben über die Fische des Meeres,
über die Vögel des Himmels, über alle Tiere, über
die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf Erden
sind. Er urteilt und billigt; er mißbilligt und verwirft; sowohl
in der Feier der Geheimnisse. worin diejenigen eingeweihet worden, die
dein Erbarmen aus den vielen Wassern hervorzieht, als auch in der
Feier, wo jener Fisch, der aus der Tiefe emporgehoben, der
gläubigen Erde als Speise dargereicht wird, wie auch über die
Worte und Reden, die dem Ansehen deiner Schrift unterworfen sind und
die gleichsam unter dem Firmamente umherfliegen, durch Erklärung,
Auslegung, Erörterung, Untersuchung, Segnung und Anrufung deiner
aus dem Munde hervorbrechen und erschallen, daß das Volk
antwortete: Amen. Die Ursache, daß alle diese Worte in solcher
Weise gesprochen werden mußten, ist der Abgrund der Welt, die
Blindheit des Fleisches, die unser Auge für die Erkenntnis des
Gedachten verdunkelt, so daß es der Stimme für das Ohr
bedarf; so sehr sich also das Gevögel auf der Erde vermehrt, so
hat es doch seinen Ursprung in Wassern. Auch urteilt und billigt der
geistliche Mensch, was er für recht hält, und
mißbilligt, was er als unrecht erkennt an den Werken und Sitten
der Gläubigen, an den Almosen, die gleichsam die Früchte der
fruchtbaren Erde sind, und über die lebendige Seele, deren
Regungen in Keuschheit, in Fasten und frommen Betrachtungen
gezähmt sind, über alles das, was mit den leiblichen Sinnen
wahrgenommen wird. Wir dürfen urteilen über das, worin wir
die Macht haben, zu bessern.
Dreizehntes Buch - Vierundzwanzigstes Kapitel
Aber was ist dies und welch
ein Geheimnis ist es? Siehe, Herr, du segnest die Menschen, daß
sie fruchtbar sind und sich mehren und die Erde füllen. Gibst du
uns hier nicht eine Andeutung, um etwas anderes zu erkennen? Warum
segnetest du nicht die Veste des Himmels noch die Lichter noch die
Gestirne noch die Erde noch das Meer? Ich würde sagen, unser Herr
und Gott, der du uns nach deinem Bilde geschaffen hast, ich würde
sagen, du hättest diese Gaben des Segens dem Menschen
eigentümlich schenken wollen, wenn du nicht in derselben Weise die
Fische und Walfische gesegnet hättest, daß sie wüchsen
und sich mehrten und die Wasser des Meeres füllten, und die
Vögel, daß sie sich mehrten auf Erden. Ebenso würde ich
sagen, diese Segnung erstrecke sich über alle Dinge, die sich
durch Fortpflanzung aus sich selbst vermehren; wenn ich dieselbe auch
bei den Bäumen, Pflanzen und Tieren der Erde fände. Nun ist
aber weder zu Kräutern noch zu Bäumen noch zu den Tieren und
Schlangen gesagt worden, wachset und mehret euch, obgleich auch alles
dieses, wie die Fische, Vögel und Menschen, durch Fortpflanzung
sich vermehrt und seine Art erhält.
