DIE HERRLICHKEITEN MARIENS
vom Hl. Alfons Maria von Liguori
überarbeitet und neu herausgeben von Klemens Kiser
©
Inhaltsverzeichnis
Dekret des sel. Papstes Pius IX. |
Bemerkung des
Übersetzers |
Widmungsgebet des Verfassers an Jesus und Maria |
Erinnerung für den Leser |
Einleitung - notwendig zu lesen |
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Erster Teil - Auslegung des Salve Regina |
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1. Kap. Gegrüßet seist du Königin, Mutter der
Barmherzigkeit |
Abs. 1 |
Wie groß unser Vertrauen auf
Maria sein muß,
weil sie die Königin der Barmherzigkeit ist |
Abs. 2 |
Wie viel größer noch unser Vertrauen auf Maria
sein muß, weil sie unsere Mutter ist |
Abs. 3 |
Wie groß die Liebe ist, die diese Mutter zu uns
hat |
Abs. 4 |
Maria ist auch die Mutter der reumütigen
Sünder |
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2. Kap. Unser Leben, unsere Süßigkeit |
Abs. 1 |
Maria ist unser Leben, weil sie uns Verzeihung
der Sünden erlangt |
Abs. 2 |
Maria ist unser Leben auch deshalb, weil sie uns
die Beharrlichkeit erlangt |
Abs. 3 |
Unsere Süßigkeit. - Maria versüßt ihren Verehrern das
Sterben |
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3. Kap. Unsere Hoffnung, sei gegrüßt |
Abs. 1 |
Maria ist die Hoffnung aller |
Abs. 2 |
Maria ist die Hoffnung der Sünder |
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4. Kap. Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas |
Abs. 1 |
Wie sehr Maria bereit ist, dem zu helfen, der
sie anruft |
Abs. 2 |
Wie mächtig Maria ist, den zu verteidigen,
der sie in den Anfechtungen des Teufels anruft |
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5. Kap. Zu dir seufzen wir trauernd und weinend
in diesem Tal der Tränen |
Abs. 1 |
Wie notwendig die
Vermittlung Mariens für uns ist, um selig zu werden |
Abs. 2 |
Fortsetzung |
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6. Kap. Wohlan denn, unsere Fürsprecherin |
Abs. 1 |
Maria ist eine mächtige Fürsprecherin, alle zu
retten |
Abs. 2 |
Maria ist eine mitleidsvolle Fürsprecherin, die
sich nicht weigert, auch die Sache der Elendesten zu
verteidigen |
Abs. 3 |
Maria versöhnt die Sünder mit Gott |
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7. Kap. Wende deine barmherzigen Augen zu uns |
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Maria ist ganz Auge, um mit unseren Nöten Mitleid zu
haben und uns zu helfen |
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8. Kap. Und nach diesem Elend zeige uns Jesus,
die gebenedeite Frucht deines Leibes |
Abs. 1 |
Maria bewahrt ihre Verehrer vor der Hölle |
Abs. 2 |
Maria kommt ihren Verehrern im Fegfeuer zu Hilfe |
Abs. 3 |
Maria geleitet ihre Diener in den Himmel |
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9. Kap. O Gütige, o Milde! |
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Wie groß die Güte und die Milde Mariens ist |
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10. Kap. O süße Jungfrau Maria |
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Wie süß der Name Maria ist im Leben und im Sterben |
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Gebete einiger Heiliger zur Mutter Gottes |
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Vom hl. Ephräm |
Vom hl. Ildephons |
Vom hl. Bernhard |
Vom hl. Athanasius |
Vom hl. Germanus |
Vom hl. Anselm |
Vom Abtes von Celles |
Vom hl. Petrus Damianus |
Vom hl. Methodius |
Vom hl. Wilhelm von Paris |
Vom hl. Johannes von Damaskus |
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Vom hl. Andreas von Kreta |
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1. Kap. |
Die Unbefleckte Empfängnis Mariens - Es
entsprach der Heiligkeit der drei göttlichen
Personen, Maria vor der Erbsünde zu bewahren |
2. Kap. |
Mariä Geburt - Maria wurde heilig, sehr heilig
geboren. Mit großer Gnade wurde sie von Gott im
ersten Augenblick ihres Daseins ausgestattet;
und groß war auch die Treue, mit der Maria Gott
entsprach |
3. Kap. |
Mariä Opferung - Das Opfer, wo Maria sich
selbst Gott darbrachte, geschah sehr früh und
ohne Zögern; es war vollkommen und ohne
Vorbehalt |
4. Kap. |
Mariä Verkündigung - Maria konnte sich bei der
Menschwerdung des Wortes nicht tiefer
verdemütigen; Gott konnte seinerseits sie nicht
höher erheben, als Er sie erhob |
5. Kap. |
Mariä Heimsuchung - Maria ist die
Schatzmeisterin aller Gnaden.
Wer also Gnaden begehrt, muß sich an Maria wenden, und
wer sich an Maria wendet, darf sicher sein, die
Gnaden zu erlangen, die er begehrt |
6. Kap. |
Mariä Reinigung - Das große Opfer, das Maria
bei der Aufopferung ihres Sohnes Gott darbrachte |
7. Kap. |
Mariä Himmelfahrt - Das Scheiden Mariens |
8. Kap. |
Mariä Himmelfahrt - Der glorreiche Triumph,
mit dem Maria im Himmel einzog, und der erhabene
Thron, auf den sie im Himmel erhoben wurde |
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Dekret des sel. Papstes Pius IX.
Der hl. Alfons Maria von Liguori, der Stifter der
Kongregation vom heiligsten Erlöser (Redemptoristen) und
Bischof von St. Agatha, verdient zu jenen gezählt zu
werden, die getan und gelehrt haben, was unser Herr
Jesus Christus gelehrt hat, und von denen Er gesagt hat,
daß sie im Himmelreich groß sein werden.
Er hat als Vorbild jeglicher Tugend, gleich einem für
alle Christgläubigen im Haus Gottes auf den Leuchter
gestellten Licht, so hellen Glanz verbreitet, daß er
bereits unter die Mitbürger der Heiligen und die
Hausgenossen Gottes eingetragen wurde. Was er aber durch
hl. Wandel im Tun vollbracht hat, das hat er auch durch
Wort und Schrift gelehrt. Durch seine gelehrten
Schriften und vornehmlich durch seine Bearbeitungen der
Moraltheologie hat er die von den Ungläubigen und den
Jansenisten weithin verbreitete Finsternis von Irrtümern
verscheucht und vertrieben. Außerdem hat er Dunkelheiten
aufgehellt und Zweifel gelöst, indem er durch
verwickelte, sowohl zu laxe, als zu strenge theologische
Lehrmeinungen einen sicheren Weg gebahnt hat, den die
Seelenführer der Gläubigen ohne Straucheln betreten
können.
Zugleich hat er die Lehre von der Unbefleckten
Empfängnis der Gottesgebärerin und von der Unfehlbarkeit
des ex cathedra lehrenden Papstes genau erörtert und
entschieden verteidigt, wie sie dann in unseren Tagen
als Glaubenssätze erklärt worden sind. Schließlich hat
er schwerverständliche Stellen der Hl. Schrift
aufgeschlossen, sowohl in seinen mit gewisser
himmlischer Süßigkeit erfüllten aszetischen Werken, als
auch in seinem sehr heilbringenden Kommentar, in dem er
die Psalmen und Gesänge des göttlichen Offiziums zur
Förderung der Andacht und des tieferen Verständnisses
für seine Beter erklärt hat. Diese hohe Weisheit des hl.
Alfons hatte schon Papst Pius VII. bewundert und ihn
empfohlen, „da er durch Wort und Schrift den in der
Nacht dieser Welt Irrenden den Weg der Gerechtigkeit
zeigt, auf dem sie aus der Gewalt der Finsternis zum
Licht und Reich Gottes gelangen können.”
Und eine nicht geringere Lobeserhebung hat ein anderer
Papst „der ungewöhnlichen Kraft, Fülle und
Mannigfaltigkeit der Lehrweisheit” in den von ihm
verfaßten Schriften erteilt, nämlich Papst Gregor XVI.
in seinen Dekreten, durch die dem hl. Alfons die den
Himmelsbewohnern gebührenden Ehren zuerkannt wurden.
In diesen unseren Tagen aber rühmen die Völker so sehr
seine Weisheit und ist die Kirche so voll seines Lobes,
daß die meisten Kardinäle der heiligen römischen Kirche,
fast alle Bischöfe der ganzen Welt, die Generaloberen
der religiösen Orden, die Theologen berühmter
Lehranstalten, hochgeachtete Kollegiatstifte und
gelehrte Männer aus allen Kreisen Bittschriften an
unseren hl. Vater Papst Pius IX. eingereicht haben, in
denen sie gemeinsam den Wunsch aussprachen, daß der hl.
Alfons Maria von Liguori durch den Titel und die Ehre
eines Kirchenlehrers ausgezeichnet werde. Seine
Heiligkeit nahm diese Bittgesuche gnädig entgegen und
überwies nach Gewohnheit die Erwägung dieser
hochwichtigen Angelegenheiten der Kongregation der hl.
Riten. Ihre Eminenzen, die hochwürdigsten Kardinäle der
Ritenkongregation, versammelten sich deshalb am unten
bezeichneten Tag zu ihren gewohnten Sitzungen im
Vatikanischen Palast, und vernahmen den Vortrag Seiner
Eminenz, des hochwürdigsten
Kardinals Konstantin Patrizi, Bischofs von Ostia und
Velletri, Dekans des hl. Kollegiums und Präfekten dieser
hl. Kongregation, als des Antragstellers, erwogen die
Einwürfe des Promotors des hl. Glaubens, des
hochwürdigen Herrn Peter Minetti, und die auf sie
gegebenen Antworten des Verteidigers sowie die Gutachten
der Theologen, und fällten, nachdem sie alles aufs
Reichlichste abgewogen hatten, einstimmig das Urteil:
„Es ist Seiner Heiligkeit der Antrag zu stellen, daß die
Bitte gewährt wird,
d. h. daß dem hl. Alfons Maria von Liguori zu Ehren der
Titel eines Kirchenlehrers mit der Geltung für die ganze
Kirche zuerkannt werde, daß dem bereits bewilligten
Meßformular das Credo beigefügt, im Offizium aber als
Antiphon zum Magnifikat der beiden Vespern: O Doctor,
als Lektionen der ersten Nokturn: Sapientiam, und das
achte Responsorium: In medio Ecclesiae genommen werden
sollen.”
Am 11. März 1871.
Vorbemerkung des Übersetzers
Die vorliegende, sorgfältige Übersetzung einer der
schönsten Schriften des hl. Kirchenlehrers wird all
seinen Verehrern willkommen sein; denn es gibt kaum ein
anderes Buch, das so unwiderstehlich den aufmerksamen
Leser zur Liebe und zum Vertrauen auf Maria, die Mutter
der Gnade und Barmherzigkeit, hinzieht, wie dieses. Was
die hl. Väter, was die großen Lehrer, was die Heiligen
der Kirche von der Heiligkeit, Macht und Größe der
Mutter Gottes lehren, und was sie von den Segnungen
ihrer mütterlichen Liebe bezeugen, das hat der hl.
Alfons in diesem Buch gesammelt, um mit der ihm eigenen
Salbung und hl. Begeisterung den Leser zum tieferen
Verständnis der hl. Geheimnisse des Glaubens und zur
Nachfolge der Heiligen in der Liebe zu Maria zu führen.
Es ist nicht möglich, sein Buch zu lesen, ohne des
Segens inne zu werden, den Maria an die Worte ihres
treuen Dieners zu knüpfen sich würdigt.
Der hl. Kirchenlehrer hat vor allem die Priester im
Auge, die er mit Liebe zur göttlichen Mutter entzünden
und befähigen will, auch die Gläubigen für diese Liebe
zu gewinnen, um sie dadurch am sichersten in dem
heiligen Glauben und dem Streben nach der wahren
christlichen Frömmigkeit zu festigen. Ohne beharrliche
Liebe und Verehrung der heiligsten und unbefleckten
Mutter der Kirche kann nicht die Reinheit und
Freudigkeit des Glaubens, noch die Reinheit der Sitten
bewahrt werden. Mit der Liebe zu Maria erlischt in jeder
Seele das geistliche Leben, das nur durch ihre
Vermittlung wieder zu erlangen ist.
Die erste Auflage seines Buches ließ der Heilige im Jahr
1750 zu Neapel erscheinen. Er war damals im 54.
Lebensjahr und fühlte durch Leiden und Anstrengungen
seine Kräfte so verzehrt, daß er sein Ende nahe glaubte.
Doch erhielt ihn der gütigste Gott zum Heil unzähliger
Seelen noch fast vierzig Jahre am Leben. In seinem
neunzigsten Jahr las ihm der ihn dienende Laienbruder,
wie Pater Pazutti berichtet, einige Blätter aus den
Herrlichkeiten Mariens vor. Der Heilige, der mit
Aufmerksamkeit dieser geistlichen Lesung gefolgt war,
fragte danach: „Mein Bruder, wer hat wohl dieses schöne
Buch verfaßt? Ach, das ist süß und sagt mir zu!” Als
Antwort las ihm der Gefragte das Titelblatt
„Herrlichkeiten Mariens von Alfons von Liguori” vor,
worauf
der Heilige verlegen schwieg. Ja, es ist ein Buch süßen
Trostes, eine Quelle unvergänglicher Freude des Geistes,
für welches jeder Leser als für ein Geschenk Gottes dem
Geber alles Guten danken wird.
Der Übersetzer
Widmungsgebet des Verfassers an Jesus und Maria
Mein liebevollster Erlöser und Herr Jesus Christus, ich,
dein geringer Diener, weiß, wie wohlgefällig es Dir ist,
wenn jemand deine heiligste Mutter, die Du so sehr
liebst und von allen geliebt und geehrt zu sehen
verlangst, zu verherrlichen sucht; und so habe ich mir
vorgenommen, dieses mein Buch ans Licht treten zu
lassen, das von ihren Herrlichkeiten handelt. Ich weiß
es darum auch niemandem besser zu empfehlen, als Dir,
dem soviel an der Ehre dieser Mutter gelegen ist. Dir
also widme und empfehle ich es. Nimm diesen meinen
geringen Dienst der Liebe, die ich zu Dir und deiner
geliebten Mutter trage, wohlgefällig an. Sei Du sein
Beschützer und sende auf jeden Leser Licht des
Vertrauens und Flammen der Liebe zu dieser unbefleckten
Jungfrau nieder, in der Du die Hoffnung und Zuflucht
aller Erlösten geborgen hast. Und zum Lohn für meine
geringe Arbeit gib mir, ich bitte Dich, jene Liebe zu
Maria, die ich durch dieses mein Werkchen in allen, die
es lesen werden, entzündet zu erblicken verlange.
Aber auch an dich wende ich mich meine süßeste Herrin
und Mutter Maria. Du
weißt es ja, wie ich nach Jesus auf dich die ganze
Hoffnung meines ewigen Heils gesetzt habe; denn all mein
Gutes, meine Bekehrung, meine Berufung, die Welt zu
verlassen, und welch andere Gnaden ich noch von Gott
empfangen habe, sie alle erkenne ich als durch deine
Vermittlung mir geschenkt. Du weißt es schon, daß ich,
um dich von allen, wie du es verdienst, geliebt zu
sehen, und um dir auch ein Zeichen meiner Dankbarkeit
für so viele von dir mir verliehenen Wohltaten zu geben,
stets gesucht habe, überall in öffentlicher und
vertraulicher Rede dein Lob zu verkünden, und allen die
süße und heilsame Andacht zu dir einzuflößen. Ich hoffe
bis zum letzten Hauch des Restes meines Lebens damit
fortzufahren; aber ich sehe, daß bei meinen vorgerückten
Jahren und meiner schwachen Gesundheit das Ende meiner
Pilgerschaft und mein Eintritt in die Ewigkeit
herannaht; deswegen habe ich beschlossen, ehe ich
sterbe, der Welt dieses Buch zu hinterlassen, damit es
an meiner Statt fortfahre, dich zu loben und auch andere
zu ermuntern, deine Herrlichkeit und die große Güte, mit
der du deine Diener behandelst, zu verkünden. Ich hoffe
meine teuerste Königin, daß dieses mein armseliges
Geschenk, wiewohl es gar zu dürftig ist im Vergleich mit
dem, was dir gebührt, dennoch deinem gütigsten Herzen
wohlgefällig ist; denn es ist ja ganz und gar ein
Geschenk der Liebe.
Strecke darum aus jene mildreichste Hand, mit der du
mich von der Welt und der Hölle errettet hast; nimm es
an und beschütze es als deine Sache. Aber wisse auch, daß ich für diesen winzigen Dienst einen Lohn begehre,
und der sei, daß ich von heute an dich mehr, als bisher
liebe, und daß ein jeder, in dessen Hände dieses mein
Büchlein gelangen wird, von Liebe zu dir entflammt
werde, so daß das Verlangen, dich zu lieben und auch von
andern dich geliebt zu sehen, sogleich in ihm sich
mehre, und daß er aus ganzer Seele den Vorsatz fasse,
soviel er nur
vermag, dein Lob zu verkünden und das Vertrauen auf
deine mächtigste Fürsprache zu befördern. Amen. Also
hoffe ich; also sei es.
Dein dich innigstliebender, obgleich geringster Diener
Alfons von Liguori aus der Kongregation des
allerheiligsten Erlösers.
Erinnerung für den Leser
Damit vorliegendes Buch nicht dem Tadel zu strenger
Kritiker verfalle, glaubte ich, einzelne Sätze, auf die
man darin stoßen und vielleicht gewagt und dunkel finden
könnte, in helleres Licht stellen zu müssen. Ich habe
einige hier hervorgehoben; sollten aber dem geneigten
Leser andere unter die Augen kommen, so bitte ich,
überzeugt zu sein, daß sie von mir im Sinn der wahren,
echten Theologie und der heiligen römisch-katholischen
Kirche, als deren gehorsamsten Sohn ich mich bekenne,
ausgesprochen und verstanden sind.
In der Einleitung habe ich mit Bezug auf das sechste
Kapitel behauptet, daß Gott alle Gnaden durch die Hand
Mariens zu uns gelangen lassen will. Es ist dies eine
Wahrheit von großem Trost für die mit zärtlicher Liebe
zu Maria erfüllten Seelen, wie für die armen Sünder, die
sich bekehren wollen, und niemand darf dies als mit der
gesunden Theologie im Widerspruch finden, indem ja deren
Vater, der hl. Augustinus, in Übereinstimmung mit der
allgemeinen Lehre behauptet, daß Maria mittels ihrer
Liebe zur geistlichen Geburt aller Glieder der Kirche
mitgewirkt habe.
Und ein berühmter Schriftsteller (Nicole), der durchaus
nicht im Verdacht der Übertreibung oder falschen
Frömmigkeit wegen zu lebhafter Einbildungskraft steht,
behauptet gleicherweise, daß Jesus Christus auf dem
Kalvarienberg seine Kirche gegründet hat. Die heiligste
Jungfrau hat hierzu offenkundig in ausgezeichneter und
einzigartiger Weise mitgewirkt, und in dieser Hinsicht
kann man sagen, daß, wenn sie Jesu Christus, das Haupt
der Kirche, ohne Schmerzen geboren, sie doch den Leib
dieses Hauptes nicht ohne Schmerzen zur Welt gebracht
hat. Darum hat sie auf dem Kalvarienberg angefangen, in
besonderer Weise die Mutter der ganzen Kirche zu sein.
Kurz, Gott hat zur Verherrlichung der Mutter des
Erlösers beschlossen und geordnet, daß ihre große Liebe
zu Ihm Fürsprache einlege für alle, für die ihr
göttlicher Sohn den überfließenden Preis seines Blutes,
„in dem allein unser Heil, Leben und Auferstehung ist”,
bezahlt und aufgeopfert hat.
Auf Grund dieser Lehre und all dessen, was mit ihr
zusammenhängt, will ich meine Behauptungen ausgesprochen
haben. Dieser Aussprüche haben sich auch die Heiligen in
ihren Liebesseufzern zu Maria und in ihren feurigen
Reden über sie ohne Bedenken bedient. So schreibt ein
alter Kirchenvater, den der berühmte Vinzenz Contenson
zitiert: „In Christus war die Fülle der Gnade gleich als
im Haupt, aus dem sie fließt; in Maria aber wie im Hals,
durch welchen hindurch sie sich ergießt.” Dasselbe wird
deutlich vom engelgleichen Lehrer, dem hl. Thomas,
gelehrt, welcher, das Ganze bestätigend, sagt: „Die
seligste Jungfrau wird „voll der Gnade” genannt wegen
ihrer Ergießung auf alle Menschen. Etwas Großes nämlich
ist es, wenn
ein Heiliger soviel Gnade besitzt, die reicht zum Heil
vieler; wenn er aber soviel besäße, die reichen würde
zum Heil aller Menschen, so wäre dies das Höchste. Und
dies findet sich in Christus und in der allerseligsten
Jungfrau. Denn in jeglicher Gefahr kannst du von dieser
glorreichen Jungfrau das Heil erlangen. Deshalb heißt es
von ihr: Tausend Schilde, d. h. Heilmittel gegen die
Gefahren, hängen an ihr. (Hl. 4,4)
Auch bei jedem Tugendwerk kannst du sie zur Hilfe haben;
darum sagt sie selbst: „Bei mir ist alle Hoffnung des
Lebens und der Tugend.” (Sir 24,18)
Einleitung - notwendig zu lesen
Mein lieber Leser und Bruder in Maria, - es macht ja uns
beide die Andacht, die mich bewogen zu schreiben, und
dich, dieses Buch zu lesen, zu glücklichen Kindern
dieser Mutter, - wenn du etwa hören solltest, daß ich
mir die Mühe hätte ersparen können, indem es so viele
gelehrte und berühmte Bücher gäbe, die von diesem Thema
handeln, so bitte ich dich, mit den Worten des Abtes
Franko zu antworten, die in der Bibliothek der (Kirchen-)Väter
angeführt sind: „Das Lob Mariens ist ein unversiegbarer
Quell, der um so reicher sich füllt, je weiter er
fließt.” Das will sagen: Die seligste Jungfrau ist so
groß und erhaben, daß, je mehr sie gepriesen wird, um so
mehr noch erheischt es, daß sie gelobt werde. Dies sagt
der hl. Augustinus:
„Aller Menschen Zungen reichen nicht hin, sie nach
Verdienst zu loben, auch nicht, wenn alle unsere Glieder
sich in Zungen verwandeln würden.”
Allerdings sind mir unzählige Bücher, große und kleine,
zu Gesicht gekommen, die von den Herrlichkeiten
(Erhabenheit) Mariens handeln, aber in Anbetracht, daß
sie entweder selten, oder zu umfangreich, oder nicht
nach meiner Absicht waren, habe ich mich bemüht, aus
allen Autoren, die ich in die Hände bekommen konnte, die auserlesensten und geistreichsten Stellen der Väter und
der Theologen in diesem Buch kurz zusammenzufassen, um
frommen Personen Gelegenheit zu bieten, durch deren
Lesung mit wenig Mühe und Kosten in Liebe zu Maria
entzündet zu werden; besonders aber wollte ich den
Priestern Stoff bieten, um durch Predigten die Andacht
zu dieser göttlichen Mutter zu fördern.
Weltliche Liebhaber sind gewohnt, oftmals von ihren
geliebten Personen zu sprechen und sie zu loben, um
ihrer Liebe auch von anderen Lob und Beifall gespendet
zu sehen. Als sehr gering ist darum die Liebe jener, die
sich zwar rühmen, Maria zu lieben, aber wenig daran
denken, von ihr zu reden, und andere zu ihrer Liebe zu
bewegen. So handeln wahre Liebhaber dieser
liebenswürdigsten Herrin nicht; sie möchten dieselbe
immerdar loben und von der ganzen Welt geliebt sehen,
und deswegen sind sie, wie sie nur immer können,
öffentlich und geheim, bedacht, in den Herzen aller die
glückseligen Liebesflammen anzufachen, von denen sie
sich selbst zu ihrer geliebten Königin entzündet fühlen.
Damit aber jeder sich überzeuge, wie wichtig es für das
eigene Heil und das aller Menschen ist, die Andacht zu
Maria zu verbreiten, so ist es gut, die Aussprüche der
Gottesgelehrten hierüber zu vernehmen. Der hl.
Bonaventura sagt, daß jene, die es sich zur Aufgabe
machen, die Herrlichkeiten Mariens zu verkünden,
ihres Heiles sicher seien, und Richard von St. Lorenz
bestätigt dies mit den Worten: „Maria ehren, heißt das
ewige Leben gewinnen”; denn diese gütigste Herrin,
erklärt er weiter, „wird jene, die sie in diesem Leben
ehren, im künftigen Leben ehren.” Und wer kennt nicht
die Verheißung, die Maria selber denen gemacht hat, die
sich bemühen, daß sie auf Erden immer mehr erkannt und
geliebt werde?
„Die mich ins Licht setzen, erhalten das ewige Leben”;
Worte die Kirche am Fest ihrer Unbefleckten Empfängnis
auf Maria anwendet. (Sir 24,31). „Frohlocke also, meine
Seele,” ruft der hl. Bonaventura aus, der so eifrig war,
das Lob Mariens zu verkünden, „frohlocke und freue dich
in ihr; denn viele Güter sind ihren Lobrednern
bereitet.” Und ein anderer Schriftsteller sagt: „Da die
ganze Hl. Schrift von ihr spricht, so wollen auch wir
die Gottesgebärerin immerwährend mit Herz und Zunge
lobpreisen, damit wir von ihr zu den ewigen Freuden
geleitet werden.”
In den Offenbarungen der hl. Birgitta steht geschrieben,
daß der sel. Bischof Hemming alle seine Predigten mit
dem Lob Mariens begonnen hat. Eines Tages nun erschien
der Heiligen die seligste Jungfrau und sprach: „Sage
diesem Prälaten, der die Gewohnheit hat, seine Predigten
mit meinem Lob zu beginnen, daß ich ihm eine Mutter
sein, seine Seele Gott empfehlen und ihm einen guten Tod
bereiten werde.” Und in der Tat, er starb als ein
Heiliger, betend und voll himmlischen Friedens. Auch
einem Dominikaner, der am Schluß aller seiner Predigten
von Maria sprach, erschien sie ebenfalls bei seinem Tod,
schützte ihn gegen die Teufel, stärkte ihn und führte
seine glückliche Seele mit sich in den Himmel.
Der gottselige Thomas von Kempen sagt von Maria, daß sie
ihrem Sohn jene, die ihr Lob verkünden, mit den Worten
anempfehle: „Mein Sohn, erbarme Dich der Seele deines
Dieners, der mich liebte und mein Lob verkündete.”
Was aber den geistlichen Nutzen des Volkes betrifft, so
behauptet der hl. Anselm:
„Weil der geheiligte Schoß Mariens der Weg zur Rettung
der Sünder geworden ist, so werden durch die Predigten
über Maria die Sünder bekehrt und gerettet.” Und wenn
die Meinung wahr ist, die ich für wahr und
unbezweifelbar halte, - was ich im sechsten Kapitel
dieses Buches aufzeigen werde, - daß nämlich alle Gnaden
nur durch die Hand Mariens ausgeteilt werden, und daß
alle jene, die selig werden, nicht anders als durch die
Vermittlung dieser göttlichen Mutter gerettet werden, so
ist notwendig daraus zu schließen, daß das Heil aller
davon abhängt, daß von Maria und dem Vertrauen auf ihre
Fürbitte gepredigt werde.
Dadurch hat, wie wir wissen, der hl. Bernhardin von
Siena Italien geheiligt und der hl. Dominikus so viele
Provinzen bekehrt. Der hl. Ludwig Bertrand unterließ
niemals in seinen Predigten, die Andacht zu Maria zu
empfehlen, und ebenso viele andere. Der berühmte
Missionar P. Paul Segneri der Jüngere hat bei allen
seinen Missionen immer die Predigt von der Andacht zu Maria
gehalten, die er seine Lieblingspredigt nannte. Und auch
uns ist es bei unseren Missionen durch eine Regel
verboten, niemals die Predigt von Unserer Lieben Frau zu
unterlassen, und wir können bezeugen, daß gewöhnlich
keine Predigt solchen Segen und solche Reue beim Volk
bewirkt, als die Predigt von der Barmherzigkeit Mariens.
Ich sage von der Barmherzigkeit Mariens, denn ich
spreche mit dem hl. Bernhard:
„Wir loben zwar auch ihre Demut, wir bewundern ihre
Jungfräulichkeit; aber da wir arme Sünder sind, so reizt
und gefällt uns mehr, von ihrer Barmherzigkeit reden zu
hören; diese umfangen wir lieber, ihrer gedenken wir
öfter, sie rufen wir häufiger an.” Darum überlasse ich
es andern Schriftstellern, die übrigen Vorzüge Mariens
zu beschreiben und nehme mir vor, in diesem Buch
vorzüglich von ihrer großen Güte und ihrer mächtigen
Fürsprache zu handeln. Ich habe deswegen, soviel ich nur
konnte, in jahrelanger Arbeit alles gesammelt, was die
hl. Väter und die berühmtesten Autoren über die
Barmherzigkeit und Macht Mariens geschrieben haben. Und
da in dem erhabenen Gebet: „Salve, Regina”, das von der
hl. Kirche bestätigt und dem Welt- und Ordensklerus den
größten Teil des Jahres hindurch zu beten befohlen ist
[Schluß
der Komplet], sich die Barmherzigkeit und Macht der
heiligsten Jungfrau wunderbar schön beschrieben findet,
so will ich zuerst dieses andächtige Gebet in besonderen
Betrachtungen auslegen.
Überdies glaube ich den Verehrern Mariens einen
angenehmen Dienst zu erweisen, wenn ich noch andere
Betrachtungen oder Abhandlungen über die Hauptfeste und
über die Tugenden dieser göttlichen Mutter hinzufüge, und am
Schluß jene Andachtsübungen aufzähle, die bei ihren
Dienern am meisten gebräuchlich und von der hl. Kirche
vorzugsweise gutgeheißen sind.
Frommer Leser, wenn dir, wie ich hoffe, dieses mein Buch
gefällt, so bitte ich dich, du sollst mich dieser
heiligsten Jungfrau anempfehlen, damit sie mir ein
großes Vertrauen auf ihren Schutz verleihe. Um diese
Gnade bitte für mich, und auch ich verspreche dir, um
sie für dich zu bitten, wer du immer mir diese Liebe
erweist. O selig, wer sich mit Liebe und Vertrauen an
Jesus und Maria, diese beiden Anker des Heiles,
anklammert. Er wird gewiß nicht verloren gehen. Wir
wollen beide von Herzen mit dem frommen Alfons Rodriguez
ausrufen: „Jesus und Maria! Meine süßeste Liebe! Für
euch will ich leiden; für euch will ich sterben; euch
will ich ganz angehören und nicht mehr mir selber.”
Lieben wir Jesus und Maria, und werden wir heilig; denn
wir können kein größeres Glück begehren und hoffen als
dieses. Gott befohlen! Auf Wiedersehen im Himmel zu den
Füßen dieser süßesten Mutter und ihres liebevollsten
Sohnes, um sie dann zu loben, ihnen zu danken und sie
miteinander zu lieben, indem wir sie schauen von
Angesicht zu Angesicht die ganze Ewigkeit hindurch.
Amen.
Anmerkung des Herausgebers:
Diesen Worten des hl. Alfons Maria möchte ich mich
anschließen.
Sie werden den etwas langen Satzbau und die heute uns
ungewohnte Wortwahl bemerken. Doch es gilt immer noch „traduttore
traditore”, der Übersetzer ist ein Verfälscher, d. h. er
verändert zwangsläufig sehr leicht den ursprünglichen
Sinn, weil man nicht alles wörtlich übertragen kann.
Geändert wurden die Satzstellung, uns heute unbekannte
Wörter und die ganz alte Rechtschreibung (wie th bei t).
Wir bleiben bei der Rechtschreibung, die zwischen Buße
und Busse unterscheidet. Die lateinischen Fußnoten
wurden weggelassen und Zitate im Text übersetzt.
In der Präfation der Muttergottesfeste heißt es, daß wir
Maria praedicare - predigen
sollen, in der Lauretanische Litanei ebenso virgo
praedicanda - zu predigende Jungfrau, nicht (nur)
lobenswürdige. Ein großer Priester schrieb einmal: Alle
Werke, die mißlingen, mißlingen weil zu wenig Maria
darin ist. Wir erleben - erleiden es heute: Man will
eine neue Kirche, aber ohne Maria. Diese kommt aber
nicht von Gott und führt nicht zu ihm! Jesus kam nur
durch Maria zu uns und wir sollen durch sie zu Ihm
kommen.
Würde man mehr von Maria sprechen, wäre vieles besser
und einfacher! Sie hat uns die großen Rettungsanker
gegeben: im Rosenkranz, im Skapulier, in der
wundertätigen Medaille, in de Andacht der drei Ave Maria
doch davon hört man nichts in den Vorlesungen der
Theologen und daher auch nichts in den Predigten. Und
beten lernt man in den meisten Priesterseminaren leider
auch nicht mehr. Doch ein Lehrstuhl ohne Betstuhl bringt
nur Schauspieler und Redner, aber keine tiefgläubigen,
überzeugte Priester, die wirklich geistlich -
übernatürlich denken, reden, leben und handeln. Man kann
nicht von einem Gott reden, zu dem man keine Beziehung
hat. Das ist so unsinnig, wie die akademische
Krankenschwesterausbildung in Italien. Sie haben einen
Titel, aber keine Erfahrung. Jesus sandte die Apostel
nicht zum Studium nach Athen oder Alexandria.
Es gibt zu denken, daß dieses bedeutende Werk lange Zeit
in deutscher Sprache nicht mehr gedruckt wurde. Habe es
1991 nach einer alten Übersetzung von 1874 zum erstenmal
herausgegeben. Die Pest der Reformation, der
antirömische Affekt - eigentlich der antikatholische
Geist sitzt tief in den Köpfen und Herzen vieler
Theologen. Doch letztlich ist dies der Ungeist des Non
serviam - man will Gott nicht dienen. Maria will uns
aber genau dies lehren, weil wir sonst ewig verloren
gehen.
Die Kategorien Gnade, Sünde, Glaube, Hoffnung und Liebe
(zu Gott und den Seelen), Ewigkeit, Himmel und Hölle
sind heute vielen unbekannt. Man ist soweit von Gott
entfernt, daß man dies gar nicht mehr merkt. Man will
eine Reformation 2.0, die wieder eine Revolution ist und
merkt nicht, wessen Geistes Kind man ist. Semper idem,
seit dem Fall der Engel und dem Sündenfall. Da gibt es
nur ein Heilmittel: Maria - ich bin die Magd des Herrn.
Wir müssen uns entscheiden: Maria oder Luzifer - konkret
heißt dies auch: Dekalog oder Dekadenz, Reinheit oder
Sünde. Die heutige Dekadenz ist der Fluch der Sünde. Levitikus 26 gilt nach wie vor: Segen für Gehorsam oder
Fluch und Niedergang für Ungehorsam.
Die Liebe zu Christus in der hl. Messe wie auch in der
Beichte und die Liebe zu Maria sind Gradmesser des
Glaubens. Ihre Bitten um Rosenkranzgebet wurden
weitgehend ignoriert, doch hat der Rosenkranz beim hl.
Dominikus, bei der Schlacht von Lepanto und der
Befreiung Österreichs 1955 mehrfach Großes bewirkt.
Hätte man Lourdes und Fatima ernst genommen, hätte es
keinen 2. Weltkrieg gegeben und wohl auch keinen
selbstzerstörenden Glaubenszerfall in der Kirche.
Dignare me laudare te, virgo sacrata. Da mihi virtutem
contra hostes tuos - Würdige mich Dich zu loben hl.
Jungfrau, gib mir Kraft gegen deine Feinde.
Klemens Kiser
1. Teil - Auslegung des Salve Regina
Die Mutter Gottes ihren Verehrern erteilt viele und
große Gnaden.
1. Kap. - Gegrüßet seist du
Königin, Mutter der Barmherzigkeit
Abs. 1 - Wie groß unser Vertrauen auf
Maria sein muß, weil sie die Königin
der Barmherzigkeit ist
Da die erhabene Jungfrau Maria zur Mutter des Königs der
Könige erhöht wurde, so ehrt sie die heilige Kirche mit
Recht und will, daß sie von allen mit dem glorreichen
Titel einer Königin geehrt werde. „Wenn der Sohn König
ist”, sagt der hl. Athanasius,
„so muß gerechterweise auch die Mutter eine Königin
genannt und als solche geachtet werden.” „Von dem
Augenblick an,” erklärt auch der hl. Bernhardin von
Siena, „da Maria ihre Einwilligung gab, die Mutter des
ewigen Wortes zu werden, hat sie verdient, zur Königin
der Welt und aller Kreaturen erhoben zu werden.” „Wenn
der Leib Mariens,” schließt der hl. Abt Arnold von Chartres, „nicht verschieden war von dem Jesu Christi,
wie könnte die Mutter von der Teilnahme an der
Herrschaft des Sohnes ausgeschlossen sein? Daraus darf
man annehmen, daß die Oberherrlichkeit zwischen Mutter
und Sohn nicht gemeinschaftlich, vielmehr in beiden
diesselbe ist.” „Wenn Jesus König des Weltalls ist, so
ist auch des Weltalls Königin Maria,” so der Abt
Rupertus. Und der hl. Bernhardin von Siena sagt: „So
viele Diener hat die glorreiche Jungfrau, als es
Geschöpfe gibt, die der heiligsten Dreieinigkeit dienen;
denn alle Kreaturen, seien es Engel oder Menschen,
alles, was im Himmel und auf Erden ist, alles ist dieser
glorreichen Jungfrau untertan, weil alles der göttlichen
Herrschaft unterworfen ist.” Darum wendet sich der
Abt Guerricus an die göttliche Mutter mit den Worten: „Fahre
fort, o Maria, mit Sicherheit über die Güter deines
Sohnes zu walten; handle zuversichtlich wie eine
Königin, wie des Königs Mutter und Braut! Dir gebührt
das Reich und die Herrschaft,” als wollte er sagen:
Fahre fort, o Maria, in voller Sicherheit zu herrschen;
verfüge ganz nach deinem Belieben über die Gnadenschätze
deines Sohnes; denn da du Mutter bist und Braut des
Königs der Welt, so gebührt dir als der Königin das
Reich und die Herrschaft über alle Geschöpfe.
Maria also ist Königin; aber jeder soll zu seinem Trost
wissen, daß sie eine ganz gütige und milde Königin ist,
und geneigt, uns Elenden Gutes zu tun. Deshalb will die
heilige Kirche, daß wir sie im Salve Regina als „Königin
der Barmherzigkeit” begrüßen. Schon der Name Königin
bedeutet nach der Erwägung des hl. Albert des Großen
Güte und Sorgfalt für die Armen, zum Unterschied vom
Namen Herrscherin, der Strenge und Härte ausdrückt.
„Die
Größe des Königs und der Königin,” sagt Seneca, „besteht
darin, daß sie den Elenden zu Hilfe kommen.”
Während die Herrscher bei ihrer Gewalt nur das eigene
Wohl zum Ziel haben, sollen die Könige das Wohl der
Untergebenen anstreben. Das ist auch die Ursache, warum
bei der Krönung der Könige ihr Haupt mit Öl, dem
Sinnbild der Barmherzigkeit, gesalbt wird, um
anzudeuten, daß sie beim Regieren vor allem die
Gesinnungen der Güte und des Wohlwollens gegen ihre
Untertanen in sich nähren sollen.
Es sollen also die Könige sich vorzugsweise mit der
Übung der Barmherzigkeit befassen; doch nicht so, daß
sie die Handhabung der Gerechtigkeit gegen die
Schuldigen, wo diese notwendig ist, außer acht lassen.
Nicht so Maria, die, wenngleich Königin, doch nicht
Königin der Gerechtigkeit und somit auf die Züchtigung
der Übeltäter, sondern als Königin der Barmherzigkeit
auf Milde und Vergebung für die Sünder bedacht ist. Darum
will die heilige Kirche, daß wir sie ausdrücklich
Königin der Barmherzigkeit nennen. Der große Kanzler von
Paris, Johannes Gerson, sagt zu den Worten Davids:
„Diese zwei Dinge habe ich gehört: Daß Gottes ist die
Macht, und Dir, o Herr, das Erbarmen”,, daß die in
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bestehende Herrschaft
Gottes der Herr geteilt hat. Das Reich der Gerechtigkeit
behielt Er sich vor; das Reich der Barmherzigkeit aber
hat Er Maria überlassen und angeordnet, daß alle
Erbarmungen, die den Menschen zuteil werden, durch die
Hand Mariens gehen und nach ihrem Wohlgefallen verteilt
werden. Das sind die Worte Gersons:
„Das Reich Gottes besteht in der Macht und in der
Barmherzigkeit. Während die Macht dem Herrn verblieb,
ging die Barmherzigkeit in gewisserweise an die
Königin-Mutter über.” Das gleiche bestätigt der hl.
Thomas in seinem Vorwort zu den kanonischen Briefen:
„Als sie in ihrem Schoß den Sohn Gottes empfing und
danach gebar, erlangte sie die Hälfte der göttlichen
Herrschaft in der Weise, daß sie Königin der
Barmherzigkeit, wie der Sohn König der Gerechtigkeit
ist.”
Der ewige Vater setzte Jesus Christus zum König der
Gerechtigkeit ein und darum machte Er Ihn zum Richter
über die ganze Welt, weshalb der Prophet singt: „Gott,
dein Gericht gib dem König, und deine Gerechtigkeit dem
Sohn des Königs!” Dazu bemerkt ein gelehrter Ausleger:
„Herr, Du hast deinem Sohn die Gerechtigkeit übergeben,
weil Du deine Barmherzigkeit der Mutter des Königs
übertragen hast» Darum gibt der hl. Bonaventura dem
angeführten Vers Davids folgende schöne Wendung: „O
Gott, gib dein Gericht dem König und deine
Barmherzigkeit seiner Mutter!” Gleicherweise sagt
Erzbischof Ernest von Prag, daß der ewige Vater dem Sohn
das Amt zu richten und zu strafen übergeben habe; der
Mutter aber das Amt, Mitleid zu haben mit den Elenden
und ihnen zu helfen.
Deshalb hat schon der Prophet David vorhergesagt, daß
Gott selbst Maria zur Königin der Barmherzigkeit gekrönt
und mit dem Öl der Freude gesalbt habe. „Darum hat dich
Gott, dein Gott, mit dem Freudenöl gesalbt”
(Ps 71,2),
auf daß wir elende Kinder Adams uns erfreuen bei dem
Gedanken, im Himmel diese große Königin zu haben, die
ganz erfüllt ist von der Salbung der Barmherzigkeit und
der Liebe zu uns, wie der hl. Bonaventura sagt: „Maria,
du bist voll Salbung der Barmherzigkeit, voll von dem Öl
der Liebe.”
Und wie schön wendet der hl. Albert der Große die
Geschichte der Königin Esther, die ja das Vorbild
unserer Königin Maria war, auf diese Wahrheit an. Wir
lesen im vierten Kapitel des Buches Esther, daß König
Assuerus in seine Länder einen Befehl ausgehen ließ, der
die Ermordung aller Juden anordnete. Da empfahl
Mardochäus, der unter den Verurteilten war, die Rettung
derselben Esther, daß sie sich beim König verwende, um
den Widerruf dieses Urteils auszuwirken. Anfangs
weigerte sich Esther, diesem Auftrag nachzukommen aus
Furcht, den Zorn des Assuerus
noch mehr zu reizen. Aber Mardochäus tadelte sie und
stellte ihr vor, daß sie nicht bloß darauf bedacht sein
dürfe, sich selber zu retten, da der Herr sie nur zu
diesem Zweck auf den Thron erhoben hat, damit sie den
Juden die Rettung erwirke.
„Glaube nicht, daß du nur dein Leben retten solltst,
weil du im Haus des Königs bist vor allen Juden.” So
sprach Mardochäus zur Königin Esther, und so dürfen auch
wir arme Sünder zu unserer Königin Maria sprechen, wenn
sie je sich weigern könnte, uns von Gott die Befreiung
von der nach Recht verdienten Strafe zu erwirken.
„Glaube nicht, daß du nur dein eigenes Leben retten
darfst, weil du im Haus des Königs bist vor allen
anderen Menschen.” (Est 4,13) Denke nicht, o Herrin, daß
Gott dich zur Königin der Welt nur zur Sorge für dein
eigenes Wohl erhöht hat, sondern darum auch hat Er dich
so mächtig gemacht, damit du größeres Mitleid mit uns
Elenden haben und uns wirksamere Hilfe leisten kannst.
Da Assuerus Esther vor sich erblickte, fragte er voll
Liebe, warum sie gekommen sei: „Was ist dein Verlangen?”
Darauf anwortete die Königin: „Wenn ich in deinen Augen
Gnade gefunden habe, o König, so schenke mir mein Volk,
um das ich flehe.” Und Assuerus erhörte sie; sogleich
gab er Befehl, daß jenes Todesurteil zurückgenommen
werde. Nun wenn Assuerus der Esther das Leben der Juden
schenkte, weil er sie liebte, wie sollte Gott Maria, die
Er ja unendlich liebt, nicht erhören, wenn sie Ihn für
die elenden Sünder, die sich ihr anempfehlen, bittet und
zu Ihm spricht:
„Wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, o König,
so schenke mir mein Volk.” Aber die göttliche Mutter
weiß wohl, daß sie die Gebenedeite, die Selige ist, die
Einzige unter allen Menschen, welche die von ihnen
verlorene Gnade wieder gefunden; sie weiß, daß sie die
Erkorene ihres Herrn ist, die Er mehr liebt als alle
Heiligen und Engel zusammengenommen. „Wenn du mich
wirklich liebst,” spricht sie zu Ihm, „so schenke mir o
Herr, diese Sünder um die ich Dich bitte.” Wäre es
möglich, daß Gott sie nicht erhörte? Wer kennt nicht die
Macht, welche die Bitten Mariens bei Gott haben? „Das
Gesetz der Milde ist auf ihrer Zunge.”
(Spr 31,26) Jedes
ihrer Gebete ist wie ein vom Herrn ein für allemal
verordnetes Gesetz, daß jeder Barmherzigkeit erlangen
soll, für den Maria sich verwendet.
Der hl. Bernhard stellt sich die Frage, warum die hl.
Kirche Maria die Königin der Barmherzigkeit nenne, und
gibt zur Antwort: „Weil wir glauben, daß sie den Abgrund
der Barmherzigkeit Gottes öffnet, wem sie will, wann sie
will, und wie sie will, so daß es keinen noch so großen
Sünder gibt, der zugrunde geht, so lange Maria ihm ihren
Schutz gewährt.”
Oder könnten wir etwa fürchten, Maria werde sich
weigern, für einen Sünder sich zu verwenden, weil sie
ihn allzusehr mit Sünden beladen sieht? Oder dürfte uns
vielleicht die Majestät und die Heiligkeit dieser großen
Königin erschrecken?
„O nein,” sagt der hl. Gregor VII., „je höher Maria
steht und je heiliger sie ist, desto milder und gütiger
ist sie gegen die Sünder, die sich bekehren wollen und
zu ihr ihre Zuflucht nehmen.” Die Könige und Königinnen
flößen durch die Majestät, die sie an sich tragen,
Schrecken ein und bewirken, daß sich ihre Untertanen
scheuen, vor ihnen zu erscheinen; aber welch eine
Furcht, sagt der hl. Bernhard, könnten wohl die
Unglücklichen haben, dieser Mutter der Barmherzigkeit zu
nahen,
die für den, der zu ihr die Zuflucht nimmt, nicht
Schrecken und Härte, sondern nur Güte und Freundlichkeit
offenbart? „Was scheut sich der gebrechliche Mensch zu
Maria hinzutreten? Nichts Strenges ist an ihr, nichts
Furchterregendes; ganz sanft ist sie und bietet allen
Wolle und Milch.” Maria erhört nicht bloß, sondern sie
bietet sogar allen Milch und Wolle an; Milch der
Barmherzigkeit, um uns zum Vertrauen zu ermuntern, und
Wolle des Schutzes, um uns vor den Blitzen der
göttlichen Gerechtigkeit zu bewahren.
Suetonius erzählt vom Kaiser Titus, er habe niemandem,
der ihn um eine Gnade gebeten, dieselbe abschlagen
können, ja er habe manchmal sogar mehr versprochen, als
er halten konnte, und jenen, die ihn darauf aufmerksam
machten, geantwortet, ein Fürst dürfe keinen, den er
einmal zur Audienz angenommen, unbefriedigt von sich
lassen. Titus sprach so, aber in der Tat mußte er
entweder oftmals lügen, oder seinen Versprechen untreu
werden. Unsere Königin aber kann nicht täuschen, und sie
vermag ihren Verehrern so viel zu erlangen, als sie
will; auch hat sie ein so gütiges und liebreiches Herz,
daß sie niemanden, der sie bittet, unerhört zu lassen
vermag. „So gütig ist sie”, sagt Ludwig Blosius, „daß
sie niemanden traurig von sich läßt.” „Und wie konntest
du, o Maria,” spricht sie der hl. Bernhard an, „dich
weigern, den Elenden zu Hilfe zu kommen; du bist ja die
Königin der Barmherzigkeit; und wer sind die Untertanen
der Barmherzigkeit, wenn nicht die Elenden? Du bist die
Königin der Barmherzigkeit, ich aber der elendeste von
allen Sündern. Ich nehme darum den ersten Rang ein unter
deinen Untertanen; für mich also mußt du mehr Sorge
tragen, als für alle anderen.”
Habe also Mitleid mit uns, o Königin der Barmherzigkeit,
und gedenke, uns zu helfen. Sage nicht, o heiligste
Jungfrau, bete ich mit dem hl. Georg von Nikomedien,
sage nicht, du kannst uns nicht helfen wegen der Menge
unserer Sünden; denn du hast ja eine so große Macht und
Liebe, daß keine Sündenzahl sie je übertreffen kann.
„Eine unüberwindliche Macht hast du empfangen, damit die
Menge der Sünden deine Güte nicht überwiege. Nichts kann
deiner Macht widerstehen; denn der Schöpfer betrachtet
deine Ehre als seine eigene. Und der Sohn hat seine
Freude daran, dich zu ehren, und gewährt alle deine
Bitten, gleichsam um seine Schuld an dich abzutragen.”
Dieser Schriftsteller will sagen: Wenn auch Maria ihrem
Sohn unendlich verpflichtet dafür ist, daß er sie zu
seiner Mutter bestimmt hat, so kann dessen ungeachtet
nicht bestritten werden, daß auch der Sohn dieser Mutter
sehr verpflichtet ist, weil sie ihm das menschliche Sein
gegeben hat. Darum findet Jesus seine Freude darin, sie
zu verherrlichen, und Er will sie besonders dadurch
ehren, daß Er alle ihre Bitten erhört, um so seine
Schuld an Maria abzutragen.
Wie groß also muß unser Vertrauen zu dieser Königin
sein, da wir wissen, wie mächtig sie bei Gott ist, und
wie reich an Barmherzigkeit, daß keine Seele auf Erden
lebt, die nicht der Milde und Gunst Mariens teilhaft
wäre. Eben dies offenbarte die seligste Jungfrau der hl.
Birgitta: „Ich bin die Königin des Himmels und die
Mutter der Barmherzigkeit; ich bin die Freude der
Gerechten und die Pforte, durch welche die Sünder zu
Gott gelangen. Kein Sünder lebt auf Erden, und wäre er
auch noch so verworfen, der von meinem Erbarmen
ausgeschlossen wäre; denn jeder, wenn er auch nichts anderes durch meine
Vermittlung erlangen würde, empfängt doch die Gnade,
weniger vom bösen Feind versucht zu werden, als es sonst
geschehen würde. Keiner ist so von Gott verstoßen, der,
wenn er mich um Hilfe bittet, nicht zu Gott zurückkehren
und Barmherzigkeit erlangen könnte; er müßte denn nur
ganz und gar verworfen sein (d.h. durch die letzte und
unwiderrufliche Verfluchung, welche die Verdammten trifft).
Ich werde von allen die Mutter der Barmherzigkeit genannt,
und wahrlich, das Erbarmen Gottes mit den Menschen hat
mich so barmherzig gemacht.” Und sie schloß mit den
Worten: „Darum wird unglücklich sein, wer, da er doch
kann, zur Barmherzigkeit nicht hinzutritt. Unglücklich
ist und wird auf immer im anderen Leben sein, wer in
diesem Leben zu mir, die ich so mitleidsvoll mit allen
bin und so sehr verlange, den Sündern zu helfen, seine
Zuflucht nehmen könnte, aber es nicht tut, und so
zugrunde geht.”
Fliehen wir also, ja flüchten wir allezeit zu den Füßen
dieser süßesten Königin, wenn wir sicher unser Heil
erlangen wollen! Und schreckt und entmutigt uns der
Anblick unserer Sünden, so laßt uns bedenken, daß Maria
dazu die Mutter der Barmherzigkeit geworden ist, daß sie
durch ihren Schutz die größten und verworfensten Sünder
rettet, wenn sie sich ihr anbefehlen. Diese haben, nach
den Worten ihres göttlichen Bräutigams, ihre Krone im
Himmel zu sein. „Komm vom Libanon, meine Braut, komm vom
Libanon, komm! Du wirst gekrönt werden von den Lagern
der Löwen und den Bergen der Leoparden.” Wer aber sind
die Lager der wilden Tiere und Ungeheuer, wenn nicht die
elenden Sünder, deren Seelen ein Aufenthalt der Laster
und der häßlichsten Ungeheuer sind, die man finden kann?
Und gerade von diesen unglücklichen Sündern, die durch
deine Vermittlung, o große Königin Maria, gerettet
werden, wirst du (nach den Worten des Abtes Rupertus) im
Paradies gekrönt werden, denn ihr Heil wird deine Krone
sein, eine Krone ganz würdig und eigentümlich einer
Königin der Barmherzigkeit. (Hl 4,8) Zur Bestätigung
dieser Wahrheit möge man folgendes Beispiel lesen.
Beispiel
Im Leben der Schwester Katharina vom hl. Augustinus wird
berichtet, daß sich an dem Ort, wo diese Dienerin Gottes
lebte, eine Frau, namens Maria befand, die in ihrer
Jugend eine Sünderin war und noch im Alter hartnäckig in
ihrer Verkehrtheit beharrte. Schließlich wurde sie von
den Einwohnern des Ortes verjagt und in eine Höhle
außerhalb ihres Gebietes verwiesen, wo sie halbverfault,
von allen verlassen, ohne Sakramente starb. Daher wurde
sie auf freiem Feld wie ein Tier eingescharrt. Schwester
Katharina pflegte sonst alle verstorbenen Seelen Gott
mit großer Liebe anzuempfehlen; aber nachdem sie den
unseligen Tod dieser armen Alten erfahren hatte, dachte
sie gar nicht daran, für sie zu beten, weil sie wie alle
anderen diese für verdammt hielt. Doch siehe! Nach vier
Jahren erschien ihr eines Tages eine Seele aus dem
Fegfeuer, die zu ihr sprach: „Schwester Katharina, wie
unglücklich ist doch mein Los! Du empfiehlst Gott die
Seelen aller Verstorbenen, nur mit meiner Seele hast du
kein Mitleid.” - „Wer bist du denn?” sagte die Dienerin
Gottes. „Ich bin”, war die Antwort, „jene arme Maria,
die in der Höhle gestorben ist”. - „Wie?
Du bist selig geworden”, fragte Schwester Katharina
wiederum. - „Ja, ich bin gerettet”, sagte sie, „durch
die Barmherzigkeit der Jungfrau Maria”. - „Aber wie ist
das geschehen?”
„Da ich den Augenblick des Todes nahen fühlte, und mich
so voll von Sünden und von allen verlassen sah, so
wandte ich mich an die Mutter Gottes und sagte ihr:
Meine Herrin, du bist die Zuflucht der Verlassenen;
siehe, jetzt bin ich von allen verlassen; du bist meine
einzige Hoffnung. Du allein kannst mir noch helfen; habe
Mitleid mit mir! Die seligste Jungfrau erlangte mir die
Gnade, einen Akt der Reue zu erwecken. Ich starb und
wurde gerettet. Zugleich hat mir meine Königin auch die
Gnade erlangt, daß meine Strafe abgekürzt wurde, indem
sie bewirkte, daß ich durch schärfere Leiden abbüßen
durfte, was ich sonst durch viele Jahre lange Leiden
hätte abbüßen müssen. Es mangeln mir nur noch einige hl.
Messen, um aus dem Fegfeuer befreit zu werden. Ich bitte
dich, lasse sie für mich lesen; ich verspreche dir
dafür, immer bei Gott und Maria für dich zu bitten.”
Schwester Katharina ließ alsogleich die hl. Messen
lesen, und siehe da, wenige Tage danach erschien ihr die
Seele von neuem, leuchtender als die Sonne und sprach zu
ihr:
„Ich danke dir, Katharina; siehe, jetzt gehe ich in den
Himmel ein, um die Erbarmungen meines Gottes zu preisen
und für dich zu beten.”
Gebet
Mutter meines Gottes und meine Herrin Maria! Wie ein mit
Wunden bedeckter, ekelerregender Armer einer großen
Königin sich naht, so nahe ich mich dir, die du die
Königin des Himmels und der Erde bist. Verschmähe nicht,
ich bitte dich, vom hohen Thron, auf dem du sitzt, deine
Augen auf mich armen Sünder herab zuwenden. Gott hat
dich so reich gemacht, um den Armen zu Hilfe zu kommen
und hat dich zur Königin der Barmherzigkeit erhoben,
damit du die Unglücklichen unterstützen kannst. Blicke
mich also an und habe Mitleid mit mir! Blicke mich an
und verlasse mich nicht, bis du mich aus einem Sünder in
einen Heiligen umgewandelt hast. Ich sehe wohl, daß ich
nichts verdiene, ja, daß ich wegen meiner Undankbarkeit
aller Gnaden beraubt zu werden würdig wäre, die ich
durch deine Vermittlung von dem Herrn bereits empfangen
habe. Aber du, die Königin der Barmherzigkeit, suchst
nicht, wo Verdienst, sondern wo Elend ist, um den
Bedürftigen zu helfen.
Wer aber ist ärmer, wer hilfsbedürftiger als ich? O
erhabene Jungfrau! Ich weiß, du bist die Königin der
ganzen Welt und auch meine Königin; ich will in
besonderer Weise deinem Dienst mich weihen, auf daß du
über mich verfügst, wie es dir gefällt. Darum spreche
ich zu dir mit dem hl. Bonaventura: O meine Herrin,
deiner Herrschaft will ich mich übergeben, damit du mein
Alles ganz und gar beherrschst und regierst. Überlaß
mich nicht mir selber. Gebiete über mich, verwende mich
nach deinem Wohlgefallen; ja, strafe mich, wenn ich dir
nicht gehorche; denn überaus heilsam werden für mich die
Züchtigungen sein, die aus deiner Hand mir zukommen. Ich
schätze es höher, dein Knecht zu sein, als der Herr der
ganzen Welt. „Dein bin ich, rette mich!”
(Ps 118, 94)
Nimm mich an, o Maria, als dir gehörend und als dein
Eigentum rette mich! Nicht mir will ich ferner
angehören; dir habe ich mich geschenkt. Und wenn ich dir
früher so schlecht gedient und so häufig unterlassen
habe, dich
zu ehren, so will ich künftig zu deinen eifrigsten und
treuesten Dienern gezählt werden. Ja, es soll mich von
nun an, o liebenswürdigste Königin, niemand in deiner
Verehrung und Liebe übertreffen! Dies verspreche und
dies hoffe ich, mit deinem Beistand auszuführen. Amen.
Abs. 2 - Wieviel größer noch unser Vertrauen auf Maria
sein muß, weil sie unsere Mutter ist
Nicht ohne Absicht und guten Grund nennen die Verehrer
Mariens sie Mutter, und es scheint, als wüßten sie
dieselbe mit keinem anderen Namen anzurufen, und als
könnten sie nicht satt werden, sie immerfort Mutter zu
nennen. Ja, Mutter! Ist sie doch wahrhaft unsere Mutter,
nicht die leibliche, aber die geistige Mutter unserer
Seele und unseres Heiles! Als die Sünde unsere Seelen
der göttlichen Gnade beraubte, raubte sie ihnen auch das
Leben, und da sie aus diesem elenden Tod sich nicht
retten konnten, kam unser Erlöser Jesus im Übermaß
seiner Barmherzigkeit und Liebe, um uns durch seinen Tod
am Kreuz das verlorene Leben wieder zu erwerben, wie Er
selbst erklärt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben
haben und überreichlich haben,”
(Jo 10,10)
überreichlich, denn die Gottesgelehrten behaupten, daß
uns Jesus Christus durch seine Erlösung größere Güter
gebracht, als der Schaden war, den uns Adam durch seine
Sünde zugezogen hat. Indem Er uns also mit Gott wieder
versöhnte, wurde Er der Vater unserer Seelen im neuen
Gesetz der Gnade, wie es schon von dem Propheten Isaias
(Is 9,6) vorhergesagt wurde: „Vater der Zukunft,
Friedensfürst.” Aber wenn Jesus der Vater unserer Seelen
ist, so ist Maria deren Mutter; denn indem sie uns Jesus
gab, gab sie uns das wahre Leben, und da sie auf dem
Kalvarienberg das Leben ihres Sohnes für unser Heil
aufopferte, gebar sie uns zum Leben der Gnade.
Zu zwei verschiedenen Zeiten, lehren uns die hl. Väter,
wurde Maria unsere geistliche Mutter; zum ersten Mal, da
sie es verdiente in ihrem jungfräulichen Schoß den Sohn
Gottes zu empfangen, wie der hl. Albert der Große
behauptet. Und noch klarer lehrt der hl. Bernhardin von
Siena, daß, als die seligste Jungfrau zu der
Verkündigung des Engels ihre Einwilligung gab, die das
ewige Wort von ihr erwartete, um ihr Sohn zu werden, sie
in dieser Zustimmung und von diesem Augenblick an mit
unermeßlicher Liebe unser Heil von Gott erflehte und so
sehr für unsere Erlösung sich verwandte, daß sie uns von
da an wie die liebevollste Mutter in ihrem Schoß trug.
Der hl. Lukas sagt im zweiten Kapitel seines
Evangeliums, wo er die Geburt unseres
Heilandes erzählt: „Sie gebar ihren Sohn, den
Erstgeborenen.” (Lk 2,7)
Wenn also, bemerkt ein Schriftsteller, der Evangelist
versichert, daß Maria damals ihren Erstgeborenen zur
Welt gebracht habe, muß man daraus nicht schließen, daß
sie nachher noch andere Kinder hatte? Der gleiche Autor
gibt darauf die Antwort:
„Es ist ein Glaubenssatz, daß Maria keine anderen
leiblichen Kinder hatte, außer Jesus; sie muß also noch
andere geistliche Kinder haben, und diese sind wir.”
Dasselbe offenbarte der Herr der hl. Gertrud. Diese las
eines Tages die erwähnte
Stelle des Evangeliums und wurde darüber ganz verwirrt;
denn sie konnte nicht einsehen, wie von Maria, die doch
nur die Mutter Jesu Christi ist, gesagt werden könne,
daß Er ihr Erstgeborener sei. Und Gott erklärte ihr,
Jesus sei ihr Erstgeborener dem Fleisch nach, die
Menschen aber seien die nachgeborenen Kinder dem Geist
nach. Daraus erklärt sich auch, was im Hohenlied von
Maria gesagt wird:
„Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen mit Lilien umgeben.”
(Hl 7,2) Der
hl. Ambrosius erklärt diese Stelle: „Nur
ein Weizenkorn war im Leib der Jungfrau, nämlich
Christus der Herr, und doch wird sie ein Weizenhaufen
genannt, weil dieses einzige Korn der Kraft nach alle
Auserwählten in sich schließt, auf daß Er sei der
Erstgeborene unter vielen Brüdern.” Aus diesem Grund
schreibt der Abt Wilhelm: „In diesem einen Fruchtkörnlein, nämlich in Jesus, dem einen Heiland
aller Menschen, hat Maria viele zum Heil geboren; indem
sie das Leben gebar, hat sie viele zum Leben geboren.”
Zum zweiten Mal gebar uns Maria zum Leben der Gnade, als sie
auf dem Kalvarienberg dem ewigen Vater unter so großen
Schmerzen ihres Herzens das Leben ihres Sohnes für unser
Heil opferte. Dieses bestätigt der hl. Augustinus, der
sagt, daß Maria, weil sie durch ihre Liebe zur
Wiedergeburt der Gläubigen zum Leben der Gnade
mitgewirkt, die geistliche Mutter von uns allen, die wir
die Glieder des Hauptes Jesu Christi sind, geworden sei.
Ebendies ist der Sinn jener Stelle im Hohenlied, die auf
die seligste Jungfrau angewendet wird: „Sie setzten mich
als Hüterin der Weinberge; meinen Weinberg habe ich
nicht gehütet.” (Hl 1,5)
Das heißt: Maria hat, um unsere Seelen zu retten,
eingewilligt, dem Tod das Leben ihres Sohnes zu opfern.
So erklärt dies der Abt Wilhelm mit den Worten: „Um
viele Seelen zu retten, hat sie ihre Seele dem Tod
preisgegeben.” Wer aber war die Seele Mariens, wenn
nicht ihr Jesus, der ihr Leben und alle ihre Liebe war?
Deswegen hat ihr der hl. Simeon angekündigt, daß ihre
gebenedeite Seele von dem Schwert der Schmerzen werde
durchbohrt werden. (Lk 2,35)
Dieses Schwert aber war eben jene Lanze, welche die
Seite Jesu durchbohrte, der die Seele Mariens war.
Damals hat sie uns durch ihre Schmerzen zum ewigen Leben
geboren, und darum können wir alle uns die Kinder der
Schmerzen Mariens nennen. Diese unsere liebreichste
Mutter war immer vollkommen vereinigt mit dem göttlichen
Willen. „Und da sie,” bemerkt der hl. Bonaventura, „die
Liebe des ewigen Vaters zu den Menschen sah, der wollte, daß sein Sohn um unseres Heiles willen sterbe, und die
Liebe des Sohnes, der den Tod für uns erleiden wollte,
so brachte auch sie, um der übergroßen Liebe des Vaters
und des Sohnes zu den Menschen sich gleichförmig zu
machen, von ganzem Herzen sich zum Opfer dar, und
willigte ein, daß ihr Sohn für unser Heil sterbe.”
Es ist wahr, Jesus wollte allein für die Erlösung der
Menschen in den Tod gehen:
„Die Kelter trat ich allein.”
(Is 63,3) Da Er aber die
große Sehnsucht Mariens, sich mit um das Heil der
Menschen anzunehmen, erblickte, so ordnete Er, daß sie
durch Aufopferung und Hingabe seines Lebens mit zu
unserem Heil wirke und so die Mutter unserer Seelen
werde. Dies deutet unser lieber Heiland an, als Er
unmittelbar vor seinem Tod vom Kreuz herab auf die
Mutter und den Jünger Johannes, die
Ihm zur Seite standen, blickend, sprach: „Siehe, dein
Sohn,” (Jo 19,26) als wollte Er sagen: Siehe den
Menschen, der durch die von dir vollbrachte Hingabe
meines Lebens für sein Heil schon zur Gnade
wiedergeboren wird. Und dann zum Jünger gewandt sprach
Er: „Siehe, deine Mutter!”
(Jo 19,27) „Durch diese
Worte,” sagte der hl. Bernhardin von Siena,
„ist Maria
die Mutter nicht allein von Johannes, sondern aller
Menschen, um der Liebe willen geworden, die sie zu ihnen
hatte.” Dies ist die Ursache, warum nach Silveira
derselbe Johannes bei Erwähnung dieser Begebenheit in
seinem Evangelium schrieb: „Sodann sagte Er zum Jünger:
Siehe, deine Mutter!” Man bemerke, Jesus Christus sprach
dies nicht zu Johannes, sondern zu dem Jünger, zum
Beweis, daß der liebe Heiland Maria als die eine Mutter
aller bezeichnen wollte, die als Christen den Namen
seiner Jünger tragen.
„Ich bin die Mutter der schönen Liebe”, (Sir 24,24)
spricht Maria, weil ihre Liebe, die unsere Seelen in den
Augen Gottes so schön macht, bewirkte, daß sie als
liebevolle Mutter uns zu ihren Kindern annahm. „Und
welche Mutter liebt ihre Kinder so sehr und ist so auf
ihr Wohl bedacht, wie du, unsere süßeste Königin, uns
liebst und für unser Wohlergehen sorgst? Tust du dies
nicht mehr,” sagt der hl. Bonaventura,
„als eine leibliche Mutter dies tun könnte?”
O selig die, so unter dem Schutz einer so liebreichen
und mächtigen Mutter leben! Schon der Prophet David
bat
Gott um sein Heil, indem er sich zum Sohn Mariens
weihte, obwohl Maria damals noch nicht geboren war. Er
fleht: „Rette den Sohn deiner Magd!” „Wer ist diese
Magd?” (Ps 85,16) fragt der hl. Augustinus. „Jene, die
da sprach: Siehe ich bin eine Magd des Herrn.”
„Und wer dürfte die Kühnheit haben,” sagt
der hl. Robert Kard. Bellarmin, „diese Kinder vom Schoß Mariens zu
reißen, nachdem sie sich dorthin geflüchtet haben, um
sich vor ihren Feinden zu retten? Welche Wut der Hölle
oder der Leidenschaft wäre imstande sie zu überwinden,
wenn sie ihr Vertrauen auf den Schutz dieser großen
Mutter setzen?” „Wenn der Walfisch, erzählt man, seine
Jungen vom Sturm oder von den Jägern bedroht sehe, so
öffne er seinen Rachen und nehme sie in sich auf. So
macht es Maria,” sagt Novarin.
Diese gütigste Mutter der Gläubigen nimmt sie, wenn der
Sturm der Versuchungen tobt, mit mütterlicher Liebe
gleichsam in ihr Innerstes auf und beschützt sie, bis
sie diese in den seligen Hafen gebracht hat.
O liebreichste Mutter! O mitleidsvollste Mutter! Sei
allezeit gebenedeit und allezeit gepriesen sei Gott, der
dich uns zur Mutter und zur sicheren Zufluchtsstätte in
allen Gefahren dieses Lebens gegeben hat. Die seligste
Jungfrau hat der hl. Birgitta geoffenbart: „Wenn eine
Mutter ihr Kind zwischen den Schwertern der Feinde
erblicken würde, so würde sie alle Anstrengung machen,
es zu retten. So tue, handle auch ich, und so werde ich
allen Sündern tun, die meine Barmherzigkeit anflehen.”
Das ist also das Mittel, wodurch wir in jedem Kampf mit
der Hölle immer siegen und sicher siegen werden; wir
dürfen nur zur Mutter Gottes und unserer Mutter die
Zuflucht nehmen und rufen und immer wieder rufen: „Unter
deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin! Unter deinen Schutz und Schirm fliehen
wir, o heilige Gottesgebärerin!” O wie viele Siege haben
die Gläubigen dadurch
über die Hölle davon getragen, daß sie mit diesem
kurzen, aber überaus wirksamen Gebet zu Maria ihre
Zuflucht nahmen. Die große Dienen Gottes, Schwester
Maria Crucifixa, eine Benediktinerin, hat auf diese
immer die Teufel überwunden.
Darum seid getrost ihr Kinder Mariens; wißt, daß sie
alle zu ihren Kindern annimmt, die sie sein wollen; seid
getrost! Was könnt ihr für eine Furcht haben zugrunde zu
gehen, wenn diese Mutter euch verteidigt und beschützt?
Der hl. Bonaventura ermuntert jeden, der diese gute
Mutter liebt und auf ihren Schutz vertraut, Mut zu
fassen und zu sprechen: „Was fürchtest du, meine Seele?
Die Angelegenheit deines Heiles ist nicht verloren; denn
der Urteilsspruch ist in den Händen deines Bruders und
deiner Mutter.” Dies erwägend ruft der hl. Anselm, uns
zu ermutigen, mit Frohlocken:
„O selige Zuversicht, o sichere Zuflucht; die Mutter
Gottes ist meine Mutter! Mit welcher Gewißheit dürfen
wir also hoffen, da unser Heil von der Entscheidung
unseres guten Bruders und unserer mitleidsvollen Mutter
abhängt.”
Und siehe, es ist unsere Mutter, die uns ruft und Mut
zuspricht: „Ist jemand klein, so komme er zu mir.” (Spr
9,4) Die Kinder haben immer den Namen Mutter im Mund; in
jeder Gefahr und bei jedem Schrecken, erheben sie
alsogleich ihre Stimme und rufen: Mutter, Mutter! O
süßeste Jungfrau Maria, o liebreichste Mutter! Das ist
es eben, was du wünschst, daß wir wie die Kinder werden
und dich in unseren Gefahren immerfort anrufen und stets
zu dir unsere Zuflucht nehmen, weil du uns ja helfen und
retten willst, wie du all jene deiner Kinder gerettet
hast, die zu dir ihre Zuflucht genommen haben.
Beispiel
In der Geschichte der Klosterstiftungen der Gesellschaft
Jesu im Königreich Neapel wird von einem adeligen
Jüngling aus Schottland, namens Wilhelm Elphinston,
folgendes erzählt. Er war ein Verwandter des Königs
Jakob und hing, im Irrglauben geboren, seiner falschen
Sekte an, aber erleuchtet vom göttlichen Licht, das ihn
seine Irrtümer erkennen ließ, kam er nach Frankreich, wo
er durch den Beistand eines Jesuitenpaters, der
ebenfalls aus Schottland war, und noch mehr durch die
Vermittlung der allerseligsten Jungfrau endlich die
Wahrheit erkannte, der Häresie abschwor und katholisch
wurde. Er reiste darauf nach Rom, wo ihn eines Tages
einer seiner Freunde in Trauer und Tränen fand. Von
diesem um die Ursache befragt, erzählte er, daß ihm
nachts seine Mutter erschienen sei und zu ihm gesagt
habe: „Mein Sohn! Wohl dir, daß du in die wahre Kirche
eingetreten bist, denn ich bin in der Ketzerei gestorben
und verloren.”
Von da an war seine Andacht zur Mutter Gottes noch
eifriger; er wählte sie zu seiner einzigen Mutter, und
Maria gab ihm den Entschluß ein, in den Ordensstand zu
treten, was er auch gelobte. Krank geworden, reiste er
nach Neapel, um durch Luftveränderung seine Gesundheit
wieder herzustellen. Der Herr indes wollte, daß er in
Neapel und zwar als Ordensmann sterbe; denn kaum dort
angelangt, erkrankte er tödlich. Da bat er die
Ordensoberen der Gesellschaft Jesu unter Tränen um
Aufnahme, die sie ihm gewährten. Er empfing die heilige
Wegzehrung, legte vor dem heiligsten Sakrament die
Gelübde ab und wurde in die Gesellschaft aufgenommen.
Dabei
versetzte er alle in Rührung durch die zärtlichen
Dankgebete, die er Maria, seiner Mutter, darbrachte, daß
sie ihn aus der Ketzerei gerettet und dahin gebracht
habe, nun in der wahren Kirche, im Haus Gottes, inmitten
von Ordensleuten, seinen Brüdern, sterben zu können. „ O
wie herrlich,” rief er aus, „ist das Sterben inmitten so
vieler Engel!” Man sprach ihm zu, er möge sich ein wenig
Ruhe gönnen, aber er antwortete:
„ O jetzt ist keine Zeit zu ruhen! Jetzt, da das Ende
meines Lebens herannaht!” Kurz vor seinem Tod noch
sprach er zu den Umstehenden: „Meine Brüder, seht ihr
nicht die Engel des Himmels, die mir beistehen?” Und da
ihn einer von den Ordensleuten, die bei ihm standen,
einige Worte mit leiser Stimme sprechen hörte, fragte er
ihn, was er sage, und der Sterbende antwortete, der hl.
Schutzengel habe ihm geoffenbart, daß er nur kurze Zeit
im Fegfeuer werde zu bleiben haben, und dann sogleich in
den Himmel eingehen dürfe. Dann begann er sich mit
Liebesseufzern mit seiner süßen Mutter Maria zu
unterhalten und unter wiederholtem Ruf: „Mutter!
Mutter!” hauchte er sanft seinen Geist aus, wie ein
Kind, das in den Armen seiner Mutter einschlummert.
Kurze Zeit darauf wurde einem frommen Ordensmann
geoffenbart, daß er bereits im Himmel sei.
Gebet
O heiligste Mutter Maria! Wie ist es möglich, daß ich
eine so heilige Mutter habe und dennoch so sündhaft bin?
Eine Mutter, die ganz glüht von Liebe zu Gott, ich aber
voll Liebe zu den Geschöpfen bin? Eine Mutter so reich
an Tugenden, und ich so arm? Ach, meine liebenswürdige
Mutter, es ist wahr, ich verdiene nicht mehr dein Kind
zu sein, weil ich durch mein schlechtes Leben mich
dessen zu unwürdig gemacht habe. Ich bin zufrieden, wenn
du mich zu deinem Diener annimmst; ich bin bereit, um
unter die geringsten deiner Diener aufgenommen zu
werden, allen Reichen der Welt zu entsagen. Ja, ich bin
zufrieden; doch wehre es mir nicht, dich meine Mutter zu
nennen. Dieser Name ist all mein Trost, meine
Herzensfreude und die stete Erinnerung, wie verpflichtet
ich bin, dich zu lieben. Dieser Name ermutigt mich,
großes Vertrauen auf dich zu setzen. Wie sehr auch meine
Sünden und die göttliche Gerechtigkeit mich schrecken,
so fühle ich mich doch voll Stärke in dem Gedanken, daß
du meine Mutter bist. Gestatte, daß ich spreche: Meine
Mutter, meine liebenswürdigste Mutter! So nenne ich dich
und so will ich dich allzeit nennen. Du sollst nach Gott
immer meine Hoffnung, meine Zuflucht und meine Liebe
sein in diesem Tal der Tränen. So hoffe ich zu sterben
und im letzten Augenblick meine Seele in deine Hände mit
den Worten zu übergeben: Meine Mutter! Meine Mutter!
Hilf mir; habe Mitleid mit mir! Amen.
Abs. 3 - Wie groß die Liebe ist, die diese Mutter zu uns
hat
Da Maria unsere Mutter ist, so wollen wir auch
betrachten, wie sehr sie uns liebt. Die Liebe zu den
Kindern ist eine notwendige Liebe; das ist auch die
Ursache, nach dem hl. Thomas, warum im göttlichen Gesetz
den Kindern ein Gebot auferlegt ist, die Eltern zu
lieben, die Eltern hingegen durch kein ausdrückliches
Gebot verpflichtet werden, ihre Kinder zu lieben; denn
die Liebe zu den eigenen Kindern ist mit solcher
Macht durch die Natur selbst eingepflanzt, daß sogar die
wildesten Tiere, wie der hl. Ambrosius sagt, es nicht lassen können, ihre Jungen
zu lieben.
Man erzählt, daß selbst die Tiger, wenn sie die Stimme
ihrer von den Jägern geraubten Jungen hören, sich ins
Meer stürzen und dem Schiff, auf dem sie sich befinden,
nachschwimmen, bis sie es erreichen. Wenn also nicht
einmal die Tiger, sagt unsere zärtlichste Mutter Maria,
ihre Jungen vergessen können, wie sollte dann ich meine
Kinder zu vergessen imstande sein? „Kann denn eine Frau
ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht erbarmte des
Sohnes ihres Leibes? Und wenn sie es vergäße, so wollte
doch ich deiner nicht vergessen.”
(Is 49,15)
Maria ist unsere Mutter, nicht zwar dem Leib nach, - wie
schon gesagt, - sondern durch ihre Liebe. „Ich bin die
Mutter der schönen Liebe» (Spr 24,24) Also die Liebe
allein schon, die sie zu uns trägt, macht sie zu unserer
Mutter, und deswegen rühmt sie sich, sagt ein
Schriftsteller, die Mutter der schönen Liebe zu sein;
denn ganz Liebe ist sie gegen uns, die sie zu ihren
Kindern angenommen hat. Wer aber vermöchte die Liebe,
die Maria zu uns Elenden trägt, zu erklären? Arnold von Chartres sagt: „Beim Tod Jesu Christi verlangte die
seligste Jungfrau mit unermeßlicher Glut zugleich mit
ihrem Sohn aus Liebe zu uns zu sterben.” Eben dies
bezeugt der hl. Ambrosius mit den Worten: „Gleich ihrem
Sohn, der sterbend am Kreuz hing, bot sich auch Maria
den Henkern dar, ihr Leben für uns hinzugeben.”
Erwägen wir nun die Ursachen dieser Liebe; denn so
werden wir besser verstehen, wie sehr uns diese gute
Mutter liebt.
Die erste Ursache der großen Liebe Mariens zu den
Menschen ist ihre große Liebe zu Gott. Die Liebe Gottes
und die Liebe zum Mitmenschen gehören ein und demselben
Gebot an, wie der hl. Johannes schreibt: „Dieses Gebot
haben wir von Gott, daß wer Gott liebt, auch seinen
Bruder liebe.” Und in dem Maß, als die eine wächst,
nimmt auch die andere zu. Was haben die Heiligen, da sie
Gott so sehr liebten, nicht alles aus Nächstenliebe
getan? Gingen sie doch so weit, Freiheit und Leben für
des Nächsten Heil zu opfern und zu verlieren.
Wir lesen von dem hl. Franz Xaver, daß er in Indien, um
die Seelen jener Barbaren zu retten, Gebirge erklomm und
sich tausend Gefahren aussetzte, um die Unglücklichen in
ihren Höhlen, wo sie nach Art wilder Tiere lebten, zu
suchen und Gott zuzuführen. Der hl. Franz von Sales
setzte sich für Bekehrung der Ketzer der Provinz Chablais ein ganzes Jahr lang der Gefahr aus, täglich
auf einem mit Eis bedeckten Balken, an den er sich mit
Händen und Füßen anklammern mußte, über den Fluß zu
kommen, um an dem anderen Ufer den verstockten Ketzern
zu predigen. Der hl. Paulinus machte sich zum Sklaven,
um dem Sohn einer armen Witwe die Freiheit zu erlangen.
Der hl. Fidelis wollte unter dem Predigen sein Leben
lassen, um die Ketzer eines Dorfes für Gott zu gewinnen.
Weil also diese Heiligen Gott so sehr liebten, darum
vermochten sie auch aus Nächstenliebe so Großes zu
vollbringen.
Wer aber hat Gott mehr geliebt als Maria? Sie liebte
schon im ersten Augenblick ihres Lebens Gott mehr als
alle Engelund alle Heiligen während ihres ganzen
Lebenslaufes, wie wir später ausführlich betrachten
werden, wenn ich von den Tugenden Mariens
handeln werde. Die heiligste Jungfrau selber hat der
Schwester Maria Crucifixa geoffenbart, daß das Feuer der
Liebe, von dem sie zu Gott erglühte, so groß war, daß
wäre der ganze Himmel und die Erde in dasselbe gestellt
worden, sie im Augenblick verzehrt worden wären; darum
sei im Vergleich zu diesem Feuer alle Glut der Seraphim
wie ein Hauch der frischen Luft. Wie also von allen
seligen Geistern keiner Gott mehr liebt als Maria, so
haben wir auch niemanden und können auch niemanden
haben, der nächst Gott uns mehr liebte als diese unsere
liebevollste Mutter. Und wenn auch die Liebe aller
Mütter zu ihren Kindern, aller Verlobten zu ihren
Bräuten und aller Heiligen und Engel zu ihren Verehrern
vereinigt würde, so könnte sie doch die Liebe nicht
erreichen, die Maria zu einer jeden einzelnen Seele
trägt. Pater Nieremberg sagt, die Liebe aller Mütter zu
ihren Kindern ist ein Schatten im Vergleich zu jener,
die Maria zu einem jeden von uns hat; sie allein liebt
uns weit mehr als alle Engel und Heiligen miteinander
uns lieben.
Eine weitere Ursache, warum unsere Mutter uns so sehr
liebt, ist, weil wir ihr von ihrem geliebten Jesus als
Kinder übergeben wurden, da Er vor seinem Tod zu ihr
sprach: „Frau, siehe hier deinen Sohn!”, indem Er, wie
wir oben betrachtet haben, in der Person des hl.
Johannes uns alle bezeichnete. Das waren die letzten
Worte, die ihr Sohn zu ihr sprach. Die letzten
Erinnerungen, die geliebte Personen uns zurücklassen,
werden besonders teuer gehalten und schwinden nicht mehr
aus dem Gedächtnis. Noch mehr aber sind wir die so
teueren Kinder Mariens, weil wir sie so viele Schmerzen
gekostet haben. Die Mütter pflegen jene Kinder viel mehr
zu lieben, die am Leben zu erhalten, mehr Mühe und
Schmerz gekostet hat. Wir sind die Kinder, für die
Maria, um ihnen das Leben der göttlichen Gnade zu
erlangen, die Qual zu leiden hatte, selber das kostbare
Leben ihres Sohnes dem Tod zu weihen und einzuwilligen, daß sie vor ihren Augen Ihn durch die Gewalt seiner
Marter für uns sterben sehe. Durch dieses große Opfer Mariens sind wir zum Leben der göttlichen Gnade
wiedergeboren. Darum sind wir ihr so teuere Kinder, da
wir sie solche Sorgen gekostet haben. Wie von der Liebe
des ewigen Vaters geschrieben steht, die Er den Menschen
in der Hingabe seines Sohnes in den Tod für uns erwiesen
hat: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß Er seinen
eingeborenen Sohn hingegeben”, (Jo 3,16) so kann man
auch nach dem hl. Bonaventura von Maria sagen: „So sehr
hat uns Maria geliebt, daß sie ihren eingeborenen Sohn
für uns hingegeben hat.” Und wann hat sie Ihn für uns
hingegeben?
„Sie hat Ihn hingegeben,” sagt
Pater Nieremberg, „fürs
erste, als sie Ihm die Erlaubnis gab, für uns in den Tod
zu gehen. Sie gab Ihn hin, da sie allein das Leben ihres
Sohnes vor den Richtern genügend hätte verteidigen
können, während die anderen aus Haß oder Furcht es
unterließen; denn es ist wohl glaubhaft, daß die Worte
einer so weisen und für ihr Kind so zärtlichen Mutter
einen großen Eindruck gemacht hätten, wenigstens auf
Pilatus, um ihn zurückzuhalten, einen Menschen, den er
selbst für unschuldig erkannt und erklärt hatte, zum Tod
zu verurteilen. Aber nein! Maria wollte kein Wort zu
Gunsten ihres Sohnes sprechen, um seinen Tod nicht zu
verhindern, von dem unser ewiges Heil abhing.
Sie gab Ihn hin, tausend und tausendmal am Fuß des
Kreuzes in jenen drei Stunden,
die sie beim Tod ihres Sohnes zugegen war; denn da tat
sie nichts anderes, als jeden Augenblick in einem
Übermaß von Schmerz und Liebe zu uns das Leben ihres
Sohnes mit so großer Standhaftigkeit aufzuopfern, daß,
wie die hl. Anselm und Antonin sagen, wenn die Schergen
gemangelt hätten, sie selber ihren Sonn aus Gehorsam
gegen den himmlischen Vater gekreuzigt hätte, der
wollte, daß Er für unser Heil den Tod erleide. Und wenn
schon Abraham eine ähnliche Tat heldenmütiger Stärke
vollbrachte, indem er mit eigenen Händen seinen Sohn zu
opfern bereit war, müssen wir nicht annehmen, es würde
dies Maria, die heiliger und gehorsamer als Abraham war, gewiß mit größerer Standhaftigkeit getan haben?”
Doch
kehren wir zu unserem Thema zurück! O wie dankbar gegen
Maria wir für ihre Tat so großer Liebe sein sollten, für
das Opfer des Lebens ihres Sohnes, das sie unter so
großen Schmerzen gebracht hat, um uns allen das Heil zu
erwerben! Der Herr vergalt reichlich dem Abraham das
Opfer seines Isaak, das zu bringen, er schon bereit war;
aber wir - wie können wir Maria vergelten für das Leben
ihres Jesus, das sie für uns hingegeben hat, eines
Sohnes, der weit edler war und von ihr weit mehr
geliebt, als Abraham seinen Sohn liebte? „Diese Liebe Mariens,” sagt der hl. Bonaventura, „verpflichtet uns zu
großer Gegenliebe, da wir sehen, wie sie mehr als jeder
andere uns geliebt, indem sie ihren einzigen Sohn, den
sie
mehr als sich selber liebte, uns schenkte.”
Hieraus ergibt sich der weitere Grund, warum Maria uns
so sehr liebt; sie sieht nämlich, daß wir der Preis des
Todes Jesu Christi sind. Wüßte eine Mutter einen
Sklaven, den ihr einziger, geliebter Sohn um den Preis
zwanzigjähriger Gefangenschaft und Not losgekauft, wie
hoch würde sie schon in Anbetracht dessen diesen Sklaven
achten! Nun aber weiß Maria, daß ihr Sohn nur darum auf
die Erde gekommen ist, um uns Elende zu erlösen, wie Er
selbst bezeugt:
„Ich bin gekommen, selig zu machen, was
verloren war.” (Lk 19,10) Und um uns zu retten, war Er
bereit, sein Leben für uns zu geben, indem Er gehorsam
wurde bis zum Tod. (Phil 2,8) Würde darum Maria uns nur
wenig lieben, so würde sie nur geringe Hochschätzung des
Blutes ihres Sohnes als des Preises unseres Heiles an
den Tag legen.
Der hl. Nonne Elisabeth wurde geoffenbart, Maria habe
von der Zeit an, da sie im Tempel weilte, nichts anderes
getan, als zu bitten, Gott wolle bald seinen Sohn
herabsenden, die Welt zu erlösen. Um wie viel mehr liebt
sie uns jetzt, da wir ihrem Sohn so teuer waren, daß Er
sich nicht scheute, uns um einen so hohen Preis zu
erkaufen. Und da alle Menschen von Jesus erlöst sind, so
liebt und schirmt Maria alle. Der hl. Johannes sah sie
bekleidet mit der Sonne: „Ein großes Zeichen erschien am
Himmel. Eine Frau mit der Sonne bekleidet.” (Offb 12,1)
Es heißt darum:
„Mit der Sonne bekleidet”, da so wie niemand auf Erden
sich vor der Hitze der Sonne bergen kann, „es sich
niemand findet, der sich bergen kann vor ihrer Hitze” (Ps
18,7); so lebt auch niemand auf Erden, der der Liebe
Mariens beraubt wäre. „Und wer ist imstande die Fürsorge
zu begreifen, die diese liebreiche Mutter für uns alle
hat!,” sagt der hl. Antonin, Deshalb bietet und schenkt
sie allen ihre Barmherzigkeit.
„Allen öffnet sie den Schoß ihrer Barmherzigkeit.”
Da unsere Mutter das Heil aller verlangte, hat sie auch
zum Heil aller mitgewirkt.
Es ist gewiß, bestätigt der hl. Bernhard, daß Maria für
das gesamte Menschengeschlecht Sorge getragen hat. Daher
ist die Übung einiger Verehrer Mariens so nützlich,
welche, wie Cornelius a Lapide berichtet, den Herrn um
jene Gnaden zu bitten pflegen, welche die allerseligste
Jungfrau für sie verlangt, indem sie sprechen: Herr, gib
mir, was die heiligste Jungfrau Maria für mich begehrt!
- „Und mit Recht,” sagt der genannte Schriftausleger,
„denn unsere Mutter begehrt für uns größere Güter, als
wir selber wünschen können.” Und der fromme Bernhardin
von Bustis sagt, daß Maria mehr liebe, uns Gutes zu tun
und uns Gnaden zu spenden, als wir begehren, sie zu
empfangen. Deswegen wendet der hl. Albert Der Große auf
Maria die Worte der Weisheit an: „Sie kommt denen zuvor,
die nach ihr verlangen, um zuerst sich ihnen zu
offenbaren.” (Wsh 6,14) Maria kommt allen zuvor, die sie
suchen, und läßt sich finden, ehe sie gesucht wird.
Und so groß, sagt Richard von St. Viktor, ist die Liebe,
die diese gute Mutter zu uns trägt, daß sobald sie
unsere Nöte sieht, sie uns sogleich zu Hilfe kommt. „Schneller kommt ihre Liebe uns entgegen, als sie
angerufen wird.” Nun, wenn Maria so gütig ist gegen
alle, selbst gegen Undankbare und Gleichgültige, die sie
nur wenig lieben und nur selten ihre Zuflucht zu ihr
nehmen, wieviel lieber wird sie dann gegen solche sein,
die sie lieben und häufig anrufen! „Leicht wird sie
gesehen von denen, die sie lieben, und wird gefunden von
denen, die sie suchen.” „O wie leicht ist Maria von
allen,” sagt der hl. Albert Der Große, „zu finden, die
sie lieben, und zu finden voll Mitleid und Liebe!” „Ich
liebe, die mich lieben,” (Sir 8,17) Obwohl diese
liebreichste Herrin alle Menschen wie ihre Kinder liebt,
so erkennt und liebt sie doch besonders jene, die eine
zärtlichere Liebe zu ihr tragen, wie der hl. Bernhard
lehrt. Diese glückseligen Liebhaber Mariens - behauptet
der Idiote - empfangen nicht allein ihre Liebe, sondern
sogar ihre Liebesdienste. „Ist Maria, die Jungfrau,
gefunden, so ist jegliches Gut gefunden; denn sie liebt
diejenigen, die sie lieben, ja sie dient sogar
denjenigen, die ihr dienen.”
Man liest in der Chronik des Dominikanerordens, daß
Bruder Leodat von Montpellier sich dieser Mutter der
Barmherzigkeit zweihundertmal des Tages empfohlen habe.
Da er nun dem Tod nahe war, sah er plötzlich zu seiner
Seite eine Königin von wunderbarer Schönheit, die zu ihm
sprach: „Leodat, willst du sterben und zu meinem Sohn
und zu mir kommen?” Er antwortete: „Wer bist du denn?”
und die seligste Jungfrau erwiderte: „Ich bin die Mutter
der Barmherzigkeit. Du hast mich so vielmal angerufen;
siehe, nun bin ich gekommen, dich mit mir zu nehmen. Laß
uns in den Himmel gehen!” Leodat starb am gleichen Tag,
und wir vertrauen, daß er Maria in das Reich der Seligen
gefolgt sei.
O süßeste Jungfrau Maria, selig ist, wer dich liebt! Der
ehrwürdige, hl. Johannes Berchmans aus der Gesellschaft
Jesu pflegte zu sagen: „Wenn ich Maria liebe, so bin ich
der Beharrlichkeit sicher und werde von Gott erlangen,
was ich begehre.” Darum konnte der fromme Jüngling
niemals satt werden, den Vorsatz zu erneuern und oft die
Worte innerlich zu wiederholen: „Ich will Maria lieben;
ich will Maria lieben.” „ O wie übertrifft diese gute
Mutter alle ihre Kinder an Liebe! Mögen diese sie
lieben, soviel sie immer können; immer ist Maria noch
liebreicher,
als die sie lieben,” sagt der hl. Ignatius der Märtyrer.
Mögen sie Maria lieben wie ein hl. Stanislaus Kostka,
der diese seine teure Mutter so zärtlich liebte, daß er,
von ihr sprechend, jeden Hörer zu ihrer Liebe bewegte.
Er bildete zur Ehre ihres Namens sich neue Worte und
neue Titel. Er verrichtete keine Handlung, ohne zuvor an
ein Bild von ihr sich zu wenden und ihren Segen zu
erbitten. Betete er die Tagzeiten, den Rosenkranz oder
andere Gebete, so sprach er mit solcher Innigkeit und
solchem Ausdruck, als rede er mit Maria von Angesicht zu
Angesicht. Hörte er das Salve Regina singen, so war
seine Seele und selbst sein Angesicht entflammt. Als er
eines Tages mit einem Jesuitenpater ein Bild der
allerseligsten Jungfrau besuchte, fragte ihn dieser, wie
sehr er Maria liebe? „Mein Pater”, antwortete er, „was
kann ich mehr sagen: Sie ist meine Mutter!” Dieser Pater
erzählte nachher, der heilige Jüngling habe diese Worte
mit so zärtlicher Stimme, Gebärde und solcher Inbrunst
ausgesprochen, daß er nicht einem Jüngling, sondern
einem Engel glich, der von seiner Liebe zu Maria
spricht.
Lieben sie Maria wie der hl. Hermann Joseph, der sie
seine geliebte Braut nannte, da er mit dem Namen
Bräutigam von Maria selbst geehrt wurde; wie der hl.
Philipp Neri, der schon bei dem Gedanken an Maria Trost
empfand und sie darum seine Wonne nannte; wie der hl.
Bonaventura, der sie nicht nur seine Herrin und Mutter,
sondern selbst sein Herznannte, um die Inbrunst seiner
Liebe zu offenbaren:
„Sei gegrüßt, meine Herrin, meine Mutter, ja mein Herz
und meine Seele.”
Lieben sie Maria wie jener große Verehrer Mariens, der
hl. Bernhard, der diese süßeste Mutter so sehr liebte, daß er sie die
Räuberin der Herzen nannte. Und um seine
brennende Liebe zu ihr auszudrücken, rief er zu Maria:
„Hast du nicht mein Herz geraubt?”
Nennen sie Maria ihre Geliebte, wie der
hl. Bernhardin
von Siena, der sie alle Tage vor einem andächtigen Bild
besuchte, um in zärtlichen Liebesseufzern dieser Königin
seine Liebe zu erklären. Befragt, wohin er denn jeden
Tag gehe, sagte er: „Meine Geliebte zu suchen.”
Lieben sie Maria wie der hl. Aloisius Gonzaga, der
beständig von solcher Liebe zu Maria glühte, daß sein
Herz schon beim bloßen Klang des süßesten Namens seiner
teueren Mutter entbrannte und diese Flamme sein
Angesicht rötete, wie alle dies bemerken konnten.
Lieben sie Maria wie ein hl. Franz Solano, der von Liebe
zu Maria wie (in heiliger Weise) betört, oftmals vor
einem Bild mit Begleitung eines Musikinstrumentes zu
singen pflegte, sprechend: „Wie die weltlichen Liebhaber
tun, so bringe auch ich meiner geliebten Königin ein
Ständchen.”