Was soll ich also sagen, mein
Licht und meine Wahrheit? "Etwa, es habe keinen Sinn, es sei ohne
Absicht gesagt?" Gewiß nicht, Vater der Gottlosigkeit, fern sei
es, daß dieses der Diener deines Wortes sage. Wenn ich auch nicht
bekenne, was du mit diesem Worte bezeichnen willst, so werden es
Bessere, das heißt Erleuchtetere, als ich bin, besser verstehen,
je nach dem Maße der Weisheit, die du, mein Gott, jedem verliehen
hast. Möge dir aber mein Bekenntnis vor deinem Angesichte
gefallen, worin ich dir, Herr, bekenne, daß ich glaube, du hast
nicht ohne Grund so gesprochen, und ich will dir nicht verschweigen,
welcher Gedanke beim Lesen deines Wortes in mir aufstieg. Es ist wahr
und ich sehe nicht ein, was mich abhalten sollte, die bildliche Sprache
deiner Schrift so zu verstehen. ich weiß, daß auf vielfache
Weise sinnlich ausgedrückt wird, was geistig einfach ist; und
daß dagegen der Geist auf vielfache Weise erkennt, was sinnlich
einfach ausgedrückt wird. Wie einfach ist die Liebe Gottes und des
Nächsten, und durch wie viele Bilder und unzählige Sprachen
und durch. wie unzählige Ausdrücke in jeder Sprache wird sie
sinnlich dargestellt? Also wachsen und mehren sich die Geburten der
Wasser. Beachte jeder, wer dies liest: siehe, was die Schrift nur auf
eine Weise vorbringt und die Stimme zu uns spricht: Im Anfang schuf
Gott Himmel und Erde, wird das nicht vielfach verstanden, nicht durch
Täuschung des Irrtums, sondern durch die mögliche
Mannigfaltigkeit mehrerer wahrer Ansichten? So wachsen und mehren sich
die Geburten der Menschen.
Wenn wir uns die Natur der
Dinge nicht bildlich, sondern eigentlich denken, so passen die Worte,
wachset und mehret euch, auf alles, was aus Samen gezeugt wird. Nehmen
wir sie dagegen bildlich, wie es mir die Schrift vielmehr zu wollen
scheint, die gewiß nicht ohne Absicht jenen Segen auf die
Wassertiere und Menschen beschränkt; so finden wir freilich
mannigfaltige Verschiedenheiten bei den geistigen und sinnlichen
Geschöpfen, wie im Himmel und auf Erden, bei den gerechten und
ungerechten Seelen, wie bei dem Licht und der Finsternis; bei den
heiligen Schriftstellern, durch die uns dein Gesetz gegeben ist, wie
bei der Veste des Himmels, die zwischen den Wassern gegründet
wurde; in der Gesellschaft der verbitterten Völker, wie im Meere,
bei den Neigungen heiliger Seelen, wie bei dem Trockenen; und bei
Werken der Barmherzigkeit im gegenwärtigen Leben, wie bei den
sonnenreichen Pflanzen und fruchttragenden Bäumen; bei den zum
Nutzen gespendeten Geistesgaben, wie bei den großen Lichtern des
Himmels; bei den Regungen des Gemütes zur Mäßigkeit,
wie bei der lebendigen Seele, bei allem diesem finden wir Vielheiten,
Fruchtbarkeit und Wachstum; aber daß dieses Wachsen und
Sich-Vermehren von der Art ist, daß ein und dieselbe Sache sich
auf verschiedene Weise ausdrücken lasse und daß ein einziger
Ausdruck in verschiedener Weise verstanden werden kann, das finden wir
nur bei den sinnlich ausgedrückten Bildern und bei den mit dem
Verstande ausgelegten Dingen. Unter sinnlichen Bildern verstehen wir
die Erzeugungen, die aus den Gewässern hervorgingen, da die Tiefe
des fleischlichen Abgrundes sie notwendig machte; unter den mit dem
Verstande ausgedachten Dingen die menschlichen Erzeugungen, weil sie
die Früchte der Fruchtbarkeit der Vernunft sind. Deshalb ist nach
unserer Meinung zu jeder dieser beiden Arten von dir, Herr, gesagt
worden, wachset und mehret euch. Durch diesen Segensspruch nehme ich
an, daß du uns die Macht und die Kraft verliehen hast, sowohl auf
verschiedene Weise auszudrücken, was wir auf eine Weise
verständen, als auch auf verschiedene Weise zu verstehen, was wir
dunkel finden, obgleich es nur auf eine Weise ausgedrückt ist. So
füllen sich die Wasser des Meeres unserer Gedanken, die nur durch
die verschiedenen Bedeutungen bewegt werden; und so füllt sich
auch die Erde mit menschlichen Geburten, deren Trockene im Forschen
nach Wahrheit zutage tritt und welche die Vernunft beherrscht.
Dreizehntes Buch - Fünfndzwanzigstes Kapitel
Ich will auch aussprechen,
Herr mein Gott, woran mich die folgenden Worte deiner Schrift mahnen;
ich will es ohne Furcht sagen. Denn ich werde nur Wahres sagen, wenn du
mir eingibst, was ich nach deinem Willen über diese Worte sagen
sollte. Denn ich glaube, daß ich nur Wahres reden kann, wenn du
es mir eingibst, da du die Wahrheit bist und alle Menschen falsch sind.
Wer daher die Lügen redet, der redet von seinem Eigenen. Damit ich
also Wahrheit rede, will ich von dem Deinen reden. Siehe, du gabest uns
allerlei Kraut, das sich besamet, auf der ganzen Erde, und allerlei
Bäume, daran Baumfrüchte sind, die sich besamen zur Speise.
Und nicht bloß uns hast du sie gegeben, sondern auch allen
Vögeln des Himmels und allem Tier der Erde und allem, was auf der
Erde kreucht; den Fischen aber und den großen Ungeheuern hast du
es nicht gegeben. Wir sagten bereits, daß durch die Früchte
der Erde bildlich die Werke der Barmherzigkeit bezeichnet werden, die
in den Nöten des Lebens von der fruchtbaren Erde dargeboten
werden. Ein solches Land war der fromme Onesiphorus, dessen Hause du
Barmherzigkeit gabest; denn er hat deinen Apostel oft erquickt und er
hat sich seiner Ketten nicht geschämt. Dies taten auch die
Brüder und brachten solche Früchte hervor, die aus Macedonien
kamen und seinen Mangel erstatteten. Wie schmerzlich beklagt er aber
Bäume, die ihm die schuldige Frucht verweigerten, wenn er sagt. In
meiner ersten Verantwortung stand niemand bei mir, sondern sie
verließen mich alle. Es sei ihnen nicht zugerechnet. Sind wir
dies nicht denjenigen schuldig, die uns die vernünftige Lehre
durch das Verständnis der göttlichen Geheimnisse
verkündigen? Wir sind es ihnen schuldig, weil sie Menschen sind.
Wir sind es ihnen aber auch schuldig, weil sie lebendige Seelen sind,
die uns als Vorbilder in der Enthaltsamkeit vorangehen. Ebenso sind wir
es ihnen als Vögel des Himmels schuldig, wegen der Segnungen, die
sich über die Erde verbreiten, weil ihre Stimme ausgehet in alle
Lande.
Dreizehntes Buch - Sechsundzwanzigstes Kapitel
Genährt werden aber nur
diejenigen von diesen Früchten, die Freude daran haben; aber es
freuen sich ihrer nicht die, deren Gott der Bauch ist. Denn auch bei
denen, die solches geben, ist das, was sie geben, nicht die Frucht,
sondern der Geist ist es, mit dem sie geben. Daher erkenne ich ganz
klar, weshalb sich jener, der Gott diente und nicht seinem Bauche,
freuet; ich erkenne es und wünsche ihm Glück. Er hatte
empfangen, was ihm die Philipper durch Epaphroditus geschickt hatten;
aber ich erkenne den Grund, weshalb er sich freuet. Aber worüber
er sich freuet, daran nährt er sich, indem er Wahrheit spricht,
ich bin höchlich erfreut in dem Herrn, daß ihr wieder wacker
geworden seid für mich und sorget; wiewohl ihr allewege gesorgt
habt, aber die Zeit hat es nicht wollen leiden. jene waren also durch
langwierige Bedrängnis kraftlos geworden und gleichsam dürre
Zweige geworden, die nicht mehr die Früchte der guten Werke
tragen; er freuet sich aber über sie, weil sie wieder wacker
geworden sind, nicht weil sie seinem Mangel abgeholfen haben. Deshalb
fügt er hinzu: Nicht sage ich das des Mangels halber; denn ich
habe gelernt, bei welchen ich bin, mir genügen zu lassen. Ich kann
niedrig sein und kann hoch sein; ich bin in allen Dingen und bei allen
geschickt, beides, satt sein und hungern, beides, übrig haben und
Mangel leiden. Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht,
Christus.