Lieben sie immerdar Maria, wie so viele ihrer Diener,
die nicht wußten, was sie tun sollten, um ihre Liebe zu
offenbaren. Pater Johannes von Trexo, aus der
Gesellschaft Jesu, frohlockte, sich einen Sklaven Mariens nennen zu dürfen, und zum Beweis, daß er ihr
Sklave sei, ging er oft in eine Kirche, sie zu besuchen.
Und was tat er dort? Beim Eintritt in die Kirche vergoß
er Tränen zärtlichster Liebe zu Maria, die er mit Zunge
und Angesicht, tausendmal den Boden küssend, wieder
auftrocknete, indem er gedachte, es sei dies das Haus
seiner geliebten Herrin. Pater Jakob Martinez, aus derselben Gesellschaft, der wegen seiner Andacht zu
Unserer Lieben Frau an ihren Festen von den Engeln in
den Himmel geleitet wurde, um die Herrlichkeit ihrer
Feier zu schauen, sagte: „Ich möchte alle Herzen der
Engel und der Heiligen besitzen, um Maria wie sie zu
lieben, und die Lebenstage aller Menschen, um sie alle
der Liebe Mariens zu weihen.”
Gelangen sie dahin, Maria zu lieben wie
Karl, der Sohn
der hl. Birgitta, der sagte, er finde nirgends besseren
Trost auf dieser Welt, als in der Gewißheit, wie sehr
Maria von Gott geliebt werde. Auch fügte er bei, daß er
gern jede Pein auf sich nehmen wollte, um zu verhindern,
daß Maria, so dies möglich wäre, auch nur das
allerkleinste Teilchen ihrer Größe verliere; ja, könnte
er selbst diese Größe besitzen, so würde er auf sie zu
Gunsten Mariens, die derselben unendlich würdiger sei,
Verzicht leisten.
Wünschen sie, ihr Leben zum Beweis der Liebe zu Maria
hinzugeben, wie es Alfons Rodriguez begehrte. Mögen sie
endlich dahin gelangen, mit scharfen Eisenspitzen den
liebenswürdigen Namen Mariens in ihre Brust einzugraben,
wie es der Ordensmann Franziskus Binanzius und
Radegundis, die Gemahlin des Königs Chlotar getan, oder
mit glühendem Eisen sich diesen geliebten Namen noch
tiefer und bleibender in ihr Fleisch brennen, wie es
ihre Verehrer Johann Baptist Archinto und Augustin
dEspinosa, beide aus der Gesellschaft Jesu, von
Liebe gedrängt, gemacht haben.
[Wie viele lassen sich heute mit unheiligen Zeichen
tätowieren!]
Sie mögen also tun oder sich zu tun vornehmen, was immer
nur einem Liebenden möglich ist, der seine Zuneigung der
geliebten Person nach Kräften zu erkennen geben will;
nie werden die Liebhaber Mariens dahin gelangen, Maria
so zu lieben, wie sie von ihr geliebt sind. „Ich weiß,
meine Herrin,” sagt der hl. Petrus Damian,
„daß du von allen, die dich lieben, die am meisten
Liebende bist, und daß deine Liebe zu uns von keiner
anderen Liebe sich übertreffen läßt.” Der ehrwürdige
Alfons Rodriguez, aus der Gesellschaft Jesu, kniete
einmal zu den Füßen eines Marienbildes; da fühlte er
sich von Liebe zur seligsten Jungfrau entbrennen und
brach in die Worte aus: „Meine liebenswürdigste Mutter,
ich weiß, daß du mich liebst; aber du liebst mich doch
nicht so sehr, wie ich dich liebe.” Darauf sprach Maria,
gleich als in ihrer Liebe verletzt, aus dem Bild: „Was
sagst du, Alfons? Was sagst du? O wieviel größer ist die
Liebe, die ich zu dir trage, als jene, die du zu mir
trägst! Wisse, daß nicht so groß der Abstand von Himmel
und Erde, als zwischen meiner und deiner Liebe ist.”
Mit Recht also ruft der hl. Bonaventura
aus: „Selig
jene, die das Glück haben, treue und liebende Diener
dieser liebreichsten Mutter zu sein!” Ja, denn diese
überaus gütige Königin läßt sich nie an Liebe durch ihre
Verehrer übertreffen. „Nie wird sie in diesem Wettstreit
von uns überwunden werden. Sie vergilt Liebe mit Liebe,
und zu den früheren Wohltaten fügt sie immer neue
hinzu.”
Maria ahmt hierin unseren liebreichsten Erlöser nach und
vergilt durch ihre Gnaden und Gunstbezeigungen jenen,
der sie liebt, mit verdoppelter Liebe. Mit dem
liebeglühenden hl. Anselm will also auch ich ausrufen:
„Möge mein Herz immer brennen und meine ganze Seele sich
verzehren von Liebe zu euch, o geliebter Erlöser Jesus
Christus
und meine teuere Mutter Maria! Da ich aber ohne eueren
Beistand euch nicht lieben kann, so gewährt, ich bitte,
o Jesus und Maria, gewährt meiner Seele um euerer
eigenen, nicht um meiner Verdienste willen die Gnade,
daß ich euch liebe, wie ihr es verdient. O Gott, Du
Liebhaber der Menschen, Du konntest sterben für deine
Feinde, und Du solltest dem, der um die Gnade bittet,
Dich und deine Mutter zu lieben, diese Bitte verweigern
können?”
Beispiel
Der Pater Auriemma erzählt, daß ein armes Hirtenmädchen
Maria so sehr geliebt habe, daß es ihre einzige Freude
war, in eine auf einem Berg gelegene, kleine Kapelle
Unserer Lieben Frau zu gehen und darin zu verweilen,
solange ihre kleine Herde weidete, um zu beten und ihre
liebste Mutter zu verehren. Da sie das kleine
Muttergottesbild darin ohne Zierde erblickte, suchte sie
mit ihrer ärmlichen Handarbeit dieses zu bekleiden. Sie
sammelte eines Tages Feldblumen, flocht einen Kranz,
stieg auf den Altar und setzte ihn dem Bild auf das
Haupt mit den Worten: „Meine Mutter, ich wünschte auf
deine Stirn eine Krone von Gold und Edelsteinen zu
setzen; da ich aber arm bin, so empfange von mir diese
geringe Blumenkrone und nimm sie an als Zeichen meiner
Liebe zu dir!” Und so suchte das fromme Kind, seiner
geliebten Herrin ständig zu dienen und sie zu ehren.
Sehen wir nun, wie diese gute Mutter auch ihrerseits die
Besuche und die Zuneigung ihrer Tochter vergolten hat.
Diese wurde krank und kam dem Tod nahe. Da wanderten
zwei Ordensleute durch die Gegend und rasteten ermüdet
unter einem Baum. Der eine schlief, der andere blieb
wach; aber beide hatten denselben Traum. Sie sahen eine
Schar überaus schöner Jungfrauen, unter denen eine alle
anderen an Schönheit und Majestät überragte. Diese nun
fragte einer der Ordensleute: „Herrin, wer bist du, und
wohin des Weges ziehst du?” - „Ich bin,” sagte sie, „die
Mutter Gottes und will mit diesen hl. Jungfrauen im
nächsten Dorf ein sterbendes Hirtenmädchen besuchen, die
mich so vielmals besucht hat.” Mit diesen Worten
verschwand sie.
Hierauf sprachen die beiden Diener Gottes: „Auch wir
wollen zu ihr gehen!” Sie machten sich auf den Weg, und
als sie das Haus fanden, wo das sterbende Mädchen war,
kamen sie in ein kleines Gemach, wo sie es auf Stroh
liegend erblickten. Sie grüßten das Mädchen, das zu
ihnen sagte: „Brüder, bittet Gott, daß Er euch die
Gesellschaft, die bei mir steht, schauen lasse.” Beide
fielen sogleich auf die Knie und sahen Maria, die mit
einer Krone in der Hand der Sterbenden beistand und sie
tröstete. Die hl. Jungfrauen fingen an zu singen, und
unter ihrem lieblichen Gesang löste sich die gebenedeite
Seele von ihrem Leib. Maria setzte ihr die Krone auf das
Haupt, nahm die Seele zu sich und führte sie in den
Himmel ein.
Gebet
O Herrin, welche die Herzen raubt, rede ich dich mit dem
hl. Bonaventura an, o Herrin, die du durch Liebe und
Gunsterweisungen gegen deine Diener die Herzen raubst,
nimm dir auch mein elendes Herz, das so sehr dich zu
lieben wünscht. Durch deine Schönheit, o Mutter, hast du
Gott bewogen, dich zu lieben, und hast
Ihn vom Himmel in deinen Schoß herabgezogen; und ich
sollte leben, ohne dich zu lieben? Nein! Mit deinem dich
so innig liebenden Sohn Johannes Berchmans, aus der
Gesellschaft Jesu, spreche ich: „Ich will nimmer ruhen,
so lange ich nicht eine zärtliche Liebe zu meiner Mutter
Maria habe.” Ich will mir keine Ruhe mehr gönnen, bis
ich sicher bin, diese Liebe erlangt zu haben, aber eine
standhafte und zärtliche Liebe zu dir, meine Mutter, die
du mit so großer Zärtlichkeit mich schon geliebt hast,
als ich noch so undankbar gegen dich war. Was wäre aus
mir geworden, o Maria, wenn du mich nicht geliebt und
nicht so große Erbarmungen mir erlangt hättest? Da du
mich also schon geliebt hast, ehe ich dich liebte, um wieviel mehr darf ich jetzt, da ich dich liebe, von
deiner Güte hoffen?
Ich liebe dich, meine Mutter, und ich möchte ein Herz
haben, das zu lieben vermöchte für alle jene
Unglücklichen, die dich nicht lieben. Ich wünschte eine
Zunge zu haben, die dich für tausend Zunge loben könnte,
um allen Menschen deine Größe, deine Heiligkeit, deine
Barmherzigkeit und Liebe zu deinen Verehrern zu
verkünden.
Hätte ich Reichtümer, ich wollte sie alle zu deiner Ehre
verwenden; hätte ich Untergebene, ich wollte alle zu
deinen Verehrern machen. Ich möchte endlich für dich und
deine Ehre sogar mein Leben, wenn es nötig wäre, opfern.
Ich liebe dich also, meine Mutter; aber zu gleicher Zeit
fürchte ich, ich möchte dich nicht lieben; denn ich höre
sagen, daß die Liebe den Liebenden der geliebten Person
ähnlich macht. „Die Liebe findet entweder oder macht
Gleiche.” Da ich mich also dir so unähnlich sehe, so ist
das ein Zeichen, daß ich dich nicht liebe. Du bist so
rein, ich so unrein! Du bist so demütig, ich so stolz!
Du bist so heilig, ich so unheilig! Aber eben dies mußt
du bewirken, o Maria; da du mich liebst, mache du mich
dir ähnlich! Du hast ja vollkommene Macht, die Herzen
umzuwandeln; nimm also das meine und wandle es um. Laß
die Welt erkennen, was du für jene, die du liebst, zu
tun vermagst. Mache mich heilig; mache mich zu deinem
würdigen Kind. Also hoffe ich; also sei es.
Abs. 4 - Maria ist auch die Mutter der reumütigen Sünder
„Ich bin”, erklärte Maria der
hl. Birgitta, „nicht
allein die Mutter der Gerechten und Schuldlosen, sondern
auch der Sünder, wenn diese nur den Willen haben, sich
zu bessern.” O wie findet ein reumütiger Sünder, der
sich ihr zu Füßen wirft, diese gute Mutter der
Barmherzigkeit bereit, ihn zu umarmen, und mehr ihm zu
helfen, als jede leibliche Mutter es tun würde! Der hl.
Gregor VII. schrieb darüber an die Gräfin Mathilde:
„Mache dem Willen zu sündigen ein Ende, und du wirst,
ich verspreche es dir unbedenklich, Maria bereitwilliger
finden dich zu lieben, als jede leibliche Mutter.”
Wer also ein Kind dieser erhabenen Mutter zu sein
verlangt, muß zuerst die Sünde verlassen, und dann erst
darf er hoffen, von ihr zum Kind angenommen zu werden.
Richard von St. Lorenz bemerkt über die Worte: „Es
standen auf ihre Kinder und priesen sie selig”, (Spr
31,28) daß es zuerst heiße „es standen auf” und dann
erst „ihre Kinder”; „denn,” sagt er, „wer sich im Stand
der Todsünde befindet, ist nicht würdig, das Kind einer
so erhabenen Mutter genannt zu werden.” Und auch
der hl. Petrus Chrysologus bemerkt: „Wer nicht die Werke
seiner Mutter nachahmt, verleugnet seine Abkunft.” Wer
die entgegengesetzten Werke von denen Mariens
vollbringt, der leugnet durch die Tat, daß er ein Kind
Mariens sein will.
Maria ist demütig, er aber will stolz sein; Maria ist
rein, er so unrein; Maria voll Liebe, er nährt Haß gegen
den Nächsten. Ein Beweis, daß er nicht ein Kind dieser
hl. Mutter ist, noch sein will. „Die Kinder Mariens,”
bemerkt Richard, „sind ihre Nachahmer in Keuschheit,
Demut, Sanftmut, Barmherzigkeit.” Wie aber dürfte einer
sich erkühnen, ein Kind Mariens zu sein, der ihr durch
sein Leben so sehr mißfällt? Einmal sprach ein Sünder zu
Maria: „Zeige, daß du Mutter bist”; aber die
allerseligste Jungfrau antwortete ihm: „Zeige dich als
Sohn!” Ein anderer rief zu dieser göttlichen Mutter mit
den Worten: „Mutter der Barmherzigkeit”; aber Maria
entgegnete ihm: „Wenn ihr sündhafte Menschen nach meiner
Hilfe begehrt, dann nennt ihr mich Mutter der
Barmherzigkeit; doch hört ihr nicht auf, durch eure
Sünden mich zu einer Mutter der Trübsal und der
Schmerzen zu machen.”
„Verflucht ist von Gott, wer seine Mutter erbittert”;
(Sir 3,18) seine Mutter,
d.h. Maria, wie Richard bemerkt, Gott verflucht
denjenigen, der durch sein schlechtes Leben, oder mehr
noch durch seine Verstocktheit das Herz dieser guten
Mutter betrübt. [Die Sünden gegen den Hl. Geist werden
nicht vergeben. Maria ist die Braut des Hl. Geistes, wer
sie lästert, hat keine Fürsprecherin mehr.]
Ich sagte: Durch seine Verstocktheit; denn wenn ein
Mensch sich auch nicht schon völlig bekehrt hat, aber
doch sich anstrengt, die Sünde zu verlassen, und dazu
die Hilfe Mariens anruft, so wird diese Mutter nicht
unterlassen, ihm beizustehen und ihn in die Gnade Gottes
zurückzubringen. Dies vernahm eines Tages die hl.
Birgitta aus dem Mund Jesu Christi selbst, da Er, mit
seiner Mutter sprechend, sagte:
„Du verleihst Hilfe dem, der zu Gott sich erheben will,
und keinen läßt du ungetröstet von dir.” So lange darum
der Sünder verstockt ist, kann ihn Maria nicht lieben;
wenn er aber von einer Leidenschaft gefesselt ist, die
ihn zum Sklaven der Hölle macht, und wenn er sich dabei
doch der seligsten Jungfrau anempfiehlt und mit
Vertrauen und Beharrlichkeit um Rettung aus der Sünde zu
ihr fleht, so dürfen wir nicht zweifeln, daß diese gute
Mutter ihre mächtige Hand ausstrecken, ihn aus den
Ketten losmachen und in den Stand des Heiles geleiten
wird.
Von der Kirchenversammlung zu Trient ist die Behauptung
als Irrlehre verurteilt worden, als seien alle Gebete
und Werke, die ein im Stand der Sünde befindlicher
Mensch verrichtet, Sünden. Der hl. Bernhard sagt, wenn
auch im Mund eines Sünders das Gebet, weil nicht von der
Liebe begleitet, nicht schön ist, so ist es doch
nützlich und wirksam, um die Sünde zu verlassen. Ähnlich
lehrt der hl. Thomas, daß das Gebet des Sünders zwar
ohne Verdienst, aber fähig ist, die Gnade der Verzeihung
zu erlangen. Diese Fähigkeit, erhört zu werden, beruht
nicht auf dem Verdienst des Betenden, sondern auf der
göttlichen Güte und den Verdiensten und Verheißungen
Jesu Christi, der sagt: „Jeder, der bittet, empfängt.”
(Lk 11,10)
Das muß auch von den Gebeten gesagt werden, welche an
die göttliche Mutter gerichtet werden. Der hl. Anselm
lehrt, wenn die Verdienste des Bittenden nicht bewirken, daß er Erhörung finde, so treten doch die Verdienste der
Mutter dafür
ein, daß er erhört wird. Auch der hl. Bernhard, mahnt
jeden Sünder, Maria zu bitten und großes Vertrauen im
Gebet zu ihr zu fassen, denn wenn auch der Sünder selbst
das nicht verdient, um was er bittet, so ist es doch
Maria um ihrer Verdienste willen gewährt, daß dem Sünder
jene Gnaden zuteil werden, um die sie für ihn zu Gott
bittet. „Weil du nicht würdig warst, beschenkt zu
werden, ist es Maria gegeben worden, auf daß du durch
sie empfängst, was immer du erhalten wirst.”
Und weiter lehrt der hl. Bernhard von der Aufgabe einer
guten Mutter: Wenn eine Mutter ihre beiden Söhne als
Todfeinde wüßte, von denen einer dem anderen nach dem
Leben trachtete, was anders würde sie tun, als auf jede
Weise sie zu versöhnen? So ist Maria, die Mutter Jesu
Christi und die Mutter der Menschen. Wenn sie nun den
Sünder als einen Feind Jesu Christi erblickt, so kann
sie das nicht ertragen und gibt sich alle Mühe, Frieden
zu stiften. „O glückselige Maria, du Mutter des
Schuldigen und Mutter des Richters; als die Mutter von
beiden kannst du nicht Zwietracht unter deinen Kindern
ertragen!”
Diese überaus gütige Herrin verlangt nichts anderes vom
Sünder, als daß er ihr sich anempfehle und den Willen
habe, sich zu bessern. Wenn Maria zu ihren Füßen einen
um Erbarmung flehenden Sünder sieht, so schaut sie nicht
auf die Schuld, die er trägt, sondern auf die Gesinnung,
in der er kommt. Ist diese gut, und hätte er auch alle
Sünden der Welt begangen, so nimmt sie ihn auf, und
diese liebreichste Mutter verschmäht es nicht, alle
Wunden seiner Seele zu heilen. Sie ist ja die Mutter der
Barmherzigkeit nicht bloß dem Namen nach, sondern ist es
in Wirklichkeit, und gibt sich als solche durch die
Liebe und Zärtlichkeit zu erkennen, mit der sie uns zu
Hilfe kommt. Dies offenbarte die allerseligste Jungfrau
der hl. Birgitta ausdrücklich mit den Worten: „Wie
schuldbeladen auch ein Sünder ist, so bin ich doch
alsbald bereit ihn, wenn er umkehrt, anzunehmen. Ich
sehe nicht auf die Größe seiner Schuld, sondern auf die
Gesinnung, in der er umkehrt, denn ich verschmähe es
nicht, seine Wunden zu salben und zu heilen, da ich
Mutter der Barmherzigkeit heiße und es in Wahrheit bin.”
Maria ist Mutter der Sünder, die den Willen haben sich
zu bekehren. Als Mutter
kann sie nicht anders als Mitleid mit ihnen haben, ja
sie fühlt das Elend ihrer Kinder, gleich als wäre es ihr
eigenes. Als die kananäische Frau Jesus Christus bat, Er
möge ihre Tochter vom Teufel, der sie peinigte befreien,
sprach sie: „Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner;
meine Tochter wird arg vom bösen Geist geplagt.” (Mt
15,22) Es war aber die Tochter nicht die Mutter, vom
Teufel gequält, weshalb sie eigentlich hätte sprechen
sollen: Habe Erbarmen mit meiner Tochter! Nicht aber:
Erbarme dich meiner! Doch nein! Sie rief: Erbarme dich
meiner! Und mit Recht, denn die Mütter fühlen alle
Leiden ihrer Kinder als ihre eigenen.
„Ebenso,” sagt Richard von St. Lorenz, „bittet Maria,
wenn sie Gott einen Sünder, der zu ihr die Zuflucht
nimmt, empfiehlt: Erbarme dich meiner!” Mein Herr,
spricht sie, diese im Stand der Sünde lebende Seele ist
meine Tochter, und darum habe Erbarmen nicht so sehr mit
ihr als mit mir, die ich ihre Mutter bin. O wollte Gott, daß alle Sünder zu dieser süßen Mutter ihre Zuflucht
nehmen, sie alle würden sichere
Vergebung von Gott erlangen! „ O Maria”, ruft voll
Erstaunen der hl. Bonaventura aus, „du nimmst dich des
von aller Welt verachteten Sünders mit mütterlicher
Liebe an und gibst ihn nicht auf, bis du den
Unglücklichen mit seinem Richter versöhnst.” Der Heilige
will sagen, so lange der Mensch in der Todsünde bleibt,
ist er von allen verabscheut und gemieden, selbst von
den leblosen Kreaturen. Das Feuer, die Luft, die Erde
möchten ihn bestrafen und Rache nehmen, um dem von ihm
verachteten Herrn die Ehre zu erstatten. Wenn aber der
Elende zu Maria die Zuflucht nimmt, verstößt sie ihn?
Nein, wenn er in der Absicht kommt, ihre Hilfe zur
Bekehrung zu erlangen, so nimmt sie mit mütterlicher
Liebe sich seiner an und läßt ihn nicht mehr, bis sie
durch ihre mächtige Fürsprache ihn mit Gott versöhnt und
in seine Gnade zurückbringt.
Im zweiten Buch der Könige
(2 Kg 14,5) lesen wir, daß
jene weise Frau von Thekua zu David sagte: „Herr, ich
hatte zwei Söhne. Zu meinem Unglück hat der eine den
anderen getötet, und so habe ich bereits einen Sohn
verloren. Nun will aber die Gerechtigkeit mir auch noch
den anderen, den einzigen, der mir noch geblieben ist,
nehmen. Habe also Mitleid mit mir Armen! Bewirke, daß
ich doch nicht alle beide Söhne verliere!” David
erbarmte sich dieser Mutter, sprach den Schuldigen frei
und schenkte ihn ihr. Dasselbe sagt Maria, wenn sie Gott
gegen einen Sünder, der sich ihr anempfiehlt, erzürnt
sieht: O mein Gott! Ich hatte zwei Söhne, Jesus und
diesen Menschen. Der letztere hat meinen Jesus getötet
am Kreuz; nun will deine Gerechtigkeit den Menschen
verurteilen. O Herr, mein Jesus ist schon tot, habe also
Mitleid mit mir, und da ich den einen Sohn bereits
verloren habe, lasse nicht zu, daß ich auch noch den
anderen verliere. Ach, gewiß wird Gott jene Sünder nicht
verdammen, die zu Maria fliehen und sich ihrer
Fürsprache teilhaftig machen; denn Gott selber hat ja
diese Sünder Maria als Kinder anbefohlen.
Der fromme Landsperg läßt den Herrn sagen: „Ich habe
Maria die Sünder als ihre Kinder übergeben; darum ist
sie so besorgt, ihr Amt zu erfüllen und keinen der ihr
Anvertrauten, und besonders die sie anrufen, zugrunde
gehen zu lassen, sondern alle, wie sie kann, zu mir
zurückzuführen.” Und Blosius ruft aus: „Wer vermag die
Güte, Barmherzigkeit, Treue und Liebe zu beschreiben,
mit der diese Mutter uns zu retten sucht, wenn wir sie
um Hilfe bitten?”
Werfen wir uns also vor dieser guten Mutter nieder, so
schließe ich mit dem hl. Bernhard, umschlingen wir ihre
hl. Füße und verlassen wir sie nicht, bis sie uns segnet
und so zu ihren Kindern annimmt. Wer könnte an der Liebe
dieser guten Mutter zweifeln? „Auch wenn sie mich töten
sollten”, sagt der hl. Bonaventura, „will ich auf sie hoffen, und voll Vertrauen wünsche
ich, neben ihrem Bild zu sterben, und ich werde selig
sein.” So soll jeder Sünder sprechen, der zu dieser
mitleidsvollen Mutter seine Zuflucht nimmt: „O meine
Herrin und meine Mutter! Durch meine Sünden verdiene
ich, von dir verstoßen und nach Gebühr gezüchtigt zu
werden; aber selbst wenn du mich zurückweisen und mich
sterben lassen würdest, so werde ich das Vertrauen nicht
verlieren, da es deine Sache ist, mich zu retten. Auf
dich vertraue ich ganz und gar, und sollte mir
beschieden sein, vor deinem Bild und unter Anrufung
deiner Barmherzigkeit zu sterben, so habe ich die
Hoffnung nicht verloren, sondern
hoffe in den Himmel einzugehen, um vereint mit so vielen
deiner Diener dich zu preisen, die dich im Sterben um
deinen Beistand angerufen und durch deine mächtige
Vermittlung das Heil erlangt haben.”
Man lese das folgende Beispiel, um zu sehen, wie kein
Sünder je an der Barmherzigkeit und Liebe dieser guten
Mutter verzweifeln darf, wenn er zu ihr seine Zuflucht
nimmt.
Beispiel
Vinzenz von Beauvais erzählt, daß um das Jahr 1430 in
einer Stadt Englands ein adeliger Jüngling, namens
Ernst, sein ganzes Vermögen an die Armen verteilt und
dann als Mönch in einem Kloster so vollkommen gelebt
habe, daß die Oberen ihn besonders wegen seiner
ausgezeichneten Andacht zur allerseligsten Jungfrau sehr
schätzten. Da geschah es, daß in jener Stadt die Pest
ausbrach. Die Bürger wandten sich an das Kloster um
Hilfe des Gebetes. Da befahl der Abt dem Ernst, er solle
vor dem Muttergottesaltar beten und nicht mehr weggehen,
bis Maria ihn erhören würde. Der Jüngling verharrte dort
drei Tage; endlich erhielt er von Maria zur Antwort, daß
bestimmte Andachten gehalten werden sollen. Das geschah,
und die Pest hörte auf. In der Folge erkaltete jedoch
der junge Mann in seiner Andacht zu Maria, und der
Teufel bestürmte ihn mit vielen Versuchungen, besonders
gegen die Reinheit und zur Flucht aus dem Kloster. Da
nun der Unglückliche es unterließ, sich Maria zu
empfehlen, ging er auf den Gedanken ein, zu fliehen und
über die Mauer des Klosters zu klettern. Es führte ihn
der Weg an einem Bild Mariens im Klostergang vorüber,
und da sagte die Mutter Gottes zu ihm: „Mein Sohn, warum
willst du mich verlassen?” Bestürzt und voll Reue warf
sich Ernst zu Boden und sagte: „Aber, meine Herrin,
siehst du nicht, daß ich nimmer länger widerstehen kann?
Warum hilfst du mir nicht?” Da antwortete die Mutter
Gottes: „Warum hast du mich nicht angerufen? Hättest du
dich mir anbefohlen, dann wärst du nicht soweit
gekommen. Von nun an befiehl dich mir und zweifle
nicht.” Ernst kehrte in seine Zelle zurück; aber die
Versuchungen kamen wieder. Auch jetzt dachte er nicht
daran, sich Maria zu empfehlen, und zuletzt floh er aus
dem Kloster und ergab sich einem sehr schlechten Wandel,
bis er, von einem Verbrechen in das andere fallend,
zuletzt ein Mörder wurde. Er nahm eine Herberge zur
Miete, in der er des Nachts die unglücklichen Reisenden
ermordete. Unter anderem tötete er eines Nachts den
Neffen des Stadthauptmannes, der nach entdeckter Tat ihm
den Prozeß machen und den Mörder zum Galgen verurteilen
wollte.
Noch war der Prozeß nicht eingeleitet, als ein junger
Edelmann in der Herberge einkehrte, und der ruchlose
Gastwirt über ihn den gewohnten Entschluß faßte. Er
schlich nachts in das Gemach, ihn zu ermorden; doch
siehe! Auf dem Bett erblickte er nicht den Edelmann,
sondern ein mit Wunden bedecktes Kruzifix, das ihn
mitleidig anschauend sagte: „Ist es dir nicht genug, du
Undankbarer, daß ich einmal für dich gestorben bin?
Willst du noch einmal mir das Leben nehmen? Wohlan,
strecke deine Hand aus und töte mich!” Da fing der arme
Ernst bestürzt zu weinen an und sagte: „Mein Herr, da du
mir so große Barmherzigkeit erzeigst, siehe, so will ich
zu dir zurückkehren.” Sogleich verließ er das Gasthaus,
um nach seinem Kloster
zurückzugehen und dort Buße zu tun. Aber auf dem Weg
wurde er von den Dienern der Gerechtigkeit ergriffen und
vor den Richter gebracht, dem er alle seine Mordtaten
gestand. Dafür wurde er zum Strang verurteilt, ohne daß
ihm Zeit zum Beichten gelassen wurde. Da nun empfahl er
sich Maria. Schon war er an den Galgen geknüpft; aber
Maria bewirkte, daß er nicht starb. Sie selbst löste den
Strick und sagte zu ihm: „Kehre zum Kloster zurück; tue
Buße, und wenn du in meiner Hand den Freibrief von
deinen Schulden erblicken wirst, dann bereite dich zum
Tod.” Ernst kehrte zurück, erzählte alles seinem Abt und
tat große Buße. Nach vielen Jahren sah er in der Hand Mariens den verheißenen Freibrief. Alsbald machte er
sich bereit zu sterben und nahm ein heiliges Ende.
Gebet
O meine mächtigste Königin und würdigste Mutter meines
Gottes, heiligste Maria! Ich fühle mich so unwürdig und
schuldbeladen, daß ich nicht wagen sollte, dir zu nahen
und dich meine Mutter zu nennen. Doch soll mein Elend
mich nicht des Trostes und der Zuversicht berauben, die
ich empfinde, so Mutter ich dich nenne. Ich weiß, daß
ich verdiene, von dir verstoßen zu werden; aber ich
bitte, sieh an, was Jesus, dein Sohn, für mich getan und
gelitten hat, und dann verstoße mich, wenn du kannst.
Ich bin ein armer Sünder, der mehr als andere die
göttliche Majestät verachtet hat; aber das Übel ist
geschehen. Nun nehme ich meine Zuflucht zu dir. Du
kannst helfen, meine Mutter.
Hilf mir; sage nicht, du kannst mir nicht helfen; denn
ich weiß, daß du allmächtig bist und alles erlangst, was
du von deinem Gott begehrst. Solltest du mir deine Hilfe
verweigern, so sage wenigstens, zu wem ich fliehen soll,
um für so großes Unglück Erleichterung zu finden. Mit
dem hl. Anselm rufe ich zu dir und zu deinem Sohn:
„Entweder erbarmt euch des Elenden, du, mein Erlöser,
durch Verschonung, du, meine Mutter, durch deine
Vermittlung, oder zeigt mir, wer mitleidsvoller ist, zu
dem ich fliehen und auf den ich mehr vertrauen könnte.”
Nein! Weder im Himmel noch auf Erden kann ich jemanden
finden, der mit den Elenden größeres Mitleid hätte, der
besser als ihr mir helfen könnte. Du, o Jesus, sei mein
Vater und du, Maria, sei meine Mutter. Ihr liebt die
Unglücklichsten und sucht sie auf, sie zu retten. Ich
habe die Hölle verschuldet und bin der Elendeste von
allen; aber ihr habt nicht nötig, mich zu suchen; ich
mache darauf keinen Anspruch; ich stelle mich selbst
euch vor in fester Hoffnung, daß ich von euch nicht
verlassen bleibe. Seht mich hier zu euren Füßen! Mein
Jesus, Vergebung! Maria, komm mir zu Hilfe!
[Die
Anrufung zur Mutter der Barmherzigkeit wirkt gewaltig
bei Besessenheit.]
2. Kap. - Unser Leben, unsere Süßigkeit
Abs. 1 - Maria ist unser Leben, weil sie uns Verzeihung
der Sünden erlangt
Um es gut zu verstehen, aus welchem Grund die hl. Kirche
uns Maria unser Leben nennen läßt, muß man wissen, daß
gleichwie die Seele dem Körper, so die göttliche Gnade
der Seele das Leben gibt. Eine Seele ohne Gnade hat nur
den Namen, daß
sie lebe, aber in Wahrheit ist sie tot, wie es in der
geheimen Offenbarung heißt:
„Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot.”
(Offb
3,1) Indem also Maria durch ihre Vermittlung den Sündern
die Gnade erwirbt, gibt sie ihnen das Leben. Hören wir,
welche Worte die hl. Kirche Maria in den Mund legt,
indem sie folgende Stelle aus den Sprichwörtern auf sie
anwendet: „Wer mich sucht, wird mich finden.”
(Spr 8,17)
Jene Eifrigen, die schon am frühesten Morgen zu mir ihre
Zuflucht nehmen, sobald nämlich, als sie nur können,
diese werden mich sicher finden. „Sie werden mich
finden”, oder nach der Septuaginta: „Sie werden die
Gnade finden.” Es ist also dasselbe, zu Maria seine
Zuflucht nehmen und die Gnade Gottes wiederfinden.
„Wer mich findet, findet das Leben, und schöpft das Heil
vom Herrn.” (Spr 8,35)
„Hört”, ruft der hl. Bonaventura
bei diesen Worten aus, „hört es, die ihr nach dem Reich
Gottes trachtet! Ehrt die allerseligste Jungfrau Maria,
und ihr findet das Leben und das ewige Heil.”
Der hl. Bernhardin von Siena lehrt, daß Gott den
Menschen nach dem Sündenfall wegen der besonderen Liebe
zu dieser seiner künftigen Tochter verschont habe. Auch
hält es der Heilige für gewiß, daß Gott alle Erbarmung
und Sündenvergebung im alten Bund den Menschen nur im
Hinblick auf die gebenedeite Jungfrau erteilt habe. Mit
Recht ermahnt uns darum der hl. Bernhard: „Suchen wir
die Gnade, aber suchen wir sie durch Maria.” Haben wir
Elende die Gnade verloren, so suchen wir doch, sie
wieder zu erlangen; aber suchen wir sie durch die
Vermittlung Mariens; denn haben wir sie verloren, so hat
sie diese wieder gefunden. Darum nennt sie der Heilige
„Finderin der Gnaden.” Dieses drückte zu unserem Trost
der hl. Erzengel Gabriel aus, da er zur allerseligsten
Jungfrau sprach: „Fürchte dich nicht, Maria, du hast die
Gnade gefunden.”
(Lk 1,30)
Da Maria aber niemals der Gnade beraubt war, wie konnte
der Erzengel sagen, daß sie dieselbe wieder gefunden
habe? Man nennt nur jene Sache wieder gefunden, die man
nicht mehr hatte. Die seligste Jungfrau aber war
immerdar mit Gott und der Gnade vereinigt, ja, sie war
voll der Gnade, wie dies der Erzengel bezeugte, indem er
sie grüßte: „Gegrüßet seist du, Gnadenvolle, der Herr
ist mit dir.” Wenn also Maria nicht für sich selbst die
Gnade wieder finden konnte, da sie ja immer damit
erfüllt war, für wen denn hat sie diese gefunden?
Der Kardinal Hugo antwortet in seiner Erklärung dieser
Stelle: „Sie hat die Gnade gefunden für die Sünder, die
sie verloren hatten. Sie mögen also eilen, sagt dieser
fromme Schriftsteller, sie mögen eilen zu dieser
Jungfrau, die Sünder, welche die Gnade durch ihre Schuld
verloren haben, und sie werden sicher dieselbe bei ihr
wieder finden. Sie mögen voll Vertrauen sprechen: Gib
uns unser Eigentum zurück, das du gefunden hast.”
Richard von St. Lorenz zieht aus demselben Gedanken den Schluß: Wenn wir die Gnade des Herrn zu finden wollen,
gehen wir zu Maria, die sie gefunden hat, und die sie
immer findet. Und da sie Gott immer wohlgefällig war und
es immer sein wird, so werden wir, wenn wir zu ihr
unsere Zuflucht nehmen, sicher die Gnade finden. Maria
selbst spricht es aus im Hohenlied, Gott habe sie in
diese Welt gestellt, um unsere Verteidigung zu sein.
„Ich bin eine Mauer und meine Brüste sind wie Türme.”
(Hl 8,10) Sie ist also zur Friedensmittlerin zwischen
Gott und den Sünder bestellt. „Ich bin vor Gott geworden
die, welche den Frieden findet» Bei der Erklärung dieser
Worte spricht der hl. Bernhard dem Sünder Mut zu mit den
Worten: „Gehe zur Mutter der Barmherzigkeit, und zeige
ihr die Wunden, die du durch deine Schuld in der Seele
trägst, sie wird dann gewiß ihren Sohn bitten, bei der
Milch, die sie Ihm reichte, daß Er dir verzeihe; und der
Sohn, der sie so sehr liebt, wird sie gewiß erhören.”
Und in der Tat will auch die hl. Kirche, daß wir den
Herrn bitten, Er möge uns den mächtigen Beistand der
Fürsprache Mariens gewähren, um von unseren Sünden
aufzustehen. „Barmherziger Gott, schenke unserer
Gebrechlichkeit eine Stütze, auf daß wir, die wir das
Gedächtnis der heiligsten Gottesgebärerin feiern, durch
Hilfe ihrer Fürbitte von unseren Sünden erstehen mögen.”
Mit Recht nennt darum der hl. Laurentius Justinianus
Maria „die Hoffnung der Übeltäter.”; denn sie allein ist
es, die ihnen von Gott Verzeihung erlangt. Mit Recht
nennt der hl. Bernhard sie „Die Leiter der Sünder;” denn
sie, die mitleidsvolle Königin, ist es, die den armen
Gefallenen die Hand reicht, sie aus dem Abgrund der
Sünde herausreißt und bewirkt, daß sie wieder zu Gott
sich erheben.
Mit Recht nennt sie der hl. Augustinus die einzige
Hoffnung für uns Sünder; denn nur durch ihre Vermittlung
können wir Nachlaß all unserer Sünden erhoffen. Und
ebenso lehrt auch der hl. Johannes Chrysostomus, daß
einzig durch die Vermittlung Mariens die Sünder
Verzeihung erlangen, und im Namen aller Sünder grüßt
dieser Heilige Maria mit den Worten: „Sei gegrüßt du
Mutter Gottes und unsere Mutter, du Himmel, in dem Gott
selber wohnt, du Thron, auf dem der Herr alle Gnaden
spendet. Bitte Jesus allezeit für uns, damit wir durch
deine Fürbitte Verzeihung erlangen können am Tag der
Rechenschaft und die Herrlichkeit der Seligen in der
Ewigkeit.”
Mit Recht endlich wird Maria die Morgenröte genannt.
„Wer ist die, welche aufsteigt wie die anbrechende
Morgenröte?” (Hl 6,9) Papst Innocenz III. sagt: „Da die
Morgenröte das Ende der Nacht und der Anfang des Tages
ist, so wird die Jungfrau Maria mit Wahrheit durch die
Morgenröte bezeichnet, die den Lastern ein Ende macht.”
Und die gleiche Wirkung, die durch die Geburt Mariens in
der Welt entstand, bringt nun die Andacht zu ihr in der
Seele hervor. Sie beendet die Nacht der Sünde und
bewirkt, daß die Seele auf dem Weg der Tugend
voranschreitet. Deshalb sagt der hl. Germanus zu ihr: „O
Mutter Gottes, dein Schutz gibt Unsterblichkeit, deine
Fürbitte ist das Leben.” Und in der Rede, die der
Heilige über den Gürtel der heiligsten Jungfrau hielt,
sagt er, daß der Name Maria für den, der ihn mit Liebe
ausspricht, entweder ein Zeichen des Lebens sei, oder
daß er in Bälde das Leben besitzen werde.
Maria sagte in ihrem Lobgesang: „Von nun an werden mich
selig preisen alle Geschlechter.” (Lk 1,48)„Ja, meine
Herrin”, sagt der hl. Bernhard, „deswegen werden dich
alle Menschen selig preisen, weil alle deine Diener
durch deine Vermittlung das Leben der Gnade und die
ewige Herrlichkeit erlangen.” Durch dich finden die
Sünder die Verzeihung und die Gerechten die
Beharrlichkeit und schließlich das ewige Leben.
„Verliere das Vertrauen nicht, o Sünder”, sagt der
fromme Bernhardin
von Bustis, „auch wenn du alle Sünden begangen hättest,
dann fliehe voll Zuversicht zu dieser Herrin; denn du
wirst sie finden die Hände voll Barmherzigkeit”, und
fügt er hinzu: „Mehr verlangt Maria dir Gnaden zu
verleihen, als du verlangst, sie zu empfangen.”
Der hl. Andreas von Kreta nennt Maria die Bürgschaft
unserer Aussöhnung mit Gott, das will sagen: Unter der
Bedingung, daß die Sünder an Maria sich wenden, um mit
Gott versöhnt zu werden, verspricht ihnen Gott gewisse
Vergebung und gibt ihnen zur Sicherheit sogar ein
Unterpfand. Dieses Unterpfand aber ist Maria, die Gott
uns zur Fürsprecherin gegeben hat, durch deren
Vermittlung Er in Kraft der Verdienste Jesu Christi
allen Sündern, die zu ihr Zuflucht nehmen, Verzeihung
erteilt. Die hl. Birgitta vernahm von ihrem Engel, wie
die hl. Propheten in der Gewißheit frohlockten, daß Gott
um der Demut und Reinheit Mariens willen sich mit den
Sündern, die seinen Zorn herausgefordert hatten,
versöhnen und sie in seine Gnade aufnehmen will.
Kein Sünder darf fürchten von Maria verstoßen zu werden,
wenn er zu ihrer Milde die Zuflucht nimmt. Nein! Sie ist
eine Mutter der Barmherzigkeit, und als solche verlangt
sie, die Elendesten zu retten. Maria ist nach dem hl.
Bernhard jene glückliche Arche, in der den Schiffbruch
des ewigen Verderbens nicht erfahren wird, wer dahin
seine Zuflucht nimmt. In der Arche Noes wurden zur Zeit
der Sündflut selbst die Tiere gerettet; so finden unter
dem Mantel Mariens auch die Sünder ihr Heil. Die hl.
Gertrud sah eines Tages Maria mit weit geöffnetem
Mantel, unter welchen viele wilde Tiere, Löwen, Bären,
Tiger sich geflüchtet hatten, und sie sah, wie Maria sie
nicht nur nicht verscheuchte, sondern mit großer Liebe
aufnahm und liebkoste. Die Heilige erkannte daraus, daß
gerade jene Sünder, die dem Verderben am nächsten sind,
so bald sie zu Maria ihre Zuflucht nehmen, nicht
verstoßen, sondern aufgenommen und von dem ewigen Tod
gerettet werden. Treten wir also ein in diese Arche,
flüchten wir uns unter den Mantel Mariens, sie wird uns
gewiß nicht verstoßen und unfehlbar uns retten.
Beispiel
Pater Bovio erzählt von einer Frau, namens Helena, die
einen schlechten Lebenswandel führte, daß sie einmal in
einer Kirche zufällig eine Predigt über den Rosenkranz
hörte. Sie kaufte sich darauf einen Rosenkranz, den sie
heimlich trug, damit ihn niemand sehe. Sie fing an, ihn
zu beten, und obwohl sie dies ohne Andacht tat, so
flößte ihr dabei die allerseligste Jungfrau doch so viel
Trost und Gefallen daran ein, daß sie nicht mehr davon
lassen konnte. Zugleich erlangte sie solchen Abscheu vor
ihrem schlechten Wandel, daß sie keine Ruhe mehr fand,
bis sie wie notgedrungen zur hl. Beichte ging und mit
solcher Zerknirschung ihre Sünden bekannte, daß der
Beichtvater darüber in Staunen geriet. Danach eilte sie
zu den Stufen eines Marienaltars, um ihrer Fürsprecherin
zu danken. Sie betete den Rosenkranz, und die göttliche
Mutter sprach aus dem Bild zu ihr die Worte: „Helena,
lange genug hast du Gott und mich beleidigt; von heute
an ändere dein Leben, ich werde dir einen guten Teil
meiner Gnaden mitteilen.” Die arme Sünderin erwiderte
beschämt: „Ach, heiligste
Jungfrau, es ist wahr, daß ich bisher sehr lasterhaft
war, doch stehe du mir nun bei, die du alles vermagst.
Ich schenke mich dir und will durch mein ganzes übriges
Leben für meine Sünden Buße tun.”
Mit der Hilfe Mariens verteilte Helena ihr Hab und Gut
an die Armen und begann strenge Buße zu üben, Von
schrecklichen Versuchungen gepeinigt, empfahl sie sich
unablässig der Mutter Gottes, und so trug sie immer den
Sieg davon. Sie kam soweit, daß sie mit vielen selbst außerordentlichen Gaben,
Gesichtern, Offenbarungen, begnadet wurde. Bei ihrem
Tod, der ihr einige Tage vorher von Maria angekündigt
worden war, erschien ihr die allerseligste Jungfrau mit
ihrem Sohn. Beim Verscheiden sah man die Seele dieser
Sünderin in Gestalt einer schönen Taube zum Himmel
schweben.
Gebet
O Mutter meines Gottes, meine einzige Hoffnung Maria,
siehe zu deinen Füßen einen armen Sünder, der dich um
Barmherzigkeit anfleht. Die ganze Kirche und alle
Gläubigen preisen und nennen dich die Zuflucht der
Sünder. Sei also auch meine Zuflucht und werde meine
Rettung. Du weißt ja, rufe ich dir mit Wilhelm von Paris
zu, wie sehr dein Sohn unser Heil liebt. Du weißt, was
Jesus Christus gelitten, um mich zu erlösen. Ich stelle
dir, o Mutter, alle Leiden deines Jesus vor; die Kälte,
die Er geduldet im Stall, die Schritte, die Er getan auf
dem Weg nach Ägypten; seine Ermüdung, seinen Schweiß,
seine Blutvergießungen, die Todespein am Kreuz, die du
selbst mit angesehen. Laß erkennen, wie du diesen Sohn
liebst, denn, um der Liebe zu diesem Sohn willen, bitte
ich dich, mir zu helfen.
Reiche deine Hand einem Gefallenen, der dich um Erbarmen
bittet! Wäre ich heilig, so würde ich nicht deine
Erbarmung anflehen; aber ich bin ein Sünder, und darum
fliehe ich zu dir, der Mutter der Erbarmungen. Ich weiß, daß dein erbarmungs- reiches Herz Freude darin findet,
den Unglücklichen zu helfen, so du helfen kannst, wenn
du sie nicht verhärtet siehst. Verschaffe also deinem
mitleidigen Herzen diese Freude und tröste mich; denn du
hast jetzt Gelegenheit, mich armen, zur Hölle
Verdammten, zu retten, und du kannst mir helfen, da ich
nicht verstockt sein will. Ich übergebe mich in deine
Hände; sage, was ich tun soll, und erlange mir die
Kraft, es auszuführen; denn ich nehme mir fest vor,
alles zu tun, was ich kann, um in den Stand der Gnade
zurückzukehren. Ich flüchte mich unter deinen Mantel.
Jesus will, daß ich meine Zuflucht zu dir nehme, damit
ich zu deiner und seiner Verherrlichung - denn du bist
ja seine Mutter - nicht bloß seinem Blut, sondern auch
deiner Fürsprache meine Rettung verdanke. Er schickt
mich zu dir, damit du mir beistehst. Siehe also, Maria,
ich komme zu dir und auf dich vertraue ich; du bittest
für so viele andere, bitte, sprich wenigstens ein Wort
auch für mich. Sage zu Gott, du willst mich selig
wissen, und Gott wird gewiß mich selig machen. Sage
Ihm, daß ich dein bin; nichts anderes verlange ich von
dir.
Abs. 2 -
Maria ist unser Leben auch deshalb,
weil sie
uns die Beharrlichkeit erlangt
Die Beharrlichkeit bis ans Ende ist eine so große Gabe
Gottes, daß sie nach der Erklärung des hl. Konzils von
Trient ein reines Gnadengeschenk ist, das von uns nicht
verdient werden kann. Aber nach der Lehre des hl.
Augustinus erlangen alle von Gott die Gnade der
Beharrlichkeit, die Ihn darum bitten, und wie Pater Suarez lehrt, erlangen sie dieselbe unfehlbar, wenn sie
bis an das Ende ihres Lebens eifrig bedacht sind, Gott
darum zu bitten. Auch der hl. Robert Bellarmin schreibt,
daß man Tag für Tag um die Beharrlichkeit bitten müsse,
um sie für jeden Tag zu empfangen. Wenn es nun wahr ist,
wie ich nach der heutzutage (damals) allgemeinen Meinung
für gewiß halte, - was ich später, im sechsten Kapitel
beweisen werde
-, wenn es wahr ist, sage ich, daß alle Gnaden, die von
Gott uns erteilt werden, durch die Hand Mariens gehen;
so ist es auch wahr, daß wir nur durch die Vermittlung
Mariens die größte Gnade, die der Beharrlichkeit, hoffen
und erlangen können. Und gewiß werden wir sie dann
erhalten, wenn wir beständig Maria mit Vertrauen darum
bitten. Diese Gnade verheißt sie selber allen, ihr treu
in diesem Leben dienen.
„Wer in mir seine Werke tut, sündigt nicht; die mich ins
Licht setzen, erhalten das ewige Leben”,
(Sir 24,30)
Worte, welche die hl. Kirche Maria in den Mund legt.
Um im Leben der göttlichen Gnade beharren zu können,
bedürfen wir der Kraft des Geistes zum Widerstand gegen
alle Feinde unseres Heiles. Aber diese Stärke erlangen
wir nur durch die Vermittlung Mariens. „Mein ist die
Stärke, durch mich regieren die Könige,”
(Spr 8,14) Mein
ist die Stärke, sagt Maria, Gott hat diese Gabe in meine
Hände gelegt, damit ich sie meinen Verehrern mitteile.
Durch mich regieren die Könige, durch meine Vermittlung
herrschen meine Diener und gebieten über ihre Sinne und
Leidenschaften, und so machen sie sich würdig, ewig im
Himmel zu herrschen. O welche Stärke besitzen die Diener
dieser großen Herrin, um alle Anfälle der Hölle zu
überwinden! Maria ist jener Turm, von dem es im Hohenlied heißt:
„Dein Hals ist wie ein Turm Davids, der
mit Schutzwehren gebaut ist; tausend Schilde hängen
daran, die ganze Rüstung der Starken”; (Hl 4,4) Maria
ist zum Schutz derer, die sie lieben und im Kampf zu ihr
die Zuflucht nehmen, gleichwie ein starker Turm von
Schutzwehren umgeben, in dem ihre Verehrer alle Schilde
und Waffen finden, um sich gegen die Hölle zu
verteidigen.
Darum auch wird die allerseligste Jungfrau eine Platane
genannt. „Ich wachse wie eine Platane am Wasser.”
(Sir
24,19) Kardinal Hugo erklärt, daß die Blätter der
Platane Ähnlichkeit mit einem Schild haben. Es ist also
damit der Schutzangedeutet, welchen Maria jenen, die sie
anrufen, gewährt. Der sel. Amadeus gibt eine andere
Erklärung, wenn er sagt, Maria wird eine Platane
genannt, weil gleichwie die Platane unter dem Schatten
ihrer Äste dem Wanderer Schutz gegen Sonnenhitze und
Regengüsse bietet, ebenso finden die Menschen unter dem
Mantel Mariens Zuflucht vor der Hitze der Leidenschaften
und der Wut der Versuchungen.
Unglückliche Seelen, die sich von dieser Schutzwehr
entfernen und aufhören,
Maria zu verehren und in Gefahren anzurufen! Wenn in der
Welt die Sonne nicht mehr aufginge, sagt der hl.
Bernhard, was würde aus ihr werden, wenn nicht ein
Durcheinander von Finsternis und Schrecken? „Nimm die
Sonne hinweg, was bleibt übrig als Finsternis?” Verliert
eine Seele die Andacht zu Maria, so ist sie sogleich
voll Finsternis, jener Finsternis nämlich, von welcher
der Hl. Geist sagt: „Du machst Finsternis und es wird
Nacht; darin gehen alle Tiere des Waldes umher.”
(Ps
103,20) Wenn in einer Seele das göttliche Licht nicht
mehr leuchtet und es Nacht wird in ihr, so wird sie ein
Aufenthaltsort aller Sünden und aller Teufel. „Wehe”,
ruft darum der hl. Anselm aus, „wehe denen, die das
Licht dieser Sonne, d. h. die Andacht zu Maria,
verachten!”
Mit Recht fürchtete der hl. Franz Borgia für die
Beharrlichkeit jener, bei denen er keine besondere
Andacht zur allerseligsten Jungfrau erblickte. Einmal
fragte er die Novizen, zu welchem Heiligen sie eine
besondere Verehrung hätten, und da er bemerkte, daß
einige von ihnen keine besondere Andacht zu Maria
hatten, machte er den Novizenmeister aufmerksam, daß er
ein wachsames Auge auf diese Unglücklichen haben möge.
Und in der Tat, alle diese hatten das Unglück, ihre
Berufung zu verlieren; sie verließen den Orden. Darum
konnte mit Recht der hl. Germanus die seligste Jungfrau
das Atemholen der Christen nennen; denn wie der Leib
nicht leben kann, ohne zu atmen, so kann die Seele nicht
am Leben bleiben, ohne Maria anzurufen und ihr sich zu
empfehlen, durch deren Vermittlung wir sicher das Leben
der göttlichen Gnade erlangen und in uns bewahren.
„Gleichwie das Atemholen nicht bloß ein Zeichen des
Lebens, sondern seine Ursache ist, so ist auch der Name Mariens im Mund der Diener Gottes nicht allein der
Beweis, daß sie das wahre Leben besitzen, sondern auch
die Ursache und die Erhaltung dieses Lebens, und
jegliche Hilfe wird ihnen durch die Anrufung dieses
Namens zuteil.” Der sel. Alanus a Rupe wurde eines Tages
von einer heftigen Versuchung bestürmt und war schon am
Punkt zu fallen, weil er sich Maria nicht anempfohlen
hatte. Da erschien ihm aber die allerseligste Jungfrau
und gab ihm, um ihn vorsichtiger zu machen, einen
Backenstreich mit den Worten: „Hättest du dich mir
anempfohlen, so wärst du nicht in die Gefahr gekommen.”
Maria ruft uns zu: „Glückselig der Mensch, der mich hört
und der an meiner Tür Tag für Tag wacht, und wacht an
der Schwelle meiner Tür.” (Spr 8,34) Glückselig, wer
meine Stimme hört und deshalb darauf bedacht ist,
unablässig an die Pforte meiner Barmherzigkeit zu
kommen, um Licht und Beistand zu suchen. Gewiß wird
Maria bedacht sein, Erleuchtung und Stärke einem solchen
Verehrer zu erlangen, auf daß er die Sünden meide und
den Weg der Tugend wandle. Deshalb nennt sie Papst Innocenz III. mit einem schönen Ausdruck:
„Mond bei der
Nacht, Morgenrot in der Dämmerung, Sonne am Tag.” Mond
ist sie für den, der blind in der Nacht der Sünde sich
befindet, um ihn zu erleuchten, damit er den
unglücklichen Stand der Verdammnis, in dem er sich
befindet, erkenne; Morgenrot, das dem Aufgang der Sonne
vorangeht, ist sie für den, der bereits erleuchtet ist,
um ihm die Kraft zu geben, die Sünde zu verlassen und in
den Stand der Gnade zurückzukehren;
Sonne endlich ist Maria für solche, die sich bereits im
Stand der Gnade befinden, damit sie nicht wieder in
irgendeinen Abgrund fallen.
Die Gottesgelehrten wenden auf Maria jene Worte des
weisen Mannes an: „Ihre Bande sind Bande des Heiles.”
(Sir 6,31) „Warum Bande”, fragt
Richard von St. Lorenz.
„Weil sie ihre Diener fesselt, damit sie nicht in den
Gefilden der Ungebundenheit sich verirren.” Der hl.
Bonaventura erklärt im gleichen Sinn jene andere Stelle,
die wir in den Tagzeiten Mariens beten: „In der vollen
Gemeinde der Heiligen ist mein Aufenthalt.”
(Sir 24,16)
Er sagt, daß Maria sich nicht allein in der vollen
Gemeinde der Heiligen befinde, sondern daß sie auch die
Heiligen darin erhalte, auf daß sie in der
Vollkommenheit nicht rückwärts schreiten. Sie bewahrt
sie, damit sie nicht abnehmen; sie hält die Teufel in
Schranken, damit sie ihnen nicht schaden.
Von den
Dienern Mariens heißt es, daß sie mit einer doppelten
Kleidung angetan sind. „Alle ihre Hausleute sind doppelt
gekleidet.”
(Spr 31,21)
Cornelius a Lapide erklärt, was
dies für eine doppelte Kleidung sei: Mit einer doppelten
Kleidung schmückt sie ihre Verehrer, weil sie dieselben
mit den Tugenden ihres Sohnes, sowie mit ihren eigenen
ziert, und in solcher Weise bekleidet, bewahren sie die
Beharrlichkeit. Darum ermahnte der hl. Philipp Neri
seine Beichtkinder beständig mit den Worten: „Meine
Kinder, wenn ihr die Gnade der Beharrlichkeit zu
erhalten wünscht, so verehrt Unsere Liebe Frau.” Auf
ähnliche Weise sagte der hl. Johannes Berchmans aus der
Gesellschaft Jesu: „Wer Maria liebt, wird die
Beharrlichkeit erlangen.” Schön ist in Beziehung auf
diesen Gegenstand auch die Erwägung, die Abt Rupert über
die Parabel vom verlorenen Sohn anstellt. Er sagt
nämlich: „Wenn der verlorene Sohn seine Mutter noch am
Leben gehabt hätte, so würde er entweder das väterliche
Haus nie verlassen haben, oder er wäre viel schneller
wieder dahin zurückgekehrt.” Damit wollte er sagen, wer
ein Kind Mariens ist, wird entweder Gott niemals
verlassen, oder wenn es unglücklicherweise geschieht,
daß er Gott verläßt, so wird er durch die Vermittlung
Mariens schnell wieder zurückkehren.
O wenn doch alle
Menschen diese so überaus gütige und liebreiche Herrin
lieben und in ihren Versuchungen jedesmal unverweilt zu
ihr sich flüchten würden - wer würde je fallen? Wer
würde zugrunde gehen? Nur der fällt und geht zugrunde,
der nicht zu Maria seine Zuflucht nimmt. Der hl.
Laurentius Justinianus wendet jene Worte des Weisen auf
die allerseligste Jungfrau an und läßt sie sagen: „Auf
den Fluten des Meeres bin ich gewandelt, (Sir 4,8)
nämlich mit meinen Dienern, um sie aus dem Schiffbruch
zu retten. Ich wandle mit meinen Dienern mitten unter
den Stürmen, in denen sie sich befinden, um ihnen
beizustehen sie zu bewahren
vor dem Sturz in die Sünde».
Der hl. Bernhardin von Siena erzählt,
man habe einen
Vogel abgerichtet, das
„Ave Maria” zu sprechen. Als einmal ein Sperber ihm
nachsetzte,
schrie der Vogel:
„Ave Maria”, worauf der Sperber tot niederfiel. Hiermit
wollte der Herr uns belehren: Wenn schon ein
vernunftloser Vogel durch die Anrufung Mariens gerettet
wurde, um wieviel mehr werden wir aus den Händen der
Teufel errettet werden, wenn wir darauf bedacht sind, in
den Anfechtungen anzurufen. „Sobald also der Teufel
sich naht, uns zu versuchen”, sagt der hl. Thomas
„so müssen wir es machen wie die Kücken, die beim
Erscheinen des Geiers schleunigst sich unter die Flügel
ihrer Mutter flüchten; ebenso sollen auch wir, sobald
wir bemerken, daß eine Versuchung uns anfällt, ohne mit
derselben uns einzulassen, unter den Mantel Mariens uns
bergen.” „Und du”, fährt derselbe Heilige fort, „unsere
Herrin und unsere Mutter, mußt uns beschützen; denn nach
Gott haben wir keine andere Zuflucht als dich, die du
unsere einzige Hoffnung und Beschützerin bist, auf die
wir vertrauen.”
Schließen wir mit den Worten des hl. Bernhard: „O
Mensch, wer du immer bist, wisse, daß du in diesem Leben
weit mehr von Gefahren und Stürmen hin- und hergeworfen
wirst, als du auf fester Erde gehst; willst du also
nicht untergehen, so wende deine Augen nicht ab von dem
Meeresstern Maria. Schaue auf zu dem Stern, rufe Maria
an. In den Gefahren zur Sünde, in den Ängsten der
Versuchung, im Zweifel, was du zu tun hast, denke daran, daß Maria dir helfen kann, und rufe sie ohne Zögern um
Hilfe an. Ihr mächtiger Name sei immer in deinem Herzen
durch das Vertrauen und in deinem Mund durch die
beständige Anrufung. Wenn du Maria folgst, so wirst du
nicht abirren von dem Weg des Heiles; wenn du dich ihr
anempfiehlst, so darfst du nicht verzagen; wenn sie dich
hält, wirst du nicht fallen; wenn sie dich schützt, dann
fürchte nicht, daß du verloren gehst. Wenn sie dich
geleitet, wirst du, ohne zu erliegen, dein Heil wirken.
Kurz: Wenn es Maria auf sich nimmt, dich zu beschirmen,
dann wirst du gewiß zum Reich der Seligen gelangen. So
handle, und du wirst leben!”
(Lk 10,28)
Beispiel
Bekannt ist die Geschichte der
hl. Maria von Ägypten,
die im Leben der hl. Altväter erzählt wird. Im zwölften
Lebensjahr entfloh sie aus dem Haus ihrer Eltern und
begab sich nach Alexandrien, wo sie ein ehrloses Leben
führte und der ganzen Stadt zum Ärgernis wurde. Nachdem
sie sechzehn Jahre in Sünden gelebt, kam sie die Welt
durchstreifend nach Jerusalem, wo eben das Fest des hl.
Kreuzes gefeiert wurde. Mehr aus Neugierde als aus
Andacht ging auch sie zur Kirche. Als sie durch die Tür
treten wollte, fühlte sie durch eine unsichtbare Macht
sich zurückgestoßen. Sie versuchte es zum zweiten Mal,
und wiederum wurde sie zurückgestoßen. Ebenso das dritte
und vierte Mal. Da stellte sich die Unglückliche in
einen Winkel des Vorhofes und erkannte, daß Gott um
ihres schlechten Lebenswillen sie von der Kirche
zurückgewiesen habe. Zu ihrem Glück erhob sie die Augen
und erblickte ein Gemälde Mariens, das im Vorhof
angebracht war. Weinend wandte sie sich zu ihm und
sprach: „O Mutter Gottes, habe Mitleid mit dieser armen
Sünderin. Ich weiß, daß ich um meiner Sünden willen
keines Blickes von dir würdig bin; aber du bist die
Zuflucht der Sünder; aus Liebe zu Jesus, deinem Sohn,
hilf mir; mache, daß ich in die Kirche eintreten kann.
Ich will mein Leben ändern und will zur Buße dahin
gehen, wohin du mich weisen wirst.”
Und siehe! Da vernahm sie eine innere Stimme, gleich als
ob die seligste Jungfrau
ihr antworte: „Wohlan! Da du mich angerufen und dein
Leben ändern willst, so tritt in die Kirche ein, die
Pforte wird nicht mehr für dich verschlossen sein.” Die
Sünderin
ging hinein und betete weinend vor dem hl. Kreuz. Danach
kehrte sie zum Bild zurück und sprach: „Meine Herrin!
Siehe, ich bin bereit! Wo willst du, daß ich hingehe,
um Buße zu tun? ” - „Gehe über den Jordan”, antwortete die
seligste Jungfrau,
„und du wirst den Ort deiner Ruhe finden.” Sie beichtete
und kommunizierte, ging über den Fluß und kam in die
Wüste. Da erkannte sie, daß hier der Ort ihrer Buße sei.
O welche Anfechtungen bereitete ihr in den ersten
siebzehn Jahren, welche die Heilige in der Wüste
zubrachte, der Teufel, um sie aufs neue in Sünden zu
stürzen. Aber was tat sie? Sie empfahl sich unablässig
Maria, und Maria erlangte ihr Kraft, alle jene siebzehn
Jahre hindurch zu widerstehen, bis der Kampf ein Ende
nahm. Endlich, nach 57 Jahren in der Wüste, wurde sie im
Alter von 87 Jahren durch göttliche Fügung vom Abt Zosimus aufgefunden. Sie erzählte ihm ihre ganze
Lebensgeschichte und bat ihn, das folgende Jahr wieder
zu kommen und ihr die hl. Kommunion zu bringen. Der hl.
Abt kehrte wieder und reichte ihr die hl. Kommunion. Die
Heilige erneuerte auch jetzt die Bitte, daß er wieder zu
ihr kommen wolle; doch als er kam, fand er sie tot,
ihren Leichnam von Licht umflossen und über ihrem Haupt
stand geschrieben: „Begrabe hier den Leib von mir armen
Sünderin und bitte Gott für mich.” Da er sie bestatten
wollte, kam ein Löwe, der ein Grab ausscharrte. Zosimus
aber offenbarte nach seiner Rückkehr ins Kloster die
Wunder der göttlichen Barmherzigkeit an dieser
glückseligen Büßerin.
Gebet
O Mutter der Barmherzigkeit, heiligste Jungfrau, siehe
zu deinen Füßen den Treulosen, der die von Gott durch
deine Vermittlung empfangenen Gnaden mit Undank
vergolten und dich und seinen Gott verraten hat. Doch
wisse, o Herrin, mein Elend kann mir das Vertrauen auf
dich nicht rauben, sondern nur vermehren, da ich weiß,
daß es auch in dir das Mitleid gegen mich verstärkt.
Zeige, o Maria, daß du gegen mich wie gegen alle, die
dich anrufen, ebenso voll Freigebigkeit und Erbarmung
bist. Wenn du mich nur ansiehst und bemitleidest, bin
ich zufrieden. Wenn dein Herz Mitleid gegen mich trägt,
so kann es nicht unterlassen, mich zu beschützen. Unter
deinem Schutz, was könnte ich fürchten? Nichts! Nicht
meine Sünden, denn du kannst den bewirkten Schaden
wiedergutmachen; nicht die Teufel, denn du bist
mächtiger als die Hölle; nicht den gerechten Zorn deines
Sohnes, denn auf ein einziges Wort von dir ist Er
besänftigt.
Nur das fürchte ich, daß ich aus eigener Schuld
unterlasse, dir in meinen Versuchungen mich zu empfehlen
und so zugrunde gehe. Aber gerade das verspreche ich dir
nun heute; immer will ich zu dir meine Zuflucht nehmen!
Hilf mir, diesen Vorsatz ausführen! Welch schöne
Gelegenheit, dein Verlangen zu befriedigen, einem
Unglücklichen, wie ich bin, zu helfen!
O Mutter Gottes, ich habe ein großes Vertrauen auf dich.
Von dir erwarte ich die Gnade, meine Sünden nach Gebühr
zu beweinen; von dir erhoffe ich die Kraft, mich vor dem
Fall zu bewahren. Ich bin krank, aber du kannst mich
heilen, du himmlischer Arzt! Durch meine Sünden bin ich
sehr schwach, aber deine Hilfe wird mich stark machen. O
Maria, alles hoffe ich von dir, weil du alles bei Gott
vermagst. Amen.
Abs. 3 - Unsere Süßigkeit. - Maria versüßt ihren
Verehrern das Sterben
„Wer ein Freund ist, liebt allezeit, und ein Bruder
bewährt sich in der Not.” (Spr 17,17)
Die Freunde und
Brüder bewähren sich zur Zeit der Not und Trübsal, nicht
in den Tagen des Glückes. Solange jemand im Glück lebt,
wird er von den Freunden der Welt nicht verlassen; fällt
er aber in irgendein Unglück oder kommt es gar zum
Sterben, dann ist er urplötzlich von den Freunden im
Stich gelassen. Nicht so verfährt Maria mit ihren
Dienern. In allen Nöten, besonders in der Todesangst,
welche die größte ist, die man auf Erden leiden kann,
vermag diese gute Herrin und Mutter ihre getreuen Diener
nicht zu verlassen; und gleich wie sie unser Leben ist
in der Zeit der Verbannung, so ist sie unsere Süßigkeit
zur Zeit des Todes, indem sie uns ein süßes und seliges
Ende erlangt. Seit jenem großen Tag, an dem Maria das
Glück und den Schmerz hatte, bei dem Tod Jesus, ihres
Sohnes, der das Haupt der Auserwählten ist, gegenwärtig
zu sein, hat sie die Gnade erworben, allen Auserwählten
im Tod beizustehen. Deshalb will die hl. Kirche, daß wir
die allerseligste Jungfrau um ihren Beistand in der
Todesstunde besonders anrufen sollen. „Bitte für uns
Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.”
Überaus groß sind die Ängste der armen Sterbenden sowohl
durch die Gewissensbisse über die begangenen Sünden, als
auch wegen des Schreckens vor dem nahen Gericht und der
Ungewißheit des Heiles. Auf diesen Augenblick rüstet
sich besonders die Hölle und müht sich mit aller Kraft,
um die Seele, die in die Ewigkeit hinübergeht, zu
gewinnen; denn sie weiß, daß ihr dafür nur wenig Zeit
noch übrig ist und daß, wenn sie die Seele jetzt
verliert, sie ihr für immer verloren ist. „Der Teufel
ist zu euch hinabgestiegen und hat großen Zorn, indem er
weiß, daß er nur kurze Zeit hat.”
(Offb 12,12) Und
deshalb begnügt sich jener böse Geist, der die Seele im
Leben gewöhnlich versuchte, beim Sterben nicht, sie
allein anzufechten, sondern er nimmt seine Genossen zu
Hilfe. „Ihre Häuser werden voll Drachen sein.”
(Is
13,21) Wenn jemand am Sterben ist, so füllt sich sein
Haus mit Teufeln, um mit vereinten Kräften ihn zugrunde
zu richten.
Vom hl. Andreas Avellino wird erzählt,
daß zu seinem Tod
zehntausend Teufel kamen, ihn zu versuchen. Und in
seiner Lebensgeschichte lesen wir, er hat während seines
Todeskampfes einen so fürchterlichen Streit mit der
Hölle zu bestehen gehabt, daß er alle Mitbrüder, die ihm
zur Seite standen, zitterten. Sie sahen, wie dem
Heiligen vor heftiger Bewegung das Gesicht aufschwoll,
so daß es ganz schwarz wurde; sie sahen, wie alle seine
Glieder zitterten und aneinanderschlugen; die Augen
ergossen einen Strom von Tränen, das Haupt erhielt
heftige Stöße, lauter Anzeichen des furchtbaren Kampfes,
den er mit der Hölle zu bestehen hatte. Alle weinten vor
Mitleid, verdoppelten ihre Gebete und erbebten vor
Schrecken, da sie einen Heiligen also sterben sahen.
Doch hatten sie den Trost, daß sie ihn oft die Augen
hilfesuchend zu einem andächtigen Marienbild hinwenden
sahen; denn sie erinnerten sich dabei, daß der Heilige
in seinem Leben oft gesagt, Maria werde in der
Todesstunde seine Zuflucht sein. Endlich gefiel es dem
Herrn, diesen Kampf durch einen glorreichen Sieg zu
enden. Die Erschütterungen des Körpers hörten auf, die
Geschwulst legte
sich. Das Gesicht erhielt die frühere Farbe und die
Umstehenden sahen, wie der Heilige ruhig seine Augen auf
jenes Bild geheftet hielt und mit andächtiger Verneigung
gegen Maria, wie Dank sagend, - die ihm, wie man glaubt,
damals erschien, sanft, mit dem Ausdruck eines Seligen,
die gebenedeite Seele in den Armen Mariens aushauchte.
Zur gleichen Zeit wandte sich ebenfalls eine in den
letzten Zügen liegende Kapuzinerin plötzlich zu den ihr
beistehenden Nonnen mit den Worten: „Betet ein Ave
Maria, denn eben ist ein Heiliger gestorben!”
O wie fliehen die Teufel bei der Gegenwart dieser
Königin! Wenn wir in der Todesstunde Maria auf unserer
Seite haben, welche Furcht können uns dann die
höllischen Feinde einjagen? David, der sich vor seiner
künftigen Todesangst fürchtete, sprach sich Mut ein
durch das Vertrauen auf den Tod des künftigen Erlösers
und auf die Fürsprache seiner jungfräulichen Mutter.
„Wenn ich auch wandle mitten in Todesschatten, so will
ich nichts Übles fürchten, weil du bei mir bist. Deine
Rute und dein Stab, die haben mich getröstet.”
(Ps.
22,4) Der Kardinal Hugo versteht unter diesem Stab den
Stamm des hl. Kreuzes und unter der Rute die Vermittlung Mariens, welche die von Isaias geweissagte Rute war:
„Eine Rute (Reis) wird hervorkommen aus der Wurzel Jesse
und eine Blüte aufgehen aus seiner Wurzel.” (Is. 11,1)
Diese göttliche Mutter ist die mächtige Rute, nach der
Bemerkung des hl. Petrus Damianus, durch welche die
heftigen Anfälle der höllischen Feinde zurückgeschlagen
werden. Deshalb ermutigt uns der hl. Antonin mit den
Worten: „Wenn Maria für uns ist, wer ist wider uns?” Als
Pater Emanuel Padial aus der Gesellschaft Jesu am
Sterben war, erschien ihm Maria, die zu seinem Trost die
Worte sprach: „Nun endlich ist die Stunde gekommen, in
der die Engel glückwünschend dir zurufen, o glückselige
Arbeit! O gut belohnte Abtötung!” Dabei sah man ein Heer
von Teufeln verzweifeln und schreiend fliehen: „Ach, wir
vermögen nichts, weil die Makellose ihn verteidigt.”
Ähnlich wurde auch Pater Kaspar Hayewood im Tod
von den Teufeln mit einer schweren Versuchung gegen den
Glauben angefochten; sogleich empfahl er sich der allerseligsten
Jungfrau und hierauf hörte man ihn ausrufen: „Ich danke
dir, Maria, daß du mir zu Hilfe gekommen bist.”
Der hl. Bonaventura sagt, daß Maria zum Schutz ihrer
sterbenden Diener den Himmelsfürsten Michael mit allen
Engeln sende, damit er dieselben schnell gegen die
teuflischen Versuchungen beschütze und die Seelen aller
jener, die sich ihr in besonderer Weise unablässig
anempfohlen haben, mit sich nehme.
Wenn eine Seele im Begriff steht, aus dieser Welt zu
scheiden, gerät, nach dem Ausspruch des Isaias, die
ganze Hölle in Aufruhr und sendet ihre fürchterlichsten
Teufel ab, um die Seele, bevor sie den Leib verläßt, zu
versuchen, und, wenn sie vor dem Richterstuhl Jesu
Christi zum Gericht erscheinen muß, sie anzuklagen.
„Die Hölle von unten ist in Bewegung vor deiner Ankunft
und erweckt vor dir die Riesen (Totengeister).” (Is
14,9) Wenn aber die Seele unter dem Schutz Mariens
steht, so wagen es die Teufel - nach der Bemerkung
Richards von St. Lorenz - durchaus nicht, sie
anzuklagen, weil sie wissen, daß niemals von dem Richter
eine von seiner erhabenen Mutter beschützte Seele
verdammt worden ist, noch verdammt wird. „Wer wird es
wagen, bei dem Richter eine Seele anzuklagen, deren
Verteidigung
die Mutter desselben übernimmt?”
Der hl. Hieronymus schreibt an die Jungfrau Eustochium,
daß Maria ihren geliebten Dienern im Tod nicht allein
beisteht, sondern ihnen auf dem Weg zum ewigen Leben
sogar entgegenkommt, um sie zu ermutigen und vor den
Richterstuhl Gottes zu begleiten. Das bestätigt die
allerseligste Jungfrau selber durch ihre Worte an die
hl. Birgitta über ihre Verehrer in der Todesstunde:
„Dann werde ich, ihre geliebteste Herrin und Mutter,
ihnen im Augenblick des Todes entgegengehen, damit sie
Trost und Erquickung haben.” Der hl. Vinzenz Ferrer sagt
ebenso: „Die seligste Jungfrau nimmt die Seelen der
Sterbenden in Empfang.” Die liebreiche Königin nimmt
diese Seelen unter ihren Mantel und sie selbst stellt
sie dem Richter, ihrem Sohn, vor, und so erlangt sie mit
Sicherheit deren Heil. Dies widerfuhr dem Sohn der hl.
Birgitta, Karl, der fern von seiner Mutter im
gefährlichen Stand eines Soldaten gestorben war. Die
Heilige fürchtete für sein Heil; aber die allerseligste
Jungfrau offenbarte ihr, daß Karl wegen seiner Liebe zu
ihr selig geworden sei; denn sie selbst sei ihm im Tod
beigestanden und habe ihm die für Sterbende notwendigen
Akte eingegeben. Im selben Augenblick hatte die Heilige
ein Gesicht von Jesus auf dem Thron und dem Teufel, der
zwei Anklagen gegen die göttliche Mutter vorbrachte; die
eine, daß Maria ihn gehindert habe, Karl im Augenblick
des Todes zu versuchen; die andere, daß Maria selbst die
Seele Karls dem Richter vorgestellt und sie so gerettet
habe, ohne ihm zu gestatten, auch nur die Gründe
anzuführen, aus denen er ein Recht auf diese Seele
gehabt habe. Sie sah dann, wie der Richter den Teufel
verjagte und die Seele Karls in den Himmel empor
getragen wurde.
„Ihre Bande sind Bande des Heiles... In den letzten
Dingen wirst du Ruhe bei
ihr finden.” (Sir 6,29. 31) Glückselig bist du, mein
Bruder, wenn du im Tod mit den süßen Banden der Liebe an
die Mutter Gottes gebunden sein wirst! Diese Bande sind
Bande des Heiles, die dich des ewigen Lebens versichern
und im Tod jenen seligen Frieden werden kosten lassen,
der der Anfang des ewigen Friedens und der ewigen Ruhe
sein wird. Pater Binetti berichtet inseinem Buch über
die Vollkommenheit, er sei einmal einem eifrigen Diener
Mariens im Tod beigestanden und habe von ihm im
Augenblick des Verscheidens die Worte vernommen: „O mein
Vater, wenn Sie wüßten, welche Zufriedenheit ich fühle,
weil ich der Mutter Gottes gedient habe! Ich vermag die
Freude, die ich in diesem Augenblick empfinde, gar nicht
auszusprechen.”
Auch der so große Verehrer Mariens,
Pater Suarez, verschied mit solcher Freude, daß er
sterbend sagte: „Ich hätte nicht geglaubt, daß das
Sterben so süß sei.” Dieser demütige Diener Mariens
pflegte zu sagen, daß er all seine Wissenschaft um das
Verdienst eines einzigen Ave Maria vertauschen wollte.
Die gleiche Zufriedenheit und Heiterkeit des Geistes
wirst auch du, mein lieber Leser, ohne Zweifel
empfinden, wenn du dich im Augenblick deines Todes
erinnern wirst, diese gute Mutter geliebt zu haben, die
nicht anders als getreu sein kann gegen ihre Kinder, die
treu ihr gedient und treu sie geehrt durch Besuche,
Rosenkranzgebet, Fasten und mehr noch durch häufige
Danksagung, Lobpreisung und Anempfehlung unter ihren
mächtigen Schutz.
Und wenn du sogar eine Zeitlang im
Stand der Sünde dich befunden hättest, so wird dies dich
jenes Trostes nicht berauben, wenn du nur von nun an
darauf bedacht
bist, gut zu leben und dieser gnädigsten und gütigsten
Herrin zu dienen. Sie wird dich stärken in all den
Ängsten und Versuchungen, die der Teufel dir bereiten
wird, um dich zur Verzweiflung zu bringen, und endlich
wird sie selber kommen, um dir in deinem Tod
beizustehen.
Martin, der Bruder des hl. Petrus Damian, hatte Gott
beleidigt und ging eines Tages vor den Altar der Mutter
Gottes, um sich ihrem Dienst zu weihen. Zum Zeichen
seiner Knechtschaft schlang er seinen Gürtel um den Hals
und sprach zu ihr: „Meine Herrin, Spiegel der Reinheit!
Ich armer Sünder habe Gott und dich beleidigt durch
Verletzung der Keuschheit. Ich weiß kein anderes
Heilmittel, als daß ich mich deinem Dienst aufopfere.
Siehe mich hier! Ich weihe mich dir heute zu deinem
Knecht; nimm ihn, diesen Empörer, wieder an und zürne
mir nicht.” Dann legte er auf den Stufen des Altars eine
bestimmte Summe Geldes, die er als das Zeichen seiner
Tributpflicht gegen Maria jedes Jahr zu entrichten
gelobte. Als er später auf das Totenbett kam, hörte man
ihn vor dem Hinscheiden sagen: „Steht auf, steht auf;
bezeigt eure Ehrfurcht meiner Herrin!” und danach:„Ach!
Welche Gnade, o Himmelskönigin, daß du dich würdigst,
diesen deinen armseligen Diener heimzusuchen. Segne
mich, meine Herrin, und laß nicht zu, daß ich zugrunde
gehe, nachdem du mich durch deine Gegenwart geehrt
hast.” Währenddessen kam sein Bruder Petrus. Diesem
erzählte er die Erscheinung Mariens und daß sie ihn
gesegnet habe, beklagte sich aber darüber, daß jene, die
bei ihm waren, bei der Ankunft Mariens nicht
aufgestanden seien. Kurze Zeit darauf verschied er
sanft. So wird auch dein Tod sein, mein Leser, wenn du
Maria treu bleibst, auch wenn du in deinem früheren
Leben Gott beleidigt hattest. Sie wird bewirken, daß
dein Tod süß und ruhig wird.
Solltest du aber in jener Stunde sehr geängstigt sein
und dir beim Anblick deiner Sünden das Vertrauen sinken,
so wird sie kommen, dir Mut einzuflößen, wie einst zu
Adolph, dem Grafen von Elsaß. Dieser hatte die Welt
verlassen und war in den Orden des hl. Franziskus
eingetreten, wo er, wie die Chronik erzählt, ein großer
Verehrer der Mutter Gottes wurde. Am Ende seiner Tage
angelangt, kam ihm sein früheres Leben in der Welt und
die Strenge des göttlichen Gerichtes vor Augen, und er
begann, aus Furcht wegen seines ewigen Heiles vor dem
Tod zu zittern. Doch siehe, Maria erschien dem
Sterbenden, die bei den Ängsten ihrer Diener nicht
schläft, und sprach ihm mit den zärtlichen Worten Mut
ein: „Mein liebster Adolph, warum fürchtest du den Tod,
da du mir gehörst?” Bei diesen Worten fühlte sich der
Diener Mariens ganz getröstet; alle Furcht verschwand,
und er starb sehr ruhig und ergeben.
Auch wir, wenn wir Sünder sind, wollen Mut fassen und
fest vertrauen, daß Maria uns im Tod beistehen und durch
ihre Gegenwart trösten wird, wenn wir in der uns noch
übrigen Lebenszeit ihr in Liebe dienen. Unsere Königin
selbst hat es der hl. Mechthild verheißen, daß sie allen
ihren Verehrern, die ihr im Leben treu gedient, im Tod
beistehen werde. „Ich will allen, die mir mit kindlicher
Liebe dienen, im Tod wie die mitleidigste Mutter getreu
beistehen, sie trösten und beschützen.” O Gott, welch
ein Trost wird es für uns sein, wenn wir in jenen
letzten Augenblicken des Lebens, wo die Angelegenheit
unseres ewigen Heiles in kurzem entschieden
werden soll, die Königin des Himmels an unserer Seite
sehen, die uns beisteht und mit Verheißung ihres
Schutzes uns tröstet.
Unzählige Tatsachen dieses Beistandes Mariens für ihre
sterbenden Diener sind außer den angeführten noch in
verschiedenen Büchern aufgezeichnet. Diese Gnade wurde
der hl. Klara, dem hl. Felix von Cantalizien, der sel.
Klara von Montefalco, der hl. Theresia, dem hl. Petrus
von Alkantara zuteil. Zum Trost für alle will ich einige
hier noch anführen. Pater Crasset erzählt, daß Maria von
Oignies die allerseligste Jungfrau an dem Sterbebett
einer frommen, an großer Fieberhitze leidenden Witwe von
Villembrok erblickte. Maria stand ihr zur Seite,
tröstete sie und wehte ihr mit einem Fächer Kühlung zu.
Als der hl. Johannes von Gott am Sterben war, erwartete
er den Besuch Mariens, die er sehr verehrte; aber da er
sie nicht kommen sah, wurde er betrübt und klagte wohl
auch darüber. Doch zur rechten Zeit erschien die
göttliche Mutter, und mit leisem Tadel über sein
schwaches Vertrauen sprach sie die zärtlichen, alle ihre
Verehrer so ermutigenden Worte: „Johannes, es ist nicht
meine Sache, in dieser Stunde meine Verehrer zu
verlassen”; gleich als hätte sie sagen wollen: „Mein
Johannes, was denkst du? Weißt du nicht, daß ich in der
Todesstunde meine Diener nicht verlassen kann? Ich kam
nicht früher, weil es noch nicht Zeit war; nun aber, bin
ich da, dich mit mir zu nehmen. Laß uns in den Himmel
gehen!” Bald darauf verschied der Heilige und schwang
sich zum Himmel auf, um für immer und ewig seiner
liebreichsten Königin zu danken.
Schließen wir diese Betrachtung mit einem anderen
Beispiel, aus dem erhellt, wie weit die zärtliche Liebe
geht, die diese gute Mutter ihren Kindern in der
Todesstunde beweist.
Beispiel
Der Pfarrer eines Ortes stand einem sterbenden,
reichen
Mann bei, der in einem wohleingerichteten Haus von
Dienern, Verwandten und Freunden umgeben war, aber die
Teufel in Gestalt von Hunden bereitstehen sah, seiner
Seele sich zu bemächtigen. Und in der Tat bekamen sie
dieselbe in ihre Gewalt; denn er starb in der Sünde. Zur
selben Zeit ließ eine arme Frau, die ebenfalls am Ende
ihres Lebens stand und die hl. Sakramente verlangte, den
Pfarrer zu sich bitten. Dieser konnte aber die so
bedürftige Seele des Reichen nicht verlassen und
schickte darum einen anderen Priester zu ihr, der mit
dem allerheiligsten Sakrament sich dahin begab. Im
Gemach der guten Frau angekommen, sah er freilich weder
Diener, noch Gesellschaft, noch kostbare Einrichtung;
denn die Kranke war arm und lag auf ein wenig Streu.
Doch was stellte sich ihm dar? Er erblickte einen großen
Glanz und am Sterbebett die Mutter Gottes, welche die
Sterbende tröstete und mit einem Tüchlein den
Todesschweiß ihr abtrocknete. Bei diesem Anblick hatte
er nicht den Mut einzutreten; doch die allerseligste
Jungfrau gab ein Zeichen, daß er nahe. Der Priester trat
ein, Maria wies ihm den Stuhl an, damit er sitzend ihre
Dienerin zur Beichte höre. Sie beichtete, kommunizierte
darauf mit großer Andacht und hauchte endlich in den
Armen Mariens glückselig ihre Seele aus.
Gebet
O meine süßeste Mutter, wie wird der Tod von mir armen
Sünder sein? Wenn ich an diesen großen Augenblick denke,
da ich meinen Geist aufgeben und vor dem Richterstuhl
Gottes erscheinen soll, und wenn ich erwäge, wie ich
selber durch meine verkehrte Gesinnung so oft das Urteil
meiner Verdammnis unterzeichnet habe, so zittere ich,
bin bestürzt und fürchte sehr für mein ewiges Heil. O
Maria, meine Hoffnung ruht allein auf dem Blut Jesu
Christi und auf deiner Fürsprache. Du bist die Königin
des Himmels, die Herrin der Welt, mit einem Wort, du
bist die Mutter Gottes! Unendlich groß bist du; aber
deine Größe hält dich nicht ab, ja gerade sie macht dich
geneigt, um so mitleidiger mit unserem Elend zu sein.
Die Freunde dieser Welt, wenn sie zu einer hohen Würde
erhoben werden, wenden sich von ihren alten Bekannten
ab, die in niedrigen Verhältnissen geblieben sind, und
würdigen sie keines Blickes mehr. Aber dein so edles,
liebevolles Herz handelt nicht also; je größeres Elend
es wahrnimmt, um so mehr ist es bedacht, zu helfen. Kaum
angerufen, kommst du uns zu Hilfe; ja du kommst mit
deiner Gunst unseren Bitten zuvor; du tröstest uns in
der Betrübnis, du verscheuchst die Ungewitter der
Versuchung; du überwindest die Feinde; kurz, du läßt
keine Gelegenheit, für unser Wohl zu sorgen,
vorübergehen. Gepriesen sei allezeit die allmächtige
Hand Gottes, welche in dir so große Majestät mit solcher
Zärtlichkeit, solche Hoheit mit so großer Liebe
vereinigt hat.
Ich danke meinem Herrn ohne Unterlaß dafür und wünsche
mir selbst Glück dazu; denn in deiner Seligkeit besitze
ich die meine, und in deinem Glück ruht das meinige. O
Trösterin der Betrübten, tröste einen Betrübten, der dir
sich anempfiehlt. Ich fühle mich durch die Vorwürfe
meines mit so vielen Sünden beschwerten Gewissens
betrübt; ich weiß nicht, ob ich sie, wie ich soll,
beweint habe; ich sehe alle meine Werke voll Schmutz und
Mängel; die Hölle wartet nur auf meinen Tod, um mich
anzuklagen; die beleidigte Gerechtigkeit Gottes fordert
Genugtuung.
O meine Mutter, was wird aus mir werden? Wenn du mir
nicht hilfst, bin ich verloren. Was sagst du? Willst du
mir helfen? O mitleidsvolle Jungfrau, tröste mich,
erlange mir einen wahren Schmerz über meine Sünden;
erlange mir Kraft, mich zu bessern und Gott in der mir
noch übrigen Lebenszeit getreu zu bleiben. Und wenn der
letzte Kampf für mich kommt, dann, o Maria, meine
Hoffnung, verlaß mich nicht; dann stehe mir mehr als
jemals bei; stärke mich, damit ich beim Anblick meiner
Sünden, die mir der Teufel vor Augen stellen wird, nicht
verzweifele.
Herrin, verzeihe meine Kühnheit! Ich bitte, komme dann
selber, mich durch deine Gegenwart zu trösten. Diese
Gnade hast du schon so vielen erwiesen; auch ich begehre
sie. Ist meine Kühnheit groß, so ist doch größer deine
Güte, welche die Unglücklichsten aufsucht, sie zu
trösten. Auf sie setze ich mein Vertrauen. Das soll ein
ewiger Ruhm für dich sein, einen elenden Verdammten vor
der Hölle bewahrt und ihn in dein Reich geführt zu
haben. Dort, so hoffe ich, wird es dann meine Freude
sein, ewig zu deinen Füßen dir zu danken, dich zu
preisen und zu lieben in Ewigkeit. O Maria, ich erwarte
dich, laß mich nicht ungetröstet. Amen.
3. Kap. - Unsere Hoffnung, sei
gegrüßt
Abs. 1 - Maria
ist die Hoffnung aller
Die Irrlehrer unserer Zeit können es nicht ertragen, daß
wir Maria mit dem Namen
„Hoffnung” begrüßen. „Unsere Hoffnung, sei gegrüßt!” Sie
sagen: Nur Gott ist unsere Hoffnung, und Gott verflucht
den, der seine Hoffnung auf die Geschöpfe setzt.
„Verflucht der Mensch, der sein Vertrauen auf Menschen
setzt.” (Jer17,5) Maria, rufen sie aus, ist ein
Geschöpf, und wie kann ein Geschöpf unsere Hoffnung
sein? So sagen die Ketzer. Aber dessen ungeachtet, will
die hl. Kirche, daß alle geistlichen Personen und alle
Ordensleute jeden Tag ihre Stimme erheben und im Namen
aller Gläubigen Maria anrufen und bekennen mit dem süßen
Namen unsere Hoffnung, Hoffnung aller. Unsere Hoffnung,
sei gegrüßt!
Auf zweifache Weise, sagt der hl. Thomas von Aquin,
können wir unsere Hoffnung auf jemanden setzen, entweder
als die erste und vornehmste Ursache unserer Hoffnung,
oder als Mittler unserer Hoffnung. Wer vom König eine
Gnade zu erlangen hofft, hofft sie von dem König als dem
Herrn der Gnade; von einem Diener oder Günstling des
Königs hingegen als von dem Mittler oder Fürsprecher.
Wird die Gnade erteilt, so kommt sie von dem König als
von ihrem ersten und obersten Geber, aber sie kommt
durch die Vermittlung seines Vermittlers; weshalb der,
welcher um die Gnade bittet, seinen Vermittler mit Recht
seine Hoffnung nennen kann.
Der König des Himmels hat
das größte Verlangen, uns mit seinen Gnaden zu
bereichern, weil Er die unendliche Güte ist; aber da von
unserer Seite das Vertrauen notwendig ist, so hat Er, um
dieses Vertrauen in uns zu mehren, seine eigene Mutter,
der Er alle Macht zu helfen übergeben, uns zur Mutter
und Fürsprecherin geschenkt, und eben darum will Er, daß
wir auf sie die Hoffnung unseres Heiles und aller Gnade
setzen. Jene allerdings, die ohne schuldige Rücksicht
auf Gott, ihre Hoffnung nur allein auf die Geschöpfe
setzen, wie es die Sünder tun, die um der Freundschaft
und Gunst eines Menschen willen sich nicht scheuen, Gott
zu beleidigen, diese sind nach dem Ausspruch des
Propheten ganz gewiß von Gott verflucht. Jene aber, die
auf Maria als die Mutter Gottes hoffen, die die Macht
hat, die Gnaden und das ewige Leben zu erlangen, sind
gesegnet und gefallen dem Herzen Gottes, der jenes
erhabene Geschöpf geehrt wissen will, das Ihn mehr
als alle Menschen und Engel auf dieser Welt geliebt und
geehrt hat.
Darum nennen wir die allerseligste Jungfrau mit Recht
unsere Hoffnung, indem wir durch ihre Vermittlung, wie
der hl. Robert Kard. Bellarmin sagt, zu erlangen hoffen,
was wir durch unser Gebet allein nicht erlangen können.
Wir beten zu ihr, sagt der hl. Anselm, „damit die
Würdigkeit der Mittlerin unsere Mangelhaftigkeit
ersetze.” Die allerseligste Jungfrau also mit solcher
Hoffnung anzurufen, ist nicht Mißtrauen auf die
göttliche Barmherzigkeit, sondern Furcht wegen unserer
eigenen Unwürdigkeit! Mit Recht wendet daher die hl.
Kirche auf Maria die Worte des Jesus Sirach an
(Sir
24,24): „Mutter der hl. Hoffnung”; die Mutter, die in
uns nicht die eitle Hoffnung auf die elenden und
vergänglichen Güter dieses Lebens, sondern die hl.
Hoffnung auf die unermeßlichen und ewigen Güter des
seligen Lebens hervorbringt.
Der hl. Ephräm begrüßt daher die göttliche Mutter mit
den Worten: „Sei gegrüßt, o Seele, o sicheres Heil der
Christen, o Helferin der Sünder, Beschützerin der
Gläubigen und Rettung der Welt.” Auch der hl. Basilius
lehrt uns, daß wir nach Gott keine andere Hoffnung haben
als Maria, und darum nennt er sie: „Nach Gott unsere
einzige Hoffnung.” Und der hl. Ephräm, den Ratschluß der
göttlichen Vorsehung erwägend, durch den Gott die
Anordnung traf, wie der hl. Bernhard lehrt und ich
weiter unten eingehend zeigen werde, daß alle, die selig
werden, durch die Vermittlung Mariens selig werden
sollen, spricht sie so an: „Herrin, höre nicht auf, uns
zu behüten und unter deinen Mantel zu nehmen; denn nach
Gott haben wir keine andere Hoffnung als dich!” Das
gleiche lehrt der hl. Thomas von Villanova, indem er
Maria unsere einzige Zuflucht, Hilfe und Rettung nennt.
Und der hl. Bernhard deutet auf den Grund davon hin,
wenn er sagt: „Betrachte, o Mensch, den Ratschluß
Gottes, einen Ratschluß, den Gott faßte, um uns in
größerer Fülle seine Barmherzigkeit erweisen zu können!
Da Er das Menschengeschlecht erlösen wollte, hat Er den
ganzen Preis der Erlösung in die Hand Mariens
niedergelegt, damit sie nach ihrem Gefallen denselben
verteile.”
Gott befahl Moses, daß er einen Gnadenthron vom reinsten
Gold bereite, denn, sagte Er, von da aus wolle Er in
Zukunft mit ihm reden. „Einen Gnadenthron mache vom
feinsten Gold... von da aus will ich gebieten und mit
dir reden.” (Ex 25,17)
Dieser Gnadenthron, von dem der
Herr zu den Menschen spricht und uns Verzeihung, seine
Gnaden und Gaben verleiht, ist Maria, nach der Bemerkung
eines Schriftstellers:
„Dich besitzt als gemeinsamen Gnadenthron die ganze
Welt. Von da spricht der gütigste Herr zum Herzen, von
da aus erteilt Er die Entscheidungen seiner Güte und
Verzeihung; von da spendet Er seine Gnaden; von da aus
fließt uns jegliches Gute zu.” Dementsprechend bemerkt
der hl. Irenäus, daß das göttliche Wort vor seiner
Menschwerdung im Schoß Mariens den hl. Erzengel
absandte, um ihre Einwilligung zu begehren; denn Gott
wollte, daß durch Maria der Welt die Gnade der
Menschwerdung zukomme. „Woher kommt es, daß das
Geheimnis der Menschwerdung sich nicht vollzog ohne die
Einwilligung Mariens? Weil Gott will, daß sie der Quell
all unsrer Güter sei.”