Worüber freust du dich,
großer Mann? Worüber freust du dich, wovon nährst du
dich, du Mann, der erneuert ist zu der Erkenntnis nach dem Ebenbilde
dessen, der dich geschaffen hat, und eine lebendige Seele von so
großer Enthaltsamkeit, und eine geflügelte Zunge, welche die
Geheimnisse verkündigt? Solchen Wesen gebührt diese Speise.
Was ist es, was dich nährt? Die Freude. Hören wir, was folgt:
Doch ihr habt wohlgetan, daß ihr euch meiner Trübsal
angenommen habt. Darüber freut er sich, damit nährt er sich,
daß sie wohlgetan haben, nicht, daß dessen Trübsal
erleichtert wird, der zu dir spricht, in meiner Angst hast du mich
getröstet. Den Mangel weiß er ebensogut zu ertragen wie den
Überfluß. Ihr aber von Philippi wisset, daß von Anfang
das Evangelium, da ich auszog aus Macedonien, keine Gemeinde mit mir
geteilet hat nach der Rechnung der Ausgabe und Einnahme, denn ihr
allein. Denn gen Thessalonich sandtet ihr zu meiner Notdurft einmal und
darnach aber einmal. Er freut sich nun, daß sie zu diesen guten
Werken zurückgekehrt sind, und ist erfreut, daß sie wieder
wacker geworden sind wie ein Land, dessen Fruchtbarkeit immer wieder
aufgrünt.
Ist es etwa wegen seiner
Notdurft, weil er einmal sagte, ihr sandtet einmal zu meiner Notdurft?
Freut er sich etwa darüber? Gewiß nicht. Und woher wissen
wir dies? Weil er also fortfährt, nicht daß ich das Geschenk
suche, sondern ich suche die Frucht. Von dir, mein Gott, hat er
gelernt, das Geschenk von der Frucht zu unterscheiden. Das Geschenk ist
die Sache selbst, dir gibt, welcher die Bedürfnisse darreicht, wie
Geld, Speise, Trank, Kleidung, Obdach oder irgendeine Hilfe. Die Frucht
aber ist der gute und rechte Wille des Gebers. Denn nicht sagt
bloß der gute Meister, wer einen Propheten aufnimmt, sondern er
fügt hinzu, in eines Propheten Namen; nicht sagt er nur, wer einen
Gerechten aufnimmt, sondern fügt hinzu, in eines Gerechten Namen.
Der wird nämlich eines Propheten Lohn empfangen, der wird eines
Gerechten Lohn empfangen. Nicht bloß sagt er, wer dieser
Geringsten einen nur mit einem Becher kalten Wassers tränket,
sondern er fügt hinzu, in eines Jüngers Namen, wahrlich, ich
sage euch, es wird ihm nicht unbelohnt bleiben. Das Geschenk ist, einen
Propheten aufnehmen, einen Gerechten aufnehmen, mit einem Becher kalten
Wassers einen jünger; die Frucht aber, in eines Propheten Namen,
in eines Gerechten Namen, in eines Jüngers Namen dieses tun. Mit
solcher Frucht nährte die Witwe den Elias, die ihn als einen Mann
Gottes kannte und ihn deshalb nährte. Von dem Raben wurde er durch
das Geschenk ernährt. Elias wurde nicht dem innern Menschen nach,
sondern dem äußeren nach genährt, wie denn auch
bloß dieser äußere Mensch hätte aus Mangel an
Speise verderben können.
Dreizehntes Buch - Siebenundzwanzigstes Kapitel
Ich will also, was vor dir
wahr ist, Herr, aussprechen: Wenn unwissende und ungläubige
Menschen, die nur durch die ersten Geheimnisse und große
Wundertaten, die wir unter dem Namen der Fische und Walfische
bezeichnet glauben, gewonnen und eingeführt werden können,
deine Diener aufnehmen, um sie leiblich zu erquicken, oder um deine
Kinder in irgendeinem Bedürfnisse des gegenwärtigen Lebens zu
unterstützen, ohne zu wissen, weshalb sie dies tun sollen: so
nähren sie dieselben nicht noch empfangen jene von ihnen Nahrung,
weil weder jene dieses mit einem rechten und heiligen Willen verrichten
noch auch erfreuen sie sich über die Gaben derselben, weil sie
noch keine Frucht sahen. Denn die Seele nährt sich mit dem,
worüber sie sich freuet. Deshalb nähren sich die Fische und
Walfische nicht von den Speisen, die nur auf der bereits von den
Meeresfluten befreiten und gereinigten Erde gedeihen.