Daher sagt auch der Idiote: „Alles Gute hat die Welt und
wird es durch Maria haben.” Jegliches Gute, jeglicher
Beistand, jede Gnade, welche die Menschen jemals
empfangen haben und von Gott empfangen werden bis an das
Ende der Welt, alles kam ihr zu und wird ihr zukommen
durch die Fürsprache und die Vermittlung Mariens. Mit
Grund sagt der fromme Blosius: „O Maria, so
liebenswürdig und so gütig gegen jene, die dich lieben,
wer könnte so töricht und unglücklich sein, daß er dich
nicht liebt? Du gibst in den Zweifeln und der Verwirrung
neues Licht dem Geist jener, die in ihrer Betrübnis zu
dir fliehen. Du tröstest den, der in der Gefahr auf dich
vertraut; du kommst dem zu Hilfe, der dich anruft. Du
bist nächst deinem göttlichen Sohn das sichere Heil
deiner getreuen Diener. Sei gegrüßt also, o Hoffnung der
Verzweifelnden, o Hilfe der Verlassenen! O Maria, du
bist allmächtig, weil dein Sohn dich dadurch ehren will, daß Er ohne Zögern alles tut, was
du begehrst.”
Auch der hl. Germanus erkennt in Maria den Quell all
unserer Güter und die Befreiung von jeglichem Übel und
ruft sie also an: „O meine Gebieterin, du allein bist
mein Trost, den mir Gott gegeben; du die Führerin auf
meiner Pilgerschaft, du die Stärke meiner schwachen
Kräfte, der Reichtum meiner Armut, die Lösung meiner
Ketten, die Hoffnung meines Heiles. Erhöre, ich bitte
dich, mein Flehen! Habe Mitleid mit meinen Seufzern, du,
die du meine Königin, meine Zuflucht, mein Leben, meine
Hilfe, Hoffnung und Stärke bist.”
Mit Recht wendet demnach der hl. Antonin auf Maria jene
Stelle im Buch der Weisheit an: „Es kam zu mir alles
Gute zugleich mit ihr.” (Wsh 7,11) Da Maria die Mutter
und Ausspenderin aller Güter ist, so kann die Welt wohl
sagen, und insbesondere wer in der Welt als ein Verehrer
dieser Königin lebt, daß er mit der Andacht zu Maria
zugleich alles Gute empfangen habe. Deswegen sagt der
Abt von Celles ohne Einschränkung: „Ist Maria gefunden,
so ist jegliches Gut gefunden.” Wer Maria findet, findet
jegliches Gut, alle Gnaden, alle Tugenden; denn durch
ihre mächtige Fürsprache erlangt sie alles, was nötig
ist, um ihn an Gnade reich zu machen. Sie läßt uns
wissen, daß sie alle Reichtümer Gottes, d. h. seine
göttlichen Erbarmungen zur Verfügung habe, um sie zu
Gunsten ihrer Verehrer auszuteilen. „Bei mir ist
Reichtum und... überschwengliche Güter... damit ich
reich mache, die mich lieben.”
(Spr 8,18. 21) Deswegen
mahnt uns der hl. Bonaventura, daß wir beständig unsere
Augen zu den Händen Mariens erheben, damit wir durch
ihre Vermittlung das Gute, dessen wir bedürfen,
empfangen.
O wie viele Stolze haben durch die Andacht zu Maria die
Demut gefunden! Wie
viele Zornmütige die Sanftmut! Wie viele Blinde das
Licht! Wie viele Verzweifelnde das Vertrauen! Wie viele
Verlorene das Heil! Eben dies sagte Maria selbst vorher,
als sie im Haus der Elisabeth in jenen erhabenen
Lobgesang ausbrach: „Siehe, von nun an werden mich selig
preisen alle Geschlechter.”
(Lk 1,48) Diese ihre Worte
wiederholend erklärt der hl. Bernhard: „Deswegen werden
alle Völker dich selig preisen, weil du allen Völkern
das Leben und die ewige Herrlichkeit gegeben hast.” Denn
bei dir finden die Sünder Verzeihung und die Gerechten
die Beharrlichkeit in der göttlichen Gnade.”
Der fromme Landsperg läßt Gott den Herrn zu der Welt so
sprechen: „O Menschen, arme Kinder Adams, die ihr mitten
unter so vielen Feinden und so vielfachem Elend lebt,
sucht durch eine besondere Andacht eure Mutter zu
gewinnen; denn ich habe Maria der Welt zu eurem Vorbild
gegeben, damit ihr von ihr lernt, wie man leben soll,
und zu eurer Zuflucht, damit ihr in Trübsalen zu ihr
fliehen könnt. Ich habe diese meine Tochter so bereitet,
daß niemand Furcht oder Abneigung empfinden kann, sich
an sie zu wenden; denn ich habe sie so gütig und
mitleidig erschaffen, daß sie niemanden, der sich an sie
wendet, verschmähen, noch dem, der sie bittet, ihre
Gunst versagen kann. Für alle hält sie den Mantel ihrer
Barmherzigkeit offen und läßt nicht zu, daß irgendeiner
ungetröstet von ihr weiche.” Darum sei immerdar gelobt
und gepriesen die unermeßliche Güte unseres Gottes, der
uns diese erhabene Mutter und so zärtliche und
liebreiche Fürsprecherin gegeben hat.
O Gott, wie innig sind die Gefühle des Vertrauens, die
den liebeglühenden hl. Bonaventura zu unserem
liebevollsten Erlöser Jesus Christus und zu unserer
liebreichsten Fürsprecherin Maria beseelten! „Möge was
immer”, ruft er aus, „der Herr über mich beschlossen
haben, ich weiß, daß Er dem sich nicht entziehen kann,
der Ihn liebt und Ihn von Herzen sucht. Ihn werde ich
umfassen mit den Armen meiner Liebe und werde Ihn nicht
lassen, bis Er mich gesegnet hat. Er wird sich nicht
zurückziehen können, ohne mich mit sich zu nehmen. Und
sollte ich auch anderes nicht erreichen, so will ich
doch wenigstens in seine Wunden mich verbergen; solange
ich dort bin, kann Er außerhalb seiner mich nicht
finden. Sollte aber mein Erlöser um meiner Sünden willen
mich von seinen Füßen verstoßen, so will ich zu den
Füßen seiner Mutter mich niederwerfen und von dort nicht
mehr weichen, bis sie mir Vergebung erlangt hat; denn
diese Mutter der Barmherzigkeit vermag nicht und hat
noch nie vermocht, dem Elend ihr Mitleid zu versagen und
die Unglücklichen, die sich an sie um Hilfe wenden,
unerhört zu lassen. Und darum wird sie, wenn auch nicht
dazu verpflichtet, doch aus Mitleid nicht unterlassen,
ihren Sohn zur Vergebung zu bewegen.”
Blicke uns also an, wollen wir zum Schluß mit Euthymius
sprechen, blicke uns an mit deinen barmherzigen Augen, o
mitleidigste Mutter, denn wir sind ja deine Diener und
auf dich haben wir all unser Vertrauen gesetzt.
Beispiel
Im vierten Teil des Rosenkranzschatzes
(fünfundachtzigstes Wunder) wird von einem Edelmann
berichtet, der eine besondere Andacht zur Mutter Gottes
hatte. In seinem Haus hatte er eine andächtige Kapelle
eingerichtet, wo er vor einem schönen Marienbild viel
betete, und nicht allein bei Tag, sondern auch bei
Nacht, indem er den Schlaf unterbrach, um seine geliebte
Herrin zu ehren. Da nun seine Frau, eine Dame sonst von
großer Frömmigkeit, bemerkte, wie ihr Mann in größter
Stille vom Bett aufzustehen, das Zimmer zu verlassen und
erst nach langer Zeit wieder zurückzukehren pflegte, so
geriet die Unglückliche in Eifersucht und bösen Argwohn.
Um sich von diesem stechenden Dorn zu befreien, fragte
sie eines Tages ihren Gemahl, ob er etwa eine andere
Frau außer ihr liebe.
Der Kavalier antwortete lächelnd: „Ja wisse, ich liebe
die liebenswürdigste Frau der Welt. Ihr habe ich mein
ganzes Herz geschenkt und eher könnte ich sterben, als
aufhören sie zu lieben. Und wenn du sie kennen würdest,
so würdest du selbst mir befehlen, sie noch mehr zu
lieben, als ich bereits tue.” Er meinte die
allerseligste Jungfrau, die er so zärtlich liebte. Aber
seine Frau faßte noch größeren Verdacht, und um sich
mehr zu vergewissern, fragte sie ihn wiederholt, ob er
in der Absicht, diese Frau zu finden, jede Nacht vorn
Bett aufstehe und das Zimmer verlasse? Der Edelmann, der
die große Unruhe seiner Frau nicht erkannte, antwortete:
„Ja.” Die Dame hielt nun törichterweise für gewiß, was
doch gar nicht bestand, und von Leidenschaft verblendet,
- was tat sie? Eines Nachts, da ihr Mann nach seiner
Gewohnheit aus dem Gemach sich entfernte, ergriff sie
aus Verzweiflung ein Messer und schnitt sich die Kehle
durch, worauf sie alsbald starb. Nach seiner Andacht
kehrte der
Edelmann in das Gemach zurück und, sich wieder zu Bett
legend, fand er es ganz durchnäßt. Er ruft seine Frau
und erhält keine Antwort. Er rüttelt sie, sie fühlt es
nicht. Endlich holt er Licht und sieht das blutige Bett
und seine Frau tot mit durchschnittener Kehle. Sogleich
ahnte er, daß sie aus Eifersucht sich das Leben genommen
hat. Was tat er nun? Er schloß das Zimmer, kehrte in die
Kapelle zurück, warf sich vor der allerseligsten
Jungfrau nieder und unter einem Strom von Tränen flehte
er:
„Meine Mutter, sieh, in welcher Not ich mich befinde.
Wenn du mich nicht tröstest, wohin soll ich dann
fliehen? Bedenke, daß ich durch meine Verehrung deiner
so unglücklich geworden bin, meine Frau tot und verdammt
zu sehen. Meine Mutter, du kannst mir helfen; du mußt
mir helfen!” Ja, wer diese Mutter der Barmherzigkeit mit
Vertrauen bittet, erhält was er begehrt; denn kaum hatte
er dieses Gebet beendet, als er die Stimme einer
Dienerin des Hauses vernimmt: „Herr, eilen Sie in Ihr
Zimmer, die Frau ruft nach Ihnen!” Der Edelmann konnte
ihr vor Freude nicht glauben. „Kehre zurück”, antwortete
er, „und schau wohl nach, ob sie mich wirklich
verlangt.” - „Ja”, sagte die Zurückkehrende, „ja, eilen
Sie, die Herrschaft wartet auf Sie!” Er geht, öffnet das
Zimmer und sieht seine Frau am Leben, die sich ihm
weinend zu Füßen wirft und mit den Worten um Verzeihung
bittet: „O mein Gemahl, die Mutter Gottes hat mich um
deines Gebetes willen vor der Hölle bewahrt.” Nun eilten
beide weinend vor Freude in die Hauskapelle, um der allerseligsten Jungfrau zu danken. Am folgenden Tag lud
der Mann alle seine Freunde zum Mahl, wo er ihnen das
Geschehene von seiner Frau erzählen ließ. Sie zeigte
ihnen die Narbe, die sie von der Wunde noch behalten
hatte. Alle wurden dadurch von Liebe zur göttlichen
Mutter entzündet.
Gebet
O Mutter der hl. Liebe, unser Leben, unsere Zuflucht und
unsere Hoffnung! Du weißt, daß dein Sohn Jesus Christus
nicht zufrieden, unser beständiger Fürsprecher beim
ewigen Vater zu sein, gewollt hat, daß auch du bei Ihm
dich verwendest, um uns seine Erbarmungen zu erlangen.
Er hat angeordnet, daß deine Bitten unser Heil bewirken,
und hat ihnen solche Kraft verliehen, daß sie alles
erlangen, was sie begehren. An dich also, Hoffnung der
Elenden, wende ich elender Sünder mich. Ich hoffe, o
meine Herrin, durch die Verdienste Jesu Christi und
deine Fürbitte selig zu werden. Also vertraue ich, und
so groß ist mein Vertrauen, daß, wäre mein ewiges Heil
in meine eigene Hand gelegt, ich es dennoch in die
deinige legen würde; denn mehr baue ich auf deine
Barmherzigkeit und deinen Schutz, als auf alle meine
guten Werke. Meine Mutter und Hoffnung, verlasse mich
nicht, wie ich es verdiene. Schaue auf mein Elend und
lasse dich zum Mitleid bewegen.
Hilf mir und rette mich. Ich bekenne, daß ich durch
meine Sünden den Erleuchtungen und Gnadenhilfen, die du
mir vom Herrn erlangt hast, gar oft die Tür verschlossen
habe; aber deine Milde gegen die Elenden und deine Macht
bei Gott übertreffen die Zahl und Bosheit aller meiner
Sünden. Himmel und Erde weiß, daß wer unter deinem
Schutz steht, gewiß nicht verloren geht. Mögen darum
alle mich vergessen, nur du vergiß mich nicht, du Mutter
des allmächtigen Gottes. Sage Gott, daß ich
dein Knecht bin; sage Ihm, daß ich unter deinem Schutz
stehe, und ich werde gerettet sein. O Maria, auf dich
verlasse ich mich. In dieser Hoffnung lebe ich, in ihr
begehre und hoffe ich zu sterben, immerdar sprechend:
Meine einzige Hoffnung ist Jesus, und nach Jesus die
Jungfrau Maria.
Abs. 2 - Maria ist die Hoffnung der Sünder
Als Gott die Welt schuf, schuf Er zwei Lichter, ein
größeres und ein kleineres, die Sonne, damit sie am Tag
leuchte, den Mond, damit er bei Nacht leuchte.
(Gen
1,16) Die Sonne, sagt Kardinal Hugo, ist das Vorbild
Jesu Christi, dessen Lichtes die Gerechten sich
erfreuen, die im Tag der göttlichen Gnade leben; der
Mond das Vorbild Mariens, durch deren Vermittlung die
Sünder erleuchtet werden, die in der Nacht der Sünde
leben. Da nun Maria für die armen Sünder der gnädige
Mond ist, was hat dann, fragt Innozenz III. ein
Unglücklicher, der in die Nacht der Sünde geraten ist,
zu tun? „Wer da liegt in der Nacht der Schuld, er blicke
nach dem Mond, er flehe zu Maria.” Weil er mit der
göttlichen Gnade das Licht der Sonne verloren hat, so
wende er sich an den Mond, er rufe Maria an, und sie
wird ihm das Licht verleihen, seinen unglücklichen
Zustand zu erkennen, und die Kraft, ohne Säumen ihn zu
verlassen. Der hl. Methodius sagt, daß durch die Bitten
Mariens ohne Aufhören zahllose Sünder bekehrt werden.
Einer der Titel, mit welchen uns die hl. Kirche zur
göttlichen Mutter bitten läßt, und der die armen Sünder
besonders ermutigt, ist der aus der Lauretanischen
Litanei: Zuflucht der Sünder! Früher gab es in Judäa
eigene Zufluchtsorte, wo Verbrecher, die sich dahin
flüchteten, von der verdienten Strafe frei blieben.
Gegenwärtig gibt es... nur eine einzige, nämlich Maria,
von der es heißt: „Herrliches wird von dir gesagt, o
Stadt Gottes” (Ps 86,3); doch mit dem Unterschied, daß
in den alten Freistädten nicht alle Verbrecher, noch für
alle Arten von Verbrechen Zuflucht finden konnten,
während unter dem Mantel Mariens alle Sünder und zwar
für jedes Verbrechen, das sie begangen haben, Rettung
finden. Es genügt, daß einer dahin fliehe, um geborgen
zu sein. „Ich bin die Zufluchtsstätte aller, die sich zu
mir flüchten”, läßt der hl. Johannes von Damaskus Maria
sprechen.
Es genügt, daß man zu ihr fliehe; denn wer einmal das
Glück erlangt hat, in diese Freistadt einzugehen, der
hat nicht nötig, erst zu unterhandeln, um gerettet zu
sein.
„Versammelt euch und laßt uns in die feste Stadt ziehen
und uns da stille halten.” (Jer 8,14) Diese feste Stadt
ist nach der Erklärung des hl. Albert Der Große die allerseligste Jungfrau, die in Gnade und in Herrlichkeit
befestigt ist. „Und da laßt uns stille halten”; denn da
wir nicht den Mut haben, den Herrn selbst um Verzeihung
anzuflehen, so reicht es hin, in diese Freistätte
einzuziehen und uns schweigend zu verhalten, da Maria
für uns sprechen und bitten wird.
Ein frommer Schriftsteller ermahnt darum alle Sünder,
sich unter den Mantel Mariens zu flüchten, mit den
Worten: „Flieht, o Adam, o Eva, und ihr, ihre Kinder,
die ihr Gott beleidigt habt; flieht und bergt euch im
Schoß dieser guten Mutter.” Wißt ihr nicht, daß sie -
nach dem Zeugnis des hl. Augustinus - die einzige
Zufluchtsstätte,
die einzige Hoffnung der Sünder ist? „Einzige Hoffnung
der Sünder”, nennt er sie. Auch der hl. Ephräm
sagt zu
Maria: „Du bist die einzige Fürsprecherin der Sünder und
jener, die aller Hilfe beraubt sind. Sei darum gegrüßt
als die Zuflucht und Herberge, in der allein noch die
Sünder Rettung und Aufnahme finden.” Ebendies ist es,
was nach der Bemerkung eines Schriftstellers, David
meinte, da er sprach:
„Er hat mich beschirmt im Verborgenen seines Zeltes.”
(Ps 26,5) Wer anders ist dieses Zelt Gottes, als Maria?
So nennt sie der hl. Andreas von Kreta: „Zelt von Gott
bereitet, in das allein nur Gott selber eintrat, um die
großen Geheimnisse der Erlösung zu vollbringen»
Mit Beziehung auf diese Wahrheit sagte der hl. Basilius
der Große, daß der Herr uns Maria gleich als ein Haus
der öffentlichen Barmherzigkeit gegeben habe, in das
sich die armen und von jeder anderen Hilfe verlassenen
Kranken aufnehmen lassen können. Da solche Häuser für
Aufnahme der Armen bestimmt sind, so frage ich, wer hat
den größten Anspruch daselbst angenommen zu werden?
Haben ihn nicht die Ärmsten und Kränksten? Wer sich also
besonders elend weiß, weil sehr arm an Verdiensten und
sehr mit den Übeln der Seele, d.h. mit Sünden belastet,
der kann zu Maria flehen: O meine Herrin, du bist die
Zuflucht der armen Kranken, verstoße mich nicht; denn
als der Ärmste und Kränkste von allen, habe ich am
meisten Anspruch, von dir aufgenommen zu werden.
Sprechen also auch wir mit dem hl. Thomas von Villanova
zu Maria: „O Maria, wir armen Sünder wissen keine andere
Zuflucht zu finden, außer dir; du bist unsere einzige
Hoffnung, der wir unser Heil anvertrauen. Du bist die
einzige Fürsprecherin bei Jesus Christus, an die wir uns
alle wenden.”
In den Offenbarungen der hl. Birgitta wird Maria das
Gestirn genannt, das der Sonne vorangeht. Das will
sagen, sobald in der Seele eines Sünders die Andacht zur
göttlichen Mutter sich blicken läßt, so ist das ein
sicheres Zeichen, daß bald Gott selbst erscheinen wird,
um sie mit seiner Gnade zu bereichern. Der glorreiche
hl. Bonaventura stellt den Sündern, um in ihnen das
Vertrauen auf den Schutz Mariens zu beleben, ein
stürmisches Meer vor Augen, wo die aus dem Schiff der
göttlichen Gnade gefallenen, von Gewissensbissen und der
Furcht vor der göttlichen Gerechtigkeit hin- und
hergeschleuderten Sünder ohne Licht und ohne Führer
schon nahe daran sind, jede Hoffnung aufzugeben und zu
verzweifeln, bis ihnen der Herr Maria als den
Meeresstern, wie sie alle nennen, zeigt und ihnen mit
lauter Stimme zuruft: „Arme, verlorene Sünder,
verzweifelt nicht; erhebt eure Augen zu diesem schönen
Stern; faßt neues Vertrauen; denn sie wird euch aus
diesem Sturm retten und in den Hafen des Heiles führen»
Dasselbe sagt der hl. Bernhard: „Willst du nicht vom
Sturm versenkt werden, so blicke auf nach dem Stern und
rufe Maria zu Hilfe!” Sie ist auch, nach dem Ausspruch
des frommen Blosius, die einzige Rettung jener, die Gott
beleidigt haben; sie die Zuflucht aller Versuchten und
Betrübten. Diese Mutter der Barmherzigkeit ist ganz
gütig, ganz milde, nicht bloß gegen die Gerechten,
sondern auch gegen die Sünder und Verzweifelnden. Sobald
sie solche zu ihr fliehen und von Herzen ihren Beistand
suchen sieht, kommt sie ihnen sogleich zu Hilfe, nimmt
sie auf und
erlangt ihnen Verzeihung von ihrem Sohn!
Keinen kann sie verachten, ist er auch noch so unwürdig;
darum verweigert sie niemandem ihren Schutz, sondern
tröstet sie alle. Mit einem Wort, kaum ist sie
angerufen, so ist auch ihre Hilfe da. Durch ihre süßeste
Güte weiß sie die der Liebe Gottes fernsten und in den
Sündenschlaf am tiefsten versunkenen Sünder zu erwecken
und zu ihrem Dienst anzulocken. So bereiten sie sich
also durch ihre Vermittlung zum Empfang der göttlichen
Gnade und machen sich endlich der ewigen Seligkeit
würdig. Gott hat diese seine geliebte Tochter gleich von
Natur aus so mitleidsvoll und menschenfreundlich
gemacht, daß niemand sich scheuen kann, ihre Vermittlung
anzurufen. „Es ist darum nicht möglich”, schließt der
fromme Blosius, „daß jemand, der mit Beharrlichkeit und
Demut die Andacht zu der göttlichen Mutter pflegt, verlorengehe.”
Maria wird Platane genannt. „Ich wuchs wie eine
Platane.” (Sir 24,19) Daraus sollen die Sünder erkennen, daß, gleich wie die Platane den Wanderern eine Zuflucht
bietet, um unter ihrem Schatten vor der Sonnenhitze sich
zu schützen, ebenso lädt Maria die Sünder ein, gegen die
sie den Zorn der göttlichen Gerechtigkeit entbrannt
sieht, sich unter dem Schatten ihres Schutzes zu bergen.
Der Prophet Isaias wehklagte über seine Zeitgenossen mit
den Worten: „Siehe, du zürnst, o Herr, weil wir
gesündigt haben... Niemand ist, der... sich erhebt, der
an dir festhält!” (Is 64,5) Der
hl. Bonaventura stellt
hierüber die Erwägung an: „Vor Maria war niemand, der es
wagte, Gott zurückzuhalten; aber wenn jetzt Gott gegen
einen Sünder erzürnt ist, und Maria seinen Schutz übernimmt, so hält sie ihren Sohn zurück, daß Er
ihn nicht strafe, sondern selig mache. „Und niemand”,
fährt er fort, „läßt sich finden, der geeigneter wäre
als Maria, die gefalteten Hände unter das Schwert der
göttlichen Gerechtigkeit zu halten, damit es nicht
niederfahre, den Sünder zu züchtigen.” Den gleichen
Gedanken führt Richard von St. Lorenz weiter aus, wenn
er sagt, Gott habe vor Ankunft Mariens in der Welt sich
beklagt, daß niemand sei, der Ihn zurückhalte, die
Sünder zu strafen; nach ihrer Geburt aber sei es Maria,
die Ihn versöhne.
Der hl. Basilius von Seleukia spricht deshalb den
Sündern Mut zu mit den Worten:
„O Sünder, verzage nicht, sondern fliehe zu Maria in
allen deinen Nöten, rufe sie zu Hilfe, du wirst sie
immer zu deinem Beistand bereit finden; denn es ist ja
der Wille Gottes, daß sie allen in jeder Not beistehe.”
Diese Mutter der Barmherzigkeit hat ein so großes
Verlangen, gerade die unglücklichsten Sünder zu retten, daß sie dieselben sogar aufsucht, um ihnen zu helfen,
und wenn sie zu ihr fliehen, so weiß sie wohl, wie sie
dieselben Gott wieder wohlgefällig machen kann.
Isaak begehrte, vom Wild des Waldes zu essen, und
verhieß dem Esau dafür seinen Segen. Rebecca hingegen
wollte, daß ihr anderer Sohn Jakob den Segen empfange
und sprach zu diesem, daß er ihr zwei Ziegenböcklein
bringe, um sie nach dem Geschmack Isaaks zu bereiten.
„Geh zur Herde und hol mir zwei Böcklein.”
(Gen 27,9)
Der hl. Antonin sagt, Rebecca war ein Vorbild Mariens,
die zu den Engeln sagt: „Bringt mir Sünder”, diese
werden durch die Böcklein bezeichnet, „denn ich werde
sie durch Reue und guten Vorsatz, den ich ihnen erlange,
also zurichten, daß ich sie meinem Herrn wieder lieb und
wohlgefällig mache.” Der Abt Franko führt denselben Gedanken aus, wenn er sagt, Maria
verstehe diese Böcklein so trefflich zu bereiten, daß
sie dem Geschmack von einem Hirsch nicht bloß
gleichkommen, sondern ihn manchmal übertreffen.
Die allerseligste Jungfrau selbst offenbarte der hl.
Birgitta, es gebe auf der Welt keinen Gott so
entfremdeten Sünder, der nicht, wenn er zu ihr seine
Zuflucht nehme und ihren Beistand anrufe, wieder zu Gott
zurückkehren und seine Gnade wieder erlangen werde. Die
hl. Birgitta vernahm auch einmal die Worte Jesu Christi
an seine Mutter, daß sie sogar dem Luzifer die göttliche
Gnade wieder zu erlangen vermöchte, wenn nur dieser sich
demütigen könnte, sie um ihren Beistand zu bitten.
Dieser stolze Geist wird sich zwar nie soweit
verdemütigen, den Schutz Mariens anzurufen; aber könnte
er sich demütigen, sie darum zu bitten, so hätte Maria
die Barmherzigkeit und die Macht, ihm durch ihre
Fürbitte von Gott die Vergebung und das Heil zu
erlangen. Allein was sich beim Teufel nicht geschehen
kann, das geschieht an den Sündern, die zu dieser Mutter
der Barmherzigkeit ihre Zuflucht nehmen.
Die Arche Noe
war ebenfalls ein Vorbild Mariens, denn gleichwie in
jener alle Tiere der Erde Rettung fanden, so finden
unter dem Mantel Mariens alle Sünder, die durch ihre
Laster und Sünden des Fleisches den Tieren ähnlich sind,
eine Zuflucht; doch mit dem Unterschied, daß - nach der
Bemerkung eines Schriftstellers - die Tiere, die in die
Arche gingen, Tiere blieben, der Wolf ein Wolf, der
Tiger ein Tiger, unter dem Mantel Mariens wird aber der
Wolf zum Lamm, der Tiger zur Taube. Einmal sah die hl.
Gertrud Maria mit weit geöffnetem Mantel und unter ihm
Tiere verschiedener Gattung, Leoparden, Löwen, Bären;
und sie bemerkte, wie die allerseligste Jungfrau
dieselben nicht allein nicht verjagte, sondern vielmehr
mit gütiger Hand sie huldreich aufnahm und liebkoste. Da
erkannte die Heilige, daß die wilden Tiere die
unglücklichen Sünder sind, die Maria mit süßer Liebe
aufnimmt, sobald sie zu ihr flüchten. Mit Recht also
sagt der hl. Bernhard zur allerseligsten Jungfrau:
„O liebe Frau, du verabscheust keinen, der sich dir
naht, er mag was immer für ein Sünder und noch so
häßlich und verabscheuungswürdig sein. So er dich um
Hilfe anruft, verschmähst du nicht, deine mitleidige
Hand auszustrecken und ihn aus dem Abgrund der
Verzweiflung herauszuziehen.” O liebenswürdigste Mutter
Maria, allzeit sei Lob und Dank unserem Gott, der dich
so sanft und gütig, selbst gegen die elendesten Sünder
gemacht hat! Unglücklich ist, wer dich nicht liebt, und,
da er doch zu dir seine Zuflucht nehmen kann, auf dich
nicht vertraut. Wer sich nicht an Maria wendet, ist
verloren; aber wer ist je verloren gegangen, der zu
Maria seine Zuflucht genommen?
In der Hl. Schrift wird erzählt, Booz habe Ruth erlaubt,
die Ähren nachzulesen, die den Händen der Schnitter
entfallen waren. „Sie sammelte Ähren hinter den
Schnittern her.” (Rth 2,6) Dazu bemerkt der hl.
Bonaventura: „Gleichwie Ruth in den Augen des Booz Gnade
fand, ebenso hat Maria in den Augen des Herrn Gnade
gefunden, nämlich die Ähren aufzusammeln, welche die
Schnitter zurückgelassen haben.” Die Schnitter sind die
Arbeiter des Evangelium, die Missionare, die Prediger,
die Beichtväter, die durch ihre Mühen Tag für Tag die
Seelen ernten und für Gott gewinnen. Es gibt aber
widerspenstige und verhärtete Seelen, die auch von
diesen
Arbeitern zurückgelassen werden; nur Maria ist es
gegeben, durch ihre mächtige Fürsprache diese liegengebliebenen Ähren zu retten. Wie unglückselig
wären sie, wenn sie nicht einmal von dieser gütigen
Herrin sich sammeln ließen! Ja, sie würden in der Tat
verloren und verflucht sein! Glückselig hingegen, wer zu
dieser guten Mutter flieht! „Es gibt auf der Welt”, sagt
der fromme Blosius, „keinen so verlorenen und
versunkenen Sünder, den Maria verabscheuen und verstoßen
würde. Nein, wenn ein solcher Hilfe suchend naht, so
vermag und will es diese gute Mutter, ihn mit ihrem Sohn
wieder auszusöhnen und ihm Verzeihung zu erlangen,”
Mit Recht also, o meine mildreichste Königin, begrüßt
dich der hl. Johannes von Damaskus mit dem Titel:
Hoffnung der Verzweifelten; mit Recht nennt dich der hl.
Laurentius Justinianus: Hoffnung der Verbrecher, der hl.
Augustinus: Einzige Hoffnung der Sünder; der hl. Ephräm:
Sicherer Hafen der Schiffbrüchigen. Ja dieser nennt dich
sogar: Beschützerin der Verdammten. Mit Recht endlich
mahnt der hl. Bernhard die Verzweifelnden, nicht zu
verzagen, weshalb er voll Freude und Zärtlichkeit zu
ihr, seiner teuersten Mutter, die liebenden Worte
spricht:
„O meine Herrin, wer sollte auf dich nicht vertrauen, da
du sogar den Verzweifelnden
zu Hilfe kommst? Ich bin gewiß, daß wenn immer wir zu
dir uns wenden, wir alles erlangen, was wir begehren.
Auf dich also hoffe, wer keine Hoffnung mehr hat.”
Der
hl. Antonin erzählt, daß es einem in Gottes Ungnade
gefallenen Menschen vorgekommen sei, als stehe er vor
dem Richterstuhl Jesu Christi, wo der Teufel ihn
anklagte, Maria aber verteidigte. Der Feind brachte
gegen den armen Sünder das ganze Verzeichnis seiner
Sünden vor, das in der Waagschale der göttlichen
Gerechtigkeit weit schwerer wog, als alle seine guten
Werke. Doch, was tat seine mächtige Fürsprecherin? Sie
streckte ihre milde Hand aus, legte sie auf die andere
Waagschale und brachte sie zum Sinken. Dadurch gab sie
ihm zu verstehen, sie wolle ihm Verzeihung erlangen,
wenn er sein Leben ändere. In der Tat bekehrte
sich der Sünder auf dieses Gesicht hin und änderte sein
Leben.
Beispiel
Der sel. Johannes Herolt, der sich aus Demut den Schüler
nennt, erzählt von einem verheirateten Mann, der in der
Sünde lebte. Seine Frau, eine tugendhafte Frau, die ihn
nicht zum Aufgeben der Sünde zu bewegen vermochte, bat
ihn, er möge doch wenigstens in seinem elenden Zustand
soviel Andacht zu Maria üben, daß er im Vorbeigehen vor
ihrem Bild jedesmal mit einem Ave sie begrüße.
Der Mann fing an, diese Andacht zu üben. Da er nun eines
Nachts daran war, eine Sünde zu begehen, erblickte er
ein Licht und näher tretend erkannte er es als die Lampe
vor einem Andachtsbild Mariens mit dem Jesuskind auf dem
Arm. Nach seiner Gewohnheit sprach er das Ave Maria;
aber was muß er sehen? Das Kind voll Wunden, die von
frischem Blut triefen. Erschreckt und zugleich gerührt
bedachte er, daß er durch seine Sünden den Erlöser so
verwundet habe, und er brach in Tränen aus. Da bemerkte
er, daß das Kind ihm den Rücken kehrte. Voll Bestürzung
wandte er sich an die allerseligste Jungfrau und sprach:
„Mutter der Barmherzigkeit, dein Sohn verstößt mich. Ich
kann keine mitleidigere und mächtigere
Fürsprecherin finden als dich, die du seine Mutter bist.
Meine Königin hilf mir! Bitte Ihn für mich!” Die
göttliche Mutter gab ihm aus dem Bild zur Antwort:
„Ihr
Sünder nennt mich Mutter der Barmherzigkeit; doch hört
ihr nicht auf, mich zu einer Mutter des Elends zu
machen, indem ihr meinem Sohn das bittere Leiden und mir
meine Schmerzen erneuert.”
Allein da Maria keinen, der zu ihren Füßen Zuflucht
sucht, ungetröstet von sich weisen kann, so wandte sie
sich dennoch an ihren Sohn und bat Ihn, diesem
Unglücklichen zu verzeihen. Jesus zeigte fortwährend
sein Widerstreben gegen solche Verzeihung; die
allerseligste Jungfrau aber legte das Kind in die
Nische, warf sich vor Ihm nieder und sprach: „Mein Sohn,
ich weiche nicht von deinen Füßen, bis du diesem Sünder
verziehen hast.” - „Meine Mutter,” sprach darauf Jesus,
„ich kann dir nichts verweigern; willst du, daß ihm
vergeben sei? Aus Liebe zu dir vergebe ich ihm; lasse
ihn kommen, daß er meine Wunden küsse.”
Der Sünder trat bitterlich weinend hinzu und während er
die Wunden des Kindes küßte, wurden sie heil. Endlich
schloß ihn Jesus in seine Arme zum Zeichen der
Verzeihung. Er änderte sein Leben, ergab sich von nun an
einem gottseligen Wandel und bewahrte sein ganzes Leben
hindurch die innigste Liebe zur allerseligsten Jungfrau,
die ihm eine so große Gnade erlangt hatte.
Gebet
Ich verehre, o allerreinste Jungfrau Maria, dein
heiligstes Herz, diese Wonne und Ruhestätte Gottes, dein
Herz voll Demut, Reinheit und göttlicher Liebe! Ich
unglücklicher Sünder komme zu dir mit einem Herzen voll
Schmutz und Wunden. O Mutter der Liebe, verschmähe mich
nicht, sondern laß dich zu größerem Mitleiden dadurch
bewegen und hilf mir! Suche nicht, um mir zu helfen,
Tugenden oder Verdienste! Ich bin ein Verlorener und
verdiene nichts, als die Hölle. Blicke allein, ich
bitte, auf das Vertrauen, das ich zu dir gefaßt, und auf
den guten Willen, den ich habe, mich zu bessern. Sieh
darauf, was Jesus für mich getan und gelitten hat, und
dann verlasse mich, so du dir getraust, mich zu
verstoßen. Ich stelle dir vor Augen alle Leiden seines
ganzen Lebens, die Kälte, die Er litt im Stall, seine
Flucht nach Ägypten, das Blut, das Er vergoß, die Armut,
den Schweiß, die Traurigkeit, den Tod, den Er aus Liebe
zu mir in deiner Gegenwart erduldet hat; - aus Liebe zu
Jesus also nimm es auf dich, mich zu retten!
O meine Mutter, ich kann nicht fürchten, daß du mich
verstößt, jetzt da ich zu dir fliehe und deine Hilfe
anrufe. Würde ich dies fürchten, so würde ich ja deiner
Barmherzigkeit Unrecht tun, welche die Elenden aufsucht,
um ihnen zu helfen.
O meine liebe Frau, verweigere dein
Mitleid dem nicht, dem Jesus sein Blut nicht verweigert
hat. Die Verdienste dieses Blutes aber werden mir nicht
zugewendet, wenn du mich nicht Gott empfiehlst. Von dir
hoffe ich mein Heil. Ich bitte dich nicht um Reichtum,
Ehren oder andere Güter dieser Welt; ich bitte dich um
die Gnade Gottes, um die Liebe zu deinem Sohn, um die
Erfüllung seines Willens, um den Himmel, auf daß ich Ihn
ewig liebe. Wäre es möglich, daß du mich nicht erhörst?
Nein, du erhörst mich nun, wie ich hoffe; schon bittest
du für mich; schon erlangst
du mir die gewünschten Gnaden; schon nimmst du mich
unter deinen Schutz. Meine Mutter, verlasse mich nicht;
fahre fort, fahre fort, für mich zu bitten, bis du mich
selig im Himmel zu deinen Füßen siehst, um dich zu
preisen und dir zu danken in Ewigkeit. Amen.
4. - Kap. Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas
Abs. 1 - Wie sehr Maria bereit ist, dem zu helfen, der
sie anruft
Wir arme Kinder der unglücklichen Eva, ihrer Schuld vor
Gott teilhaftig und zu gleicher Strafe wie sie
verurteilt, wir wandern heimatlos durch dieses
Tränental, als Verbannte aus unserem Vaterland und
weinend vor Betrübnis über so viele Schmerzen Leibes und
der Seele. Doch glückselig ist, wer inmitten dieses
Elendes oft sich an die Trösterin der Welt wendet, an
die Zuflucht der Elenden, an die erhabene Mutter Gottes
und andächtig zu ihr ruft und zu ihr betet. „Glückselig
der Mensch, der mich hört und der an meiner Tür wacht
Tag für Tag.” (Spr 8,54) Selig, sagt Maria, wer meine
Ratschläge anhört und nicht aufhört, unablässig an den
Pforten meiner Barmherzigkeit zu stehen, indem er mich
um meine Fürsprache und Hilfe anfleht. Die hl. Kirche
selbst zeigt uns, ihren Kindern, mit welcher Andacht und
mit welchem Vertrauen wir unablässig an diese unsere
liebreiche Beschützerin uns wenden sollen, indem sie
verordnet, daß Maria durch einen besonderen Kult verehrt
werde, daß in jedem Jahr so viele Feste ihr zu Ehren
gefeiert werden, daß in jeder Woche ein Tag im
Besonderen ihrem Dienst geweiht sei, daß jeden Tag alle
Geistlichen und Ordensleute sie in den kirchlichen
Tagzeiten im Namen des ganzen christlichen Volkes
anrufen, und daß alle Gläubigen sie dreimal des Tages
beim Klang der Glocke begrüßen [Gebet des Engel des
Herrn].
Diese Absicht der Kirche leuchtet genügend schon daraus
hervor, daß sie in allen Fällen gemeinsamer Not die
Mutter Gottes durch Novenen, durch Gebete, durch
Prozessionen, durch Besuch ihrer Kirchen und ihrer
Bilder angerufen wissen will. Maria selbst begehrt von
uns, jeder Zeit angerufen und gebeten zu werden, nicht
etwa, als erbitte sie sich damit unsere Dienste und
Ehrenbezeigungen, die ohnehin in keinem Verhältnis zu
dem stehen, was ihr gebührt, sondern aus dem Grund, daß
unser Vertrauen und unsere Andacht zunehme, und sie uns
um so mehr helfen und trösten könne. „Sie selbst”, sagt
der hl. Bonaventura, „sucht solche, die andächtig und
ehrfurchtsvoll sich ihr nahen; diese liebt, diese
pflegt, diese nimmt sie zu ihren Kindern an.”
Der hl. Bonaventura sagt auch, daß
Ruth, deren Name eine
Sehende und Eilende bedeutet, ein Vorbild Mariens war;
denn sobald Maria unser Elend sieht, eilt sie, mit ihrer
Barmherzigkeit uns zu helfen. Und Novarin erklärt, daß
Maria vor Verlangen, uns Gutes zu tun, kein Zögern
ertragen kann, und da sie keine geizige Hüterin ihrer
Gnadenschätze ist, so kann sie als Mutter der
Barmherzigkeit sich nicht enthalten, so schnell als
möglich über ihre Diener die Schätze ihrer Freigebigkeit
auszuschütten.
O wie bereit ist diese gütige Mutter,
jedem, der sie anruft, beizustehen. „Deine zwei Brüste
sind zwei junge Rehe”
(Hl 4,5)
heißt es im Hohenlied,
was Richard
von St. Lorenz so erklärt, daß die Brüste Mariens so
schnell bereit seien, die Milch der Barmherzigkeit
jedem, der sie bittet, zu reichen, wie die Rehe schnell
sind im Lauf. Derselbe Schriftsteller behauptet fest,
daß die Barmherzigkeit Mariens sich auf jeden ergieße,
der sie anruft, wenn er auch kein weiteres Gebet
verrichten sollte, als ein einfaches Ave Maria. Darum
bezeugt Novarin, daß die allerseligste Jungfrau zum
Beistand derer, die sie anrufen, nicht bloß in schnellem
Lauf, sondern im Flug herbeieile. In dem Erweis ihrer
Barmherzigkeit ahmt sie das Verfahren Gottes nach, wie
derselbe Schriftsteller bemerkt; denn gleichwie der Herr
ohne Zögern eilt, jenen zu helfen, die Ihn um seinen
Beistand bitten, da Er vollkommen getreu ist in
Erfüllung seiner Verheißung: „Bittet und ihr werdet
empfangen;” (Jo 16,24) ebenso ist Maria, sobald man sie
anruft, augenblicklich bereit, dem zu helfen, der sie
anfleht.
Daraus erkennen wir auch, wer jene Frau in der
geheimen Offenbarung ist, von der es heißt, es seien ihr
zwei Flügel eines großen Adlers gegeben worden, um in
die Wüste zu fliegen. „Und der Frau wurden zwei Flügel
eines großen Adlers gegeben, daß sie in die Wüste
flöge.” (Offb 12,14)
Ribeira versteht unter diesen
Flügeln die Liebe, mit der Maria unablässig zu Gott
auffliegt. Aber der sel. Amadeus behauptet in
Übereinstimmung mit uns, daß die Adlerflügel die
Schnelligkeit bedeuten, mit der Maria, die Behendigkeit
der Seraphim übertreffend, beständig ihren Kindern zu
Hilfe eilt. Ebendarum heißt es in dem Evangelium des hl.
Lukas, daß Maria, als sie die hl. Elisabeth heimsuchen
und die ganze Familie mit Gnaden überhäufen wollte,
nicht langsam, sondern eilig die ganze Reise
zurückgelegt habe.
„Maria machte sich auf und ging eilends über das
Gebirge.” (Lk 1,39) Dies aber wird nicht von der
Rückreise gesagt. Aus demselben Grund heißt es ferner im Hohenlied, daß die Hände Mariens wie durch die Kunst des
Drechslers bereitet sind. „Ihre Hände sind wie aus Gold
gedreht,” (Hl 5,14) was
Richard von St. Lorenz erklärt, daß, wie die Arbeit des Drechslers die leichteste und
behendeste ist, ebenso Maria schneller als alle anderen
Heiligen ihren Dienern zu Hilfe komme. „Sie hat das
höchste Verlangen, alle zu trösten”, sagt Blosius, „und
kaum vernimmt sie eine Bitte, als sie gütig dieselbe
schon gewährt und zu Hilfe kommt.”
Der hl. Bonaventura nennt also mit Recht Maria das Heil
derer, die sie anrufen, indem er sagen will, daß, um das
Heil zu erlangen, es hinreiche, diese göttliche Mutter
anzurufen, die, den Worten Richards von St. Lorenz
gemäß, sich bereit finden läßt, dem, der sie anruft,
beizustehen. Denn auch Bernhardin von Bustis bezeugt,
unsere erhabene Herrin trage mehr Verlangen, uns Gnaden
zu erweisen, als wir begehren, solche zu erhalten.
Wenn wir zu ihren Füßen uns flüchten, so darf die Menge
unserer Missetaten das Vertrauen in uns nicht mindern,
von ihr erhört zu werden. Sie ist Mutter der
Barmherzigkeit und ihre Barmherzigkeit findet nur da
Gelegenheit, wo ein Hilfsbedürftiger sich findet. Wie
darum eine gütige Mutter es nicht verschmäht, einem mit
Aussatz behafteten Kind Mittel zu reichen, wenngleich
diese Pflege beschwerlich und ekelerregend ist, ebenso
kann unsere gute Mutter uns nicht verlassen, wenn wir
uns an sie wenden, mag auch der üble Geruch unserer
Sünden, von denen sie uns zu heilen hat, noch so groß
sein. Dieses wollte Maria selbst zu verstehen geben, als
sie sich der hl.
Gertrud zeigte, ihren Mantelausbreitend, um alle, die zu
ihr fliehen, darunter aufzunehmen. Dabei nahm die
Heilige zugleich wahr, wie auch die Engel bedacht sind,
die Verehrer Mariens gegen die Anfechtungen der Hölle zu
schützen.
So groß ist das Mitleid, welches diese gute Mutter mit
uns hat, und so groß die Liebe, die sie zu uns trägt,
daß sie nicht auf unsere Gebete wartet, um uns zu Hilfe
zu kommen. „Sie kommt denen zuvor, die nach ihr
verlangen, um sich ihnen zuerst zu zeigen.” (Wsh 6,14)
Diese Worte der Weisheit bezieht der hl. Anselm auf
Maria und sagt, daß sie denen, die nach ihrem Schutz
verlangen, hilfreich zuvorkommt. Daraus mögen wir
ermessen, wie viele Gnaden sie von Gott uns erlangt,
noch ehe wir sie darum bitten. Deshalb wird nach dem
Ausspruch Richards von St. Viktor Maria „Mond” genannt
-
Schön wie der Mond (Hl 6,9) -, nicht allein weil sie
schnell wie der Mond dem, der sie anruft, zu Hilfe eilt,
sondern mehr noch, weil sie so sehr um unser Wohl
besorgt ist, daß, wenn wir in Not sind, sie unseren
Bitten zuvorkommt, und daß ihre Barmherzigkeit schneller
bereit ist, uns beizustehen, als wir uns entschließen,
sie anzurufen. Dies kommt nach der Meinung Richards von
der Überfülle des Mitleidens im Herzen Mariens, das,
kaum daß sie unser Elend bemerkt, alsbald von der Milch
des Erbarmens überfließt, indem die milde Königin die
Not keiner Seele erblicken kann, ohne ihr zu helfen.
Dieses große Mitleid Mariens mit unserem Elend, welches
sie drängt, Erbarmen mit uns zu fühlen und uns zu
helfen, sogar wenn wir sie nicht einmal anrufen, hat sie
uns selbst noch während ihres irdischen Lebens, auf der
Hochzeit zu Kana, zu erkennen gegeben, wie es im
Evangelium des hl. Johannes beschrieben ist. Diese
mitleidige Mutter sah den Kummer der Brautleute, die aus
Beschämung, daß der Wein an der Tafel der Gäste
ausgegangen, ganz betrübt waren, und ungebeten, allein
von ihrem gütigen Herzen getrieben, das, ohne
mitzuleiden, fremde Betrübnis nicht sehen kann, gedachte
sie, ihren Sohn zu bitten, daß Er sie tröste, weshalb
sie Ihm die Not der Familie einfach mit den Worten
vorstellte: „Vinum non habent - sie haben keinen
Wein.” (Jo 2,3)
Auf dieses hin wirkte der Herr zum Trost der Familie und
noch mehr zur Freude des mitleidsvollen Herzens seiner
Mutter, das von ihr ersehnte, allbekannte Wunder der
Verwandlung des Wassers in bestimmten Krügen zu Wein.
„Wenn nun Maria”, schließt Novarin, „so bereit ist, in
der Not zu helfen, ohne daß man sie bittet, wie viel
mehr wird sie dem zu helfen bereit sein, der sie mit
Bitten um ihren Beistand anfleht.” Und sollte jemand
glauben, Maria habe ihm auf seine Bitten nicht geholfen,
so hält ihm Innozenz III. entgegen: „Wann hat es je
einen gegeben, der bei dieser gütigen Frau Hilfe gesucht
und nicht gefunden hätte?” „Wer o heiligste Jungfrau”,
ruft auch der sel. Eutychian aus, „hat jemals deinen
mächtigen Schutz, der jedem Elenden zu helfen und die
verworfensten Sünder zu retten vermag, angerufen und ist
von dir verlassen worden? In Wahrheit keiner jemals.”
Nein, dieser Fall hat sich noch nicht ereignet und wird
sich nie ereignen. „Ich gebe zu”, sagt der
hl. Bernhard,
„daß der von deiner Barmherzigkeit schweige und aufhöre,
sie zu loben, der sich erinnern kann, dich in seiner Not
angerufen und von dir keine Hilfe erhalten zu haben.”
„Doch eher können Himmel und Erde vergehen”, sagt der
fromme Blosius, „als
daß Maria es unterlasse, demjenigen zu helfen, der in
guter Absicht und mit Vertrauen sie um Hilfe bittet.”
Und der hl. Anselm sucht unser Vertrauen mit den Worten
zu mehren: „Wenn wir an diese göttliche Mutter uns
wenden, so dürfen wir nicht bloß ihres Schutzes
versichert sein, sondern manchmal werden wir schneller
erhört und wird uns eher geholfen, wenn wir den Namen Mariens, als wenn wir den Namen Jesus unseres Erlösers
anrufen.” Er will damit sagen, daß wir schneller Hilfe
bei der Mutter als bei dem Sohn finden, nicht als wäre
Maria etwa mächtiger, uns zu helfen, als ihr Sohn; denn
wir wissen ja, daß Jesus Christus unser einziger Erlöser
ist, der allein durch seine Verdienste uns das Heil
erworben hat und immerdar erwirbt; sondern deshalb, weil
es so leicht geschieht, daß, wenn wir uns an Jesus
Christus wenden und erwägen, wie es Ihm als unserem
Richter zukommt, die Undankbaren zu züchtigen, wir es an
dem zur Erhörung notwendigen Vertrauen fehlen lassen.
Wenn wir aber zu Maria bitten, die als Mutter der
Barmherzigkeit kein anderes Amt hat, als sich unser zu
erbarmen und als Fürsprecherin uns zu verteidigen, so
wird unser Vertrauen zu ihr zuversichtlicher und größer.
Um vieles bitten wir zu Gott und erhalten es nicht;
bitten wir Maria, so erhalten wir es. Woher kommt das?
Nikephorus antwortet: „Nicht daher, weil Maria mächtiger
ist als Gott, sondern weil Gott beschlossen hat, auf
solche Weise seine Mutter zu ehren.”
Lieblich ist die Verheißung, die der Herr selbst hier
über die hl. Birgitta vernehmen ließ. Im ersten Buch
ihrer Offenbarungen liest man, daß diese Heilige eines
Tages inne wurde, wie Jesus Christus, mit seiner Mutter
sprechend, sagte: „Meine Mutter, erbitte von mir, was
immer du willst, nichts werde ich dir je verweigern von
allem, was du begehrst, und wisse, daß ich allen, die
mich durch deine Liebe um eine Gnade bitten, die
Erhörung verspreche, wenn sie gleich Sünder sind, aber
doch den ernsten Willen haben, sich zu bessern.”
Dieselbe Offenbarung wurde der hl. Gertrud zuteil. Sie
vernahm ebenfalls, wie unser Heiland zu Maria sprach, Er
habe ihr in seiner Allmacht das Vorrecht gewährt, den
Sündern, die sie anrufen, Barmherzigkeit zu erzeigen, in
welcher Weise es ihr immer gefalle. Es möge also jeder
mit großem Vertrauen diese Mutter der Barmherzigkeit
anrufen und mit dem hl. Augustinus zu ihr sprechen:
„Gedenke o gütigste Jungfrau Maria, daß es, seit die
Welt steht, noch nie erhört worden ist, daß jemand von
Dir verlassen worden sei.” Darum vergib mir, wenn ich
sage, daß ich nicht der erste Unglückliche sein will,
der, seine Zuflucht zu dir nehmend, von dir verlassen
worden sei.
Beispiel
Die Kraft dieses Gebetes hat besonders der hl. Franz von
Sales erfahren, wie in seiner Lebensbeschreibung erzählt
wird. Der Heilige befand sich, etwa siebzehn Jahre alt,
in Paris als Studierender und ergab sich ganz den
Übungen der Frömmigkeit und der Liebe Gottes, die für
ihn gleich den süßen Freuden des Paradieses waren. Da
ließ es Gott der Herr zu seiner großen Prüfung und zur
Befestigung in seiner Liebe zu, daß der Teufel ihm
vorspiegelte, er möge tun, was er wolle, alles sei
umsonst; denn er sei nach göttlichem Ratschluß
verworfen. Zugleich ließ ihn Gott während jener Zeit in
einer solchen Finsternis und Geistesdürre, daß er
unempfindlich war
für alle auch die lieblichsten Gedanken an die göttliche
Güte. Hierdurch gewann die Versuchung noch mehr Stärke,
das Herz des hl. Jünglings so sehr zu betrüben, daß er
in dieser Bedrängnis und Trostlosigkeit den Appetit, den
Schlaf, die Farbe und alle Fröhlichkeit verlor und
allen, die ihn sahen, Mitleid einflößte.
So lange dieser fürchterliche Sturm dauerte, konnte der
Heilige keine anderen Gedanken fassen, noch andere Worte
sprechen, als der Verzweiflung und des Schmerzes. „Ich
soll also”, sprach er, wie in seinem Leben erzählt wird,
„ich soll also beraubt sein der Gnade meines Gottes, der
sich mir bisher so liebenswürdig und so gütig bewiesen
hat? O Liebe, o Schönheit, der ich alle meine Gefühle
geweiht habe, ich sollte mich deiner Tröstungen nicht
mehr erfreuen dürfen? O allerheiligste Jungfrau, Mutter
Gottes, Du schönste der Töchter Jerusalems, ich sollte
Dich einst im Himmel nicht schauen dürfen? Ach meine
Gebieterin, wenn es mir nicht vergönnt wird, Dein
schönes Angesicht zu schauen, so gestatte wenigstens
doch nicht, daß ich in der Hölle Dich lästern und Dir
fluchen muß.” Das waren damals die zärtlichen
Empfindungen dieses betrübten und von Liebe zu Gott und
zur allerseligsten Jungfrau entzündeten Herzens.
Einen ganzen Monat dauerte die Versuchung;
aber endlich
gefiel es dem Herrn, ihn davon zu befreien und zwar
durch die Vermittlung der Trösterin der Welt, der allerseligsten Jungfrau Maria, welcher der Heilige schon
früher seine Jungfräulichkeit geweiht und auf die er,
wie er selbst sagte, alle seine Hoffnung gesetzt hatte.
Eines Abends nun besuchte er auf dem Weg nach Hause eine
Kirche, in der er ein keines Täfelchen an der Mauer
hängen sah und darauf das Gebet des hl. Augustinus las:
„Erinnere Dich, o mildreichste Jungfrau Maria, daß es
noch niemals gehört wurde, daß Du jemanden verlassen
hättest, der zu Dir seine Zuflucht nahm.”
Er warf sich nun vor dem Altar der Mutter Gottes nieder
und sprach mit Inbrunst dieses Gebet. Er erneuerte sein
Gelübde der Jungfräulichkeit, versprach, jeden Tag den
Rosenkranz zu beten, und fügte hinzu: „Meine Königin,
sei Du meine Fürsprecherin bei Deinem Sohn; ich getraue
mich nicht mehr, mich an Ihn zu wenden. Meine Mutter,
wenn ich Unglücklicher in der anderen Welt meinen Herrn,
von dem ich doch erkenne, daß Er so sehr verdient,
geliebt zu werden, nicht mehr lieben kann, so erlange
mir wenigstens die Gnade, daß ich Ihn in dieser Welt
liebe, so sehr ich nur vermag. Diese Gnade begehre ich
von Dir, und von Dir hoffe ich sie zu erlangen.” So
flehte er zur allerseligsten Jungfrau und warf sich dann
ganz in die Arme der göttlichen Barmherzigkeit, indem er
sich vollständig dem göttlichen Willen ergab. Aber kaum
war das Gebet beendet, siehe, da war er augenblicklich
durch seine Mutter von seiner Versuchung befreit;
sogleich erlangte er den inneren Frieden und mit ihm
auch die Gesundheit des Leibes wieder. Von da an blieb
er der eifrigste Verehrer Mariens, und hörte nicht auf,
sein ganzes Leben hindurch in seinen Predigten und
Schriften das Lob und die Barmherzigkeit Mariens zu
verkündigen.
Gebet
O Mutter Gottes, Königin der Engel und Hoffnung der
Menschen, erhöre den, der zu dir ruft und zu dir flieht.
Sieh mich hier zu deinen Füßen! Ich unglücklicher
Sklave der Hölle, ich weihe mich für immer zu deinem
Knecht* und biete mich an, mein ganzes Leben lang dir zu
dienen und dich zu ehren, so viel ich nur kann. Wohl
erkenne ich, daß der Dienst eines so niedrigen und
elenden Sklaven, wie ich, der ich deinen Sohn und meinen
Erlöser Jesus Christus so sehr beleidigt habe, dir keine
Ehre ist. Doch wenn du einen Unwürdigen zu deinem Diener
annimmst und ihn durch deine Vermittlung umwandelst, so
verschafft dir eben diese deine Barmherzigkeit jene
Ehre, die ich Armseliger dir nicht geben kann. Nimm mich
also an, o meine Mutter, und weise mich nicht zurück. Um
verlorene Schafe zu suchen, kam das ewige Wort vom
Himmel auf die Erde, und um sie selig zu machen, hat es
dein Sohn werden wollen; und du solltest ein solches
Schäflein, das zu dir kommt, um Jesus zu finden,
verachten? Der Preis für meine Rettung ist schon
bezahlt. Mein Heiland hat bereits sein Blut, das ja
reicht, unendlich viele Welten zu erlösen, vergossen. Es
ist nur noch übrig, daß dieses Blut auch mir zugewendet
werde. Und das steht bei dir, o gebenedeite Jungfrau.
„Bei dir steht es”, sagt mir der hl. Bernhard,
„die Verdienste dieses Blutes auszuteilen an wen du
willst.” „Bei dir steht es”, sagt auch der hl.
Bonaventura, „selig zu machen, wen du willst.” Stehe mir
also bei, meine Königin, mache mich selig; dir übergebe
ich heute meine ganze Seele; sei du darauf bedacht, sie
zu retten. O Heil derer, die dich anrufen, schließe ich
mit dem nämlichen hl. Bonaventura, rette mich!
[* Auch die Apostel nennen sich Knechte Christi, weil
wir durch die Erlösung eigentlich sein Eigentum sind.
Siehe auch, was der hl. Ludwig Maria Grignion schreibt.]
Abs. 2 - Wie mächtig Maria ist, den zu verteidigen,
der sie
in den Anfechtungen des Teufels anruft
Maria ist nicht bloß die Königin des Himmels und der
Heiligen, sondern auch die Herrin über die Hölle und die
Teufel, weil sie diese durch ihre Tugenden heldenmütig
überwunden hat. Schon von Anfang der Welt an sagte Gott
der höllischen Schlange den Sieg und die Herrschaft, die
unsere Königin über sie erringen sollte, voraus. Er
kündigte ihr an, daß eine Frau zur Welt kommen werde,
von der sie besiegt werden sollte. „Ich werde
Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau; sie wird
dir deinen Kopf zertreten.” (Gen 3,15) Wer war aber
diese Frau, diese Feindin der höllischen Schlange, wenn
nicht Maria, die durch die Schönheit der Demut und die
Heiligkeit des Lebens jederzeit ihre Macht besiegt und
niederwirft? „Die Mutter unseres Herrn Jesu Christi ist
uns in jener Frau verheißen worden,” bezeugt der
hl. Cyprian. Und deshalb sagt er, Gott habe nicht
gesprochen: „Ich setze”, sondern: „Ich will setzen”,
damit diese Worte nicht auf Eva bezogen werden können.
Gott der Herr sagte: „Ich will Feindschaft setzen
zwischen dir und der Frau”, um anzudeuten, daß diese
Besiegerin der Hölle nicht die bereits lebende Eva sei,
sondern eine andere Frau, die von ihr abstammte, und die
unseren Stammeltern ein größeres Gut bringen sollte, wie
der hl. Vinzenz Ferrer sagt, als jenes war, das sie
durch ihre Sünde verloren hatten. Maria ist also jene
starke und erhabene Frau, die den Teufel besiegt und ihm
das Haupt zertreten hat, indem sie seinen Stolz
niederwarf,
wie der Herr selber hinzusetzte: „Sie wird dein Haupt
zertreten.”
Einzelne bezweifeln es zwar, daß diese Worte auf Maria,
sondern eher auf Jesus Christus sich beziehen, da die
Septuaginta übersetzt: „Er wird dein Haupt zertreten;”
aber in der Vulgata, die allein vom Konzil von Trient
approbiert wurde, heißt es
„Sie” nicht „Er”, und so haben es auch der
hl.
Ambrosius, der hl. Hieronymus, der hl. Augustinus, der
hl. Johannes Chrysostomus und sehr viele andere verstanden. Sei dem jedoch, wie ihm wolle, gewiß ist,
daß entweder der Sohn durch die Vermittlung der Mutter,
oder die Mutter durch die Kraft des Sohnes den Luzifer
überwunden hat; so daß also der Stolz zu seiner
Beschämung von dieser gebenedeiten Jungfrau zertreten
und niedergeworfen bleibt, wie der hl. Bernhard lehrt.
Und deshalb muß er wie ein im Krieg überwundener Sklave
beständig den Befehlen dieser Königin gehorchen. Der hl.
Bruno lehrt, Eva hat uns, weil von der Schlange besiegt,
Tod und Finsternis gebracht, die allerseligste Jungfrau
aber durch ihren Sieg über den Teufel Leben und Licht.
Und sie hält ihn so gebunden, daß der Feind sich nicht
rühren kann, um ihren Verehrern den geringsten Schaden
zuzufügen.
Schön ist die Erklärung, die Richard von St. Lorenz über
die Worte aus dem Buch der Sprichwörter gibt: „Es
vertraut auf sie ihres Mannes Herz, und es wird ihr
nicht an Beute fehlen» (Spr 31,11) Es vertraut auf sie
das Herz ihres Mannes, nämlich Christi, und es wird ihr
nicht an Beute fehlen; denn sie bereichert ihren
Bräutigam mit der Beute, die sie dem Teufel abnimmt.
Cornelius a Lapide gibt folgende Erklärung: Gott hat in
die Hand Mariens das Herz Jesu gelegt, damit sie es zu
ihrer Aufgabe mache, die Menschen zur Liebe zu diesem
Herzen zu bewegen. Und auf diese Weise wird ihm auch die
Beute nicht mangeln, nämlich der Gewinn von Seelen; denn
Maria bereichert Jesu mit jenen Seelen, die sie der
Hölle entreißt und durch ihren mächtigen Beistand aus
den Händen der Teufel rettet.
Die Palme ist bekanntlich das Zeichen des Sieges; darum
ist unsere Königin angesichts aller Gewalten auf einen
erhabenen Thron erhöht, der Palme gleich, die das
Sinnbild des Sieges ist, der allen, die unter ihren
Schutz sich stellen, gewiß ist. „Ich wuchs wie eine
Palme zu Kades;” (Sir 24,18) d. h. um euch zu
verteidigen, wie der hl. Albert Der Große hinzusetzt.
Kinder, will mit diesen Worten uns Maria sagen, wenn der
Feind euch anfällt, flieht zu mir, schaut auf mich und faßt Mut; denn in mir, eurer Beschützerin, seht ihr
zugleich eueren Sieg. Somit ist die Anrufung Mariens das
sicherste Mittel, alle Anfechtungen der Hölle zu
überwinden; denn sie ist, bemerkt der hl. Bernhardin von
Siena, auch die Königin über die Hölle und die
Beherrscherin der Teufel, da ja sie es ist, die
dieselben bändigt und niederhält. Deshalb heißt Maria:
Furchtbar den Mächten der Hölle, wie ein gutgeordnetes
Heer: „Furchtbar wie ein geordnetes Heer
(Vulg.),”
(Hl 6,3)
denn Maria versteht es wohl, ihre Macht, ihre
Barmherzigkeit, ihre Fürbitten zur Beschämung der Feinde
und zugunsten ihrer Diener, die in der Versuchung ihren
allmächtigen Beistand anrufen, zu ordnen.
„Wie ein Weinstock trug ich wohlriechende liebliche
Früchte.” (Sir 24,23) Der hl. Bernhard bemerkt zu dieser
Stelle: „Gleichwie vor dem blühenden Weinstock alles
giftige Gewürm flieht, so fliehen die Teufel vor jenen
beglückten Seelen, an denen sie den Wohlgeruch der
Andacht zu Maria spüren.” Deshalb wird sie auch
Zeder genannt: „Ich wuchs wie eine Zeder auf dem
Libanon;” (Sir24,17) gleichwie nämlich die Zeder der
Fäulnis unzugänglich ist, so ist Maria unzugänglich der
Sünde; und wie der Geruch der Zeder die Schlangen, so
verscheucht die Heiligkeit Mariens die Teufel.
[Zedernholz bewahrt auch Kleider vor Motten.]
Die Juden errangen mittels der Bundeslade viele Siege.
So besiegte Moses die Feinde: „Wenn die Lade erhoben
wurde, betete Moses: Erhebe dich, o Herr, auf daß sich
zerstreuen deine Feinde und fliehen die dich hassen.”
(Num 10,35) So wurde Jericho überwunden, so die
Philister; „denn die Lade Gottes war bei ihnen» (1 Kg
14,18) Bekanntlich war die Bundeslade ein Vorbild Mariens; wie in der Bundeslade das Manna sich befand, so
befand sich Jesus, dessen Vorbild das Manna war, in
Maria, und mittels dieser Bundeslade gewährt Er uns den
Sieg über unsere Feinde, die Welt und die Hölle, sagt
Cornelius a Lapide. Darum sagt der hl. Bernhardin von
Siena: „Als Maria, die Arche des neuen Bundes, zur
Himmelskönigin erhoben ward, wurde die Macht der Hölle
über die Menschen geschwächt und gebrochen.”
[Daher auch
die Anrufung in der Lauretanischen Litanei.]
„O wie zittern die Teufel der Hölle vor Maria und ihrem
erhabenen Namen”, sagt der
hl. Bonaventura indem er
diese höllischen Feinde mit jenen, von denen Job
spricht, vergleicht. „Im Finstern bricht er in die
Häuser ein... Erscheint plötzlich das Morgenrot, so
halten sie es für Todesschatten.” (Job 24,16. 17)
Ähnlich, sagt der Heilige, verhält es sich mit den
Teufeln. Zur Zeit der Finsternis, d. h. zu jener Zeit,
wo die Seele von Unverständigkeit verfinstert ist,
dringen sie in dieselbe ein, sobald aber die Gnade und
Barmherzigkeit Mariens in die Seele einzieht, so
vertreibt diese schöne Morgenröte die Finsternis, und
die höllischen Feinde fliehen vor ihr, wie vor dem
Schatten des Todes.
Zur Bestätigung dessen wurde der hl. Birgitta geoffenbart, Gott hat Maria eine solche Macht über alle
Teufel verliehen, daß, so oft dieselben einen Menschen
anfallen, der die Hilfe Mariens anruft, sie auf einen
einzigen Wink von ihr sogleich mit Schrecken
davon fliehen und lieber ihre Leiden verdoppelt, als sich
durch die Macht Mariens überwältigt sehen wollen. Über
die Worte, mit denen der göttliche Bräutigam seine
geliebte Braut lobpreist, da er sie Lilie nennt: „Gleich
wie eine Lilie unter den Dornen ist, so ist meine
Freundin unter den Töchtern,” (Hl 2,2) stellt Cornelius
a Lapide die Erwägung an: „Wie die Lilie ein Heilmittel
ist gegen Schlangen und Gift, so ist die Anrufung Mariens ein besonderes Heilmittel, um alle Versuchungen,
insbesondere jene gegen die Reinheit zu überwinden, wie
jene es erleben, die so verfahren.”
Der hl. Johannes von Damaskus spricht die allerseligste
Jungfrau an: „Wenn ich auf dich, o Gottesgebärerin, eine
unüberwindliche Hoffnung setze, werde ich selig sein;
ich werde meine Feinde überwinden, wenn ich nur allein
deinen Schutz und deine allmächtige Hilfe als
Waffenrüstung besitze.” Dasselbe kann jeder sagen, der
ein Diener dieser großen Königin ist. „O Mutter Gottes,
wenn ich auf dich hoffe, werde ich nicht besiegt werden;
denn von dir verteidigt, werde ich meine Feinde
verfolgen, und wenn ich ihnen deinen Schutz und
allmächtigen Beistand als meinen Schild entgegenhalte,
werde ich gewiß der Sieger sein.” Der Mönch Jakobus,
unter den griechischen Vätern als Kirchenlehrer
anerkannt, betet zu Gott mit den Worten: „O Herr, Du
hast uns diese deine Mutter als eine überaus mächtige
Waffe geschenkt, womit wir unfehlbar alle unsere Feinde
besiegen werden.”
Das zweiten Buch Moses berichtet, daß Gott sein Volk aus
Ägypten in das Land der Verheißung bei Tag durch eine
Wolkensäule, bei Nacht durch eine Feuersäule geführt
hatte. „Der Herr aber zog vor ihnen her, sie zu
geleiten, des Tages in einer Wolkensäule und des Nachts
in einer Feuersäule.” (Ex 13,21) In dieser wunderbaren
Wolken- und Feuersäule war, nach Richard von St. Lorenz,
Maria mit ihren beiden Ämtern, die sie unablässig zu
unserem Besten ausübt, vorgebildet, wie sie der Wolke
gleich uns gegen die Glut der göttlichen Gerechtigkeit,
als Feuersäule aber gegen die Teufel beschützt. „Sie
gleicht dem Feuer”, erklärt der hl. Bonaventura;
„denn wie vor der Flamme das Wachs zerschmilzt, so
zerfließt die Gewalt des Teufels vor den Seelen, die
häufig des Namens Maria gedenken, sie andächtig anrufen
und besonders vor jenen, die sich bestreben ihr
nachzufolgen.”
„O wie zittern die Teufel”, sagtt der hl. Bernhard,
„wenn sie den Namen Maria auch nur aussprechen hören. Im
Namen Maria beugt sich jegliches Knie, und die Teufel
fürchten sich vor ihm und erzittern, wenn sie ihn nennen
hören.” Und Thomas von Kempen bemerkt, gleichwie die
Menschen vor Schrecken zur Erde fallen, wenn der Blitz
in ihrer Nähe einschlägt, so werden die Teufel
niedergeschmettert, wenn sie den Namen Maria hören. O
welch herrliche Siege haben die Verehrer Marias durch
Anrufung ihres heiligsten Namens über diese Feinde
davongetragen.
Dadurch besiegte sie der hl. Antonius von
Padua; der hl. Heinrich Suso und so viele andere
Verehrer Mariens. Aus den Berichten von der Mission in
Japan weiß man, daß einem Christen dort viele Teufel in
Gestalt wilder Tiere erschienen, um ihn zu erschrecken
und ihm zu drohen, daß er aber ihnen zurief: „Ich habe
keine Waffen, vor denen ihr euch fürchten könnt; will es
aber der Allerhöchste zulassen, so tut an mir, was euch
gefällt. Übrigens nehme ich zu meiner Verteidigung die
süßesten Namen Jesus und Maria.” Kaum hatte er dies
gesagt, da öffnete sich bei dem Klang dieser Furcht
gebietenden Namen die Erde, und die stolzen Geister
stürzten hinab. Auch der hl. Anselm bezeugt aus
Erfahrung, daß er viele gekannt, die beim Anrufen des
Namens Maria schnelle Rettung aus Gefahren erlangt
haben.
„Überaus glorreich und wunderbar ist dein erhabener
Name, o Maria”, betet der hl. Bonaventura; jene, die in
der Todesstunde seiner gedenken und ihn aussprechen,
fürchten sich nicht vor der ganzen Hölle; denn sobald
die Teufel den Namen Maria hören, lassen sie sogleich
von einer Seele ab. Ein feindliches Kriegsheer fürchtet
sich nicht so vor einem reich bewaffneten Lager, wie die
feindlichen Gewalten in der Luft vor dem Namen und dem
Schirm Marias. Auch der hl. Germanus sagt:
„Du Unsere Liebe Frau machst allein schon durch die
Anrufung deines so mächtigen Namens deine Diener sicher
vor allen Anfällen des Feindes.” O wären die Christen in
ihren Versuchungen darauf bedacht, mit Vertrauen den
Namen Maria anzurufen, gewiß sie würden nie fallen. Wie
der sel. Alanus bezeugt, flieht beim Klang dieses
erhabenen Namens der Teufel und zittert die Hölle: „Der
Satan entweicht, die
Hölle bebt zusammen, wenn ich bete: Ave Maria,” Die
Himmelskönigin selbst offenbarte der hl. Birgitta, daß
auch von den verworfensten, Gott fernsten und dem Teufel
verfallenen Sündern der Feind weiche, sobald er sieht,
wie sie ihren mächtigsten Namen mit aufrichtigem
Verlangen nach Besserung anrufen. Die allerseligste
Jungfrau fügt aber ausdrücklich bei: „Wenn die Seele
sich nicht bessere und nicht durch aufrichtigen
Reueschmerz die Sünde von sich entferne, kehren die
Teufel alsbald zu ihr zurück und fahren fort, ihre
Gewalt über sie auszuüben.”
Beispiel
Im Stift Reichersberg in Oberösterreich war ein
regulierter Chorherr, namens Arnold, der eine große
Andacht zur allerseligsten Jungfrau hatte Dem Tod nahe,
empfing er die hl. Sakramente, worauf er seine Mitbrüder
zu sich rief und sie bat, ihn auf seiner letzten Reise
nicht zu verlassen. Kaum hatte er dies gesagt, als er in
ihrer Gegenwart am ganzen Leib zu zittern begann, die
Augen verdrehte, der kalte Schweiß stand ihm auf der
Stirn, und er sprach mit bebender Stimme: „Seht ihr
nicht die Teufel, die mich mit sich in die Hölle reißen
wollen? Meine Brüder, ruft für mich den Beistand Mariens
an; auf sie vertraue ich, sie wird mir den Sieg
verleihen.” Auf diese Worte hin beteten jene die
lauretanische Litanei, und als sie an die Worte kamen:
„Hl. Maria, bitte für ihn”, rief der Sterbende:
„Nochmals wiederholt, wiederholt den Namen Marias, denn
ich bin schon vor dem Richterstuhl Gottes!” Er hielt ein
wenig inne, und dann sagte er wieder: „Es ist wahr, ich
habe das getan, aber ich habe auch Buße dafür getan”,
und zur allerseligsten Jungfrau gewandt sprach er:
„O Maria, wenn du mir beistehst, werde ich befreit.”
Später machten die Teufel einen neuen Angriff auf ihn;
aber er verteidigte sich mit dem Kruzifix und durch die
Anrufung Mariens. So ging es die ganze Nacht hindurch;
endlich als der Morgen gekommen war, wurde Arnold wieder
heiter und rief voll Freude aus: „Maria, meine liebe
Frau, meine Zuflucht, hat mir Vergebung und das Heil
erworben.” Darauf erblickte er die allerseligste
Jungfrau, die ihn einlud, ihr zu folgen. Er antwortete:
„Ich komme, meine Herrin! Ich komme” und wollte aus dem
Bett steigen; aber außer Stand ihr körperlich zu folgen,
hauchte er sanft seine Seele aus, damit Maria sie, wie
zu hoffen, in das ewige Reich der Glorie führe.
Gebet
Siehe zu deinen Füßen, o Maria, meine Hoffnung, mich
armen Sünder, der ich durch meine Sünden so oft ein
Sklave der Hölle geworden bin. Ich sehe wohl ein, daß
ich vom Teufel besiegt wurde, weil ich mich nicht an
dich, o meine Zuflucht, gewandt habe. Hätte ich jedesmal
zu dir meine Zuflucht genommen, hätte ich dich
angerufen, nein! Ich wäre niemals gefallen. Ich hoffe,
meine liebenswürdigste Herrin, durch deine Vermittlung
den Händen der Teufel für jetzt entronnen zu sein und
von Gott Verzeihung erlangt zu haben; allein ich zittere
für die Zukunft, aufs neue in ihre Fesseln zu fallen.
Ich weiß, daß die Feinde die Hoffnung nicht aufgegeben
haben, mich wiederum zu besiegen, und schon rüsten sie
gegen mich neue Angriffe und neue Versuchungen. Ach,
meine Königin, meine Zuflucht, hilf mir! Nimm mich
unter deinen Schutz, laß nicht zu, daß ich aufs neue ihr
Sklave werde.
Ich weiß zwar, daß du mir helfen und den Sieg verleihen
wirst, so oft ich dich anrufe; aber das eben fürchte
ich, ich möchte in der Versuchung nicht an dich denken
und vergessen, dich anzurufen. Dies also ist die Gnade,
um die ich dich bitte, und die ich von dir erwarte;
heiligste Jungfrau, bewirke, daß ich immer an dich
denke, besonders wenn ich mich im Kampf befinde. Gib,
daß ich nicht unterlasse, dich oftmals mit den Worten
anzurufen: O Maria hilf! O Maria hilf! Und kommt dann
beim Tod schließlich der Tag meines letzten Kampfes mit
der Hölle, dann stehe, o meine Königin, mir besonders
bei; du selbst ermahne mich alsdann, dich häufig
anzurufen mit Mund und Herz, auf daß ich, deinen
süßesten Namen und den Namen deines Sohnes Jesus auf den
Lippen, meinen Geist aushauche und zu dir in den Himmel
komme, um dich zu preisen und zu loben und von deinen
Füßen nimmer zu weichen die ganze Ewigkeit hindurch.
Amen.
5. Kap. - Zu dir seufzen wir trauernd und weinend in
diesem Tal der Tränen
Abs. 1 - Wie notwendig die
Vermittlung Mariens für uns ist,
um selig zu werden
Daß es nicht bloß eine erlaubte, sondern eine heilige
und heilsame Sache ist, die Heiligen und im besonderen
die Königin der Heiligen, Maria, anzurufen und zu
bitten, daß sie uns die göttliche Gnade erlange, ist ein
Glaubenssatz und als solcher von allgemeinen
Kirchenversammlungen gegen die Irrlehrer festgestellt,
die dies als eine Beleidigung Jesu Christi, der unser
einziger Mittler sein solle, verdammen. Aber wenn
Jeremias nach seinem Tod für Jerusalem betet
(2 Makk.
15,14); wenn die Ältesten in der geheimen Offenbarung
Gott die Gebete der Heiligen darbringen
(Offb 6,8); wenn
der hl. Petrus seinen Schülern verspricht, ihrer nach
seinem Tod zu gedenken (2 Petr 1,15), wenn ein hl. Stephanus für seine Verfolger
(Apg 7,59), der hl. Paulus
für seine Begleiter betet (Apg 27,24; Eph 2,16; Phil
1,4; Kol 1,3), kurz wenn die Heiligen für uns bitten
können: Warum sollten oder warum dürfen wir die Heiligen
nicht anrufen, daß sie unsere Fürsprecher seien?
Der hl. Paulus empfiehlt sich den Gebeten seiner
Schüler: „Brüder, betet für unsl”
(1 Thess 5,25), der
hl. Jakobus ermahnt uns, daß wir füreinander beten
sollen:
„Betet füreinander, damit ihr das Heil erlangt”
(Jak
5,16); demnach können auch wir füreinander bitten.
Wohl ist Jesus Christus der einzige Mittler der
Gerechtigkeit, der durch seine Verdienste uns die
Aussöhnung mit Gott erworben hat; wer leugnet dies? Aber
auf der anderen Seite ist es Gottlosigkeit zu
bestreiten, daß es Gott gefalle, seine Gnaden auf die
Fürbitte der Heiligen und besonders seiner Mutter Maria,
die Jesus so sehr von uns geehrt und geliebt wissen
will, uns mitzuteilen. Wer weiß es nicht, daß die den
Müttern erzeigte Ehre auch den Söhnen zum Ruhm gereicht?
„Der Ruhm der Kinder sind ihre Eltern.”
(Spr 17,6)
„Niemand glaube also”, sagt der hl. Bernhard, „die Ehre
des Sohnes zu verdunkeln, wenn er der Mutter großes Lob
spendet; denn je mehr man die Mutter ehrt, desto mehr
lobt man auch den Sohn.” Auch der hl. Ildephons sagt,
daß alle Ehre, die man der Mutter und der
Königin antut, dem Sohn und dem König erwiesen wird. Es
kann ja doch keinem Zweifel unterliegen, daß Maria nur
um der Verdienste Jesu willen so große Gewalt verliehen
worden ist, die Mittlerin unseres Heiles zu sein; nicht
zwar Mittlerin aus Gerechtigkeit, sondern Mittlerin aus
Gnade und durch Fürsprache, wie sie von dem hl.
Bonaventura genannt wird: „ Maria die treueste Mittlerin
unseres Heiles.” Und der hl. Laurentius Justinianus
sagt: „Wie sollte die nicht voll der Gnade sein, welche
die Himmelsleiter, die Himmelstür und die wahrhaftige
Mittlerin zwischen Gott und den Menschen geworden ist?”
Wie wahr ist daher der Ausspruch von Suarez, daß, wenn
wir zur allerseligsten Jungfrau um Gnade bitten, dies
nicht ein Mißtrauen auf die göttliche Barmherzigkeit,
sondern vielmehr ein Mißtrauen auf uns selbst wegen
unserer Unwürdigkeit ist, und daß wir uns Maria
anempfehlen, damit ihre Würdigkeit unsere Armseligkeit
ersetze. Also nur solche, denen es am Glauben fehlt,
können bezweifeln, daß die Anrufung der Fürsprache
Mariens eine sehr heilsame und hl. Sache sei.
Der Satz aber, den ich hier beweisen will, ist der, daß
die Fürsprache Mariens für unser Heil sogar notwendig
ist, notwendig, sage ich, nicht schlechthin und
unbedingt, sondern moralisch notwendig, um mich richtig
auszudrücken. Und ich behaupte, daß diese Notwendigkeit
im Willen Gottes selbst ihren Grund hat, der will, daß
alle Gnaden, die Er uns verleiht, durch die Hände
Mariens gehen, wie dies der hl. Bernhard lehrt, was
heutzutage [damals] wohl als die von den Theologen und
Gottesgelehrten allgemein angenommene Lehre bezeichnet
werden kann, wie sie der Verfasser des Buches „Vom
Reiche Mariens” die allgemeine Lehre nennt. Dieser
Meinung folgen Vega, Mendoza, Paciucchelli, Segneri,
Poir Crasset und unzählige andere gelehrte Autoren.
Selbst Pater Natalis Alexander, in seinen Behauptungen
sonst so zurückhaltend, lehrt, es sei der Wille Gottes,
daß wir alle Gnaden durch die Vermittlung Mariens
erwarten müssen, indem er zur Bestätigung seiner
Behauptung die berühmte Stelle des hl. Bernhard anführt:
„So ist es Gottes Wille, daß wir alles durch Maria
haben.”
Der gleichen Meinung ist Pater Contenson, der in
Erklärung der Worte Jesu am Kreuz zu Johannes: „Sieh
deine Mutter” sagt: „Der Herr wollte damit andeuten,
niemand soll an meinem Blut Anteil haben, außer durch
die Vermittlung meiner Mutter. Meine Wunden sind Quellen
der Gnade; aber auf keinen sollen diese Bäche anders
sich ergießen, als durch den Kanal Mariens. Mein Jünger
Johannes, so groß wird meine Liebe zu dir sein, als groß
deine Liebe zu Maria.”
Diese Behauptung, daß uns alles Gute, das wir vom Herrn
empfangen, durch die Vermittlung Mariens zukommt,
gefällt (einem) gewissen neueren Schriftsteller nicht
besonders. Obwohl er sonst mit viel Frömmigkeit und
Gelehrsamkeit von der wahren und falschen Andacht zu
schreiben weiß, so zeigt er sich doch, wenn er auf die
Andacht zur göttlichen Mutter zu sprechen kommt, sehr
abgeneigt, jene Ehre ihr zuzuschreiben, die ihr doch die
hl. Germanus, Anselm, Johannes von Damaskus,
Bonaventura, Bernhardin von Siena, der ehrwürdige Abt
von Celles und so viele andere Gottesgelehrte ohne
Bedenken zuerkannt haben.
Diese alle bekannten sich zu der Behauptung, daß aus den
oben angeführten
Gründen die Mittlerschaft Mariens nicht allein
förderlich, sondern zu unserem Heil notwendig sei.
Dieser Schriftsteller bezeichnet die Lehre, daß Gott
keine Gnade außer durch die Vermittlung Mariens erteile,
für eine Übertreibung und eine leere Redensart, die sich
im Eifer einzelne Heilige hätten entschlüpfen lassen,
die richtig verstanden nur soviel bedeuten solle, daß
wir durch Maria Jesus Christus empfangen haben, aus
dessen Verdiensten uns alle Gnaden zuteil werden.
Andernfalls, meint er, wäre es ein Irrtum, zu glauben,
daß Gott uns seine Gnaden nicht ohne die Vermittlung
Mariens verleihen könne, indem der hl. Apostel sage, daß
wir nur einen Gott und nur einen Mittler zwischen Gott
und den Menschen, Jesus Christus, anerkennen. So weit
der genannte Schriftsteller.
Doch möge er mir gestatten, ihm darauf mit seinen
eigenen Worten zu entgegnen, daß eine andere Sache die
Mittlerschaft aus Gerechtigkeit auf dem Weg des
Verdienstes ist und wieder eine andere Sache die Mittlerschaft aus Gnade auf dem Weg der Fürsprache. Und
wiederum ist es etwas anderes, zu sagen: Gott kann
nicht, und etwas anderes: Gott will nicht ohne Mittlerschaft Mariens seine Gnaden erteilen. Auch wir
bekennen es fest, daß Gott die Quelle alles Guten und
der unendliche, allmächtige Herr aller Gnaden ist, Maria
aber nur ein Geschöpf, die, was sie erlangt, aus Gnade
von Gott empfängt. Wer aber könnte leugnen, daß eseine
sehr wohlbegründete und treffende Behauptung ist, zu
sagen, Gott habe zur Verherrlichung dieses seines so
erhabenen Geschöpfes, das ihn auf Erden mehr als alle
anderen ehrte und liebte, das er selbst zur Mutter
seines Sohnes und unseres gemeinsamen Erlösers erwählte,
beschlossen, daß alle Gnaden, die den Erlösten erteilt
werden sollen, durch ihre Hand gehen und von ihr an uns
ausgespendet werden? Gern bekennen wir, daß nach der
angeführten Unterscheidung Jesus Christus der einzige
Mittler aus Gerechtigkeit ist, der uns durch seine
Verdienste die Gnade und das Heil erlangt; aber wir
behaupten: Maria ist die Mittlerin aus Gnade, und obwohl
sie das, was sie uns erlangt, aus den Verdiensten Jesu
Christi erlangt, und was sie uns erbittet, im Namen Jesu
Christi erbittet, so können wir doch alle Gnaden, um die
wir bitten, nur durch ihre Vermittlung empfangen.
Hierin ist doch sicherlich nichts enthalten, was dem hl.
Glauben entgegen wäre; im Gegenteil, das ganze ist den
Grundsätzen der hl. Kirche gemäß, die uns in den von ihr
empfohlenen öffentlichen Andachtsformen anleitet,
fortwährend uns an diese göttliche Mutter zu wenden und
sie mit den Worten anzurufen: „Heil der Kranken,
Zuflucht der Sünder, Hilfe der Christen, unser Leben,
unsere Hoffrtung.” Und indem die hl. Kirche in den
Tagzeiten auf die Feste Mariens auf sie die Worte der
Weisheit anwendet: „In mir ist alle Hoffnung des Lebens
und der Tugend”
(Sir 24,25), so gibt sie uns zu
verstehen, daß wir in Maria alles finden werden, was wir
hoffen. In Maria ist jegliche Gnade. „In mir ist alle
Gnade des Weges und der Wahrheit.” Kurz, in Maria finden
wir das Leben und das ewige Heil. „Wer mich findet,
findet das Leben und schöpft das Heil vom Herrn”
(Spr
8,35); und an einer anderen Stelle: „Wer in mir seine
Werke tut, sündigt nicht; die mich ins Licht setzen,
erhalten das ewige Leben.»
(Sir 24,30) In all diesen
Stellen ist die Notwendigkeit der Mittlerschaft Mariens
für uns ausgesprochen.
Diese Notwendigkeit wird uns übrigens von so großen
Theologen und Kirchenvätern bekräftigt, daß es eine sehr
ungeziemende Rede des genannten Autors ist, zu sagen,
sie haben, um Maria zu ehren, Übertreibungen gebraucht,
und es seien ihnen maßlose Lobsprüche entschlüpft.
Solcherlei Dinge überschreiten die Grenzen der Wahrheit,
was man doch wahrlich von Heiligen nicht sagen darf,
die, erleuchtet vom Geist Gottes, dem Geist der
Wahrheit, geredet haben.
Möge es mir erlaubt sein, einen kleinen Exkurs zu
machen, um meine Überzeugung zu darzulegen. Ich behaupte
nämlich: Wenn eine Meinung in irgendeiner Weise für die
Ehre der allerseligsten Jungfrau förderlich, auf gute
Gründe gestützt und weder mit dem Glauben noch mit den
Entscheidungen der Kirche, noch mit einer ausgemachten
Wahrheit im Widerspruch ist; so zeigt es wenig Ehrfurcht
vor der Mutter Gottes, wenn man diese Meinung nicht
annimmt und ihr widerspricht, nur weil die
entgegenstehende Ansicht vielleicht wahr sein könnte.
Unter die Zahl dieser geringen Verehrer will ich nicht
gehören, und ich möchte auch nicht, daß mein Leser zu
ihnen gehöre, sondern vielmehr zur Zahl derjenigen, die
alles, was man ohne Irrtum hinsichtlich der Herrlichkeit
Mariens glauben kann, vollkommen und mit fester
Überzeugung annehmen, gemäß den Worten des Abtes Rupert,
der unter den der göttlichen Mutter angenehmsten
Ehrenbezeigungen diese aufzählt: „Ihre Erhabenheit mit
Festigkeit glauben.” Von anderen abgesehen, kann uns der
hl. Augustinus die Furcht nehmen, daß wir im Lob Mariens
das Maß überschreiten, da er sagt:
„Wie vieles
wir immer zum Lob Mariens vorbringen mögen, so
ist doch alles wenig im Vergleich zu dem, was
ihrer Würde als Mutter Gottes gebührt.” |
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Mit Augustinus stimmt
hierin die hl. Kirche selber überein, die uns in der
Votivmesse der allerseligsten Jungfrau beten läßt:
„Selig bist du, hl. Jungfrau Maria, und allen
Lobes überaus würdig.”
Doch kehren wir zu unserem Gegenstand zurück und sehen
wir, wie die Heiligen über die aufgestellte Wahrheit
sich aussprechen. Der hl. Bernhard sagt, Gott habe Maria
mit allen Gnaden erfüllt, damit die Menschen durch ihre
Vermittlung, wie durch einen Kanal, alles Gute, das
ihnen zukommt, empfangen: „Eine volle Wasserleitung ist
Maria, damit alle aus ihrer Fülle empfangen.” Der
Heilige gibt überdies noch die bedeutsame Erklärung, es
habe aus dem Grund in der Welt vor der Geburt der allerseligsten Jungfrau dieser Weg der Gnade noch nicht
bestanden, weil damals diese ersehnte Wasserleitung noch
nicht vorhanden gewesen sei, und er fügt bei, Maria sei
der Welt zu dem Zweck als die Leitung der himmlischen
Gewässer der Gnade geschenkt worden, auf daß durch sie
von Gott alle Gaben des Himmels an die Menschen ohne
Ende herab gelangen.
Holofernes ließ, um die Stadt Bethulien einzunehmen, die
Wasserleitungen zerstören; ebenso sucht der Teufel,
soviel er nur kann, den Seelen die Andacht zur Mutter
Gottes zu rauben; denn ist einmal dieser Weg der Gnade
verschlossen, so bringt er leicht die Seelen in seine
Gewalt. Darum ermahnt der hl. Kirchenlehrer:
„Erwägt es wohl, ihr christlichen Seelen, wie sehr der
Herr, der die Fülle aller Güter in Maria niedergelegt
hat, sie von uns mit Inbrunst verehrt wissen will, auf
daß wir
inne werden, wie alles, was an Hoffnung, Gnade und Heil
wir besitzen, von ihr in uns überfließt.” Dasselbe lehrt
der hl. Antonin mit den Worten: „Durch Maria kam vom
Himmel herab, was an Gnade an die Welt gelangt ist.”
Nach der Erklärung des hl. Bonaventura wird Maria darum
mit dem Mond verglichen, weil „gleich wie der Mond
zwischen den Himmelskörpern und der Erde in der Mitte
ist, und wie er, was er von jenen empfängt, nach unten
mitteilt, so auch die jungfräuliche Königin die
Mittlerin ist zwischen uns und Gott, und sie ist es, die
auf uns die Gnade niederleitet”.
Dies ist auch die Ursache, weshalb Maria von der hl.
Kirche Himmelspforte genannt wird. „Glückliche Pforte
des Himmels.” Wie nach dem hl. Bernhard jeder vom König
ausgehende Gnadenerlaß durch die Pforte des königlichen
Palastes hindurch muß, ebenso „Keine Gnade fließt vom
Himmel zur Erde, außer durch die Hände Mariens.” Der hl.
Bonaventura lehrt aber, Maria werde Himmelspforte
genannt, weil „keiner in den Himmel eingeht, außer durch
Maria, als der Pforte”.
Der hl. Hieronymus bestärkt uns in dieser Meinung, wenn
er sagt: „In Jesus Christus war die Fülle der Gnade als
in dem Haupt, von dem aus alle Kräfte des Lebens,
d.h. die zu Erlangung des ewigen Heiles notwendigen
Gaben, in uns, seine Glieder, sich ergießen;
in Maria
aber ist dieselbe Fülle, als in dem Hals, durch den die
besagten Kräfte den Weg zu den Gliedern nehmen.”
Auch der hl. Bernhardin von Siena teilt diese Meinung,
indem er sie noch klarer also ausspricht: „Daß alle
Gnaden des geistlichen Lebens, die von Jesus Christus
als dem Haupt ausgehen, durch die Vermittlung Mariens
auf die Gläubigen, die den mystischen Leib Jesu Christi
bilden, übergeleitet werden”. Der Grund dafür läßt sich
mit den Worten des hl. Bonaventura angeben, der sagt:
„Da die göttliche Natur in ihrer Fülle im Schoß der
Jungfrau wohnen wollte, so getraue ich mir zu sagen, daß
die allerseligste Jungfrau über alle Ausflüsse der
Gnaden eine geistliche Gewalt erlangt hat, weil aus
ihrem Schoß gleich als aus einem Ozean der Gottheit die
Ströme aller Gnaden sich ergossen haben.”
Der hl. Bernhardin von Siena spricht dasselbe aus mit
den Worten: „Von dem Augenblick, da die jungfräuliche
Mutter in ihrem Schoß das göttliche Wort empfing, hat
sie eine gewisse geistliche Gewalt über alle Gaben, die
vom Hl. Geist uns zukommen, erworben, in der Art, daß
keine Kreatur von Gott eine Gnade je anders erlangt, als
durch die Vermittlung dieser gütigen Mutter»
Im gleichen Sinn erklärt Pater Crasset die Stelle des
Jeremias, wo der Prophet die Menschwerdung des Wortes
und seiner Mutter Maria weissagt: „Eine Frau wird den
Mann umschließen.”
(Jer 31,22) Gleichwie vom Mittelpunkt
eines Kreises keine Linie ausgehen kann, die nicht den
Umkreis durchschneidet, so gelangt auch von Jesus, dem
Mittelpunkt alles Guten, keine Gnade zu uns als durch
die Vermittlung Mariens, die ihn umschlossen hielt, da
sie ihn in ihrem Schoß empfangen hatte.
Der hl.
Bernhardin lehrt, daß alle Gaben, alle Tugenden und alle
Gnadenhilfen durch die Hände Mariens ausgeteilt werden,
an wen sie will, wann sie will, und wie sie will} Ebenso
sagt Richard von St. Lorenz, alles Gute, das Gott seinen
Geschöpfen erweist, soll nach seinem Willen durch die
Hand Mariens zu ihnen gelangen. Darum
ermahnt der ehrwürdige Abt von Celles einen jeden, an
diese Schatzmeisterin der Gnaden, wie er sie nennt, sich
zu wenden, denn nur durch ihre Vermittlung sollen die
Welt und alle Menschen das Gute, das sie erhoffen
können, empfangen.
Aus dem Angeführten ergibt sich nun
deutlich, daß die genannten Heiligen und Autoren mit der
Behauptung, alle Gnaden gelangen zu uns durch die
Vermittlung Mariens, nicht bloß das verstanden haben,
daß wir durch Maria Jesus Christus, die Quelle jeglichen
Gutes, empfangen haben, sondern daß sie uns vielmehr
beteuern wollen, wie es, nachdem uns Gott seinen Sohn
Jesus Christus geschenkt, der Wille Gottes ist, daß alle
Gnaden, die um der Verdienste Jesu Christi willen
seitdem und bis zum Ende der Welt an die Menschen
gelangen, durch die Hände und die Vermittlung
Mariens ihnen verliehen werden.
Daraus zieht Pater Suarez den Schluß, es sei die
allgemeine Meinung der Kirche, daß die Vermittlung
Mariens uns nicht bloß heilsam, sondern notwendig sei.
Notwendig, wie schon bemerkt, nicht schlechthin und
unbedingt, indem nur die Mittlerschaft Jesu Christi uns
in solcher Weise zum Heil notwendig ist, sondern
moralisch notwendig, weil, wie die ganze Kirche mit dem
hl. Bernhard glaubt, Gott beschlossen hat, daß uns keine
Gnade verliehen werde, außer durch die Hand Mariens. Vor
dem hl. Bernhard hat dies auch der hl. Ildephons
behauptet, indem er die allerseligste Jungfrau
anspricht: „O Maria, der Herr hat beschlossen, alle
Güter, die Er an die Menschen austeilen will, deinen
Händen anzuvertrauen; deswegen hat Er dir alle Schätze
und Reichtümer der Gnade übergeben.”
Und der hl. Petrus Damianus sagt,
Gott habe nur mit der
Zustimmung Mariens Mensch werden wollen; fürs erste,
damit wir alle ihr zum größten Dank verpflichtet würden,
zweitens, auf daß wir erkennen sollten, wie das Heil
aller der Entscheidung dieser Jungfrau überlassen sei.
Der hl. Bonaventura legt die Stelle bei Isaias
(Is
11,1), daß aus den Nachkommen Jesses ein Reis, nämlich
Maria, und von dieser die Blume, nämlich das Fleisch
gewordene Wort, hervorgehen werde, in schönen Worten
also aus: „Wer immer die Gnade des Hl. Geistes zu
erlangen begehrt, suche die Blume auf dem Reis, nämlich
Jesus bei Maria; denn durch das Reis gelangen wir zur
Blume und durch die Blume zu Gott dem Hl. Geist. Und „
wenn du die Blume begehrst, so suche mit Bitten das Reis
mit der Blume zu dir herabzuneigen, und du wirst sie
erlangen.” In seiner 26. Predigt auf Epiphanie bemerkt
der seraphische Vater zu den Worten:
„Sie fanden den Knaben mit Maria, seiner Mutter.”
(Mt
2,11) “Nie findet man Christus außer bei Maria und durch
Maria.” Vergeblich sucht darum Jesus, wer Ihn bei Maria
zu finden sucht. Der hl. Ildephons macht die Äußerung:
„Um ein Diener des Sohnes zu werden, begebe ich mich in
den Dienst seiner Mutter”; denn, will er sagen: Niemand
kann dieses Sohnes Diener werden, wer nicht ein Diener
seiner Mutter ist.
Beispiel
Vinzenz von Beauvais und Cäsarius erzählen von einem
jungen Edelmann, der von seinem Vater ein reiches Erbe
empfangen hatte, sich aber dem Laster ergab
und bald so arm wurde, daß er, um sein Leben zu fristen,
betteln mußte. Er verließ die Heimat, zog in ein fernes
Land, wo er unbekannt sich weniger zu schämen brauchte.
Auf der Reise begegnete er einem alten Diener seines
Vaters, der ihn über seinen elenden Zustand tröstete und
ihm verhieß, daß er ihn zu einem freigebigen Fürsten
führen wolle, der ihn mit allem versehen werde. Der Alte
war aber ein gottloser Zauberer. Eines Tages führte er
den armen jungen Menschen in ein Gehölz neben einem
Sumpf, wo er mit einer unsichtbaren Person zu sprechen
anfing. Auf die Frage des Jünglings, mit wem er spreche,
sagte er: „Mit dem bösen Geist”, und da er den Schrecken
des Jünglings bemerkte, sprach er ihm Mut zu und hieß
ihn ohne Furcht zu sein. Darauf wandte er sich an den
bösen Geist: „Mein Gebieter, dieser junge Mensch
befindet sich in der äußersten Not und möchte gerne
wieder zu seinem früheren Stand gelangen.” - „Will er
mir gehorchen”, antwortete der böse Feind, „so werde ich
ihn reicher machen, als zuvor; vor allem aber muß er
Gott verleugnen”. Bei diesen Worten entsetzte sich der
Jüngling, aber vom verruchten Zauberer gehetzt, tat er
es doch und verleugnete Gott. „Dies genügt nicht”, nahm
der Teufel wieder das Wort, „er muß auch Maria
abschwören; denn sie ist es, der wir unsere größten
Verluste zuschreiben müssen. O wie viele entreißt sie
unseren Händen, führt sie zu Gott und rettet sie”. - „O
das nicht”, antwortete der Jüngling,
„meine Mutter verleugne ich nicht; sie ist meine ganze
Hoffnung. Lieber will ich
mein ganzes Leben lang betteln”. Und damit verließ der
Jüngling den Ort. Auf dem Rückweg kam er an einer
Marienkirche vorüber; bekümmert trat er ein, kniete vor
einem Muttergottesbild nieder, fing an zu weinen und die
allerseligste Jungfrau zu bitten an, daß sie ihm die
Verzeihung seiner Sünden erlangen wolle. Und Maria bat
zu ihrem Sohn für den Elenden. Anfangls erwiderte Jesus:
„Aber, meine Mutter, dieser Undankbare hat mich
verleugnet!” Da seine Mutter nicht aufhörte zu bitten,
sprach Er schließlich: „Meine Mutter, ich habe dir nie
etwas verweigert; es sei verziehen, weil du mich darum
bittest.”
Diesen ganzen Vorgang beobachtete jener Bürger, der die
Güter dieses Verschwenders gekauft hatte. Bei
Wahrnehmung der großen Barmherzigkeit, die Maria gegen
diesen Sünder übte, entschloß er sich, ihm seine einzige
Tochter zur Frau zu geben und ihn zum Erben seines
ganzen Besitzes zu machen. So hatte der Jüngling durch
die Vermittlung Mariens die Gnade Gottes und sogar seine
zeitlichen Güter wieder erlangt.
Gebet
Meine Seele erkenne, welch herrliche Hoffnung des Heiles
und ewigen Lebens dir der Herr gewährt, indem Er in
seiner Erbarmung dir wieder Vertrauen auf den Schutz
seiner Mutter verlieh, nachdem du so oft schon seine
Ungnade und die Hölle durch deine Sünden verdient hast.
Danke also deinem Gott, und danke deiner Beschützerin
Maria, die dich bereits unter ihren Mantel genommen, wie
die vielen durch ihre Vermittlung, bereits empfangenen
Gnaden es dir beweisen. Ja, ich danke dir, meine
liebreichste Mutter, für alles Gute, das du mir
unglücklichem, der Hölle schuldigen Sünder erwiesen
hast. O Königin, aus wie vielen Gefahren hast du mich
befreit? Wie viele Erleuchtungen, wie viel Erbarmungen
hast du mir
bei Gott erlangt? Was oder welche Ehre hast du denn von
mir empfangen, daß du dir so angelegen sein ließt, mir
Wohltaten zu erweisen? Nur deine Güte hat dich dazu
getrieben. Ach, wenn ich für dich mein Blut und Leben
hingäbe, es wäre nur wenig im Vergleich zu der
Verpflichtung, die ich gegen dich habe; denn du hast
mich vom ewigen Tod errettet. Du bist Ursache, daß ich,
wie ich hoffe, die Gnade Gottes wieder erlangt habe; mit
einem Wort: Dir verdanke ich all mein Glück. O meine
liebenswürdigste Frau! Ich Armseliger kann dir nichts
anderes geben, als daß ich immer dich lobe und liebe. O
weigere dich nicht, die Liebe eines armen Sünders
anzunehmen, den deine Güte mit Liebe entzündet hat.
Wenn mein Herz nicht würdig ist, dich zu lieben, weil es
unrein und voll Anhänglichkeit an die irdischen Güter
ist, so kannst du es umändern. O wandle es um! Ach,
fessle mich an meinen Gott, fessle mich mit so starken
Banden, daß ich von seiner Liebe nicht mehr lassen kann.
Das verlangst du ja von mir, daß ich deinen Gott liebe,
und das Gleiche verlange auch ich von dir: Erlange mir
die Gnade, Ihn zu lieben, Ihn ohne Unterlaß zu lieben.
Etwas anderes begehre ich nicht. Amen.
Abs. 2 - Fortsetzung
Der hl. Bernhard lehrt, daß, gleich wie Adam und Eva
unser Verderben miteinander verschuldeten, so
vollbrachten der zweite Adam und die zweite Eva, d.h.
Jesus und Maria seine Mutter, miteinander unsere
Erlösung. Wohl ist nicht zu zweifeln, sagt der Heilige,
daß Jesus Christus allein auf das vollkommenste unser
Heil hätte wirken können, aber Er fand es für
angemessen, daß wie Eva mit Adam unser Verderben, so nun
auch seine Mutter mit Ihm unsere Erlösung bewirke. Der
hl. Albert Der Große nennt darum Maria „Die Gehilfin der
Erlösung”. Und in den Offenbarungen der hl. Birgitta
heißt es, daß Maria eines Tages zu ihr sprach: „Wie Adam
und Eva die Welt um einen Apfel verkauften; so erkauften
mein Sohn und ich die Welt quasi mit Einem Herzen.” Gott
konnte wohl, nach dem Ausspruch des hl. Anselm, die Welt
aus dem Nichts erschaffen, aber die durch ihre Schuld
verlorene Welt wollte Gott nicht ohne Mitwirkung Mariens
wiederherstellen.”
In dreifacher Weise hat nach der Erklärung des
Pater Suarez die göttliche Mutter zu unserem Heil mitgewirkt:
Erstens, weil sie die Menschwerdung des göttlichen
Werkes erflehte; zweitens, weil sie, solange sie auf
Erden lebte, auch uns durch ihr unablässiges Flehen das
Heil erlangte, und drittens, weil sie bereitwillig das
Leben ihres Sohnes Gott für unser Heil aufopferte.
Deswegen hat der Herr gerechterweise beschlossen, daß,
weil Maria mit solcher Liebe gegen die Menschen und zur
größten Verherrlichung Gottes an der Erlösung aller
mitgewirkt, alle nur durch ihre Vermittlung das Heil
erlangen sollen.
Maria wird die Mitwirkerin unserer Rechtfertigung
genannt, weil ihr, nach Bernhardin von Bustis, Gott alle
Gnaden anvertraut hat, um sie an uns auszuteilen. Der
hl. Bernhard sagt darum, daß alle Menschen, die früher,
die jetzt und die künftig leben werden, Maria als die
Mittlerin und Verwalterin des Heiles aller Jahrhunderte
betrachten müssen.
Jesus Christus sagt, daß niemand zu Ihm kommen könne,
den nicht der ewige Vater zuvor durch seine Gnade zu Ihm
ziehe. (Jo 6,44) Dasselbe gilt nach Erklärung
Richards
von St. Lorenz auch von Maria, seiner Mutter, als sage
der Herr, niemand kommt zu mir, wenn meine Mutter ihn
nicht durch ihre Bitten zu mir hinzieht.
Jesus ist, nach dem Gruß Elisabeths, die Frucht Mariens.
„Gebenedeit bist du unter den Frauen, und gebenedeit ist
die Frucht deines Leibes.” (Lk 1,42) Wer also die Frucht
will, der muß zum Baum, wer nach Jesus verlangt, muß zu
Maria gehen. Wer aber Maria findet, findet sicher auch
Jesus. Als die hl. Elisabeth von der allerseligsten
Jungfrau besucht wurde und nicht wußte, wie sie danken
sollte, so rief sie voll Demut aus: „Woher kommt mir die
Gnade, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?”
(Lk
1,42) Doch wie, möchte man fragen, wußte denn Elisabeth
nicht, daß nicht allein Maria, sondern auch Jesus in ihr
Haus gekommen war? Und warum nennt sie sich unwürdig,
die Muter zu empfangen, und nicht mehr noch unwürdige,
den Sohn bei sich aufzunehmen, der ja auch gekommen war,
sie zu besuchen? O freilich wußte die Heilige, daß als
Maria kam, sie auch Jesus mit sich trug, und darum
begnügte sie sich, der Mutter zu danken, ohne den Sohn
zu nennen.
„Sie ist wie ein Kaufmannsschiff, von ferne her bringt
sie ihr Brot.”
(Spr 31,14) Maria war jenes glückselige
Schiff, das vom Himmel herab uns Jesus Christus brachte,
das lebendige Brot, welches vom Himmel gekommen ist, um
das ewige Leben zu geben. „Ich bin das lebendige Brot,
das vom Himmel herabgekommen ist; wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit.”
(Jo 6,51) Richard von
St. Lorenz sagt, daß alle im Meer der Welt untergehen
werden, die sich nicht auf jenem Schiff, d.h. unter dem
Schutz Mariens, befinden. Und weiter sagt er: „So oft
wir die Wogen dieses Meeres gegen uns anstürmen sehen,
müssen wir zu Maria rufen: Herrin, rette uns, wir gehen
zugrunde, d.h. so oft wir in Gefahr sind, von den
Versuchungen und Leidenschaften des gegenwärtigen Lebens
verschlungen zu werden.” Man beachte, daß Richard von
St. Lorenz kein Bedenken trägt, Maria mit den Worten
anzurufen: „Rette uns, wir gehen zugrunde,” wie aber der
oben erwähnte Schriftsteller Einwände dagegen macht, da
er nicht zugeben will, daß wir die allerseligste
Jungfrau so anrufen, weil er meint, unsere Rettung könne
nur von Gott kommen. Aber wenn ein zum Tod Verurteilter
einen Freund des Königs bitten darf, daß er beim König
Fürsprache für sein Leben einlege und ihn rette, wie
sollten wir nicht zur Mutter Gottes flehen dürfen, daß
sie uns rette durch Erlangung der Gnade des ewigen
Lebens?
Der hl. Johannes von Damaskus kennt kein Bedenken und
bittet die heiligste Jungfrau mit den Worten:
„Unbefleckte und reinste Königin, rette mich, befreie
mich von der ewigen Verdammnis,” Der hl. Bonaventura
nennt Maria „ Rettung derer, die dich anrufen.” Die hl.
Kirche billigt es, daß wir sie anrufen: „Heil der
Kranken.” Und wir sollten Bedenken tragen zu flehen:
„Rette uns”, da doch niemand zum Heil gelangen kann, als
durch sie, wie Paciucchellil sagt, und vor ihm schon der
hl. Germanus: „Keiner wird selig, außer durch dich.”
Wir wollen aber sehen, was die Heiligen noch weiter über
die Notwendigkeit der
Mittlerschaft der göttlichen Mutter für unser Heil
lehren. Der glorreiche hl. Cajetan sagte, daß wir zwar
die Gnade suchen, aber nur durch die Vermittlung Mariens
finden können. Der hl. Antonin bestätigt dies mit der
treffenden Bemerkung: „Wer ohne sie bittet, der will
ohne Flügel fliegen.” d. h. wer ohne die Vermittlung Mariens die Gnade erlangen will, der will ohne Flügel
fliegen. Wie einst Pharao zu Joseph sprach: „Das Land
Ägypten ist in deiner Hand,” und wie er alle, die ihn um
Hilfe baten, an Joseph wies: „Geht zu Joseph,” weist uns
Gott, wenn wir Gnaden suchen, an Maria: „Ite ad Mariam -
geht zu Maria!” Denn Er hat nach den Worten des
hl.
Bernhard beschlossen, keine Gnade zu verleihen, außer
durch die Hand Mariens. Deshalb ist nach dem Ausspruch
Richards von St. Lorenz unser Heil in der Hand Mariens,
so daß wir Christen mit viel mehr Recht zu ihr als die
Ägypter zu Joseph sagen können: „Unser Heil ist in
deiner Hand.”
Dasselbe behauptet der Idiote „Unser Heil ist in ihre
Hand gelegt.” Und kräftiger noch drückt sich Cassian
aus, der ohne Einschränkung sagt, daß das Heil aller von
der Gunst und dem Schutz Mariens abhänge. Der von Maria
Beschützte wird gerettet, wer ihren Schutz nicht
besitzt, ist verloren. Der hl. Bernhardin von Siena
sagt: „Du bist die Ausspenderin aller Gnaden; unser Heil
ist in deiner Hand.” Ja, o Herrin, du bist die Spenderin
jeder Gnade und die Gnade des Heiles empfangen wir nur
aus deiner Hand, darum hängt unser Heil von dir ab!
[Das
gehört zur Arkandisziplin - zum Geheimnis der Gnade, das
den Spöttern verborgen bleibt.]
Mit Recht sagt also Richard, daß, wie ein Stein
versinkt, sobald das Erdreich, das ihn trägt, aufweicht,
so fällt eine Seele ohne die Hilfe Mariens in Sünde und
dann in die Hölle. Der hl. Bonaventura lehrt, daß Gott
uns ohne die Vermittlung Mariens nicht selig machen
werde. „Wie ein Säugling, sagt er, ohne Nahrung und
Pflege nicht am Leben bleibt, ebenso kann niemand ohne
den Schutz Mariens selig werden. Trage darum Sorge, daß
deine Seele nach der Andacht zu Maria dürste, halte sie
fest und lasse nicht von ihr, bis sie dich im Himmel
wird gesegnet haben.” „Wer könnte zur Erkenntnis Gottes
gelangen”, fragt der hl. Germanus, „wenn nicht durch dich, o allerheiligste Jungfrau Maria?
Wer könnte selig, wer aus Gefahren gerettet werden, wer
eine Gnade empfangen, wenn nicht durch dich, o
Gottesgebärerin, o Jungfrau Mutter, o Gnadenvolle? Wenn
du nicht den Pfad ebnest, wird niemand ein geistliches
Leben führen.”
Wie uns nur durch den Mittler Jesus Christus der Zugang
zum Vater offen steht, so haben wir, nach dem hl.
Bernhard, nur durch die Vermittlung Mariens Zutritt zu
Jesus Christus. Der Heilige gibt auch eine schöne
Erklärung, warum der Herr beschlossen habe, daß wir alle
durch die Vermittlung Mariens selig werden sollen, damit
der durch die Vermittlung Mariens uns geschenkte Erlöser
auch durch die Vermittlung Mariens uns wieder empfange,
und darum nennt der Heilige Maria die Mutter der Gnade
und unseres Heiles. Der hl. Germanus sagt: „Was würde
aus uns werden? Welche Hoffnung des Heiles würde uns
noch bleiben, wenn du uns verlassen würdest, o Maria,
die du das Leben der Christen bist?”
Der erwähnte Schriftsteller hält uns entgegen, wenn alle
Gnaden uns durch Maria
zu kommen, müssen dann auch die Heiligen, wenn wir sie
anrufen, zur Mittlerschaft Mariens ihre Zuflucht nehmen,
um uns die Gnaden zu erlangen? Er gibt selbst die
Antwort darauf mit den Worten, daß dies niemand glaube,
ja, daß keinem dies im Traum je eingefallen sei. Ich
aber entgegne, daß dies zu glauben, weder falsch noch
ungeziemend sei. Wie könnte die Behauptung ungeziemend
sein, daß Gott, um seine Mutter zu ehren, sie zur
Königin der Heiligen gemacht habe und verlange, daß alle
Gnaden durch ihre Hand ausgespendet werden, und daß auch
die Heiligen sich an sie wenden müssen, um ihren
Verehrern die Gnaden zu erlangen? Was die weitere
Behauptung anbelangt, niemand habe auch nur im Traum an
dergleichen gedacht, so finde ich, daß der hl. Bernhard,
der hl. Anselm, der hl. Bonaventura und mit ihnen Pater Suarez und andere exakt diese Behauptung aufgestellt
haben.
Nach dem hl. Bernhard würden wir vergeblich die
anderen Heiligen anrufen, wenn Maria nicht vermitteln
würde. In diesem Sinn erklärt auch ein Autor die Stelle
aus dem Psalm: „Alle Reichen des Volkes werden dein
Angesicht ansehen.” (Ps 44,13) Die Reichen des großen
Volkes Gottes sind die Heiligen, die sich alle Maria
empfehlen, wenn sie einem ihrer Verehrer eine Gnade
erwirken wollen, damit sie diese verlange. Mit Recht,
sagt darum Pater Suarez, bitten wir die Heiligen, unsere
Vermittler bei Maria zu sein, da sie ihre Herrin und
Königin ist. „Wir pflegen nicht”, sind seine Worte, „den
einen Heiligen als Vermittler bei dem anderen zu
brauchen, da sie alle der gleichen Ordnung angehören.
Bei der allerseligsten Jungfrau aber, welche Herrin und
Königin ist, brauchen wir die anderen Heiligen als
Fürsprecher und Vermittler.” Eben dies hat der hl.
Benedikt der hl. Franziska Romana versprochen, wie bei
Pater Marchese zu lesen ist. Es erschien ihr der
Heilige, verhieß ihr seinen Schutz, und daß er ihr
Fürsprecher bei der göttlichen Mutter sein wolle. Auch
der hl. Anselm bestätigt dies in seinem Gebet an Maria:
„Was die Fürbitten aller Heiligen mit dir vermögen, das
bewirkt deine Fürsprache allein, ohne sie.” - Und warum
vermagst du das? Warum hast du allein die so große
Macht? Weil du allein die Mutter unseres gemeinsamen
Erlösers, die Braut Gottes, die Königin des Himmels und
der Erde bist. Wenn du nicht für uns sprichst, so wird
kein Heiliger für uns bitten und keiner wird uns helfen;
aber wenn du für uns zu bitten dich würdigst, so werden
alle Heiligen mit Eifer für uns bitten und uns helfen.
Pater Segneri erklärt die von der hl. Kirche auf Maria
angewendete Stelle aus dem Buch der Weisheit: „Ich
allein habe den Umkreis des Himmels umgangen,” Sir 24,8
so: Wie der oberste Himmelskreis durch seine Bewegung
alle anderen Kreise in Bewegung setzt,
ebenso bewirkt
Maria, wenn sie für eine Seele bittet, daß der ganze
Himmel zugleich mit ihr für uns bittet.
Der hl. Bonaventura sagt sogar, daß Maria in ihrer
Eigenschaft als Königin allen Engeln und Heiligen
befiehlt, sie zu begleiten und auch alle ihre Gebete mit
den ihrigen zu vereinigen. „Wenn die heiligste
Jungfrau”, sind seine Worte, „an den Thron Gottes tritt,
für uns zu bitten, befiehlt sie den Engeln und Heiligen,
sie zu begleiten und zugleich mit ihr zum Allerhöchsten
für uns zu flehen.”
Daraus läßt sich zum Schluß die
Absicht der hl. Kirche erkennen, warum sie uns
auferlegt, daß wir die göttliche Mutter mit dem
erhabenen Namen: ‘Unsere Hoffnung sei gegrüßt’ -
anrufen. Der gottlose Luther sprach, er könne nicht
dulden, daß die römische Kirche Maria, eine bloße
Kreatur, unsere Hoffnung nenne; denn nur Gott, sagt er,
und Jesus Christus, unser Mittler, sind unsere Hoffnung;
Gott verflucht jenen, der seine Hoffnung auf die Kreatur
setzt, wie Er selbst bei Jeremias spricht: „Verflucht
sei der Mensch, der sein Vertrauen auf Menschen setzt.”
(Jer 17,5) Aber die Kirche lehrt uns bei jeder
Gelegenheit, Maria unsere Hoffnung zu nennen und sie
anzurufen: „Unsere Hoffnung, sei gegrüßt.” Wer seine
Hoffnung auf ein Geschöpf setzt, unabhängig von Gott,
der ist ganz gewiß von Gott verflucht; denn Gott ist der
einzige Quell und Ausspender alles Guten, und das
Geschöpf ohne Gott hat nichts und kann nichts geben.
Aber wenn der Herr beschlossen hat, wie wir gezeigt
haben, daß alle Gnaden durch Maria, wie durch einen
Kanal der Barmherzigkeit, gehen sollen, so dürfen wir
wohl, ja wir müssen behaupten, daß Maria unsere Hoffnung
ist, durch deren Vermittlung wir die göttlichen Gnaden
empfangen. Deshalb nannte sie der hl. Bernhard
den
ganzen Grund seiner Hoffnung. „Söhne, sie ist meine
größte Zuversicht, sie der ganze Grund meiner Hoffnung.”
Das Gleiche versichert der hl. Johannes von Damaskus,
der sich an die allerseligste Jungfrau mit den Worten
wendet: „Auf dich, meine Herrin, habe ich meine ganze
Hoffnung gesetzt und, meine Augen auf dich geheftet,
erwarte ich von dir mein Heil.” Auch der hl. Thomas
behauptet, daß Maria die ganze Hoffnung unseres Heiles
sei. Und der hl. Ephräm beteuert genauso: „Heiligste
Jungfrau, nimm uns unter deinen Schutz, wenn du willst,
daß wir selig werden; denn wir haben keine andere
Hoffnung, zur Seligkeit zu gelangen, als durch deine
Vermittlung.
Ich schließe nun mit den Worten des hl. Bernhard: „Mit
aller Inbrunst unseres Herzens wollen wir diese Maria
verehren, denn es ist der Wille des Herrn, daß wir alles
durch Maria empfangen.” Und der Heilige mahnt, so oft
wir eine Gnade bedürfen und verlangen, uns an Maria zu
wenden mit festem Vertrauen, durch ihre Vermittlung sie
zu empfangen. „Suchen wir die Gnade, aber durch Maria
suchen wir sie!” und „weil du nicht würdig warst, daß
Gott dir die Gnade erteile, so ist sie Maria gegeben,
damit durch sie du empfängst, was immer du hast.” Darum
erinnert der hl. Bernhard einen jeden von uns,
alle
guten Werke und Gebete, die wir Gott aufopfern wollen,
zuerst Maria zu empfehlen, wenn wir wollen, daß der Herr
sie annehme.
Beispiel
Berühmt ist die Geschichte des Theophilus, die Eutychian, Patriarch von Konstantinopel, als Augenzeuge
aufgezeichnet hat, und die wir hier erzählen wollen.
Ihre Wahrheit wird nach Pater Crasset vom hl. Petrus
Damianus, dem hl. Bernhard, dem hl. Bonaventura, dem hl.
Antonin und anderen bestätigt. Theophilus war
Archidiakon an der Kirche zu Adanas, einer Stadt in
Cilicien, und stand in solcher Achtung, daß das Volk ihn
zum Bischof haben wollte; aus Demut aber schlug er dies
aus. Da er in der Folge von Übelgesinnten falsch
angeklagt und abgesetzt wurde, empfand er einen solchen
Schmerz darüber, daß er, von der Leidenschaft
verblendet, einen jüdischen Zauberer aufsuchte, der ihm
eine Besprechung mit dem Satan verschaffen sollte, damit
ihm dieser in seinem Unglück helfe.
Der Teufel antwortete, begehre er seine Hilfe, so müsse
er Jesu und seiner Mutter Maria widersagen, und die
eigenhändig geschriebene Urkunde dieser Widersagung ihm
übergeben. Theophilus fertigte dieses fluchwürdige
Schriftstück aus. Schon tags darauf erkannte der Bischof
das ihm zugefügte Unrecht, bat ihn um Vergebung und
setzte ihn wieder in seine Stelle ein. Theophilus wurde
wegen der großen Sünde, die er begangen hatte, von
Gewissensbissen so sehr gepeinigt, daß er nichts als
weinen konnte. Was tut er nun? Er begab sich in eine
Kirche, warf sich vor einem Marienbild nieder und betete
unter Tränen: „O Mutter Gottes, ich will nicht
verzweifeln, ich habe ja dich, die du so liebevoll und
mächtig genug bist, mir zu helfen.” Vierzig Tage lang
weinte und flehte er zur allerseligsten Jungfrau, da
erschien ihm die Mutter der Barmherzigkeit des Nachts
und sprach:
„O Theophilus, was hast du getan? Du hast meiner und
meines Sohnes Freundschaft widersagt, und für wen? Für
deinen und meinen Feind!” - „Ach, meine Herrin,
antwortete Theophilus, wolle doch mir verzeihen und auch
bei deinem Sohn Verzeihung verschaffen!” Maria, sein
Vertrauen wahrnehmend, sagte: „Sei guten Mutes; ich will
Gott für dich bitten.” Durch diese Worte ermutigt
verdoppelte Theophilus seine Tränen, seine Bußübungen
und seine Gebete, und wich nicht mehr von dem Bild. Und
nochmals erschien ihm Maria mit freundlicher Miene
sprechend: „Theophilus, freue dich, ich habe deine
Tränen und deine Gebete Gott dargebracht, und Gott hat
sie angenommen und dir bereits verziehen. Aber von heute
an sei dankbar und getreu!” - „O meine liebe Frau”,
erwiderte Theophilus, „ich kann noch nicht ganz ruhig
sein, denn der Böse hat noch jenes ruchlose
Schriftstück, mit dem ich dir und deinem Sohn
widersagte, in seinen Händen. Aber in deiner Macht steht
es, mir dieselbe wieder zu verschaffen.” Als drei Tage
darauf Theophilus des Nachts erwachte, fand er auf
seinem Bett diese Schrift. Am anderen Tages begab er
sich in die Kirche, wo der Bischof mit einer großen
Menge Volkes anwesend war, warf sich diesem zu Füßen,
erzählte unter einem Strom von Tränen alles, was sich
zugetragen hatte und überreichte ihm die schmähliche
Schrift. Der Bischof ließ dieselbe sofort angesichts des
ganzen Volkes verbrennen, das vor Freude weinte und Gott
und Maria wegen der Güte und Barmherzigkeit lobpries,
die sie dem unglücklichen Sünder erwiesen hatten. Dieser
aber kehrte zur Kirche der allerseligsten Jungfrau
zurück, wo er nach drei Tagen voll Ergebung und Dank
gegen Jesus und seine heiligste Mutter starb.
Gebet
O Königin und Mutter der Barmherzigkeit, du erweist
allen, die zu dir ihre Zuflucht nehmen, mit größter
Freigebigkeit, als Königin und gütigste Mutter, deine
Gnaden. Dir empfehle ich mich jetzt, der ich so arm an
Verdienst und Tugend und so belastet mit Schuld vor der
göttlichen Gerechtigkeit bin. O Maria, du hast den
Schlüssel zum Schatz der göttlichen Erbarmungen; gedenke
doch meines Elendes, und verlasse mich nicht in meiner
großen Not. Du bist so freigebig gegen jeden und
gewohnt, immer mehr zu geben, als man von dir begehrt.
Erbarme dich so auch meiner! Beschütze mich, o Herrin,
das ist alles, was ich von dir begehre. Wenn du mich
beschützt, fürchte ich nichts; nicht die bösen Geister,
denn du bist mächtiger als die ganze Hölle; nicht meine
Sünden, denn wenn du nur ein Wort bei Gott für mich
einlegst, kannst du mir die Verzeihung aller erwirken.
Besitze ich deine Gunst, dann darf ich selbst den Zorn
Gottes nicht fürchten, weil eine einzige Bitte von dir
Ihn besänftigt. Kurz, wenn du mich beschützt, so hoffe
ich alles, weil du alles vermagst. O Mutter der
Barmherzigkeit, ich weiß, daß es deine Freude und deine
Ehre ist, den Elendesten zu helfen; und wer nicht
verhärtet ist, dem kannst du helfen. Ich bin ein Sünder,
doch nicht verstockt; ich will mein Leben ändern. Du
kannst mir helfen; o hilf und rette mich! Ich übergebe
mich ganz in deine Hände. Sage mir, was ich zu tun habe,
um Gott zu gefallen; ich habe den Willen, es zu tun, und
ich hoffe es mit deinem Beistand wirklich zu tun. O
Maria, meine Mutter, mein Licht, mein Trost, meine
Zuflucht, meine Hoffnung. Amen.
6. Kap. - Wohlan denn, unsere Fürsprecherin
Abs. 1 - Maria ist eine mächtige Fürsprecherin, alle zu
retten
So groß ist die mütterliche Gewalt über die Kinder, daß,
wenn auch die Kinder Monarchen mit unumschränkter
Herrschaft über alle Personen ihres Reiches sind, können
die Mütter doch nicht zu Untertanen derselben werden. Es
ist wahr, Jesus Christus besitzt im Himmel die
Oberhoheit über alle und auch über Maria, denn Er sitzt
jetzt zur Rechten des Vaters und zwar gebührt diese
Herrschaft, nach der Erklärung des hl. Thomas, auch
seiner heiligsten Menschheit wegen ihrer hypostatischen
Einigung mit dem Wort. Dessen ungeachtet bleibt es auch
wahr, daß unser Erlöser in der Zeit seines irdischen
Lebens sich so weit herablassen wollte, um Maria
untergeben zu sein, wie der hl. Lukas bezeugt: „Er war
ihnen untertan.”
(Lk 2,51) Der
hl. Ambrosius behauptet
sogar, nachdem Jesus Christus sich gewürdigt, Maria zu
seiner Mutter zu wählen, Er als ihr Sohn wahrhaft
verpflichtet gewesen sei, ihr Gehorsam zu leisten.
Richard von St. Lorenz sagt daher, daß es von anderen
Heiligen heiße, sie seien mit Gott; aber allein nur von
Maria könne gesagt werden, sie habe das Glück gehabt,
daß nicht bloß sie dem Willen Gottes, sondern daß selbst
Gott dem Willen Mariens unterworfen gewesen sei. Und
während es von den anderen Jungfrauen heißt, sie folgen
dem Lamm, wohin es geht
(Offb 14,4), so könne man von
Maria sagen, daß das Lamm auf Erden ihr folgte, weil es
ihr untertänig geworden.
Ich sage demnach, wenn auch Maria jetzt im Himmel ihrem
Sohn nicht mehr befehlen kann, so sind doch ihre Bitten
die Bitten einer Mutter und dadurch überaus wirksam,
alles zu erlangen, was sie begehrt. Maria besitzt,
nachdem Ausspruch des hl. Bonaventura, das Privileg bei
ihrem Sohn alles zu erlangen. „Das große Privileg, daß
sie bei ihrem Sohn die Mächtigste ist.” Und warum? Aus
dem gleichen Grund, den ich eben angedeutet habe und
später eingehender darlegen werde, weil die Bitten Mariens, Bitten einer Mutter sind. „Aus diesem Grund”,
sagt der hl. Petrus Damianus,
„vermag die allerseligste Jungfrau alles, was sie nur
will, sowohl im Himmel als
auf der Erde, und kann sogar die Verzweifelnden wieder
zur Hoffnung auf die Seligkeit erwecken.” „Dir ist alle
Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden”, sind seine
Worte, „und nichts ist dir unmöglich, die du sogar die
Verzweifelten zur Hoffnung auf das Heil wieder
aufrichten kannst.” Und weiter: „Wenn diese Mutter für
uns eine Gnade von Jesus Christus begehrt, den der
Heilige den Versöhnungsaltar nennt, wo die Sünder die
Verzeihung von Gott erlangen, so schätzt der Sohn die
Bitten Mariens so hoch und hat ein solches Verlangen,
ihr zu gefallen, daß ihre Fürbitte mehr einem Befehl als
einer Bitte gleicht, und sie selbst mehr als Herrin denn
als Magd erscheint.” Auf diese Weise will Jesus seine
geliebte Mutter ehren, die Er während seines Lebens so
sehr geehrt hat, indem Er ihr sogleich alles gewährt, um
was sie bittet, und was sie begehrt. Sehr schön
bestätigt dies der hl. Germanus in den Worten: „Du, o
Mutter Gottes, bist allmächtig, die Sünder zu retten,
und du brauchst keine andere Empfehlung bei Gott, da du
die Mutter des wahren Lebens bist.”
„Der Herrschaft der allerseligsten Jungfrau gehorcht
alles, sogar Gott selbst.” Der hl. Bernhardin von Siena
trägt kein Bedenken, mit diesem Ausspruch zu behaupten, daß Gott ihre Bitten erhört, wie wenn sie Befehle wären.
So wendet sich auch der hl. Anselm mit den Worten an
Maria: „Der Herr hat dich, o hl. Jungfrau, so hoch
erhoben, daß du durch seine Gunst deinen Verehrern alle
möglichen Gnaden erlangen kannst.” „Denn dein Schutz ist
allmächtig”, wie Cosmas von Jerusalem sagt. Ja,
allmächtig ist Maria, wiederhole ich mit Richard von St.
Lorenz, denn die Königin muß nach allen Gesetzen
derselben Vorrechte sich erfreuen, wie der König, in der
Weise, daß, wie der hl. Antonin sagt, „Gott die ganze
Kirche nicht bloß unter den Schutz, sondern auch unter
die Herrschaft und Gewalt Mariens gestellt hat.”
Da der
Mutter dieselbe Macht also gebührt wie dem Sohn, darum
hat Jesus, der Allmächtige, auch Maria allmächtig
gemacht; doch bleibt es aber wahr, daß der Sohn
allmächtig ist von Natur, die Mutter nur durch Gnade.
Dieses wird durch den Erfolg bestätigt; denn was immer
die Mutter begehrt, nichts verweigert ihr der Sohn, wie
dies der hl. Birgitta geoffenbart wurde. Die Heilige
vernahm einmal, wie Jesus zu seiner Mutter sprach:
„Verlange von mir, was du willst, dein Bitten kann nicht
unerhört bleiben. Weil du mir auf Erden nichts
verweigert hast, so will ich auch im Himmel dir nichts
verweigern.” Gleich als wollte Er damit sagen: Meine
Mutter, da du noch auf Erden gelebt hast, hast du dich
nie geweigert, etwas aus Liebe zu mir zu tun; darum ist
es gerecht, daß auch ich jetzt im Himmel mich nicht
weigere, dir zu tun, um was du mich bittest. Maria wird
also allmächtig genannt in einer Weise, wie dies von
einem Geschöpf, das einer göttlichen Eigenschaft nicht
fähig ist, gesagt werden kann. Sie ist allmächtig, weil
sie durch ihre Fürbitte
alles erlangt, was sie will.
Mit vollem Recht also, o große Fürsprecherin, spricht
dich der hl. Bernhard an:
„Willst du, und alles wird geschehen.” Und der
hl.
Anselm: „Was immer du, o Jungfrau, willst, das kann
durchaus nicht ungeschehen bleiben.” Du brauchst nur zu
wollen und alles wird geschehen; willst du den verkommensten Sünder zu einer hohen
Heiligkeit erheben, es steht bei dir, dies zu bewirken.
Der hl. Albert Der Große legt dazu Maria folgende Worte
in den Mund: „Bittet mich, daß ich wolle; wenn ich will,
so muß es geschehen.” In Anbetracht dieser großen Macht Mariens fleht der
hl. Petrus Damian um Erbarmen mit uns
in den Worten: „Es bewege dich deine natürliche Güte, es
bewege dich deine Macht; denn je mächtiger du bist,
desto erbarmungsreicher mußt du sein.”
O Maria, unsere geliebte Fürsprecherin, da du ein so
mitleidsvolles Herz hast, das Unglückliche nicht sehen
kann, ohne sich ihrer zu erbarmen, und da du zugleich
bei Gott eine so große Macht besitzt, alle selig zu
machen, die unter deinem Schutz stehen, so weigere dich
nicht, dich auch um uns Elende anzunehmen, die wir auf
dich unsere ganze Hoffnung setzen. Sollten dich unsere
Bitten nicht bewegen, so möge dich dein gütiges Herz
oder deine Macht bewegen, indem du ja deshalb von Gott
mit solcher Stärke ausgerüstet worden bist, damit je
reicher du bist, uns helfen zu können, du um so
barmherziger seist, uns helfen zu wollen. Doch darüber
gibt uns der hl. Bernhard die tröstliche Gewißheit,
daß
Maria, wie an Macht, so an Erbarmen unendlich reich ist,
und daß wie ihre Liebe die mächtigste, so auch die
gütigste und mitleidigste ist, wie sie dies uns
beständig offenbart.
So lange Maria auf Erden lebte, war es nächst der Ehre
Gottes ihr einziger Gedanke, den Unglücklichen Hilfe zu
bringen. Und wir wissen auch, daß sie das Vorrecht
genoß, in allem erhört zu werden, um was sie bat. Wir
erkennen dies von der Hochzeit zu Kana in Galiläa. Da
der Wein ausging und die allerseligste Jungfrau mit der
Betrübnis und Beschämung jener Familie Mitleid hatte,
bat sie ihren Sohn, daß Er diese durch ein Wunder
trösten möge und stellte Ihm das Ausgehen des Weines
vor: „Sei haben keinen Wein mehr”, und Jesus antwortete:
„Was geht das mich und dich an, Frau? Meine Stunde ist
noch nicht gekommen.” Man bemerke, obwohl der Herr mit
den Worten: „Was geht das mich und dich an? Meine Stunde
ist noch nicht gekommen”, diese Gnade seiner Mutter
verweigert zu haben schien, da die rechte Zeit noch
nicht gekommen, d.h. die Zeit seines öffentlichen
Wirkens, wo ich durch Zeichen und Wunder meine Lehre
bestätigen muß.
So sagte Maria doch, als wäre ihr die Gnade schon
gewährt, zu den Leuten: „Füllt die Krüge mit Wasser”,
denn ihr sollt getröstet werden. Und in der Tat, um
seiner Mutter zu willfahren, verwandelte Jesus Christus
das Wasser in den besten Wein. Aber wie ist das möglich?
Wenn die für die Wunder bestimmte Zeit die seines
öffentlichen Wirkens war, wie konnte dann das Wunder der
Verwandlung des Wassers in Wein gegen den göttlichen
Ratschluß vorher gewirkt werden? Nein, antworte ich, es
geschah nichts gegen die göttlichen Ratschlüsse; denn
wenn auch im allgemeinen die Zeit der Wunder noch nicht
gekommen war, so war dessen ungeachtet von Gott durch
einen anderen Beschluß von Ewigkeit her festgesetzt,
daß, was immer seine Mutter begehren würde, ihr niemals
verweigert werden solle. Und Maria, dieses Vorrechtes
sich bewußt, befahl den Dienern, die Krüge mit Wasser zu
füllen, als ob die Gnade schon gewährt wäre, obwohl es
noch den Anschein hatte, als habe der Sohn ihre Bitte
verweigert. Dies will der hl. Johannes Chysostomus
sagen, wenn er zu der Stelle bei Johannes nach der
Vulgata: „Was geht das mich
und dich an, Frau?”
(Jo 2,3) bemerkt: „Obgleich Jesus
eine solche Antwort gab, so wollte Er doch, um seine
Mutter zu ehren, ihren Bitten gehorchen.” Dasselbe
bestätigt der hl. Thomas, wenn er sagt, daß Jesus
Christus durch die Worte: „Meine Stunde ist noch nicht
gekommen” zu erkennen geben wollte, Er hätte das Wunder
verschoben, wenn ein anderer darum gebeten hätte; weil
aber die Mutter Ihn darum bat, hat Er es gewirkt. Damit
stimmen auch der hl. Cyrillus und der hl. Hieronymus
nach Barradius überein. Und ebenso bemerkt Jansenius von
Gent zu der erwähnten Stelle des hl. Johannes: Um seine
Mutter zu ehren, kam Er der Zeit, die zur Wirkung der
Wunder vorher bestimmt war, zuvor.
Kurz, es gibt kein Geschöpf, das uns Elenden so viele
Gnaden erlangen könnte, als diese gute Fürsprecherin,
die von Gott nicht bloß als seine geliebte Dienerin,
sondern auch als seine wahre Mutter mit diesem Vorrecht
geehrt ist. So sagt Wilhelm von Paris, indem er sich an
Maria wendet: „Keine Kreatur vermag so viele und so
große Gnaden uns Elenden bei dem Sohn zu erwirken, als
du uns erlangst; denn Er will dich hierdurch ohne
Zweifel nicht als die Magd, sondern als seine wahre
Mutter ehren.” Es genügt, daß Maria spricht, und der
Sohn gewährt alles. Der Herr spricht zur Braut im
Hohenlied, d.h. zu Maria: „Die du in den Gärten wohnst,
die Freunde horchen; laß mich deine Stimme hören.”
(Hl
8,13) Diese Freunde sind die Heiligen, die, wenn sie
ihren Verehrern eine Gnade erbitten, warten, bis ihre
Königin sie von Gott begehrt und erlangt hat, wie oben
gesagt wurde: Es wird keine Gnade erteilt außer durch
die Vermittlung Mariens, Und wie erlangt Maria diese
Gnaden? Es genügt, daß sie ihren Sohn ihre Stimme hören
läßt: „Laß mich deine Stimme hören.” Es genügt, daß sie
redet, und der Sohn erhört sie sogleich.
Wilhelm von Paris, der die erwähnte Stelle in diesem
Sinn auslegt, läßt den Sohn folgendermaßen zu Maria zu
sprechen: „Die du in den himmlischen Gärten wohnst,
bitte zuversichtlich für wen du willst, denn ich kann
unmöglich vergessen, daß ich dein Sohn bin, um meiner
Mutter etwas verweigern zu können.” - „Nur ein Wort laß
mich vernehmen, denn mein Hören ist ein Erhören.” Der
Abt Gottfried sagt, obgleich Maria die Gnaden nur durch
die Fürsprache erlange, so bitte sie dessen ungeachtet
mit einer Art mütterlichen Befehls; darum müssen wir
ohne allen Zweifel festhalten, daß sie alles erlangt,
was sie begehrt, und um was sie für uns bittet.
Von Coriolan wird berichtet, daß bei seiner Belagerung Roms
die Bitten der Einwohner und seiner Freunde nicht
vermocht haben, ihn zum Abzug zu bewegen; aber als seine
Mutter Veturia nahte, ihn zu bitten, konnte er nicht
widerstehen und hob sogleich die Belagerung auf.
Mächtiger noch als die Bitten der Veturia sind die
Bitten Mariens bei Jesus, und um so mächtiger, je
dankbarer dieser Sohn ist, und je mehr Er seine Mutter
liebt. P. Justin von Miekowiz schreibt: „Ein einziger
Seufzer der allerseligsten Jungfrau Maria vermag mehr
als die Bitten aller Heiligen zusammen.” Dasselbe hat
auf Befehl des hl. Dominikus der Teufel selbst aus dem
Mund eines Besessenen bekannt, wie Paciucchelli erzählt,
mehr vermöge bei Gott ein Seufzer Mariens
als die flehentlichen Bitten aller Heiligen zusammen.
Der hl. Antonin behauptet, weil die Bitten der allerseligsten Jungfrau Bitten einer Mutter sind, haben
sie in gewisser Weise die Eigenschaft eines Befehles,
weshalb es unmöglich ist, daß sie unerhört bleibe, wenn
sie um etwas bittet. Daher ermutigt der hl. Germanus die
Sünder, sich dieser Fürsprecherin mit den Worten zu
empfehlen : „Da du, o Maria, vor Gott das Ansehen einer
Mutter genießt, so kannst du auch den größten Sündern
Verzeihung erlangen; denn der Herr, der dich immer und
überall als seine wahre Mutter anerkennt, kann dich
nicht unerhört lassen, wenn du Ihn bittest.” Die
hl.
Birgitta vernahm, wie auch die Heiligen des Himmels zur allerseligsten Jungfrau sprachen: „O Gebenedeite, was
gibt es, das du nicht vermagst? Was du willst, das
geschieht!” Daher der bekannte Spruch: Was Gott durch
sein Gebot vermag, vermagst du, Jungfrau, durch Gebet.
„Und ist es nicht der göttlichen Güte vollkommen
würdig”, frägt der hl. Augustinus,
„die Ehre seiner Mutter zu wahren, da Er ja selbst
beteuerte, Er sei auf die Erde gekommen, nicht das
Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen.” Dieses
Gesetz aber befiehlt, die Eltern zu ehren.
Der hl. Georg, Erzbischof von Nikomedien, bemerkt noch, daß Jesus Christus alle Bitten seiner Mutter erhöre,
gleich als wolle Er damit der Verpflichtung genügen, die
Er gegen sie hat wegen ihrer Zustimmung zu seiner
Menschwerdung. Und der hl. Märtyrer Methodius ruft aus:
„Freue dich, o Maria, die du das Glück hast, jenen Sohn
zum Schuldner zu haben, der allen gibt, aber von keinem
je etwas empfängt. Wir alle schulden Gott, was wir immer
haben, denn alles ist sein Geschenk; dir aber hat Gott
selbst Schuldner sein wollen, indem Er aus dir Fleisch
annehmen und Mensch werden wollte.” Der hl. Augustinus
sagt, da Maria es erlangte, dem göttlichen Wort seinen
menschlichen Leib zu geben und mit ihm den Preis unserer
Erlösung darzubieten, auf daß wir von dem ewigen Tod
befreit würden, darum ist sie mächtiger als alle, uns
zur Erlangung des ewigen Heiles behilflich zu sein. Der
hl. Theophilus, Bischof von Alexandrien, der zur Zeit
des hl. Hieronymus lebte, schreibt: „Der Sohn freut
sich, von seiner Mutter gebeten zu werden, denn Er will
alles, was Er gewährt, um seiner Mutter willen uns
geben, und ihr so die Gabe vergelten, die Er in der
Annahme des Fleisches von ihr empfangen hat.” Der
hl.
Johannes von Damaskus wendet sich an die allerseligste
Jungfrau mit den Worten: „Als die Mutter des höchsten
Gottes kannst du alle durch Bitten kraft deiner
mütterliche Autorität selig machen.”
Ich schließe mit dem hl. Bonaventura, der in Betrachtung
der großen, vom Herrn uns verliehenen Wohltat, indem Er
uns Maria zur Fürsprecherin gab, sie anspricht:
„O wahrhaft unermeßliche und wunderbare Güte unseres
Gottes, der uns elenden Missetätern dich, seine Mutter,
zur Fürsprecherin hat geben wollen, auf daß du uns durch
deine mächtige Vermittlung alles, was du immer willst,
erlangen kannst. O große Güte des Herrn, der, damit wir
nicht wegen des Urteilspruches, den Er einst über uns
verhängen muß, in allzu großen Schrecken geraten, uns
seine eigene Mutter und die Herrin der Gnade zur
Fürsprecherin geschenkt hat!”
Beispiel
P. Razzi, ein Kamaldulenser, erzählt, daß
ein junger
Mann nach dem Tod seines Vaters von seiner Mutter, einer
großen Verehrerin Mariens, an den Hof eines Fürsten
gesandt wurde. Diese ließ sich beim Abschied von ihrem
Sohn das Versprechen geben, daß er täglich ein Ave Maria
mit dem Zusatz bete: „Gebenedeite Jungfrau, stehe mir in
meiner Todesstunde bei.” Der junge Mensch kam an den
Hof, wurde aber nach einiger Zeit so ausgelassen und
lasterhaft, daß der Fürst ihn entlassen mußte. In
Verzweiflung und unfähig, sich den Lebensunterhalt zu
verschaffen, begab er sich auf das Land, um
Straßenräuber zu werden. Doch unterließ er auch jetzt
nicht, sich Unserer Lieben Frau anzuempfehlen, wie er es
seiner Mutter versprochen hatte. Schließlich wurde er
aufgegriffen und zum Tod verurteilt. Am Abend vor der
Hinrichtung weinte er im Gefängnis beim Andenken an
seine Schande; an den Schmerz seiner Mutter, an den Tod,
der seiner wartete, ganz untröstlich. Der Teufel, der
seine übermäßige Traurigkeit erblickte, erschien ihm in
Gestalt eines schönen Jünglings und sagte zu ihm, er
wolle ihn von Tod und Gefangenschaft erretten, wenn er
tun wolle, was er ihm sage. Der Verurteilte erklärte
sich zu allem bereit. Nun gab der vermeintliche Jüngling
sich als der Teufel zu erkennen, und daß er gekommen
sei, ihm zu helfen. Vor allem verlangte er, daß er Jesus
Christus und den hl. Sakramenten absage. Der
Unglückliche willigte ein. Dann sagte er ihm, er müsse
auch der Jungfrau Maria absagen und auf ihren Schutz
verzichten. „Nein, das werde ich nicht tun”, erwiderte
der junge Mensch, und an die Jungfrau Maria sich
wendend, sprach er das gewohnte, von seiner Mutter
erlernte Gebet: „Gebenedeite Jungfrau, stehe mir bei in
meiner Todesstunde!” Bei diesen Worten verschwand der
Teufel, der junge Mensch aber, äußerst bestürzt über das
enorme Verbrechen seiner Abtrünnigkeit von Jesus
Christus, nahm seine Zuflucht zur allerseligsten
Jungfrau, und diese erlangte ihm einen so großen Schmerz
über alle seine Sünden, daß er unter Tränen und
aufrichtiger Reue beichtete.
Zur Hinrichtungsstätte geführt, kam er an einer Statue
der Mutter Gottes vorüber und begrüßte sie mit dem
gewohnten Gebet. Da neigte das Bild, seinen Gruß
erwidernd, angesichts aller das Haupt. Innigst bewegt
bat er, die Füße des Bildes küssen zu dürfen. Die
Henkersknechte wollten es nicht zulassen; da aber unter
dem Volk ein Murren entstand, gaben sie nach. Da er sich
nun neigte, um die Füße zu küssen, streckte Maria aus
der Statue den Arm aus, ergriff die Hand des
Verurteilten und hielt ihn so fest, daß es nicht möglich
war, ihn loszureißen. Bei diesem Wunder fing das Volk an
zu schreien: „Gnade! Gnade!” - und er wurde begnadigt.
Darauf kehrte er in seine Heimat zurück, führte dort ein
musterhaftes Leben und bewahrte die innigste Andacht zu
Maria, die ihn vom zeitlichen und ewigen Tod befreit
hatte.
Gebet
O erhabene Mutter Gottes Maria! Mit dem hl. Bernhard
will ich zu dir rufen: „Rede, o Herrin, dein Sohn hört
dich, und was du immer begehrst, das wirst du erlangen.”
Sprich also, o Maria, unsere Fürsprecherin, sprich zu
unseren Gunsten, da wir so hilfsbedürftig sind. Gedenke, daß du diese große Macht, diese hohe Würde zu unserem
Besten erhalten hast. Gott wollte dazu dein Schuldner
werden und aus dir Fleisch annehmen, damit du nach
deinem Gutdünken den Elenden die Schätze der göttlichen
Gnaden austeilen könnest. Wir sind deine Diener, deinem
Dienst
in besonderer Weise ergeben, und zu diesen hoffe auch
ich zu gehören. Wir rühmen uns, unter deinem Schutz zu
stehen. Wenn du allen Gutes erweist, selbst denen, die
dich nicht kennen, dich nicht ehren, ja sogar beleidigen
und lästern; um wieviel mehr dürfen dann wir von deiner
Güte erwarten, welche die Elenden zu trösten begehrt,
wir, die wir dich ehren, lieben und auf dich vertrauen?
Wir sind zwar große Sünder, aber Gott hat dich mit einer
Barmherzigkeit und Macht ausgestattet, die größer ist
als alle unsere Missetaten. Du kannst und willst uns
retten, und wir wollen um so mehr vertrauen, je
unwürdiger wir sind, um dich im Himmel um so mehr zu
verherrlichen, wenn wir durch deine Vermittlung dahin
gelangen. O Mutter der Barmherzigkeit, dir stellen wir
unsere Seelen vor, einst so schön und im Blut Jesu
Christi gewaschen, nun durch die Sünde so befleckt; dir
stellen wir sie vor, denke daran, sie zu reinigen.
Erlange uns eine wahre Besserung, erlange uns die Liebe
zu Gott, die Beharrlichkeit, den Himmel. Große Dinge
begehren wir. Aber wie? Kannst du uns nicht alles
erlangen? Oder ist etwa unser Verlangen zu groß für die
Liebe, die Gott zu dir trägt? Du darfst nur den Mund
öffnen und deinen Sohn bitten, Er schlägt dir nichts ab.
Bitte also, bitte für uns, o Maria, bitte, und du wirst
sicher erhört, wir aber gewiß selig werden.
Abs. 2 - Maria ist eine mitleidsvolle Fürsprecherin,
die
sich nicht weigert, auch die Sache der Elendesten zu
verteidigen
Es sind so viele Beweggründe, diese liebreiche Königin
zu lieben, daß, wenn auf der ganzen Welt Maria gelobt,
in allen Predigten nur von ihr gesprochen und alle
Menschen ihr Leben für Maria geben würden, dies dennoch
zu wenig wäre im Vergleich zu dem Dienst und dem Dank,
den wir ihr schulden für ihre überaus zärtliche Liebe zu
allen Menschen, und selbst zu den elendesten Sündern,
die noch ein Rest Andacht zu ihr bewahren. Der sel.
Raymund Jordan, der sich aus Demut Idiote (Ungelehrter)
nennt, sagt: Maria kann nicht anders als den lieben, der
sie liebt, ja sie scheut sich nicht, dem sogar zu
dienen, der ihr dient, indem sie, wenn er ein Sünder
ist, ihre ganze mächtige Vermittlung aufbietet, ihm von
ihrem gebenedeiten Sohn Verzeihung zu erlangen. Und so
groß ist ihre Güte und Barmherzigkeit, daß kein noch so
tief Gefallener sich fürchten darf, zu ihren Füßen zu
flüchten; denn sie weist keinen ab, der zu ihr seine
Zuflucht nimmt. Maria bringt als unsere liebevolle
Fürsprecherin selber die Gebete ihrer Diener Gott dar,
besonders jene, die an sie selbst gerichtet werden; denn
gleichwie der Sohn für uns bei dem Vater Fürsprache
einlegt, so bittet Maria für uns beim Sohn, und sie hört
nicht auf, bei dem einen oder andern das große Werk des
Heiles zu besorgen und uns die Gnaden zu erwirken, die
wir begehren. Mit Recht nennt deshalb der sel. Dionysius
der Karthäuser, die allerseligste Jungfrau „Die
einzigartige Zuflucht der Verlorenen, die Hoffnung der
Elenden, die Anwältin aller Sünder, die zu ihr sich
flüchten.”
Sollte sich aber ein Sünder finden, der zwar wohl an
ihrer Macht nicht zweifelt, doch der Güte Mariens
mißtraut und etwa fürchtet, sie wolle ihm nicht helfen
wegen der Größe seiner Sünden, so flößt ihm der hl.
Bonaventura mit den Worten Mut
ein: „Das große Vorrecht Mariens, daß sie bei Gott die
Mächtigste ist.” Groß und einzig ist dieses Vorrecht
Mariens bei ihrem Sohn, alles, was sie nur will, durch
ihre Bitten zu erlangen. „Was aber würde uns”, fährt er
fort, „die große Macht Mariens helfen, wenn sie keine
Sorge für uns trüge?”„Nein, zweifeln wir nicht”,
schließt der Heilige, „seien wir ruhig und danken wir
unablässig dem Herrn und seiner göttlichen Mutter; denn
gleichwie sie bei Gott eine mächtigere Fürsprecherin ist
als alle Heiligen, so ist sie liebreicher und mehr für
unser Wohl besorgt, als alle.”
„Wo ist jemand, o Mutter der Barmherzigkeit”, ruft
freudig der hl. Germanus aus,
„der nach deinem Sohn Jesus so für uns und unser Wohl
besorgt wäre, wie du? Wer beschützt uns mehr in den
Leiden, die uns drücken, als du uns beschützt? Wer steht
so den Sündern bei, wie du, die du sogar für sie
kämpfst? Dein Schutz, o Maria ist mächtiger und
liebreicher, als daß wir imstande wären, ihn nur zu
begreifen.”
„Während alle anderen Heiligen”, bemerkt der
Idiote,
„durch ihren Schutz mehr ihren besonderen Verehrern, als
den anderen helfen können, ist die göttliche Mutter als
die Königin aller auch die Fürsprecherin aller und trägt
Sorge für das Heil aller.”
Sie sorgt für das Heil aller,
auch der Sünder. Ja, die Fürsprecherin der Sünder zu
sein, betrachtet Maria als ihren besonderen Ruhm, wie
sie selbst der ehrwürdigen Schwester Maria Villani
erklärte: „Nächst dem Titel der Mutter Gottes halte ich
es für meinen höchsten Ruhm, Fürsprecherin der Sünder
genannt zu werden.” Der sel. Amadeus sagt, daß unsere
Königin immer am Thron der göttlichen Majestät stehe, um
unablässig durch ihre mächtige Fürsprache für uns
einzutreten. Und da sie im Himmel unser Elend und unsere
Not gut kennt, so kann sie nur Erbarmen mit uns fühlen.
Darum sucht sie mit mütterlicher Liebe, von Mitleid
bewegt, so gütig und milde uns zu helfen. Deshalb
spricht Richard von St. Lorenz einem jeden, sei er auch
noch so elend, Mut zu, voll Vertrauen zu dieser gütigen
Fürsprecherin seine Zuflucht zu nehmen und für gewiß zu
halten, daß er sie immer zur Hilfe bereit finden werde.
„Denn”, wie Abt Gottfried sagt, „ist Maria immer bereit,
für alle zu bitten.” „Und o wie wirksam und mit welcher
Liebe”, sagt der hl. Bernhard, „führt
diese gute Anwältin das Geschäft unseres ewigen Heiles!”
Der hl. Augustinus betrachtet die Liebe und den Eifer,
mit dem Maria unablässig bei der göttlichen Majestät
sich für uns verwendet, damit der Herr unsere Sünden
verzeihe, mit seiner Gnade uns beistehe, aus den
Gefahren uns errette und im Elend uns tröste, und er
wendet sich dann mit den Worten an die allerseligste
Jungfrau:
„Wir bekennen, daß du einzig und allein im Himmel für
uns besorgt bist.” Er will sagen: O liebe Frau, es ist
wahr, alle Heiligen sind besorgt für unser Heil und
bitten für uns; aber die Liebe und die Zärtlichkeit, die
du im Himmel uns zeigst, indem du durch deine Fürsprache
so viele Erbarmungen von Gott uns erlangst, zwingt uns
zu bekennen, daß wir im Himmel nur eine Fürsprecherin
haben, und diese bist du; und daß du die einzige bist,
die wahrhaft uns liebt und wahrhaft um unser Heil
besorgt bist. „Wer könnte die Sorgfalt begreifen, mit
welcher Maria unaufhörlich bei Gott für uns sich
verwendet”, ruft der hl. Germanus aus: „Sie kann nicht
müde werden, uns zu verteidigen.” Wie schön ist dieser
Ausspruch! So groß ist das Mitleid, das Maria mit
unserem Elend fühlt, und so groß die Liebe, die sie zu
uns
trägt, daß sie beständig für uns bittet, und immer
wieder für uns bittet, und nie satt werden kann, für uns
zu bitten, um durch ihre Fürbitte uns gegen die Übel zu
schützen und uns Gnaden zu erwerben.
„O wie arm wären wir Sünder, wenn wir diese große
Anwältin nicht hätten, die so mächtig und so mitleidig
ist und zugleich so klug und weise, daß der Richter, ihr
Sohn”, wie Richard von St. Lorenz sagt, „jene Missetäter
nicht verdammen kann, die sie verteidigt!” Deshalb
begrüßte sie der hl. Johannes der Geometer:
„Sei gegrüßt du Recht, das alle Streitigkeiten löst.”
Alle Rechtsstreitigkeiten, die von dieser überaus weisen
Anwältin verteidigt werden, sind gewonnen; daher wird
Maria von dem hl. Bonaventura „die weise Abigail”
genannt. Diese war nämlich jene Frau, von der das erste
Buch der Könige (1 Kg 25,33) berichtet, die durch ihre
freundlichen Bitten den gegen Nabal erzürnten König
David zu besänftigen wußte, daß David sie segnete, um
ihr dafür zu danken, daß sie durch ihr mildes Benehmen
ihn gehindert hatte, mit eigenen Händen Rache an Nabal
zu nehmen.
Dasselbe vollbringt Maria beständig im Himmel
zugunsten unzähliger Sünder; sie versteht es so gut, mit
ihren zärtlichen und weisen Fürbitten die göttliche
Gerechtigkeit zu besänftigen, daß Gott selbst sie dafür
segnet und gleichsam vergilt, daß sie Ihn auf solche
Weise abhalte, die Sünder zu verlassen und nach Gebühr
zu züchtigen.
„Zu diesem Zweck”, sagt der hl. Bernhard, „hat der ewige
Vater, der alle nur mögliche Barmherzigkeit gegen uns
üben will, außer Jesus Christus, unserem ersten
Fürsprecher bei Gott, auch Maria uns zur Fürsprecherin
bei Jesus Christus gegeben” „Ich zweifle nicht”, sagt
der Heilige, „daß Jesus der einzige Mittler aus
Gerechtigkeit zwischen Gott und den Menschen ist, der
kraft seiner eigenen Verdienste, gemäß seiner
Verheißungen Verzeihung und Gnade erwerben will und
kann; aber weil die Menschen in Jesus Christus die
göttliche Majestät, die in Ihm als in Gott wohnt,
erkennen und fürchten, darum war es notwendig, uns eine
andere Fürsprecherin anzuweisen, zu der wir mit weniger
Furcht und mit größerem Vertrauen unsere Zuflucht nehmen
könnten, und diese ist Maria. Wir können keine
Fürsprecherin finden, die mächtiger wäre vor der
göttlichen Majestät und barmherziger gegen uns.”
Daher sagt er die schönen Worte: „Ein getreuer und
überaus mächtiger Mittler zwischen Gott und den Menschen
ist Jesus Christus; aber die Menschen scheuen in Ihm die
göttliche Majestät, daher ist ein Mittler bei diesem
Mittler notwendig; keiner aber ist uns nützlicher als
Maria.” „Ein großes Unrecht”, sagt der Heilige weiter,
„würde derjenige der Güte Mariens zufügen, der sich
scheute, zu den Füßen dieser gütigsten Fürsprecherin
seine Zuflucht zu nehmen, die doch nichts Strenges an
sich hat, nichts Abschreckendes, sondern ganz
freundlich, liebenswürdig und gütig ist.” Lies und
durchblättere, soviel du willst, die ganze Geschichte,
die uns im Evangelium beschrieben ist, und wenn du darin
irgendeinen Akt der Strenge an Maria findest, dann magst
du dich fürchten, zu ihr hinzuzutreten. Aber das wirst
du nicht finden. Darum flüchte voll Freuden zu ihr, sie
wird dir durch ihre Fürsprache die Seligkeit erlangen.
Gar schön ist der Ausruf, den Wilhelm von Paris dem zu
Maria sich wendenden Sünder in den Mund legt: „Ich gehe
zu dir, ja ich suche dich auf, glorwürdigste
Gottesgebärerin, die man als Mutter der Barmherzigkeit
anruft, so ruft ja sogar
die ganze Kirche der Heiligen.”
O Mutter meines Gottes, in dem unglückseligen Zustand,
wohin meine Sünden mich gebracht haben, nehme ich voll
Vertrauen zu dir meine Zuflucht, und solltest du mich
abweisen, so halte ich dir entgegen, daß du ja in
gewisser Weise verpflichtet bist, mir zu helfen, weil
die ganze Kirche dich die Mutter der Barmherzigkeit
nennt und öffentlich verkündet. Du, o Maria, wirst immer
erhört, wegen des großen Wohlgefallens, das Gott an dir
hat. „Deine große Güte hat keinem sich je entzogen;
deine überaus liebliche Freundlichkeit hat noch nie
einen Sünder, so ungewöhnlich sein Vergehen sein mochte,
verachtet, sobald er dir sich anempfahl.” „Oder sollte
dich etwa irrtümlich und vergeblich die ganze Kirche
ihre Fürsprecherin und Zuflucht der Elenden nennen?”
Nie
soll es geschehen, daß meine Sünden, o Mutter, dich
hindern könnten, dein erhabenes Amt der Liebe zu
erfüllen, kraft dessen du zugleich Fürsprecherin und
Friedensstifterin zwischen Gott und den Menschen bist
und nach deinem Sohn die einzige Hoffnung und sichere
Zuflucht den Unglücklichen.” Alles, was du an Gnade und
Glorie besitzt, ja sogar deine Würde als Mutter Gottes
verdankst du, wenn es erlaubt ist sozusagen, den
Sündern; denn um ihretwillen hat das göttliche Wort dich
zu seiner Mutter erwählt. Ferne sei es, von dieser
göttlichen Mutter, die der Welt den Quell des Erbarmens
gebar, auch nur zu denken, daß sie ihre Barmherzigkeit
einem Unglücklichen, der zu ihr flüchtet, verweigern
könnte. „Da es, o Maria, dein Amt ist, Friedensstifterin
zwischen Gott und den Menschen zu sein, so möge deine
große Güte, die ja weit größer ist, als alle meine
Sünden, dich bewegen, mir
beizustehen.”
Tröstet euch also, ihr Kleinmütigen, sage ich mit dem
hl. Thomas von Villanova, atmet wieder auf und faßt Mut,
o ihr armen Sünder; diese erhabene Jungfrau, die Mutter
eueres Richters und Gottes, ist die Fürsprecherin
unseres Geschlechtes, eine vollkommen geeignete
Fürsprecherin, die bei Gott alles vermag, was sie will;
eine überaus weise Fürsprecherin, die alle Mittel kennt,
Ihn zu besänftigen; eine gemeinsame Fürsprecherin, die
sich um alle annimmt und die Verteidigung keines
einzigen zurückweist.
Beispiel
Wie mitleidsvoll mit uns armen Sündern Maria, diese
unsere Fürsprecherin ist, hat sie an Beatrix, einer
Nonne des Klosters Fontevrault, bewiesen, wie uns
Cäsarius und P. Rho erzählen. Von leidenschaftlicher
Liebe zu einem jungen Mann hingerissen, verstand sich
die unglückliche Klosterfrau dazu, mit ihm zu
entfliehen. Und wirklich begab sich die Unselige eines
Tages vor ein Muttergottesbild, legte dort als
Pförtnerin die Schlüssel des Klosters nieder und zog
unverfroren von dannen. In fremdem Land lebte sie
fünfzehn Jahre lang als öffentliche Dirne. Danach kam
sie wieder zurück, und dem Verwalter des Klosters
begegnend, fragte sie ihn, überzeugt, daß er sie nicht
erkenne, ob er nichts von Schwester Beatrix wisse. „Ich
kenne sie gut”, war die Antwort, „sie ist eine hl.
Klosterfrau und gegenwärtig Novizenmeisterin”. Dies
machte sie ganz verwirrt und betroffen, da sie sich die
Sache nicht erklären konnte. Um zu erfahren, was daran
sei, ging sie verkleidet zum Kloster und ließ
die Schwester Beatrix rufen. Und siehe, es erschien vor
ihr die allerseligste Jungfrau genau in der Gestalt
jenes Bildes, vor dem sie bei ihrem Entweichen aus dem
Kloster Schlüssel und Habit niedergelegt hatte. Die
Mutter Gottes sagte sie zu ihr: „Beatrix wisse, um deine
Ehre zu retten, habe ich deine Gestalt angenommen, und
während der fünfzehn Jahre, die du fern vom Kloster und
fern von deinem Gott zugebracht hast, habe ich statt
deiner dein Amt versehen. Tochter, kehre um und tue
Buße, noch erwartet dich mein Sohn, und suche durch
einen erbaulichen Wandel, den guten Ruf dir zu bewahren,
den ich dir verschafft habe.” Bei diesen Worten
verschwand sie; Beatrix aber ging in das Kloster hinein,
zog den Ordenshabit wieder an und voll Dank für diese
große Barmherzigkeit Mariens führte sie von da an ein
heiliges Leben. In der Todesstunde aber offenbartte sie
zur größeren Ehre dieser erhabenen Königin den ganzen
Vorgang.
Gebet
O erhabene Mutter meines Herrn! Ich erkenne, daß ich
durch meine so vieljährige Undankbarkeit gegen Gott und
dich verdient hätte, von dir zur gerechten Strafe
aufgegeben zu werden; denn ein Undankbarer ist deiner
Wohltaten nicht mehr wert. Doch, o meine liebe Frau, ich
denke Hohes von deiner Güte, ich glaube fest, daß sie
größer als meine Undankbarkeit ist. Fahre fort, o
Zuflucht der Sünder, und höre nimmer auf, einem armen
Sünder, der auf dich vertraut, zu Hilfe zu kommen. O
Mutter der Barmherzigkeit, strecke deine Hand aus, um
einem gefallenen Sünder, der dein Mitleid anspricht,
aufzuhelfen. O Maria, entweder beschütze du mich, oder
sage mir, an wen ich mich zu wenden habe, der mir besser
helfen könnte, als du! Doch wo könnte ich eine
liebevollere und mächtigere Fürsprecherin bei Gott
finden, als dich, die du seine Mutter bist? Durch deine
Erwählung zur Mutter des Erlösers bist du auch berufen,
die Sünder zu retten, und du bist auch mir geschenkt zu
meinem Heil. O Maria, du rettest den, der sich an dich
wendet. Deine Liebe verdiene ich nicht, aber dein
Verlangen nach dem Heil der Verlorenen flößt mir
Hoffnung ein, daß du mich dennoch liebst. Und wie sollte
ich verloren gehen, wenn du mich liebst? O meine
geliebte Mutter, wenn ich durch dich selig werde, wie
ich hoffe, so will ich nicht mehr undankbar gegen dich
sein, sondern durch immerwährendes Lob und alle Liebe
meiner Seele will ich meine frühere Undankbarkeit gut
machen und dir die Liebe, die du zu mir getragen,
vergelten. Im Himmel, wo du herrschst und in alle
Ewigkeit herrschen wirst, werde ich voll Seligkeit deine
Barmherzigkeit allezeit lobpreisen und durch alle
Ewigkeit jene Hand küssen, die mich, so oft ich durch
meine Sünden die Hölle verdiene, von derselben befreit
hat. O Maria, meine Befreierin, meine Hoffnung, meine
Königin, meine Fürsprecherin, meine Mutter, ich liebe
dich, ich liebe dich, ich will dich allezeit lieben.
Amen. Amen. So hoffe ich, so sei es.
Abs. 3 -
Maria
versöhnt die Sünder mit Gott
Die Gnade Gottes ist für eine jede Seele ein überaus
großer und wünschenswerter Schatz. Sie wird vom Hl.
Geist ein unendlicher Schatz genannt, weil wir mittels
der
göttlichen Gnade zur Würde der Freundschaft Gottes
erhoben werden. „Sie ist ein unendlicher Schatz für jene
Menschen, die ihn nützen, sie werden der Freundschaft
Gottes teilhaftig.” (Wsh 7,14) Daher kommt es, daß
Jesus Christus, unser Erlöser und Gott, selber nicht
ansteht, jene seine Freunde zu nennen, die sich in der
Gnade befinden. „Ihr seid meine Freunde.”
(Jo 15,13)
O verfluchte Sünde, die diese schöne Freundschaft löst!
„Eure Missetaten scheiden euch von euerem Gott.”
(Is
59,2) Und da die Sünde die Seele dem Haß Gottes
überantwortet, - „beide sind Gott verhaßt, der Gottlose
und seine Gottlosigkeit” (Wsh 14,9), - so verwandelt sie
dieselbe aus einer Freundin in eine Feindin des Herrn.
Was hat aber ein Sünder zu tun, der zu seinem Unglück
sich im Stand der Feindschaft Gottes befindet? Er muß
einen Mittler suchen, der ihm Verzeihung erlangt und die
verlorene Freundschaft Gottes wieder erwerben hilft.
„Tröste dich also”, sagt der hl. Bernhard, „o
Unglücklicher, der du deinen Gott verloren hast!” Dein
Herr selbst hat dir einen Mittler gegeben, nämlich
seinen Sohn Jesus; der dir alles erlangen kann, was du
begehrst. „Jesus hat Er dir zum Mittler gegeben; was
sollte ein solcher Sohn nicht bei seinem Vater
vermögen?”
Aber o Gott, ruft der Heilige aus, warum halten die
Menschen diesen gütigen Erlöser für so streng, der sein
Leben hingegeben hat um sie zu retten? Warum erachten
sie den für schrecklich, der doch ganz liebenswürdig
ist? Kleinmütige Sünder, welche Furcht habt ihr?
Fürchtet ihr euch, weil ihr Gott beleidigt habt, so wißt, daß Jesus eure Sünden mit seinen durchbohrten
Händen ans Kreuz geheftet, für sie durch seinen Tod der
göttlichen Gerechtigkeit genug getan und die Schuld von
eueren Seelen hinweggenommen hat. Aber, fügt der Heilige
hinzu, du scheust dich vielleicht zu Jesus Christus
deine Zuflucht zu nehmen, weil dich seine göttliche
Majestät schreckt, denn da Er Mensch geworden, hat Er
nicht aufgehört, Gott zu sein; willst du einen anderen
Fürsprecher bei diesem Mittler? Flüchte zu Maria, denn
sie wird beim Sohn für dich bitten, der sie sicher
erhören wird; der Sohn aber wird Fürsprache beim Vater
einlegen, der diesem Sohn keine Bitte verweigern kann.
Der hl. Bernhard schließt mit den Worten: Diese
göttliche Mutter, meine Söhne, ist die Leiter für die
Sünder, an der sie auf ein neues zur Höhe der göttlichen
Gnade emporsteigen. Sie ist meine größte Zuversicht, sie
der ganze Grund meiner Hoffnung.
Vernehmt, welche Worte der Hl. Geist im Hohenlied der
allerseligsten Jungfrau in den Mund legt. „Ich bin eine
Mauer und meine Brüste sind wie Türme, seitdem ich vor
Ihm geworden bin wie die, welche den Frieden fand.”
(Hl
8,10) „Ich bin”, sagt Maria, „der Schutz jener, die zu
mir flüchten, und meine Barmherzigkeit ist für sie wie
ein fester Turm der Zuversicht, und deswegen bin ich von
meinem Herrn als Friedensvermittlerin zwischen den
Sündern und Gott aufgestellt.” „Maria”, sagt
Kardinal
Hugo zu dieser Stelle, „ist die große Friedensmittlerin,
die den Feinden Gottes wieder Frieden erbittet und
finden läßt, die den Verlorenen das Heil, den Sündern
Verzeihung, den Verzweifelnden Barmherzigkeit erlangt.”
Darum wurde sie von ihrem Bräutigam „schön wie Zelte
Salomons” (Hl 1,4)
genannt.” In den Zelten Davids wurde
nur über Krieg verhandelt, in den Zelten
Salomons aber nur Sachen des Friedens. Damit gibt uns
der Hl. Geist zu verstehen, daß diese Mutter der
Barmherzigkeit nicht über Krieg und Rache gegen die
Sünder, sondern über Frieden und Verzeihung ihrer Sünden
verhandle.
Maria war auch durch die Taube Noes vorgebildet, die,
aus der Arche fliegend, einen Ölzweig als Zeichen des
von Gott den Menschen wieder geschenkten Friedens im
Schnabel zurückbrachte. Darum wendet sich der hl.
Bonaventura mit den Worten an Maria: „Du bist jene
treueste Taube Noes, da du die treueste Mittlerin
zwischen Gott und der in geistlicher Sündflut
versunkenen Welt geworden bist.” Maria also ist die
himmlische Taube, die der verlorenen Welt den Ölzweig,
das Zeichen der Barmherzigkeit, überbrachte; denn sie
hat uns Jesus Christus gegeben, der die Quelle der
Barmherzigkeit ist, und durch die Kraft seiner
Verdienste hat sie alle Gnaden uns erlangt, die Gott uns
verleiht. Und gleichwie durch Maria der Welt der Friede
des Himmels geschenkt wurde, wie Epiphanius sagt, so
erlangen durch ihre Vermittlung die Sünder fortwährend
ihre Aussöhnung mit Gott. Daher läßt der hl. Albert Der
Große sie sprechen: „Ich bin die Taube Noes, die ich der
Kirche den allgemeinen Frieden gebracht habe.”
Sodann war auch ein Vorbild Mariens jener Regenbogen,
von dem der hl. Johannes sah, daß er den Thron Gottes
umgebe: „Ein Regenbogen war rings um den Thron.” (Offb
4,3) Dies erklärt der Kardinal Vitalis so: „Dieser
Regenbogen ist Maria, die fortwährend vor dem göttlichen
Richterstuhl steht, um die göttlichen Strafurteile und
Züchtigungen, die den Sündern gebühren, zu mildern.”
Dies ist der Regenbogen, nach der Meinung des hl.
Bernhardin von Siena, der Regenbogen, den der Herr im
Auge hatte, da Er zu Noe sprach, Er wolle in den Wolken
einen Friedensbogen aufrichten, damit Er beim Anschauen
desselben an den ewigen Frieden, den Er mit den Menschen
geschlossen habe, sich erinnere. „Meinen Bogen will ich
in die Wolken setzen, und er soll ein Zeichen des Bundes
sein zwischen mir und der Erde... Und der Bogen wird in
den Wolken sein, und ich werde ihn sehen und gedenken
des ewigen Bundes.” (Gen 9,13) Die allerseligste
Jungfrau ist jener Bogen des ewigen Friedens; denn
gleichwie Gott beim Anblick des Bogens an den Frieden
sich erinnert, den Er der Erde verheißen, so verzeiht Er
auf die Bitten Mariens den Sündern die Ihm zugefügten
Beleidigungen und schließt Frieden mit ihnen.
Deshalb wird Maria auch mit dem Mond verglichen. „Du
bist schön wie der Mond.” (Hl 6,9)„Denn”, sagt der
hl.
Bonaventura, „gleichwie der Mond in der Mitte steht,
zwischen Himmel und Erde, so tritt Maria beständig
zwischen Gott und die Sünder, um den Herrn mit ihnen zu
versöhnen und die Sünder zu erleuchten, damit sie zu
Gott zurückkehren.” Das ist die Hauptaufgabe, die Gott
Maria übertrug, da Er sie auf die Erde sandte: Seelen,
die aus dem Stand der göttlichen Gnade gefallen sind,
wieder aufzurichten und mit Gott zu versöhnen: „Weide
deine Böcke!” (Hl 1,7) So sprach der Herr zu ihr, da Er
sie schuf. Bekanntlich werden die Sünder mit den Böcken
verglichen, und wie die Auserwählten, die durch die
Schafe dargestellt sind, im Gericht zur Rechten gestellt
werden, so werden jene zur Linken aufgestellt sein.
„Diese Böcke nun”, sagt Abt Wilhelm, „sind dir, o
erhabene Mutter, übergeben, damit du sie in Schafe
verwandelst, und damit jene, die durch ihre Schuld
verdienten,
auf die linke Seite getrieben zu werden, durch deine
Fürsprache zur Rechten gestellt werden.” Deshalb
offenbarte der Herr der hl. Katharina von Siena, Er habe
diese seine geliebte Tochter erschaffen, damit sie Ihm
als eine überaus süße Lockpfeife diene, um die Menschen,
besonders die Sünder, zu fangen und sie zu Gott
hinzuziehen. Hierzu müssen wir die schöne Erklärung
Wilhelms beachten, der dazu sagt, daß Gott Maria ihre
Böcke empfehle - „deine Böcke”, denn die allerseligste
Jungfrau rettet nicht alle Sünder, sondern nur jene, die
ihr dienen und sie verehren. Jene hingegen, die in
Sünden leben und sie durch nicht verehren, noch ihr sich
anempfehlen, um von der Sünde sich zu erheben, sind
keine Böcke Mariens, sondern sie werden beim Gericht
unglückseligerweise mit den Verdammten zur Linken
gestellt werden.
[Der Herr hat Petrus nur die Schafe und Lämmer
übergeben.]
Ein Edelmann, der wegen der großen Menge seiner Sünden
an seinem Heil verzweifeln wollte, wurde von einem
Ordensmann ermuntert, er solle zu Maria seine Zuflucht
nehmen und ein andächtiges Muttergottesbild, das in
einer Kirche stand, besuchen. Der Kavalier ging in die
Kirche und beim Anblick des Bildes Mariens hatte er die
Empfindung, als ob sie ihn einlade, zu ihren Füßen sich
niederzuwerfen und Vertrauen zu fassen. Er eilt hinzu,
wirft sich nieder und Maria reicht ihm aus ihrem Bild,
einer Statue, ihre Hand zum Kuß hin. Und auf der Hand
Mariens sah er folgende Worte geschrieben: „Ich will
dich erretten von denen, die dich betrüben” - als ob sie
ihm damit sagen wollte: Mein Sohn, verzweifle nicht; ich
will dich befreien von deinen Sünden, von deinen
Ängsten, die dich niederdrücken. Als der Sünder diese
süßen Worte las, empfand er einen solchen Schmerz über
seine Sünden und faßte eine so große Liebe zu Gott und
zu seiner süßen Mutter, daß er dort zu Füßen Mariens
seinen Geist aufgab. O wie viele verstockte Sünder zieht
dieser Magnet der Herzen, wie sie sich selber nannte, zu
Gott hin!
Maria sagte nämlich zur hl. Birgitta: „Wie der Magnet
das Eisen anzieht, so ziehe ich die härtesten Herzen an
mich, um sie mit Gott wieder auszusöhnen.” Und dieses
Wunder ereignet sich nicht selten, sondern jeden Tag.
Ich selber könnte viele solcher Fälle bezeugen, die nur
allein auf unseren Missionen vorgekommen sind, wo manche
Sünder, die bei den übrigen Predigten härter als Eisen
geblieben, bei der Predigt von der Barmherzigkeit Mariens in sich gingen und zu Gott zurückkehrten.
Der hl. Gregor erzählt, das Einhorn sei ein so scheues
Tier, daß es kein Jäger jemals habe fangen können. Nur
auf die Stimme einer Jungfrau, die es ruft, komme das
Tier, nähere sich und lasse sich ohne Widerstand von ihr
fesseln. O wie viele Sünder, die wilder noch als die
Tiere vor Gott fliehen, kommen auf die Stimme dieser
erhabenen Jungfrau herbei und lassen sich von ihr durch
sanfte Fesseln wieder an Gott knüpfen.
Zu diesem Zweck ist nach dem hl. Johannes Chrysostomus
Maria auch Mutter Gottes geworden, damit sie jenen
Elenden, die wegen ihres schlechten Lebens, gemäß der
göttlichen Gerechtigkeit, nicht mehr selig werden
könnten, durch ihre süße Barmherzigkeit und mächtige
Fürsprache das Heil erlange. „Denn Maria ist”, wie der
hl. Anselm versichert, „mehr um der Sünder als um der
Gerechten willen zur Würde einer Mutter Gottes erhoben
worden, da ja Jesus Christus selbst beteuert, daß Er gekommen sei, nicht die Gerechten, sondern die
Sünder zu rufen.” Deshalb singt auch die hl. Kirche von
ihr: Du hast keinen Abscheu vor den Sündern; ohne sie
wärst du niemals eines solchen Sohnes gewürdigt worden.
Deshalb sagt ihr der hl. Wilhelm von Paris mit
eindringendlichen Worten: „O Maria, du bist
verpflichtet, den Sündern zu helfen; denn alles, was du
an Gaben, Gnaden und Herrlichkeiten besitzt, die alle in
der Würde einer Gottesmutter enthalten sind, all dies
verdankst du, wenn es erlaubt ist zu sagen, den Sündern;
denn um ihretwillen bist du gewürdigt worden, einen Gott
zum Sohn zu haben» „Wenn also”, schließt der hl. Anselm,
„Maria um der Sünder willen Gottes Mutter geworden ist,
wie könnte ich, so groß meine Sünden auch seien, an der
Verzeihung verzweifeln?”
Die hl. Kirche belehrt uns in der Oration der Messe für
die Vigil zu Mariä Himmelfahrt, daß die Mutter Gottes
von dieser Erde zum Himmel erhoben wurde, um bei Gott
unsere Mittlerin zu sein, damit wir mit gewisser
Zuversicht erhört werden. Daher wird Maria vom hl.
Justinus ‘Schiedsrichterin’ genannt; dieses Wort
bedeutet Mittler, dem zwei streitende Parteien die
Entscheidung über ihre Gründe und Ansprüche überlassen.
Der Heilige will demnach sagen, gleichwie Jesus der
Mittler ist beim ewigen Vater, so ist Maria unsere
Mittlerin bei Jesus, und der Sohn überläßt ihr die
Entscheidung über all seine Klagen, die Er als Richter
gegen uns hat.
Der hl. Andreas von Kreta gibt Maria den Namen
Bürgschaft, Sicherheit unserer Versöhnung mit Gott.
Dieser Heilige will damit ausdrücken, Gott wolle sich
mit den Sündern versöhnen, indem Er ihnen verzeiht;
damit aber die Sünder nicht an der empfangenen
Verzeihung zweifeln, habe Er ihnen zum Pfand Maria
gegeben. Er begrüßt sie deshalb: „Sei gegrüßt, o
Versöhnung der Menschen mit Gott.” Und der hl.
Bonaventura flößt darum jedem Sünder Mut ein mit den
Worten: „Wenn du fürchtest, Gott wolle durch deine
Sünden erzürnt an dir Rache nehmen, was hast du zu tun?
Gehe, flüchte zur Hoffnung der Sünder, zu Maria; und
wenn die Furcht in dir aufsteigt, sie möchte sich
weigern, deine Partei zu ergreifen, so wisse, daß ihr
nicht möglich ist, deine Verteidigung auszuschlagen, da
Gott selbst ihr das Amt übertragen hat, den Elenden zu
helfen.” „Oder könnte der, dem die Mutter des Richters
selber zur Mutter und Fürsprecherin sich darbietet, noch
an seinem Heil verzweifeln?”, ruft Adam, Abt von Perseigne, aus. „Und du, o Maria”, fährt er weiter fort,
„du, die Mutter der Barmherzigkeit, solltest dich
weigern, den einen deiner Söhne, welcher der Richter
ist, für einen anderen, der ein Sünder ist, zu bitten?
Du solltest dich weigern, für eine erlöste Seele dich
beim Erlöser zu verwenden, der ja gerade deshalb am
Kreuz starb, um die Sünder zu retten? Nein, du weigerst
dich nicht; mit allem Eifer wirst du dich für alle
verwenden, die zu dir ihre Zuflucht nehmen; denn du
weißt wohl, daß der gleiche Herr, der deinen Sohn zum
Friedensmittler zwischen Gott und den Menschen machte,
auch dich zur Mittlerin zwischen dem Richter und dem
Angeklagten gemacht hat.”
„Sage also dem Herrn Dank”, ermahnt der hl. Bernhard,
„der dir für eine solche
Mittlerin gesorgt hat.” Wer du auch immer sein magst, o
Sünder, mit Sünden befleckt, in Sünden alt geworden,
werde nicht kleinmütig; danke vielmehr deinem Herrn,
der, um Erbarmen an dir zu üben, nicht bloß seinen Sohn
dir zum Fürsprecher gegeben,
sondern auch, um dir mehr Mut und Vertrauen einzuflößen,
für eine solche Fürsprecherin gesorgt hat, die alles,
was sie will, durch ihre Bitten erlangen kann. Geh,
wende dich an Maria und du wirst selig werden.
Beispiel
Der sel. Alanus a Rupe und Bonifatius erzählen, daß
zu
Florenz eine Frau lebte, die den Namen Benedikta führte,
wegen ihres ärgerlichen und wüsten Lebenswandels aber
eher Maledikta hätte heißen sollen. Zu ihrem Glück kam
der hl. Dominikus in diese Stadt, um zu predigen. Aus
bloßer Neugierde ging sie in die Kirche, um ihn zu
hören. Aber durch diese Predigt erfüllte Gott ihr Herz
mit solcher Reue, daß sie, bitterlich weinend, zu dem
Heiligen ging, um zu beichten. Der hl. Dominikus hörte
ihre Beichte, absolvierte sie und gab ihr als Buße auf,
den Rosenkranz zu beten. Die Unglückliche indes kehrte,
von sündhafter Gewohnheit getrieben, zu ihrem schlechten
Wandel zurück. Das erfuhr der Heilige, suchte sie auf
und hielt sie an, von neuem zu beichten. Um sie in ihren
guten Vorsätzen zu bestärken, ließ Gott sie nun eines
Tages die Hölle sehen und zeigte ihr dort einige Seelen,
an deren Verdammnis sie die Schuld trug. Dann öffnete Er
ein Buch und ließ sie da den schrecklichen Verlauf ihres
Sündenlebens schauen. Bei diesem Anblick erschauderte
die Büßerin; aber voll Vertrauen wandte sie sich an
Maria um Hilfe. Da vernahm sie, wie die göttliche Mutter
ihr von Gott die notwendige Zeit erlangte, ihre
Missetaten zu beweinen. Nach diesem Gesicht führte
Benedikta ein besseres Leben. Aber immer schwebte ihr
jenes schreckliche Bild vor Augen, das ihr gezeigt
worden war. Sie wandte sich nun eines Tages an ihre
Trösterin, und bat:
„O Mutter, es ist wahr, wegen meiner Verbrechen sollte
ich im Abgrund der Hölle
sein; aber du hast durch deine Vermittlung mich davon
befreit und mir Zeit zur Buße erwirkt. O barmherzigste
Herrin, um eine andere Gnade noch bitte ich dich: Nie
mehr will ich aufhören, meine Sünden zu beweinen; aber
bewirke, daß sie in jenem Buch ausgelöscht werden!” Auf
diese Bitte erschien ihr Maria und sprach, wenn sie dies
erreichen wolle, müsse sie von nun an stets ihrer Sünden
gedenken und der Barmherzigkeit, die Gott ihr erwiesen;
ferner müsse sie immer an die Leiden sich erinnern, die
ihr Sohn aus Liebe zu ihr erduldet, und endlich müsse
sie wohl erwägen, daß viele verdammt seien, die viel
weniger gesündigt als sie. Zugleich wurde ihr geoffenbart, daß an diesem Tag ein Kind von acht Jahren
wegen einer einzigen Sünde zur Hölle verdammt worden
sei.
Benedikta folgte getreulich der allerseligsten Jungfrau,
und siehe, eines Tages erschien ihr Jesus Christus und
zeigte ihr jenes Buch mit den Worten: „Siehe, deine
Sünden sind ausgelöscht, das Buch ist weiß, schreibe
jetzt Akte der Liebe und der Tugenden hinein.” Das tat
Benedikta; sie führte einen heiligmäßigen Wandel und
starb eines hl. Todes.
Gebet
O süßeste Herrin! Dein Amt ist es, wie Wilhelm von Paris
sagt, als Mittlerin zwischen die Sünder und Gott zu
treten. Darum rufe ich dir mit dem hl. Thomas von Villanova
zu: O unsere Fürsprecherin, übe dein Amt aus; vollbringe
deine Aufgabe auch an mir. Sage mir nicht, meine Sache
sei zu schwierig, um gewonnen zu werden; denn ich weiß,
und alle sagen es mir, daß kein noch so verzweifelter
Rechtsstreit verloren ist, wenn du ihn verteidigst. Und
der meinige sollte verloren sein? Nein, das fürchte ich
nicht. Nur dann hätte ich zu fürchten, wenn ich nur auf
die Menge meiner Sünden zu schauen hätte, und du meine
Verteidigung nicht übernehmen wolltest. Aber in
Anbetracht deiner unendlichen Barmherzigkeit und des
unendlichen Verlangens, das dein süßestes Herz beseelt,
den verlorenen Sündern zu helfen, kann ich keine Furcht
haben. Wer ist je zugrunde gegangen, der zu dir seine
Zuflucht genommen? Darum rufe ich zu dir um Hilfe, o
meine erhabene Fürsprecherin, meine Zuflucht, meine
Hoffnung, meine Mutter Maria! Deinen Händen vertraue ich
die Angelegenheit meines ewigen Heiles; dir übergebe ich
meine Seele; sie war verloren, du aber mußt sie retten.
Ohne Ende danke ich dem Herrn, daß Er mir dieses große
Vertrauen auf dich
einflößt, das, ungeachtet meiner Unwürdigkeit, mich
meines Heiles versichert. Nur eine Furcht quält mich
noch, o geliebte Gebieterin, daß ich durch meine
Nachlässigkeit eines Tages dies mein Vertrauen auf dich
verlieren könnte. Darum bitte ich dich, o Maria, um der
Liebe zu deinem Jesus willen, bewahre und vermehre in
mir immer mehr dieses so überaus süße Vertrauen auf
deine Mittlerschaft, durch die ich die so törichterweise
von mir einst verachtete und verlorene Freundschaft
Gottes sicher wieder zu erlangen hoffe. Und habe ich sie
wieder gewonnen, so hoffe ich durch deine Vermittlung,
sie zu bewahren, und bewahre ich sie, so darf ich
endlich hoffen, durch dich einmal in das Paradies zu
kommen, um dir zu danken und Gottes und deine
Barmherzigkeit die ganze Ewigkeit hindurch zu preisen.
Amen. Also hoffe ich; so sei es; so wird es sein.
7. Kap. - Wende deine barmherzigen Augen zu uns
Maria ist ganz Auge, um mit unseren Nöten Mitleid zu
haben und uns zu helfen Der hl. Epiphanius nennt die
göttliche Mutter vieläugig, weil sie ganz Auge ist, um
uns Elenden hienieden zu Hilfe zu kommen. Bei Anwendung
des Exorzismus an einem Besessenen gab einmal der böse
Feind, befragt, was Maria tue, die Antwort:
„Sie steigt auf und nieder.” Er wollte sagen, diese
gütige Herrin sei mit nichts anderem beschäftigt, als
auf die Erde herabzusteigen, um den Menschen Gnaden zu
bringen, und zum Himmel aufzusteigen, um dort von Gott
die Erhörung unserer Bitten zu erwirken. Mit Recht wird
die allerseligste Jungfrau darum vom hl. Andreas Avellino die Geschäftsführerin des Himmels genannt, weil
sie unablässig mit Werken der Barmherzigkeit beschäftigt
ist, indem sie allen, den Gerechten wie den Sündern,
Gnaden erfleht. Der Herr hat seine Augen auf die
Gerechten gewandt, sagt David: „ Die Augen des Herrn ruhen auf den Gerechten.”;
(Ps
33,16) aber die Augen unserer Herrin, sagt
Richard von
St. Lorenz, sind ebensowohl den Gerechten wie den
Sündern zugewandt, denn die Augen Mariens sind nach ihm
Augen einer Mutter, und eine Mutter schaut auf ihr Kind,
nicht bloß, daß es nicht falle, sondern
daß sie, ist es gefallen, es wieder aufhebe.
Dieses offenbarte auch Jesus Christus selbst der hl.
Birgitta, indem Er sie die Worte an seine Mutter
vernehmen ließ: „Mutter, verlange von mir, was du
willst.”¸ Das ist die Sprache, die Jesus beständig im
Himmel mit Maria führt, da es seine Freude ist, seiner
geliebten Mutter in allem, was sie verlangt, zu
willfahren. Aber was verlangt Maria? Die hl. Birgitta
vernahm, wie sie ihrem Sohn erwiderte: „Ich bitte um
Barmherzigkeit für die Elenden,” als wollte sie sagen:
Mein Sohn, du hast mich bestimmt, Mutter der
Barmherzigkeit, Zuflucht der Sünder, Fürsprecherin der
Elenden zu sein, und du sagst mir, ich solle dich
bitten, worum ich will; was kann ich nun anderes
verlangen, als daß du den Elenden Barmherzigkeit
erweist?
„So voll bist du an Barmherzigkeit, o Maria”, ruft mit
Zärtlichkeit der hl. Bonaventura aus, „und so bereit,
den Elenden zu helfen, daß du kein anderes Verlangen,
noch andere Sorge als diese zu haben scheinst.” Und weil
unter den Unglücklichen die Sünder die Elendesten sind,
so bittet Maria, wie der ehrwürdige Beda behauptet, ohne
Aufhören ihren Sohn für die Sünder.
Schon während ihres Erdenlebens, sagt der
hl.
Hieronymus, war Maria so mitleidsvollen und gütigen
Herzens gegen die Menschen, daß niemand über sein
eigenes Leid solche Betrübnis fühlen konnte, wie Maria
über fremdes. Dieses Mitleid mit der Betrübnis anderer
offenbarte sie bei der Hochzeit zu Kana, (wie bereits
erwähnt) wo sie beim Ausgehen des Weines, nach dem hl.