Dreizehntes Buch - Achtundzwanzigstes Kapitel
Und du, mein Gott, sahest
alles, was du schufest, und siehe da, es war sehr gut. Auch wir sehen
es, und siehe, alles ist sehr gut. Nachdem du die einzelnen Arten der
Dinge hattest entstehen lassen und ins Leben gerufen, sahest du dieses
und jenes, daß es gut ist. Siebenmal lese ich in deiner Schrift,
daß du sagst, daß es gut ist, was du gemacht hast; und das
erstemal sahest du alles, was du gemacht hast, und siehe, es war nicht
bloß gut, sondern sehr gut war alles zugleich. Das einzelne war
nur gut; zusammen aber war alles gut, und zwar sehr gut. Dies zeigt
auch jeder schöne Körper; denn der Körper ist weit
schöner, der aus lauter schönen Gliedern besteht, als die
einzelnen Glieder insbesondere, durch deren vollkommenes Ebenmaß
das Ganze in sich übereinstimmt, obgleich auch die Glieder einzeln
schön sind.
Dreizehntes Buch - Neunundzwanzigstes Kapitel
und ich forschte, daß
ich fände, ob du sieben- oder achtmal gefunden hast, daß
deine Werke gut sind, da sie dir wohl gefielen; und ich fand in deinem
Sehen keine Zeitabschnitte, worin ich hätte erkennen können,
daß du so oft gesehen, als du schufest, und ich sprach: "O Herr,
ist nicht diese deine Schrift wahr, da du sie eingegeben hast, du der
Wahrhaftige und die Wahrheit selber? Warum also sagst du mir, in deinem
Sehen seien keine Zeitabschnitte; und diese deine Schrift sagt mir
doch, bei allem, was du schufest, habest du Tag für Tag gesehen,
daß es gut sei? Und wenn ich es zählte fand ich, wie oft."
Hierauf antwortetest du mir, mein Gott, und sagtest mit mächtiger
Stimme deinem Knechte in das innere Ohr meiner Seele, zerreißest
die Taubheit meines Ohres und rufst: "O Mensch, was meine Schrift dir
sagt, das sage ich dir. " Sie sagt es dir freilich in der Zeit, bei
meinem Worte aber gibt es keine Zeit, da es mit mir in gleicher
Ewigkeit besteht. So sehe ich auch die Dinge, die ihr durch meinen
Geist sehet. Und wenn er sie in der Zeit sicher, sehe ich sie nicht in
der Zeit, wie auch ich nicht das in der Zeit rede, was ihr in der Zeit
redet.
Dreizehntes Buch -
Dreißigstes Kapitel
Ich hörte, mein Gott
und Herr, und genoß aus deiner Wahrheit den Tau der Wonne, der
sich über meine Seele ergoß, und erkannte, daß es
Menschen gibt, denen deine Werke mißfallen und die da sagen,
vieles hättest du gezwungen geschaffen, wie den Bau des Himmels
und die Ordnung der Gestirne; du hättest sie nicht aus einer von
dir geschaffenen Materie gebildet, sondern sie seien bereits anderswo
und anderswoher geschaffen, die du nur sammeltest, ordnetest und
verbandest, als du nach Besiegung der Feinde das Gebäude der Welt
erbauetest, damit sie, durch diesen Bau gezwungen, sich nicht wieder
gegen dich empören könnten. Andere Dinge hättest du gar
nicht gemacht und sogar nicht einmal zusammengefügt wie alles
Fleisch und die Tiere der niedrigsten Art und alles, was mit Wurzeln im
Boden haftet; sondern ein feindlicher Geist und ein anderes Wesen, das
nicht von dir geschaffen und mit dir im Kampfe sei, erzeuge und bilde
dieses in den unteren Teilen der Welt. Unsinnige sprechen dieses, weil
sie deine Werke nicht durch deinen Geist sehen und dich in ihnen nicht
erkennen.