Bernhardin von Siena, das Amt einer gütigen Helferin auf
sich nahm, ohne darum gebeten worden zu sein. Aus reinem
Mitleid mit der Verlegenheit der Brautleute verwandte
sie sich bei ihrem Sohn und erlangte von Ihm das Wunder
der Verwandlung des Wassers in Wein.
„Solltest du etwa”, ruft der hl. Petrus Damianus, an
Maria sich wendend, aus,
„solltest du, zur Königin des Himmels erhöht, unseres
Elendes vergessen können? Das ist nicht zu denken; denn
eine Barmherzigkeit, so groß, wie sie im Herzen Mariens
herrscht, kann ein Elend, wie das unsrige, nicht
vergessen.” Auf Maria läßt sich das bekannte Sprichwort:
Honores mutant mores - Ehren ändern die Sitten - nicht
anwenden. Bei Weltmenschen ist es der Fall, daß sie
stolz werden und ihrer alten, armen Freunde nicht mehr
gedenken, wenn sie zu Ehren gelangen; nicht aber bei
Maria, denn sie freut sich ihrer Erhöhung, um den
Elenden um so mehr Hilfe bringen zu können.
In Erwägung dieser Wahrheit wendet der hl. Bonaventura
auf die allerseligste Jungfrau die Worte an, die zu Ruth
gesagt wurden: Gesegnet bist du vom Herrn, o Tochter;
denn deine frühere Barmherzigkeit wird durch die
nachfolgende übertroffen” (Rth 3,10), um auszudrücken, daß, wenn die Barmherzigkeit Mariens gegen die Elenden
schon so groß war, als sie noch auf Erden lebte, sie
noch viel größer sein müsse jetzt, da sie im Himmel
regiert. Zur Bekräftigung seines Ausspruches erklärt der
Heilige weiter, daß die göttliche Mutter durch die
unzähligen, uns erlangten Gnaden zeigen wolle, ihre
Barmherzigkeit sei nun größer, da sie unsere Nöte besser
kenne. Wie der Glanz der Sonne, fährt er fort, den des
Mondes übertrifft, so übertrifft die Barmherzigkeit
Mariens im Himmel jene, die sie uns während ihres
Erdenlebens erwiesen hat. Und er schließt: Ist wohl
jemand auf der Welt, der sich dieses Sonnenlichtes
nicht erfreute, auf den die Barmherzigkeit Mariens ihre
Strahlen nicht herniedersandte?
(Hl 6,9) Darum heißt es von ihr,
sie sei auserkoren wie die Sonne: „Auserwählt wie die
Sonne”, weil niemand, wie der hl. Bonaventura sagt,
ausgeschlossen ist von den wärmenden Strahlen der Sonne.
„Es ist niemand, der sich bergen kann vor ihrer Hitze.”
(Ps 18,7)
Dasselbe offenbarte die hl. Agnes der hl. Birgitta, daß
unsere Königin, nun im Himmel mit ihrem Sohn vereinigt,
ihrer angeborenen Güte nicht vergessen könne, sondern
allen, auch selbst den ruchlosesten Sündern, ihre
Barmherzigkeit in der Art zuwende, daß, wie von der
Sonne die Himmelskörper und die Erde beleuchtet werden,
so niemand, dank der süßesten Liebe Mariens, auf der
Welt lebe, der, so er bittet, nicht durch ihre
Vermittlung an der göttlichen Barmherzigkeit teilhätte.
Ein großer Verbrecher
im Königreich Valencia hatte, um
dem Arm der Gerechtigkeit zu entfliehen, aus
Verzweiflung den Entschluß gefaßt, ein Türke
(Mohammedaner) zu werden, und war bereits auf dem Weg,
sich einzuschiffen. Da ging er zufällig an einer Kirche
vorüber, in der P. Hieronymus Lopez aus der Gesellschaft
Jesu von der Barmherzigkeit Gottes predigte. Durch diese
Predigt gerührt, bekehrte sich der Sünder und beichtete
bei dem Pater, der ihn fragte, ob er etwa eine gewisse
Andachtsübung vorgenommen habe, deretwegen Gott ihm
dieses große Erbarmen erwiesen habe. Er antwortete, daß
er keine andere Andacht verrichtet habe, als täglich zur
allerseligsten Jungfrau zu bitten, sie möge ihn doch
nicht verlassen. Der gleiche Ordensmann fand einmal in
einem Spital einen Sünder, der seit fünfundfünfzig
Jahren nicht mehr gebeichtet und der nur die leichte
Andachtsübung noch beibehalten hatte, daß er, wenn er
ein Bild Mariens erblickte, dieses grüßte und bat, Maria
wolle ihn doch nicht in der Todsünde sterben lassen. Bei
einem Zweikampf zerbrach ihm der Degen. Da wandte er
sich an Unsere Liebe Frau mit den Worten: „Wehe mir!
Jetzt bin ich tot und verdammt! Mutter der Sünder, hilf
mir!” Kaum hatte er dies gesagt, als er sich, ohne zu
wissen wie, in Sicherheit befand. Er legte eine
Generalbeichte ab und starb voll Vertrauen.
Der hl. Bernhard schreibt: „Maria ist allen alles
geworden, allen erschließt sie den Schoß ihrer
barmherzigen Liebe, auf daß alle von ihrer Fülle
empfangen: Der Sklave Erlösung, der Kranke Genesung, der
Betrübte Trost, der Sünder Verzeihung, so daß niemand
ist, der an den Strahlen dieser Sonne nicht teilhätte.”
„Sollte es in der Welt jemanden geben”, ruft der
hl.
Bonaventura aus, „der diese liebenswürdigste Königin
nicht liebte? Sie, die schöner ist als die Sonne, süßer
als Honig; sie, ein Schatz von Güte, gegen alle voll
Liebe und Freundlichkeit... Darum grüße ich dich, meine
Herrin und Mutter”, fährt der Heilige voll Liebesglut
fort, „du mein Herz und meine Seele! Verzeihe mir, o
Maria, wenn ich mich erkühne, von meiner Liebe zu dir zu
sprechen; ich bin es freilich nicht wert, dich zu
lieben, aber um so gewisser bist du würdig, von mir
geliebt zu werden.”
Der hl. Gertrud wurde geoffenbart, daß, sooft man zur
heiligsten Jungfrau in Andacht die Worte spreche:
„Unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen zu
uns,” Maria nicht unterlassen könne, sich zu dem
Bittenden zu neigen. „O welche Größe deiner
Barmherzigkeit, erhabene Frau”, ruft ihr der hl.
Bernhard zu, „die ganze Welt ist von ihr voll.” „Der
Reichtum deiner Barmherzigkeit erfüllt den ganzen
Erdkreis.” Diese liebevolle Mutter hat, wie der hl.
Bonaventura sagt, ein so großes Verlangen, allen Gutes
zu tun, daß sie nicht bloß von jenen sich beleidigt
nennt, die ihr offensichtlich Unrecht zufügen, wie es
leider besonders unter den Spielern so verkehrte
Menschen gibt, die gar oft in leidenschaftlicher Hitze
diese gütige Herrin lästern und beleidigen, sondern auch
von denen, die sie nicht um Gnaden bitten: „Gegen dich,
o Herrin, versündigen sich nicht bloß jene, die mit
Unrecht dich überhäufen, sondern auch jene, die dich
nicht bitten.”
„Ja, o Herrin”, sagt der hl. Hildebert, „du selbst
lehrst uns, größere Gnaden zu erhoffen, als wir
verdienen; denn du hörst nicht auf, unablässig uns
Gnaden zu spenden, die bei weitem größer sind, als wir
sie verdienen.
Schon der Prophet Isaias verkündete, daß mit dem großen
Werk der Erlösung der Menschen für uns Elende ein Thron
der göttlichen Barmherzigkeit errichtet werden soll. „
Es wird in Barmherzigkeit ein Thron errichtet.” (Is
16,5) Und wer ist dieser Thron? Der hl. Bonaventura
antwortet:„Der Thron der göttlichen Barmherzigkeit ist
Maria, in der alle, Gerechte und Sünder, die Tröstungen
der Barmherzigkeit finden, und wie der Heiland unendlich
barmherzig ist, so auch unsere Herrin. Wie der Sohn
keinem Bittenden sein Erbarmen versagen kann, so läßt
auch seine Mutter keinen unerhört.” Darum legt Abt Guerricus Jesus die Worte an seine Mutter in den Mund:
„Meine Mutter, in dir will ich den Thron meines Reiches
aufschlagen; denn durch deine Vermittlung will ich
Gnaden denen spenden, die mich darum bitten. Du hast mir
das Sein als Mensch gegeben; ich will dir von meiner
Gottheit die Allmacht geben, damit du jenen zum Heil
verhelfen kannst, die du retten willst.”
Als die hl.
Gertrud eines Tages voll Inbrunst zur Mutter Gottes
betete: „Wende deine barmherzigen Augen zu uns”, -
erblickte sie die allerseligste Jungfrau mit dem
Jesuskind auf dem Arm, die auf dessen Augen deutend zu
ihr sprach: „Dies sind meine so mitleidsvollen Augen,
die ich allen denen zu ihrem Heil zuwende, die mich
anrufen.” Ein Sünder flehte einmal unter Tränen vor
einem Marienbild, daß Maria ihm Verzeihung von Gott
erlangen wolle; da vernahm er, wie die allerseligste
Jungfrau zu ihrem Kind, das sie auf dem Arm hatte, sich
hinwendend sprach: „Mein Sohn, sollen diese Tränen
vergeblich sein?” Und er wurde inne, daß Jesus ihm
verziehen habe.
Wie könnte der verloren gehen, der sich dieser guten
Mutter anempfiehlt, da Gott, ihr Sohn, um ihrer Liebe
willen verheißen hat, allen, die sich ihr empfehlen, so
viel Barmherzigkeit zu schenken, als ihr gefalle. Das
ist es auch, was der Herr der hl. Gertrud offenbarte, da
Er sie die Worte an Maria vernehmen ließ: „Aus meiner
Allmacht habe ich dir, verehrungswürdige Mutter, die
Versöhnung aller Sünder zugestanden, die in Andacht zu
deiner Barmherzigkeit um Hilfe flehen, wie es immer dir
beliebt.” Als der Abt Adam von Perseigne die große Macht
Mariens bei Gott und zugleich ihre große Liebe zu uns
betrachtete, rief er voll Vertrauen aus: „O Mutter der
Barmherzigkeit, so groß deine Macht ist, so groß ist
auch deine Liebe; so mächtig du bist zum Erlangen, so
barmherzig bist du zum Verzeihen! Wann
ist je der Fall eingetreten”, fährt er fort, „daß du
kein Mitleid mit den Unglücklichen gehabt hast, da du
die Mutter der Barmherzigkeit bist? Oder wann hättest du
nicht helfen können, da du die Mutter der Allmacht bist?
So leicht es dir ist, unser Elend zu erkennen, ebenso
leicht ist es dir, uns alles zu erlangen, was du
willst.”
„Darum erfreue dich”, sagt Abt Rupertus, „erfreue dich,
o große Königin, an der Herrlichkeit deines Sohnes, und
aus Mitleid, nicht nach unserem Verdienst, würdige dich
uns, deinen armen Dienern und Söhnen, die Brosamen herabzusenden!” Und wollen unsere Sünden das Vertrauen
uns rauben, so rufen wir mit Wilhelm von Paris: „O
Herrin, halte meine Sünden mir nicht entgegen, denn ich
halte gegen sie deine Barmherzigkeit. Niemals soll
gesagt werden, daß beim Gericht meine Sünden wider deine
Barmherzigkeit standhalten könnten, die ja viel
mächtiger ist, uns Verzeihung zu erlangen, als meine
Sünden es vermögen, das Urteil der Verdammung mir
zuzuziehen.”
Beispiel
Die Chronik der Kapuziner erzählt vom Jahr 1552, daß
ein
berühmter Advokat in Venedig, durch Lug und Trug reich
geworden, in üblem Stand gelebt habe. Er hatte nichts
Gutes mehr an sich, außer daß er täglich ein bestimmtes
Gebet zur allerheiligsten Jungfrau verrichtete. Diese
kleine Andacht war mächtig, ihn durch die Barmherzigkeit
Mariens vor dem ewigen Tod zu erretten. Wie geschah
dies? Zu seinem Glück stand dieser Advokat mit P.
Matthäus von Basso in Freundschaft und vermochte ihn
eines Tages mit vielen Bitten, zum Essen in sein Haus zu
laden. Als er kam, sagte der Advokat: „Nun will ich
Ihnen etwas zeigen, was Sie wohl nie gesehen haben. Ich
habe einen bewundernswerten Affen, der mir die Stelle
eines Bedienten versieht; er spült die Gläser, deckt den
Tisch, öffnet mir die Tür.” -
„Geben Sie acht”, antwortete der Pater, „ob der Affe
nicht etwas mehr, als ein bloßer Affe ist. Lassen Sie
ihn mir kommen.” Man rief den Affen, man rief ihn
wieder, man suchte ihn überall; aber der Affe kam nicht
zum Vorschein. Endlich fand man ihn im unteren Teil des
Hauses unter einem Bett versteckt; aber er wollte nicht
hervor.
„Wohlan”, sprach der Ordensmann, „wir wollen ihn holen.”
Als er mit dem Advokaten dahin kam, rief er: „Komm
heraus, du höllische Bestie! Im Namen Gottes befehle ich
dir, uns zu sagen, wer du bist.” Und siehe, der
vermeintliche Affe antwortete, er sei ein Teufel und
warte nur, bis jener Sünder an einem Tag sein gewohntes
Gebet zur Gottesmutter unterlassen werde; denn sowie er
es das erste Mal zu beten unterlasse, habe er von Gott
die Erlaubnis, ihn zu erwürgen und in die Hölle zu
schleppen. Als der arme Advokat dies vernahm, warf er
sich auf die Knie und flehte den Diener Gottes um Hilfe
an; dieser flößte ihm Mut ein und befahl dem Teufel, das
Haus zu verlassen, ohne irgendeinen Schaden anzurichten.
„Das allein”, fügte er hinzu, „erlaube ich dir, daß zum
Zeichen deines Abganges eine Mauer dieses Hauses
berste.” Kaum hatte er dies gesagt, da sah man unter
großem Lärm in der Mauer einen Riß, der, obwohl oft mit
Kalk und Stein vermauert, nach Gottes Willen lange Zeit
offen blieb, bis man auf den Rat des Dieners Gottes
einen Marmorstein mit dem Bild eines Engels dort
einsetzte. Der Advokat aber bekehrte sich und verharrte
-
wie wir hoffen - von da an bis zu seinem Tod in der
Besserung.
Gebet
O hl. Jungfrau, du größtes und erhabenstes unter allen
Geschöpfen. Ich grüße dich von dieser Erde aus - ich
armer, unglücklicher Empörer gegen Gott, der ich
Züchtigungen, nicht aber Gnaden, Gerechtigkeit, nicht
aber Barmherzigkeit verdiene. Ich sage dies, o meine
Herrin, nicht aus Mißtrauen auf deine Liebe; denn ich
weiß, daß du dich rühmst, um so gütiger zu sein, je
erhabener du bist. Ich weiß, daß du dich freust, so
reich zu sein, um auch uns Elende daran teilnehmen zu
lassen. Ich weiß, daß du, je ärmer jene sind, die zu dir
fliehen, um so mehr dich ihrer annimmst, sie zu schirmen
und selig zu machen. O meine Mutter, du bist es, die
ihren für mich gestorbenen Sohn einstmals beweint hat.
Opfere deine Tränen Gott für mich auf und erlange mir
durch sie einen wahren Reueschmerz über meine Sünden. So
sehr wie damals die Sünder dich betrübten, so sehr habe
auch ich durch meine Missetaten dich betrübt. Erlange
mir, o Maria, daß ich wenigstens von nun an aufhöre,
dich und deinen Sohn durch meinen Undank zu betrüben.
Was könnten deine Tränen mir helfen, wenn ich meinen
Undank gegen dich nicht aufgebe? Was würde deine
Barmherzigkeit mir helfen, wenn ich aufs neue dir untreu
und verdammt würde? Nein, meine Königin, nein, laß das
nicht zu! Ersetze alle meine Mängel; du erlangst ja von
Gott, was du willst, und du erhörst jeden, der dich
bittet. Zwei Gnaden sind es, um die ich dich bitte, und
die ich mit Zuversicht von dir erwarte und verlange:
Erwirke mir, daß ich meinem Gott treu bleibe, ohne Ihn
weiter zu beleidigen, und daß ich Ihn mein ganzes Leben
lang so sehr liebe, als ich Ihn beleidigt habe.
8. Kap. - Und nach diesem Elend zeige uns Jesus,
die gebenedeite Frucht deines Leibes
Abs. 1 - Maria bewahrt ihre Verehrer vor der Hölle
Es ist unmöglich, daß ein Verehrer Mariens, der
beharrlich ihr dient und sich ihr anempfiehlt, verdammt
werde. Diese Behauptung erscheint auf den ersten Blick
vielleicht zu gewagt, doch wolle man sie nicht
verwerfen, ohne zuvor das, was ich über diesen Punkt
bemerken werde, gelesen zu haben. Der Ausspruch, daß ein
Verehrer Mariens unmöglich verdammt werde, ist nicht von
solchen zu verstehen, die ihre Andacht dazu mißbrauchen,
um mit weniger Furcht sündigen zu können. Solche
vorgebliche Verehrer Mariens scheinen jene Tadler im
Auge zu haben, die ungerechterweise sich gegen die
Lobpreisung der Barmherzigkeit Mariens mit den Sündern
ereifern, indem sie behaupten, diese treiben nur
Mißbrauch damit, um noch mehr zu sündigen. Solche
verwegene Menschen aber verdienen wegen ihres
vermessenen Vertrauens Züchtigung, keine Barmherzigkeit.
Ich verstehe vielmehr darunter jene Verehrer, die
bestrebt sind, ihr Leben zu bessern und beharrlich zu
bleiben im Dienst und der Andacht zu Maria. Von diesen
behaupte ich, daß es moralisch unmöglich sei, daß sie
verlorengehen. Und ich finde, daß auch Pater Crasset
dasselbe in seinem Buch von der Verehrung der Jungfrau
Maria gesagt hat, und vor ihm Vega in seiner
Marianischen Theologie, Mendoza und andere
Gottesgelehrte. Um uns zu überzeugen, daß diese nicht
aufs Geradewohl dies behauptet haben, wollen wir sehen,
was die Kirchenlehrer und Heiligen gesagt haben. Man
wolle sich aber nicht verwundern, wenn ich mehrere ganz
gleichlautende Aussprüche der Autoren beibringen werde;
denn ich wollte alle aufführen, um zu beweisen, wie
einstimmig die Schriftsteller über diesen Punkt sind.
Der hl. Anselm sagt: „Gleichwie es unmöglich ist, daß
jemand selig wird, der Maria nicht ehrt und von ihr
nicht beschützt wird, so unmöglich ist es, daß jemand
verdammt wird, der sich der allerseligsten Jungfrau
anempfiehlt und von ihr mit Liebe angesehen wird.” Der
hl. Antonin bestätigt dies mit den fast gleichen Worten:
„Wie es unmöglich ist, daß jene gerettet werden, von
denen Maria ihre barmherzigen Augen abwendet, so müssen
jene, auf welchen ihre Augen ruhen und für die sie
Fürsprache einlegt, notwendig zur Seligkeit und zur
Herrlichkeit gelangen.” Man erwäge den ersten Teil des
Ausspruches dieser Heiligen, und jene werden zittern,
die geringen Wert auf die Andacht zur göttlichen Mutter
legen, oder aus Gleichgültigkeit sie ganz unterlassen.
Sie sagen ausdrücklich, es sei unmöglich, daß jene selig
werden, die nicht unter dem Schutz Mariens stehen.
Dasselbe beteuern auch andere, wie der hl. Albert Der
Große: „Das Volk, das dir nicht dient, o Maria, wird
zugrunde gehen.” Der hl. Bonaventura: „Wer sie
vernachlässigt, der wird in seinen Sünden sterben.” Und
an einer anderen Stelle sagt er: „Wer nicht zu dir, o
Herrin, seine Zuflucht nimmt, der wird nicht in das
Reich Gottes gelangen.” Und im 99. Psalm kommt der
Heilige zu dem Ausspruch, daß jener nicht bloß nicht
selig wird, sondern daß es für ihn nicht einmal eine
Hoffnung des Heiles gebe, von dem Maria ihre Augen
abwende. „Von dem du dein Angesicht abwendest, wird
keine Hoffnung auf Heil haben.” Und ehedem hat der
hl.
Ignatius der Märtyrer dies mit den Worten gesagt, daß
ein Sünder nur durch Vermittlung der allerseligsten
Jungfrau gerettet werden könne, die durch ihre
barmherzige Fürsprache so vielen zur Seligkeit verhelfe,
die sonst nach der Gerechtigkeit Gottes verdammt würden.
Es wird von einigen bezweifelt, ob dies ein Ausspruch
des hl. Ignatius sei. Doch hat, nach Angabe des Pater
Crasset, ihn wenigstens der hl. Johannes Chrysostomus zu
dem seinigen gemacht und wiederholt auch der Abt von
Celles. In gleichem Sinn bezieht auf Maria die hl.
Kirche die Stelle: „Alle, die mich hassen, lieben den
Tod.” (Spr 8,36) Und in Erklärung der Stelle aus den
Sprichwörtern: „Denn sie ist wie ein Kaufmannsschiff”,
(Spr 31,14) sagt
Richard von St. Lorenz: „Auf dem Meer
dieser Welt werden alle untergehen, die nicht in diesem
Schiff sich befinden.” Sogar der Ketzer Dekolampadius
hält die geringe Andacht zur Mutter Gottes für ein
sicheres Zeichen der Verwerfung und sagt darum: „Niemals
möge man von mir hören, daß ich ein Gegner Mariens sei;
denn, eine geringe Liebe zu ihr halte ich für ein
sicheres Zeichen eines verworfenen Geistes.”
Maria selbst sagt: „Wer auf mich hört, der wird nicht zuschanden werden,”
(Sir 24,30) Wer zu mir seine
Zuflucht nimmt und auf das horcht, was ich ihm sage, der
wird nicht verlorengehen. Darüber bemerkt auch der hl.
Bonaventura: „Wer in deinem Dienst ausharrt, ist fern
vom Verderben.” „Und das wird der Fall sein”,
sagt der hl. Hilarius, „wenn er auch früher Gott viel
beleidigt hätte.”
Darum gibt sich auch der Teufel so viel Mühe mit den
Sündern, daß sie nach dem Verlust der göttlichen Gnade
auch die Andacht zu Maria fallen lassen. Als Sara
bemerkte, daß Isaak im Spiel mit Ismael dessen schlimme
Gewohnheiten annahm, sprach sie zu Abraham, daß er ihn
samt seiner Mutter Hagar entlasse.
„Verstoß die Magd mit ihrem Sohn.”
(Gen 21,10) Sie war
nicht zufrieden, daß nur der Sohn allein das Haus
verlasse und nicht auch die Mutter verabschiedet werde;
denn sie dachte, sonst würde der Sohn, um seine Mutter
zu besuchen, fortwährend noch Zutritt im Haus haben. So
ist auch der Teufel nicht zufrieden, wenn er sieht, daß
eine Seele von Jesus Christus und nicht zugleich auch
von der Mutter sich lossagt; denn er fürchtet, es werde
die göttliche Mutter durch ihre Fürsprache den Sohn
wieder in das Herz des Sünders zurückbringen. Er
fürchtet dies mit Recht;
„denn”, wie der gelehrte Paciucchelli behauptet, „wer
der Mutter Gottes mit Beharrlichkeit dient, wird durch
Mariens Vermittlung gar bald Gott selbst in sich
aufnehmen.”
Schön nennt darum der hl. Ephräm die Andacht zu Maria
den Freibrief, Charta libertatis, um nicht in die Hölle
gebunden zu werden. Er nennt Maria auch die
‘Beschützerin der Verurteilten’. Und in der Tat ist es
so wahr als gewiß, daß nach der Lehre des hl. Bernhard
Maria die Macht und den Willen besitzt, uns zu retten;
die Macht, weil es nach Behauptung des hl. Antonin
unmöglich ist, daß ihre Bitten unerhört bleiben, oder
wie der hl. Bernhard sich ausdrückt, daß ihre Bitten
wirkungslos sind, sondern daß sie sicher erlangen, was
sie begehren; den Willen uns zu retten, weil sie unsere
Mutter ist und ein größeres Verlangen nach unserer
Seligkeit hat, als wir selbst danach begehren können.
Ist dies also wahr und gewiß, wie könnte je geschehen,
daß ein Verehrer Mariens verlorengeht? Sollte er ein
Sünder sein, so wird es doch, sofern er beharrlich und
mit dem Verlangen nach Besserung sich dieser guten
Mutter empfiehlt, ihre Sorge sein, ihm Licht zu
erbitten, damit er aus seinem üblen Zustand herauskommt,
und Schmerz über seine Sünden, Beharrlichkeit im Guten,
endlich aber einen seligen Tod. Und welche Mutter würde
es nicht tun, wenn sie, um ihren Sohn von der
Todesstrafe zu befreien, nur den Richter um Gnade zu
bitten brauchte? Und können wir denken, daß Maria, die
gütigste Mutter, die es für ihre Verehrer geben kann,
dies nicht tun sollte, da sie auf so leichte Weise einen
Sohn vor dem ewigen Tod zu retten vermag?
Danken wollen wir dem Herrn, mein frommer Leser, wenn
wir erkennen, daß Er
uns Liebe und Vertrauen zur Königin des Himmels
geschenkt hat, weil Gott nach dem hl. Johannes von
Damaskus diese Gnade nur denen verleiht, die Er selig
machen will. Also lauten die schönen Worte, womit er
seine und unsere Hoffnung belebt. „O Mutter Gottes, wenn
ich auf dich mein Vertrauen setze, so werde ich selig
werden! Stehe ich unter deinem Schutz, dann habe ich
nichts zu fürchten; denn dich verehren, heißt sichere
Waffen des Heiles besitzen, die Gott nur denen gewährt,
die Er selig machen will.” So begrüßte auch Erasmus
die
heiligste Jungfrau mit den Worten: „Sei gegrüßt, du
Schrecken der Hölle, du Hoffnung der Christen! Das
Vertrauen auf dich gibt uns die Gewißheit des Heiles.”
O wie sehr mißfällt dem Teufel, eine Seele beharrlich in
der Andacht zur
göttlichen Mutter zu sehen! Im Leben des
Pater Alfons
Alvarez, dieses eifrigen Dieners Mariens, liest man, daß
er einmal beim Gebet sich vom Teufel durch böse
Einflüsterungen angefochten fühlte, wobei der Feind zu
ihm sagte: „Laß ab von deiner Andacht zu Maria, dann
höre ich auf, dich zu versuchen.”
Der hl. Katharina von Siena offenbarte der Herr, wie bei Blosius zu lesen ist, daß Gott, der Vater, um seines
eingeborenen Sohnes willen, dessen Mutter Maria ist,
dieser aus Güte gewährt habe, daß kein Sünder, der sich
ihr andächtig anempfiehlt, eine Beute der Hölle werden
solle. Auch der königliche Prophet David bat um seiner
Liebe für die Ehre Mariens willen, von der Hölle
gerettet zu werden. „Herr, ich liebe die Herrlichkeit
deines Hauses... Laß meine Seele nicht zugrunde gehen
mit den Gottlosen.” (Ps 25,8) Er sagt „deines Hauses”,
weil Maria jenes Haus ist, das Gott sich zu seiner
Wohnung und zur Stätte seiner Ruhe, als Er Mensch ward,
auf Erden erbaut hat.
„Die Weisheit hat sich ein Haus erbaut.”
(Spr 9,1)
„Nein! Der wird gewiß nicht zugrunde gehen”, ruft der
hl. Ignatius der Märtyrer aus, „der bedacht ist, ein
Verehrer der jungfräulichen Mutter zu sein.” Dies
bestätigt der hl. Bonaventura mit den Worten:
„Die dich, o Herrin, lieben, genießen großen Frieden in
diesem Leben, und im anderen werden sie den Tod nicht
sehen in Ewigkeit.” „Niemals ist es geschehen und
niemals wird es geschehen”, versichert uns der fromme
Blosius, „daß ein demütiger und eifriger Diener Mariens
ewig verlorengeht.”
Ach! Wie viele wären nach den Worten des ehrwürdigen
Thomas von Kempen ewig verdammt worden oder verstockt
geblieben, wenn Maria sich nicht bei ihrem Sohn für sie
um Erbarmen verwandt hätte. Es ist die Meinung vieler
Theologen, und besonders des hl. Thomas, daß die
göttliche Mutter vielen Personen, die in der Todsünde
starben, von Gott die Aufschiebung des Richterspruches
und die Rückkehr in das Leben, um Buße zu tun, erlangt
habe.
Hiervon werden von wichtigen Schriftstellern viele
Beispiele angeführt. Unter anderem erzählt Flodvard, aus
dem zehnten Jahrhundert, in seiner Chronik, daß ein
gewisser Adelmar, Diakon zu Verdun, der bereits für tot
gehalten wurde, beim Begräbnis ins Leben zurückkehrte
und erzählte, wie er in der Hölle den Platz gesehen
habe, wohin er bereits verurteilt war; um der Bitten Mariens willen aber sei er auf die Welt zurückgesandt,
damit er Buße tue. Ähnliches berichtet Surius von einem
römischen Bürger namens Andreas, der unbußfertig starb,
dem aber Maria die Rückkehr ins Leben erlangte, um
Verzeihung sich erwerben zu können. Weiter erzählt Pelbartus aus seiner Zeit, daß bei dem Zug des Kaisers
Sigismund über die Alpen aus einem Leichengerippe eine
Stimme vernommen wurde, die zu beichten begehrte und
sagte, es habe die Mutter Gottes ihm (dem Sprechenden),
der als ehemaliger Soldat ihr Verehrer gewesen sei,
erlangt, in dem Gerippe solange fortzuleben, bis er
gebeichtet haben würde. Er beichtete und starb.
(Diese
Begebenheit erzählt Pater Pelbartus, ein glaubwürdiger
Schriftsteller, in seinem Papst Sixtus IV. gewidmeten
Buch, zu einer Zeit, da noch Augenzeugen dieses
Ereignisses am Leben waren.)
Diese und andere Beispiele dürfen jedoch einen
Vermessenen nicht bestärken, in seinen Sünden
fortzuleben, in der Hoffnung, es werde Maria ihn von der
Hölle
schon befreien, wenn er in der Sünde sterben sollte;
denn gleichwie es eine arge Torheit wäre, sich in einen
tiefen Brunnen zu stürzen, in der Hoffnung, Maria werde
ihn vor dem Tod bewahren, weil sie bei einem ähnlichen
Fall einen anderen gerettet hat, so wäre es eine noch
viel größere Torheit, wolle es jemand darauf ankommen
lassen, in der Todsünde mit der Vermessenheit zu
sterben, daß die allerseligste Jungfrau ihn vor der
Hölle erretten werde. Diese Beispiele sollen vielmehr
dazu dienen, unser Vertrauen durch den Gedanken zu
beleben, daß, wenn die Vermittlung dieser göttlichen
Mutter sogar solche, die in der Todsünde starben, von
der Hölle befreien konnte, sie um so viel mehr wird
verhüten können, daß jene in die Hölle stürzen, die im
Leben zu ihr die Zuflucht nehmen, in der Absicht sich zu
bessern und treu in ihrem Dienst ausharren.
Mit dem hl. Germanus wollen wir darum sprechen: „O du
unsere Mutter, was wird aus uns werden, die wir Sünder
sind? Wir wollen uns bessern und zu dir flüchten, die du
das Leben der Christen bist!” Wir hören, o Jungfrau, den
hl. Anselm von dir bezeugen: „Das ewige Wehe wird nicht
empfinden, für den Maria auch nur einmal gebeten hat.”
Darum bitte für uns, und wir werden von der Hölle
gerettet sein. Wer wird noch sagen können, daß ich bei
meinem Erscheinen vor dem Richterstuhl Gottes keinen
gnädigen Richter finden werde, wenn ich deine
Verteidigung, o Mutter der Barmherzigkeit, für meine
Sache haben werde! „Wenn ich vor dem Gericht erscheine
und für meine Sache die Mutter der Barmherzigkeit bei
mir habe”, sagt Richard von St. Viktor, „wer wird ein
gnädiges Urteil mir in Abrede ziehen?”
Der hl. Heinrich Suso beteuerte, seine Seele in die
Hände Mariens gelegt zu haben, und sagte, daß, so ihn
der Richter verdammen wollte, er bitte, daß sein
Urteilsspruch durch die Hände Mariens gehe. Er vertraut,
daß, sobald das Urteil in diese barmherzigen Hände der
allerseligsten Jungfrau gelangen werde, seine Ausführung
gewiß verhindert wird. Dasselbe sage und hoffe auch ich
für mich, o meine heiligste Königin, darum will ich
beständig die Worte des hl. Bonaventura wiederholen:
„Auf dich, o meine Herrin, habe ich alle meine Hoffnung
gesetzt; darum hoffe ich mit Zuversicht, daß ich mich
nicht verloren, sondern selig im Himmel erblicken werde,
um dich zu loben und zu lieben in Ewigkeit.”
Beispiel
Im Jahr 1604 waren in einer flandrischen Stadt
zwei
Studenten, die statt zu studieren nur an Völlerei und
Ausschweifung dachten. Da beide sich einmal aus böser
Absicht in die Wohnung einer schlechten Frau begeben
hatten, kehrte der eine, namens Richard, nach einiger
Zeit wieder nach Hause zurück, während der andere noch
blieb. Als Richard zu Hause seine Kleider ablegte, um zu
Bett zu gehen, fiel es ihm ein, daß er die gewohnten
wenigen Ave Maria zur allerseligsten Jungfrau noch nicht
gebetet hatte. Obwohl vom Schlaf überwältigt und wenig
aufgelegt, tat er sich doch Gewalt an und betete halb im
Schlaf und ohne Andacht seine Ave. Danach legte er sich
nieder und noch im ersten Schlaf hörte er ein starkes
Klopfen an der Tür, und ohne daß sich diese öffnete,
erblickte er unmittelbar danach vor sich seinen
Zechgenossen ganz schrecklich und gräulich. „Wer bist
du?”, fragte er. „Kennst
du mich nicht?”, war die Antwort. „Aber warum bist zu so
entstellt? Du bist ja wie ein Teufel.” - „Ach ich
Elender, ich bin verdammt!” - „Wie denn?” - „Wisse, daß
mich beim Herausgehen aus dem schändlichen Haus ein
Teufel erwürgte. Mein Leichnam liegt noch mitten auf der
Straße; meine Seele aber ist in der Hölle. Wisse”,
sprach er weiter, „dieselbe Strafe sollte auch dich
treffen; aber die allerseligste Jungfrau hat um der
geringen Andacht deiner wenigen Ave willen dich davon
befreit. Wohl dir, wenn du diese Warnung, welche die
Mutter Gottes durch mich dir zukommen läßt, dir zu
Nutzen machen wirst.” So sprach der Verdammte, öffnete
seinen Mantel, zeigte ihm die Flammen und Schlangen, die
ihn peinigten, und verschwand. Unter einem Strom von
Tränen warf sich der junge Mensch auf sein Angesicht zur
Erde nieder, um Maria, seiner Retterin zu danken, und
während er darauf sann, sein Leben zu ändern, hörte er
im Kloster der Franziskaner zur Mette läuten. Im selben
Augenblick sprach er: „Gott ruft mich zur Buße!” sofort
eilte er zum Kloster und bat um Aufnahme. Die Patres
weigerten sich, da sie seinen schlechten Wandel kannten;
allein er erzählte unter heftigem Schluchzen die ganze
Begebenheit. Da indes zwei Ordensmänner zur genannten
Straße gegangen waren und den Leichnam des erwürgten
Kameraden schwarz wie eine Kohle gefunden hatten,
wurde er aufgenommen. Richard führte von da an ein
musterhaftes Leben. Er ging später nach Indien, um den
Glauben zu predigen, von da kam er nach Japan und hatte
die Gnade, als Märtyrer für Jesus Christus lebendig
verbrannt zu werden.
In der Kirche zu Ham-sur-Heure, seinem Geburtsort findet
sich ein Gemälde, das seinen
Martertod darstellt mit der Inschrift: „Der sel. Pater
Richard von der hl. Anna, geboren zu Ham-sur-Heure im
Jahr 1585, legte als Recollecte zu Nivelles am 13. April
1605 die Gelübde ab... und wurde zu Nagasaki am 10.
Sept. 1622 gemartert.”
Gebet
O meine geliebte Maria, in welchem Abgrund von Elend
würde ich mich befinden, wenn deine mitleidsvolle Hand
mich nicht so oft davor bewahrt hätte? Ja seit wie
vielen Jahren schon wäre ich in der Hölle, wenn du nicht
durch deine mächtige Fürbitte mich davor bewahrt
hättest? Meine schweren Sünden stürzten mich hinein; die
göttliche Gerechtigkeit hatte mich bereits dazu
verurteilt; die Teufel suchten mit Wut diesen
Urteilsspruch zu vollziehen. Aber du, meine Mutter, bist
mir zu Hilfe gekommen, und ohne daß ich dich darum
gebeten, ja nicht einmal zu dir gerufen hatte, hast du
mich gerettet. O meine liebste Retterin, wie kann ich
dir je so große Gnade, so große Liebe vergelten? Du hast
meines Herzens Härte überwunden und hast mich gezogen,
dich zu lieben und mein Vertrauen auf dich zu setzen.
Und ach! In welchen Abgrund von Elend wäre ich doch noch
gefallen, wenn du nicht mit liebevoller Hand mir so oft
aus den Gefahren geholfen hättest, in die zu fallen ich
schon im Begriff stand. Fahre fort, meine Hoffnung,
fahre fort, mich vor der Hölle zu bewahren und vor allem
vor den Sünden, in die ich wieder fallen kann. Laß doch
nicht zu, daß ich in der Hölle dich lästern müßte.
O meine liebe Frau, ich liebe dich! Wie sollte deine
Güte es ertragen können,
einen deiner Diener, der dich liebt, verdammt zu sehen?
Ach, erlange es mir, nicht mehr gegen dich und meinen
Gott undankbar zu sein, der mir aus Liebe zu dir so
viele Gnaden erteilt hat. O Maria sage mir, werde ich
verdammt werden? Ich werde verdammt sein, wenn ich dich
verlasse. Doch könnte ich dich je verlassen? Könnte ich
vergessen die Liebe, die du zu mir getragen? Du bist
nach Gott die Liebe meiner Seele. Ich will nicht mehr
leben, ohne dich zu lieben. Ich liebe dich, ich liebe
dich und hoffe, daß ich dich immer lieben werde in der
Zeit und in der Ewigkeit, o du schönstes, heiligstes,
süßestes, liebenswürdigstes aller Geschöpfe. Amen.
Abs. 2 - Maria kommt ihren Verehrern im Fegfeuer zu
Hilfe
Überglücklich sind die Verehrer dieser liebevollsten
Mutter; denn sie empfangen nicht allein in dem irdischen
Leben ihre Hilfe, sondern auch im Fegfeuer stehen sie
unter ihrem Schutz und ihrem Trost. Gerade weil diese
Seelen mehr des Trostes bedürfen wegen ihrer Peinen und
ihres Unvermögens, sich zu helfen, ist diese Mutter der
Barmherzigkeit so sehr besorgt, ihnen zu Hilfe zu
kommen. Nach dem hl. Bernhardin von Siena hat Maria, in
diesem Kerker der Seelen, der Bräute Jesu Christi, eine
besondere Herrschaft und Gewalt, sowohl sie zu trösten,
als auch sie aus ihren Leiden zu erlösen: „Die allerseligste Jungfrau herrscht im Fegfeuer.” Was zuerst
die Tröstung der armen Seelen betrifft, so wendet der
Heilige darauf die Worte des Ecclesiasticus an: „Auf den
Fluten des Meeres bin ich gegangen.”,
(Sir 24,8) indem
er erklärt: Maria wandelt über den Meeresfluten, nämlich
ihre Verehrer suchend und helfend, die ihre Kinder sind,
in ihren Nöten und Qualen. Er nennt die Leiden des
Fegfeuers Fluten, weil sie vorüber rauschen, im
Unterschied von den Qualen der Hölle, die nie ein Ende
nehmen. Auch „Fluten des Meeres”, weil sie sehr bitter
sind. Ihre von diesen Leiden bedrängten Verehrer besucht
und erquickt Maria oft.
„Wieviel also liegt daran”, sagt Novarin, „ein Diener
dieser guten Herrin zu sein; denn solange sie in diesen
Flammen leiden, kann sie ihrer nicht vergessen. Und wenn
schon Maria allen Seelen im Fegfeuer zu Hilfe kommt, so
erlangt sie doch ihren Verehrern mehr Straferlaß und
Tröstungen.” Der hl. Birgitta offenbarte die Mutter
Gottes: „Ich bin die Mutter aller Armen Seelen im
Fegfeuer; denn alle Leiden, die sie durch ihre im Leben
begangenen Sünden verdient haben, werden zu jeder
Stunde, solange sie dort sind, durch meine Fürbitte mehr
oder weniger gemildert.” Diese liebevolle Mutter
verschmäht es auch nicht, dann und wann in dieses hl.
Gefängnis zu gehen, um ihre betrübten Kinder durch ihre
Gegenwart zu trösten. Der hl. Bonaventura bezieht die
Worte: „Die Tiefen des Abgrundes habe ich durchdrungen”
auf Maria, indem er unter dem Abgrund das Fegfeuer
versteht, wohin Maria zur Tröstung der Armen Seelen sich
begibt. „O wie gütig und freundlich ist Maria”, sagt der
hl. Vinzenz Ferrer, „gegen die Armen Seelen im Fegfeuer,
wo ihnen durch ihre Vermittlung ohne Unterlaß Stärkung
und Erleichterung zufließt.”
Und welch anderen Trost
gäbe es für sie in diesen Leiden außer Maria und der
Hilfe dieser Mutter der Barmherzigkeit? Die hl. Birgitta
vernahm, wie Jesus zu seiner Mutter sprach: „Du bist
meine Mutter, du die Mutter der Barmherzigkeit, du der
Trost derer, die im Fegfeuer sind.” Und die allerseligste Jungfrau sagte selbst der hl. Birgitta:
„Gleichwie ein armer Kranker, betrübt und verlassen auf
seinem
Schmerzenslager, Erleichterung fühlt durch einige Worte
des Trostes, ebenso fühlen auch jene Armen Seelen sich
getröstet, wenn sie nur den Namen Maria hören.” Ja, der
Name Maria allein, ein Name der Hoffnung und des Heiles,
den ihre geliebten Kinder aus dem Gefängnis so häufig
anrufen, ist für sie eine große Stärkung. „Und hört
diese liebreiche Mutter”, sagt Novarin, „sich von den
Armen Seelen angerufen, so bringt sie deren Bitten mit
den ihrigen vereint Gott dar, wodurch sie ihnen hilft,
daß sie in ihren schrecklichen Fluten wie vom Himmelstau
erquickt werden.”
Maria bringt aber ihren Verehrern im Fegfeuer nicht bloß
Trost und Hilfe, sondern durch ihre Fürbitte auch
Erlösung und Freiheit. Am Tag ihrer glorreichen
Himmelfahrt, schreibt Gerson, wurde das ganze Fegfeuer
geleert, und Novarin bestätigt dies unter Anführung
wichtiger Zeugen mit den Worten, daß Maria beim Eintritt
in das Paradies sich von ihrem Sohn die Gnade erbat,
alle Seelen, die damals im Fegfeuer waren, mit sich in
den Himmel nehmen zu dürfen. „Seit dieser Zeit”, fährt
Gerson fort, „besitzt die allerseligste Jungfrau das
Vorrecht, ihre Diener aus diesen Leiden zu befreien.”
Dasselbe behauptet auch der hl. Bernhardin von Siena, daß die allerseligste Jungfrau die Macht besitze, durch
ihre Gebete und durch Zuwendung ihrer Verdienste die
Seelen und vorzüglich ihre Verehrer aus dem Fegfeuer zu
erlösen. Dasselbe behauptet Novarin, der meint, daß um
der Verdienste Mariens willen die Leiden der armen
Seelen nicht bloß leichter, sondern auch kürzer gemacht
werden, indem durch ihre Vermittlung die Zeit ihrer
Reinigung abgekürzt werde. Es genügt, daß Maria zur
Fürbitte geneigt ist. [Es gibt aber andere Aussagen, wo
nach Salomon noch bis vor wenigen Jahrhunderten büßen mußte und die Schergen beim Leiden Jesu noch lange
leiden müssen, was wohl wahrscheinlich sein dürfte.]
Der
hl. Petrus Damianus berichtet, daß eine Frau namens
Marozia nach ihrem Tod einer Freundin erschien und ihr
sagte, sie sei am Fest Mariä Himmelfahrt neben vielen
anderen Seelen aus dem Fegfeuer erlöst worden, daß sie
die Zahl des römischen Volkes übersteigen. Dasselbe
behauptet der hl. Dionysius, der Karthäuser, auch von
den Festen der Geburt und der Auferstehung unseres
Herrn, indem er sagt, daß an diesen Tagen Maria in
Begleitung von Scharen hl. Engel in das Fegfeuer
hinabsteige und viele Seelen von ihren Leiden erlöse.
Novarin ist geneigt, zu glauben, daß dies an jedem
höheren Fest der heiligsten Jungfrau
der Fall sei.
Bekannt ist die von Maria dem Papst Johannes XXII.
gegebene Verheißung, dem sie erschien und den Auftrag
gab, daß er allen, die das hl. Skapulier vom Berge
Karmel tragen, zu wissen gebe, daß sie am Samstag nach
ihrem Tod aus dem Fegfeuer befreit werden. Der Papst
erklärte dies, wie Pater Crasset berichtet, in einer von
ihm erlassenen Bulle, die später von den Päpsten
Alexander V., Clemens VII., Pius V., Gregor XIII. und
Paul V. bestätigt wurde. Letzterer schreibt in der Bulle
vom Jahr 1613: „Das christliche Volk dürfe des frommen
Glaubens sein, daß die allerseligste Jungfrau die Seelen
der Bruderschaftsmitglieder Mariens vom Berg Karmel
durch ihre beständige Fürsprache, durch ihre Verdienste
und ihren besonderen Schutz nach dem Tod, namentlich am
Samstag, (da dieser Tag von der Kirche der heiligsten
Jungfrau geweiht ist) unterstützen werde, wenn sie im
Stand der Gnade
aus diesem Leben geschieden sind, das Skapulier
getragen, die standesmäßige Keuschheit beobachtet und
die Tagzeiten der allerseligsten Jungfrau gebetet, oder
falls sie dies nicht konnten, die kirchlichen Fasttage
beobachtet und mittwochs (natürlich freitags) und
samstags* (außer an Weihnachten) sich der Fleischspeisen
enthalten haben.” Und im Stundengebet vom Fest Maria vom
Berg Karmel liest man, daß die heiligste Jungfrau die
Mitglieder der Bruderschaft vom Berg Karmel im Fegfeuer
mit der Zärtlichkeit einer Mutter tröste und sie durch
ihre Vermittlung bald in das himmlische Vaterland führe.
[Wer diese * Abstinenz nicht hält, hat aber die
Verheißung vor dem Feuer der Hölle bewahrt zu werden,
wenn er das Skapulier trägt, die Keuschheit bewahrt und
täglich zu Maria betet.]
Warum sollen nicht auch wir diese Gnaden erhoffen
dürfen, wenn wir diese gute Mutter verehren? Und wenn
wir mit Liebe ihr dienen, warum sollten nicht auch wir
die Gnade erwarten dürfen, gleich nach dem Tod, ohne
Fegfeuer, in den Himmel aufgenommen zu werden? Damit
stimmt auch überein, was die allerseligste Jungfrau dem
sel. Gottfried, aus der Abtei Viliers in Brabant, durch
den Bruder Abundus sagen ließ: „Verkünde dem Bruder
Gottfried, er soll in der Tugend voranschreiten, dann
werde er mir und meinem Sohn angehören; und wenn seine
Seele vom Leib scheiden wird, so werde ich nicht
zulassen, daß sie in das Fegfeuer kommt, sondern ich
werde sie in Empfang nehmen und meinem Sohn vorstellen.”
Haben wir das Verlangen, den gerechten Seelen im
Fegfeuer durch unsere Fürbitten zu Hilfe zu kommen, so
müssen wir eifrig sein, die allerseligste Jungfrau in
allen unseren Gebeten für sie anzurufen und für sie
besonders den hl. Rosenkranz aufzuopfern, der ihnen einen
großen Trost bringt, wie man dies aus folgendem Beispiel
ersieht.
Beispiel
Nach der Erzählung des Pater Eusebius Nieremberg lebte
in einer Stadt Aragoniens Alexandra, eine junge Frau,
aus adliger Familie und überaus schön, die von zwei
jungen Leuten leidenschaftlich geliebt wurde. Aus
Eifersucht wegen Alexandra gerieten sie eines Tages in
Zweikampf, in dem beide den Tod fanden. Die Verwandten
der Getöteten begaben sich zornentbrannt zu dem
unglücklichen Mädchen, das sie für die Ursache ihres
herben Verlustes hielten, und töteten es, schnitten den
Kopf ab und warfen ihn in einen Brunnen. Einige Tage
darauf kam der hl. Dominikus an diesen Ort. Vom Geist
Gottes getrieben ging er zu diesem Brunnen und rief:
„Alexandra, komm heraus!” Und siehe, der Kopf der
Getöteten erschien, setzte sich auf den Rand des
Brunnens und bat den hl. Dominikus um die hl. Beichte.
Der Heilige hörte die Beichte an und gab ihr dann die
hl. Kommunion in Gegenwart einer ungeheueren Volksmenge,
die zusammengeströmt war, das Wunder zu schauen. Darauf
befahl der hl. Dominikus der Alexandra zu sagen, warum
sie diese Gnade erlangt habe. Alexandra antwortete, sie
habe sich, als ihr der Kopf abgeschlagen wurde, in einer
Todsünde befunden; aber die allerseligste Jungfrau Maria
habe ihr um des oft verrichteten Rosenkranzgebetes
willen das Leben erhalten.
Zwei Tage stand der Kopf
lebend auf dem Brunnen im Angesicht aller Welt; dann
ging die Seele ins Fegfeuer. Aber nach fünfzehn Tagen
schon erschien die Seele
der Alexandra dem hl. Dominikus schön und glänzend wie
ein Stern und sagte zu ihm, eine der vorzüglichen
Gebetshilfen für die armen Seelen in den Leiden des
Fegfeuers sei das Rosenkranzgebet, und daß diese Seelen,
sobald sie in den Himmel kommen, für jene beten, die
ihnen dieses kräftige Gebet aufgeopfert haben. Nach
diesen Worten sah der hl. Dominikus diese glückliche
Seele frohlockend sich zum Reich der Seligen
emporschwingen.
Gebet
O Königin Himmels und der Erde, du Mutter des Herrn der
Welt! O Maria, du größte, erhabenste und
liebenswürdigste der Kreaturen; wohl gibt es auf dieser
Welt viele, die dich nicht lieben und nicht kennen; im
Himmel dagegen sind es so viele Millionen Engel und
Selige, die dich lieben und unaufhörlich lobpreisen. Ja,
auch auf Erden sind so viele glückliche Seelen von Liebe
zu dir entzündet und über deine Güte ganz entzückt. O
wenn doch auch ich dich liebte, liebenswürdigste Herrin!
O wenn ich doch immer daran dächte, dir zu dienen, dich
zu loben, dich zu ehren und zu sorgen, dich von allen
geliebt zu sehen! Du hast Gott mit Liebe zu dir erfüllt
und durch deine Schönheit Ihn gleichsam dem Schoß des
ewigen Vaters entführt, zur Erde herniedergezogen, um
Mensch und dein Sohn zu werden! Und ich armseliger Wurm
sollte nicht in Liebe zu dir entzündet sein? Nein, meine
süßeste Mutter, auch ich will dich lieben; ich will dich
innig lieben und tun, was ich vermag, um dich auch von
anderen geliebt zu sehen. Nimm mein Verlangen, dich zu
lieben, gnädig an, und hilf, daß es erfüllt werde. Ich
weiß, daß dein Gott mit besonderem Wohlgefallen auf jene
schaut, die dich lieben. Nächst seiner Ehre begehrt er
nichts so sehr als deine Verherrlichung, und dich von
allen geehrt und geliebt zu sehen. Von dir, o meine
Gebieterin, erhoffe ich all mein Glück; du mußt mir
Verzeihung all meiner Sünden, du die Beharrlichkeit
erlangen, du mußt mir beistehen in meinem Tod; du mußt
mich vom Fegfeuer befreien und am Ende mußt du mich in
den Himmel führen. So Großes hoffen von dir deine
Diener, und sie werden nicht getäuscht werden; so Großes
hoffe auch ich, der ich dich nach Gott von ganzem Herzen
und über alles liebe. Amen.
Abs. 3 - Maria geleitet ihre Diener in den Himmel
O welch herrliches Merkmal der Auserwählung haben die
Diener Mariens! Die hl. Kirche legt in Anwendung des
Verses in Jesus Sirach auf die göttliche Mutter ihr zum
Trost ihrer Verehrer die Worte in den Mund: „Bei allen
suchte ich meine Ruhe, und ich wollte bleiben im Erbe
des Herrn.” (Sir 24,11) „Glücklich der”, ruft
Kardinal
Hugo bei Erklärung dieser Stelle aus, „in dessen Haus
die allerseligste Jungfrau ihren Ruheort findet.” Maria
ist um der Liebe willen, die sie zu allen trägt, bemüht,
in allen die Andacht zu ihr zu verankern. Viele aber
nehmen sie nicht auf, oder bewahren sie nicht.
Glückselig aber der, der sie aufnimmt und bewahrt. Ich
will bleiben in dem Erbe des Herrn, d.h. in jenen, die
das Erbe des Herrn ausmachen. Die Andacht zur allerseligsten Jungfrau bleibt bei allen jenen, die zum
Erbe des Herrn gehören, die im Himmel sein werden, ihn
ewig zu lobpreisen.
Auch die folgenden Worte legt die hl. Kirche der
allerseligsten Jungfrau in den Mund: „Der mich
erschaffen, ruhte in meinem Zelt und sagte mir: In Jakob
wohne und in Israel habe dein Erbe und in meinen
Auserwählten fasse Wurzel.” (Sir 24,12-13) d. h. mein
Schöpfer hat sich gewürdigt, zu mir zu kommen und in
meinem Schoß zu ruhen, und Er hat gewollt daß ich in den
Herzen aller seiner Auserwählten wohne, die in Jakob
vorgebildet und mein Erbe sind; und Er hat angeordnet,
daß in allen Auserwählten die Andacht und das Vertrauen
zu mir Wurzel fasse.
O wie viele Selige würden jetzt nicht im Himmel sein,
wenn Maria sie nicht durch ihre mächtige Vermittlung
dahin geleitet hätte? „Ich bewirke, daß das
unversiegbare Licht am Himmel aufging.”
(Sir 24,6) Das
heißt nach Kardinal Hugo: „Ich bewirke, daß am Himmel so
viele als ewige Lichter erglänzen, als viele meine
Verehrer auf Erden sind. Viele Heilige sind durch die
Vermittlung Mariens im Himmel, die ohne sie nie dahin
gelangt wären.” Der hl. Bonaventura sagt, daß sich für
die Aufnahme aller, die auf den Schutz Mariens
vertrauen, die Pforte des Himmels öffne. Und der hl. Ephräm nennt
die Verehrung der Mutter Gottes „den
Eingang in das himmlische Jerusalem.” Der fromme
Blosius
betet zu der allerseligsten Jungfrau mit den Worten:
„Herrin, dir sind die Schlüssel und die Schätze des
Himmelreiches übergeben.” Darum müssen wir ohne Unterlaß
mit dem hl. Ambrosius bitten: „Öffne uns, o Maria, die
Pforte des Himmels, denn dir sind die Schlüssel
anvertraut”; ja noch mehr, du bist nach dem Gruß der hl.
Kirche die „Pforte des Himmels”!
Aus dem gleichen Grund wird Maria von der hl. Kirche
auch als Meerstern gegrüßt:
„Ave maris stella;” denn wie die Seefahrer, sagt der
hl.
Thomas, nach den Sternen sich richten, um in den Hafen
zu gelangen, so werden auch die Christen durch Maria zum
Himmel geleitet.
Der hl. Fulgentius nennt sie die Himmelsleiter, denn
durch Maria ist Gott vorn Himmel auf die Erde gestiegen,
damit durch sie die Menschen erlangten, von der Erde zum
Himmel aufzusteigen. Und der hl. Anastasius der Sinaite
sagt: „O Herrin, du bist voll Gnade, auf daß du der Weg
unseres Heiles und die Stiege zum himmlischen Vaterland
seist.” Der hl. Bernhard nennt die allerseligste
Jungfrau den Wagen zum Himmel; ebenso der hl. Johannes
der Geometer mit den Worten: „Sei gegrüßt du herrlichglänzender Wagen,” d.h. in dem ihre Verehrer in
den Himmel geführt werden. Dasselbe erklärte der hl.
Bonaventura, wenn er sagt: Selig alle, die dich, o
Mutter Gottes, kennen; denn „dich erkennen ist der Weg
zum unsterblichen Leben, und deine Tugenden verkünden
ist der Weg zum ewigen Heil.”
In der Franziskaner-Chronik wird von Bruder Leo erzählt,
er habe einmal eine rote Leiter gesehen, über der Jesus
Christus stand, und eine zweite, weiße, über der seine
heiligste Mutter stand. Die, die auf der roten Leiter
aufsteigen wollten, sah er einige Stufen ersteigen und
dann hinabfallen* und dies wiederholt. Vom hl.
Franziskus ermahnt, an der weißen Leiter aufzusteigen,
kamen sie glücklich in die Höhe, indem die allerseligste
Jungfrau ihnen die Hand reichte, so daß sie sicher zum
Paradies gelangen konnten. [*protestantischer Holzweg]
Der hl. Dionysius der Karthäuser fragt:
„Wer wird selig
werden? Wer einst
herrschen im Himmel?” und antwortet: „Selig und im
Himmel herrschen werden jene, für die diese Königin der
Barmherzigkeit sich verwendet.” Dies bestätigt Maria
selbst: „Durch mich herrschen die Könige.”
(Spr 8,15)
Durch meine Vermittlung herrschen die Seelen zuerst in
dem sterblichen Leben auf Erden über ihre
Leidenschaften, und dadurch gelangen sie zur
unvergänglichen Herrschaft im Himmel, dessen Mitbürger
alle, nach dem hl. Augustinus, Könige sind. „Soviel
Bürger soviel Könige.” Mit einem Wort: Maria ist, wie
Richard von St. Lorenz sagt, die Gebieterin des
Paradieses. „In Jerusalem ist meine Herrschaft”
(Sir
24,15) indem sie dort befiehlt, was ihr Wille ist, und,
wer in den Himmel kommt, durch ihren Willen
hineingelangt. Abt Rupertus stimmt dem in den Worten
bei: „Alle Rechte besitzt sie im Reich des Sohnes,” d.h.
da Maria die Mutter des Herrn des Himmels ist, so
gebührt ihr nach Recht, die Herrscherin dieses Reiches
zu sein.
„Diese göttliche Mutter hat uns durch ihre mächtigen
Bitten und Hilfeleistungen den Himmel erlangt”, sagt der
hl. Antonin, wenn wir nur kein Hindernis setzen, so daß
nach der Meinung des Abtes Guerricus, wer ihr dient und
sie zur Fürsprecherin hat, des Paradieses so gewiß ist,
als wäre er schon darin. Maria dienen und unter ihre
Diener aufgenommen sein, ist die höchste Ehre, die wir
haben können; denn der Königin des Himmels dienen, ist
im Himmel herrschen, und nach ihrem Willen leben, ist
mehr als königlich. Jene aber, die Maria nicht dienen,
werden nicht selig werden, denn wer der Hilfe dieser
erhabenen Mutter beraubt ist, ist auch verlassen von der
Hilfe ihres göttlichen Sohnes und des ganzen himmlischen
Hofes.
Es sei allezeit hochgelobt die unendliche Güte unseres
Herrn, nach dessen Ordnung Maria zu unserer
Fürsprecherin im Himmel bestellt ist, damit sie als die
Mutter des Richters und als die Mutter der
Barmherzigkeit mit gewissem Erfolg um das große Werk
unseres Heiles als Mittlerin sich annehme. Das ist die
Meinung des hl. Bernhard. Der hl. Mönch Jakobus, ein
Lehrer unter den griechischen Vätern, sagt, Gott habe
Maria zur Brücke des Heiles bestimmt, auf der wir über
den Wogen dieser Welt hinüber zum seligen Hafen des
Paradieses gelangen können. Der hl. Bonaventura ruft
darum aus: „Hört, Völker, die ihr nach dem Himmel
verlangt, dient Maria, ehrt sie und ihr werdet gewiß das
ewige Leben erlangen.
Niemand darf verzagen, in das Reich der Seligen zu
gelangen, selbst jene nicht, welche die Hölle verdient
haben, wenn sie entschlossen sind, beharrlich dieser
Königin zu dienen. „Wie viele Sünder”, sagt der
hl.
Germanus, „haben gesucht, durch deine Vermittlung, o
Maria, Gott zu finden, und sind selig geworden!”
Richard
von St. Lorenz bemerkt, daß es in der Offenbarung des
hl. Johannes von Maria heißt: „Auf ihrem Haupt war eine
Krone von zwölf Sternen;”
(Offb 12,1) während im Hohenlied von ihr gesagt werde, sie werde gekrönt von
wilden Tieren, Löwen, Leoparden. (Hl 4,8)
Diese wilden
Tiere, erklärt er, seien die Sünder, die durch die Gunst
und Verwendung Mariens zu Sternen des Himmels werden,
die zu einer Krone für das Haupt dieser Königin der
Barmherzigkeit geeigneter seien, als alle wirklichen
Sterne des Himmels.
Von der Dienerin Gottes, Schwester Serafina von Capri,
wird erzählt, sie habe
während der Novene von Mariä Himmelfahrt die
allerseligste Jungfrau um die Bekehrung von tausend
Sündern gebeten, sei aber danach in Angst geraten, als
wäre ihre Bitte zu unbescheiden gewesen. Da erschien ihr
die heiligste Jungfrau, verwies ihr die eitle Furcht und
sprach: „Was fürchtest du? Bin ich nicht mächtig genug,
von meinem Sohn die Rettung von tausend Sündern zu
erlangen?” und sie führte die Schwester im Geist zum
Himmel, wo sie ihr unzählige Seelen zeigte, die schon
die Hölle verdient hatten, aber durch ihren Einsatz
wieder gerettet wurden und nun der ewigen Seligkeit sich
erfreuten.
Wahr ist es, daß in diesem Leben keiner seines ewigen
Heiles gewiß sein kann.
„Der Mensch weiß nicht, ob er der Liebe oder des Hasses
würdig sei, sondern alles wird als ungewiß für die
Zukunft aufbehalten.” (Sir 9,1) Doch fragt David: „Herr,
wer wird in deinem Zelt wohnen?”
(Ps 14,1) und der
hl.
Bonaventura gibt als Erklärung die Antwort: „Laßt uns
Sünder den Fußstapfen Mariens folgen, zu ihren hl. Füßen
uns werfen und nicht weichen, bis sie uns segnet;” denn
ihr Segen ist uns eine Versicherung des Himmels. „Es
genügt, o Herrin”, sagt der hl. Anselm, „daß du unser
Heil willst, weil wir dann unmöglich verloren gehen.”
„Die von Maria beschützten Seelen”, sagt der
hl.
Antonin, „gelangen unfehlbar zur Seligkeit.”
Im Magnifikat sagte die allerseligste Jungfrau die
Worte: „Von nun an preisen mich selig alle
Geschlechter”, und der hl. Ildefons erwidert: „Ja, selig
wird sie gepriesen, denn alle Auserwählten gelangen
durch sie zur ewigen Seligkeit.” „Du, o erhabene
Mutter”, ruft der hl. Methodius aus, „bist der Anfang,
die Mitte und das Ziel unserer Seligkeit.” Sie ist der
Anfang, indem sie uns die Nachlaß der Sünden, die Mitte,
indem sie uns die Gnade der Beharrlichkeit, das Ziel
indem sie uns zuletzt den Himmel erlangt. „Durch dich”,
sagt der hl. Bernhard, „steht der Himmel offen, durch
dich wird die Hölle gemieden, durch dich ist das
Paradies erneuert, durch dich ist mit einem Wort das
ewige Leben allen Unglücklichen geschenkt, die den
ewigen Tod verdient hatten.” Vor allem aber muß uns zur
zuversichtlichen Hoffnung auf den Himmel die herrliche
Verheißung erheben, die Maria selbst denen macht, die
sie ehren, und vorzüglich jenen, die durch Wort und
Beispiel beitragen, daß sie auch von anderen erkannt und
geehrt wird.
„Wer in mir seine Werke tut, sündigt nicht; die mich ins
Licht setzen, erhalten das ewige Leben.”
(Sir 24,30)
Glückselig nennt der hl. Bonaventura jene, die die Gunst Mariens erlangen. Sie sind schon jetzt von den Seligen
als ihre Mitgenossen betrachtet, und wer das Zeichen
eines Dieners Mariens trägt, ist bereits in das Buch des
Lebens eingeschrieben.
Wozu also sich lange mit den Meinungen der Theologen
ängstlich abgeben, ob die Vorherbestimmung zur
Herrlichkeit dem Vorherwissen unserer Verdienste
vorangehe oder nachfolge? Und ob wir in das Buch des
Lebens eingeschrieben sind oder nicht? Wenn wir nur
wahre Diener Mariens sind und ihres Schutzes teilhaftig,
dann stehen gewiß wir im Buch des Lebens; denn Gott
verleiht, nach dem hl. Johannes von Damaskus, die
Andacht zu seiner Mutter nur denjenigen, die Er selig
machen will. Dies scheint auch der Herr selbst
ausdrücklich dem hl. Johannes geoffenbart zu haben: „Wer
siegt... auf den will ich schreiben den Namen meines
Gottes und
den Namen der Stadt meines Gottes.”
(Offb 3,12) Wer
siegen und selig werden soll, der wird den Namen der
Stadt Gottes in seinem Herzen eingegraben tragen. Wer
aber ist diese Stadt Gottes, wenn nicht Maria? Der
hl.
Gregor bezieht die Stelle Davids: „Herrliches wird von
dir gesagt, du Stadt Gottes,”
(Ps 86,3) auf Maria.
Mit
vollem Recht kann man also mit dem hl. Paulus sprechen:
„Sie haben ein Siegel, der Herr erkennt die Seinen.”
(2
Tim. 2,19) d. h. wer dieses Siegel, d.h. die Andacht zu
Maria, trägt, den erkennt Gott als Ihm gehörend. Darum
schreibt Pelbartus, die Andacht zur Mutter Gottes sei
das sicherste Zeichen, daß man die ewige Seligkeit
erlangen werde. Und der sel. Alanus a Rupe sagt, wer die
heiligste Jungfrau oft mit dem englischen Gruß verehrt,
besitzt ein bedeutsames Anzeichen seiner Auserwählung.
Dasselbe behauptet er auch von der Beharrlichkeit im
täglichen Gebet des hl. Rosenkranzes. Pater Nieremberg
sagt ferner, daß die Diener der Mutter Gottes nicht bloß
auf dieser Welt mehr Vorrechte und Begünstigungen,
sondern auch im Himmel größere Ehren genießen, indem sie
im Himmel besondere Abzeichen und reichere Zierden
tragen werden, durch die sie als zur Familie der
Himmelskönigin und zu ihrer Dienerschaft gehörend
erkannt werden, nach den Worten in dem Buch der
Sprichwörter: „Alle Diener ihres Hauses sind doppelt
gekleidet.” (Sir 31,21)
Die hl. Maria Magdalena von Pazzis sah mitten im Meer ein Schiff, in das sich alle
Verehrer Mariens geflüchtet hatten, die, das Steuerruder
führend, alle sicher zum Hafen geleitete. Die Heilige
erfuhr, daß jene, die unter dem Schutz Mariens leben,
mitten in all den Gefahren dieses Lebens vor dem
Schiffbruch der Sünde und der Verdammnis bewahrt bleiben
und sicher durch sie in den Hafen des Paradieses
gelangen. Seien wir also bedacht, in dieses glückliche
Schiff des Schutzes Mariens einzugehen, um dort des
Reiches der Seligkeit gewiß zu sein, wie die Kirche in
den Tagzeiten Mariens singt: „Die Wohnung aller, die
frohlocken, ist in dir, o hl.
Gottesgebärerin!”
Beispiel
Cäsarius erzählt, ein Zisterzienser-Mönch vom Kloster
Arnsburg, der eine große Andacht zu Unserer Lieben Frau
hatte, hat gar sehr gewünscht, seine geliebte Herrin
einmal sehen zu können, und ohne Aufhören darum gebeten.
Eines Nachts ging er in den Garten und zum Himmel
blickend, sandte er voll Sehnsucht, seine Königin zu
sehen, heiße Bitten empor. Da erblickte er eine herrlich
glänzende Jungfrau vom Himmel niederkommen, die ihn
fragte: „Thomas, ist es dir lieb, meinen Gesang zu
hören?” - „O gewiß”, sagte er. Da sang diese Jungfrau so
süß, daß der fromme Ordensmann im Himmel zu sein meinte.
Nach dem Gesang verschwand sie, ihn voll Sehnsucht
lassend zu wissen, wer sie gewesen sei. Da stand vor ihm
eine andere ebenso schöne Jungfrau, die ihn auch ihren
Gesang hören ließ. Nun konnte er sich nicht mehr
enthalten, zu fragen, wer sie sei. Die Jungfrau
erwiderte: „Die du zuvor gesehen, war Katharina. Ich bin
Agnes, beide Märtyrerinnen Jesu Christi und von unserer
Königin gesandt, dich zu trösten. Danke Maria und
bereite dich, eine noch größere Gnade zu empfangen.”
Sprach es und verschwand; der Ordensmann aber blieb in
vermehrter Erwartung, schließlich doch seine Königin zu
sehen.
Er täuschte sich nicht. Bald darauf sah er ein großes
Licht, er fühlte sein Herz von neuer Freude erfüllt, und
inmitten dieses Lichtes zeigte sich ihm die Mutter
Gottes, umgeben von Engeln und in unermeßlich größerer
Schönheit, als die beiden zuvor erschienenen Jungfrauen.
Maria sprach: „Mein lieber Diener und Sohn, ich habe
deinen Dienst wohlgefällig angenommen und deine Bitte
erhört. Du hast gefleht, mich zu sehen; siehe, ich bin
es; du sollst auch meinen Gesang vernehmen.” Und die allerseligste Jungfrau begann mit solcher Lieblichkeit
zu singen, daß dem frommen Ordensmann die Sinne
schwanden und er auf das Angesicht zur Erde sank. Nun
wurde zur Mette geläutet, und die Mönche versammelten
sich im Chor. Da Bruder Thomas nicht erschien, wurde er
in seiner Zelle und anderwärts gesucht, bis man ihn im
Garten wie tot fand. Der Obere befahl ihm, zu sagen, was
ihm begegnet sei, und in Kraft des Gehorsams wieder zu
sich gekommen, erzählt er die Gunsterweisungen der
göttlichen Mutter.
Gebet
O Königin des Himmels, Mutter der hl. Liebe,
liebenswürdigste, von Gott mehr geliebte und Ihn
liebende als alle Kreaturen, gestatte, daß ich, der
undankbarste und elendeste Sünder auf Erden, dich liebe;
durch deine Vermittlung bin ich von der Hölle gerettet,
und ohne jedes Verdienst bin ich so von dir begünstigt,
daß ich dich lieben muß. Ich wünsche, so es möglich
wäre, alle Menschen, die dich nicht kennen, zu
überzeugen, wie sehr du geliebt zu werden verdienst, auf
daß alle dich liebten und ehrten. Ich wünsche zu sterben
aus Liebe zu dir in Verteidigung deiner jungfräulichen
Mutterschaft des Sohnes Gottes und deiner Unbefleckten
Empfängnis. Ich begehre in Verteidigung dieser
erhabensten Vorzüge mein Leben zu lassen. Geliebteste
Mutter, nimm dies mein Verlangen gnädig auf und lasse
nicht zu, daß dein Diener, der dich liebt, jemals ein
Feind deines Gottes werde, den du so sehr liebst. Ach,
ich Unglücklicher war eine Zeitlang ein solcher, da ich
meinen Herrn beleidigte. Damals liebte ich aber auch
dich nicht, o Maria, und war auch wenig bemüht, von dir
geliebt zu werden. Nun aber verlange ich nach der Gnade
Gottes nichts anderes, als dich zu lieben und von dir
geliebt zu werden. Trotz meiner einstigen Sünden lasse
ich mein Vertrauen nicht sinken, denn ich weiß, daß du,
o gütigste, mildeste Herrin, selbst den elendesten
Sündern, wenn sie dich lieben, deine Liebe nicht
entziehst; ja du läßt dich in der Liebe von keinem
übertreffen. O liebenswürdige Königin, ich begehre nach
dem Himmel, um dort dich zu lieben. Dort zu deinen Füßen
werde ich besser erkennen, wie liebenswürdig du bist,
und was du für meine Seligkeit getan hast; darum werde
ich dort mit größerer Liebe dich lieben; ich werde ewig
dich lieben, ohne Furcht, jemals von deiner Liebe zu
lassen. O Maria, ich hoffe mit Zuversicht, durch deine
Vermittlung selig zu werden. Bitte Jesus für mich. Ich
will nichts anderes; du mußt mich selig machen; du bist
meine Hoffnung, darum will ich allezeit lobsingen:
Maria, meine Hoffnung, Du mußt mich selig machen!
9. Kap. - O Gütige, o Milde!
Wie groß die Güte und Milde Mariens ist
Der hl. Bernhard nennt die große Güte Mariens gegen uns
Sünder das von Milch und Honig fließende Land der
Verheißung. Der hl. Leo preist die allerseligste
Jungfrau als mit solchem Erbarmen erfüllt, daß sie nicht
bloß barmherzig, sondern die Barmherzigkeit selber
genannt zu werden verdiene. Und wenn der hl. Bonaventura
betrachtet, daß Maria um der Sünder willen Mutter Gottes
geworden ist und das Amt empfangen hat, die Erbarmungen
Gottes auszuteilen, oder wenn er ihre große Sorge um
alle Verlassenen und ihre mildeste Güte erwägt, die nur
das Verlangen kennt, den Bedürftigen zu Hilfe zu kommen,
dann ruft er aus: „Wahrhaftig, wenn ich dich, meine
Herrin, betrachte, erblicke ich nur Barmherzigkeit, und
es ist mir, als habe Gott dich mit seiner Barmherzigkeit
erfüllt und halte seine Gerechtigkeit verborgen.”
Mit einem Wort, die Güte Mariens ist so groß, daß, nach
dem Abt Guerricus, aus ihrem liebevollen Herzen ohne
Aufhören die Früchte der Barmherzigkeit hervorsprossen.
Könnte anderes, sagt der hl. Bernhard, aus dem Quell der
Barmherzigkeit fließen als Erbarmung? Darum wird Maria
auch Ölbaum genannt. „Wie ein kostbarer Ölbaum auf dem
Feld.” (Sir 24,19) Denn wie vom Ölbaum nichts anderes
kommt als Öl, das Sinnbild der Barmherzigkeit, ebenso
kann aus der Hand Mariens nichts anderes kommen als
Gnade und Erbarmen. Mit Recht darf man also mit Ludwig
de Ponte Maria, weil sie die Mutter der Barmherzigkeit
ist, die Mutter des Öls nennen. Wenn wir uns darum zu
dieser Mutter mit der Bitte um das Öl der Barmherzigkeit
wenden, so brauchen wir nicht zu fürchten, sie werde uns
dies abschlagen, wie die klugen Jungfrauen den
törichten: „Es wird für uns und euch nicht ausreichen.”
(Mt 25,9) Nein, „Maria ist überreich an diesem Öl der
Barmherzigkeit”, sagt der hl. Bonaventura; deshalb ist
sie auch von der hl. Kirche nicht eine weise Jungfrau,
sondern die weiseste Jungfrau genannt, auf daß wir, sagt
Hugo von St. Viktor, erkennen mögen, Maria sei so reich
an Gnade und Erbarmen, daß sie alle damit versehen kann,
ohne den geringsten Mangel zu leiden.
Warum aber heißt es, frage ich, daß dieser herrliche
Ölbaum mitten auf dein Feld und nicht vielmehr mitten in
einem Garten von Mauer oder Zaun umgeben stehe? Hugo von
St. Viktor antwortet: „Damit alle ihn leicht sehen und
leicht zu ihm kommen können, um Hilfe in ihren Nöten zu
erlangen.” Der hl. Antonin bestätigt diesen schönen
Gedanken, indem er sagt: „Zu einem Ölbaum auf freiem
Feld könne jeder gelangen und von seinen Früchten
sammeln; ebenso können alle, die Gerechten und die
Sünder, zu Maria ihre Zuflucht nehmen, um von ihr
Barmherzigkeit zu erlangen.” Und, fährt er fort, „wie
viele Strafgerichte wegen unserer Missetaten hat die allerseligste Jungfrau durch ihre barmherzige Fürsprache
von uns abgewandt.” Und welch bessere Zuflucht könnten
wir finden, sagt der fromme Thomas von Kempen, als das
mitleidsvolle Herz Mariens? Hier findet der Arme seine
Zufluchtsstätte, der Kranke sein Heilmittel, der
Betrübte Trost, der Zweifelnde Rat, der Verlassene
Hilfe. Wie verlassen wären wir, hätten wir nicht diese
Mutter der Barmherzigkeit, die über uns wacht, und
besorgt ist, in unseren Nöten uns zu Hilfe zu kommen!
„Wo die Hausmutter nicht ist, seufzt
der Arme”, (Sir 36,27) sagt der Hl. Geist. Diese Mutter
ist nach dem hl. Johannes von Damaskus Maria; wo sie
fehlt, da seufzt der Kranke. In Wahrheit, da nach der
Ordnung Gottes alle Gnaden auf die Fürbitte Mariens
gespendet werden, so kann es, wo diese fehlt, keine
Hoffnung auf Barmherzigkeit geben. Dies hat der Herr
selber der hl. Birgitta mit den Worten erklärt: „Wäre
die Fürsprache Mariens nicht, so gäbe es keine Hoffnung
auf Barmherzigkeit.”
Haben wir aber nicht zu fürchten, daß Maria unsere Not
nicht beachte oder nicht bemitleide? Nein! Maria sieht
viel mehr auf sie, als wir selbst, und trägt großes
Mitleid mit uns. „Wer fände sich unter den Heiligen”,
sagt der hl. Antonin, „der so viel Mitleid mit unseren
Nöten hätte, als Maria?” „Wo immer sie eine Not bemerkt,
ist es ihr unmöglich, nicht zu nahen und Hilfe zu
schaffen durch ihre große Güte.” So Richard von St.
Lorenz, und dasselbe bestätigt Mendoza mit den Worten:
„Ja, o gebenedeite Jungfrau, wo immer du uns in Nöten
siehst, da spendest du mit vollen Händen deine Gnaden.”
Und von diesen Erweisen der Barmherzigkeit wird unsere
gute Mutter niemals abstehen, wie sie selbst versichert:
„In Ewigkeit werde ich nicht aufhören, und in der hl.
Wohnung diente ich vor ihm.”
(Sir 24,14) Diese Stelle
erklärt Kardinal Hugo wie folgt: „Ich werde bis zum Ende
der Welt nicht nachlassen, den Menschen in allen Nöten
zu Hilfe zu kommen und für die Sünder zu beten, damit
sie gerettet und vom ewigen Verderben bewahrt werden.”
Suetonius erzählt von Kaiser Titus, daß er so bedacht
war, jedem Bittenden sich gnädig zu erweisen, daß er von
den Tagen, wo er nicht Gelegenheit hatte, eine Gunst zu
spenden, bekümmert sagte: „Der Tag ist verloren.” So
sprach Titus wohl mehr aus Eitelkeit und Ruhmsucht, als
aus Liebe. Unsere gütigste Herrin Maria aber kann nur
deshalb jene Worte sprechen, weil sie voll Liebe und
voll Verlangen ist, Gutes zu tun: Und zwar so, daß sie
nach Bernhardin von Bustis ein größeres Verlangen trägt,
uns Gnaden zu erweisen, als wir diese zu empfangen,
weshalb wir sie immer mit vollen Händen an Erbarmen und
Güte finden werden, so oft wir unsere Zuflucht zu ihr
nehmen.
Ein Vorbild Mariens hierin war schon Rebekka, die von
dem Knecht Abrahams um einen Trunk Wassers gebeten, zur
Antwort gab: „Auch deinen Kamelen will ich Wasser
schöpfen, bis sie alle getrunken haben.”
(Gen 24,19) Der
hl. Bernhard wendet sich darum an Maria mit den Worten:
„O Herrin, nicht bloß dem Knecht Abrahams, sondern auch
den Kamelen reiche Wasser aus deinem überströmenden
Krug.” Er will sagen: Herrin, du bist liebevoller und
freigebiger als Rebekka; darum begnüge dich nicht, die
Gnaden deiner unermeßlichen Barmherzigkeit bloß den
Dienern Abrahams, d.h. den treuen Dienern Gottes, zu
erteilen, sondern spende sie auch den Kamelen, womit die
Sünder gemeint sind. Und gleichwie Rebekka mehr gab, als
von ihr begehrt wurde, ebenso verleiht Maria mehr, als
worum sie gebeten wird. Die Freigebigkeit Mariens
gleicht nach Richard von St. Lorenz der Freigebigkeit
ihres Sohnes, der immer mehr gibt, als man bitte; darum
nennt Ihn der hl. Paulus: „Er ist reich für alle, die
Ihn anrufen.”
(Röm 10,12) Er ist überfließend von Gnaden
für alle, die Ihn bitten. Auch ein anderer frommer
Schriftsteller, Wilhelm
von Paris, sagt: „Herrin, bitte für mich; denn du
bittest mit unendlich größerer Andacht die Gnaden für
mich, als ich zu beten vermöchte, und du erlangst mir
weit mehr, als ich zu begehren den Mut habe.”
Als die Samaritaner sich weigerten, Jesus Christus bei
sich aufzunehmen und seine Predigt anzuhören, sprachen
die hl. Jakobus und Johannes zu ihrem Meister:
„Willst du, Herr, daß wir das Feuer vom Himmel
herabrufen, sie zu verzehren?” Da entgegnete der
Heiland: „Ihr wißt nicht, wessen Geistes ihr seid.”
(Lk
9,55) Er wollte damit sagen: Ich bin eines so gütigen
und sanften Geistes, daß ich vom Himmel gekommen bin,
die Sünder zu retten, nicht aber sie zu strafen; und ihr
wollt, daß sie verloren gehen? Warum Feuer? Warum
Strafe? Schweigt und redet nicht mehr von Züchtigungen,
denn das ist nicht mein Geist. Von Maria aber, die des
gleichen Geistes ist, wie ihr Sohn, können wir nicht
zweifeln, daß sie nicht ganz geneigt wäre,
Barmherzigkeit zu üben. Darum heißt sie die Mutter der
Barmherzigkeit, und die Barmherzigkeit Gottes hat sie so
barmherzig und gütig gegen alle gemacht, wie sie der
hl.
Birgitta offenbarte. Der hl. Johannes sah daher auch
Maria mit der Sonne bekleidet: „Und es erschien ein
großes Zeichen am Himmel, eine Frau mit der Sonne
bekleidet” (Offb 12,1), worüber der
hl. Bernhard an die allerseligste Jungfrau sich wendend bemerkt: Du kleidest
die Sonne und wirst von ihr gekleidet”,
d. h. du hast das ewige Wort mit der Menschheit
bekleidet, und das Wort hat dich in seine Macht und
Barmherzigkeit gekleidet.
„So mildreich und gütig ist diese Königin”, sagt der
hl.
Bernhard, „daß, wenn ein Sünder sich ihrer Milde
anempfiehlt, sie nicht erst seine Verdienste untersucht,
ob er würdig sei, erhört zu werden oder nicht, sondern
sie erhört und hilft allen.” Das ist auch nach dem
hl.
Hildebert die Ursache, warum Maria „schön wie der Mond”
(Hl 6,9) genannt wird; denn wie der Mond den niedrigsten
Gegenständen auf Erden Licht und Nutzen bringt, so gibt
auch Maria den unwürdigsten Sündern Licht und Rettung.
„Schön wie der Mond”, sagt Hildebert, „weil es schön
ist, Unwürdigen Gutes zu tun”. Und wenngleich der Mond
all sein Licht von der Sonne empfängt, so wirkt er doch
schneller als die Sonne.
„Was die Sonne in einem Jahr tut, das tut der Mond in
einem Monat”, sagt ein Schriftsteller, weshalb, nach dem
hl. Anselm, uns bisweilen schnellere Hilfe wird, wenn
wir den Namen Mariens, als wenn wir den Namen Jesu
anrufen. Flößen unsere Sünden uns Furcht ein, Gott zu
nahen, weil es eine unendliche Majestät ist, die wir
beleidigt haben, so dürfen wir nach der Ermahnung Hugos
von St. Viktor, uns nicht scheuen, zu Maria zu
flüchten, da wir an ihr nichts erblicken, was uns
ängstigen kann. Wohl ist sie heilig, unbefleckt, Königin
der Welt, Mutter Gottes, aber ein Mensch, ein Kind
Adams. [Außer der Erbsünde]
Mit einem Wort, an Maria ist, nach dem hl. Bernhard,
alles voll Gnade und Barmherzigkeit; denn als Mutter der
Barmherzigkeit ist sie allen alles, und in ihrer großen
Liebe hat sie zur Schuldnerin aller sich gemacht, der
Gerechten wie der Sünder; allen öffnet sie den Schoß
ihrer Barmherzigkeit, auf daß alle teilhaben an ihrer
Fülle. Wie nach den Worten des hl. Petrus der Teufel
umhergeht, um zu suchen, wem er den Tod bereiten könne
(1 Petr 5,8), so geht umgekehrt, wie Bernhardin von
Bustis sagt, Maria suchend umher, wem sie Leben und
Heilung bereiten könne.
„Wir müssen wohl im Auge haben”, daß, wie der
hl.
Germanus sagt, „der Schutz Mariens größer und mächtiger
ist, als wir zu begreifen vermögen.” „Und woher kommt
es”, fragt Pelbart, „daß der Herr, der im alten Bund so
streng im Bestrafen war, nun so großes Erbarmen gegen
viel mehr verschuldete Sünder übt? Es geschieht dies um
der Liebe und Verdienste Mariens willen.” Ach, ruft der
hl. Fulgentius aus, „längst schon wäre die Welt
untergegangen, wenn nicht Maria durch ihre Fürbitte sie
erhalten hätte.” „Mit Zuversicht aber dürfen wir uns
Gott nähern und alles Gute hoffen”, sagt Arnold von Chartres, „seit der Sohn unser Mittler bei Gott dem
Vater ist und die Mutter unsere Mittlerin bei dem Sohn.
Wie sollte der Vater den Sohn nicht erhören, wenn Er Ihm
die Wunden zeigt, die Er um der Sünder willen erduldet?
Und wie sollte der Sohn die Mutter nicht erhören, wenn
sie Ihm die Brust zeigt, an der sie Ihm die Nahrung
reichte?” Schön und kräftig drückt sich der hl. Petrus Chysologus aus: „Eine Jungfrau beherbergte Gott in ihrem
Schoß, so daß sie zum Lohn dafür der Welt den Frieden,
den Verlorenen das Heil, den Toten das Leben erlangen
konnte.”
„Ach, wie viele, die verdient hätten von der göttlichen
Gerechtigkeit verdammt zu werden”, sagt der Abt von
Celles, „sind durch die Barmherzigkeit Mariens selig
geworden; denn sie ist der Schatz Gottes und die
Schatzmeisterin aller Gnaden, weshalb unser Heil in
ihren Händen liegt.” Nehmen wir allezeit unsere Zuflucht
zu dieser erhabenen Mutter der Barmherzigkeit und hoffen
wir mit Zuversicht, durch ihre Vermittlung selig zu
werden; denn sie ist, wie Bernhard von Bustis uns
erinnert, unser Heil, unser Leben, unsere Hoffnung,
unser Rat, unsere Zuversicht, unsere Hilfe. „Maria ist
im eigentlichen Sinn jener Gnadenthron”, sagt der
hl.
Antonin,
„zu dem wir nach der Meinung des hl. Apostels mit
Vertrauen fliehen sollen, um die göttliche
Barmherzigkeit und alle zu unserem Heil notwendigen
Gnadenhilfen zu erlangen.” „Laßt uns mit Zuversicht
hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir
Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden, wenn wir Hilfe
nötig haben.” (Hebr 4,16) [Dies ist der Introitus der
Messe zum unbefleckten Herzens Mariens, die P. Pius XII.
1946 eingesetzt hat.] Zum Thron der Gnade, d. h. zu
Maria, erklärt der hl. Antonin. Und die hl. Katharina
von Siena nennt Maria „die Ausspenderin der göttlichen
Barmherzigkeit”.
[Beim Tod Jesu war Maria die Generalerbin. Die Gnaden
des geöffneten Herzens Jesu flossen in ihr Herz. Dort
müssen wir sie erbitten! Sapienti sat.]
Schließen wir nun mit dem schönen und lieblichen Ausruf
des hl. Bernhard: „O gütige, o milde, o süße Jungfrau
Maria! O Maria du bist gütig gegen die Elenden, milde
gegen die, welche dich anrufen, süß denen, die dich
lieben; du bist gütig gegen die Büßer, mild gegen die
Voranschreitenden, süß den Vollkommenen; du erzeigst
dich gütig, indem du uns vor Züchtigungen bewahrst,
milde, indem du uns Gnaden spendest, süß, indem du dich
finden läßt von denen, die dich suchen.”
Beispiel
Pater Karl Bovio erzählt, daß in Dormans, in der
Champagne, ein verheirateter
Mann sündhaften Umgang mit einer anderen Frau hatte.
Seine tief betrübte Ehefrau bat ohne Aufhören zu Gott,
die Schuldige zu züchtigen, und eines Tages ging sie
eigens vor den Altar der allerseligsten Jungfrau in
einer Kirche, um gerechte Strafe auf diese Person
herabzurufen. Vor demselben Bild pflegte auch jene
täglich ein Ave zu sprechen. Des Nachts erschien nun
einmal die göttliche Mutter im Traum der Ehefrau, die,
kaum daß sie Maria erblickte, sogleich die gewöhnliche
Bitte begann:
„Gerechtigkeit, o Mutter Gottes, Gerechtigkeit!” Doch
Unsere Liebe Frau antwortete:
„Gerechtigkeit? Du begehrst von mir Gerechtigkeit? Geh,
wende dich an andere, die sie dir verschaffen mögen, ich
kann, was mich betrifft, sie dir nicht gewähren. Wisse,
daß diese Sünderin täglich mit dem Ave mich begrüßt, und
daß, wenn jemand dieses tut, ich nicht ertragen kann,
daß er um seiner Sünden willen Züchtigung erleide.” Da
es Tag geworden, ging die Frau in die Liebfrauenkirche,
die hl. Messe zu besuchen. Beim Herausgehen begegnete
sie jener Person, und als sie diese sah, fing sie an,
sie zu beschimpfen und sie eine Hexe zu nennen, die
durch ihre Hexereien selbst Unsere Liebe Frau verzaubert
habe. Die Umstehenden wollten sie zum Schweigen bringen;
doch es gelang ihnen nicht. „Es ist nur zu wahr, was ich
sage”, rief sie und erzählte ihr nächtliches Gesicht.
Die Person aber bestätigte, daß sie jeden Tag das Ave
bete, und so gerührt war, daß Maria um dieser geringen
Andacht willen, ihr solche Barmherzigkeit erwiesen habe,
daß sie sogleich zu dem Bild zurückeilte, sich
niederwarf, alle wegen des gegebenen Ärgernisses um
Verzeihung bat und immerwährende Enthaltsamkeit gelobte.
Danach nahm sie den Habit, ließ sich eine kleine Zelle
in der Nähe dieser Kirche bauen, schloß sich darin ein
und verharrte in ununterbrochener Buße bis zu ihrem Tod.
Gebet
O Mutter der Barmherzigkeit, du bist so gütig und trägst
so großes Verlangen, uns Elenden Gutes zu tun und unsere
Bitten zu erhören; darum nehme auch ich, der
Allerelendeste, zu deiner Güte meine Zuflucht, damit du
mir verleihen magst, worum ich bitte. Mögen andere was
immer begehren, Gesundheit des Leibes, Reichtümer und
Glück in diesem Erdenleben; ich bitte dich, o meine
Herrin, nur um das, was du für mich begehrst, und
wodurch ich deinem Herzen gleichförmiger und angenehmer
werde. Du bist so demütig, darum erlange mir die Demut
und die Liebe zur Verachtung. Du warst so geduldig in
den Mühseligkeiten dieses Lebens, erlange mir die Geduld
in allen Widerwärtigkeiten. Du warst so voll Liebe zu
Gott, erlange mir die Gabe einer heiligen und reinen
Liebe. Du warst voll Liebe zu dem Nächsten, erlange mir
die Liebe zu allen und besonders zu denen, die mir
abgeneigt sind.
Du warst ganz vereint mit dem göttlichen Willen, erlange
mir eine vollkommene Ergebung in allem, was Gott über
mich verfügt. Mit einem Wort, du bist die heiligste
unter allen Kreaturen, o Maria, mache mich heilig. Dir
mangelt nicht die Liebe, du kannst und willst mir alles
erlangen. Nur ich allein kann mir im Wege stehen, deine
Gnaden zu empfangen, sei es, daß ich unterlasse, dich
anzurufen, oder zu wenig deiner Fürbitte vertraue. Aber,
daß ich zu dir fliehe und auf dich vertraue, das kann
ich nur von dir empfangen. Um diese beiden höchsten
Gnaden bitte ich
dich; von dir verlange ich sie, von dir erhoffe ich sie
mit Zuversicht, o Maria, meine Mutter, meine Hoffnung,
meine Liebe, mein Leben, meine Zuflucht, meine Hilfe,
mein Trost. Amen.
10. Kap. - Süße Jungfrau Maria
Wie süß der Name Mariens ist im Leben und im Sterben
Der erhabene Name Maria, welcher der Mutter Gottes
gegeben wurde, ist nicht auf Erden erfunden worden, noch
auch von dem Verstand oder den Absichten der Menschen
erdacht worden, wie dies bei allen anderen
Namensgebungen der Fall ist. Er war vom Himmel erwählt
und nach göttlichem Ratschluß verliehen, wie die hl.
Hieronymus, Epiphanius, Antonin und andere bezeugen.
„Aus dem Schatz der Gottheit kommt”, wie der
hl. Petrus Damianus sagt, „dein erhabener und wunderbarer Name
Maria”, „in dem die ganze heiligste Dreieinigkeit dir
einen Namen geben wollte”, fügt Richard von St. Lorenz
hinzu, „der nach dem Namen deines Sohnes über alle
anderen Namen erhaben ist und dir solche Majestät und
Macht verleiht, daß, wenn er ausgesprochen wird, alle
auf ihren Knien ihn verehren sollen; der Himmel, die
Erde und die Hölle.” Von den Vorzügen, die der Herr
diesem Namen erteilt hat, wollen wir jetzt nur das
betrachten, wie süß Er diesen Namen für die Diener
dieser heiligsten Frau im Leben und im Sterben gemacht
habe.
Um zuerst von der Lebenszeit zu sprechen, so sagt der
hl. Einsiedler Honorius, daß der Name Maria jeder
himmlischen Süßigkeit voll ist. Und der ruhmreiche hl.
Antonius von Padua fand im Namen Maria dieselbe
Lieblichkeit, wie der hl. Bernhardin im Namen Jesus. Der
Name dieser jungfräulichen Mutter ist ihren Verehrern
eine Wonne im Herzen, Honig im Mund, Wohlklang im Ohr.
Der ehrwürdige Pater Juvenal Ancina, Bischof von
Saluzzo, empfand, wie in seinem Leben erzählt wird, beim
Nennen des Namens Mariens eine so große Süßigkeit, daß
er sogar seine Lippen ableckte. In gleicher Weise liest
man, eine Frau in Köln habe dem Bischof Marsilius
bezeugt, daß sie, so oft der Name Maria ausgesprochen
werde, einen Geschmack im Mund verspüre, der süßer sei
als Honig. Eine gleiche Süßigkeit empfand auch Marsilius
selbst.
Nach den Worten des Hohenliedes sangen die Engel bei der
Himmelfahrt Mariens dreimal: „Wer ist die, die aus der
Wüste heraufsteigt wie eine Rauchsäule?”
(Hl 3,6) dann:
„Wer ist die, welche wie die aufsteigende Morgenröte
hervorkommt?” (Hl 6, 9) Endlich: „Wer ist die, die
heraufsteigt aus der Wüste, von Freude überfließend?”
(Hl 8,5) Richard von St. Lorenz stellt die Frage, warum
die Engel so oft nach dem Namen dieser Königin gefragt
haben und antwortet: Weil sie begehrten, den ihnen so
süßen Namen Maria zu hören.
Doch will ich nicht von der fühlbaren Süßigkeit
sprechen, die für gewöhnlich nicht jeder empfängt,
sondern von der heilsamen Süßigkeit des Trostes, der
Liebe, der Freude, des Vertrauens, der Stärke, die der
Name Maria all denen bringt, die ihn mit Andacht
aussprechen. Der Abt Franko spricht davon, „daß nach dem
hochheiligen Namen Jesus der Name Maria so reich an
Gütern sei, daß auf Erden und im Himmel
kein anderer Name genannt werde, aus dem die frommen
Seelen so viel Gnade, Hoffnung und Süßigkeit empfangen;
denn der Name Maria enthalte eine so geheimnisvolle
Süßigkeit und göttliche Kraft, daß er in den Maria
angehörenden Herzen lieblichen Wohlgeruch aushauche.
„Und wunderbar ist es an diesem Namen”, sagt Franko,
„daß er tausendmal gehört doch immer mit neuer
Freudigkeit vernommen wird.”