Dreizehntes Buch - Einunddreißigstes Kapitel
Was aber die betrifft, die
durch deinen Geist erkennen, so erkennst du in ihnen. Wenn sie also
sehen, daß sie gut sind, so siehst du, daß sie gut sind;
und was immer ihnen um deinetwillen gefällt: du gefällst in
demselben; und was durch deinen heiligen Geist uns gefällt: dir
gefällt es in uns. Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen
ist, ohne den Geist des Menschen, der in ihm ist? Also auch weiß
niemand, was in Gott ist, ohne den Geist Gottes. Wir aber, sagt er,
haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott,
daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist. Ich
fühle mich gedrungen, zu sagen: "Gewiß, niemand weiß,
was in Gott ist, ohne den Geist Gottes. Wie wissen wir also selbst, was
uns von Gott verliehen worden ist?" Man antwortet mir, was wir durch
seinen Geist wissen, weiß so niemand ohne den Geist Gottes. Denn
wie mit Recht denen, die im Geiste Gottes reden, gesagt werden kann,
ihr seid es nicht, die da reden, so wird mit Recht zu denen, die im
Geiste Gottes wissen, gesagt: "Ihr seid nicht, die da wissen."
Dessenungeachtet wird mit Recht zu denen gesagt, die in Gottes Geist
sehen: "Ihr seid es nicht, die da sehen." Was immer sie also im Geiste
Gottes sehen, daß es gut ist, das sehen sie nicht selbst, sondern
Gott sieht, daß alles gut ist. Etwas anderes ist es, wenn irgend
jemand meint, etwas sei böse, was gut ist, wie die oben Gemeinten;
anders ist es, wenn ein Mensch das, was gut ist, als gut erkennt; - wie
vielen deine Schöpfung wohlgefällt, weil sie gut ist, denen
du aber in ihr nicht gefällst, weshalb sie auch mehr diese als
dich genießen wollen; - anders ist es aber, wenn der Mensch etwas
sieht, daß es gut ist, und Gott in ihm sieht, daß es gut
ist, auf daß er selbst nämlich in dem, was er gemacht hat,
geliebt wird, der nur durch den heiligen Geist, den er verlieh, geliebt
werden kann, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen -in unser Herz durch
den heiligen Geist, der uns gegeben ist, durch den wir sehen, daß
gut ist, was irgendwie ist; denn von ihm ist alles, der nicht auf
irgendeine Weise ist, sondern der das Wesen selbst ist.
Dreizehntes Buch - Zweiunddreißigstes Kapitel
Dank sei dir, Herr. Wir sehen
den Himmel und die Erde, entweder den sinnlichen oberen oder unteren
Teil oder die geistige sinnliche Schöpfung; und in der wunderbaren
Ordnung dieser Teile, aus denen das ganze Weltgebäude oder
überhaupt das Ganze der Schöpfung besteht, sehen wir das
Licht, das du geschaffen, von der Finsternis geschieden. Wir sehen die
Veste des Himmels, jenen ersten Körper des Weltgebäudes, die
zwischen den geistig höheren und den sinnlich niederen
Gewässern begründet ist, oder auch jenen Luftraum, da auch er
Himmel genannt wird, durch den die Vögel fliegen, zwischen den
Wassern, die als Dünste über jenen schweben und die bei
heiteren Nächten tauen, und den Wassern, die schwerer auf der Erde
dahinfließen. Wir sehen die Schönheit der in den weiten
Räumen des Meeres versammelten Wasser und die trockne Erde, nackt
oder gebildet, damit sie sichtbar und geordnet wäre, auch den
Stoff der Kräuter und Bäume. Wir sehen die Lichter
darüber glänzen, die Sonne dem Tage genügen, den Mond
und die Sterne die Nacht trösten und durch dieses alles die Zeiten
bezeichnet und ausgedrückt. Wir sehen eine überall
befruchtete Natur, fruchtbar an Fischen, Tieren und Vögeln, weil
die dichte Luft, die den Flug der Vögel trägt, durch die
Ausdünstung der Gewässer sich verdichtet. Wir sehen, wie die
Oberfläche der Erde mit Tieren geschmückt ist und wie der
Mensch, nach deinem Bilde und Gleichnisse geschaffen, allen
vernunftlosen Tieren durch dein Ebenbild und Gleichnis, d. h. kraft der
Vernunft und des Verstandes, vorgesetzt ist. Und wie in seiner Seele
etwas ist, das durch Urteil und Überlegung herrscht, ein anderes,
das sich unterwirft, um zu gehorchen, so sehen wir auch in der
sinnlichen Welt das Weib dem Manne unterworfen, das zwar geistlich
dieselbe Beschaffenheit der vernünftigen Erkenntnis
besäße, aber durch das leibliche Geschlecht dem
männlichen Geschlechte in derselben Weise unterworfen sein sollte,
wie der Trieb zum Handeln sich unterwirft, um von der Vernunft des
Geistes die Erkenntnis des richtigen Handelns zu empfangen. Wir sehen
dieses und sehen, daß jedes Einzelne gut ist und daß das
Ganze sehr gut ist.