Diese Süßigkeit bezeugt
auch der hl. Heinrich Suso, wenn er sagt, daß er im
Aussprechen des Namens Maria sich zu solchem Vertrauen
erhoben und mit so freudiger Liebe entzündet fühle, daß
er nur unter Tränen der Freude diesen geliebten Namen
hervorbringe und glaube, es steige sein Herz aus der
Brust in den Mund; indem der süßeste Name in den Tiefen
der Seele wie eine Honigwabe zerfließe.
O süßester Name, pflegte er auszurufen, o Maria, was
mußt du selber sein, wenn schon dein Name so lieblich
und gnadenvoll ist!
Voll Zärtlichkeit wendet sich der liebeentflammte hl.
Bernhard an seine gute Mutter mit den Worten: „O große,
o gütige, o alles Lobes würdige, heiligste Jungfrau
Maria; dein Name ist so süß und liebenswürdig, daß er
nicht einmal genannt werden kann, ohne daß, wer ihn
nennt, von Liebe zu dir und zu Gott entzündet wird.” Ja,
wenn jene, die dich lieben, deiner nur gedenken, so sind
sie getröstet und zu größerer Liebe gegen dich
entzündet. „Wenn Geld und Gut ein Trost der Armen, weil
Abhilfe ihrer Not ist, o welch besserer Trost ist für
uns Elende”, sagt Richard von St. Lorenz,
„dein Name, o Maria, der mehr als alle Schätze der Erde
uns Hilfe gibt in den Trübsalen dieses Lebens.”
Mit einem Wort, „dein Name, o Mutter Gottes, ist voll
der göttlichen Gnaden und Segnungen”, wie der
hl.
Methodius sagt, in der Weise, daß nach dem hl.
Bonaventura „dein Name nicht genannt werden kann, ohne
dem eine Gnade zu bereiten, der ihn andächtig
ausspricht.” „Mag ein Herz noch so verhärtet und
vertrauenslos sein”, sagt der Idiote, „nennt man dich, o
gütigste Jungfrau, so ist die Kraft deines Namens so
groß, daß er auf wunderbare Weise diese Härte erweichen
wird; denn du bist es ja, welche die Sünder zur Hoffnung
auf Verzeihung und Gnade ermutigt.” Dein süßester Name
ist nach den Worten des hl. Ambrosius ein wohlriechender
Balsam, der den Geruch der göttlichen Gnade aushaucht.
Der Heilige fleht zu Maria mit den Worten: „Es ergieße
sich in das Innerste unserer Seelen dieser Balsam des
Heiles!” Er will sagen: Gewähre o Herrin, daß wir oft
daran denken, dich mit Liebe und Vertrauen zu nennen;
denn dies ist entweder ein Zeichen des Besitzes der
göttlichen Gnade, oder doch ein Unterpfand ihrer bald
teilhaftig zu werden.
Ja, o Maria, das Andenken an
deinen Namen tröstet die Betrübten, führt auf den Weg
des Heiles zurück, wer ihn verlassen hat, stärkt die
Sünder, sich nicht der Verzweiflung zu überlassen, wie
Landulf von Sachsen versichert, und Pater Pelbart sagt:
Gleichwie Jesus durch seine hl. fünf Wunden der Welt die
Heilung von all ihren Übeln bereitet hat, so bringt auch
Maria durch ihren heiligsten, aus fünf Buchstaben
bestehenden Namen den Sündern täglich Verzeihung. Der
heiligste Name Maria wird aus diesem Grund im Hohenlied
mit dem Öl verglichen: „Dein Name ist ein ausgegossenes
Öl.” Wie das Öl, bemerkt
der sel. Alanus zu dieser Stelle, die Krankheiten heilt,
Wohlgeruch verbreitet und die Flamme nährt, ebenso heilt
der Name Maria die Sünder, erquickt die Herzen und
entflammt sie mit hl. Liebe. Richard von St. Lorenz
ermuntert darum die Sünder, diesen mächtigen Namen
anzurufen, indem er allein genüge, sie von allen Übeln
zu heiligen, und es keine noch so bösartige Krankheit
gebe, die nicht alsbald der Kraft dieses Namens weichen müßte.
„Die Teufel dagegen”, behauptet
Thomas von Kempen,
„fürchten dermaßen die Königin des Himmels, daß sie beim
Nennen ihres erhabenen Namens vor dem, der ihn
ausspricht, fliehen wie vor verzehrendem Feuer.” Die
allerseligste Jungfrau offenbarte der hl. Birgitta: „Es
lebt kein Sünder auf Erden so erkaltet in der göttlichen
Liebe, daß, wenn er mit dem Vorsatz, Buße zu tun, meinen
Namen anruft, nicht augenblicklich der Teufel von ihm
weichen müßte.” Und wiederholt bekräftigte sie dies mit
den Worten: „Alle bösen Geister scheuen diesen Namen und
fürchten ihn. Sobald sie den Namen Maria hören, lassen
sie sogleich die Seele aus den Klauen, mit denen sie
dieselbe halten.” Und wie die gefallenen Engel vor dem
Sünder zurückweichen, welche Maria anrufen, so kommen
andererseits um so mehr die guten Engel, sagte Maria
selbst zur hl. Birgitta, den Gerechten entgegen, welche
andächtig ihren Namen aussprechen.
Der hl. Germanus bezeugt, daß wie das Atmen ein Zeichen
des Lebens ist, so das öftere Anrufen des Namens Maria
ein Zeichen, daß man entweder bereits in der Gnade
Gottes lebe, oder bald dazu kommen werde; denn dieser
mächtige Name hat die Kraft, Heil und Leben dem zu
erlangen, der ihn mit Andacht anruft. Kurz, dieser
wunderbare Name ist, nach Richard von St. Lorenz, gleich
einem sehr festen Turm, wohin der Sünder sich vor dem
Verderben flüchten kann, indem die verlorensten Sünder
dort sicheren Schutz und Rettung finden. Doch nicht bloß
die Sünder erlangen in dem starken Turm die Befreiung
von der Strafe, sondern auch die Gerechten schützt er
gegen die Angriffe der Hölle. Dies bezeugt Richard mit
den Worten: „In keinem anderen Namen ist so mächtige
Hilfe, noch ist nach dem Namen Jesus ein anderer Name
den Menschen gegeben, aus dem so großes Heil auf die
Menschen sich ergießt, als der Name Maria.”
Besonders aber wissen alle, und die Diener Mariens
können es täglich erfahren, welche Kraft ihr erhabener
Name verleiht, die Versuchungen gegen die Reinheit zu
überwinden. Der eben genannte Schriftsteller bemerkt
über die Worte des hl. Lukas: „Und der Name der Jungfrau
war Maria”, daß der Evangelist die beiden Namen Maria
und Jungfrau zugleich ausspreche, um uns erkennen zu
lassen, daß der Name dieser allerreinsten Jungfrau nie
von der Reinheit getrennt werden dürfe. Auch der hl.
Petrus Chrysologus nennt das Anrufen des Namens Mariens
bei Versuchungen gegen die Reinheit ein Zeichen der
Reinheit des Herzens. Wer sich gewiß ist, bei derartigen
Versuchungen den Namen Mariens mit Andacht angerufen zu
haben, der hat, wenn er im Zweifel ist, ob er nicht
gesündigt hat, in dieser Anrufung ein sicheres
Kennzeichen, daß er die Reinheit des Herzens nicht
verletzt habe.
Folgen wir darum doch allezeit dem guten
Rat des hl. Bernhard: „In Gefahren,
in Nöten, in Zweifeln denke an Maria, rufe Maria an; sie
weiche nicht aus deinem Mund, sie weiche nicht aus
deinem Herzen.” Bei allen Gefahren, die Gnade Gottes zu
verlieren, wollen wir an Maria denken und Maria zugleich
mit dem Namen Jesus anrufen; denn diese Namen sollen
immer miteinander verbunden sein. Diese zwei süßesten
und mächtigsten Namen sollen nimmer weichen aus unserem
Herzen, nimmer aus unserem Mund, denn diese Namen werden
uns die Kraft geben, keiner Versuchung zu unterliegen,
sondern in jeder zu siegen.
Sehr herrlich sind die Gnaden nach den Offenbarungen der
hl. Birgitta. Jesus verheißt den andächtigen Verehrern
des Namens Maria, seiner Mutter: „Wer immer deinen Namen
anruft und mit dem festen Vorsatz der Besserung auf dich
vertraut, dem sollen drei Gaben zuteil werden: Eine
vollkommene Reue über seine Sünden, eine vollkommene
Genugtuung für diese, die Stärke zum Fortschritt im
geistlichen Leben und überdies die Herrlichkeit des
Paradieses. So groß ist für mich die Süßigkeit deiner
Worte, daß ich dir keine Bitte versagen kann.”
Das bisher Gesagte faßt der hl. Ephräm in den Worten
zusammen: „Der Name Mariens erschließt die Pforte des
Himmels;” und der hl. Bonaventura in der Bitte:
„Du Heil aller, die dich anrufen.” Nach ihnen ist es
also eines und dasselbe, den Namen Mariens anrufen und
das Heil erlangen. Auch Richard von St. Lorenz bestätigt
dies in den Worten: „Die andächtige Anrufung dieses
Namens führt in diesem Leben zur Fülle der Gnade und im
künftigen zur Fülle der Herrlichkeit.”
„Begehrt ihr also, meine Brüder”, schließe ich mit
Thomas von Kempen, „in jeglicher Trübsal getröstet zu
werden, so flieht zu Maria! Ruft Maria an, ehrt Maria,
empfiehlt euch Maria an, freut euch mit Maria, weint mit
Maria, betet mit Maria, wandelt mit Maria , sucht mit
Maria Jesus; verlangt mit Jesus und Maria zu leben und
zu sterben. Brüder, so ihr dies übt, werdet ihr
voranschreiten. Maria wird gern für euch bitten, und der
Sohn wird seine Mutter erhören.”
Gar süß ist also im Leben der Verehrer Mariens, wie wir
gesehen, ihr heiligster Name durch die großen Gnaden,
die er ihnen erlangt; doch süßer noch wird er ihnen im
Sterben, indem er ihnen einen sanften und hl. Tod
bereitet. Pater Sartorius Caputo SJ ermahnte alle, die
einem Sterbenden beizustehen haben, oft den Namen Maria
auszusprechen, indem das bloße Aussprechen dieses Namens
des Lebens und der Hoffnung im Sterben genüge, die
Feinde zu verjagen und die Sterbenden in ihren Ängsten
zu stärken. In gleicher Weise hat der hl. Kamillus von
Lellis es seinen Ordensleuten dringend anempfohlen, die
Sterbenden zu häufigem Anrufen der Namen Jesus und Maria
anzuhalten, wie er es selbst bei allen zu tun pflegte.
Mit größter Süßigkeit übte er dies in der eigenen
Todesstunde, indem er, wie seine Lebensgeschichte
berichtet, seine geliebten Namen Jesus und Maria mit
solcher Zärtlichkeit aussprach, daß er auch jene, die
ihn hörten, zur Liebe entflammte. Man sah schließlich
den Heiligen mit auf seine verehrten Bilder gehefteten
Augen, und in Kreuzform ausgestreckten Armen die Seele
mit Heiterkeit und himmlischem Frieden, unter Anrufung
der süßesten Namen Jesus und Maria aushauchen.
Dieses kurze Gebet der Anrufung der heiligsten Namen
Jesus und Maria ist nach Thomas von Kempen so leicht im Gedächtnis zu behalten,
als lieblich zu betrachten und eine starke Wehr gegen die
Feinde unseres Heiles. „O selig”, sagt der
hl.
Bonaventura, „wer deinen süßen Namen liebt, o Maria, deinen
glorwürdigen, wunderbaren Namen. Die ihn bewahren,
brauchen sich im Tod nicht zu fürchten.”
O welch ein Glück, zu sterben, wie der Kapuzinerpater
Fulgentius von Ascoli, der seinen Geist aufgab unter dem
Gesang: „O Maria, o Maria! Schönste du vor allen, Mit dir will ich zum Himmel wallen!” - zu sterben, wie der
selige Zisterziensermönch Heinrich, der nach den Annalen
seines Ordens unter dem Sprechen des Namens Maria sein
Leben beschloß.
Bitten wir also Gott, Er möge uns die Gnade verleihen,
daß der Name Maria das unser letzte Wort sei, wie dies
auch der hl. Germanus mit Sehnsucht erflehte. O ein
süßer Tod, ein sicherer Tod, der begleitet und geschirmt
von solchem Namen des Heiles ist, den im Sterben
anzurufen, Gott nur jenen verleiht, die Er selig machen
will.
O meine süße Herrin und Mutter, ich liebe dich sehr, und
weil ich dich liebe, liebe ich auch deinen heiligen
Namen. Ich will und hoffe, mit deiner Hilfe ihn allezeit
anzurufen im Leben und im Sterben. Um der Ehre deines
Namens willen komme meiner Seele, bitte ich mit dem hl.
Bonaventura, bei ihrem Scheiden von der Welt entgegen
und nimm sie auf! Tröste sie durch deinen hl. Anblick,
sei ihr Leiter und Pfad zum Paradies, erlange ihr
Vergebung und Frieden und die Wohnung im Licht. Nimm
dich deiner Diener an und führe du ihre Sache vor dem
Richterstuhl Christi.
Beispiel
Pater Rho und Pater Lyräus erzählen, daß um das Jahr
1465 in Geldern ein junges Mädchen, namens Maria, von
ihrem Onkel auf den Markt nach Nimwegen geschickt wurde,
um einiges einzukaufen, mit dem Befehl, im Haus einer
dort wohnenden Verwandten zu übernachten. Das Mädchen
gehorchte; als sie aber abends zu der Frau kam, wurde
sie mit rauhen Worten abgewiesen, worauf sie zur
Heimkehr sich anschickte. Die Nacht befiel sie auf dem
Rückweg, und sie geriet in solche Aufregung, daß sie mit
lauter Stimme den Teufel rief. Er erschien alsbald in
Gestalt eines Mannes und versprach ihr Hilfe, wenn sie
eine Sache tun wollte. „Alles will ich tun”, antwortete
die Unglückliche. „Anderes begehre ich nicht”, sagte der
Böse, „als daß du von heute an dich nicht mehr mit dem
Kreuz bezeichnest und den Namen änderst.”
„Was das Kreuz betrifft, so will ich mich nicht mehr
damit bezeichnen; aber mein Name Maria ist mir zu lieb;
ich werde ihn nicht ändern.” „Dann helfe ich dir nicht”,
sprach der Teufel. Nach langem Streit kamen sie endlich
überein, daß sie nach dem ersten Buchstaben des Namens
Maria sich nennen solle (Emma). Und so begaben sie sich
auf den Weg nach Antwerpen, wo die Unglückliche sechs
Jahre lang mit ihrem so schlechten Gesellen verweilte
und so lasterhaft lebte, daß sie allen zum Ärgernis war.
Eines Tages sagte sie zum Teufel, daß sie ihre Heimat
wieder einmal sehen möchte; dieser aber widersetzte
sich, bis er zuletzt doch nachgeben mußte. Da sie nach
Nimwegen kamen, wurde gerade ein geistliches Schauspiel
aus dem Leben Mariens aufgeführt. Bei diesem Anblick
fing die arme Emma, die
noch einige Liebe zur Mutter Gottes in sich bewahrt
hatte, vor Rührung zu weinen an. „Was soll das sein?”
sprach der Geselle, „wollen wir auch eine Komödie hier
aufführen?” Er packte sie, um sie von dem Ort
wegzubringen; sie aber widerstand. Da er merkte, sie sei
für ihn verloren, erhob er sich aus Zorn mit ihr in die
Luft und ließ sie mitten auf die Schaubühne fallen. Da
erzählte die Unglückliche, was ihr begegnet. Sie
begehrte, beim Pfarrer zu beichten; dieser aber wies sie
an den Bischof von Köln, und dieser schickte sie an den
Papst, der sie annahm und ihr als Buße auferlegte, daß
sie beständig drei eiserne Ringe trage, einen um den
Hals und zwei um die Arme. Die Reuige gehorchte und zog
nach Maastricht, wo sie in ein Kloster von Büßerinnen
sich einschloß und vierzehn Jahre in strenger Buße
lebte. Eines Morgens bemerkte sie beim Aufstehen, daß
die drei Ringe zerbrochen waren. Zwei Jahre danach starb
sie im Ruf der Heiligkeit. Sie ließ sich mit den drei
Ringen begraben, die sie aus einer Sklavin der Hölle zu
einer glücklichen Sklavin ihrer Retterin gemacht hatten.
Gebet
Erhabene Mutter Gottes und meine Mutter Maria! Ich bin
nicht wert, deinen Namen auszusprechen; du aber, die
mich liebt und mein Heil begehrt, verleihe mir trotz
meiner unreinen Zunge, daß ich allezeit deinen
heiligsten und mächtigsten Namen zu meiner Hilfe anrufen
kann; denn dein Name ist Hilfe im Leben und Rettung im
Tod. O reinste Maria, o süßeste Maria! Bewirke, daß von
jetzt an dein Name der Atem meines Lebens sei. Säume
nicht o Herrin, mir allezeit zu helfen, so oft ich dich
anrufe; in allen Versuchungen, die mich bedrängen, und
in allen Nöten, die mich treffen werden, will ich nicht
unterlassen, dich zu rufen und immer zu wiederholen:
Maria! Maria! So hoffe ich zu tun im Leben, so hoffe ich
es besonders im Sterben zu tun, um danach im Himmel
deinen geliebten Namen ewig zu loben, o gütige, o süße,
o milde Jungfrau Maria! O Maria, o liebenswürdigste
Maria! Welchen Trost, welche Süßigkeit, welches
Vertrauen, welche Zärtlichkeit empfindet meine Seele,
wenn ich dich nur nenne, wenn ich nur an dich denke.
Ich danke meinem Gott und Herrn, daß Er dir zu meinem
Heil den so süßen, so liebenswürdigen, so mächtigen
Namen gegeben hat. Aber meine liebe Frau, ich bin nicht
zufrieden, deinen Namen nur zu nennen; ich will ihn
nennen aus Liebe; ich will, daß die Liebe mich erinnere
zu jeder Stunde dich zu rufen, so daß ich mit dem hl.
Anselm von Lucca sprechen kann: „Meine Liebe ist der
Name der Mutter Gottes!” O meine liebe Mutter Maria, o
mein geliebter Jesus, eure süßesten Namen sollen
allezeit in meinem und aller Menschen Herzen leben! Möge
mein Verstand alle anderen Namen vergessen, wenn ich nur
euere hochgebenedeiten Namen behalte und allezeit
anrufe. O Jesus, mein Erlöser, und Maria meine Mutter!
Kommt einmal der Augenblick des Todes, da meine Seele
scheiden muß aus diesem Leben, o dann verleiht mir um
eurer Verdienste willen die Gnade, zu sprechen und zu
wiederholen: Ich liebe euch, o Jesus und Maria! Jesus
und Maria, euch schenke ich mein Herz und meine Seele.
Amen.
Gebete einiger Heiligen zur Mutter Gottes
(Die Gebete sind nicht nur für den Gebrauch, sondern auch um
die große Übereinstimmung der Heiligen im Glauben an die
Macht und Barmherzigkeit Mariens sowie das Vertrauen auf
ihren mächtigen Schutz zu erkennen. Hl. Alfons)
Gebet des hl. Ephräm
O unbefleckte und ganz reine Jungfrau Maria, Mutter
Gottes, Königin der Welt, unsere gütigste Herrin, du
bist erhöht über alle Heiligen, du die einzige Hoffnung
der Väter, du das Frohlocken der Gerechten. Durch dich
sind wir versöhnt mit unserem Gott. Du bist die einzige
Fürsprecherin der Sünder, der sichere Hafen der
Schiffbrüchigen. Du bist der Trost der Welt, das
Lösegeld der Gefangenen, die Freude der Kranken, die
Wonne der Betrübten, die Zuflucht und das Heil der
ganzen Welt. O große Herrin, Mutter Gottes, beschirme
uns mit den Flügeln deiner Barmherzigkeit, habe Mitleid
mit uns. Keine andere Hoffnung ist uns gegeben als dich,
o reinste Jungfrau! Dir sind wir geschenkt und deinem
Dienst geweiht, deiner Diener Namen tragen wir; laß
nicht zu, daß Luzifer uns in die Hölle ziehe.
O unbefleckte Jungfrau, wir stehen unter deinem Schutz
und flüchten uns zu dir allein flehend, du magst
verhüten, daß dein Sohn, erzürnt über unsere Sünden, uns
der Gewalt des Teufels überlasse.
O Gnadenvolle, erleuchte meinen Verstand, löse meine
Zunge, damit ich dein Lob singe und besonders den
englischen Lobgesang (Ave Maria), der dir so sehr
gebührt. Ich grüße dich, o Friede, o Freude, o Trost der
ganzen Welt. Ich grüße dich du größtes Wunder in der
Welt, Wonne des Paradieses, sicherer Hafen in jeder
Gefahr, Quell der Gnaden, Mittlerin zwischen Gott und
den Menschen.
Gebet des hl. Bernhard
Wir erheben zu dir, o Königin der Welt, unsere Augen.
Nach so vielen Sünden müssen wir vor unserem Richter
erscheinen; wer wird Ihn versöhnen? Niemand vermag es
mehr als du, o hl. Frau, die du Ihn so sehr geliebt und
von Ihm so zärtlich geliebt bist. Höre also, Mutter der
Barmherzigkeit, mit deinem Herzen unser Seufzen und
Flehen. Wir flüchten unter deinen Schutz; besänftige den
Zorn deines Sohnes und bring uns in seine Gnade zurück.
Du stößt den Sünder nicht von dir, ist er auch noch so
beschmutzt, du verwirfst ihn nicht, wenn er zu dir
seufzt und reuig deine Vermittlung erfleht. Mit
barmherziger Hand rettest du ihn vor der Verzweiflung.
Du ermutigst ihn zu hoffen, stärkst und verläßt ihn
nicht, bis du ihn mit seinem Richter versöhnt hast. Du
allein bist die Jungfrau, in welcher der Heiland seine
Ruhestätte gefunden und ohne Maß alle seine Schätze
niedergelegt hat. Die ganze Welt ehrt darum, o hl.
Herrin, deinen jungfräulichen Schoß als den Tempel
Gottes, in dem das Heil der Welt seinen Anfang genommen.
Dort geschah die Versöhnung zwischen Gott und dem
Menschen. Du bist der verschlossene Garten, o erhabene
Gottesgebärerin, wohin nie die Hand des Sünders
gelangte, um die Blüte zu knicken.
Du bist das Paradies, in den Gott alle Blumen gepflanzt
hat, welche die Kirche zieren, so das Veilchen deiner
Demut, die Lilie deiner Reinheit, die Rose deiner
Liebe. Mit wem sollen wir dich vergleichen, o Mutter der
Gnade und Schönheit? Du bist das Paradies Gottes. Von
dir geht aus der Quell des lebendigen Wassers, der die
ganze Erde bewässert. O wie viele Wohltaten hast du der
Welt gebracht, da du es verdient hast, der Kanal des
Heiles zu werden.
Von dir heißt es: „Wer ist die, die da aufsteigt wie die
Morgenröte, schön wie der Mond, auserlesen wie die
Sonne?” (Hl 6,9) Du bist in die Welt gekommen, Maria,
wie die leuchtende Morgenröte, indem das Licht deiner
Heiligkeit dem Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit
voranging. Der Tag, an dem du in der Welt erschienen,
kann mit Recht der Tag des Heiles, der Tag der Gnade
genannt werden. Du bist schön wie der Mond; denn wie
kein Planet der Sonne ähnlicher ist, so ist kein
Geschöpf Gott so ähnlich wie du. Der Mond erhellt die
Nacht mit dem Licht, das er von der Sonne empfängt, und
du erleuchtest unsere Finsternis mit dem Glanz deiner
Tugenden. Doch du bist schöner als der Mond; denn an dir
findet sich weder Makel noch Schatten. Du bist
auserlesen wie die Sonne, ich meine jene Sonne, welche
die Sonne geschaffen hat: Jesus ist der Auserwählte aus
allen Menschen und du die Gesegnete aus allen Frauen. O
süße, o große, o ganz liebenswürdige Maria, kein Herz
vermag deinen Namen hervorzubringen, ohne daß du es mit
deiner Liebe entzündest; wer dich liebt, kann nicht an
dich denken, ohne zu größerer Liebe sich bewegt zu
fühlen. O hl. Herrin hilf unserer Schwäche! Wer kann
besser bei unserem Herrn Jesus Christus für uns sprechen
als du, die du als die Ihm nächste seines süßesten
Umganges dich erfreust? Sprich also, sprich, o Herrin,
dein Sohn horcht auf dich und gewährt dir alles, um was
du bittest.
Gebet des hl. Germanus von Konstantinopel
O meine Herrin, mein einziger Trost, den ich von Gott
empfange; du allein bist der himmlische Tau, der
Linderung meinen Leiden bringt; du das Licht meiner
Seele, wenn Finsternis sie umgibt; du mein Führer auf
der Pilgerschaft; du Stärke meiner Schwachheit; du
Reichtum meiner Armut; du Heilung meiner Wunden, du
Trost meiner Trübsal; du Zuflucht in meinem Elend; du
Hoffnung meines Heiles, erhöre mein Flehen, habe
Erbarmen mit mir, wie es der Mutter eines Gottes
zukommt, der solche Liebe zu den Menschen trägt.
Gewähre, was ich bitte, du unser Schutz, unsere Freude.
Mach mich würdig, mit dir jener großen Seligkeit mich zu
erfreuen, die du im Himmel genießt. Ja, meine
Gebieterin, meine Zuflucht, mein Leben, meine Hilfe,
mein Schutz, meine Stärke, meine Freude, meine Hoffnung!
Bewirke, daß ich zu dir in den Himmel komme. Ich weiß,
daß du als die Mutter Gottes, wenn du willst, mir dies
erlangen kannst. O Maria, du bist allmächtig, die Sünder
zu retten, du bedarfst keiner anderen Unterstützung,
weil du die Mutter des wahren Lebens bist.
Gebet des Abtes von Celles
Ziehe mich dir nach, o Jungfrau Maria, auf daß ich dem
Duft deiner Wohlgerüche nacheile. Ziehe mich, denn meine
Sündenlast und meiner Feinde Bosheit halten mich zurück.
Wie niemand zu deinem Sohn kommt, den der himmlische
Vater nicht
zieht, so wage ich auch von dir zu sagen, daß niemand zu
Ihm kommt, den du nicht durch deine hl. Fürbitten
hinziehst. Du lehrst uns die wahre Weisheit; du erlangst
den Sündern die Gnade, die du ihre Fürsprecherin bist,
du verheißt deinen Verehrern die Herrlichkeit, denn du
bist die Schatzmeisterin der Gnaden. O süßeste Jungfrau,
du hast Gnade gefunden bei Gott; du bist vor der
Erbsünde bewahrt geblieben; du bist voll des Hl. Geistes
und hast den Sohn Gottes empfangen. Alle diese Gnaden
hast du empfangen, o demütigste Maria, nicht für dich
allein, sondern auch für uns, damit du uns in allen
Nöten beistehst. Und das tust du auch; du hilfst den
Guten, in der Gnade sie erhaltend, den Bösen, sie zur
göttlichen Barmherzigkeit zurückführend; du hilfst den
Sterbenden durch deinen Schutz gegen die Nachstellungen
des Teufels, und hilfst ihnen auch nach dem Tod, indem
du ihre Seelen aufnimmst
und in das Reich der Seligen führst.
Gebet des hl. Methodius
Dein Name, o Mutter Gottes, ist aller Gnaden und
Segnungen voll. Du hast den umschlossen, der unermeßlich
ist, und den genährt, der alles nährt. Der Himmel und
Erde erfüllt und alles beherrscht, wollte deiner
bedürfen, indem du Ihm das Gewand des Fleisches gegeben,
das Er vorher nicht besaß. Freue dich, o Mutter und Magd
deines Gottes. Ja, freue dich, freue dich, du hast den
zum Schuldner, der allen Kreaturen das Dasein gibt. Wir
alle sind Gottes Schuldner, Gott aber ist dein
Schuldner. Darum hast du, o heiligste Mutter Gottes,
mehr Güte und mehr Liebe als alle anderen Heiligen und
mehr als alle hast du im Himmel Zutritt bei Gott, da du
seine Mutter bist. Wir, die wir deine Herrlichkeit
lobpreisen und die Größe deiner Güte erkennen, bitten
dich, unser und unseres Elendes eingedenk zu sein.
Gebet des hl. Johannes von Damaskus
Ich grüße dich, o Maria, du Hoffnung der Christen.
Erhöre die Bitten eines Sünders, der dich zärtlich
liebt, dich besonders ehrt und auf dich alle Hoffnung
seines Heiles setzt. Von dir habe ich das Leben, du hast
mich wieder in den Stand der Gnade deines Sohnes
gesetzt. Du bist das sichere Unterpfand meiner
Seligkeit. Darum flehe ich zu dir, du wollest mich
befreien von meiner Sündenlast. Zerstreue die Finsternis
meines Geistes, vertreibe die irdischen Neigungen aus
meinem Herzen, halte zurück die Versuchungen meiner
Feinde und leite so mein Leben, daß ich durch deine
Vermittlung und unter deiner Leitung zur ewigen
Seligkeit im Himmel gelange.
Gebet des hl. Andreas von Kreta oder von Jerusalem
Ich grüße dich, du Gnadenvolle, der Herr ist mit dir!
Ich grüße dich, du Ursache unserer Freude, durch die das
Urteil unserer Verdammung zurückgenommen und in ein
Urteil des Segens verwandelt worden ist. Ich grüße dich,
du Tempel der Herrlichkeit Gottes, du hl. Wohnstätte des
Königs der Himmel. Du bist die Versöhnung zwischen Gott
und dem Menschen. Ich grüße dich, du Mutter unserer
Freude. Du
bist fürwahr gebenedeit, denn du allein bist unter den
Frauen würdig erfunden worden, die Mutter deines
Schöpfers zu sein. Alle Völker preisen dich selig. O
Maria, wenn ich auf dich mein Vertrauen setze, werde ich
selig werden; bin ich unter deinem Schutz, dann habe ich
nichts zu fürchten; wer dich andächtig verehrt, der hat
sichere Waffen des Heiles, die Gott nur denen verleiht,
die Er selig machen will.
O Mutter der Barmherzigkeit, versöhne uns mit deinem
Sohn. Als du auf Erden lebtest, warst du in
Verborgenheit; jetzt aber bist du erhöht bis zum
höchsten Himmel und die ganze Welt betrachtet dich als
den Gnadenthron für alle Völker. Darum bitten wir dich,
heiligste Jungfrau, stehe uns bei durch deine Fürsprache
bei Gott; deine Fürsprache ist uns teurer und kostbarer
als alle Schätze der Welt; deine Fürbitte macht Gott
gnädig gegen unsere Sünden und erlangt uns überfließende
Gnade der Verzeihung und Gottseligkeit; deine Fürbitten
halten unsere Feinde zurück, verwirren ihre Anschläge
und triumphieren über ihre Gewalt.
Gebet des hl. Ildephons
Ich komme zu dir, o Mutter Gottes, und flehe, du wollest
mir Verzeihung meiner Sünden erlangen und vollbringen,
daß ich gereinigt werde von jeder Schuld meines Lebens.
Ich bitte dich um die Gnade, in Liebe mit deinem Sohn
und mit dir vereinigt zu sein, mit deinem Sohn als
meinem Gott und mit dir als der Mutter meines Gottes.
Gebet des hl. Athanasius
Höre unser Flehen, heiligste Jungfrau, und gedenke
unser! Gib uns Geschenke aus den Schätzen und dem Überfluß der Gnaden, von denen du voll bist. Der
Erzengel grüßt und nennt dich voll der Gnade; alle
Völker preisen dich selig; alle hl. Ordnungen im Himmel
benedeien dich, und wir, die wir zur irdischen
Hierarchie gehören, auch wir sagen, sei gegrüßt du
Gnadenvolle, der Herr ist mit dir, bitte für uns, Mutter
Gottes, unsere Herrin und unsere Königin.
Gebet des hl. Anselm
Wir bitten dich, o heiligste Herrin, durch die Gnade, in
der dich Gott so sehr erhöht und dir alles, wie Er
selbst, zu vollbringen verliehen hat, bewirke nach der
von dir verdienten Gnadenfülle, daß wir deiner
Herrlichkeit teilhaft werden. Sorge, o barmherzigste
Herrin, daß wir das Heil erlangen, um dessentwillen Gott
sich gewürdigt hat, in deinem jungfräulichen Schoß
Mensch zu werden. Laß es dich nicht verdrießen, uns zu
erhören. Wenn du deinen Sohn bitten willst, so wird Er
alsbald dich erhören. Es genügt, daß du unser Heil
willst; dann ist es unmöglich, daß wir nicht selig
werden. Wer vermöchte deine mildesten Erbarmungen zu
verkürzen? Wenn du mit uns kein Mitleid hast, du die
Mutter der Barmherzigkeit, was soll dann aus uns werden,
wenn dein Sohn, um zu richten, erscheinen wird?
Komme uns also zu Hilfe, o liebevollste Herrin, und
siehe nicht auf die Menge unserer Sünden. Gedenke immer
wieder, daß unser Schöpfer einen menschlichen Leib aus
dir angenommen hat, nicht um die Sünder zu verdammen,
sondern um sie zu retten. Wärst du nur zu deinem Besten
Mutter Gottes geworden, dann
dürfte man sagen, du seist wenig bekümmert, ob wir selig
oder verdammt werden; Gott hat es aber zu deinem und
aller Menschen Heil das Gewand der Menschheit
angenommen. Was würde es uns nützen, daß du so mächtig
und so glorreich bist, wenn du uns deiner Seligkeit
nicht teilhaftig machst? Hilf uns und beschütze uns; du
weißt, wie notwendig uns dein Beistand ist. Wir
empfehlen uns dir; laß uns nicht zugrunde gehen, sondern
mache, daß wir deinem Sohn dienen und Ihn ewig lieben.
Gebet des hl. Petrus Damianus
Heiligste Jungfrau, Mutter Gottes! Komm denen zu Hilfe,
die um deinen Beistand dich anflehen. Wende dich zu uns.
Wie könntest du, so nahe zu Gott erhöht, der Menschen
vergessen? Nein, gewiß nicht! Du weißt ja, in welchen
Gefahren du uns gelassen, du kennst den elenden Zustand
deiner Diener; nein, nimmer ziemt es sich einer
Barmherzigkeit, so groß wie deine, nicht zu gedenken
eines Elendes, so groß wie das unsere. Wende dich mit
deiner Macht zu uns; denn der da mächtig ist, hat dir
die Allmacht verliehen im Himmel und auf Erden. Dir ist
nichts unmöglich; denn du vermagst auch die
Verzweifelnden zur Hoffnung ihres Heiles zu erheben. Je
mächtiger du bist, um so barmherziger mußt du auch sein.
Wende auch in deiner Liebe dich zu uns! Ich weiß, meine
liebe Frau, du bist voll Güte und liebst uns mit einer
Liebe, die von keiner Liebe übertroffen werden kann. Wie
oft besänftigst du den Zorn unseres Richters, wenn Er im
Begriff steht, uns zu strafen! Alle Schätze der
göttlichen Barmherzigkeit sind in deiner Hand. Ach, nie
möge es geschehen, daß du aufhörst, uns Gutes zu
erzeigen. Du suchst nur Gelegenheit alle Elenden zu
erretten und über alle deine Erbarmungen auszugießen. Es
ist ja Mehrung deiner Herrlichkeit, wenn durch deine
Vermittlung die Büßer Versöhnung und die Versöhnten den
Himmel erlangen. Wende dich also zu uns, damit wir zu
deiner Anschauung im Himmel gelangen; die größte
Herrlichkeit, die wir besitzen können, ist, dich nächst
Gott zu schauen, dich zu lieben, und unter deinem Zepter
zu stehen. Ach, erhöre uns; denn dein Sohn will dich
damit ehren, daß Er dir keine Bitte verweigert.
Gebet des hl. Erzbischofs Wilhelm
O Mutter Gottes, ich komme zu dir und beschwöre dich,
mich nicht zu verstoßen; denn die ganze Kirche nennt und
verkündet dich als die Mutter der Barmherzigkeit. Du
bist Gott so teuer, daß Er dich allezeit erhört; deine
Mutterliebe hat keinem je gefehlt, deine gütigste Milde
hat nie einen Sünder verachtet, der sich dir empfohlen,
wie groß auch seine Sünden waren. Oder sollte fälschlich
und umsonst die hl. Kirche dich ihre Sachwalterin und
die Zuflucht der Elenden nennen? Nein! Nie möge mein
Verschulden dich zurückhalten, dein erhabenes Amt der
Erbarmung als die Fürsprecherin und Mittlerin des
Friedens, als die einzige Hoffnung und sicherste
Zuflucht der Elenden zu erfüllen. Nie geschehe, daß die
Mutter Gottes, die zum Heil der ganzen Welt den Quell
der Barmherzigkeit geboren, ihre Erbarmung einem Elenden
zu verweigern hätte, der zu ihr seine Zuflucht nimmt.
Dein Amt ist es, die Friedensstifterin zu sein zwischen
Gott und den Menschen; deine große Barmherzigkeit, die
alle meine Sünden so weit übersteigt, bewege dich also
zu meiner Hilfe.
2. Teil - Die sieben Hauptfeste Mariens
1. Kap. - Die Unbefleckte Empfängnis Mariens - 8. Dez.
Es entsprach der Heiligkeit der drei göttlichen
Personen,
Maria vor der Erbsünde zu bewahren
Unermeßlich ist das Verderben, das Adam sich und dem
ganzen Menschengeschlecht durch seinen unseligen Fall
zugezogen hat; denn mit der Gnade verlor er auch alle
anderen Gaben, mit denen er anfangs ausgestattet war,
und zog auf sich und alle seine Nachkommen mit dem Zorn
Gottes die Fülle aller Übel herab. Von diesem
allgemeinen Unheil jedoch wollte Gott jene gebenedeite
Jungfrau ausnehmen, die Er zur Mutter des zweiten Adam,
Jesus Christus, bestimmt hatte, der den vom ersten
angerichteten Schaden wieder gutmachen sollte.
Betrachten wir nun, wie sehr es der Heiligkeit Gottes
und der drei göttlichen Personen entsprach, Maria als
die Tochter des Vaters, als die Mutter des Sohnes und
als die Braut des Hl. Geistes davor zu bewahren.
In erster Reihe also entsprach es der Heiligkeit des
ewigen Vaters zu bewirken,
daß Maria vom Makelder Erbsünde frei blieb, weilsie
seine Tochter und zwar erstgeborene Tochter war, wie sie
selbst bezeugt: „Ich bin aus dem Mund des Allerhöchsten
hervorgegangen, zuerst gezeugt vor aller Schöpfung”
(Sir
24,5), was die hl. Schriftausleger, hl. Kirchenväter und
die hl. Kirche selbst gerade am Fest ihrer Empfängnis
als auf Maria sich beziehen. Mag nun Maria mit der
Schule des hl. Johannes Duns Scotus die Erstgeborene
überhaupt genannt werden, weil in dem ewigen Ratschluß
Gottes zugleich mit ihrem Sohn als die Erste vor und
über allen Kreaturen vorherbestimmt, oder mit der Schule
des hl. Thomas „Erstgeborene der Gnade”, weil sie von
Gott zur Mutter des Erlösers nach seiner Voraussicht des
Sündenfalles vorherbestimmt: Beide Schulen treffen in
dem Namen „Erstgeborene Gottes” zusammen. Diesem Vorrang Mariens als der Erstgeborenen Gottes war es vollkommen
entsprechend, daß sie niemals eine Sklavin Luzifers,
sondern immer und ausschließlich Eigentum ihres
Schöpfers war; wie dies in Wirklichkeit nach ihren
eigenen Worten sich also verhielt: „Der Herr besaß mich
vom Anfang seiner Wege.”
(Spr 8,22) Mit Recht wird darum
Maria von Dionysius, Erzbischof von Alexandria, „die
eine und einzige Tochter des Lebens” genannt, zum
Unterschied von den anderen, die in der Sünde geborene
Töchter des Todes sind.
[Der hl. Johannes Dun Scotus lehrte, daß Maria von der
Erbsünde bewahrt wurde.
Die hl. Albert und Thomas sagten, daß sie gleich nach /
bei der Empfängnis geheiligt wurde, dann wäre es keine
ganz unbefleckte Empfängnis.]
Ferner war es der Heiligkeit Gottes des Vaters
entsprechend, Maria in seiner Gnade zu erschaffen, da Er
sie, nach dem ausdrücklichen Zeugnis der Väter, zur
Wiederherstellerin der verlorenen Welt und zur
Friedensmittlerin zwischen den Menschen und Gott
vorherbestimmt hatte. So spricht sich besonders der hl.
Johannes von Damaskus aus, wenn er sagt: „O gebenedeite
Jungfrau, du bist geboren, um zum Heil des ganzen
Erdkreises mitzuwirken.” Und der hl. Bernhard lehrt, daß
Maria durch die Arche Noe vorgebildet war; denn wie
durch diese die Menschen aus der Sündflut gerettet
wurden, so werden wir durch Maria aus dem Schiffbruch
der Sünde gerettet, jedoch mit dem Unterschied, daß
mittels der Arche nur wenige bewahrt wurden, durch Maria
aber viele gerettet werden. Darum wird Maria von dem
hl. Athanasius „die neue Eva, die Mutter des Lebens”
- genannt. Neue Eva, weil die erste eine Mutter des Todes
war, die allerseligste Jungfrau aber eine Mutter des
Lebens ist. Der hl. Theophanes, Bischof von Nizäa, nennt
sie: „Sei gegrüßt, die du Evas Trauer hinweggenommen”,
der hl. Basilius von Seleukia:
„Sei gegrüßt, du Friedensstifterin zwischen Gott und den
Menschen”, der hl. Ephräm:
„Sei gegrüßt, du Mittlerin der ganzen Welt!”
Nun aber ziemt es sich für einen Mittler des Friedens
gewiß nicht, daß er selber ein Feind des Beleidigten und
noch viel weniger, daß er ein Mitschuldiger an demselben
Verbrechen sei. Der hl. Gregor sagt, daß ein Feind des
Richters nicht zu ihm gehen könne, ihn zu versöhnen,
sonst würde er den Richter, statt zu besänftigen, nur
noch mehr erzürnen. So sprechen also alle Gründe dafür, daß, Maria die Mittlerin des Friedens zwischen den
Menschen und Gott, nicht auch eine Sünderin und Feindin
Gottes ist, sondern ganz seine Freundin und rein von
aller Schuld. Weiterhin entsprach es der Heiligkeit
Gottes, Maria vor der Erbschuld zu bewahren, weil Er sie
bestimmte, der höllischen Schlange den Kopf zu
zertreten, die durch Verführung der Stammeltern allen
Menschen den Tod gebracht hat, wie schon der Herr ihr
vorhergesagt: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir
und der Frau, deinem Samen und ihrem Samen; sie wird dir
das Haupt zertreten.” (Gen 3,15) Wenn demnach Maria als
die starke Frau in die Welt gestellt sein sollte, um
Luzifer zu überwinden, so konnte es gewiß nicht angehen,
daß sie selbst zuvor von Luzifer besiegt und zu seiner
Sklavin gemacht wurde; sondern es war im Gegenteil
erforderlich, daß sie von jeder Makel und jeder
Unterwerfung unter den Feind ausgenommen war. Es suchte
zwar der stolze Geist, gleichwie er mit seinem Gift das
ganze Menschengeschlecht angesteckt hatte, auch die
reinste Seele dieser Jungfrau damit anzustecken; aber
ewig sei gelobt die Güte Gottes, die zu diesem Zweck ihr
mit soviel Gnade zuvorkam, daß sie bewahrt vor aller
Schuld, seinen Stolzniederschlagen und beschämen konnte
wie dies der hl. Augustinus, oder wer sonst der
Verfasser des Kommentars über die Genesis sein mag,
beschreibt, wenn er sagt: „Da der Teufel das Haupt der
Erbsünde ist, so hat Maria dieses Haupt zertreten, weil keine Art von Unterwerfung unter die Sünde den
Zutritt in die Seele der Jungfrau hatte, und sie darum
von jeder Befleckung frei geblieben ist.” Noch
deutlicher drückt sich der hl. Bonaventura aus: „Es
geziemte sich, daß die allerseligste Jungfrau Maria,
durch die von uns die Schmach hinweggenommen wird, den
Teufel besiegte und ihm auch nicht einen
Augenblick unterlag.”
Doch der wichtigste und vornehmste Grund, warum es der
Heiligkeit Gottes des ewigen Vaters so sehr entsprach,
diese seine Tochter unversehrt von Adams Schuld zu
erhalten, war, weil sie zur Mutter seines Eingeborenen
bestimmt war. „Du warst vor jeder Kreatur im Ratschluß Gottes
vorherbestimmt, um Gott
selbst als Menschen zu gebären”, sagt der hl. Bernhardin
von Siena. Wenn also aus keiner anderen Ursache, so wäre
es für Gott den Vater allein schon um der Ehre Gottes
seines Sohnes willen ein Grund gewesen, Maria rein von
jedem Makel zu erschaffen. Der englische Lehrer, der hl.
Thomas, sagt, daß alle Dinge, die für Gott bestimmt
sind, heilig und rein von allem Makel sein müssen. „Die
Heiligkeit kommt jenen Dingen zu, die zu Gott in
Beziehung stehen» Darum sprach David, als er den Plan
zum Tempel von Jerusalem mit jener Pracht entwarf, wie
sie dem Herrn gebührte: „Nicht einem Menschen wird eine
Wohnung bereitet, sondern Gott.”
(1 Chr 29,1) Wie viel
mehr Ursache haben aber wir zu glauben, daß der höchste
Schöpfer, in Vorherbestimmung Mariens zur Mutter seines
eigenen Sohnes, ihre Seele mit allen erhabensten Zierden
schmücken mußte, auf daß sie die würdige Wohnung eines
Gottes werde! Dies bestätigt Dionysius der Karthäuser
mit den Worten: „Um seinem Sohn eine würdige Wohnung zu
bereiten, schmückte Er sie mit der Fülle aller
gottgefälligen Gaben.” Und die hl. Kirche selbst
versichert uns dies, da sie bezeugt, daß Gott den Leib
und die Seele der Jungfrau bereitete, um die würdige
Wohnung seines Eingeborenen zu sein. „Allmächtiger
ewiger Gott, der Du den Leib und die Seele der seligsten
Jungfrau durch Mitwirkung des Hl. Geistes zu einer
würdigen Wohnung deines eingeborenen Sohnes bereitet
hast...”
Der erste Vorzug für Kinder ist bekanntlich
eine edle Herkunft. „Die Ehre der Söhne sind ihre
Väter.” (Spr 17,6) Darum gilt es in der Welt als ein
kleineres Übel, für arm an Glücksgütern und
Gelehrsamkeit zu gelten, als von unedler Herkunft zu
sein; denn der Arme kann reich durch Arbeitsamkeit, der
Unwissende gelehrt durch Studium werden; wer aber
niedriger Herkunft ist, erschwingt sich schwer zu
vornehmem Stand, und kommt er je dazu, so geschieht es
meist, daß der alte Mangel seiner Herkunft ihm
vorgehalten wird. Wie mag man also denken, daß Gott, der
seinen Sohn von einer edlen, vor aller Schuld bewahrten
Mutter geboren lassen werden konnte, gewollt habe, daß
Er von einer sündebefleckten Mutter geboren werde, womit
Er zugelassen hätte, daß Luzifer immerdar die Schmach
Ihm hätte vorwerfen können, Er sei von einer Mutter
geboren, die seine Sklavin war, und eine Feindin Gottes?
Nein! Dies hat Gott fürwahr nicht zugelassen, sondern im
Gegenteil bewahrte Er sehr gut die Ehre seines Sohnes,
indem Er bewirkte, daß Maria, um die würdige Mutter
eines solchen Sohnes zu werden, allzeit rein und
unbefleckt blieb. Dies bezeugt auch die griechische
Kirche: „Durch besondere Vorsehung bewirkte Gott, daß
die allerseligste Jungfrau vom ersten Augenblick ihres
Lebens so durchaus rein war, wie es sich für diejenige
schickte, die eine Christi würdige
Mutter werden sollte.”
Es gilt unter den Gottesgelehrten als unbestreitbare
Wahrheit, daß keinem Geschöpf je eine Gabe verliehen
wurde, mit der nicht auch die allerseligste Jungfrau
ausgestattet war. Der hl. Bernhard sagt: „Es wäre gewiß
ein Unrecht, auch nur zu denken, daß der allerseligsten
Jungfrau irgendeine Gabe nicht verliehen worden sei, die
einzelne andere Sterbliche in Wirklichkeit empfangen
hatten”; und der hl. Thomas von Villanova:
„Nichts ist je einem Heiligen verliehen worden, was
nicht in Maria vom Anfang ihres Lebens in reichster
Fülle hervorleuchtete.” Und da in Wahrheit zwischen der
Mutter
Gottes und den Dienern Gottes, nach dem berühmten
Ausspruch des hl. Johannes von Damaskus, ein unendlicher
Abstand ist, so ist für gewiß anzunehmen, was der hl.
Thomas lehrt, daß nämlich der Mutter Gottes höhere
Vorzüge der Gnade jeder Art gebühren, als den Dienern
Gottes.
Dies vorausgesetzt, frage ich nun mit dem hl. Anselm,
dem großen Verteidiger der unbefleckten Jungfrau: „War
etwa die Weisheit Gottes unvermögend eine reine Wohnung
zu erbauen mit Fernhaltung jeder Makel menschlicher
Gebrechlichkeit? Konnte Gott die Engel des Himmels vor
der Schuld bewahren, in die ein Teil derselben fiel,
sollte Er dann nicht auch die Mutter seines Sohnes
unberührt von der Sünde des Menschengeschlechtes
erhalten können?” Hat Gott, behaupte ich weiter, Eva die
Gnade verleihen können, unbefleckt auf die Welt zu
kommen, sollte Er nicht auch im Stande sein Maria diese
Gabe zu verleihen? Ja, es geschah!
Was Gott zu tun
vermochte, das hat Er auch getan; denn in jeder Hinsicht
entsprach es seiner Heiligkeit wie der hl. Anselm sagt,
„daß die Jungfrau, der Gott seinen einzigen Sohn zu
geben beschloß, in solcher Reinheit erglänze, wie eine
größere nach Gott sich nicht denken läßt”, die also die
Reinheit aller Engel und Menschen übertrifft. Noch
bestimmter drückt sich der hl. Johannes von Damaskus
aus: „Zugleich mit dem Leib hat Er auch die Seele der
Jungfrau bewahrt, wie es derjenigen gebührte, die Gott
in ihrem Schoß empfangen sollte; denn da Er heilig ist,
so ruht Er in den Heiligen.” Und so konnte der ewige
Vater wohl zu dieser geliebten Tochter sprechen: „Wie
die Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter
den Töchtern” (Hl 2,2),
d. h. unter allen anderen meinen Töchtern bist du wie
eine Lilie unter den Dornen, denn diese sind alle von
Sünde befleckt; aber du warst immer unbefleckt und immer
meine Freundin.
II. Zweitens war es der Heiligkeit Gottes des Sohnes
gemäß, Maria als seine Mutter vor der Schuld zu
bewahren. Allen anderen Söhnen ist es nicht gestattet,
die Mutter sich nach ihrem Gefallen zu wählen; aber wenn
dies jemals Einem vergönnt wäre, wer wollte sich, so er
zur Mutter eine Königin haben könnte, eine Sklavin
wählen? Wenn er eine edle haben könnte, eine gemeine?
Wenn er eine Freundin Gottes haben könnte, eine Feindin
Gottes? Wenn also allein der Sohn Gottes die Mutter sich
erwählen konnte, so muß man doch für gewiß annehmen, daß
Er eine wählte, wie sie seiner Heiligkeit als der Gottes
entsprechend war.
Der hl. Bernhard sagt: „Der Schöpfer der Menschen mußte,
da Er von einem Menschen geboren werden wollte, sich
eine solche Mutter wählen, von der Er wußte, daß sie
sich für Ihn schicke.” Und da es der unendlichen
Reinheit Gottes allein entsprach, eine von jeder Schuld
bewahrte Mutter zu besitzen, so erschuf Er sich auch
eine solche. Dies bestätigt der hl. Bernhardin von Siena
mit den Worten: „Die Maria als der Mutter Gottes
gebührende Heiligkeit schließt jeden Makel der Erbsünde
aus. Diese Heiligkeit besaß Maria; denn in Wahrheit hat
sich Gott sowohl in Rücksicht der natürlichen Vorzüge,
als wie der Vollkommenheit der Gnadengaben eine solche
Mutter bereitet, wie Ihm gebührte, eine Mutter zu
besitzen.”
Es finden hier die Worte des hl. Apostels auch ihre
Anwendung, wenn er vom
heiligsten Erlöser an die Hebräer schreibt: „Einen
solchen Hohenpriester mußten wir haben, heilig,
unschuldig, unbefleckt, getrennt von den Sündern.”
(Hebr
7,26) Der hl. Thomas gibt die Erklärung: „Der, welcher
kam, um die Sündenwegzunehmen, mußte von den Sündern
abgesondert sein in Beziehung auf die Schuld, der Adam
unterworfen war.” Aber wie konnte Jesus Christus von den
Sündern getrennt heißen, wenn Er eine sündige Mutter
hätte?
Der hl. Ambrosius sagt: „Nicht von der Erde, sondern vom
Himmel erwählte sich Christus das Gefäß, durch das Er
herabsteigen wollte, und heiligte sich einen Tempel der
Reinheit.” Damit spielt der Heilige auf das Wort des
hl.
Paulus an:
„Der erste Mensch ist irdisch von der Erde, der zweite
himmlisch vom Himmel.” (1 Kor 15,47)
Der hl. Ambrosius
nennt die göttliche Mutter ein himmlisches Gefäß, nicht
als ob Maria der Natur nach nicht von dieser Erde
gewesen wäre, wie gewisse Irrlehrer geträumt haben,
sondern himmlisch der Gnade nach, weil sie die Engel des
Himmels an Heiligkeit und Reinheit übertraf, wie sich
dies für einen König der Glorie geziemte, der in ihrem
Schoß wohnen wollte. Dies offenbarte Johannes der Täufer
der hl. Birgitta mit den Worten: „Es war nicht
geziemend, daß der König der Glorie in einem anderen als
im reinsten, vor allen Menschen und Engeln
auserlesensten Gefäß ruhte.” Damit trifft zusammen,
was
diese Heilige vom ewigen Vater vernehmen durfte: „Maria
war ein reines Gefäß, und war es auch nicht: sie war es,
weil ganz ohne Makel, sie war es nicht, weil von Sündern
abstammend; wenn schon ohne Sünde empfangen, auf daß
mein Sohn ohne Sünde von ihr geboren würde.” Und man
bemerke diese letzten Worte, daß nämlich Maria ohne
Sünde empfangen war, damit von ihr schuldlos der
göttliche Sohn geboren würde. Nicht als ob Jesus
Christus fähig gewesen wäre, die Schuld sich zuzuziehen,
sondern damit Er von der Schmach frei bliebe, eine
Mutter zu haben, die von der Sünde angesteckt und eine
Sklavin des Teufels gewesen.
Im Buch Jesus Sirach heißt es: „Der Ruhm eines Sohnes
ist die Ehre seines Vaters und die Schande des Sohnes
ist ein ehrloser Vater.” (Sir 3,13) Deswegen sagt der
hl. Augustinus, daß Jesus den Leib Mariens von der
Verwesung nach dem Tod bewahrte, weil es Ihm selbst zur
Unehre gereicht hätte, wenn das jungfräuliche Fleisch,
mit dem Er sich bekleidet hatte, von der Fäulnis
verdorben worden wäre. Hätte also für Jesus Christus die
Geburt aus einer der Verwesung des Leibes unterworfenen
Mutter zur Unehre gereicht, um wieviel mehr die Geburt
aus einer Mutter mit einer von der Fäulnis der Sünde
angesteckten Seele? Überdies ist nach dem Ausspruch des
hl. Augustinus das Fleisch Jesu Christi dasselbe wie das Mariens, und wenngleich durch die Herrlichkeit der
Auferstehung glorifiziert, ist es doch dasselbe
geblieben, das von Maria genommen worden ist, weshalb
Arnold von Chartres sagt: „Das Fleisch Mariens und
Christi ist eines, und deswegen glaube ich, daß die
Glorie des Sohnes nicht nur gemeinschaftlich, sondern
eine und dieselbe ist mit der der Mutter.” Wenn nun dies
wahr ist, so wäre, wenn je die allerseligste Jungfrau in
Sünde empfangen worden wäre, es für den Sohn, auch wenn
Er sich die Makel der Sünde nicht zugezogen hätte, doch
immer ein Makel geblieben, mit sich das Fleisch
vereinigt zu haben, das eine Zeitlang von der Schuld
angesteckt, ein Gefäß
der Unreinheit und Luzifer unterworfen war.
Maria war nicht bloß Mutter, sondern würdige Mutter des
Heilandes. So nennen sie alle hl. Väter. Der
hl.
Bernhard sagt: „Du allein bist würdig erfunden worden, daß in deinem jungfräulichen Brautgemach der König der
Könige sich seine reinste Wohnung erwählte”¸; der
hl.
Thomas von Villanova: „Bevor sie empfing, war sie schon
fähig, die Mutter Gottes zu sein.” Die hl. Kirche selbst
bezeugt uns, daß die Jungfrau verdiente, Mutter Jesu
Christi zu sein: „Die selige Jungfrau, deren Schoß
verdiente, Christus, den Herrn, zu tragen.” Dies der
hl.
Thomas von Aquin erklärt:
„Von der seligsten Jungfrau wird gesagt, daß sie
verdient habe, den Herrn der Welt zu tragen, nicht weil
sie verdient hat, daß Er Fleisch werde, sondern weil sie
aus der ihr verliehenen Gnade jenen Grad von Reinheit
und Heiligkeit verdiente, daß sie in geziemender Weise
die Mutter Gottes sein konnte.” Damit sagt also der
englische Lehrer, daß Maria die Menschwerdung des Wortes
nicht verdienen konnte, daß sie aber mittels der
göttlichen Gnade eine solche Vollkommenheit sich
verdient habe, durch die sie die würdige Mutter Gottes
geworden ist. Auch der hl. Augustinus schreibt: „Ihre
ganz einzige Heiligkeit aus Gnade hat verdient, der
Aufnahme Gottes einzig würdig erachtet zu werden.”
Dies nun vorausgesetzt, daß Maria eine würdige Mutter
Gottes war. „Welche Erhabenheit”, sagt der
hl. Thomas
von Villanova, „und welche Vollkommenheit mußten ihr
nicht zukommen?” Auch der englische Lehrer stellt den
Satz auf, daß, wenn Gott jemanden zu einer Würde erhebe,
Er ihn auch fähig dazu mache, und mit Anwendung auf
Maria sagt er: „Die selige Jungfrau wurde nach
göttlichem Ratschluß erwählt, Mutter Gottes zu sein; und
deswegen ist nicht zu zweifeln, daß sie Gott durch seine
Gnade hierzu fähig gemacht habe, nach dem Wort:„ Du hast
Gnade bei Gott gefunden; siehe, du wirst empfangen.” Und
daraus entnahm der Heilige, daß die allerseligste
Jungfrau nie eine Sünde, auch nicht eine läßliche
begangen hat; denn sonst wäre sie nicht eine würdige
Mutter Jesu Christi gewesen, weil die Schande der Mutter
auch die des Sohnes geworden wäre, wenn Er eine Sünderin
zur Mutter gehabt hätte. Wenn nun Maria schon durch das
Begehen einer einzigen läßlichen Sünde, welche die Seele
doch noch nicht der göttlichen Gnade beraubt, nicht eine
Gottes würdige Mutter gewesen wäre, um wie viel weniger
erst, wenn sie der Erbsünde schuldig gewesen wäre, die
sie zur Feindin Gottes und zur Sklavin des Teufels
gemacht hätte?
Und deshalb sagte der hl. Augustinus in seinem berühmten
Satz, daß er bei Maria, wenn er von Sünden spreche,
keine Erwähnung tun wolle, zur Ehre jenes Herrn, den sie
zum Sohn zu haben verdiente, und um dessentwillen sie
die Gnade hatte, die Sünde in jeder Hinsicht zu
überwinden. Demnach müssen wir für gewiß erachten, daß
das fleischgewordene Wort sich jene Mutter erwählte, die
Ihm geziemte, und deren Er, wie der hl. Petrus Damianus
sagt, sich nicht zu schämen hatte. Auch der hl. Proclus
bezeugt: „In einem Mutterschoß hat Er gewohnt, den Er
ohne jede Spur einer Unwürdigkeit erschaffen hatte.”
Keineswegs war es schimpflich für Jesus, sich von Juden
spottweise Sohn Mariens nennen zu hören, als den Sohn
einer armen Frau: „Heißt nicht seine Mutter Maria?”
(Mt 13,55) Er war ja auf die Erde gekommen, um Vorbild
der Demut und Geduld zu sein. Ohne Zweifel aber wäre es
für Ihn eine Unehre gewesen, wenn Er von den Teufeln
hätte hören müssen: War nicht seine Mutter eine
Sünderin? Oder ist Er nicht von einer sündhaften Mutter
geboren, die eine Zeitlang unsere Sklavin war? Auch wäre
es eine Unehre gewesen, wenn Jesus Christus von einer
körperlich mißgestalteten oder krüppelhaften, oder von
einer Mutter wäre geboren worden, über deren Leib die
bösen Geister eine Gewalt gehabt hätten. Um wieviel
größer aber wäre die Unehre, von einer auch nur
vorübergehend in der Seele mißgestalteten und von
Luzifer geistig angefallenen Mutter geboren zu sein?
Doch Gott, der die Weisheit selbst ist, vermochte es
wohl, sich zu seiner Wohnung auf Erden das Haus zu
erbauen, welches Ihm geziemte. „Die Weisheit hat sich
ein Haus gebaut.” (Spr 9,1) „Der Allerhöchste hat sein
Zelt geheiligt. Gott wird ihr helfen in früher
Morgendämmerung.” (Ps 45,5) „Der Herr”, sagt
David,
„heiligte diese seine Wohnung in früher
Morgendämmerung”, d. h. vom Anfang ihres Lebens an, um
sie Seiner würdig zu machen, denn einem heiligen Gott
geziemte es nicht, sich ein Haus zu wählen, das Seiner
nicht würdig wäre. „Deinem Haus ziemt Heiligkeit.”
(Ps
92,5) Und wenn Er erklärt, daß Er nie eingehen werde in
eine boshafte Seele und nie wohnen in einem Leib,
welcher der Sünde dient (Wsh 1,4), wie könnten wir
denken, daß der Sohn Gottes beschlossen habe, im Leib
und in der Seele Mariens zu wohnen, ohne sie zuvor zu
heiligen und vor jedem Flecken der Sünde zu bewahren!
Der hl. Thomas lehrt, daß das ewige Wort nicht bloß in
der Seele, sondern auch im Schoß Mariens gewohnt hat.
Die hl. Kirche singt: „ Du hast den Schoß der Jungfrau
nicht gescheut.” Ja, wohl
hätte Gott sich gescheut, Fleisch anzunehmen im Schoß
einer Agnes, einer Gertrud, einer Theresia; denn diese
hl. Jungfrauen waren doch eine Zeitlang von der Erbsünde
befleckt; aber Mensch zu werden im Schoß Mariens,
scheute Er nicht; denn diese von Ewigkeit von Ihm
geliebte Jungfrau war immer rein von jedem Makel der
Schuld und nie von der feindlichen Schlange in
Besitz genommen. Darum sagt der hl. Augustinus:
„Keine würdigere Wohnung konnte sich der Sohn Gottes
erbauen als Maria, die nie von den Feinden eingenommen,
nie ihrer Zierden beraubt worden ist.” Im Gegenteil:
„Wer hat je gehört”, sagt der hl. Cyrill von
Alexandrien, „daß ein Baumeister sich zu eigenem
Gebrauch ein Haus erbaut, es aber zuvor zur Besitznahme
seinem Feind abgetreten hätte?”
„Ja”, ruft der hl. Methodius, „der Herr, der uns das
Gebot gegeben, die Eltern zu ehren, hat, da Er Mensch
wurde, nicht unterlassen, seine Gebote selbst zu
beobachten, indem Er seiner Mutter jegliche Gnade und
Auszeichnung zuwandte.” Darum sagt der hl. Augustinus,
man müsse für gewiß glauben, daß Jesus Christus den Leib
Mariens nach dem Tod vor der Verwesung bewahrt habe;
denn sonst hätte Er das Gesetz nicht beobachtet, das
ebenso die Mutter zu ehren befiehlt, wie es verbietet,
sie zu verunehren. Wie wenig also hätte Jesus die Ehre
seiner Mutter gewahrt, wenn Er sie nicht vor der Schuld
Adams bewahrt hätte!
„Gewiß würde der Sohn sündigen”, sagt der Augustiner,
Pater Thomas von Straßburg, „der seine Mutter vor der
Erbsünde bewahren könnte, es nicht
tun würde.” Dürfte man also annehmen, daß das, was für
uns eine Sünde wäre, sich etwa für den Sohn Gottes
geziemt hätte, indem Er, obwohl Er es vermochte, doch
seine Mutter nicht unbefleckt erhalten hätte? Nein!
Hören wir die Worte Gersons:
„Da Du, o höchster Herrscher, eine Mutter haben willst,
wirst Du ihr gewiß Ehre schulden. Nun aber würde es den
Anschein haben, als werde jenes Gesetz nicht gut
erfüllt, wenn Du in den Greuel der Erbsünde diejenige
eingehen ließest, welche die Wohnstätte aller Reinheit
sein soll.”
Nach den bekannten Worten des hl. Bernhardin von Siena
ist der Sohn Gottes mehr dazu in die Welt gekommen, um
Maria, als um die anderen Kreaturen zu erlösen. Da nun
nach Pater Suarez die Erlösung in zweifacher Weise
geschehen kann, nämlich in Aufrichtung des bereits
Gefallenen und in Bewahrung des nicht Gefallenen, daß er
nicht fällt, so ist ohne Zweifel die zweite Art die
Höhere, wie der hl. Antonin sagt: „Auf höhere Weise wird
erlöst, für wen gesorgt wird, daß er nicht fällt, als
der Gefallene, der wieder aufgerichtet wird”; weil auf
diese Weise auch die Beschädigung oder der Makel
verhütet wird, welche die Seele immer von dem
geschehenen Fall sich zuzieht. Man muß demnach glauben,
daß Maria auf jene höhere Weise erlöst wurde, die der
Würde einer Mutter Gottes, nach dem hl. Bonaventura, die
entsprechende war. „Es ist zu glauben”, sagt er, „daß
Maria im Augenblick ihrer Empfängnis vom Hl. Geist durch
eine neue Art von Heiligung von der Erbsünde erlöst und
durch eine ganz einzige Gnade davor bewahrt wurde, nicht
als wäre die Erbsünde in ihr schon gewesen, sondern
damit die Erbsünde nicht in sie gelange.” in seiner
Weise drückt dies Kardinal Cusanus in den Worten aus:
„In der Jungfrau geschah die Vorerlösung, bei den
Übrigen die Nacherlösung.” Die anderen Menschen haben
den Erlöser, auf daß Er sie von der ihnen bereits
innewohnenden Sünde befreie; die allerseligste Jungfrau
aber hatte den Erlöser, der sie bewahrte, daß die Sünde
gar keinen Zutritt zu ihr hatte.
Zum Schluß noch die Worte Hugos von St. Viktor: „Wie das
Lamm so die Mutter
des Lammes, den jeder Baum wird an der Frucht erkannt.”
Das heißt das Lamm war stets unbefleckt, so mußte stets
unbefleckt auch die Mutter sein; denn aus der Frucht
erkennt man den Baum. Darum begrüßt derselbe
Schriftsteller Maria mit den Worten: „O digna digni - o
würdige Mutter eines würdigen Sohnes!” Keine andere als
du war würdige Mutter eines solchen Sohnes, und nur
Jesus war der würdige Sohn einer solchen Mutter! Du
schöne Mutter der ewigen Schönheit! Du erhabene Mutter
des allerhöchsten Gottes! „Reiche Milch”, rufe ich mit
dem hl. Ildephons dir zu, „reiche Milch deinem Schöpfer,
der dich so rein und vollkommen bildete, daß Er aus dir
geboren werden wollte.”
III. Wenn es also der Heiligkeit Gottes des Vaters
entsprach, Maria als seine Tochter, und der Heiligkeit
Gottes des Sohnes Maria als seine Mutter vor der
Erbsünde zu bewahren, so ist es auch der Heiligkeit
Gottes des Hl. Geistes entsprechend, Maria als seine
Braut davor rein zu erhalten. „Maria”, sagt der hl.
Augustinus, „war die einzige, die verdiente, Mutter und Braut Gottes
genannt zu werden.”
Denn wie der hl. Anselm lehrt, so
kam der Geist Gottes, die Liebe des Vaters
und des Sohnes leiblicherweise in sie, ruhte in ganz
einziger, über alle sie erhebender Gnade in ihr und
machte als seine Braut sie zur Königin des Himmels und
der Erde. Leiblicherweise kam der Hl. Geist, sagt der
hl. Anselm, d. h. in Beziehung auf die Wirkung, so fern
Er kam, um aus ihrem unbefleckten Leib den unbefleckten
Leib Jesu Christi zu bilden, wie schon der Erzengel ihr
vorhergesagt: „Der Hl. Geist wird über dich kommen”
(Lk
1,35) „Darum wird Maria”, sagt der
hl. Thomas,
„Tempel des Herrn, Heiligtum des Hl. Geistes genannt,
weil sie durch Wirkung des Hl. Geistes Mutter des
eingefleischten Wortes wurde.”
Wenn etwa ein begabter Maler seine Braut so schön oder
so häßlich haben könnte, als er sie sich malen könnte,
welche Sorgfalt würde er nicht verwenden, sie so schön
wie nur möglich zu machen? Wer aber wollte sagen, daß
der Hl. Geist anders mit Maria verfahren sei, daß Er,
obwohl Er sie so schön bereiten konnte, wie es ihr als
seiner Braut gebührte, es doch nicht getan! Nein! Was
seiner Heiligkeit entsprach, das hat Er auch vollbracht,
wie Er selbst bezeugt, da Er, Maria lobpreisend,
spricht:
„Du bist ganz schön meine Freundin, und kein Makel ist
in dir.” (Hl 4,7)
Cornelius a Lapide beruft sich bei
dieser Stelle auf den hl. Ildephons und den hl. Thomas,
nach denen die Worte eigentlich von Maria gelten; der
hl. Bernhardin von Siena und der hl. Laurentius Justinianus aber beziehen sie ausdrücklich auf ihre
unbefleckte Empfängnis. Und der Idiote gibt die
Erklärung: „Du bist ganz schön, glorreichste Jungfrau,
nicht teilweise, sondern ganz und gar und keine Makel
der Sünde, weder der tödlichen, noch der läßlichen, noch
der Erbsünde ist in dir.”
Dasselbe Geheimnis ist in den Worten des Hohenliedes
ausgesprochen, wo der Hl. Geist Maria seine Braut, einen
verschlossenen Garten und eine versiegelte Quelle (Hl
4,12) nennt. Der hl. Sophronius erklärt: „Sie -
Maria -
ist der verschlossene Garten, die versiegelte Quelle,
wohin keine List des Feindes dringen konnte, noch seine
Falschheit etwas über sie vermochte, sondern heilig
blieb sie in Leib und Seele.” In Übereinstimmung mit dem
hl. Sophronius sagt der hl. Bernhard:
„Du bist ein verschlossener Garten, wohin nie die Hand
der Sünde zur Verwüstung dringen konnte.”
Wir wissen, daß dieser göttliche Bräutigam Maria mehr
liebte als die anderen Heiligen und Engel zusammen, wie
Pater Suarez mit dem hl. Laurentius Justinianus und
anderen behauptet. Er liebte sie vom Anfang an und erhob
sie in der Heiligkeit über alle, wie David es
ausdrückte: „Ihre Grundfesten sind auf heiligen Bergen;
es liebt der Herr die Tore Sions über alle Hütten
Jakobs. Herrliches wird von dir gesagt, o Stadt
Gottes,... ein Mensch ist darin geboren und Er selbst,
der Allmächtige, hat sie gegründet”
(Ps 86,1), Worte,
die sich auf die Heiligkeit Mariens in ihrer Empfängnis
beziehen. Dieselbe Bedeutung hat, was von ihr der Hl.
Geist an anderen Orten sagt: „Viele Töchter haben sich
Reichtümer gesammelt, du hast sie alle übertroffen.”
(Spr. 31,29) Wenn Maria alle an Reichtümern der Gnade
übertroffen hat, dann hat sie auch die ursprüngliche
Gerechtigkeit gehabt, wie sie Adam und die Engel hatten.
„Jungfrauen sind es ohne Zahl; eine ist meine Taube,
meine Vollkommene, die Einzige ihrer Mutter, die
Auserkorene ihrer Gebärerin.”
[Der hebräische Text sagt: „meine Unversehrte,
Unbefleckte”.] (Hl 6,7) Alle gerechten Seelen sind
Töchter der göttlichen Gnade, aber unter diesen war
allein Maria die Taube ohne Galle der Schuld, die
Vollkommene ohne Makel des Ursprunges, die Einzige in
der Gnade empfangen.
Daher kommt es, daß der Engel, ehe sie Mutter Gottes
war, sie schon voll der Gnade fand und begrüßte: „Sei
gegrüßt, voll der Gnade”, worüber der hl. Sophronius
bemerkt: „Mit Recht wird sie voll der Gnade genannt,
weil Maria sich die Fülle der Gnade auf einmal
mitteilte, während anderen sie nur in Teilen gegeben
wird.” Und nach dem hl. Thomas war „die Seele der allerseligsten Jungfrau so voll der Gnade, daß sie aus
ihr auch in den Leib sich ergoß, auf daß sie Gott zu
empfangen vermöchte.” Dies alles führt uns zur
Erkenntnis, wie reich, ja, wie voll der göttlichen Gnade
vom Hl. Geist Maria in ihrer Empfängnis gemacht wurde,
wie Peter von Celles erklärt: „In ihr war die Fülle der
Gnade vereinigt, weil vom Anfang ihrer Empfängnis durch
die Besprengung des Hl. Geistes die ganze Gnade der
Gottheit sich über sie ausgegossen hat.” Der hl. Petrus Damianus sagt darum: „Da sie von Gott erwählt und
vorherbestimmt wurde, wollte der Hl. Geist sie ganz für
sich ergreifen.” Er sagt „ergreifen, rauben”, um die
Raschheit auszudrücken, mit welcher der Hl. Geist
zuvorgekommen und sie zu seiner Braut machen wollte, ehe
Luzifer sie in Besitz nehme.
Ich will endlich diese Abhandlung schließen, in der ich
mich mehr als in den anderen aus dem Grund verweilt
habe, weil unsere kleine Kongregation zu ihrer
hauptsächlichsten Beschützerin die allerseligste
Jungfrau gerade unter diesem Titel der unbefleckten
Empfängnis hat. Ich will, sage ich, schließen, indem ich
kurz erkläre, welche Gründe mir die Gewißheit geben und
nach meiner Meinung einem jeden die Gewißheit von dieser
frommen und der Ehre der göttlichen Mutter so sehr
entsprechenden Meinung geben sollten, daß sie frei von
der Erbschuld geblieben ist.
Es gibt viele Lehrer, die dafür einstehen, daß Maria
selbst von der Verbindlichkeit ausgenommen worden sei,
sich die Erbschuld zuzuziehen, wie der Kardinal
Galatinus, der Kardinal von Cusanus, de Ponte, Salazar,
Catharinus, Novarin, Viva, de Lugo, Aegydius von der
Opferung, Dionysius der Karthäuserm und andere. Diese
Meinung ist sehr wahrscheinlich; denn wenn es wahr ist,
daß in dem Willen Adams als Haupt der Menschen der Wille
aller Menschen mit eingeschlossen war, wie dies mit
guten Gründen Gonet, Habert und andere, gestützt auf den
Text des hl. Paulus: „Alle haben in Adam gesündigt”,
behaupten; ich sage, ist dies wahr, so ist nicht minder
wahr, daß auch Maria nicht die Verbindlichkeit sich
zugezogen, mit der Erbschuld behaftet zu werden. Da sie
von Gott in Rücksicht der Gnade weit über alle anderen
Menschen ausgezeichnet wurde, so darf man des frommen
Glaubens sein, daß Maria nicht im Willen Adams mit
eingeschlossen war. Diese Meinung ist eine wahrscheinliche;
aber ich pflichte ihr bei, weil sie meiner Herrin zu
größerer Ehre gereicht.
Für gewiß jedoch halte ich jene Meinung, daß Maria sich
die Schuld Adams nicht zugezogen hat; in gleicher Weise
halten sie für gewiß und auch für reif zur förmlichen
Erklärung als Glaubensatz: Der Kardinal Eberhard, Duval,
Raynauld, Lossada, Viva und viele andere. Ich übergehe
indes die Offenbarungen, welche die genannte
Meinung bestätigen, besonders die der hl. Birgitta, die
von dem Kardinal Turrecremata und vier Päpsten
gutgeheißen sind, wie man in ihrem sechsten Buch
ausführlicher lesen kann; keineswegs aber kann ich
unterlassen, die Aussprüche der hl. Väter hierüber
anzuführen, um die Einstimmigkeit zu zeigen, mit der sie
dieses Vorrecht der göttlichen Mutter zuerkennen.
[Der hl. Alfons Maria schrieb diese wunderbaren Zeilen
100 Jahre bevor der große Papst Pius IX. 1854 den
Glaubenssatz der Unbefleckten Empfängnis Mariens
feierlich verkündete.]
Der hl. Ambrosius sagt: „Nimm mich auf, nicht aus Sara,
sondern aus Maria, damit es eine unversehrte Jungfrau
sei, aber eine Jungfrau frei durch Gnade von jeder
Befleckung der Sünde.”
Origenes sagt von Maria: „Sie ist nicht vom giftigen
Hauch der Schlange angesteckt.” Der hl. Ephräm nennt
sie: „Unbefleckt und weitest entfernt von jedem Makel
der
Sünde”.
Der hl. Augustinus schreibt über die Worte des Engels:
„Ave gratia plena:” „Mit diesen Worten zeigt der Engel,
daß von Anbeginn der Zorn des ersten Richterspruches
ganz und vollständig ausgeschlossen und die volle Gnade
des Segens wiederhergestellt ist.”
Der hl. Hieronymus sagt: „Jene Wolke war nie in der
Finsternis, immer im Licht.”
Der hl. Cyprian, oder wer
sonst der Verfasser der Schrift sein mag: „Auch die
Gerechtigkeit duldete nicht, daß jenes Gefäß der
Auserwählung den allgemeinen Verletzungen unterworfen
wurde, denn, sehr hoch über allen stehend, teilte sie
wohl die Natur, nicht aber die Schuld mit ihnen.”
Der hl. Amphilochius: „Wer die erste Jungfrau ohne Fehl
geschaffen, der hat auch die zweite ohne Flecken und
Schuld gebildet.”
Der hl. Sophronius: „Die Jungfrau wird deshalb
unbefleckt genannt, weilsie vollkommen unversehrt
geblieben.”
Der hl. Ildephons: „Es ist ausgemacht, daß sie von der
Erbsünde frei gewesen.”
Der hl. Johannes von Damaskus:
„Zu diesem Paradies hat die Schlange keinen
Zutritt gehabt.”
Der hl. Petrus Damianus: „Das Fleisch der Jungfrau, von
Adam genommen, hat die Makeln Adams nicht angenommen.”
Der hl. Bruno: „Das ist das unentweihte Land, das der
Herr gesegnet hat, deswegen frei von aller Ansteckung
der Sünde.”
Der hl. Bonaventura: „Unsere Herrin wurde in ihrer
Heiligung mit zuvorkommender Gnade erfüllt, das heißt
mit jener Gnade, durch die sie vor der Häßlichkeit der
Erbschuld bewahrt blieb.”
Der hl. Bernhardin von Siena: „Es ist nicht zu glauben, daß der Sohn Gottes von einer Jungfrau geboren werden
und aus ihr Fleisch annehmen wollte, die irgendwie von
der Erbsünde berührt gewesen wäre.”
Der hl. Laurentius Justinianus: „In ihrer Empfängnis war
das Erste die Fülle der Segnung.”
Der Idiote sagt über die Worte: „Du hast Gnade
gefunden:” „Eine ganz einzige
Gnade hast du gefunden, süßeste Jungfrau, weil in dir
die Bewahrung vor der Erbsünde war.” - Und so noch viele
andere Lehrer.
Die Gründe aber, die schließlich von der Wahrheit dieser
frommen Meinung überzeugen, sind folgende: Der erste
Grund besteht in der allgemeinen Übereinstimmung der
Gläubigen über diesen Gegenstand. Der Pater Agydius von
der Opferung bezeugt, daß alle religiösen Orden der
genannten Meinung folgen; und selbst vom Orden des hl.
Dominikus sind nach einem neueren Schriftsteller zwar 29
Autoren gegen, aber 136 für unsere Ansicht. Aber mehr
als dies bestärkt unsere Überzeugung, daß diese fromme
Meinung allgemein von den Gläubigen angenommen sei, das
Zeugnis des Papstes Alexander VII. in der berühmten
Bulle „Sollicitudo omnium Ecclesiarum” vom Jahr 1661, wo
es heißt: „Diese Frömmigkeit und Andacht zur
Gottesgebärerin ist neuerdings erhöht und mehr
verbreitet worden, so daß seit dem Beitritt der
Akademien zu dieser Meinung bereits fast alle Katholiken
sie annehmen.”
Und in der Tat wird dieselbe verteidigt
von der Akademie der Sorbonne, von Alcala, Salamanca,
Coimbra, Köln, Mainz, Neapel und vielen anderen, an
denen jeder, der den Doktorgrad empfangen will, sich mit
einem Eid zur Verteidigung der Unbefleckten
Empfängnis verpflichten muß. [Das könnten heute nur
wenige Professoren!]
Dieser Beweisführung aus der allgemeinen Übereinstimmung
der Gläubigen bedient sich zur Erhärtung der
Unbefleckten Empfängnis vorzugsweise der gelehrte
Petavius. Und der sehr gelehrte Bischof Julius Tornil
bezeichnet diese Beweisführung als unwiderstehlich; und
mit Recht, da wir nur aus der allgemeinen
Übereinstimmung der Gläubigen die Gewißheit von der
Heiligung Mariens im Mutterschoß und ihrer Aufnahme mit
Leib und Seele in den Himmel haben; warum sollte uns
also die gleiche Übereinstimmung der Gläubigen nicht
auch die Gewißheit von ihrer Unbefleckten Empfängnis
verleihen können?
Der zweite noch stärkere Grund, der uns die Ausnahme der allerseligsten Jungfrau von der Erbsünde gewiß macht,
ist die von der allgemeinen Kirche angeordnete Feier
ihrer Unbefleckten Empfängnis. Daraus entnehme ich fürs
erste, daß die Kirche jenen ersten Augenblick feiert, in
dem die Seele Mariens erschaffen und dem Leib
eingegossen wurde, wie Alexander VII. in der erwähnten
Bulle erklärt, wo es heißt, daß die Feier des Festes von
Maria Empfängnis von der Kirche in der Überzeugung
angeordnet ist, die bekenne, daß Maria ohne Erbsünde
empfangen worden sei. Fürs zweite erkenne ich als gewiß,
daß die Kirche unmöglich eine nicht hl. Sache feiern
kann nach den Aussprüchen des hl. Papstes Leo und des
hl. Papstes Eusebius: „Auf dem Apostolischen Stuhl ist
der katholische Glaube immerdar ohne Fehl bewahrt
worden.”
Dasselbe bezeugen auch alle Theologen mit dem hl.
Augustinus, hl. Bernhard und hl. Thomas, wobei letzterer
zum Beweis der Heiligung Mariens vor der Geburt gerade
sich dieses Grundes bedient, nämlich des Festes der
Geburt Mariens. „Die Kirche”, sagt er, „feiert die
Geburt der Jungfrau; es wird aber in der Kirche nur für
einen Heiligen ein Fest gefeiert; also ist die allerseligste Jungfrau im Mutterleib geheiligt worden.”
Ist also nach dem englischen Lehrer die Heiligung
Mariens im Mutterschoß darum gewiß, weil die Kirche ihre
Geburt feiert, warum sollten wir
nicht für gewiß halten, daß Maria im ersten Augenblick
ihrer Empfängnis vor der Erbsünde bewahrt geblieben, da
wir ja wissen, daß die Kirche in diesem Sinn ihr Fest
feiert? Es ist bekannt, wie Gott der Herr zur
Bestätigung dieses großen Vorrechtes Mariens zahllose
und wunderbare Gnaden durch die Bildchen von der
Unbefleckten Empfängnis Tag für Tag im Königreich Neapel
auszuteilen sich würdigt. Ich könnte von vielen
berichten, die durch die Hand der Patres unserer
Kongregation gegangen sind; aber ich will nur zwei
erzählen, die wahrhaft bewundernswürdig sind.
Beispiel
In einem unserer Häuser im Königreich Neapel kam eine
Frau zu einem der Patres, um ihm zu sagen, daß ihr Mann
seit mehreren Jahren nicht mehr gebeichtet habe; und daß
sie nicht wisse, was tun soll, weil er sie schlage,
sobald sie vom Beichten spreche. Der Pater riet ihr, dem
Mann ein Bildchen von der Unbefleckten Empfängnis zu
geben. Am selben Abend bat die Frau aufs neue ihren
Mann, daß er beichte, und da er wie immer dagegen taub
blieb, gab sie ihm ein Bildchen. Kaum hatte er es
genommen, als er antwortete: „Nun ja, wann willst du
mich zum Beichten führen? Ich bin bereit.” Die Frau
weinte vor Freude beim Anblick dieser plötzlichen
Umwandlung. Am nächsten Morgen kam der Mann wirklich in
unsere Kirche, und befragt, wie lange er nicht mehr
gebeichtet habe, antwortete er: „Seit achtundzwanzig
Jahren.” - „Wie aber”, entgegnete der Pater, „kommst du
heute zum Entschluß zu beichten?” - „Ich war ganz
verstockt, mein Pater, aber gestern abend gab mir meine
Frau ein Bildchen der Madonna, und sogleich fühlte ich
mein Herz verändert, so daß jeder Augenblick der Nacht
bis es Tag zum Beichten wurde, mir wie eine Ewigkeit
vorkam.” Er beichtete darauf mit viel Zerknirschung,
änderte sein Leben und fuhr lange Zeit fort, oft beim
selben Pater zu beichten.
In einem Ort der Diözese Salerno, in dem von uns eine
Mission gehalten wurde, lebte ein Mann in großer
Feindschaft mit seinem Beleidiger. Einer der Missionare
ermahnte ihn, sich zu versöhnen. „Habt ihr mich denn”,
entgegnete er, „je bei eueren Predigten gesehen? Gerade
darum komme ich nicht. Ich weiß ohnehin, daß ich
verdammt bin; aber es liegt nichts daran, wenn ich mich
nur rächen kann.” Der Missionar gab sich große Mühe, ihn
auf besseren Sinn zu bringen; aber umsonst. Schließlich
sagte er: „Nimm das Bildchen der Madonna!” - „Wozu
dieses Bildchen?” antwortete er anfangs. Doch kaum hatte
er es zu sich genommen, da sagte er zum Missionar,
gleich als hätte er nie sich geweigert, sich
auszusöhnen: „Mein Vater, braucht es noch etwas anderes
als die Versöhnung? Ich bin bereit, sie morgen
vorzunehmen.” - Aber des anderen Tages war er wieder
umgeändert und wollte nichts mehr tun. Er empfing ein
neues Bildchen, das er nur mit Sträuben annahm; doch
gleich danach antwortete er: „Wohlan denn, beeilen wir
uns.” Und sogleich versöhnte er sich und darauf
beichtete er.
Gebet
O meine Unbefleckte Herrin, ich freue mich mit dir, dich
mit solcher Reinheit ausgestattet zu erblicken. Ich
danke und will immer Dank sagen unserem Schöpfer, daß Er
dich vor jeder Makel der Schuld bewahrte. Ich bin fest
davon überzeugt und bin bereit
und schwöre, für dieses so erhabene und ganz einzige
Vorrecht deiner Unbefleckten Empfängnis selbst mein
Leben, so es gefordert würde, hinzugeben. Ich wünschte,
daß die ganze Welt dich erkenne und bekenne als die
schöne Morgenröte, immer geschmückt mit dem göttlichen
Licht, als die auserlesene Arche des Heiles, die vor dem
allgemeinen Schiffbruch der Sünde bewahrt blieb, als
jene vollkommene und unbefleckte Taube,
für die dich dein göttlicher Bräutigam erklärte, als den
verschlossenen Garten der Wonne Gottes, als die
versiegelte Quelle, wohin nie der Feind, sie zu trüben,
eingedrungen ist, endlich als die weiße Lilie, die du
allein unter den Dornen der Adamskinder, die alle
schuldbefleckt und in Feindschaft Gottes geboren werden,
ganz rein, ganz strahlend weiß, als Freundin deines
Schöpfers geboren bist.
Gestatte, daß ich dich lobe in den Worten deines Gottes,
„ganz schön bist du und kein Makel ist in dir.” O
reinste Taube, ganz weiß, ganz schön, immerwährende
Freundin Gottes! O wie schön bist du, meine Freundin,
wie schön bist du. Ach süßeste, liebenswürdigste,
Unbefleckte Jungfrau Maria, so schön in den Augen deines
Herrn, verschmähe nicht, mit deinen barmherzigen Augen
die häßlichen Wunden meiner Seele anzuschauen. Siehe
mich an, erbarme dich meiner und heile mich! O schöner
Magnet der Herzen, ziehe auch mein elendes Herz zu dir!
Du bist vom ersten Augenblick des Lebens so rein und
schön vor Gott, erbarme dich meiner, der ich in Sünde
geboren, auch nach der Taufe noch meine Seele mit Schuld
befleckt habe. Der dreieinige Gott, der dich zur
Tochter, Mutter und Braut erkor, vor jedem Makel dich
bewahrte, in seiner Liebe allen Geschöpfen dich vorzog,
welche Gnade wird Er dir verweigern? Unbefleckte
Jungfrau, du hast mich zu retten, rufe ich mit dem hl.
Philipp Neri; bewirke, daß ich deiner stets gedenke, und
vergiß meiner nicht! Mir ist es wie tausend Jahre, bis
ich zum Anblick deiner Schönheit ins Paradies gelangen
darf, um dich ewig zu loben und zu lieben, meine Mutter,
meine Königin, meine Geliebte, schönste, süßeste,
reinste, Unbefleckte Maria. Amen.
2. Kap. - Mariä Geburt - 8. Sept.
Maria wurde heilig, sehr heilig geboren.
Mit großer
Gnade wurde sie von Gott im ersten Augenblick ihres
Daseins ausgestattet; und groß war auch die Treue, mit
der Maria Gott entsprach.
Mit Freudenfesten pflegen allgemein die Eltern die
Geburtstage ihrer Kinder zu feiern; und doch hätten sie
Ursache zu Trauer und Schmerz, wenn sie bedächten, wie
sie zur Welt kommen, nicht bloß ohne Verdienste und ohne
den Gebrauch ihrer Vernunft, sondern noch überdies mit
der Erbschuld, als Kinder des Zornes, und als solche zu
Leiden und Tod verurteilt. Die Geburt des heiligsten
Kindes Maria aber verdient mit allem Recht, mit
allgemeiner Festlichkeit und Lobpreisung gefeiert zu
werden, indem sie an das Licht dieser Welt als ein Kind
zwar dem Alter nach kam, aber groß an Verdiensten und
Tugenden. Maria wurde als Heilige und zwar als große
Heilige geboren. Um den Grad der Heiligkeit aber, in dem
sie geboren wurde, zu begreifen, sind zwei Punkte
notwendig zu erwägen:
Fürs erste die Größe ihrer ersten von Gott empfangenen
Gnadenausstattung;
fürs zweite die Größe der Treue, mit der Maria vom
ersten Augenblick an Gott zu dienen begonnen hat.
I. Um mit dem ersten Punkt zu beginnen, so ist gewiß,
daß Maria die schönste Seele war, die Gott erschaffen
hat; ja nach der Menschwerdung des Wortes ist sie das
größte und Gottes würdigste Werk, das der Allmächtige
auf dieser Welt vollbrachte. „Ein Werk, über das Gott
allein hinausragt» wie es der hl. Petrus Damianus nennt.
Daher kam es, daß die göttliche Gnade nicht tropfenweise
sich in Maria einsenkte, wie in die anderen Heiligen,
sondern „wie der Regen auf das Vlies” (Ps 71,6) nach
Davids Prophetie. Die Seele Mariens war gleich einer
Wolle, welche die ganze Fülle des Tauregens, ohne ein
Tröpfchen zu verlieren, glücklich in sich einsog. „Die
Fülle der Gnade des Hl. Geistes”, sagt der hl. Thomas,
„hat die allerseligste Jungfrau sich geschöpft”, wie sie
selbst dies durch den Mund des weisen Mannes geweissagt:
„In der Fülle der Heiligen ist mein Aufenthalt”; d. h.
nach der Auslegung des hl. Bonaventura: „Ich habe das
Ganze in Fülle, was die andern Heiligen nur in Teilen
besitzen.” Und wenn der hl. Vinzenz Ferrer im besonderen
von der Heiligkeit Mariens vor ihrer Geburt spricht,
sagt er: „Die Jungfrau wurde über alle Heiligen und
Engel geheiligt.”
Die Gnade, welche die allerseligste Jungfrau besaß,
überstieg die Gnade nicht
bloß eines jeden Heiligen im einzelnen, sondern die
aller Heiligen und aller Engel zusammen, wie der sehr
gelehrte Pater Franz Pepe SJ in seinem schönen Werk von
den Größen Jesu und Mariens beweist. Er nennt diese für
unsere Königin so ehrenvolle Meinung die allgemein von
den Theologen für ausgemacht angenommene, wie von
Carthagena, Suarez, Spinelli, Recupito, Guerra und
anderen, die sie ex professo untersucht haben, was von
den Älteren nicht geschehen war. Er berichtet ferner,
daß die göttliche Mutter durch den Pater Martin
Guttierez dem Pater Suarez ihren Dank dafür ausdrücken
ließ, daß er mit so großem Nachdruck diese
glaubwürdigste Meinung verteidigt habe, die nach Pater
Segneri durch die Bestimmung der ganzen Schule von
Salamanca bestätigt worden ist.
Da also diese Meinung die allgemein für gewiß
angenommene ist, so hat auch die weitere nicht weniger
ihre gute Berechtigung, die Meinung nämlich, daß Maria
schon im ersten Augenblick ihrer Unbefleckten Empfängnis
diese so hohe Begnadigung erhalten habe, welche die
aller Heiligen und Engel zusammen genommen übersteigt.
Dies behauptet Pater Suarez mit Nachdruck, und ihm
folgen Pater Spinelli, Pater Recupito und La Colombiere.
Außer dem Ansehen der Gottesgelehrten aber sind es noch
zwei sehr wichtige und überzeugende Gründe, durch welche
die erwähnte Meinung vollkommen bestätigt wird.
Der erste Grund ist die Auserwählung Mariens zur Mutter
des göttlichen Wortes, wodurch sie nach Erklärung des
sel. Dionysius des Karthäusers in eine über alle
erschaffenen Wesen erhabene Ordnung erhöht wurde, indem
in gewissem Sinn die Würde einer Mutter Gottes, wie dies
Pater Suarez beweist, der Ordnung der persönlichen
Einigung des ewigen Wortes mit der menschlichen Natur
angehört. Diese unvergleichliche Erhöhung forderte aber,
daß Maria vom ersten Augenblick an mit Gaben einer
höheren Ordnung ausgerüstet wurde, die über allen
Vergleich
die Gnadengaben übertreffen, die allen anderen Kreaturen
verliehen wurden. Auch ist es eine unbestreitbare
Wahrheit, daß im göttlichen Ratschluß der Menschwerdung
des ewigen Wortes die Mutter zugleich mit inbegriffen
war, aus der das ewige Wort die Menschheit annehmen
sollte, und diese Mutter war das Kind Maria.
Nun lehrt der hl. Thomas, daß einem jeden die Gnade im
Verhältnis zu dem von Gott empfangenen Beruf gegeben
werde; wie dies schon der hl. Paulus in den Worten
ausgesprochen hat: „Der uns zu tauglichen Dienern des
neuen Bundes bereitet hat” (2 Kor 3,6), womit er
andeutet, daß die hl. Apostel von Gott die dem erhabenen
Beruf, zu dem sie auserwählt waren, entsprechende Gaben
erhalten haben. Auch der hl. Bernhardin von Siena stellt
den Satz auf: „Es ist eine in der hl. Theologie
feststehende Regel, daß Gott, wenn Er jemanden zu einem
Stand auserwählt, ihm alle für denselben notwendigen und
reichlich ihn zierenden Gaben verleiht”, d. h. ihn befähigt, das Amt auch mit Ehren zu verwalten.
Wenn nun Maria erwählt war, Mutter Gottes zu werden, so
war es dem ganz entsprechend, daß sie Gott vom ersten
Augenblick an mit einer unermeßlichen und der Ordnung
nach höheren Gnade als die aller Menschen und Engel
zierte, weil ihre Begnadigung der unermeßlichen und
höchsten Würde entsprechen mußte, zu der sie von Gott
erhöht wurde. So lehren alle Gottesgelehrten mit dem hl.
Thomas, der sich wie folgt ausdrückt: „Die allerseligste
Jungfrau war erwählt, daß sie Mutter Gottes werde, und
darum ist nicht zu zweifeln, daß sie Gott durch seine
Gnade dazu befähigt hat.” Und dies auf solche Weise, daß
Maria schon vor ihrer Mutterschaft mit so vollkommener
Heiligkeit geschmückt war, die sie für diese hohe Würde
befähigte. Die Worte des englischen Lehrers lauten: „In
der allerseligsten Jungfrau war die Vollkommenheit als
eine sie vorbereitende, durch die sie befähigt wurde,
Mutter Christi zu sein, und dies war die Vollkommenheit
ihrer Heiligung.”