Dreizehntes Buch - Dreiunddreißigstes Kapitel
Deine Werke mögen dich
preisen, damit wir dich heben; und wir wollen dich lieben, auf
daß deine Werke dich preisen, ihren Anfang und ihr Ende, ihren
Aufgang und ihren Untergang, ihre Zunahme und Abnahme ihre
Schönheit und ihren Mangel in der Zeit haben. Denn aus Nichts sind
sie von dir, aber nicht aus dir gemacht, nicht aus irgendeiner Materie,
die nicht dein war oder die schon vorher war, sondern aus einer
mitgeschaffenen, d. h. von dir zugleich geschaffenen Materie, da du
ihre Gestaltlosigkeit ohne irgendeinen Zwischenraum der Zeit
gestaltetest. Denn wenn ein Unterschied ist zwischen der Materie des
Himmels und der Erde, zwischen der Schönheit dieser und der
Schönheit jenes, so hast du zwar den Stoff aus nichts, die Gestalt
der Erde aber aus einer gestaltlosen Materie, beides jedoch zugleich
gemacht, so daß mit der Schönheit des Stoffs auch ohne allen
Zwischenraum die Schöpfung der Gestalt zugleich stattfand.
Dreizehntes Buch - Vierunddreißigstes Kapitel
Wir haben auch untersucht, was
du uns vorbilden wolltest, als du dies in solcher Ordnung werden und in
solcher Ordnung aufzeichnen ließest, und wir sahen, daß
jedes einzelne gut war und alles zusammen sehr gut war, und alles
zusammen sehr gut in deine. Worte, in deinem Eingeborenen; Himmel und
Erde, das Haupt und der Leib der Kirche, in der Vorherbestimmung vor
allen Zeiten, ohne Morgen und Abend. Als du aber begannest, in der Zeit
zu erfüllen, was du vor aller Zeit verordnet hattest, daß du
das Verborgene offenbartest und unser Untergeordnetes ordnetest; weil
unsere Sünde auf uns lag und wir fern von dir in den finsteren
Abgrund geraten waren; da schwebte dein Geist über uns, um uns zur
gelegenen Zeit zu helfen; da rechtfertigtest du die Gottlosen und
schiedest sie von den Ungerechten; da gründetest du das Ansehen
deines Wortes bei den Leitern, die von dir belehrt werden, und den
Untergebenen, die ihnen folgen sollten; da versammeltest du die Menge
der Ungläubigen zu einer Verschwörung, damit der Eifer der
Gläubigen an den Tag trete und Werke der Barmherzigkeit
hervorbrächte, indem sie auch den Dürftigen ihr irdisches
Vermögen darreichten, um einen Schatz im Himmel zu erwerben. Und
dann zündetest du gewisse Lichter an der Veste des Himmels an,
deine Heiligen, die das Wort des Lebens haben und mit geistlichen Gaben
begnadigt in erhabenem Ansehen glänzen; und um die
ungläubigen Völker zu dir zu führen, hast du dann
Sakramente und sichtbare Wunder und verkündigende Stimmen des
Wortes nach dem Firmamente des Wortes, durch die auch über die
Gläubigen deine Segnungen ausgegossen wurden, aus einer
körperlichen Materie gebildet; und endlich hast du der
Gläubigen lebendige Seele durch die von der Kraft der
Enthaltsamkeit geheiligten Regungen des Herzens gebildet; und dann
erneuertest du nach deinem Bilde und Gleichnisse den Geist, der, nur
dir allein ergeben, keines menschlichen Ansehens zur Nachahmung
bedürfte, der du der bewährten Erkenntnis die Handlungen der
Vernunft unterwarfest, wie das Weib dem Manne; und du wolltest,
daß allen deinen Dienern, die du zur Förderung der
Gläubigen in diesem Leben bestellt hast, von allen diesen deinen
Kindern zu ihrem zeitlichen Bedürfnisse Werke dargereicht werden,
die Früchte für die Ewigkeit. Dieses alles sehen wir, und es
ist sehr gut, weil du es in uns siehst, der du uns den Geist verliehen
hast, um es durch ihn zu sehen, und in ihnen dich zu lieben.