Aus diesem Grund wird sie, wie der hl. Lehrer bemerkt,
voll der Gnade genannt. Dies „voll der Gnade” ist aber
nach ihm nicht so zu verstehen, als hätte Maria die
Gnade in höchster Auszeichnung, in der überhaupt Gnade
empfangen werden kann, gehabt; indem nicht einmal die
der heiligsten Menschheit Jesu Christi eingegossene
göttliche Gnade in dem Sinn die höchste war, daß die
unendliche Allmacht Gottes eine höhere überhaupt nicht
hätte hervorbringen können; sondern in dem Sinn, daß sie
auf das vollkommenste dem Zweck entsprach, zu dem von
der Weisheit Gottes die menschliche Natur Christi
geordnet war, nämlich zur Vereinigung mit der Person des
Wortes. Folgendes sind die Worte des englischen Lehrers.
„Wenngleich die Allmacht Gottes etwas Höheres und
Besseres zu erschaffen vermag als die der menschlichen
Natur Christi eingegossene Gnade, so könnte sie doch
nichts erschaffen, was zu etwas Höherem bestimmt wäre,
als es die persönliche Vereinigung mit dem Eingeborenen
des Vaters ist, welcher Vereinigung nach Bestimmung der
göttlichen Weisheit ein solches Maß der Gnade vollkommen
entspricht”, wie es der Menschheit Christi verliehen
wurde. [Alte theologische Spekulationen. Gott schaft
immer das Beste.]
Nach der Lehre des hl. Thomas ist die göttliche Allmacht
so groß, daß, wie viel sie auch gibt, ihr doch immer
mehr noch zu geben übrig bleibt; und wenn auch
das natürliche Vermögen der Kreatur in Beziehung auf das
Empfangen an sich ein beschränktes ist, so daß es
vollständig angefüllt werden kann, so hat doch die
Abhängigkeit eines Geschöpfes von dem göttlichen Willen
keine Grenze, und Gott kann darum sein Geschöpf immer
noch fähiger machen, um immer mehr mit seinen Gaben
erfüllt zu werden. Und darum lehrt der hl. Thomas, um
auf unseren Satz wieder zurückzukommen, daß die
allerseligste Jungfrau, wenn sie auch nicht so voll von
Gnade war, daß die Gnade Gottes überhaupt in ihr
erschöpft gewesen wäre, doch deshalb mit Recht voll der
Gnade in Beziehung auf ihre eigene Person genannt werde,
weil sie eine unermeßliche, ihrer unermeßlichen Würde
vollkommen entsprechende Gnadenfülle besaß, wodurch sie
fähig wurde, Mutter Gottes zu werden. Benedikt Fernandez
bestätigt dies mit den Worten: „Die Würde einer Mutter
Gottes ist das Maß, an dem wir zu messen haben, was nach
unserem Glauben von Gott der allerseligsten Jungfrau
verliehen wurde.”
Mit Recht hat also schon David gesagt, daß die
Grundfesten dieser Stadt Gottes, Maria, auf den Gipfeln
der Berge gelegt werden mußten. „ Ihre Fundamente sind
auf heiligen Bergen”, (Ps 86,1) d. h. das Leben Mariens
mußte schon in seinem ersten Beginnen erhabener sein als
das Leben aller Heiligen bei Vollendung ihrer irdischen
Pilgerschaft. „Gott liebt mehr die Tore Sions als alle
Zelte Jakobs.” (Ps 86,1) David gibt auch den Grund davon
an: „Er ist in ihr geboren,” d. h. Gott wollte in ihrem
jungfräulichen Schoß Mensch werden. Darum war es seiner
Heiligkeit gemäß, dieser Jungfrau im Augenblick ihrer
Erschaffung eine der Würde ihrer Mutterschaft
entsprechende Gnadenfülle zu verleihen.
Auf dasselbe weist Isaias hin, da er sagt, „daß in
künftigen Zeiten der Berg des Hauses des Herrn - die
allerseligste Jungfrau - über dem Gipfel aller Berge
bereitet sein werde, und daß alle Völker zu diesem Berg
sich aufmachen, um der göttlichen Erbarmungen teilhaft
zu werden.” (Is 2,2) Der
hl. Gregor erklärt dies mit den
Worten:
„Berg auf dem Gipfel der Berge ist Maria, da ihre
Erhabenheit über alle Heiligen erglänzt”; und der hl.
Johannes von Damaskus: „Der Berg, auf dem zu wohnen es
Gott gefällt.” Darum wird Maria auch genannt: Zypresse
vom Berge Sion, Zeder Libanons, lieblicher Ölbaum,
auserlesen wie die Sonne. „Wie nämlich die Sonne”, sagt
der hl. Petrus Damianus, „den Glanz der Gestirne
verdunkelt, so überstrahlt die Heiligkeit der erhabenen,
jungfräulichen Mutter die Verdienste eines jeden und
aller zusammen.” Gar schön drückt dies der hl. Bernhard
in den Worten aus: „Weder geziemt für Gott eine andere
Mutter als die Jungfrau, noch der Jungfrau ein anderer
Sohn als Gott.”
Der zweite Beweisgrund, daß Maria im ersten Beginn ihres
Lebens mehr geheiligt war als alle Heiligen zusammen,
beruht auf dem erhabenen Amt einer Mittlerin der
Menschen, das sie von Anbeginn besaß. Dies Amt
erforderte, daß sie von Anbeginn ein reicheres Maß der
Begnadigung hatte, als alle Menschen zusammen es
besitzen. Es ist bekannt, mit welcher Einstimmigkeit die
Theologen und hl. Väter Maria diesen Titel einer
Mittlerin beilegen, weil sie durch ihre mächtige
Fürsprache und durch ihre Verdienste von der
Barmherzigkeit Gottes für alle das Heil erlangt hat,
indem sie der verlorenen Welt die große Wohltat der
Erlösung verschaffte. Ich sage: Sie
hat das Heil von der Barmherzigkeit Gottes uns verdient,
meruit de congruo (meritum de condigno), wie die
Theologie sagt; denn nur Jesus Christus ist unser
Mittler auf dem Weg der Gerechtigkeit, indem nur seine
Verdienste, die Er dem ewigen Vater aufopferte, und die
von diesem zu unserem Heil angenommen wurden, der
unendlichen Gerechtigkeit des beleidigten Gottes eine
vollkommene Genugtuung verschaffen konnten. Maria
dagegen ist Mittlerin der Gnade durch einfache
Fürsprache und durch ihre Verdienste de congruo, d. h.
durch Verdienste, die wohl von der freigebigsten
Barmherzigkeit Gottes sichere und unfehlbare Belohnung
oder Erhöhung erlangen konnten, nicht aber von der
Strenge der göttlichen Gerechtigkeit, der nur allein die
Verdienste des Gottmenschen kraft ihres unendlichen
Wertes so vollkommen genügen, daß Gott ohne Verletzung
seiner heiligsten Gerechtigkeit ihnen den entsprechenden
Lohn nicht vorenthalten konnte.
Indem Maria ihre Verdienste, wie mit dem
hl. Bonaventura
die Theologen sagen, Gott für das Heil aller Menschen
aufgeopfert und sie Gott aus Güte und in Vereinigung mit
den Verdiensten Jesu Christi angenommen hat, ist sie
unsere Mittlerin geworden. Darum sagt der hl. Arnold von Chartres: „Sie hat hinsichtlich unseres Heiles mit
Christus einen gemeinschaftlichen Erfolg erreicht”; und
Richard von St. Viktor:
„Sie hat das Heil aller begehrt, gesucht, erhalten; ja,
das Heil aller ist durch sie bewirkt worden.” So wird
also jegliches Gut, jegliche Gabe des ewigen Lebens, die
der einzelne Heilige von Gott erhält, durch Maria ihm
zuteil.
Und das ist es, was uns die hl. Kirche zu verstehen
geben will, wenn sie die göttliche Mutter ehrt, indem
sie die Stellen des Jesus Sirach auf sie anwendet: „In
mir ist alle Gnade des Weges und der Wahrheit.”
(Sir
24,24) Es heißt „des Weges”, weil durch Maria alle
Gnaden den Menschen auf Erden gespendet werden; „der
Wahrheit”, weil durch Maria das Licht der Wahrheit
gegeben wird. „In mir ist alle Hoffnung des Lebens und
der Tugend”; „des Lebens”, weil wir durch Maria das
Leben der Gnade auf Erden und der Glorie im Himmel zu
erlangen hoffen; „der Tugend”, weil wir durch Maria die
Tugenden, insbesondere die theologischen Tugenden
erlangen, welche die vornehmsten Tugenden der Heiligen
sind. „Ich bin die Mutter der schönen Liebe und der
Furcht, der Erkenntnis und der hl. Hoffnung.”
Maria erlangt durch ihre Vermittlung ihren Dienern die
Gaben der göttlichen Liebe, der hl. Furcht, des
himmlischen Lichtes und des hl. Vertrauens. Daraus zieht
der hl. Bernhard den Schluß, es sei Lehre der Kirche,
daß Maria die allgemeine Mittlerin unseres Heiles ist.
„Preise die Finderin der Gnade, die Mittlerin des
Heiles, die Wiederherstellerin aller Zeiten. So lobsingt
mir die Kirche von ihr, so lehrt sie auch mich Maria
lobpreisen.”
Der hl. Sophronius, Patriarch von Jerusalem, sagt: „Mit
Recht grüßte sie der Erzengel: „Du bist voll der Gnade”;
denn während die anderen Heiligen nur teilweise die
Gnade empfangen, ergoß sich in Maria die ganze
Gnadenfülle» Und dies geschah, wie der hl. Basilius von Seleucia bezeugt, auf daß dadurch Maria die würdige
Mittlerin zwischen den Menschen und Gott sein könnte.
„Denn wäre”, sagt der
hl. Laurentius Justinianus, „Maria
nicht voll der göttlichen Gnade gewesen, wie könnte sie
die Leiter zum Paradies, die Fürsprecherin der Welt und
die wahre Mittlerin sein zwischen Gott und den
Menschen?”
So ist nun der zweite Beweisgrund wohl hinreichend
erklärt. Hatte Maria, weil zur Mutter des Erlösers der
Welt bestimmt, von Anbeginn das Amt einer Mittlerin
aller Menschen, also auch aller Heiligen empfangen, so
war es auch durchaus notwendig, daß sie von Anbeginn
eine größere Gnade besaß, als alle Heiligen, für die sie
als Mittlerin einzutreten hatte, je besaßen. Ich erkläre
mich noch deutlicher: Wenn durch Vermittlung Mariens
alle Menschen Gott wohlgefällig werden sollten, so mußte
notwendig Maria heiliger und Gott wohlgefälliger als
alle Menschen zusammen sein; wie hätte sie sonst für
alle zusammen als Mittlerin eintreten können? Damit ein
Vermittler vom Fürsten die Gnade für alle Untertanen
erhalte, ist unumgänglich notwendig, daß er mehr als
alle anderen Untertanen seinem Monarchen teuer sei.
Deshalb sagt der hl. Anselm von Maria: „Die höchste
Reinheit ihres Herzens, welche die Reinheit und
Heiligkeit aller Geschöpfe übersteigt, verdiente die
würdigste Wiederherstellerin der gefallenen Welt zu
werden.”
Maria war also Mittlerin der Menschen; könnte jemand
sagen, aber wie darf sie denn auch Mittlerin der Engel
genannt werden? Viele Gottesgelehrte behaupten, daß
Jesus Christus auch den Engeln die Gnade der
Beharrlichkeit verdiente; somit war Jesus ihr Mittler
nach Gerechtigkeit, und dann darf Maria Mittlerin nach
Barmherzigkeit auch für die Engel genannt werden, indem
sie durch ihre Bitten die Ankunft des Erlösers
beschleunigte. Wenigstens hat sie den Engeln die
Wiederbesetzung der durch den Engelsturz leer gewordenen
Sitze dadurch verdient, daß sie von der Barmherzigkeit
Gottes verdiente, Mutter des Messias zu werden. Sie hat
also jedenfalls den Engeln die Mehrung ihrer
Herrlichkeit verdient, weshalb Richard von St. Viktor
sagt: „Beide Kreaturen, Engel und Menschen, werden durch
sie wiederhergestellt; sowohl der Fall der Engel ist
durch sie wiedergutgemacht, als auch die Menschen wieder
mit Gott versöhnt sind.” Und vor ihm sagte der
hl.
Anselm: „Alles ist durch diese Jungfrau in den früheren
Stand zurückversetzt und wiederhergestellt.”
Und so erhielt denn unser himmlisches Kind, zur
Mittlerin der Welt und Mutter des Erlösers
vorherbestimmt, vom ersten Augenblick ihres Lebens an
eine größere Gnade als alle Heiligen zusammen. Welch ein
erhabenes Schauspiel war darum für Himmel und Erde die
schöne Seele dieses glückseligen Kindleins schon im
Mutterschoß! Sie war in den Augen Gottes das
liebenswürdigste Geschöpf, denn, voll von Gnade und
Verdienst, konnte sie schon damals von sich sagen: „Da
ich noch klein war, habe ich dem Allerhöchsten
gefallen.” Und zugleich war sie das am meisten Gott
liebende Geschöpf, das bis dahin in der Welt erschienen
war, und dies in solchem Grad, daß, wenn Maria
unmittelbar nach ihrer reinsten Empfängnis wäre geboren
worden, sie schon reicher an allen Verdiensten und
heiliger als alle Heiligen zusammen zur Weit gekommen
wäre. Nun denken wir aber, um wieviel heiliger sie bei
ihrer Geburt sein mußte, da sie mit den Verdiensten an
das Licht der Welt kam, die sie während der neun Monate
ihres Verweilens im Mutterschoß sich erworben hatte!
Gehen wir nun zur Betrachtung des zweiten Punktes über,
wie groß die Treue
war, mit der Maria sogleich der göttlichen Gnade
entsprach.
II. „Es ist nicht nur eine einfache Meinung”, sagt ein
gelehrter Schriftsteller, Pater La Colombière
[könnte
der inzwischen hl. Claudius de la Colombière sein, der
Beichtvater der hl. Margareta Alacoque war.], „sondern
die Überzeugung der ganzen Christenheit, daß das Kind
Maria im Schoß derhl. Mutter Anna mit der heiligmachenden Gnade auch den vollen Gebrauch ihrer hocherleuchteten Vernunft erhielt,
wie dies ihrer
Gnadenfülle entsprechend war.” Demnach können wir für gewiß glauben, daß von dem Augenblick der Vereinigung
ihrer schönen Seele mit dem reinsten Leib sie mit allen
Erleuchtungen der göttlichen Weisheit erfüllt war, um
die ewigen Wahrheiten, die Schönheit der Tugenden und
vornehmlich die unendliche Liebenswürdigkeit ihres
Gottes wohl zu erkennen und wie Er verdient von allen
und besonders von ihr selbst wegen der einzigen Vorzüge
geliebt zu werden, mit denen der Herr sie vor allen
Kreaturen geschmückt und ausgezeichnet hatte, indem Er
sie vor dem Makel der Erbsünde bewahrte, mit
unermeßlicher Gnade beschenkte, zur Mutter des Wortes
und zur Königin des Weltalls bestimmte.
Darum begann Maria, wohlgefällig ihrem Gott, von diesem
ersten Augenblick an verdienstlich zu wirken, so viel
sie vermochte, indem sie ohne Zögern von dem überreich
empfangenen Schatz der Gnade Gebrauch machte. Voll
Verlangen, dem gütigen Gott zu gefallen und Ihn zu
lieben, liebte sie Gott aus allen Kräften vom ersten
Augenblick an, und so fuhr sie fort, während der vollen
neun Monate ihres Lebens vor der Geburt Gott zu lieben
und ohne Aufhören durch die feurigsten Liebesakte immer
mehr mit Ihm sich zu vereinigen. Frei von der Erbsünde,
war sie auch frei von jeder irdischen Anhänglichkeit,
von jeder ungeordneten Regung, von jeder Zerstreuung,
von jedem Widerstand der Sinne, der sie hätte hindern
können, immer weiter in der göttlichen Liebe
voranzuschreiten. Alle Sinne waren mit ihrer gesegneten
Seele einmütigen Strebens nach Gott, weshalb diese in
ihrer Schönheit befreit von jedem Hindernis ohne
Stillstand sich immerdar zu Gott emporschwang, immer
liebte und immer in der Liebe zunahm. So konnte sie sich
selbst „eine Platane, gepflanzt an Wasserbäche”,
(Sir
24,19) nennen; war sie ja das edle Reis, von Gott
gepflanzt, das am Strom der göttlichen Gnaden immer mehr
gedieh. In gleicher Weise ist sie auch Weinstock
genannt: „Wie ein Weinstock bringe ich liebliche,
wohlriechende Früchte hervor.”
(Sir 24,23)
Nicht bloß, weil sie so niedrig in den Augen der Welt
erschien, sondern weil sie gleich dem Weinstock, der
nach dem bekannten Sprichwort ohne Ende wächst,
immer mehr in der Vollkommenheit zunahm. So grüßte sie der
hl. Gregorder Wundertäter: „Sei gegrüßt, du immer treibender Weinstock!” Auch war
sie immerdar mit Gott vereinigt, der ihre einzige Stütze
war - wie auch der Weinstock den Baum zur Stütze hat, an
dem er emporwächst. Auf sie beziehen sich darum die
Worte des Hl. Geistes im Hohenlied: „Wer ist die, die da
aufsteigt von der Wüste, überfließend von Freude,
gestützt auf ihren Geliebten?”
(Hl 8,5), was vom
hl.
Ambrosius ausgelegt wird.:
„Sie ist es, die so aufsteigt, daß sie dem Wort Gottes
sich anschmiegt wie der Rebstock dem Baum, an dem er
emporrankt.”
Viele und wichtige Theologen behaupten, daß die mit
einer eingegossenen Tugend
begnadigte Seele, so oft sie treu den danach von Gott
empfangenen einzelnen Gnadenhilfen mitwirke, jedesmal
einen dem Charakter der eingegossenen Tugend
entsprechenden verdienstlichen Akt hervorbringe, so daß
sie jedesmal ein neues und doppeltes Verdienst erwirbt,
das der Summe der bereits erworbenen Verdienste
gleichkommt. Diese Vermehrung wurde, wie sie sagen,
schon den Engeln verliehen, so lange sie im Stande des
Verdienstes und noch nicht in der Herrlichkeit befestigt
waren. War sie aber den Engeln verliehen, wie könnte sie
der Mutter Gottes verweigert gewesen sein, so lange sie
auf dieser Erde lebte und besonders in dem Zeitraum, von
dem eben die Rede ist, da sie im Schoß ihrer Mutter
weilte, wo sie sicherlich viel treuer als die Engel mit
der Gnade mitwirkte? Es verdoppelte Maria also während
dieser ganzen Zeit in jedem Augenblick die erhabene
Gnade, die sie vom ersten Zeitpunkt an besaß. Denn indem
sie bei jedem Akt, den sie vollbrachte, mit aller Stärke
und Vollkommenheit der Gnade mitwirkte, verdoppelte sie
infolgedessen in jedem Augenblick auch ihre Verdienste,
zwar so, daß, wenn sie im ersten Augenblick tausend
Grade von Gnade besaß, sie im zweiten zweitausend, im
dritten viertausend, im vierten achttausend, im fünften
sechzehntausend, im sechsten zweiundreißigtausend hatte.
Und dies schon im sechsten Augenblick! In solcher Weise
aber wurden sie vermehrt durch einen ganzen Tag,
vermehrt durch neun Monate, und nun erwäge man, welche
Schätze von Gnaden, von Verdiensten und von Heiligkeit
Maria bei ihrer Geburt auf die Welt gebracht haben muß.
Freuen wir uns also mit diesem Kind, das so heilig, von
Gott so sehr geliebt, so
voll von Gnade geboren wird. Und freuen wir uns nicht
bloß für sie, sondern auch für uns; denn sie kam voll
Gnade auf die Welt, nicht bloß zu ihrer Ehre, sondern
auch zu unserem Heil. Der hl. Thomas erwägt, daß die
allerseligste Jungfrau in dreifacher Hinsicht voll von
Gnade war. Fürs erste war sie voll von Gnade in der
Seele, so daß diese schöne Seele von Anfang an ganz Gott
angehörte. Zum zweiten war sie voll von Gnade im Leib,
so daß sie verdiente, mit ihrem reinsten Fleisch das
ewige Wort zu bekleiden. Zum dritten war sie voll Gnade
zum allgemeinen Wohl, auf daß alle Menschen daran
teilhaben könnten.
„Einige Heilige”, sagt der englische Lehrer weiter,
„haben so viel Gnade, daß sie nicht bloß für sie allein
genügt, sondern auch um viele andere, doch nicht alle
Menschen zu retten; nur Jesus und Maria war eine so
große Gnade gegeben, daß sie genügte, allen zum Heil zu
werden.” Was der hl. Johannes von Jesus Christus sagt,
„von seiner Fülle haben wir alle empfangen”
(Jo 1,16),
dasselbe sagen die Heiligen von Maria. Der hl. Thomas
von Villanova: „Eine volle Gnade, von deren Fülle alle
empfangen”, so daß, wie der hl. Anselm sagt: „Niemand
ist, der nicht teilhätte an der Gnadenfülle Mariens.”
Wer wird je gefunden, dem die Jungfrau nicht gnädig
wäre? Wer, auf den sich ihre Barmherzigkeit nicht
erstreckte?
Von Jesus also - so müssen wir es verstehen - erhalten
wir die Gnade als vom Urheber der Gnade, von Maria als
der Mittlerin; von Jesus als dem Heiland, von Maria als
der Fürsprecherin; von Jesus als der Quelle, von Maria
als dem Kanal.
Darum sagt der hl. Bernhard, daß Gott
Maria gleich einer Wasserleitung für seine Erbarmungen,
die Er den Menschen zuwenden will, aufgestellt und sie
darum voll
der Gnade gemacht habe, auf daß aus ihrer Fülle jedem
sein Anteil werde. Der Heilige ermahnt deshalb alle mit
den Worten: „Erkennt, mit welcher Andacht Gott Maria von
uns geehrt wissen will, da Er die Fülle alles Guten in
sie gelegt hat, auf daß wir innewerden, wie alles, was
wir an Hoffnung und Heilsgnade besitzen, von ihr uns
zufließt.”
O wie elend ist jene Seele, die sich diesen Kanal der
Gnade verschließt, da sie unterläßt, sich Maria
anzuempfehlen. Da Holofernes die Stadt Bethulia erobern
wollte, ließ er ihre Wasserleitungen durchschneiden.
(Jdt 7,6) Dasselbe macht der Teufel, wenn er sich einer
Seele bemächtigen will; er versucht, daß sie die Andacht
zur allerseligsten Jungfrau aufgibt, und ist dieser
Kanal geschlossen, so wird sie leicht das Licht, die
Furcht Gottes und zuletzt das ewige Heil verlieren. Man
lese das folgende Beispiel, und wird sehen, wie groß die
Zärtlichkeit des Herzens Mariens ist, aber auch wie groß
das Verderben, das sich derjenige zuzieht, der sich
diesen Kanal verschließt, indem er die Andacht zu dieser
Königin des Himmels aufgibt.
Beispiel
Trithemius, Canisius und andere erzählen, daß in
Magdeburg ein Jüngling namens Udo lebte, der von
Kindheit auf so schwachen Verstandes war, daß er der
Spott aller seiner Mitschüler wurde. Da er einmal über
seine geringen Fähigkeiten besonders betrübt war,
empfahl er sich vor einem Bild der allerseligsten
Jungfrau. Maria erschien ihm danach im Traum und sagte:
„Udo, sei getrost! Ich will dir von Gott nicht bloß eine
Fähigkeit erbitten, die dich vom Gespött befreit,
sondern so großes Talent, daß du darüber bewundert
werden wirst; außerdem gebe ich dir die Verheißung, daß
du nach dem Tod des Bischofs als Nachfolger erwählt
werden wirst.” So sprach Maria, und es ging genau in
Erfüllung. Er machte rasche Fortschritte in den
Wissenschaften und wurde Bischof dieser Stadt.
Aber Udo wurde so undankbar gegen Gott und seine
Wohltäterin, daß er alle Andacht fallen ließ und zum
Ärgernis aller wurde. Er wurde sehr ausschweifend. Da
vernahm er eine Warnungsstimme, die rief: „Udo, laß ab
von diesem Treiben; du warst lang genug darin, Udo!” Das
erstemal erzürnte er sich über diese Worte, weil er
meinte, es habe sie ein Mensch gesprochen, um ihn
zurechtzuweisen; allein da er sie zum zweiten- und
drittenmal wiederholen hörte, kam ihm doch die Furcht,
diese Stimme könnte vom Himmel kommen. Trotz allem aber
setzte er sein schlechtes Leben fort. Nach drei Monaten
jedoch, die ihm Gott gegeben, um in sich zu gehen, kam
die Strafe. Während ein frommer Kanonikus, Friedrich mit
Namen, nachts in der Kirche des hl. Mauritius zu Gott
betete, daß dem Ärgernis des Bischofs abgeholfen werde,
riß ein heftiger Windstoß die Tür der Kirche auf. Dann
traten zwei Jünglinge mit brennenden Fackeln in der Hand
ein und stellten sich zu den Seiten des Hochaltars auf.
Ihnen folgten zwei andere, die vor dem Altar einen
Teppich ausbreiteten und darauf zwei goldene Sitze
stellten. Zuletzt kam ein anderer Jüngling in
kriegerischer Tracht [St. Michael] mit dem Schwert in
der Hand, der sich mitten in die Kirche stellte und
rief: „O ihr Heiligen des Himmels, die ihr in dieser
Kirche eure hl. Reliquien
habt, kommt, um Zeugen des großen Gerichtes zu sein, das
der höchste Richter nun abhalten wird!” Auf diese Stimme
erschienen viele Heilige und auch die zwölf Apostel, als
Beisitzer dieses Gerichtes. Nun erschien Jesus Christus,
der sich auf einem der beiden Sitze niederließ, nach Ihm
Maria, von vielen hl. Jungfrauen gefolgt; ihr göttlicher
Sohn wies ihr den anderen Sitz an. Der Schuldige wurde
auf Befehl des Richters herbeigeführt, und es war dies
der elende Udo. Der hl. Mauritius erhob die Stimme und
forderte im Namen des durch Udos schändlichen Wandel
geärgerten Volkes Gerechtigkeit. Alle antworteten:
„Herr, er verdient den Tod.” -
„Wohlan, er sterbe!” sagte der ewige Richter. Doch vor
Vollstreckung des Urteils verließ die gütigste Mutter,
um nicht Zeuge des schrecklichen Aktes der Gerechtigkeit
zu sein, die Kirche, woraus man sehen mag, wie groß ihr
Mitleid ist.
Nun trat der Engel mit dem Schwert zu Udo und schlug ihm
mit einem Schlag das Haupt vom Rumpf. Die ganze
Erscheinung verschwand. Der ganze Raum der Kirche war
wieder dunkel. Der erschütterte Kanonikus zündete sich
eine Kerze an und fand den Leichnam Udos mit
abgeschlagenem Haupt und den Boden voll Blut. Als es Tag
geworden und das Volk zur Kirche kam, erzählte der
Kanonikus die Erscheinung und die schreckliche
Trauerszene. Noch am selben Tag zeigte sich der unselige
Udo einem seiner Kapläne, der vom Ereignis der Nacht
noch nichts vernommen hatte, als zur Hölle verdammt. Der
Leichnam Udos wurde in einen Sumpf gesenkt, sein Blut
aber wurde zum ewigen Gedächtnis auf dem Boden der
Kirche gelassen und mit einem Teppich bedeckt, der
später nur dann entfernt zu wurde, wenn ein neuer
Bischof von der Kirche Besitz nahm, damit er beim
Anblick der großen Züchtigung Bedacht nähme, seinen
Wandel wohl zu ordnen und den Gnaden des Herrn und
seiner heiligsten Mutter nicht untreu zu werden.
Gebet
O heiliges und himmlisches Kind, auserwählt zur Mutter
meines Erlösers und zur erhabenen Mittlerin der armen
Sünder, habe Mitleid mit mir. Sieh zu deinen Füßen einen
andern Undankbaren, der zu dir seine Zuflucht nimmt und
dich um Mitleid anfleht. Freilich verdiene ich wegen
meines Undankes gegen Gott und dich, von Gott und dir
verlassen zu werden; doch wird mir gesagt, und so halte
ich daran, wissend wie groß dein Erbarmen, daß du nicht
verschmähst, dem zu helfen, der sich mit Vertrauen dir
empfiehlt. Darum, o erhabenste aller Kreaturen der Welt,
die nur von Gott allein übertroffen wird, und vor der
die höchsten Geister des Himmels klein erscheinen, o
Heilige der Heiligen, o Maria, Abgrund der Gnade und
voll der Gnade, komme einem Elenden zu Hilfe, der durch
seine Schuld die Gnade verloren. Ich weiß, du bist Gott
so lieb, daß Er dir nichts versagt. ich weiß auch, es
ist deine Freude, kraft deiner Herrlichkeit den elenden
Sündern zu Hilfe zu kommen. Offenbare also die Größe
deiner Gnade vor Gott und erlange mir so viel Licht und
solche Liebesflamme von Gott, die aus mir wieder einen
Heiligen, die mich freimacht von jeder irdischen Neigung
und ganz in Liebe zu Gott entzündet. Bewirke dies, o
Herrin! Du vermagst es. Bewirke es aus Liebe zu Gott,
der dich so groß, so mächtig, so barmherzig gemacht hat.
Also hoffe ich. Amen.
3. Kap. - Mariä Opferung - 21.Nov.
Das Opfer, wo Maria sich selbst Gott darbrachte, geschah
sehr früh und ohne Zögern, es war vollkommen und ohne
Vorbehalt.
Nie war, noch wird je ein Opfer, das ein bloßes Geschöpf
Gott darbringen kann, größer und vollkommener sein, als
das, welches Maria als ein Kind von drei Jahren Gott
darbrachte, da sie in den Tempel kam, um Ihm nicht
Weihrauch oder junge Rinder oder Talente Goldes, sondern
um sich selbst ganz und gar zu einem vollkommenen
Brandopfer darzubringen, indem sie zu seiner
Verherrlichung als ein immerwährendes Opfer sich weihte.
Gar wohl verstand sie die Stimme Gottes, der von jeher
sie rief, sich ganz seiner Liebe zu weihen, mit den
Worten:
„Stehe auf, eile meine Freundin, und komme.”
(Hl 2,10)
Und darum wollte der Herr, daß sie von nun an ihrer
Heimat, ihrer Eltern und alles vergäße, um einzig
bedacht zu sein, Ihn zu lieben und Ihm zu gefallen.
„Höre Tochter, und merke und neige dein Ohr und vergiß
dein Volk und das Haus deines Vaters!”
(Ps 44,11) Und
schnell bereit, folgte sie dem göttlichen Ruf.
Betrachten wir also, wie angenehm Gott dieses Opfer war,
das Maria mit sich Ihm darbrachte, indem sie Ihm sich
schnell und gänzlich opferte: Schnell, ohne Zögern;
ganz, ohne Rückhalt. Hierzu zwei Punkte.
I. Maria opferte sich Gott schnell auf. Vom ersten
Augenblick an, da dieses himmlische Kind im Schoß seiner
Mutter geheiligt ward, also im ersten Augenblick seiner
unbefleckten Empfängnis, erhielt es den vollkommenen
Gebrauch der Vernunft, um von da an sogleich im Stand zu
sein, sich Verdienste zu erwerben, wie nach der
allgemeinen Ansicht die Gottesgelehrten mit Suarez
sagen, der behauptet, daß man glauben müsse, die
allerseligste Jungfrau sei von Gott auf die
vollkommenste Weise geheiligt worden, was nach dem
englischen Lehrer dadurch geschieht, daß eine Seele in
dem eigenen verdienstlichen Mitwirken von Gott die Gnade
der Heiligung empfängt. Und da dieser Vorzug den Engeln
und dem Adam verliehen worden ist, wie der hl. Thomas
sagt, so müssen wir ihn noch viel mehr als der
göttlichen Mutter verliehen bekennen, von der wir mit
aller Gewißheit annehmen dürfen, daß ihr Gott, der sich
würdigte, sie zu seiner Mutter zu erwählen, größere
Gaben als allen anderen Kreaturen verliehen habe. Dies
drückt der hl. Thomas in den Worten aus: „Aus ihr hat Er
die menschliche Natur angenommen, und darum mußte sie
vor den übrigen eine größere Fülle von Gnaden von
Christus empfangen.” Denn als Mutter hat sie, wie
Pater Suarez sagt, gewiß ein besonderes Anrecht auf die Gaben
ihres Sohnes. Und wie der heiligsten Menschheit Jesu
Christi wegen der hypostatischen Union die Fülle aller
Gnaden gebührte, so war es eine der göttlichen
Mutterschaft entsprechende, wie natürlich gebotene
Rücksicht, daß Maria von Jesus höhere Gnaden empfing,
als alle anderen Heiligen und Engel.
Maria erkannte also vom Anfang ihres Lebens Gott und
erkannte Ihn so, daß, wie der Engel zur hl. Birgitta
sagte, keine Zunge imstande wäre, zu erklären, wie weit
die Erkenntnis der allerseligsten Jungfrau vom ersten
Augenblick an, da sie Gott erkannte, in die Tiefen der
Gottheit einzudringen vermochte. Und von da an opferte
sich Maria, in diesem ersten Licht, von dem sie erfüllt
war,
ganz ihrem Herrn, indem sie sich ganz seiner Liebe und
seiner Verherrlichung weihte, wie dies der Engel der hl.
Birgitta mit den Worten offenbarte: „Sogleich entschloß
sich unsere Königin, ihren Willen Gott mit ganzer Liebe
für die ganze Zeit ihres Lebens zu weihen. Und niemand
kann begreifen, wie sehr von da an ihr Wille Ihm
geeinigt war, nach seinem Wohlgefallen alles zu
umfassen.”
Da ferner das unbefleckte Kind wußte, daß auch seine hl.
Eltern, Joachim und Anna, Gott durch ein Gelübde
versprochen hatten, - wie von verschiedenen
Schriftstellern berichtet wird -, daß, wenn Er ihnen
eine Nachkommenschaft geben werde, sie Ihm diese zum
Dienst im Tempel schenken würden, so wollte Maria,
obwohl nach dem Zeugnis des hl. Germanus und des
hl. Epiphanius, der sagt: „Im dritten Jahr wurde sie in den
Tempel gebracht”, erst drei Jahre alt, also in so früher
Jugend, da die Kinder mehr als sonst noch der Hilfe der
Eltern begehren und ihrer bedürfen, feierlich sich bei
dieser Darstellung im Tempel Gott opfern und schenken.
Darum war sie die erste gewesen, die ihre Eltern mit
inständigen Bitten angesprochen hatte, sie zum Tempel zu
geleiten und ihr Gelübde zu erfüllen. Und ihre hl.
Mutter Anna zögerte nach dem Zeugnis des hl. Gregor von Nyssa nicht, sie zum Tempel zu führen und Gott
darzubringen.
Es war ein alter Brauch der Juden, ihre Töchter in die
Zellen einzuschließen, die sich im Tempelbezirk
befanden, damit sie hier gut erzogen würden, wie dies
Baronius, Nikephorus, Cedrenus und Suarez mit Josephus
Flavius erzählen, was auch der hl. Johannes von
Damaskus, der hl. Georg von Nikomedien, der hl.
Ambrosius und der hl. Anselm bestätigen, und was auch
klar dem zweiten Buch der Makkabäer entnommen werden
kann, wo es im Bericht über Heliodor, der den Tempel
stürmen wollte, um den darin niedergelegten Schatz zu
nehmen, heißt: „Weil der Tempel in Verunehrung kommen
sollte, liefen die Jungfrauen, die sonst in
Verborgenheit lebten, zu Onias.”
(2 Makk 3,18)
Und als Joachim und Anna, um den liebsten Schatz ihrer
Herzen, den sie auf Erden hatten, Gott großmütig
aufzuopfern, von Nazareth abreisten, trug bald der
Vater, bald die Mutter das so sehr geliebte Kindlein auf
den Armen, da es nicht imstande war, den so weiten Weg
von achtzig italienischen Meilen (ungefähr 130 km), wie
mehrere Schriftsteller sagen, von Nazareth nach
Jerusalem zu Fuß zurückzulegen. Sie zogen des Weges von
wenigen Verwandten begleitet; aber Scharen hl. Engel
schlossen sich an, wie der hl. Georg von Nikomedien
sagt, als Gefolge und zum Dienst der zartesten
unbefleckten Jungfrau, die diese Reise machte, um sich
Gott zu weihen. „Wie schön sind deine Schritte, Tochter
des Fürsten!” (Hl 7,1) heißt es im Hohenlied. O wie
schön, sangen auch die Engel während dieser Wallfahrt,
wie schön, wie angenehm sind Gott diese deine Schritte,
die du machst, sie Ihm zu weihen, o große
Lieblingstochter unseres gemeinsamen Herrn! Gott selbst,
sagt Bernhardin von Bustis, feierte an diesem Tag mit
seinem ganzen himmlischen Hof ein großes Fest, da Er
seine Braut zum Tempel geleitet werden sah; denn nie
erblickte Er eine heiligere und geliebtere Kreatur, die
kam, sich Ihm zu opfern. „Ziehe hin”, ruft der
hl.
Germanus, Patriarch von Konstantinopel, ihr zu, „ziehe
hin, o Königin der Welt, Mutter Gottes, freudig in das
Haus des Herrn, um zu erwarten die Ankunft
des Hl. Geistes, der dich zur Mutter des ewigen Wortes
machen wird.”
Als diese hl. Pilgerschar zum Tempel kam, wendet sich
das herrliche Kind an seine Eltern und auf den Knien
ihnen die Hände küssend, bittet es um ihren Segen; und
dann, ohne umzuschauen, schreitet es, wie Arias Montanus
nach Josephus Flavius berichtet, die fünfzehn Stufen des
Tempels hinan und stellt sich dem Priester, dem hl.
Zacharias, vor, wie der hl. Germanus sagt. Und von der
Welt sich verabschiedend und auf alle Güter, die sie
ihren Anhängern verspricht, verzichtend, opfert und
weiht sie sich ihrem Schöpfer.
Zur Zeit der Sündflut blieb der von Noe aus der Arche
entlassene Rabe fern, um sich vom Aas zu nähren, aber
die Taube kehrte, ohne den Fuß niederzusetzen, eilends
wieder zur Arche zurück.
(Gen 8,9) Viele, die von Gott
in diese Welt geschickt sind, halten sich
unglückseligerweise auf, um sich an den irdischen Gütern
zu weiden. Nicht so unsere himmlische Taube Maria. Sie
erkannte, daß unser einziges Gut, unsere einzige
Hoffnung, unsere einzige Liebe Gott sein muß. Sie
erkannte, daß die Welt voll von Gefahren ist, und daß,
wer je schneller sie verläßt, um so freier von ihren
Fallstricken ist. Darum suchte sie schnell von frühester
Kindheit an, diese zu fliehen und ging, sich in die hl.
Zurückgezogenheit des Tempels zu verschließen, um hier
besser die Stimme Gottes zu vernehmen, Ihn besser ehren
und lieben zu können. Und so machte sich die allerseligste Jungfrau von Anfang ihres Wirkens an ihrem
Herrn ganz lieb und angenehm, wie sie die hl. Kirche
reden läßt: „Wünscht mir Glück ihr alle, die ihr den
Herrn liebt; denn da ich klein war, gefiel ich dem
Allerhöchsten.” (Brevier) Und deswegen wurde sie mit dem
Mond verglichen, weil wie der Mond schneller als die
anderen Planeten seinen Lauf vollendet, so Maria
schneller als alle anderen Heiligen zur Vollkommenheit
gelangte, indem sie schnell, ohne Säumen und ganz, ohne
Vorbehalt Gott sich hingab.
Nun wollen wir zum zweiten Punkt übergehen, wo viel zu
sagen sein wird.
II. Wohl wußte das erleuchtete Kind, daß Gott ein
geteiltes Herz nicht annimmt, sondern es ganz seiner
Liebe geweiht will nach der Vorschrift: „Du sollst den
Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen.”
(Dt
6,5) Also fing sie von dem Augenblick, da sie zu leben
begann, auch Gott aus allen Kräften zu lieben an und
schenkte sich Ihm ganz. Aber ihre heiligste Seele
erwartete mit großer Sehnsucht die Zeit, da sie auch
äußerlich und in feierlicher Weise sich vollkommen Gott
darbringen konnte. Betrachten wir also, mit welchem
Eifer das liebevolle jungfräuliche Kind, als es sich nun
an diesem hl. Ort eingeschlossen sah, sich zuerst
niederwarf, um den Boden zu küssen als des Hauses des
Herrn. Dann betete sie seine unendliche Majestät an,
dankte Ihm für die erhaltene Gnade, daß Er sie
aufgenommen habe in sein Haus, um darin zu wohnen. Sie
weihte sich ganz ihrem Gott, ganz ohne allen Vorbehalt,
indem sie Ihm alle Kräfte und alle Sinne, ihren ganzen
Geist und ihr ganzes Herz, die ganze Seele und den
ganzen Leib aufopferte.
Maria war die Erste, wie man annimmt, die um Gott zu
gefallen, das Gelübde der Jungfräulichkeit machte, wie
Abt Rupertus sagt: „Sie hat zuerst (als Erste) das
Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt.” Und sie opferte
sich ganz auf, ohne Schranke einer Zeit, wie Bernhardin
von Bustis behauptet: „Maria hat sich selbst
zum ewigen Dienst Gottes dargebracht und geweiht”; denn
sie hatte die Absicht, sich dem Dienst seiner göttlichen
Majestät im Tempel für ihr ganzes Leben zu weihen, wenn
es Gott so gefällig wäre, ohne je aus diesem hl. Ort
wieder herauszugehen. O mit welcher Innigkeit mußte sie
alsdann sagen: „Mein Geliebter ist mein und ich bin
sein” (Hl 2,16), d.h., wie
Kardinal Hugo erklärt: „Ich will Ihm ganz leben
und ganz sterben”. Mein Herr und Gott, sprach sie, ich
bin nun hier, allein um Dir zu gefallen und alle Ehre,
die ich vermag, Dir zu geben; hier will ich ganz Dir
leben und Dir sterben, wenn es Dir gefällt. Nimm das
Opfer an, das Dir deine arme Dienerin macht, und hilf
mir, Dir treu zu sein. [ Bei
den Juden war es Pflicht zu heiraten und Kinder zu
haben, Klöster für Frauen gab es noch nicht.]
Und nun betrachten wir, wie heilig das Leben war, das
Maria im Tempel führte, wo sie als die aufsteigende
Morgenröte ohne Aufhören in der Vollkommenheit wie die
Morgenröte im Licht zunahm. Wer wäre imstande zu
beschreiben, wie an ihr von Tag zu Tag immer schöner
ihre Tugenden erglänzten, die Liebe, die Bescheidenheit,
die Demut, das Stillschweigen, die Abtötung, die
Sanftmut? Dieser schöne Ölbaum in das Haus Gottes
verpflanzt, nach den Worten des hl. Johannes von
Damaskus, und vom Hl. Geist angeweht, wurde eine Wohnung
aller Tugenden. An einer anderen Stelle sagt er: Das
Antlitz der Jungfrau war bescheiden, ihre Seele demütig,
ihre Worte liebevoll, hervorgehend aus einem
wohlgeordneten Innern. Und wieder: Die Jungfrau zog ihr
Denken von allen irdischen Dingen ab, indem sie alle
Tugenden umfaßte, und, so jegliche Vollkommenheit übend,
machte sie in kurzer Zeit solche Fortschritte, daß sie
verdiente, ein würdiger Tempel Gottes zu werden.
Auch der hl. Anselm spricht von dem Leben der allerseligsten Jungfrau im Tempel und sagt: „Maria war
gelehrig, sprach wenig, war immer eingezogen, ohne zu
lachen und ohne je unruhig zu werden. Sie verharrte im
Gebet, in Lesung der Hl. Schrift, in Fasten und allen
tugendhaften Werken.” Der hl. Hieronymus und der hl.
Bonaventura berichten uns darüber mehr Einzelheiten.
Maria hatte ihr Leben so geordnet: Vom Tagesanbruch bis
zur dritten Stunde oblag sie dem Gebet; von der dritten
bis zur neunten war sie mit einer Arbeit beschäftigt;
von der neunten Stunde betete sie wieder bis der Engel
ihr, was gewöhnlich geschah, die Speise brachte. Sie
bemühte sich, die erste in den Nachtwachen, die
pünktlichste im göttlichen Gesetz, die tiefste in der
Demut und in jeder Tugend die vollkommenste zu sein. Nie
sah man sie in Aufregung, jedes ihrer Worte kam in
solcher Süßigkeit über ihre Lippen, daß ihr Sprechen
eine stete Verherrlichung Gottes war.
Die göttliche Mutter selbst offenbarte ferner der hl.
Elisabeth, Benediktinerin im Kloster Schönau, wie man
bei dem hl. Bonaventura liest: „Als mein Vater und meine
Mutter mich im Tempel zurückließen, beschloß ich in
meinem Herzen, Gott zum Vater zu haben, und oft dachte
ich, was ich Ihm zu gefallen tun könnte.”
„Ich beschloß dann die Jungfrauschaft zu bewahren,
nichts je auf der Welt zu besitzen, und all meinen
Willen überließ ich Gott”, offenbarte sie der hl.
Birgitta. Weiter offenbarte die allerseligste Jungfrau
der hl. Elisabeth, daß sie unter allen Geboten sich das
besonders vor Augen genommen habe, du sollst Gott,
deinen Herrn, lieben; daß sie um Mitternacht vor dem
Altar des Tempels zum Herrn gebetet,
Er möge ihr die Gnade verleihen, die Gebote zu
beobachten, und sie die Mutter des Erlösers erleben
lassen; Er möge ihr die Augen erhalten, um sie zu sehen,
die Zunge, um sie zu loben, die Hände und Füße, um sie
zu bedienen, die Knie, um in ihrem Schoß ihren
göttlichen Sohn anzubeten. Als die hl. Elisabeth dies
vernahm, sagte sie zu ihr: „Meine Herrin, warst du denn
nicht voll Gnade und Tugend?” Maria erwiderte ihr:
„Wisse, daß ich mich für die Geringste und der
göttlichen Gnade Unwürdigste hielt, weshalb ich so um
Gnade und Tugend flehte.” Um uns von der unerläßlichen
Notwendigkeit des Gebetes um die Gnaden, deren wir
bedürfen, zu überzeugen, sprach sie zuletzt: „Glaubst
du, daß ich die Gnaden und Tugenden ohne Mühe erlangt
habe? Wisse, daß ich keine Gnade von Gott ohne großes
Bemühen, beständiges Gebet, glühendes Verlangen und
viele Tränen und Bußen erlangt habe.”
Im besonderen aber verdienen die Offenbarungen der hl.
Birgitta über die Tugenden und die hl. Übungen erwogen
zu werden, deren die allerseligste Jungfrau in ihrer
Kindheit sich geübt hat. „Von erster Kindheit an war
Maria voll des Hl. Geistes, und wie sie an Alter wuchs,
so wuchs auch in ihr die Gnade. Von da an stand in ihr
fest, Gott zu lieben von ganzem Herzen, so daß nichts in
ihren Werken und Worten wäre, was Ihm mißfallen könnte;
deshalb waren alle Güter der Erde von ihr verachtet. Was
sie konnte, gab sie den Armen. Im Essen war sie so
mäßig, daß sie nur das äußerst Nötigste zur Erhaltung
des leiblichen Lebens sich gestattete. Als sie aus der
Hl. Schrift entnahm, daß Gott von einer Jungfrau sollte
geboren werden, um die Welt zu erlösen, so entbrannte
ihr Geist also in der göttlichen Liebe, daß sie nichts
suchte, nichts dachte als Gott, und in Gott allein sich
gefallend, selbst den Umgang ihrer Eltern floh, auf daß
sie nicht durch sie von dem beständigen Andenken an Gott
weggezogen würde. Und hauptsächlich begehrte sie, die
Zeit der Ankunft des Messias zu erleben, um die Dienerin
der glückseligen Jungfrau werden zu können, die
gewürdigt wäre, seine Mutter zu sein.” So die
Offenbarungen der hl. Birgitta.
Ja, aus Liebe zu diesem erhabenen Kind beschleunigte der
Erlöser sein Kommen in die Welt; denn während sie in
ihrer Demut sich nicht einmal für würdig erachtete, die
Magd der göttlichen Mutter zu sein, war sie selbst zu
dieser Mutter erwählt, und durch den Wohlgeruch ihrer
Tugenden und ihr mächtiges Flehen zog sie in ihren
jungfräulichen Schoß den göttlichen Sohn. Darum wurde
Maria von ihrem göttlichen Bräutigam Turteltaube
genannt: „Die Stimme der Turteltaube ist in unserem Land
gehört worden” (Hl 2,12); nicht bloß weil sie nach Art
der Turteltauben immer die Einsamkeit liebte und in
dieser Welt lebte, gleichwie in der Einöde, sondern auch
weil Maria im Tempel gleich der in der Wildnis
seufzenden Turteltaube aus Mitleid mit dem Elend der
gefallenen Welt beständig seufzte und von Gott die
Erlösung aller erflehte. O mit welch feuriger Inbrunst
wiederholte sie im Tempel vor Gott das Flehen und Rufen
der Propheten, damit Er den Erlöser sende: „Herr, sende
das Lamm, den Beherrscher der Erde. - Tauet ihr Himmel
von oben, Wolken regnet den Gerechten. - O daß Du die
Himmel zerreißen und herabsteigen mögest!”
(Is 16,1 -
45,8 - 64,1)
Mit einem Wort, die allerseligste Jungfrau war dem Auge
Gottes ein Gegenstand seines Wohlgefallens, da sie ohne
Unterlaß gleich einer Rauchsäule voll von den
Wohlgerüchen aller Tugenden auf den Gipfel der
Vollkommenheit sich aufschwang, wie der Hl. Geist im
Hohenlied dies beschreibt: „Wer ist die, so aus der
Wüste heraufsteigt, wie eine Rauchsäule von Spezereien,
aus Myrrhen und Weihrauch und allerlei Gewürz des
Salbenhändlers?” (Hl 3,6) „In Wahrheit war dieses Kind”,
sagt Sophronius,
„das Paardies des Herrn; denn Er fand darin alle Arten
von Blumen und alle Wohlgerüche der Tugenden.” Deshalb
behauptet der hl. Johannes Chrysostomus, „Gott habe aus
dem Grund Maria zu seiner Mutter auf Erden erwählt, weil
Er keine heiligere und vollkommenere Jungfrau auf Erden
gefunden als Maria und keinen würdigeren Ort darin zu
wohnen als ihren hochheiligen Schoß.” Auch der hl.
Bernhard sagt: „Kein würdigerer Ort war auf Erden als der jungfräuliche
Schoß.” Und der hl. Antonin sagt, daß die allerseligste
Jungfrau, um zur Würde einer Gottesmutter erwählt und
bestimmt zu sein, eine so große und vollendete
Vollkommenheit besitzen mußte, daß sie die
Vollkommenheit aller anderen Geschöpfe überragte: „Die
höchste Gnade der Vollkommenheit ist die Vorbereitung
auf die Empfängnis des Sohnes Gottes.”
Wie also die hl. Maria als Kind im Tempel sich Gott
schnell und gänzlich hingab und opferte, so wollen auch
wir uns an diesem Tag ohne Verzug und ohne Rückhalt
Maria opfern und sie bitten, sie möge uns Gott
darbringen, der uns nicht zurückweisen wird, wenn Er uns
durch die Hand derjenigen aufgeopfert sieht, die der
lebendige Tempel des Hl. Geistes, die Wonne ihres Herrn
und die auserwählte Mutter des ewigen Wortes war. Und
vertrauen wir gar sehr dieser erhabensten und gütigsten
Herrin, die mit großer Liebe die Huldigungen belohnt,
die sie von ihren Verehrern empfängt, wie man aus
folgendem Beispiel entnehmen kann.
Beispiel
Im Leben der Schwester Dominika vom Paradies, die im
Dorf Paradies bei Florenz von armen Eltern geboren
wurde, berichtet der Dominikaner Ignaz del Niente, daß
sie von Kindheit begann, der göttlichen Mutter zu
dienen. Sie fastete ihr zu Ehren jeden Tag der Woche und
am Samstag verteilte sie die vorn Mund sich abgesparte
Speise an die Armen und sammelte an diesem Tag im Garten
des Hauses oder in den nahen Fluren so viel Blumen, als
sie konnte, und opferte sie vor einem Bild der
allerseligsten Jungfrau mit dem Kind auf den Armen, das
sie in ihrem Haus hatte. Aber mit welchen
Gunstbezeigungen belohnte die gütigste Herrin diese
Huldigungen ihrer Dienerin? Eines Tages stand Dominika
am Fenster und sah auf der Straße eine Frau, schön von
Ansehen, mit einem Kind; beide streckten Almosen bittend
die Hand aus. Dominika holt Brot; doch siehe, ohne daß
sich die Türe öffnet, erblickt sie beide ihr zur Seite
und das Knäblein mit Wunden an Händen, Füßen und Brust.
Sie fragt die Frau, wer das Kind verwundet habe, die
Mutter versetzt: „Es war die Liebe.” Dominika
hingerissen von Liebe zu dem schönen, lieblichen Kind
fragt, ob die Wunden schmerzen; aber statt zu antworten,
lächelt es. Sie stellten sich nun vor die Bilder Jesu
und Mariens und die Frau sprach zu Dominika: „Sage mir,
Tochter, was bewegt dich, diese Bilder mit Blumen zu
bekränzen?” Sie antwortete:
„Die Liebe, die ich zu Jesus und Maria trage.” - „Und
wie sehr liebst du sie?” - „So viel ich kann.” - „Und
wie viel kannst du?” - „So viel als sie mir helfen.” -
„So fahre fort”, sagte da die Frau, „fahre fort, sie zu
lieben; denn wohl werden sie es dir im Paradies
vergelten.”
Nun empfand die Jungfrau einen himmlischen Wohlgeruch
aus den Wunden sich verbreiten und fragte die Mutter,
mit welcher Salbe sie diese salbe, und ob sie die Salbe
bekommen könnte. „Die Salbe kauft man”, erwiderte die
Frau, „mit dem Glauben und mit den Werken.” Dominika bot
das Brot an. Die Mutter sprach: „Die Speise meines Sohnes ist die Liebe; sag ihm, daß du
Jesus liebst und du wirst ihn zufrieden stellen.” Das
Kind frohlockte bei dem Wort Liebe, und zu der Jungfrau
gewandt fragte es, wie sehr sie Jesus liebe; und sie
antwortete: „Ich liebe Ihn so sehr, daß ich Tag und
Nacht immer an Ihn denke und nichts anderes begehre, als
so gut ich vermag, Ihm zu gefallen.” „Nun wohl”, sagte
es, „liebe Ihn, denn die Liebe wird dich lehren, was du
zu tun hast, um Ihn zufriedenzustellen.” Der aus den
Wunden strömende Wohlgeruch nahm zu und Dominika rief:
„O Gott, dieser Wohlgeruch macht mich vor Liebe sterben.
Wenn der Wohlgeruch eines Kindleins so süß ist, was wird
der Wohlgeruch des Paradieses sein!” Doch siehe, nun
änderte sich die Szene. Die Mutter erscheint als Königin
gekleidet und von Licht umgeben, und das Kindlein,
glänzend wie die Sonne von Schönheit, nimmt diese Blumen
und streut sie auf das Haupt der nun Jesus und Maria
erkennenden und in Anbetung sich niederwerfenden
Dominika. So endete die Erscheinung. Dominika nahm dann
das Kleid der Dominikanerinnen und starb im Ruf der
Heiligkeit im Jahr 1553.
Gebet
O von Gott geliebtes, liebenswürdigstes Kind Maria,
könnte ich so, wie du im Tempel dich dargestellt und
ganz und vollkommen dich der Verherrlichung und Liebe
deines Gottes geopfert hast, auch heute noch die ersten
Jahre meines Lebens dir schenken, um mich ganz deinem
Dienst, meine heilige und süßeste Herrin, zu weihen.
Aber dies kann ich nicht mehr; denn ich Unglücklicher
habe deiner und Gottes vergessend so viele Jahre im
Dienst der Welt und meiner Launen verloren. Wehe der
Zeit, da ich dich nicht geliebt! Doch besser ist es,
spät, als gar nie anzufangen. Siehe, o Maria, heute
bringe ich mich dir dar und weihe mich ganz deinem
Dienst, möge ich kurz oder lang noch auf dieser Erde zu
leben haben. Mit dir vereinigt, verzichte ich auf alle
Geschöpfe und weihe mich gänzlich der Liebe meines
Schöpfers. Dir o Königin, weihe ich meine Seele, daß sie
immer der Liebe gedenke, die du verdienst, meine Zunge,
dich zu loben, mein Herz, dich zu lieben! Nimm, o
allerseligste Jungfrau, das Opfer an, welches dir dieser
elende Sünder darbringt; nimm es an, ich bitte dich
durch den Trost, den dein Herz empfunden, als du im
Tempel dich Gott geschenkt. Da ich so spät deinem Dienst
mich schenke, so ist es billig, die verlorene Zeit durch
verdoppelten Eifer und Liebe zu ersetzen. Hilf durch
deine mächtigste Fürsprache, o Mutter der
Barmherzigkeit, meiner Schwachheit und erlange mir von
deinem Jesus die Beharrlichkeit und die Stärke, dir bis
zum Tod
getreu zu sein, auf daß ich hienieden, ohne Unterlaß dir
dienend, einst dahin gelange, dich im Himmel ewig zu
lobpreisen. Amen.
4. Kap. - Mariä Verkündigung - 25. März
Maria konnte sich bei der Menschwerdung des Wortes nicht
tiefer verdemütigen; Gott konnte seinerseits sie nicht
höher erheben, als Er sie erhob.
„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich
erniedrigt, wird erhöht werden.”
(Mt 23,12) Dieser
Ausspruch des Herrn kann nicht täuschen. Als darum Gott
beschlossen hatte, Mensch zu werden, um den gefallenen
Menschen zu erlösen, und so der Welt seine unendliche
Güte zu offenbaren, und da Er sich auf Erden die Mutter
zu wählen hatte, erkor Er sich aus den Jungfrauen die
heiligste und demütigste. Unter allen erblickte Er eine,
die Jungfrau Maria, die je vollkommener sie an Tugenden,
um so einfacher und demütiger einer Taube gleich in
ihren eigenen Augen war.
„Der Jungfrauen ist keine Zahl. Eine nur ist meine
Taube, meine Vollkommene”, heißt es im Hohenlied
(Hl
6,7). Darum sei diese, sprach Gott, meine auserwählte
Mutter.
Betrachten wir also, wie demütig Maria war, und wie hoch
sie Gott dafür erhob. Maria konnte sich in der
Menschwerdung des Wortes nicht mehr verdemütigen, als
sie sich verdemütigte; das wird der erste Punkt sein.
Gott konnte Maria nicht mehr erhöhen, als Er sie erhob;
dies wird der zweite sein.
I. Indem der Hl. Geist im Hohenlied gerade von der Demut
dieser demütigsten Jungfrau spricht, sagt Er: „Wenn der
König auf seinem Lager ist, gibt meine Narde ihren
Geruch.” (Hl 1,11) Der
hl. Antonin sagt in Auslegung
dieser Worte, daß in der Nardenpflanze, weil sie so
klein und niedrig ist, die Demut Mariens vorgebildet
war, deren Wohlgeruch zum Himmel aufstieg und aus dem
Schoß des ewigen Vaters in ihren jungfräulichen Schoß
das göttliche Wort herabzog. So wählte, angezogen von
dem Wohlgeruch ihrer Demut, der Herr diese Jungfrau zu
seiner Mutter, als Er um die Welt zu erlösen, Mensch
werden wollte. Um aber die Ehre und die Verdienste
dieser Mutter zu erhöhen, wollte Er ohne ihre vorherige
Zustimmung nicht ihr Sohn werden, wie Abt Wilhelm
bemerkt. Indem also die demütige Jungfrau in ihrem
armen, kleinen Haus in Seufzern und in größerer Inbrunst
als je zu Gott flehte, daß Er den Erlöser sende, wie
dies der hl. Elisabeth, Benediktinerin von Schönau, geoffenbart wurde, siehe, da kommt der Erzengel Gabriel,
die große Botschaft zu bringen. Eintretend grüßt er sie
mit den Worten: „ Sei gegrüßt, voll der Gnaden, der Her
ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen.”
(Lk
1,28) Gott grüße dich, o Jungfrau, voll der Gnaden; du
warst ja immerdar reich an Gnaden mehr als alle anderen
Heiligen. Der Herr ist mit dir, weil du so demütig bist.
Du bist gebenedeit unter den Frauen. Da alle anderen vom
Fluch der Schuld getroffen wurden, warst du als Mutter
des Gebenedeiten und wirst du allezeit gesegnet und frei
von jeglichem Makel sein.
Was erwidert Maria in ihrer Demut auf diesen, sie so
hoch lobpreisenden Gruß? Nichts, sie antwortet nicht;
wohl aber erschrickt sie, solchen Gruß erwägend. „Da
sie dies hörte, erschrak sie über seine Rede und dachte
nach, was das für ein Gruß sei.” Und warum erschrak sie?
Etwa aus Furcht vor Täuschung oder aus Sittsamkeit,
einen Mann erblickend, wie einige wollen, denkend, der
Engel sei ihr in menschlicher Gestalt erschienen? Nein,
der Text ist klar; sie erschrak über seine Rede.
Eusebius von Emessa bemerkt: „Nicht über sein Antlitz,
sondern über seine Rede.” Es kam dieses Erschrecken
allein aus ihrer Demut, da sie diese Lobpreisung
ganzunvereinbar mit der geringen Meinung fand, die sie
von sich selber hatte. Je mehr sie also vom Engel sich
erhoben weiß, desto tiefer erniedrigt sie sich in
Betrachtung ihres Nichts. Hier stellt der hl. Bernhardin
die Erwägung an und sagt: „Hätte der Engel zu Maria
gesagt, sie sei die größte Sünderin der Welt, so hätte
sich Maria nicht so sehr verwundert; aber solches Lob
vernehmend, erschrak sie ganz.” Sie erschrak, weil sie
voll Demut jedes Lob verabscheute und nur begehrte, daß
ihr Schöpfer und Geber alles Guten gelobt und gebenedeit
werde. Dasselbe offenbarte Maria selbst der hl.
Birgitta, von der Zeit sprechend, da sie Mutter Gottes
wurde: „Nicht mein Lob habe ich gewollt, sondern allein
das des Gebers und Schöpfers.”
Doch wußte, sage ich,
die allerseligste Jungfrau aus den
hl. Schriften wohl, daß die von den Propheten
geweissagte Zeit der Ankunft des Messias schon gekommen
und die Wochen Daniels erfüllt sind; daß nach der
Weissagung Jakobs das Szepter Judas bereits in die Hand
des Herodes, eines fremden Fürsten, gelangt sei; auch wußte sie wohl, daß die Mutter des Messias eine Jungfrau
sein müsse. Sie erkannte ferner, daß die vom Engel ihr
erteilten Lobpreisungen auf keine andere, als die zur
Mutter Gottes bestimmte Jungfrau sich beziehen konnten;
aber kam ihr etwa der Gedanke, oder nur die leise
Ahnung, als könnte sie selbst diese von Gott erkorene
Mutter sein? Nein, ihre tiefe Demut ließ nicht zu, daran
nur zu denken. Nur zu großer Furcht konnten diese
Lobsprüche sie bewegen, zwar so, daß der hl. Petrus Chrysologus bemerken kann: „Gleichwie Christus durch
einen Engel wollte gestärkt werden, so mußte die
Jungfrau durch einen Engel ermutigt werden.” Der hl.
Erzengel Gabriel sah Maria in solchem Erschrecken über
seinen Gruß, daß er sie mit den Worten tröstete:
„Fürchte dich nicht Maria, du hast Gnade gefunden vor
Gott.” (Lk 1,30) Fürchte dich nicht, o Maria, erstaune
nicht über die großen Ehrentitel, mit denen ich dich
begrüße; denn bist du auch in deinen Augen so klein und
niedrig, so hat doch Gott, der die Demütigen erhöht,
dich würdig gemacht, die von den Menschen verlorene
Gnade wiederzufinden, und darum hat Er dich vor dem
allen Kindern Adams gemeinsamen Makel bewahrt; darum hat
Er dich von deiner Empfängnis an mit mehr Gnade als alle
Heiligen geziert; darum endlich erhebt Er dich jetzt zu
der Würde, seine Mutter zu sein. „Siehe! Du wirst
empfangen und einen Sohn gebären und sollst seinen Namen
Jesus nennen.” (Lk 1,31)
Was geschah nun weiter? „Der Engel harrt auf eine
Antwort”, sagt der hl. Bernhard,
„auch wir, o Herrin, harren auf das Wort deiner
Erbarmung, wir, die uns der Urteilsspruch der Verdammnis
so schwer drückt. Siehe! Der Preis unseres Heiles ist
dir angeboten, sogleich werden wir gerettet sein, so du
einwilligst. Der Herr selbst, wie sehr Er deine
Schönheit begehrt, so sehr verlangt Er deine zustimmende
Antwort, in die Er das Heil der Welt gelegt hat.” „O
antworte doch, o hl. Jungfrau”, ruft der hl. Augustinus,
„was zögerst du, der Welt das Heil zu bringen?”
Doch siehe! Schon antwortet Maria! Sie erwidert dem
Engel: „Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe
nach deinem Wort.” (Lk 1,38) O Antwort, schöner,
demütiger und weiser, als die Weisheit aller Menschen
und Engel zusammen nach tausendjährigem Nachsinnen sie
nicht finden könnte! O machtvolle Antwort, die du den
Himmel erfreut und der Erde ein unermeßliches Meer von
Gnaden und Gütern gebracht hast! Antwort, kaum aus dem
Herzen Mariens hervorgegangen, hast du aus dem Schoß des
ewigen Vaters den eingeborenen Sohn herabgezogen, um in
ihrem reinsten Schoß Mensch zu werden. Ja, kaum sind die
Worte: „Siehe die Magd des Herrn, mir geschehe nach
deinem Wort” ausgesprochen, da ist schon der Sohn Gottes
auch Sohn Mariens geworden. „Das Wort ist Fleisch
geworden.” (Jo 1,14)
„O mächtiges Fiat - es geschehe”,
ruft der hl. Thomas von Villanova aus, „o wirksames
Fiat, o über alles ehrwürdiges Fiat!”
Mit einem anderen
Fiat schuf Gott das Licht, den Himmel, die Erde; aber
mit diesem Fiat Mariens wurde Gott ein Mensch gleich
uns.
Doch wollen wir dieses Thema nicht verlassen, sondern
noch weiter die große
Demut der hl. Jungfrau in dieser Antwort betrachten.
Wohl war sie erleuchtet, die überaus hohe Würde einer
Mutter Gottes zu erkennen. Schon hatte sie vom Engel die
Gewißheit, daß sie selbst diese glückliche vom Herrn
erwählte Mutter sei, doch all dies bewegt sie nicht,
eine höhere Meinung von sich anzunehmen; nichts bringt
sie dazu, über diese Erhöhung an sich Gefallen zu
finden; denn an sich selbst erblickt sie nur ihr Nichts
vor der unendlichen Majestät ihres Gottes, der zu seiner
Mutter sie erkoren. Sie weiß sich unwürdig solcher Ehre,
doch will sie seinem Willen nicht widerstreben. Um ihre
Zustimmung befragt, was tut sie? Was antwortet sie? Ganz
vernichtet in sich selbst und wieder ganz entflammt von
dem Verlangen, im höchsten Grad mit Gott dadurch
vereinigt zu sein, antwortet sie, dem göttlichen Willen
sich ganz hingebend: „Schau, ich bin die Magd des
Herrn!” Siehe die willenlose Magd des Herrn,
verpflichtet zu tun, was ihr Herr befiehlt, d. h. wenn
der Herr zu seiner Mutter mich erwählt, die ich aus mir
nichts besitze, die ich, was ich habe, von Gott
empfangen habe, wer kann je denken, daß Er mich um
meiner Verdienste willen dazu erwählte? Siehe, ich bin
die Magd des Herrn. Welches Verdienst könnte eine recht-
und willenlose Magd besitzen, zur Mutter ihres Herrn
erhöht zu werden? Siehe, ich bin die Magd des Herrn. So
werde gelobt allein die Güte des Herrn, nicht aber rühme
sich die Magd; denn nur seine Güte kann die Augen auf
eine so niedrige Kreatur wenden, wie ich bin, und sie so
sehr erheben.
„O große Demut Mariens”, ruft Abt Guerricus aus, „die
sie klein vor sich selbst, aber groß vor Gott macht!
Unwürdig in ihren Augen, aber würdig in den Augen des
unendlich großen Herrn, den die Welt nicht zu fassen
vermag.” Noch schöner sind die hierauf sich beziehenden
Worte des hl. Bernhard in seiner vierten Rede über die
Himmelfahrt Mariens, wo er ihre Demut bewundernd
spricht: „O Herrin, wie konntest du in deinem Herzen
eine so demütige Meinung von dir selbst mit solcher
Reinheit, mit solcher Unschuld und solcher Gnadenfülle
vereinigen? Woher, o allerseligste Jungfrau, stammt
diese Demut, in der du so tief begründet bist?
Sie ist so groß, und du siehst dich von Gott so hoch
geehrt und erhoben. Als Luzifer sich mit großer
Schönheit ausgerüstet sah, verlangte er seinen Thron
über die Sterne zu setzen und Gott sich gleich zu
machen;” was hätte er in seinem Stolz erst gesagt und
begehrt, wenn er sich mit den Vorzügen Mariens
geschmückt gesehen? Nicht so die Demut Mariens; je mehr
sie sich erhöht erblickt, um so tiefer demütigt sie
sich. „Ach Herrin, durch diese so schöne Demut”,
schließt der hl. Bernhard, „hast du dich wohl würdig
gemacht, von Gott mit besonderer Liebe angesehen zu
werden, würdig, deinen König durch deine Schönheit
einzunehmen, würdig, durch den Wohlgeruch deiner Demut
den ewigen Sohn aus seiner Wohnung, aus dem Schoß Gottes
in deinen reinsten Mutterschoß herabzuziehen.”
Nach Bernhardin von Bustis hat Maria durch ihre Antwort:
„Schau, ich bin die Magd des Herrn, ein größeres
Verdienst erlangt, als alle Kreaturen mit all ihren
Werken erlangen können.” Auch der hl. Bernhard sagt
übereinstimmend damit, die schuldlose Jungfrau, durch
ihre reinste Jungfrauschaft Gott wohlgefällig, machte
durch ihre Demut sich würdig, so weit sich eine Kreatur
dessen würdig machen kann, Mutter ihres Schöpfers zu
werden. Auch der hl. Hieronymus bestätigt dies mit den
Worten, daß Gott sie mehr wegen ihrer Demut, als wegen
aller ihrer anderen erhabenen Tugenden zur Mutter
erwählt habe. Maria selbst erklärte dies der hl.
Birgitta, indem sie sagte: „Wie anders verdiente ich
solche Gnade, Mutter meines Herrn zu werden, weil ich
mein Nichts erkannte und mich demütigte.”
Und schon in
ihrem überaus demütigen Lobgesang hatte sie dies erklärt
in den Worten: „Er hat herniedergeschaut auf die
Niedrigkeit seiner Magd... Großes hat an mir getan, der
mächtig ist.” Der hl. Laurentius Justinianus sagt dazu,
daß die allerseligste Jungfrau nicht sagte, hernieder
sah Er auf die Jungfräulichkeit, Unschuld, sondern nur
auf die Niedrigkeit. „Und durch diese Niedrigkeit”,
bemerkt der hl. Franz von Sales, „wollte Maria nicht die
Tugend der Demut loben, sondern nur erklären, daß Gott
ihr Nichts angesehen und aus reiner Güte sie so sehr
erhöht habe.” [Maria ist die
Königin der Demut und der Demütigen.]
Überhaupt, sagt der hl. Augustinus, war die Demut Mariens wie eine Leiter, auf welcher der Herr sich
würdigte, auf Erden herniederzusteigen, um Mensch in
ihrem Schoß zu werden. Und dies bestätigend, sagt der
hl. Antonin, daß die Demut der Jungfrau ihre
vollkommenste und nächste Vorbereitung gewesen sei, um
Mutter Gottes zu werden. Darum hatte Isaias geweissagt:
„Ein Reis wird hervorkommen aus der Wurzel Jesses und
eine Blume aufgehen aus seiner Wurzel” (Is 11,1),
worüber der hl. Albert Der Große bemerkt, daß die
göttliche Blume, d. h. der eingeborene Sohn Gottes nicht
aus dem Gipfel oder Stamme Jesses, sondern aus der
Wurzel hervorgehen mußte, um die Demut der Mutter
dadurch anzuzeigen: „Unter der Wurzel wird die Demut des
Herzens verstanden.” Und deutlicher erklärt der Abt von
Celles: „Bemerke, daß nicht aus dem Gipfel, sondern aus
der Wurzel die Blume hervorgehen wird.” Deshalb hatte
der Herr zu seiner geliebten Tochter gesagt:
„Wende ab deine Augen; denn sie ziehen mich zu dir”, was
nach der Erklärung
des hl. Thomas von Villanova bedeutet, sie ziehen mich
vom Schoß des Vaters
zu meiner jungfräulichen Mutter. Denselben Gedanken
erklärt der gelehrte Fernandez mit den Worten: „So sehr
gefielen Gott die Blicke ihrer tiefsten Demut, mit denen
sie nur seine unendliche Größe und ihr eigenes Nichts
betrachtete, daß sie mit süßer Gewalt das ewige Wort des
Vaters in ihren reinsten Schoß herabzogen.”
„Daraus ersieht man”, sagt Abt Franko, „warum der Hl.
Geist so sehr die Schönheit dieser seiner Braut wegen
ihrer Taubenaugen erhob.” Ihre Einfalt und Demut machten
sie Gott also wohlgefällig und gaben ihr in seinen Augen
solche Schönheit, daß es Ihm gefiel, in ihrem
jungfräulichen Schoß zu wohnen. So konnte sich also
Maria, um diesen Punkt zu schließen, in der
Menschwerdung des Wortes nicht tiefer demütigen, als sie
sich gedemütigt hat. Betrachten wir nun weiter, wie Gott
sie in Erwählung zu seiner Mutter nicht mehr erhöhen
konnte, als Er sie erhöht hat.
II. Um die Hoheit zu ermessen, zu der Maria erhoben
wurde, müßte man die unendliche Herrlichkeit und Größe
Gottes selbst zu begreifen imstande sein. Darum wird der
einfache Ausspruch genügen: Gott erkor sie zu seiner
Mutter, um zu erkennen, daß Gott sie nicht mehr erhöhen
konnte, als Er sie erhoben hat. Mit Recht beteuert der
hl. Arnold von Chartres, daß Gott, indem Er Sohn der
Jungfrau wurde, sie über alle Engel und Heiligen erhoben
hat. „Sie ist nach Gott ohne Vergleich höher als alle
himmlischen Geister”, sagt der hl. Ephräm. Dasselbe
bestätigt auch der hl. Andreas von Kreta mit dem
hl.
Anselm, der sagt: „Herrin, du hast niemand, der dir
gleich käme; denn jeder andere ist entweder über dir
oder unter dir: Gott allein ist über dir, und alle
anderen sind unter dir.” „So groß”, sagt der
hl.
Bernhardin,
„ist die Hoheit dieser Jungfrau, daß Gott allein sie
fassen kann.”
„Dies ist auch die Ursache”, sagt der
hl. Thomas von Villanova, „warum wir uns nicht wundern dürfen, daß die
hl. Evangelisten so wenig von Maria berichten, während
sie mit Ausführlichkeit von dem Täufer oder von
Magdalena zu deren Lob erzählen. Es war genug, von ihr
zu sagen: „Von der Jesus geboren ist.”
„Was willst du mehr, das sie von den hohen Vorzügen
dieser Jungfrau hätten beschreiben sollen? Es genüge
dir, daß sie bezeugen, sie sei die Mutter Gottes. Indem
sie in diesem einzigen Satz das Größte, das Ganze ihrer
Vorzüge beschreiben, so war nicht notwendig, Weiteres
von den Einzelheiten zu erzählen.” Und wie? frage ich
mit dem hl. Anselm, übersteigt der einfache Bericht, daß
Maria die Mutter Gottes sei, nicht jede Größe, die
nächst Gott sich denken oder sagen läßt?
Auch Petrus von Celles drückt dies in den Worten aus:
„Gib ihr, den Namen den du willst, Königin des Himmels,
Herrin der Engel oder was immer für einen anderen
Ehrentitel, du wirst sie dadurch nie so ehren können,
als mit dem Namen
„Gottesgebärerin.” Der Grund ist einleuchtend, weil nach
dem Satz des englischen Lehrers: „Je näher ein Geschöpf
dem Schöpfer steht, um so mehr hat es teil an seinen
Vollkommenheiten.” Maria hatte als das Gott am nächsten
stehende Geschöpf mehr als alle anderen Anteil an Gnade,
Vollkommenheit und Größe.
Pater Suarez zieht daraus den Schluß,
daß die Würde
einer Mutter Gottes höherer Ordnung ist als jede andere
erschaffene Würde, indem sie gewissermaßen der Ordnung
der hypostatischen Einigung angehört, mit der sie
naturnotwendig
verbunden ist. Deshalb lehrt auch Dionysius der
Karthäuser, daß es nach der Vereinigung, welche die
Person des ewigen Wortes mit der von Ihm angenommenen
menschlichen Natur eingegangen ist, keine innigere
zwischen Gott und dem Geschöpf mehr gehen könne, als
jene der Mutter Gottes mit Gott, ihrem Sohn. „Diese
ist”, wie der hl. Thomas sagt, „die allerhöchste
Einigung, in die ein Geschöpf zu Gott gelangen kann»
Darum bezeugt auch der hl. Albert Der Große, daß die
göttliche Mutterschaft unmittelbar nach der unendlichen
Größe Gottes selber komme, so zwar, daß Maria, ohne Gott
selbst zu werden, nicht enger mehr mit Ihm vereinigt
sein konnte.
Der hl. Bernhardin behauptet, daß die allerseligste
Jungfrau, um vom Hl. Geist empfangen und Gott gebären zu
können, durch unendliche Gnadenfülle zu einer gewissen
Ähnlichkeit mit Gott erhoben werden mußte, Von der
Tatsache ausgehend, daß die Kinder mit ihren Erzeugern
im moralischen Sinn eine Person ausmachen und darum
Güter und Ehrenvorzüge gemeinschaftlich besitzen,
behauptet der hl. Petrus Damianus: „Gott, der in seinen
Geschöpfen auf verschiedene Weise wohnt, wohnt in Maria
auf eine ganz einzige Weise, nämlich in der Gleichheit,
indem Er sich eins mit ihr machte.” Daher sein berühmter
Ausspruch: „Es schweige und zittere jede Kreatur und wage kaum, die Unermeßlichkeit solcher
Würde anzuschauen. Gott wohnt in der Jungfrau, mit der Er
die Gleichheit einer Natur hat.”
Der hl. Thomas lehrt, daß Maria, nachdem sie Mutter
Gottes geworden, aus Grund dieser so innigen Vereinigung
mit einem unendlichen Gut eine gewisse unendliche Würde
erlangt habe, die Pater Suarez unendlich ihrer Art nach
nennt. Die Würde einer Mutter Gottes nämlich ist die
höchste Würde, die einem bloßen Geschöpf verliehen
werden kann. Dies begründet der englische Lehrer durch
den Nachweis, daß in gleicher Weise von Maria wie von
der hl. Menschheit Jesu Christi zwar angenommen werden
dürfe, daß sie eine noch höhere eingegossene Gnade hätte
empfangen können, als sie wirklich empfangen hat, daß
aber mit Rücksicht des Zweckes, für den die hl.
Menschheit Jesu Christi die eingegossene Gnade erhielt,
nämlich zur Vereinigung mit der Person des Wortes, sie
keine höhere Gnade hätte erhalten können, und daß
demgemäß auch Maria zu keiner höheren Würde hätte von
Gott erhoben werden können als zu der, seine Mutter zu
sein. „Die allerseligste Jungfrau hat dadurch, daß sie
Mutter Gottes ist, eine gewisse unendliche Würde aus dem
unendlichen Gut, das Gott ist, und in dieser Beziehung
ist nichts Vollkommeneres möglich.”
Dasselbe schreibt der hl. Thomas von Villanova: „Sicher
liegt darin eine gewisse Unendlichkeit, Mutter des
Unendlichen zu sein.” Und der hl. Bernhardin sagt, daß
der Stand, zu dem Maria von Gott als seine Mutter
erhoben wurde, der höchste war, so daß Er sie nicht
höher erheben konnte. Und der hl. Albert Der Große
bestätigt dies mit den Worten: „Der Herr hat der allerseligsten Jungfrau das Höchste verliehen, was ein
bloßes Geschöpf zu empfangen fähig war, nämlich die
Mutterschaft Gottes.”
Der hl. Bonaventura stellt den bekannten Satz auf, daß
Gott zwar eine größere
Welt und einen schöneren Himmel, nicht aber eine
erhabenere Kreatur, als seine Mutter erschaffen konnte.
Doch schöner als alle Gottesgelehrten beschreibt die
göttliche Mutter selbst ihre Erhöhung mit den Worten:
„Großes hat an mir getan, der mächtig ist.”
(Lk 1,49)
Warum aber erklärte sie nicht, was die großen Dinge
seien, die ihr von Gott verliehen wurden? Darauf
antwortet der hl. Thomas von Villanova: „Darum hat Maria
sie nicht erklärt, weil sie unfaßbar sind.”
Mit Recht sagt also der hl. Bernhard, daß Gott um seiner
jungfräulichen Mutter willen die ganze Welt erschaffen
habe. Und mit gleichem Recht sagt der hl. Bonaventura in
Anwendung der von der hl. Kirche auf Maria bezogenen
Stelle aus den Sprichwörtern:
„Ich war mit Ihm alles ordnend
(Spr 8,30): „Auf deine
Anordnung, heiligste Jungfrau, besteht die Welt, die
auch du mit Gott von Anfang gegründet hast.” Damit
stimmt zusammen, was der hl. Bernhardin behauptet, daß
Gott nach dem Fall Adams nur aus Liebe zu Maria den
Menschen noch verschont habe. Wie recht also singt die
hl. Kirche von Maria: „Sie hat den besten Teil erwählt”;
denn nicht bloß erwählte sie das Beste, sondern auch vom
Besten den allerbesten Teil, indem sie um der Würde
ihrer göttlichen Mutterschaft willen, wie der hl. Albert
Der Große sagt, alle allgemeinen und besonderen Gnaden,
die je den anderen Kreaturen verliehen wurden, von Gott
im höchsten Grad empfangen hat.
So war also Maria zwar ein Kind, aber von diesem Stand
hatte sie nur die Unschuld, nicht den Mangel eines
kindlichen Unvermögens; denn vom Anfang ihres Lebens
hatte sie immer den vollkommensten Gebrauch der
Vernunft. Sie war Jungfrau, aber mit dem Vorzug der
Mutterschaft. Sie war Mutter, aber mit der Zierde
unversehrter Jungfräulichkeit. Sie war schön, ja schöner
als alle Kreaturen, wie Richard von St. Viktor und der
hl. Georg von Nikomedien nach dem hl. Dionysius dem Areopagiten sagen, der, wie viele annehmen, ein einziges
Mal das Glück hatte, im Leben ihre Schönheit zu schauen,
und bekannte, daß, wenn der Glaube ihm nicht gesagt, daß
sie ein Geschöpf sei, er sie als Gottheit angebetet
hätte.
Der Herr selbst offenbarte der hl. Birgitta, daß die
Schönheit seiner Mutter die Schönheit aller Engel und
Menschen übertroffen habe. Ihre Schönheit war, sage ich,
alles Erschaffene überragend und zum Heil allen, die sie
schauen konnten, denn sie flößte die Liebe zur
Herzensreinheit ein und verscheuchte die unreinen
Geister, wie es der hl. Ambrosius bezeugt. Auch der
hl.
Thomas lehrt, daß ihre übernatürliche hl. Schönheit alle
mit der Liebe zur Reinheit entzündet habe. Dies ist der
Grund, warum die hl. Kirche sie eine Myrrhe nennt, die
vor Fäulnis bewahrt: „Als die auserwählte Myrrhe
gebe ich süßen Wohlgeruch.” (Sir
24,20)
Maria führte ein tätiges Leben, aber ihre Tätigkeit
hinderte nicht die ununterbrochene Vereinigung mit Gott.
Sie lebte in Betrachtung und steter Sammlung in Gott,
unterließ aber nichts, was ihre zeitliche Lage und die
Liebe des Nächsten von ihr verlangten. Sie war vom ‘Tod’
* berührt, aber nicht von seinem Schrecken und nicht von
der Verwesung. (*Siehe bei Mariä Himmelfahrt)
Kommen wir nun zum Schluß. Die göttliche Mutter steht
unendlich tiefer als Gott, aber unendlich höher als jede
Kreatur. Und so unmöglich ein edlerer Sohn sich finden läßt als Jesus, so unmöglich gibt es eine edlere Mutter
als Maria. Dies
muß den Verehrern dieser Königin zum Antrieb sein, nicht
bloß über ihre Größe sich zu freuen, sondern auch im
Vertrauen auf ihren mächtigen Schutz immer mehr zu
wachsen. Weil sie Mutter Gottes ist, sagt Pater Suarez,
hat sie ein gewisses Recht über seine Gaben zugunsten
jener, für die sie bittet, und andererseits kann Gott,
nach dem hl. Germanus, die Gebete dieser Mutter nicht
unerhört lassen, weil Er nicht aufhören kann, sie als
seine wahre und unbefleckte Mutter zu erkennen. So fehlt
dir, o Mutter Gottes und unsere Mutter, nicht die Macht,
uns zu helfen, und auch nicht der Wille. Mit dem Abt von
Celles will ich vor dir bekennen, was du selber weißt, daß Gott dich nicht für sich allein erschaffen, sondern
den Engeln dich als ihre Wiederherstellerin, den
Menschen als ihre Erlöserin und den Teufeln als ihre
Besiegerin gegeben hat; denn durch deine Vermittlung
erlangen wir die göttliche Gnade wieder,
und durch dich bleibt der Feind besiegt und niedergedrückt.
Und tragen wir Verlangen, der göttlichen Mutter zu
gefallen, so laßt sie uns oft mit dem Ave Maria grüßen.
Eines Tages erschien Maria der hl. Mechthild und sagte
ihr, daß niemand sie besser ehren könne, als mit diesem
Gruß. Dadurch werden wir gewiß auch besondere Gnaden von
dieser Mutter der Barmherzigkeit
erlangen, wie man aus folgendem Beispiel sehen wird.
Beispiel
Pater Paul Segneri erzählt in seinem „Unterrichteten
Christen” die wohlbekannte Tatsache, daß dem Pater
Nikolaus Zucchi in Rom ein mit üblen Sünden und
schlechten Gewohnheiten behafteter Jüngling beichtete.
Der Beichtvater behandelte ihn mit Liebe, und über
seinen elenden Zustand sich erbarmend, sagte er ihm, daß
die Andacht zu Maria ihn von dem unseligen Laster
befreien könne. Deshalb legte er ihm zur Buße auf, bis
zur nächsten Beichte jeden Morgen und Abend beim
Aufstehen und Niederlegen ein Ave Maria zu beten und
Maria Augen, Hände und Leib aufzuopfern, bittend, sie
wolle sie als ihre Sache behüten; dabei solle er dreimal
den Boden küssen. Der Jüngling verrichtete diese Buße,
doch anfänglich mit geringer Besserung. Der Beichtvater
ließ ihn nicht von dieser Übung abkommen und bestärkte
ihn im Vertrauen. Sein Beichtkind begab sich indes für
einige Jahre auf Reisen. Bei seiner Rückkehr suchte er
den Beichtvater wieder auf, der mit freudigem Erstaunen
ihn ganz geändert und frei von den früheren Lastern
fand. „Mein Sohn”, fragte er, „wie hast du von Gott die
gute Besserung erlangt?” Der Jüngling antwortete: „Maria
hat mir durch die kleine Andacht, die Sie mich gelehrt,
diese Gnade erlangt.” Der Beichtvater erzählte von der
Kanzel diese Tatsache.
Dies hörte ein anderer, der seit mehreren Jahren in
schlechtem Verhältnis lebte.
Dieser nahm sich nun vor, dieselbe Andacht zu
verrichten, um von den schrecklichen Banden frei zu
werden, die ihn zu einem Sklaven des Teufels machten.
Auch ihm wurde geholfen; er ließ den Umgang und änderte
sein Leben. Mit gleichem Vorsatz soll jeder Sünder zu
Maria flehen, damit von ihr ihm sichere Rettung werden
möge. Doch was geschah weiter? Nach sechs Monaten wollte
der Bekehrte in vermessenem Vertrauen auf seine Stärke
die Person besuchen, um zu sehen, ob auch sie ihr Leben
geändert. Als er aber ihrem Haus nahe kam, wo neue
Gefahr des Rückfalles
ihm drohte, fühlte er sich von einer unsichtbaren Kraft
zurückgestoßen und fand sich so weit weg von dem Haus,
als die Straße lang war. Er stand wieder vor der eigenen
Wohnung und mußte so aufs klarste erkennen, daß Maria
ihn vom Verderben befreit hatte. Daraus sieht man, wie
besorgt unsere gute Mutter ist, uns, wenn wir in guter
Absicht uns ihr anempfehlen, nicht bloß aus der Sünde
herauszureißen, sondern uns auch von der Gefahr der
Rückfälle zu bewahren.
Gebet
O unbefleckte und hl. Jungfrau, o demütigste und
zugleich höchste Kreatur vor Gott! Du warst so klein in
deinen Augen, aber so groß in den Augen des Herrn, daß
Er dich zu seiner Mutter und zur Königin des Himmels und
der Erde erhöht. Ich danke also diesem Gott, der dich so
sehr erhoben, und freue mich mit dir, dich in solcher
Vereinigung mit Gott zu schauen, wie höher sie für ein
bloßes Geschöpf nimmer möglich ist. Vor deiner Demut bei
so hohen Vorzügen muß ich mich schämen zu erscheinen,
der ich so stolz bei meinen vielen Sünden bin. Trotz
meines Elendes will ich dich doch begrüßen:
Gegrüßet
seist du Maria, voll der Gnade. Voll bist du an Gnaden,
erlange auch mir meinen Anteil.
Der Herr ist mit dir.
Ja, immer war der Herr mit dir vom Augenblick, da Er
dich erschuf, bis zur innigsten Vereinigung mit dir, da
Er dein Sohn geworden. Du bist gebenedeit unter den
Frauen. O Gesegnete unter allen Frauen, erlange auch mir
den Segen Gottes. Und gebenedeit ist die Frucht deines
Leibes. O du seliges Reis, das der Welt eine so edle und
heilige Frucht geschenkt hat.
Hl. Maria Muttergottes.
Ich bekenne dich, o Maria, als die wahre Mutter meines
Gottes und bin bereit, für diese Wahrheit tausendmal zu
sterben. Bitte für uns Sünder. Als Mutter Gottes bist du
auch Mutter unseres Heiles, die Mutter von uns armen
Sündern, die zu retten Gott Mensch geworden und dich zu
seiner Mutter gemacht hat, auf daß deine Bitten die
Kraft haben, jeden Sünder zu retten. Wohlan denn, o
Maria, bitte für uns: Jetzt und in der Stunde unsers
Todes. Bitte immer, bitte jetzt, da wir noch im Leben
sind, inmitten so vieler Versuchungen und Gefahren, Gott
zu verlieren; aber bitte noch mehr in der Stunde unseres
Todes, wenn wir auf dem Punkt stehen, aus dieser Welt zu
scheiden und vor dem Richterstuhl Gottes zu erscheinen.
Bitte, auf daß wir durch die Verdienste Jesu Christi und
durch deine Vermittlung gerettet, einst in den Himmel
kommen, wo wir ohne Gefahr, wieder verloren zu gehen,
durch die ganze Ewigkeit dich mit deinem Sohn grüßen und
loben. Amen.
5. Kap. - Mariä Heimsuchung - 31. Mai - 2. Juli*
Maria ist die Schatzmeisterin aller Gnaden. Wer also
Gnaden begehrt, muß sich an Maria wenden, und wer sich
an Maria wendet, darf sicher sein, die Gnaden, die er
begehrt, zu erlangen.
[* Eigentlich müßte dies Fest Ende März gefeiert werden,
denn Maria ging ja gleich zu Elisabeth. Der 2. Juli ist
eher der Tag der Rückkehr - nach der Geburt und
Beschneidung des Johannes.]
Glücklich schätzt sich ein Haus über die Ehre und die zu
guten Wirkungen eines
königlichen Besuches. Weit glücklicher aber ist eine
Seele zu achten, die von der allerseligsten Jungfrau,
der Königin der Welt, besucht wird; denn diese kann jene
glückseligen Seelen mit Gütern und Gnaden erfüllen, die
sie besucht. Gesegnet war das Haus Obededoms, als er von
der Bundeslade des Herrn besucht wurde,
„der Herr segnete sein Haus.”
(1 Chr 13,14)
Reich werden jene gesegnet, die einen liebevollen Besuch
von der lebendigen Arche Gottes, von der göttlichen
Mutter empfangen! „Glücklich das Haus, welches die
Mutter Gottes besucht”, schrieb Engelgrave. Dies erfuhr
das Haus des Täufers, wo Maria bei ihrem Eintritt die
ganze Familie mit Gnaden und himmlischen Segnungen
überhäufte. Deshalb wird das Fest der Heimsuchung
allgemein das Fest Unserer Lieben Frau von den Gnaden
genannt. Daher werden wir betrachten, wie die göttliche
Mutter Schatzmeisterin aller Gnaden ist, und dies in
zwei Punkten.
Im ersten betrachten wir, daß, wer Gnaden begehrt, sich
an Maria wenden soll. Im zweiten, daß, wer an Maria sich
wendet, darf sicher sein, die Gnaden zu erlangen, um die
er bittet.
I. Als die allerseligste Jungfrau von dem Erzengel
Gabriel vernommen hatte, daß ihre Base Elisabeth seit
sechs Monaten gesegneten Leibes sei, wurde sie durch
Erleuchtung des Hl. Geistes inne, es wolle das in ihr
wohnende menschgewordene Wort die Erstlinge seiner
Gnaden dieser hl. Familie verleihen, um der Welt die
Reichtümer seiner Barmherzigkeit zu offenbaren. Ohne
Säumen brach darum, wie der hl. Lukas berichtet, Maria
auf und zog eilens ins Gebirge.
(Lk 1,39) Aus der Ruhe
ihrer Beschauung, der sie stets hingegeben war, sich
erhebend, verließ sie die ihr teuere Einsamkeit und
reiste eilends zu Elisabeths.
Die Liebe „erträgt alles”
(1 Kor 13,7) und weiß von
keiner Säumnis, wie der hl. Ambrosius bemerkt: „Die
Gnade des Hl. Geistes kennt keine langsame Ausführung»
Deshalb machte sich die an Verborgenheit gewohnte
Jungfrau ohne Rücksicht auf die Mühen der Reise rasch
auf den Weg. „Sie trat in das Haus des Zacharias und
begrüßte Elisabeth.”„Bemerke”, sagt der
hl. Ambrosius,
„daß Maria die erste war, die grüßte.” Dieser Besuch Mariens aber war sehr verschieden von denen der
Weltmenschen; während diese meist in Gepränge und leeren
Höflichkeiten verlaufen, brachte der Besuch Mariens eine
Fülle von Gnaden in das Haus; denn beim Eintritt und
ersten Gruß wurde Elisabeth vom Hl. Geist erfüllt und
Johannes von der Schuld befreit und geheiligt. Darum gab
er sein Frohlocken durch Aufhüpfen im Schoß seiner
Mutter zu erkennen und offenbarte damit, daß er durch
Vermittlung der allerseligsten Jungfrau die Gnade
empfangen habe, wie dies Elisabeth bezeugt:
„Als die Stimme deines Grußes in meinen Ohren erscholl,
frohlockte das Kind vor Freude in meinem Schoß.”
(Lk
1,40) Und Bernhardin von Bustis
sagt, in Kraft des
Grußes Mariens empfing der Knabe die heiligmachende
Gnade.
Diese ersten Früchte der Erlösung also kamen durch
Maria, und sie war der Kanal, mittels dessen die Gnade
dem Täufer, der Hl. Geist der Elisabeth, die Gabe der
Prophezeiung dem Zacharias und noch viele andere
Segnungen dieser Familie zuteil wurden, die wir
als die ersten Gnadenwirkungen des menschgewordenen Wortes auf Erden erkennen. Mit gutem Grund
ist darum zu glauben, daß Gott Maria zur Mittlerin aller
Gnaden, zur gemeinsamen Wasserleitung, wie der hl.
Bernhard sie nennt, für uns bestellt hat, so daß fortan
alle weiteren Gnaden, die der Herr uns verleihen will,
nur durch sie uns zufließen. Damit ist zu vergleichen,
was oben erklärt worden ist.
Mit Recht wird also diese göttliche Mutter der Schatz,
die Schatzmeisterin und Ausspenderin der göttlichen
Gnaden genannt, wie dies vom ehrwürdigen Abt von Celles
geschieht; auch der hl. Petrus Damianus nennt sie den
„Schatz der göttlichen Gnaden”; der hl. Albert Der
Große: „Schatzmeisterin Jesu Christi”; der
hl.
Bernhardin: „Verteilerin der Gnaden”; ein griechischer
Lehrer bei Petavius:
„Die Vorratskammer aller Güter”; der hl. Gregor der
Wundertäter: „Maria wird voll Gnade genannt, weil in ihr
der Schatz der Gnade niedergelegt ist.” Und Richard von
St. Lorenz sagt, daß Gott in Maria wie in eine
Schatzkammer der Erbarmungen alle Gaben der Gnaden
gelegt habe, um daraus ihre Diener zu bereichern.
Der
hl. Bonaventura, vom Acker des Evangeliums sprechend
(Mt
13,44), wo der Schatz verborgen ist, der um jeden Preis
erkauft werden soll, wie Jesus Christus sagte, wendet
dieses Gleichnis auf Maria an, und nennt sie den Acker,
in dem der Schatz Gottes verborgen ist. In ihr nämlich
liegt der Schatz Gottes, d. h. Jesus Christus verborgen,
der Quell und Ursprung aller Gnade» Der hl. Bernhard
bestätigt auch, daß der Herr alle Gnaden, die Er uns
verleihen will, in die Hand Mariens gelegt habe, auf daß
wir erkennen mögen, daß wir alles Gute nur durch sie
empfangen können. Ja, Maria selbst versichert uns
dessen, wenn sie sagt: „In mir ist alle Gnade des Weges
und der Wahrheit.”