Dreizehntes Buch - Fünfunddreißigstes Kapitel
Mein Herr und Gott, verleihe
uns den Frieden - du gabest uns ja alles -; den Frieden der Ruhe, den
Frieden des Sabbats, der keinen Abend hat. Alle diese wunderbare
Ordnung der Dinge, die du sehr gut fandest, wird, wenn sie ihre Zeit
gedauert, vergehen; sie werden einen Abend haben, wie sie einen Morgen
hatten.
Dreizehntes Buch - Sechsunddreißigstes Kapitel
Der siebente Tag aber hat
keinen Abend und kein Ende, weil du ihn geheiligt hast, damit er
immerdar bleibe; wenn du nach der Erschaffung deiner Werke, die du sehr
gut fandest, am siebenten Tage, obgleich du, ohne aus der Ruhe zu
kommen, schufest, ruhtest, so verkündet uns die Stimme deines
Wortes, daß auch wir, wenn unsere Werke vollendet sind, die nur
gut sind, weil du sie uns verliehest, am Sabbat des ewigen Lebens ruhen
sollen in dir.
Dreizehntes Buch - Siebenunddreißigstes Kapitel
Dann wirst auch du in uns
ruhen, wie du jetzt in uns wirkest; und so wird jene deine Ruhe in uns
sein, wie unsere Werke hienieden deine Werke in uns sind. Du, Herr,
wirkst immerdar, du ruhest immerdar. Du siehst nicht in der Zeit, du
bewegst dich nicht in der Zeit und du ruhest nicht in der Zeit; und
doch schaffst du das Sehen in der Zeit, ja die Zeit selbst und die Ruhe
von der Zeit.
Dreizehntes Buch - Achtunddreißigstes Kapitel
Wir sehen daher alle Dinge,
die du gemacht hast, weil sie sind; aber weil du sie siehest, sind sie.
Und weil sie sind, sehen wir sie äußerlich, und weil sie gut
sind, innerlich; du aber sahest sie dort als bereits gemacht, als sie
noch nicht waren und gemacht werden sollten. Zu anderer Zeit waren wir
geneigt, das Gute zu tun, nachdem es dein Geist in unsern Herzen
erzeugt hatte; aber es war eine Zeit, wo wir dich flohen und nur zum
Bösen geneigt waren. Du aber, einziger und gütiger Gott,
hörtest nie auf, Gutes zu tun. Und wenn einige unserer Werke durch
die Gabe deiner Gnade gut sind, sie sind doch nicht ewig; sie lassen
uns hoffen, einst in deiner unaussprechlichen Heiligung zu ruhen. Du
aber, du Gut, das keines Gutes bedarf, ruhest immer, weil deine Ruhe du
selbst bist. Welcher Mensch aber wird dem Geiste des Menschen das
Verständnis dieser Wahrheit geben, welcher Engel sie dem Engel
offenbaren, welcher Engel dem Menschen? Von dir muß sie erbeten
sein, bei dir will gesucht sein, bei dir muß man anklopfen - so,
so werden wir empfangen, so werden wir finden, so wird uns aufgetan.
Amen.
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