(Sir 24,25) In mir sind alle Gnaden
der wahren Güter, die ihr Menschen während eures Lebens
begehren könnt. „Ja, Mutter und unsere Hoffnung, wohl
wissen wir es”, ruft der hl. Petrus Damianus aus, „daß
alle Schätze der göttlichen Barmherzigkeit in deinen
Händen ruhen!” Vor dem hl. Petrus Damianus hat dies
eindringlicher der hl. Ildephons gelehrt mit den Worten:
„Alle Güter, welche die höchste Majestät Gottes den
Menschen zu geben willens
ist, hat Er deinen Händen zu übergeben beschlossen, denn
dir sind die Schätze und Zierden der Gnaden anvertraut.”
Darum schließen wir mit dem hl. Germanus, daß niemand
selig werden kann, außer durch dich, und daß niemand
eine Gabe von Gott empfängt, wenn nicht durch deine
Vermittlung.
An die Worte des Engels: „Fürchte dich nicht, Maria,
denn du hast Gnade gefunden bei Gott”
(Lk 1,30), knüpft
der hl. Albert Der Große die schöne Erklärung: „Fürchte
dich nicht, denn du hast gefunden; du hast nicht
geraubt, wie der erste Engel; du hast nicht verloren,
wie der erste Mensch; du hast nicht gekauft, wie Simon
der Magier; du hast gefunden die unerschaffene Gnade und
in ihr alles, was erschaffen ist.” In Übereinstimmung
damit macht auch der hl. Johannes Chrysostomus den
Ausspruch: „Diese unerschaffene Gnade empfing Maria, um
allen Geschlechtern das Heil wiederzubringen.” Und an
einer anderen Stelle drückte er dies aus, da er sagt:
„Welch große Gnade hast du gefunden? Die volle, die
wahrhaftige Fülle, die wie ein reicher Regen auf die
ganze Schöpfung sich ergoß.” Richard von St.
Lorenz bedient sich eines anderen Gleichnisses mit den
Worten: „Wie die Sonne erschaffen wurde, die ganze Welt
zu erleuchten, so ist Maria erschaffen, um der ganzen
Welt Barmherzigkeit zu bringen.” Dieselbe Auffassung
teilend, lehrt der hl. Bernhard: „Von der Zeit an, da
die jungfräuliche Mutter das Wort in ihrem Schoß
empfing, erlangte sie, um mich so auszudrücken, ein
gewisses Recht über die zeitliche Gnadenspendung des Hl.
Geistes, so daß keine Seele eine Gnade von Gott
empfängt, außer sie werde durch die Vermittlung seiner
süßen Mutter verliehen.”
Wir wollen nun den ersten Punkt mit den Worten Richards
von St. Lorenz schließen:
„Begehren wir, Gnade zu finden, so müssen wir die
Finderin der Gnade suchen, die nicht uns unerhört lassen
kann, da sie immer Gnade findet.” Der hl. Bernhard hat
ihm diesen Gedanken gegeben, da er sagt: „Suchen wir die
Gnade, aber suchen wir sie durch Maria; denn sie findet,
was sie sucht, und kann uns nicht unerhört lassen. Dies
ist der Wille Gottes, der beschlossen hat, daß wir alles
durch Maria haben sollen.” Alles, sage ich, alles; also
nichts ist ausgeschlossen! Doch um die Gnade zu
empfangen, ist notwendig, daß wir Vertrauen haben. Und
so gehen wir nun über zum zweiten Punkt, d. h. zur
Betrachtung, wie wir fest überzeugt sein dürfen, die
Gnade zu erlangen, wenn wir uns an Maria wenden.
II. Warum aber hat Jesus Christus in die Hand dieser
seiner Mutter alle Reichtümer der Erbarmungen gelegt, die
Er uns schenken will? Es geschah zu dem Zweck, damit sie
alle ihre Diener, die sie lieben und ehren und mit
Vertrauen die Zuflucht zu ihr nehmen, damit bereichern
könne. „Bei mir sind Reichtümer, damit ich bereichere
die, so mich lieben.” (Spr 8,1)
So beteuert die allerseligste Jungfrau selbst in den
Schriftworten, welche die hl. Kirche an so vielen ihrer
Feste auf sie anwendet. Also nur, um uns damit zu
helfen, werden nach den Worten des Abtes Adam, die
Reichtümer des ewigen Lebens von Maria bewahrt, in deren
Schoß der Erlöser den Schatz der Hilfsbedürftigen
niedergelegt, auf daß sie daraus in ihrer Armut versehen
und bereichert werden. Ich füge hier den bemerkenswerten
Ausspruch des hl. Bernhard an, den ich bei einem
Schriftsteller gefunden habe: „Dazu ist Maria der Welt
gleich einer Wasserleitung von Gott gegeben worden, daß
durch sie ohne Unterlaß von Gott die himmlischen Gaben
an die Menschen herabgelangen.”
Der hl. Bernhard stellt auch die Frage, warum der hl.
Gabriel, der ja die göttliche Mutter schon voll von
Gnade gefunden und sie auch so begrüßt habe, „sei
gegrüßt voll der Gnade”, dennoch gesagt, daß der Hl.
Geist auf sie herabkommen solle, um sie noch mehr mit
Gnade zu erfüllen. Wenn sie schon voll von dieser Gnade
war, was konnte die Herabkunft des göttlichen Geistes
noch weiter bewirken? Der Heilige gibt darauf die
Antwort: „Dazu kam der Hl. Geist aufs neue über sie,
damit sie, die durch Ihn für sich selber bereits erfüllt
war, auch für uns übervoll und überfließend würde.”
Darum trägt Maria auch den Namen Mond, von dem es heißt,
der Mond ist voll für sich und andere. In den
Sprichwörtern heißt es: „Wer mich findet, wird das Leben
finden und Heil vom Herrn schöpfen.”
(Spr 8,35) „Selig, wer mich findet, da er zu mir sich wendet”, sagt
unsere Mutter; er wird das Leben finden, und wird es
leicht finden; denn wie es leicht ist, an einer starken
Quelle
Wasser zu finden und zu schöpfen, so viel man will, so
ist es auch leicht, die Gnaden und das ewige Heil zu
finden, wenn man sich zu Maria wendet. Eine hl. Seele
sagte:
„Es genügt, die Gnaden bei unserer lieben Frau zu
suchen, um sie zu haben.”
Der hl. Bernhard sagte, daß vor der Geburt Mariens der
Welt der reiche Überfluß der Gnade mangelte, der jetzt
zur Erde niederströmt, weil der ersehnte Weg der Gnade
noch nicht gegeben war. Aber jetzt, da wir diese Mutter
der Barmherzigkeit haben, welche Gnaden sollten wir
nicht erhalten können, wenn wir zu ihren Füßen eilen?
„Ich bin die Stadt der Zuflucht”, so läßt sie der
hl.
Johannes von Damaskus sagen, „für alle, die zu mir ihre
Zuflucht nehmen; kommt also zu mir, meine Kinder, und
ihr werdet von mir die Gnaden in größerem Überfluß
haben, als ihr denkt.”
Es ist wahr, daß vielen begegnet,
was die ehrwürdige Schwester Maria Villani in einem
himmlischen Gesicht erblickte. Diese Dienerin Gottes sah
einst die Mutter Gottes im Bild einer großen Quelle, zu
der viele gingen und viel Wasser der Gnaden daraus
schöpften. Doch, was sah sie weiter? Die, welche
unversehrte Gefäße an die Quelle brachten, bewahrten
sich die empfangenen Gnaden für immer; jene aber, die
zerbrochene Geschirre trugen, d. h. mit Schuld belastete
Gewissen, verloren die Gnade alsbald wieder. Doch ist
gewiß, daß jeden Tag die Menschen unzählige Gnaden durch
die Vermittlung Mariens empfangen, selbst Undankbare und
ganz elende Sünder, wie der hl. Augustinus mit den
Worten bezeugt: „Durch dich, o Maria, erben wir Elende
Barmherzigkeit, wir Undankbare Gnade, wir Sünder
Verzeihung, wir Schwache Erhabenes, wir Irdische
Himmlisches, wir Sterbliche
das Leben, wir Pilger das Vaterland.”
Beleben wir also immer mehr unser Vertrauen, wir Diener
Mariens, so oft wir zu ihr um Gnaden flehen, und um uns
darin zu bestärken. Gedenken wir immerdar der zwei hohen
Vorzüge dieser guten Mutter, ihres Verlangens nämlich,
uns Gutes zu tun, und ihrer Macht, bei ihrem Sohn das zu
empfangen, was sie begehrt. Um das Verlangen Mariens,
uns allen zu helfen zu erkennen, könnte allein schon die
Erwägung des Festgeheimnisses der Heimsuchung der
Elisabeth genügen. Obwohl die Entfernung von Nazareth
nach Hebron, der Heimat Elisabeths, 160 km betrug, so
zögerte doch die zarte Jungfrau nicht, sich gleich auf
den Weg zu machen. [Zacharias
und Elisabeth hatten noch ein anderes Haus bei Jerusalem
in Ain Karim. Dort werden heute noch die Geheimnisse der
Heimsuchung und der Geburt Johannes des Täufers verehrt.
Das sind ca. 120 km von Nazareth.]
Was bewog Maria, dies zu tun? Die große Liebe, von der
ihr zartestes Herz stets erfüllt war, trieb sie, die
Reise anzutreten und jetzt schon ihr großes Amt als
Ausspenderin der Gnaden zu beginnen, wie der hl.
Ambrosius bezeugt, da er sagt: „Sie ging, nicht etwa der
Weissagung mißtrauend, sondern in froher Sehnsucht, in
eilender Freudigkeit, in treuem Dienst.” Er will sagen:
Maria ging nicht, um zu sehen, ob es wahr sei, was der
Engel gesagt, daß Elisabeth gesegneten Leibes sei,
sondern in frohem Verlangen, jenem Haus Segen zu
bringen, eilte sie in der Freude ihres Herzens ins
Gebirge, anderen Gutes zu tun und ganz ihrem Liebeseifer
hingegeben. Bemerke wohl wie der hl. Evangelist nur von
der Hinreise zu Elisabeth erzählt: „Sie ging eilends”,
von ihrer Rückreise ist dies nicht erwähnt, sondern nur:
„Maria blieb
ungefähr drei Monate bei ihr, und kehrte dann in ihr
Haus zurück.” (Lk 1,56) „Was hat”, fragt der
hl.
Bonaventura, „Maria bewogen, eilends ihre Liebespflicht
zu erfüllen, wenn nicht die Liebesglut ihres Herzens?”
Durch ihre Aufnahme in den Himmel aber hat Maria diesen
Liebeseifer für die Menschen nicht verloren, er ist im
Gegenteil gewachsen, indem sie dort unsere Bedürfnisse
noch besser erkennt und größeres Mitleid mit unserer
Armseligkeit trägt. „Sie hat größeres Verlangen”, sagt
Bernhardin von Bustis, „uns Gutes zu tun und Gnaden zu
spenden, als wir zu erhalten begehren”, und dies so
sehr, daß der hl. Bonaventura sagt: „Gegen dich, o
Herrin, sündigen nicht bloß, die dir Unrecht zufügen,
sondern auch, die dich nicht bitten.” Das also ist die
Gesinnung Mariens im Himmel, daß sie alle mit Gnaden zu
bereichern verlangt; sie, die nach den Worten des
Idiote, der Schatz Gottes und die Schatzmeisterin seiner
Gnaden ist, die mit ausgezeichneten Gnaden freigebigst
ihre Diener beschenkt.
Deshalb hat nach ihm „jedes Gut gefunden, wer Maria
findet.” Und ein jeder kann sie finden, denn „so groß
ist ihre Güte, daß niemand sich zu fürchten braucht,
sich ihr zu nahen, und so groß ist ihre Barmherzigkeit,
daß niemand davon ausgeschlossen ist.” Nach dem
gottseligen Thomas von Kempen ruft Maria allen zu: „Alle
sind geladen; alle sind erwartet, alle mir ersehnt, kein
Sünder ist von mir verachtet.” Und Richard von St.
Lorenz mahnt: „Immerdar läßt sich Maria bereit finden zu
helfen, und um jede Gnade des ewigen Heiles dem mit
ihren mächtigen Bitten zu erlangen, der sie anruft.”
Ich sage: Durch ihre mächtigen Bitten; denn das ist die
zweite Erwägung, die unser Vertrauen steigern muß, die
Gewißheit nämlich, daß sie von Gott erlangt, was sie zu
Gunsten ihrer Verehrer begehrt. „Bemerkt wohl”, sagt der
hl. Bonaventura,
„welch große Wirkung die Worte Mariens hatten, denn kaum
waren sie gesprochen, als die Gnade des Hl. Geistes
Elisabeth und ihrem Sohn Johannes verliehen wurde.
„Und es geschah, als Elisabeth den Gruß Mariens hörte,
frohlockte das Kind in ihrem Schoß, und sie wurde mit
dem Hl. Geist erfüllt.” (Lk 1,41)
Theophilus von Alexandrien
sagt: „Die Bitten Mariens
sind für Jesus eine Freude; denn was Er, durch die
Bitten seiner Mutter überwältigt, uns verleiht, das
erachtet Er als seiner Mutter selbst gegeben.” Beachte
wohl die Worte: „Durch die Bitten seiner Mutter
überwältigt”; denn auch der hl. Germanus bezeugt dies
mit den Worten:
„In deiner mütterlichen Gewalt zu Gott vermagst du
selbst den großen Sündern die ausgezeichnete Gnade der
Vergebung zu erlangen. Denn du kannst nicht unerhört
bleiben, da Gott dir, als seiner wahren, unversehrten
Mutter, in allem willfährig ist,” Zur Bestätigung dessen
beruft sich der hl. Johannes Chrysostomus auf das, was
bei der Hochzeit zu Kana geschah, wo der Herr auf die
Worte seiner Mutter:
„Sie haben keinen Wein mehr” erwiderte: „Meine Stunde
ist noch nicht gekommen.” War also die zu seinen Wundern
bestimmte Zeit noch nicht gekommen, so gehorchte der
Herr doch, nach dem hl. Chrysostomus und Theophylactus,
seiner Mutter und verwandelte das Wasser in Wein.
Gehen wir daher nach der Mahnung des hl. Apostels
(Hebr
4,16), mit Vertrauen zum Thron der Gnade, d. h. Maria,
wie der hl. Albert Der Große sie nennt, damit
wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden, wenn wir
Hilfe nötig haben. Ja, nahen wir mit der sicheren
Hoffnung, Erhörung zu finden, denn wir besitzen ihre
Mittlerschaft, die alles erlangt, was sie von ihrem Sohn
begehrt. „Suchen wir die Gnade”, rufe ich noch einmal
mit dem hl. Bernhard, „suchen wir sie durch Maria!”
Halten wir uns an die Worte, welche die jungfräuliche
Mutter selber an die hl. Mechthild richtete:
„Der Hl.
Geist, der mit seiner ganzen Süßigkeit mich durchdrang,
hat mich so gnadenreich gemacht, daß jeder, der durch
mich die Gnade sucht, sie finden wird.”
Und wenn wir dem bekannten Ausspruch des
hl. Anselm
Glauben schenken,
„schneller kommt bisweilen unsere Hilfe durch Anrufung
des Namens Mariens, als durch die des Namens Jesu”, so
werden wir erleben, wie oftmals wir leichter bei Maria,
als bei Jesus dem Erlöser Erhörung finden; nicht als
wäre Er nicht der Quell und Herr aller Gnade, sondern
weil die von uns erflehte Fürbitte Mariens, seiner
Mutter, eine unendlich höhere Wirkung hat als unsere
eigenen Bitten. Weichen wir doch nie von den Füßen
dieser Schatzmeisterin der Gnaden, und flehen wir
beständig mit dem hl. Johannes von Damaskus: „Öffne uns
die Tür der Barmherzigkeit, o gebenedeite
Gottesgebärerin, du bist ja das Heil des menschlichen
Geschlechtes.”
Das Beste, was wir von Maria erbitten
können, ist, daß sie durch ihre Fürbitte jene Gnade uns
erlange, die sie selbst als die heilsamste für uns
erkennt. Dies tat der Bruder Reginald, ein Dominikaner,
wie in den Jahrbüchern des Ordens erzählt wird. Als
dieser Diener Mariens krank war, bat er sie um die Gnade
der leiblichen Genesung. Es erschien ihm seine Herrin,
begleitet von der hl. Cäcilia und der hl. Katharina und
sagte ihm mit größter Sanftmut: „Sohn, was willst du, daß ich für dich tun soll?” Der Ordensmann fühlte sich
beschämt über dieses so gütige Anerbieten Mariens, und
wußte nicht, was antworten. Da gab ihm eine dieser
Heilige den Rat: „Reginald, weißt du, was du tun sollst?
Verlange nichts, lege dich ganz in ihre Hände; denn
Maria wird dir eine bessere Gnade zu geben wissen, als
du begehren kannst.” So tat der Kranke, und die
göttliche Mutter erlangte ihm die Gesundheit. Wenn auch
wir nach der glückseligen Heimsuchung dieser Königin des
Himmels begehren, so wird es sehr heilsam sein, daß wir
sie oft besuchen vor einem Bild oder in einer ihr
geweihten Kirche. Man lese das folgende Beispiel und
lerne, mit welchen besonderen Gunstbezeigungen sie die
frommen Besuche
ihrer Verehrer belohnt.
Beispiel
In den Jahrbüchern der Franziskaner wird erzählt, daß
zwei Ordensleute zu einem Heiligtum der Jungfrau wallfahrteten. Als sie sich in einem großen Wald
befanden, brach die Nacht herein, weshalb sie verwirrt
und betrübt nicht wußten, was tun. Weiter gehend
glaubten sie in der Dunkelheit ein Haus zu sehen. Sie
gingen darauf zu und berührten mit den Händen die
Mauern, suchten nach der Pforte, klopften an und hörten
bald von innen die Frage, wer sie wären? Sie
antworteten, sie seien zwei arme Ordensleute, die sich
unglücklicherweise bei der Nacht im Wald verirrt hätten,
sie bitten um geringe Herberge, um doch nicht von den
Wölfen zerrissen
zu werden. Und siehe, sogleich hören sie die Pforte
öffnen und erblicken zwei reichgekleidete Edelknaben, die
sie mit großer Freundlichkeit aufnehmen. Die Ordensleute
fragten sie, wer in diesem Palast wohne. Die Edelknaben
antworteten, eine sehr fromme Frau. „Wir wollen sie
begrüßen”, sagten jene, „und ihr für ihre Güte danken.”
Die anderen: „Gerade zu ihr wollen wir euch führen; denn
sie will mit euch sprechen.” Sie stiegen die Treppen
hinauf, fanden die Zimmer erleuchtet und geschmückt und
dazu einen Wohlgeruch, der ihnen der Wohlgeruch des
Paradieses schien. Sie traten schließlich vor die
Herrin, und erblickten eine majestätische, sehr schöne
Frau, die mit höchster Gütigkeit sie aufnahm und sie
dann fragte, wohin sie reisen. Sie antworteten, daß sie
zu einer Kirche der allerseligsten Jungfrau wallfahrten
wollen. „Wenn das so ist”, sagte die Frau, „so will ich
euch bei der Abreise einen Brief mitgeben, der euch viel
helfen wird.” Während die Frau mit ihnen sprach, fühlten
sie sich ganz von der Liebe zu Gott entflammt und
empfanden eine Freude, wie sie nie zuvor empfunden
hatten. Sie gingen dann schlafen, wenn sie je inmitten
solcher Freude den Schlaf gewinnen konnten, und am
Morgen wollten sich sie wieder von der Herrin des Hauses
verabschieden, ihr danken und den Brief in Empfang
nehmen, den sie wirklich erhielten. Tags darauf reisten
sie ab.
Als sie sich ein wenig entfernt hatten, bemerkten sie,
daß der Brief keine Adresse hatte; sie gingen kreuz und
quer, sahen aber das Schloß nicht mehr. Endlich öffneten
sie den Brief, um zu sehen, an wen er gerichtet und was
er enthalte. Sie fanden, daß er von der allerseligsten
Jungfrau Maria an sie selber geschrieben sei, und daß
sie ihnen mitteile, sie selbst sei die Frau gewesen, die
sie in der Nacht zuvor gesehen, und daß sie um der
Andacht willen, die sie gegen sie hegten, ihnen in dem
Wald Obdach und Erquickung verschafft habe; sie sollten
nur fortfahren, ihr zu dienen und sie zu lieben, sie
werde ihre Huldigungen immer gut belohnen und ihnen im
Leben und im Tod beistehen. Am Ende des Briefes lasen
sie die Unterschrift:
„Ich, die Jungfrau Maria.” Man möge sich nun den Dank
denken, die diese guten Ordensleute der göttlichen
Mutter dargebracht haben, und wie sie vom Verlangen
entflammt wurden, ihr das ganze Leben hindurch zu dienen
und sie zu lieben.
Gebet
Unbefleckte und gebenedeite Jungfrau, weil du für alle
die Ausspenderin aller Gnaden bist, bist du auch die
Hoffnung aller und auch meine Hoffnung. Immer danke ich
meinem Herrn, der mich dich hat erkennen lassen, und der
mir das Mittel gezeigt, das ich anzuwenden habe, um
Gnade zu finden und mein Heil zu wirken. Dieses Mittel
bist du, o große Mutter Gottes! Wohl erkenne ich, daß
ich vor allem durch die Verdienste Jesu Christi und dann
durch deine Vermittlung mein Heil erlangen werde. Ach,
meine Königin, du hast dich so beeilt, das Haus der
Elisabeth zu besuchen und ihm das Heil zu bringen;
besuche also und besuche schnell das arme Haus meines
Herzens. Beeile dich! Du weißt besser als ich, wie arm
es ist und an wie vielen Übeln krank; an unordentlichen
Neigungen, schlechten Gewohnheiten und begangenen
Sünden, lauter verderbenbringenden Übeln, die zum ewigen
Tod führen. Du kannst mich reich machen, o
Schatzmeisterin Gottes, du kannst mich von allen
Übeln heilen. Suche mich also heim im Leben und suche
mich heim besonders in der Stunde des Todes, wo dein
Beistand mir am nötigsten ist. Ich verlange nicht und
bin nicht würdig, daß du hienieden mit deiner sichtbaren
Gegenwart mich besuchst, wie du es schon vielen deiner
Diener getan hast, freilich Dienern, die nicht unwürdig
und undankbar waren, wie ich. Ich bin zufrieden, dich in
deinem himmlischen Reich zu schauen, um dich da noch
mehr zu lieben und dir zu danken für alles Gute, das du
mir erwiesen hast. Für dieses Leben begnüge ich mich mit
der Heimsuchung deiner Barmherzigkeit. Es ist mir genug,
wenn du für mich bittest.
Bitte also, o Maria, und empfiehl mich deinem Sohn. Du
kennst besser als ich mein Elend und meine Not. Was soll
ich mehr dir sagen? Habe Mitleid mit mir. Ich bin so
elend und unwissend, daß ich nicht einmal die Gnaden zu
erkennen und zu suchen weiß, die mir die notwendigsten
sind. Königin, süßeste Mutter, bitte du für mich und
erlange mir von deinem Sohn die Gnaden, die du als die
heilsamsten und als die meiner Seele notwendigsten
erkennst. In deine Hände übergebe ich mich ganz und
bitte allein die göttliche Majestät, daß sie durch die
Verdienste meines Heilandes, die mir von dir erflehten
Gnaden verleihen wolle. Deine Bitten erfahren keine
Zurückweisung, denn es sind Bitten einer Mutter bei
ihrem Sohn, der dich so sehr liebt und sich freut, zu
tun, was du von Ihm begehrst, um dich so noch mehr zu
ehren und dir zugleich die große Liebe zu zeigen, die Er
zu dir trägt. Herrin, dabei soll es bleiben. Ich lebe im
Vertrauen auf dich. Du hast daran zu denken, mich zu
retten. Amen.
6. Kap. - Mariä Reinigung - 2. Febr.
Das große Opfer, das
Maria an bei der Aufopferung ihres Sohnes
Gott darbrachte
Für die erstgeborenen Knaben gab
es im alten Bund zwei Vorschriften; fürs erste hatte die
Mutter, als unrein geworden, sich vierzig Tage zu Hause
zu bleiben, und danach im Tempel sich zu reinigen; fürs
zweite mußte der Erstgeborene von den Eltern zum Tempel
getragen und Gott dort geopfert werden. Beiden Geboten
wollte die allerseligste Jungfrau gehorchen, obwohl als
allzeit rein und unbefleckt zum Gesetz der Reinigung
nicht verpflichtet war, wollte Maria doch aus Demut und
Gehorsam, wie die anderen Mütter sich zu reinigen, in
den Tempel gehen. Sie gehorchte auch dem zweiten Gebot,
ihren Sohn dem ewigen Vater darzustellen und
aufzuopfern.
„Und da die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz Moses
erfüllt waren, brachten sie Ihn nach Jerusalem, um Ihn
dem Herrn darzustellen.” (Lk 2,22)
Die allerseligste Jungfrau aber opferte Ihn in anderer
Weise, als wie die übrigen Mütter ihre Söhne
darzubringen pflegten, die wohl wußten, daß diese
Aufopferung eine einfache Zeremonie des Gesetzes für sie
war, so daß sie mit der Loskaufung die Söhne als ihr
Eigentum zurückerhielten, ohne Furcht, sie auch zum Tod
hingeben zu müssen. Maria aber opferte ihren Sohn
wirklich und mit der Gewißheit, daß das Opfer des Lebens
Jesu, das sie damals brachte, eines Tages sich wirklich
auf dem Altar des Kreuzes vollenden werde, so daß Maria,
indem sie das Leben ihres Sohnes hingab, durch die
Liebe, die sie zu diesem Sohn trug, auch sich selber
Gott ganz aufopferte.
Lassen wir darum alle anderen Erwägungen, die wir über
die vielen Geheimnisse dieses Festes noch machen
könnten, beiseite und betrachten wir allein die Größe
des Opfers Mariens, das sie mit ihrer eigenen Person in
der Opferung ihres Kindes Gott heute darbrachte. Dies
sei der einzige Gegenstand unserer Erwägung.
Schon hatte der Ewige Vater die Rettung des verlorenen
Menschen durch Erlösung von Schuld und ewigem Tod
beschlossen; aber zugleich sollte auch seiner
unendlichen Gerechtigkeit die gebührende, vollkommene
Genugtuung nicht ungeleistet bleiben, Darum verschonte
Er das Lebens seines Eingeborenen, zum Heil der Welt
bereits menschgewordenen Sohnes nicht, sondern wollte,
daß Er nach der vollen Strenge die von den Menschen
verschuldete Strafe bezahle. Er hat seines eigenen
Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben.
(Röm 8,32) Er sandte Ihn auf die Erde, Mensch
zu werden, und bestimmte Ihm als Mutter die Jungfrau
Maria. Wie Er aber nicht gewollt, daß sein ewiges Wort
ohne ihre ausdrückliche Zustimmung ihr Sohn werde, so
wollte Er auch nicht, daß Jesus zum Heil der Welt sein
Leben opfere, ohne daß Maria durch ihre Einwilligung
dazu mitwirke, so daß zugleich mit dem Leben des Sohnes
auch das Herz der Mutter mitgeopfert würde. Nach dem hl.
Thomas besitzt jede Mutter als solche ein besonderes
Recht über ihre Kinder; deshalb es entsprechend
erschien, daß der ganz reine, schuldlose und keiner
Strafe würdige Jesus nicht zum Kreuzestod für die Sünden
der Welt ohne die Einwilligung seiner Ihn zum Tod
darbringenden Mutter bestimmt werde.
Obwohl nun Maria,
seitdem sie Jesu Mutter geworden, in seinen Tod
eingewilligt hatte, so wollte doch Gott, daß sie sich
selbst im Tempel auf feierliche Weise dadurch zum Opfer
bringe, daß sie feierlich das kostbare Leben ihres
Sohnes als ein Sühnopfer der göttlichen Gerechtigkeit
darbringe. Darum nennt der hl. Epiphanius die Jungfrau
einen Priester. Nun aber wollen wir erwägen, welche
Schmerzen sie dieses Opfer kostete, und welch heroische
Tugend sie zu üben hatte, indem sie selber das
Todesurteil
ihres Sohnes zu unterschreiben hatte.
Schon näherte sich Maria Jerusalem, ihren Sohn zu
opfern, sie beschleunigte ihre Schritte zur Opferstätte,
sie selbst trug auf ihren Armen das geliebte Opferlamm.
Sie trat in den Tempel, näherte sich dem Altar und hier,
voll Disziplin, Demut und Andacht stellte sie ihr Kind
dem Allerhöchsten vor. In diesem Augenblick nahm der hl.
Simeon, der von Gott das Versprechen hatte, nicht zu
sterben, ehe er den erwarteten Messias gesehen hat, das
göttliche Kind von den Armen der Jungfrau und
verkündigte ihr vom Hl. Geist erleuchtet, was sie das zu
bringende Opfer ihres Sohnes kosten werde, mit dem auch
ihre eigene gebenedeite Seele geopfert werde.
[Der Tempel stand genau an jenem Ort, wo einst Abraham
seinen Sohn Isaak zu opfern bereit war. Jesus ist aber
der eigentlich Abraham verheißene Nachkomme.]
Der hl.
Thomas von Villanova betrachtet in seiner Rede auf das
Fest Mariä Reinigung den hl. Greis Simeon, der, im Geist
den Kreuzestod des Heilandes schauend, Maria diese
Trauerbotschaft nicht zu verkünden vermag, sondern voll
Betrübnis schweigt. Maria fragt: „Warum, o Simeon, bist
du jetzt, in diesem Augenblick des Trostes, so betrübt?”
- „O königliche Jungfrau zwinge mich nicht zu reden,
was ich gern verschweigen möchte. Doch vernimm, was ich
dir verkünden muß. Dein Kind, das dir jetzt so viel
Freude bringt, über das du jetzt mit Recht frohlockst,
ach Gott! Es wird dir einstens den bittersten Schmerz
bereiten, den je eine Seele in der Welt empfunden hat.
Und dies wird geschehen, wenn du Ihn einst von Menschen
jeden Standes verfolgt und zur Zielscheibe ihres Spottes
und ihrer Mißhandlungen gemacht erblickst, bis Er
zuletzt vor deinen Augen zum Tod verurteilt wird. Wisse,
daß es nach seinem Tod viele Märtyrer geben wird, die
aus Liebe zu deinem Sohn Peinigung und Tod erleiden
werden; ihre Marter wird eine leibliche sein, dein
Martyrium aber, o göttliche Mutter, wird im Herzen
geschehen.”
Ja, im Herzen! Das Mit-Leiden der Leiden ihres geliebten
Sohnes war ja das Schwert, das nach Simeons Weissagung
das Herz der Mutter durchbohren sollte.
(Lk 3,35) Nach
dem hl. Hieronymus hatte Maria aus den hl. Schriften
längst mit voller Klarheit erkannt, welche Leiden der
Erlöser während seines ganzen Lebens und besonders in
der Zeit seines Todes zu leiden haben wird.
So wußte sie aus den Propheten, daß er von einem seiner
nächsten Freunde verraten und von seinen Jüngern
verlassen wird. Sie kannte die Verhöhnungen, das
Anspeien, die Faustschläge, Mißhandlungen, die Er von
Heiden erleiden wird (Is 50,6). Sie wußte, daß Er von
den Menschen gelästert, vom niedrigsten Volk mit Unrecht
und Schmähung verhöhnt wird (Ps 21,7; Klgl 3,30), daß
vor dem Ende seines Lebens sein heiligster Leib von
Geißelhieben zerschlagen und zerrissen wird
(Is 53,5),
so daß Er ganz entstellt, wie der Leib eines
Aussätzigen, nur als eine Wunde bis zur Blöße der
Gebeine erscheinen wird. (Is 53,2) (Ps 21,18) Sie wußte,
daß Er von Nägeln durchbohrt (Ps 21,7), unter die
Missetäter gestellt (Is 53,12)
und zuletzt ans Kreuz geheftet, verurteilt für das Heil
der Menschen sterben wird.
(Zach12,10)
Alle diese künftigen Leiden ihres Sohnes waren Maria
nicht unbekannt, doch bei den Worten Simeons: „Und deine
Seele wird ein Schwert durchbohren”, wurden ihr, wie es
der hl. Theresia von Gott geoffenbart wurde, alle
einzelnen Umstände der inneren und äußeren Leiden ihres
Jesu bei seinem bitteren Leiden gezeigt. Und sie gab zu
allen ihre Einwilligung und mit einem die Engel in
Erstaunen setzenden Starkmut stimmt sie dem Urteil zu, daß ihr Sohn sterbe, und zwar dieses so schimpflichen
und qualvollen Todes, sprechend: „Ewiger Vater, weil Du
also willst, so geschehe nicht mein, sondern Dein Wille;
ich vereinige meinen Willen mit Deinem heiligsten Willen
und opfere Dir meinen Sohn; ich stimme zu, daß Er das
Leben zu Deiner Ehre und zum Heil der Welt verliere. Und
damit opfere ich Dir auch mein Herz; durchbohre es der
Schmerz, soviel es Dir gefällt; mir genügt, o mein Gott, daß Du dadurch verherrlicht und versöhnt wirst; nicht
mein Wille, sondern Dein Wille geschehe!” - O Liebe ohne
Maß! Starkmut ohnegleichen! O Sieg, der die ewige
Bewunderung des Himmels und der Erde verdient!
Und dies war die Ursache, daß Maria schwieg, als Jesus
in seinem bitteren Leiden falsch angeklagt wurde; daß
sie vor Pilatus schwieg, der, seine Unschuld erkennend,
geneigt war, Ihn frei zu geben; daß sie nur darum sich
öffentlich zeigte, um Zeuge des großen Opfers zu sein,
das auf dem Kalvarienberg vollzogen werden sollte. Sie
begleitete Ihn zur Schädelstätte. Sie war von Anfang an
zugegen, da ihr Sohn ans Kreuz geheftet wurde: „Neben
dem Kreuz Jesu stand seine Mutter”,
(Jo 19,25) bis sie
Ihn verscheiden sah und das Opfer vollbracht war. Dies
alles, um ihr Opfer zu vollenden, das sie Gott im Tempel
gebracht hatte.
Um die Stärke zu begreifen, die Maria bei diesem Opfer
gegen sich selbst zu bringen hatte, müßte man, ihre
mütterliche Liebe zu Jesus zu ermessen, imstande sein.
Insgemein ist die Liebe der Mütter zu ihren Kindern so
innig, daß, wenn es mit diesen zum Sterben und zur
Gefahr ihres Verlustes kommt, sie alle Fehler und
Gebrechen, selbst früher erlittenes Unrecht vergessen
und einen unaussprechlichen Schmerz empfinden. Und doch
ist die Liebe dieser Mütter eine geteilte, zu anderen
Kindern und noch zu anderen Geschöpfen. Maria hat nur
einen Sohn und dieser ist der schönste unter allen
anderen Adamskindern, der liebenswürdigste, der alles in
sich vereinigt, was der Liebe würdig machen kann. Er ist
gehorsam, tugendhaft, unschuldig, heilig, genug: Er ist
Gott.
Die Liebe dieser Mutter ist also nicht geteilt auf
andere, sie ruht ganz auf diesem einem Sohn, in dessen
Liebe sie kein Maß zu überschreiten fürchten muß, da Er
der Sohn Gottes und einer unbegrenzten Liebe würdig ist.
Und dieser Sohn ist das Lamm - das sie freiwillig dem
Tod opfern soll. Daraus entnehme jeder, was es Maria
kosten und welche Seelenstärke sie in dieser Opferung
ihres so geliebten Sohnes zum Tod des Kreuzes üben mußte.
Sie ist die glücklichste aller Mütter, weil
Mutter eines Gottes, und doch zugleich die
bemitleidenswerteste als Mutter der Schmerzen und Mutter
eines Sohnes, den sie zum Kreuz von der Stunde an
verurteilt sieht, in der Er ihr Sohn geworden ist! Wer
möchte Mutter eines Sohnes sein und wissen, daß sie ihn
durch einen schmählichen Tod verlieren und vor ihren
Augen müßte sterben sehen? Maria willigt ein, unter so
harter Bedingung ihren Sohn zu empfangen, ja noch mehr,
sie selbst bringt Ihn mit eigener Hand dar, daß Er
sterbe, um der göttlichen Gerechtigkeit genug zu tun.
Wohl hätte nach dem hl. Bonaventura die allerseligste
Jungfrau weit lieber für sich selbst, als für ihren Sohn
das Leiden und den Tod angenommen, aber aus Gehorsam
gegen Gott bringt sie das große Opfer des göttlichen
Lebens ihres geliebten Jesus mit höchstem Schmerz, die
ganze Zärtlichkeit ihrer Liebe zu Ihm überwindend! Und
dieses hochherzige Opfer erforderte größere Starkmut,
als wenn Maria zu allen Leiden ihres Sohnes sich
angeboten hätte. Sie übertraf den Heldenmut aller
Märtyrer, die nur ihr eigenes Leben, nicht wie Maria das
unendlich mehr als sich selbst geliebte Leben ihres
Sohnes zum Opfer brachten.
Doch die Marter ihres schmerzhaften Opfers ist damit
nicht zu Ende; sie beginnt erst jetzt, da Maria von nun
während dem ganzen Leben ihres Sohnes das Leiden und den
Tod vor Augen hat, die Er erdulden wird. Und mit der
Schönheit, Anmut, Liebenswürdigkeit ihres Kindes wächst
die Betrübnis ihres Herzens. O betrübte Mutter, hättest
du weniger deinen Sohn geliebt, wäre Er deiner Liebe
weniger würdig gewesen, oder hätte Er dich weniger
geliebt, so wäre doch der Schmerz des Opfers seines
Lebens für dich geringer gewesen. Aber nie hat, noch
wird eine Mutter ihren Sohn mehr lieben als du, und nie
war, noch wird ein Sohn der Liebe würdiger und
seine Mutter liebender sein als Jesus.
O Gott, hätten wir die Schönheit, die Majestät des
Angesichtes dieses göttlichen Kindes schauen können,
hätten wir wohl den Mut gehabt, sein Leben für das Heil
der Welt zu opfern? Und du, Maria, seine Mutter, seine
Ihn über alles liebende Mutter, du konntest deinen
unschuldigen Sohn für das Heil der Menschen dem
schmerzlichsten, grausamsten Tode opfern, den nie ein
Schuldiger auf Erden je gelitten hat!
Wehe uns Elenden! Welch trauriges Schauspiel hat von
diesem Tag an ohne Unterlaß die Liebe den Augen Mariens
geboten, da sie ihr alle Mißhandlungen, alle
Beschimpfungen zeigte, die ihrem armen Sohn angetan
werden sollten. Diese Liebe zeigt ihr schon jetzt seine
Angst und Trauer im Ölgarten, die Geißelung und
Dornenkrönung, seine Annagelungen, das Holz der Schmach
auf dem Kalvarienberg! O Mutter, ruft ihr diese Liebe
zu, den liebenswürdigsten, unschuldigen Sohn gibst du
solchen Leiden, solchem Tod preis! Was wird es dir
helfen, Ihn den Händen des Herodes zu entreißen, um Ihn
für ein so erbarmungswürdiges Ende gerettet zu haben?
So hatte also Maria nicht allein im Tempel ihr Kind dem
Tod zu opfern, sondern in jedem Augenblick ihres Lebens,
wie sie dies der hl. Birgitta mit den Worten offenbarte:
„Dieser Schmerz wich nimmer aus meinem Herzen, bis ich
mit Leib und Seele im Himmel aufgenommen war.” Der
hl.
Anselm fleht darum zu ihr:
„O gütige Herrin, ich könnte nicht glauben, daß du auch
nur einen Augenblick die Leiden solcher Marter, ohne
dein Leben zu lassen, hättest ertragen können, wenn
nicht der Geist des Lebens selber dich gestärkt hätte.”
Der hl. Bernhard aber bezeugt uns, von der großen Angst
sprechend, die Maria an diesem Tag empfand, daß sie von
nun an „lebend starb, einen Schmerz tragend, der
grausamer war als der Tod.” Sie lebte sterbend in jedem
Augenblick, da in jedem Augenblick der Schmerz über den
Tod ihres geliebten Jesus sich erneuerte, ein Schmerz,
der grausamer war, als jeder Tod.
Um des Verdienstes dieses großen, Gott zum Heil der Welt
gebrachten Opfers willen, nennt der hl. Augustinus Maria
mit Recht die Wiederherstellerin des menschlichen
Geschlechtes ; der hl. Epiphanius: Die Erlöserin der
Gefangenen; der hl. Ildephons: Die Wiederherstellerin
der verlorenen Welt; der hl. Germanus: Die Errettung aus
unserem Elend; der hl. Ambrosius: Die Mutter aller
Gläubigen; der hl. Augustinus: Die Mutter der
Lebendigen; der hl. Andreas von Kreta: Die Mutter des
Lebens»
Arnold von Chartres erklärt: „Der Wille Christi
und Mariens war damals vollkommen eins, und ein Opfer
brachten beide zugleich dar, weshalb in der Erlösung der
Welt eine gemeinsame Wirkung sich offenbarte.”¸ Arnold
will sagen: Im Tod Jesu vereinigte Maria ihren Willen so
mit dem ihres Sohnes, daß beide miteinander das eine und
selbe Opfer darbrachten, oder wie der Sohn, so auch die
Mutter die Erlösung der Menschen bewirkte und das Heil
ihnen erlangte: Jesus durch seine unendliche Genugtuung
für unsere Sünden, Maria, indem sie uns die Zuwendung
solcher Genugtuung erwirkte. In gleicher Weise drückt
sich auch Dionysius der Karthäuser aus: „Die allerseligste Jungfrau kann die Erlöserin der Welt wegen
des Verdienstes ihres Mit-Leidens genannt werden; denn
durch den bittersten Schmerz den sie
über das Leiden ihres Sohnes, - den sie freiwillig der
göttlichen Gerechtigkeit aufgeopfert, - empfand, hat sie
im ausgezeichneten Grad von Gott es verdient, daß durch
ihre Fürbitten den Menschen die Früchte der Passion
zugewendet werden.”
Indem also Maria durch das Verdienst ihrer Schmerzen und
der Hingabe ihres Sohnes Mutter aller Erlösten geworden
ist, ist mit Recht zu glauben, daß nur durch ihre Hand
die Milch der göttlichen Gnaden, d. h. die Früchte der
Verdienste Jesu Christi und die Mittel zur Erlangung des
ewigen Lebens uns geschenkt werden. Darauf zielen auch
die Worte des hl. Bernhard, daß Gott den ganzen Preis
unserer Erlösung in die Hand Mariens gelegt hat, womit
er uns begreiflich machen will, daß mittels der
Fürsprache Mariens den Seelen die Verdienste des
Erlösers zugewendet werden, indem alle Gnaden, die ja
die Frucht der Verdienste Jesu Christi sind, durch ihre
Hände uns zufließen.
Und wenn Gott das Opfer Abrahams mit Isaak so
wohlgefällig annahm, daß Er sich verpflichtete, zum Lohn
dafür seine Nachkommen wie die Sterne des Himmels zu
vermehren: „Weil du das getan und deines einzigen Sohnes
um meinetwillen nicht geschont hast, so will ich dich
segnen und deinen Samen mehren wie die Sterne des
Himmels und wie den Sand am Ufer des Meeres”,
(Gen
22,16) so müssen wir für gewiß annehmen, daß das
unendlich höhere Opfer der erhabensten Mutter Jesu
Christi Ihm weit mehr gefiel, und daß ihr darum gegeben
war, die Zahl der Auserwählten zu vermehren, d. h. die
glückselige Nachkommenschaft ihrer Kinder, als welche
sie ihre Diener anerkennt und beschirmt.
Der hl. Simeon hatte die Verheißung Gottes, nicht zu
sterben, bevor er den Messias gesehen hat. „Es war ihm
vom Hl. Geist geoffenbart, daß er den Tod nicht sehen
werde, bis er den Gesalbten des Herrn gesehen.”
(Lk
2,26) Aber diese Gnade erlangte er nur durch Maria, weil
er den Heiland nicht fand, außer in den Armen Mariens.
Wer also Jesus finden will, wird Ihn nur durch die
Vermittlung Mariens finden. Gehen wir darum zu dieser
göttlichen Mutter, wenn wir Jesus wieder finden wollen,
und kommen wir mit großem Vertrauen! Maria sagte zu
ihrer großen Dienerin Pudentiana Zagnoni, daß jedes Jahr
an dem Fest der Reinigung einem Sünder große
Barmherzigkeit erwiesen werde. Wer weiß, ob nicht einer
von uns heute dieser beglückte Sünder sein wird? Wie
groß unsere Schuld ist, so ist die Macht Mariens noch
größer. Der Sohn kann dieser Mutter nichts abschlagen.
„Er erhört sie gewiß,” sagt der hl. Bernhard. Ist Jesus
gegen uns erzürnt, so besänftigt Ihn Maria sogleich.
Plutarch erzählt, daß Antipater Alexander dem Großen
eine lange Klageschrift gegen dessen Mutter Olympia
gesandt habe, worauf dieser entgegnete: „Weiß Antipater
nicht, daß eine kleine Träne meiner Mutter genügt,
unzählige Anklagen auszulöschen.” Solche Antwort dürfen
wir von Jesus Christus auf die Anklagen des bösen
Feindes erwarten, wenn Maria für uns bittet. „Weiß
Luzifer nicht, daß eine Bitte meiner Mutter zugunsten
eines Sünders genügt, um mich alle Anklagen über die mir
zugefügten Beleidigungen vergessen zu lassen?” Zum
Beweis hierfür das folgende Beispiel:
Beispiel
Dieses Beispiel steht in keinem Buch, aber es ist mir
von einem Priester und Gefährten erzählt worden, dem es
selbst begegnet ist. Während dieser Beicht hörte, - der
Ort wird aus guten Gründen verschwiegen, obwohl der
Pönitent ihm Erlaubnis gab, die Tatsache zu
veröffentlichen, - erblickte er einen jungen Menschen,
der, wie es schien, beichten und nicht beichten wollte.
Der Pater schaute öfter nach ihm, rief ihn endlich und
fragte, ob er beichten wolle. Er bejahte es, weil aber
die Beichte lange dauern sollte, führte er ihn in ein
abgelegenes Zimmer. Da fing der Pönitent nun an, er sei
fremd und vornehmen Standes, er könne aber nicht denken, daß Gott ihm ein Leben verzeihen werde, wie er es
geführt. Wegen der zahllosen Sünden der Ausschweifung
und des Totschlages sei er an seinem Heil verzweifelt
und habe vorsätzlich gesündigt, nicht bloß aus
Leidenschaft, sondern aus Verachtung und Haß gegen Gott.
So habe er ein Kruzifix aus Verachtung mißhandelt, und
noch an diesem Morgen habe er vorsätzlich sakrilegisch
kommuniziert, in der Absicht, die konsekrierte Hostie
mit Füßen zu treten. Er hatte die Partikel schon
empfangen, um die schreckliche Bosheit auszuführen, habe
es aber wegen der Leute, die ihn sehen könnten,
unterlassen. Er übergab nun wirklich dem Beichtvater die
in ein Papier gewickelten Partikel und erzählte weiter, daß er jetzt an dieser Kirche vorbeigehend einen
unwiderstehlichen Drang verspürt habe, hineinzugehen
und, daß ihm hier schwere Gewissensbisse gekommen seien
und der verwirrte, unentschiedene Vorsatz zu beichten,
weshalb er sich vor den Beichtstuhl gestellt habe.
Da sei die Verwirrung und die Verzweiflung so groß
geworden, daß er habe weggehen
wollen, er sei aber wie mit Gewalt zurückgehalten
worden, bis der Pater ihn angesprochen hatte. So sei er
nun da, um zu beichten, wisse aber nicht wie. Darauf
fragte ihn der Pater, ob er in seinem Leben eine Andacht
zu Maria getragen habe, da solche auffallende
Umwandlungen nur durch die mächtige Hand der
allerseligsten Jungfrau bewirkt werden. ”Nichts von
Andacht,” erwiderte der junge Mann, „ich hielt mich für
verdammt.” „Aber besinnen Sie sich genauer!” - „Nein,
nichts.” Doch, indem er mit der Hand in die Brust griff,
wie um sich Luft zu machen, da berührte er das Skapulier
der Schmerzhaften Mutter. „Ach mein Sohn,” sagte der
Beichtvater,
„siehst du nicht, daß Unsere Liebe Frau dir diese Gnade
erwiesen hat? Wisse, daß diese Kirche Unserer Lieben
Frau gehört.” Dieses hörend, wurde der Mann weich,
empfand Reue und fing an zu weinen. Und fortfahrend zu
beichten, wuchs in ihm die Zerknirschung mit so heftigem
Weinen, daß er ohnmächtig vor Schmerz, wie es schien, zu
den Füßen des Paters niedersank. Dieser brachte ihn
durch Arzneimittel wieder zu sich, ließ ihn seine
Beichte zu Ende bringen, sprach ihn zur größten Tröstung
los und entließ ihn ganz zerknirscht und entschlossen,
sein Leben zu ändern. Er kehrte in seine Heimat zurück,
nachdem er die volle Erlaubnis gegeben hat, überall die
große von Maria empfangene Erbarmung kundzumachen.
Gebet
O hl. Mutter Gottes und meine Mutter Maria, solchen
Anteil hast du an meinem Heil genommen, daß du, was
deinem Herzen das Teuerste war, deinen geliebten
Jesus, dem Tod hast opfern wollen. Hast du also so sehr
nach meinem Heil begehrt, so muß ich nach Gott auf dich
mein ganzes Vertrauen setzen. O gebenedeite Jungfrau,
auf dich vertraue ich ganz. O bitte Gott durch die
Verdienste deines so großen (an diesem Ta)g mit dem
Leben deines Sohnes Ihm gebrachten Opfers, daß Er meiner
Seele sich erbarme, für die ja das makellose Lamm am
Kreuz zu sterben sich nicht geweigert hat. Mit dir, o
meine Königin, begehre ich an diesem Tag, auch mein
armes Herz Gott zum Opfer zu bringen, aber ich muß
fürchten, daß Er es wegen seiner Verdorbenheit und
Unreinheit zurückweist. Jene Gaben aber, die deine
reinsten Hände Ihm darbringen, nimmt Er wohlgefällig an.
Dir also, o Maria, bringe ich mich heute dar, so elend
ich bin; dir schenke ich mich ganz.
Als dein Eigentum
opfere mich mit Jesus dem ewigen Vater, und bitte, daß
Er um der Verdienste seines Sohnes willen und aus Liebe
zu dir mich annehme und behalte als Ihm gehörend.
Ach, meine süßeste Mutter, durch die Liebe zu deinem
geopferten Sohn, hilf mir immer und verlasse mich nicht;
gestatte nicht, daß ich jemals meinen liebenswürdigsten,
von dir in so großen Schmerzen zum Kreuzestod geopferten
Erlöser durch meine Schuld wieder verliere. Sage Ihm,
daß ich dein Diener bin; sage, daß ich auf dich alle
Hoffnung setze; sage mit einem Wort, daß du mein Heil
verlangst! Dich erhört Er gewiß. Amen.
7. Kap. - Mariä Himmelfahrt - 15. Aug.
Die hl. Kirche stellt uns zu Ehren Mariens zwei
Festgeheimnisse vor: Ihr glückseliges Scheiden aus
dieser Welt und ihre glorreiche Aufnahme in den Himmel
In der gegenwärtigen Abhandlung werden wir von ihrem
Hinscheiden, in der folgenden von ihrer Aufnahme in den
Himmel handeln.
[Der hl. Alfons spricht vom Tod, aber Maria starb nicht
wie wir, denn sie war ohne Erbsünde. Der Tod ist eine
Strafe der Erbsünde, doch Maria war davon frei und mußte
damit nicht das Los der Adamskinder tragen. Da Maria
nach Gottes Willen in allem Jesus gleich sein sollte, so
wollte sie in ihrem Scheiden von der Erde ihrem Sohn
ähnlich werden und so schied ihre Seele am Freitag, den
13. August vom Leib und ihr Leib wurde dann am Sonntag,
den 15. August - am dritten Tag - in den Himmel
aufgenommen. Es gibt die Überlieferung, auch bei der
sel. Anna Kath. Emmerich, daß wie an Ostern Thomas zu
spät kam und ihm die Apostel den hl. Leib Mariens in der
Grabkammer nochmals zeigen wollen, aber er nicht mehr da
war, weil er in den Himmel aufgenommen war. Daher wir
haben keine Gebeine, keine Reliquien, keinen unverwesten
Leib, wie bei anderen Heiligen.
Der große Kirchenlehrer Thomas von Aquin glaubte auch
noch nicht an die Unbefleckte Empfängnis. Er nahm an,
daß Maria im Mutterschoß geheiligt und daher als Heilige
geboren wurde. Der hl. Johannes Dun Scotus war der erste
große Verfechter der Unbefleckten Empfängnis, die 1854
zum Dogma erklärt wurde und 1950 wurde die Aufnahme
Mariens zum Himmel zum Glaubenssatz erklärt, wobei P.
Pius XII. das Wort Tod aus dem Text strich und
‘Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes’
schreibt, nachdem er einen Hinweis von oben bekam! Daher
sprechen wir besser vom Scheiden Mariens und haben das
Wort Tod weggelassen, um Mißverständnissen vorzubeugen.
Die Ostkirche spricht von der Entschlafung Mariens.]
Betrachten wir nun näher, wie kostbar das Scheiden
Mariens war:
I. wegen der Auszeichnungen, die ihn begleiteten,
II. wegen der Art und Weise, wie er erfolgte.
I. Drei Dinge pflegen den Tod bitter zu machen: Die
Anhänglichkeit an die Welt, die Unruhe des Gewissens und
die Ungewißheit des Heiles.
Das Scheiden Mariens aber war von diesen Bitterkeiten
ganz und gar frei, dagegen von drei überaus erhabenen
Vorzügen begleitet, die ihn im höchsten Grad kostbar und
lieblich machten. Sie schied unberührt von jedem
irdischen Gut, wie sie dies durch ihr ganzes Leben
gewesen, sie schied im höchsten Frieden des Gewissens,
mit der Gewißheit der ewigen Herrlichkeit.
Was nun den ersten Punkt betrifft, so ist kein Zweifel, daß die Anhänglichkeit an die Güter dieser Erde den Tod
der Weltleute bitter und elend macht, wie dies der Hl.
Geist bezeugt: „O Tod, wie bitter ist dein Andenken dem
Menschen, der sein Glück in seinem Vermögen findet.”
(Sir 41,1) Der Tod der Heiligen aber, die in voller
Losschälung von irdischen Dingen aus diesem Leben
scheiden, ist nicht bitter, sondern süß, lieblich und
kostbar und darum, nach den Worten des hl. Bernhard,
würdig, um jeden Preis erkauft zu werden. „Selig die
Toten, die im Herrn sterben.” (Offb 14,13) Wer sind die,
welche so sterben? Es sind jene glücklichen Seelen, die
losgeschält und abgestorben aller Anhänglichkeit an die
vergänglichen Güter und in Gott allein all ihr Gut
besitzend in die Ewigkeit hinübergehen, wie dies bei dem
hl. Franziskus von Assisi der Fall war, der sagen
konnte: „Mein Gott und mein Alles!” Welche Seele aber
war weniger berührt von den Geschöpfen und mehr mit Gott
geeint als die heiligste Seele Mariens?
Sie war ganz losgeschält von ihren Eltern, denn seit dem
dritten Lebensjahr, in einem Alter also, wo die Kinder
am meisten an den Eltern hängen und ihrer Hilfe
bedürfen, verließ Maria sie mit größter
Unerschrockenheit und ging in den Tempel um allein Gott
zu dienen. Sie war losgeschält von Hab und Gut,
entschlossen, immer arm zu leben, von der Arbeit ihrer
Hände lebend.
Sie floh jede Ehre, obwohl königlicher Abkunft und
königlicher Ehre würdig; sie liebte das demütige und
niedrige Leben. Die allerseligste Jungfrau selbst
offenbarte der hl. Benediktinerin Elisabeth, daß sie von
ihren Eltern im Tempel sich verabschiedend im Herzen
beschlossen habe, keinen anderen Vater zu haben und kein
anderes Gut zu lieben, als Gott allein.
[
Viele bedenken nicht, daß wir alle beim Sterben die
ewigen Gelübde ablegen müssen!
Wir müssen auf allen
Besitz verzichten, auf Familie und den freien Willen.
Daher wäre das Ordensleben eigentlich eine gute
Vorbereitung auf den Himmel. Man lebt nur noch für Gott
und mit Gott, doch dies lernt man heute kaum noch. Das
Leben in Gottverbundenheit ist weitgehend unbekannt.
Gott ist in uns und wir gehen ‘spazieren’! Wir lieben
die Geschöpfe, statt den Schöpfer.]
Der hl. Johannes erblickte Maria als „die Frau mit der
Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen.”
(Offb
12,1) Durch den Mond sind, nach Erklärung der
Schriftausleger, die hinfälligen, wie der Mond sich
ändernden Güter bezeichnet, die Maria nie begehrte,
sondern nur verachtete und unter ihren Füßen hielt. Sie
lebte in der Welt gleich der einsamen Turteltaube in der
Wüste, ohne nach vergänglichen Dingen zu verlangen, wie
es im Hohenlied heißt. Abt Rupertus erklärt dies in den
Worten: „Wie eine Turteltaube bist du durch die Wüste
heraufgestiegen, d. h. mit einer die Einsamkeit und
Abgezogenheit von allen Geschöpfen liebenden Seele.” Da
Maria also in vollkommenster Losschälung von allem
Irdischen und einzig und allein nur mit Gott vereinigt
lebte, so wurde ihr das Scheiden nicht bitter, sondern
überaus süß und erwünscht, da es sie nur noch inniger
mit Gott vereinigte.
Fürs zweite wird der Tod der Gerechten kostbar durch den
Frieden des Gewissens. Die während des Lebens begangenen
Sünden sind die Würmer, die das Herz der armen Sünder im
Sterben gar sehr durch ihre Bisse quälen. In Erwartung
des nahenden göttlichen Richters sehen sie sich von
ihren Sünden umgeben, die sie ängstigen und ihnen
zurufen, wie der hl. Bernhard sagt: „Wir sind deine
Werke, wir werden dich nicht verlassen.” Maria aber
konnte gewiß von keinen Gewissensbissen geängstigt
werden, da sie immer heilig, allzeit rein und unberührt
von jedem Schatten eigener oder ererbter Schuld war,
weshalb von ihr gesagt ist: „Du bist ganz schön, meine
Freundin, und keine Makel ist in dir!”
Seit dem Gebrauch der Vernunft, d. h. seit dem ersten
Augenblick ihrer Unbefleckten Empfängnis im Schoß der
hl. Anna, hatte sie aus all ihren Kräften Gott geliebt
und war ohne Unterbrechung durch ihr ganzes Leben zu
immer höherer Vollkommenheit und Liebe fortgeschritten.
Alle ihre Gedanken, Wünsche und Neigungen hatten einzig
Gott zum Ziel. Sie sprach kein Wort, machte keine
Bewegung, keinen Blick, atmete nicht, außer für Gott und
seine Ehre, ohne je einen Schritt davon abzuweichen,
ohne je auch nur einen Augenblick in der göttlichen
Liebe nachzulassen.
Wie umstanden in der glücklichen Stunde ihres Scheidens
alle die erhabenen Tugenden, die sie im Leben geübt hat,
ihr seliges Lager: ihr standhafter Glaube, ihr so
liebevolles Vertrauen auf Gott, ihre so starke Geduld
inmitten so vieler Leiden, ihre tiefste Demut bei so
hohen Vorzügen, ihre Sittsamkeit, Sanftmut, ihre
mildeste Güte gegen die Seelen, ihr unermüdlicher Eifer
für die Ehre Gottes; vor allem aber ihre vollkommenste
Liebe zu Gott in gänzlicher Gleichförmigkeit mit dem
göttlichen Willen. Sie alle umgaben sie mit den Worten
tröstend: „Deine Werke sind wir, wir werden dich nicht
verlassen. Herrin und unsere Mutter, wir sind alle
Töchter deines schönen Herzens; nun da du dieses elende
Leben verläßt, wollen wir dich nicht verlassen, auch wir
ziehen mit dir als dein ewiges Ehrengeleit in den
Himmel, wo du durch uns als Königin aller Menschen und
aller Engel thronen wirst.”
Zum dritten macht die Gewißheit des ewigen Heiles den
Tod süß. Der Tod heißt Übergang, weil man durch den Tod
von einem kurzen Leben zu dem ewigen Leben übergeht.
Daher ist nur bei denen der Schrecken groß, die im
Zweifel an ihrem Heil sterben und dem großen Augenblick
sich mit gerechter Furcht nahen, zum ewigen Tod
hinüberzugehen. Dagegen ist die Freude der Heiligen am
Ende
ihres Lebens übergroß, da sie mit Sicherheit hoffen
dürfen, heimzugehen, um Gott im Himmel zu besitzen. Eine
Ordensfrau aus dem Orden der hl. Theresia empfand, als
der Arzt ihr den Tod ankündigte, eine solche Freude, daß
sie sagte: „Wie, Sie bringen mir solch frohe Botschaft,
und verlangen keinen Lohn dafür?”
Als der hl. Laurentius Justinianus im Sterben lag und
seine Hausgenossen weinen hörte, sagte er: „Laßt eure
Tränen; jetzt ist keine Zeit zu weinen.” Ihr sollt euch
vielmehr freuen, wollte der Heilige sagen, da die
Pforten des Paradieses sich mir öffnen, um mich mit
meinem Gott zu vereinigen. Und ähnlich der hl. Aloisius
von Gonzaga, der hl. Petrus von Alcantara und viele
andere Heilige, die bei der Ankündigung des Todes in
Worte des Jubels und der Freude ausbrachen. Und doch
hatten sie nicht solche Gewißheit der göttlichen Gnade,
noch waren sie der eigenen Heiligkeit so sicher, wie
Maria derselben sicher war.
Welchen Jubel also mußte Maria empfinden, da sie die
Botschaft ihres Scheidens empfing, sie, die sich der
höchsten Gewißheit der göttlichen Gnade erfreute, sie,
die eigens vom Erzengel Gabriel die Versicherung
erhalten hatte, daß sie voll der Gnade und schon im
Besitzer ihres Gottes sei. „Sei gegrüßt, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir... du hast Gnade gefunden.”
(Lk
1,28) Wohl fühlte sie selbst, daß ihr Herz von
ununterbrochener göttlicher Liebe glühte, so sehr, daß,
wie Bernhardin von Bustis sagt, Maria durch ein
besonderes Vorrecht, das keinem anderen Heiligen
verliehen wurde, Gott in jedem Augenblick ihres Lebens
durch Übung vollkommener Liebesakte zu lieben vermochte
und zwar mit solchem Feuer, daß sie nach dem hl.
Bernhard nur durch ein beständiges Wunder inmitten
solcher Flammen leben konnte.
Von Maria war schon im Hohenlied gesagt: „Wer ist diese,
die aus der Wüste heraufsteigt wie eine Rauchsäule von
Spezereien aus Myrrhen und Weihrauch und allerlei Gewürz
des Salbenhändlers?” (Hl 3,6)
Die Myrrhe versinnbildet
ihre vollkommene Abtötung, der Weihrauch bedeutet ihre
flammenden Gebete, und alle ihre hl. Tugenden vereint
mit ihrer vollkommenen Liebe zu Gott entzündeten in ihr
ein solches Feuer, daß ihre herrliche in Liebesgluten
sich opfernde und ganz verzehrende Seele ohne Unterlaß
zu Gott wie eine Feuersäule sich emporschwang und die
Fülle süßester Wohlgerüche jeder Art aushauchte, wie
dies Rupert bezeugt. Und noch mehr der hl. Sophronius:
„Du bist gleich der Rauchsäule, weil innerlich durch das
Feuer der göttlichen Liebe als ein Brandopfer verzehrt,
woraus der süßeste Wohlgeruch ausströmt.” Und wie die
liebende Jungfrau gelebt, so schied sie. Wie die
göttliche Liebe ihr das Leben gegeben, so war ihr
Scheiden, indem sie, wie insgeheim die Lehrer und hl.
Väter sagen, sie nicht an irgendeinem Leiden, sondern
einzig nur vor Liebe schied. Der hl. Ildephons sagt,
Maria durfte entweder gar nicht oder nur vor Liebe
sterben.
II. Aber sehen wir jetzt, wie ihr seliger Tod erfolgte.
Nach der Himmelfahrt Jesu
Christi blieb Maria auf der Erde zurück, um für die
Verbreitung des Glaubens Sorge zu tragen. Deshalb kamen
die Jünger Jesu Christi zu ihr, und sie löste ihre
Zweifel, stärkte sie in den Verfolgungen, und flößte
ihnen Mut ein, sich für die Ehre Gottes und das Heil der
erlösten Seelen allen Mühsalen zu unterziehen. Gern
verweilte
sie auf Erden, wissend, daß dies der Wille Gottes zum
Besten der Kirche sei; aber unmöglich war es ihr, die
Pein der Trennung von der Gegenwart und dem Anblick
ihres geliebten, zum Himmel aufgefahrenen Sohnes nicht
zu fühlen. „Wo euer Schatz ist”, sagte der Erlöser, „da
wird auch euer Herz sein.”
(Lk 12,34) Wo einer glaubt, daß sein Schatz sei und sein Genügen, da ist die Liebe
und die Sehnsucht seines Herzens. Da Maria aber kein
anderes Gut als Jesus im Himmel liebte, so war im Himmel
ihre ganze Sehnsucht.
Tauler schreibt:
„Die Zelle Mariens war der Himmel”,
denn mit ihrer Liebe weilte sie beständig im Himmel.
„Ihre Schule war die Ewigkeit”, denn von allen
zeitlichen Gütern war sie beständig losgeschält. „Ihr
Lehrmeister war die himmlische Wahrheit”, da sie immer
nach dem göttlichen Licht wirkte. „Ihr Spiegel die
Gottheit”, da sie auf nichts anderes als auf Gott
achtete, um sich immer seinem Willen gleichförmig zu
machen. „Ihr Schmuck die Frömmigkeit”, da sie immer
geneigt war, den göttlichen Willen zu vollbringen. „Ihre
Ruhe die Vereinigung mit Gott”, ihr Friede bestand
darin, sich ganz mit Gott zu vereinigen. „Der Ort und
Schatz ihres Herzens war Gott allein.”
Oft ging die allerseligste Jungfrau, um ihr liebentbranntes Herz in
dieser harten Trennung zu trösten, wie erzählt wird, die
hl. Orte in Palästina zu besuchen, wo ihr Sohn in seinem
Leben gewesen war. Sie besuchte den Stall von Bethlehem,
wo Er geboren war; die Werkstätte von Nazareth, wo ihr
Sohn so viele Jahre arm und verachtet gelebt hatte; den
Garten von Gethsemani, wo ihr Sohn sein Leiden begonnen
hatte; das Haus des Pilatus, wo Er gegeißelt und wo Er
gekrönt wurde; aber öfter noch besuchte sie den
Kalvarienberg, wo ihr Sohn gestorben war, und das Hl.
Grab. Damit suchte die liebreichste Mutter sich aufrecht
zu erhalten im Leid ihres harten Exils. Doch das konnte
nicht genügen, ihr Herz zufriedenzustellen, das seine
vollkommene Ruhe auf dieser Erde nicht zu finden
vermochte, weshalb sie unaufhörlich Seufzer zu ihrem
Herrn empor sandte, mit noch glühenderer Liebe als David
ausrufend: „Wer wird mir Taubenflügel geben? Ich werde
fliegen und ruhen.” (Ps 54,7) Wer wird mir Taubenflügel
geben, um zu meinem Gott zu fliegen und da meine Ruhe zu
finden? „Gleich wie ein Hirsch nach den Wasserquellen
verlangt, so verlangt meine Seele nach dir, o Gott.”
(Ps
41,2)
Wie der verwundete Hirsch nach der Quelle verlangt, so
verlangt und seufzt meine von der Liebe zu dir
verwundete Seele, mein Gott, nach dir. Ach! Die Seufzer
dieser Turteltaube mußten das Herz ihres Gottes
durchdringen, der sie so sehr liebte. „Die Stimme der
Turteltaube ist in unserem Land gehört worden.”
(Hl 2,12) Indem Er
also nicht länger zögern wollte, seine Geliebte zu
trösten, stillte Er ihre Sehnsucht, sie in seine
Herrlichkeit berufend.
Cedrenus, Nicephorus und Metaphrastes berichten, daß der
Herr ihr einige Tage vor dem Scheiden den hl. Erzengel
Gabriel gesandt hat, ihn, der auch einst die Botschaft
gebracht hatte, daß sie die Gesegnete unter den Frauen
und die auserwählte Mutter Gottes sei. „Meine Herrin und
Königin”, sprach der Engel, „Gott hat nun dein heiliges
Flehen erhört, hat mich gesandt, dir zu sagen, du mögest
dich bereiten, die Erde zu verlassen, da Er dich im
Himmel bei sich haben will; komm also, Besitz von deinem
Reich zu nehmen. Ich und alle hl. Himmelsbürger
harren deiner mit Sehnsucht.” Was hätte auf diese
glückselige Botschaft unsere demütigste, heiligste
Jungfrau anderes zu tun vermocht, als sich noch tiefer
in dem Innersten ihrer tiefsten Demut zu verbergen und
in denselben Worten wie bei der Verkündigung ihrer
göttlichen Mutterschaft ihm zu erwidern: „Ich bin die
Magd des Herrn” (Lk 1,38), der aus reiner Güte zu seiner
Mutter mich erkoren hat und nun in den Himmel mich ruft.
Weder jene, noch diese Ehre habe ich verdient; doch weil
Er an mir seine unendliche Freigiebigkeit offenbaren
will, so bin ich bereit zu kommen, wohin Er will. Ich
bin die Magd des Herrn. Immerdar geschehe an mir der
Wille meines Gottes und Herrn.
Diese Botschaft teilte sie darauf dem hl. Johannes mit.
Wir begreifen leicht, mit welchem Schmerz und welcher
Innigkeit er sie vernehmen mußte, er, der durch so viele
Jahre ihr als Sohn zur Seite stand und des himmlischen
Verkehrs mit seiner heiligsten Mutter sich erfreuen
durfte. Sie besuchte nochmals die hl. Orte in Jerusalem,
nahm von ihnen und besonders vom Kalvarienberg, wo ihr
geliebter Sohn sein Leben gelassen, den innigsten
Abschied. Und dann zog sie sich in ihr bescheidenes Haus
zurück, um sich auf den Heimgang vorzubereiten.
Währenddessen hörten die Engel nicht auf, ihre geliebte
Königin zu besuchen, sich mit der Gewißheit tröstend,
sie bald gekrönt im Himmel zu schauen. Viele
Schriftsteller, der hl. Andreas von Kreta, der hl.
Johannes von Damaskus, Euthymius, berichten, daß vor
ihrem Scheiden durch ein göttliches Wunder die Apostel
und auch ein Teil der Jünger aus den verschiedensten
Gegenden, wohin sie zerstreut waren, im Haus Mariens
versammelten. Da sie nun ihre lieben Söhne um sich
versammelt sah, sprach sie zu ihnen: „Meine Geliebten!
Aus Liebe zu euch und um euch zu helfen, hat mein Sohn
mich bei euch gelassen. Nun ist der Glaube in der Welt
verbreitet; schon ist die Frucht des göttlichen Samens
gewachsen; da mein Herr sieht, daß mein Beistand auf
Erden nicht mehr notwendig ist, und da Er mit meiner
Trennung Mitleid hat, so hat Er meine Sehnsucht, aus
diesem Leben zu scheiden und Ihn im Himmel zu schauen,
erhört. Bleibt darum noch hier zurück, um für seine Ehre
zu wirken. Wenn ich euch verlasse, so verlasse ich euch
doch nicht mit dem Herzen; ich nehme mit mir und werde
immer bewahren die Liebe, die ich zu euch trage. Ich
gehe ins Paradies, um für euch zu beten.”
Wer vermöchte bei dieser schmerzlichen Ankündigung die
Tränen und das Wehklagen der hl. Jünger ermessen, da sie
nun erkannten, daß sie bald von ihrer Mutter sich
trennen müssen. „So willst du uns”, sprachen sie
weinend, „o Maria, nun verlassen? Es ist wahr, diese
Erde ist kein würdiger und geeigneter Aufenthalt für
dich, und wir sind nicht würdig, die Gesellschaft einer
Mutter Gottes zu genießen, aber erinnere dich, daß du
unsere Mutter bist! Du warst bis jetzt unsere
Lehrmeisterin in allen Zweifeln, die Trösterin in
unseren Nöten, unsere Stärke in den Verfolgungen; wie
kannst du von uns scheiden, uns ohne deinen Beistand
inmitten so vieler Feinde, so vieler Kämpfe
zurücklassen? Schon haben wir auf Erden Jesus unseren
Meister und Vater verloren, da Er in den Himmel
aufgefahren ist. Wir haben uns seitdem mit dir, unserer
Mutter, getröstet; wie kannst auch du uns nun verwaist
zurücklassen, ohne Vater und ohne Mutter? Unsere Herrin,
entweder bleibe bei uns oder nimm
uns mit dir.” So der hl. Johannes von Damaskus. „Nein,
meine Söhne”, erwiderte sanft die liebende Königin,
„dies ist nicht nach dem Willen Gottes; begnügt euch zu
tun, was Er über mich und euch verfügt hat. Euch bleibt
es vorbehalten, auf Erden zu wirken für die Ehre eueres
Erlösers und eure ewigen Kronen zu vollenden. Ich
scheide nicht von euch, um euch zu verlassen, sondern um
euch durch meine Vermittlung bei Gott im Himmel noch
kräftiger zu Hilfe zu kommen. Seid zufrieden, ich
empfehle euch die hl. Kirche, ich empfehle euch die
erlösten Seelen, das sei mein letztes Lebewohl und das
einzige Andenken, das ich euch zurücklasse. Tut das,
wenn ihr mich liebt; wirkt für die Seelen und die Ehre
meines Sohnes; denn eines Tages werden wir uns dann von
neuem vereinigt im Himmel wiedersehen, um uns in
Ewigkeit nie mehr zu trennen.”
Sodann bat Maria, ihren Leib zu bestatten, segnete sie,
befahl dem hl. Johannes, wie der hl. Johannes von
Damaskus, Nicephorus und Metaphrastes berichten, daß
ihre zwei Kleider zwei Jungfrauen gegeben werden, die
sie eine Zeitlang bedient hatten. Und dann bereitete sie
sich in hl. Anmut auf ihrem armen Lager mit Sehnsucht
auf den Tod vor, um mit dem Hinscheiden die Begrüßung
des göttlichen Bräutigams zu erwarten, der schon nahe
war, sie zu holen und mit sich ins Reich der Seligkeit
zu führen. Siehe! Schon fühlte sie im Herzen eine
Vorfreude über die Ankunft ihres Bräutigams, die sie mit
unermeßlicher, neuer Süßigkeit erfüllt.
Da die hl. Apostel sahen, daß Maria schon im Begriff
stand, von dieser Welt zu scheiden, weinten sie von
neuem und knieten rings um ihr Bett. Dieser küßte ihre
hl. Füße, jener verlangte von ihr den Segen, wieder ein
anderer empfahl ihr ein besonderes Anliegen, und alle
schluchzten vom Schmerz durchbohrt, von ihrer geliebten
Herrin nun scheiden zu müssen. Und sie, die liebevollste
Mutter, trug mit allen Mitleid, tröstete einen jeden:
Dem einen ihren Schutz verheißend, den anderen mit
besonderer Zärtlichkeit segnend, einen dritten zur
Bekehrung der Welt ermutigend. Im besonderen rief sie
den hl. Petrus, als das Haupt der Kirche und den
Stellvertreter ihres Sohnes, zu sich, empfahl ihm
vorzüglich die Ausbreitung des Glaubens, ihm vom Himmel
besonderen Schutz verheißend.
Vor allen anderen aber war es Johannes, der sich ihr
nahen mußte, da er in diesem Augenblick der Trennung von
seiner heiligsten Mutter den größten Schmerz empfand.
Die dankbarste Herrin gedachte der Liebe und Sorgfalt,
mit welcher der hl. Jünger ihr in der ganzen Zeit ihres
Lebens auf Erden seit dem Tod ihres göttlichen Sohnes
gedient hatte. „Mein Sohn Johannes”, sprach sie voll
Zärtlichkeit, „ich danke dir für alle Hilfe, die du mir
geleistet hast. Sei gewiß, mein Sohn, ich werde sie
vergelten. Wenn ich dich jetzt verlasse, so gehe ich
nur, um für dich zu beten. Bleibe du in Frieden noch am
Leben, bis wir im Himmel, wo ich dich erwarte, uns
wieder sehen werden. Denke stets an mich. In allen
deinen Nöten rufe mich zu Hilfe, ich werde deiner nie
vergessen, du mein geliebter Sohn! Ich segne dich! Die
Fülle meiner Segnung lasse ich auf dir, mein Sohn,
zurück! Lebewohl!”
Schon ist das Scheiden Mariens nahe. Die göttliche Liebe
hat mit ihren seligen, heftigen Flammen alle
Lebensgeister wie verzehrt; schon will der himmlische
Phönix inmitten dieses großen Feuers sein Leben lassen.
Chöre um Chöre der Engel kommen,
sie zu besuchen, bereit zu dem großen Triumphzug, in dem
sie Maria in den Himmel begleiten sollen. Wohl tröstet
sie der Anblick dieser Hl. Geister, aber unvollkommen
ist dieser Trost, da sie ihren geliebten Jesus, die
ganze Liebe ihres Herzens, noch nicht erscheinen sieht.
Oft wiederholt sie darum den sie zu grüßen
heranschwebenden Engelscharen: „Ich beschwöre euch,
Töchter Jerusalems, wenn ihr meinen Geliebten gefunden
habt, ihm anzukündigen, daß ich von Liebe krank bin.”
(Hl 5,8)
Hl. Engel, o schöne Bürger des himmlischen Jerusalem,
ihr eilt in Scharen so dienstfertig, mich zu trösten,
herbei. Eure liebe Gegenwart ist mir zum Trost, ich
danke euch; doch kann ich die volle Tröstung nicht
finden, bis ich meinen Sohn zu meiner Wonne erblicke. So
ihr mich liebt, eilt zurück zum Himmel und kündet meinem
Geliebten von mir, daß ich krank bin vor Liebe; sagt,
daß ich verschmachte aus Liebe zu Ihm. Bittet Ihn, zu
kommen, eilends zu kommen, ich fühle mich sterbend vor
Sehnsucht nach Ihm.
Doch siehe, schon naht Jesus, seine Mutter zu holen und
in das Reich der Seligkeit zu führen. Der hl. Elisabeth
wurde geoffenbart, daß, bevor Maria verschied, Jesus
ihr, das Kreuz in seinen Händen, erschienen sei, um die
besondere Glorie zu offenbaren, die Er aus der Erlösung
sich erworben hatte, indem Maria das erhabenste der
Geschöpfe kraft seines Todes am Kreuz sein Eigentum
geworden war, von dem Er durch alle Ewigkeiten mehr Ehre
empfangen sollte als von allen Menschen und Engeln
zusammen.
Der hl. Johannes von Damaskus berichtet, daß
Er selbst ihr die hl. Kommunion als Wegzehrung gereicht,
indem Er liebreich sprach: „Nimm, meine Mutter, aus
meinen Händen diesen meinen Leib, den du mir gegeben
hast.” Und nachdem die Mutter in höchster Liebe diese
letzte Kommunion empfangen, flehte sie in den letzten
Zügen: „In deine Hände, Sohn, empfehle ich meinen Geist.
Ich empfehle Dir die Seele, die Du aus Güte erschaffen,
vom ersten Augenblick mit großen Gnaden bereichert und
durch ein ganz einziges Vorrecht vor jeder Makel der
Schuld bewahrt hast. Ich empfehle Dir meinen Leib, von
dem Du Fleisch und Blut anzunehmen Dich gewürdigt. Ich
empfehle Dir auch diese meine lieben Söhne, - sie meinte
die hl. Jünger, die sie umstanden; - sie sind jetzt
betrübt über mein Scheiden, tröste Du sie, der Du sie
mehr liebst als ich; segne und stärke sie, Großes zu
deiner Ehre
zu vollbringen.”
Das Ende des Lebens Mariens ist nun gekommen; in ihrem
Gemach läßt sich, wie der hl. Hieronymus erzählt,
herrliche Musik vernehmen, und wie der hl. Birgitta geoffenbart wurde, wurde es von großem Glanz erleuchtet.
Diese Musik und der ungewohnte Glanz läßt die hl.
Apostel erkennen, daß Maria nun scheide. Sie erneuern
Tränen und Bitten, und mit erhobenen Händen flehen sie
alle: „O unsere Mutter, nun ziehst du in den Himmel ein
und verläßt uns; gib uns den letzten Segen! Vergiß uns
Arme nicht.” Maria, die Augen ringsum auf alle richtend,
spricht als letztes Abschiedswort: „Meine Söhne, lebt
wohl! Ich segne euch, zweifelt nicht, ich werde eurer
nicht vergessen.” Und siehe! Nun kommt der Tod - nicht
im Gewand der Trauer und Klage, wie zu den anderen
Menschen, sondern umgeben von Licht und Frohlocken. Doch
was sage ich: Tod, was Tod? Nein, die göttliche Liebe
kommt, den Faden dieses edlen Lebens abzuschneiden. Und
wie eine Flamme
vor dem Erlöschen unter letztem Aufflackern ihres
Lichtes einen höheren Glanz verbreitet und dann
erlischt, so haucht der schöne Schmetterling, eingeladen
vom Sohn, Ihm zu folgen, in Liebesflammen eingetaucht
und mit Inbrunst seufzend den letzten und größten
Liebesseufzer aus und stirbt. So löste sich die erhabene
Seele, diese schöne Taube des Herrn, von den Banden
dieses Lebens und zog zur ewigen Herrlichkeit, wo sie
als Königin des Himmels die ganze Ewigkeit thronen wird.
Schon hat Maria die Erde verlassen, schon wohnt sie im
Himmel. Von ihm schaut sie, die gütigste Mutter, auf uns
hernieder, die wir noch in diesem Tal der Tränen weilen,
trägt Mitleid mit uns und verheißt uns ihre Hilfe, wenn
wir sie begehren.
Bitten wir sie ohne Unterlaß, daß sie
durch die Verdienste ihres seligen Hinscheidens einen
glücklichen Tod und uns, wenn es Gott gefällt, die Gnade
erlange, an einem Samstag zu sterben, der ihrer Ehre
geweiht ist, oder an einem Tag in der Novene oder Oktav
eines ihrer Feste, wie sie es so vielen ihrer Verehrer
und besonders dem hl. Stanislaus Kostka, erlangt hat,
der am Fest ihrer glorreichen Himmelfahrt,
wie Pater Bartoli in seinem Leben berichtet, sterben
durfte.
Beispiel
Dieser Heilige, sich ganz der Liebe Mariens weihende
Jüngling hörte, am 1. August, den Pater Petrus Canisius
den Novizen der Gesellschaft mit eindringlichen Worten
den weisen Rat erteilen, jeden Tag so zu leben, wie wenn
es der letzte des Lebens wäre, an dem wir vor dem
göttlichen Richterstuhl zu erscheinen hätten. Als die
Predigt zu Ende war, sagte der hl. Stanislaus zu seinen
Genossen, daß dieser Rat für ihn besonders die Stimme
Gottes gewesen sei, da er noch in diesem Monat sterben
werde. So sprach er, entweder weil es ihm Gott
ausdrücklich geoffenbart oder ihm doch ein inneres
gewisses Gefühl von dem, was bald geschehen sollte,
eingegeben hatte. Vier Tage später ging der selige
Jüngling mit Pater Emanuel nach St. Maria Maggiore, und
vom Fest Maria Himmelfahrt sprechend, sagte er:
„Pater, ich glaube, daß man an diesem Tag im Paradies
ein neues Paradies zu sehen bekommt, indem man die
Herrlichkeit der als Königin des Himmels gekrönten und
nächst dem Herrn über alle Chöre der Engel erhöhten
Mutter Gottes erblicken wird. Und wenn es wahr ist, daß
in jedem Jahr, wie ich für gewiß halte, dieses Fest im
Himmel erneuert wird, so hoffe ich, daß ich es baldigst
sehen werde.”
Da dem hl. Stanislaus der glorreiche Märtyrer Laurentius
als Monatspatron, - nach dem Gebrauch der Gesellschaft,
- durch das Los zuteil geworden war, so wird erzählt, er
habe einen Brief an seine Mutter Maria gerichtet und sie
gebeten, ihrem Fest im Paradies teilnehmen zu dürfen. Er
empfing am Fest des hl. Laurentius die hl. Kommunion und
übergab dem Heiligen sein Bittgesuch, es der göttlichen
Mutter fürbittend vorzulegen, um von ihr erhört zu
werden. Und siehe, noch am Abend dieses Tages befiel ihn
das Fieber, das ihm, obwohl es ganz unbedeutend schien,
die Gewißheit gab, daß ihm die Gnade eines baldigen
Todes gewährt sei. Als er sich zu Bett legte, äußerte er
fröhlich mit lachendem Mund: „Von diesem Bett werde ich
nicht mehr aufstehen.” Und dem Pater Claudius Aquaviva
bekannte er: „Mein Vater, ich glaube, daß der hl.
Laurentius mir die Gnade von Maria erlangt hat, mich
am Fest ihrer Himmelfahrt schon im Himmel zu befinden.”
Niemand achtete viel auf diese Worte. Noch am Vorabend
des Festes selbst schien die Krankheit unbedeutend; doch
sagte der Heilige einem Mitbruder, daß er die folgende
Nacht nicht mehr am Leben sein werde, worauf dieser
entgegnete:
„O Bruder, ein größeres Wunder wäre es, an dieser
leichten Krankheit zu sterben, als von ihr zu genesen.”
Kaum jedoch war der Mittag vorüber, als er von einer
tödlichen Ohnmacht befallen wurde. Es brach ein kalter
Schweiß aus, und er verlor wirklich die Kräfte. Der
Obere eilte herbei, und Stanislaus bat, auf die bloße
Erde gelegt zu werden, damit er als Büßer sterbe, was
ihm bewilligt wurde, um ihn zufrieden zu stellen. Er
wurde auf den Boden auf eine Decke gelegt; dann
beichtete er, empfing die Wegzehrung, nicht ohne Tränen
der Umstehenden, denn als das hl. Sakrament in die Zelle
gebracht wurde, leuchteten seine Augen von himmlischer
Freude und sein Angesicht erschien von hl. Liebe
entflammt, daß er einem Seraph glich. Er empfing die
letzte Ölung. Bald hob er die Augen zum Himmel, bald zu
einem Bild Mariens, das er küßte und in Liebe an sein
Herz drückte. Ein Pater fragte ihn:
„Was hilft der Rosenkranz nur um die Hand gewunden, wenn
du ihn nicht beten kannst?” Er antwortete: „Er ist zu
meinem Trost, er ist eine Sache meiner Mutter.” -
„O wie viel mehr”, antwortete der Pater, „wirst du
getröstet sein, wenn du bald sie sehen und im Himmel
ihre Hände küssen darfst!” Dann hob der Heilige
leuchtenden Angesichts die Hände in die Höhe, seine
Sehnsucht offenbarend, bald zu ihr zu kommen. Nun
erschien ihm seine liebe Mutter, wie er selbst den
Umstehenden bekannte, und kurz darauf, in der
Morgendämmerung des 15. August, starb er mit dem
Ausdruck eines Seligen, die Augen fest nach dem Himmel
gerichtet, ohne sich zu rühren, so daß man erst beim
Darreichen eines Bildes der allerseligsten Jungfrau, vor
dem er kein Zeichen der Andacht mehr gab, gewahr wurde,
daß er schon hinübergegangen war in das Paradies, seiner
geliebten Mutter die Füße zu küssen.
Gebet
O süßeste Herrin und unsere Mutter, schon hast du die
Erde verlassen und bist in dein Reich gekommen, wo du
als Königin über allen Chören der Engel thronst, wie die
hl. Kirche singt: „Du bist erhöht über die Chöre der
Engel zu den himmlischen Reichen.” Wohl wissen wir, daß
wir Sünder nicht würdig waren, dich in diesem Tal der
Finsternis bei uns zu haben, doch wir wissen auch, daß
du in deiner Herrlichkeit uns Armselige nicht vergißt,
da du, zu solcher Glorie erhöht, das Mitleid mit uns
armen Adamskindern nicht verloren hast. Es ist im
Gegenteil in dir nur gewachsen. Vom hohen Thron, wo du
regierst, wende, o Maria, auch auf uns deine
barmherzigen Augen und habe Mitleid mit uns. Erinnere
dich, daß du beim Scheiden von dieser Erde verheißen
hast, uns nicht zu vergessen. Blicke auf uns und komm
uns zu Hilfe. Siehe, in welchen Stürmen und Gefahren wir
uns immerdar befinden bis an das Ende unseres Lebens.
Durch die Verdienste deines guten Todes erlange uns die
hl. Beharrlichkeit in der Freundschaft Gottes, um einst
in seiner Gnade aus diesem Leben zu scheiden, und
hinzugehen, dir die Füße im Paradies zu küssen,
und im Verein mit den seligen Geistern dich zu loben und
deine Herrlichkeit zu preisen, wie du es verdienst.
Amen.
8. Kap. - Mariä Himmelfahrt - 15. Aug
I. Der glorreiche Triumph, mit dem Maria im Himmel
einzog
II. Der erhabene Thron, auf den sie im Himmel erhoben
wurde
Nicht mit Unrecht könnte die hl. Kirche am Tag der
Himmelfahrt Mariens uns eher zur Wehklage als zur Freude
auffordern, da unsere süßeste Mutter von der Erde
geschieden ist, uns ihrer tröstenden Gegenwart
beraubend, wie der hl. Bernhard spricht: „Es scheint
mehr Grund zum Klagen als zum Jubilieren.” Doch nein,
die hl. Kirche lädt uns ein, zu frohlocken. „Freuen wir
uns alle im Herrn, da wir ein Fest zur Ehre der allerseligsten Jungfrau Maria feiern.”
(Introitus der
Messe bis 1950) Und mit Recht; wenn wir unsere Mutter
lieben, so müssen wir uns mehr über ihre Herrlichkeit
freuen, als über unsere eigenen Tröstungen. Welcher Sohn
sollte nicht frohlocken, wenn er weiß, daß seine Mutter,
wenn auch um den Preis der Trennung, hingeht, ein Reich
in Besitz zu nehmen? Maria zieht hin, um als Königin des
Himmels gekrönt zu werden, können wir nun, wenn wir sie
wahrhaft lieben, anders als frohlocken?
„Freuen wir uns alle, freuen wir uns.” Auf daß wir über
ihre Erhöhung um so größeren Trost empfinden, wollen wir
erstens den Triumph betrachten, mit dem Maria zum Himmel
fuhr; zweitens den erhabenen Thron, auf den sie im
Himmel erhoben wurde.
I. Als unser Heiland Jesus Christus das Werk der
Erlösung durch seinen Tod vollbracht hatte, sehnten sich
die Engel, Ihn bei sich im himmlischen Vaterland zu
sehen, weshalb sie beständig in den Worten Davids die
Bitte wiederholten: „Erhebe Dich, Herr, zu deiner Ruhe,
Du und die Lade deiner Heiligung.”
(Ps 131,8) Komme
jetzt, o Herr, da Du die Menschen erlöst, komme in dein
Reich zu uns, und führe mit Dir auch die lebendige Arche
deiner Heiligung, deine Mutter. Sie ist die Bundeslade,
die durch dein Wohnen in ihrem Schoß geheiligt ist, wie
der hl. Bernhardin von Siena die Engel rufen läßt.
Endlich will der Herr die Sehnsucht der Bürger des
Himmels erfüllen, Er ruft Maria zum Himmel. Wie Er
ehedem die Bundeslade unter großer Feier in die Stadt
Davids bringen ließ: „Und David und das ganze Haus
Israel führten die Lade des Herrn mit Jubel und
Posaunenschall herauf” (2 Kg 6,15), so ordnet Er jetzt
eine weit erhabenere, herrliche Feier an, da seine
Mutter den Einzug in den Himmel halten soll. Der Prophet
Elias war auf feurigem Wagen in den Himmel erhoben
worden, der nach den Auslegern eine Gruppe von Engeln
war, die ihn von der Erde empor geleiteten.
„Um aber dich, o Mutter Gottes, in den Himmel zu
führen”, ruft Abt Rupertus aus,
„ist ein Chor von Engeln nicht genügend;
dich zu
geleiten kommt der König des Himmels selbst mit dem
ganzen himmlischen Hof.”
Auch der hl. Bernhardin von Siena spricht denselben
Gedanken aus, da er sagt:
„Der verherrlichte Jesus hat sich erhoben, um seiner
süßesten Mutter entgegenzukommen.” Der hl. Anselm wendet
sich an Jesus Christus mit den Worten: „Nach deinem
weisesten Ratschluß wolltest Du ihr vorangehen, um ihr
in deinem Reich den Platz zu bereiten,
und so, von deinem ganzen himmlischen Hof begleitet, ihr
festlich entgegen zu kommen, um deine Mutter, wie ihr
gebührte, aufs höchste zu Dir zu erheben.” Den Glanz der
Himmelfahrt Mariens betrachtend, spricht sich der hl.
Petrus Damianus so aus: „Das Geleit, das Maria bei ihrer
Aufnahme in den Himmel so feierlich umgab, war noch
würdiger, als das bei der Himmelfahrt Jesu Christi; denn
nur Engel konnten dem Erlöser entgegenkommen, der Mutter
aber kam ihr Sohn selbst mit dem ganzen Hof der Engel
und der Heiligen entgegen und führte sie in die Reihen,
die ihren seligen Thron umstehen.”
Nach dem Abt Guerricus wurde Maria mit den Worten
begrüßt: „Um meinen Vater zu ehren, bin ich auf die Erde
hinabgestiegen; um meine Mutter zu ehren, bin ich wieder
zum Himmel aufgefahren.” Um meinem Vater Ehre zu geben,
stieg ich vom Himmel zur Erde; um aber meine Mutter zu
ehren, kehrte ich zum Himmel zurück, um ihr
entgegenzukommen und sie durch meine Gegenwart ins
Paradies geleiten zu können.
Betrachten wir nun die erste Begegnung des vom Himmel
kommenden Heilandes und seiner Mutter, wie Er sie mit
den Trostworten begrüßt: „Stehe auf, eile, meine
Freundin, meine Taube, meine Schöne, und komm; denn der
Winter ist vorüber und vergangen”.
(Hl 2,10) Auf, meine
liebe Mutter, meine schöne und reine Taube, verlasse
dieses Tal der Tränen, wo du aus Liebe zu Mir so viel
gelitten hast. „Komm vom Libanon, komm, du wirst gekrönt
werden,” (Hl 4,8) Komm mit Leib und Seele, den Lohn
deines hl. Leidens zu genießen. Viel hast du auf Erden
gelitten, unendlich größer aber ist die Herrlichkeit,
die Ich dir im Himmel bereitet habe. Komm zu thronen
neben Mir; komm, die Krone zu empfangen, die Ich dir,
als der Königin der Welt, verleihen werde.
Nun verläßt Maria diese Erde und eingedenk der so
großen, hier von ihrem Herrn empfangenen Gnaden, blickt
sie mit hebender Wehmut auf sie nieder, wo sie inmitten
von Elend und Gefahren so viele ihrer Kinder zurückläßt.
Jesus reicht ihr die Hand, die seligste Mutter schwebt
nach der Höhe, durch die Wolken, durch die
Himmelskreise. Sie ist vor den Pforten des Himmels. Will
ein Monarch von seinem Reich Besitz nehmen, so zieht er
nicht durch die Tore der Stadt, sondern es werden
entweder die Pforten ausgehängt, oder er zieht über
dieselben. Darum sangen die Engel bei dem Einzug Jesu
Christi in das Paradies: „Hebt eure Tore, ihr Fürsten,
erhebt euch, ihr ewigen Tore, daß einziehe der König der
Herrlichkeit.” (Ps 23,7) So rufen auch jetzt die Maria
auf ihrem Triumphzug zum himmlischen Reich begleitenden
Engel den Chören zu, die an seiner Pforte auf sie
harren: „Erhebt eure Tore, ihr Fürsten, erhebt euch, ihr
ewigen Tore, die Königin der Herrlichkeit wird
einziehen.”
Nun hält Maria den Einzug. Die himmlischen
Chöre singen beim Anblick ihrer herrlichen Schönheit den
mit ihr kommenden Scharen entgegen: „Wer ist die, die da
aufsteigt aus der Wüste, von Freude überfließend und auf
ihren Geliebten gelehnt?” (Hl 8,5) Wer ist die
majestätische Kreatur, die von der Wüste der Erde kommt,
dem Ort der Dornen und Disteln? Diese kommt so rein, so
reich an Tugenden, gestützt auf ihren geliebten Herrn
selber, der sich würdigt, sie mit so viel Ehre zu
begleiten. Wer ist sie? Die begleitenden Engel erwidern:
„Es ist die Mutter unseres
Königs; es ist unsere Königin und die Gebenedeite unter
den Frauen, die Gnadenvolle, die Heilige der Heiligen,
die Geliebte Gottes, die Unbefleckte, die Taube, die
Schönste aller Kreaturen!” Nun stimmen alle seligen
Geister zusammen Lob- und Preisgesänge an, Maria mit
besserem Recht als einst die Israeliten der Judith
zurufend: „Du bist der Ruhm Israels, du die Freude
Israels, du die Ehre unseres Volkes!”
(Jdt 15,10) Ach,
Herrin und unsere Königin, du bist der Ruhm des Himmels,
die Freude unseres Vaterlandes, die Ehre für uns alle.
Sei immer willkommen, sei immer gepriesen; siehe dein
Reich, siehe uns deine Vasallen, bereit, deine Befehle
entgegenzunehmen.
Dann nahen alle Heiligen des Himmels,
sie zu grüßen und ihrer Königin zu huldigen, voran die
hl. Jungfrauen. „Es sahen sie die Töchter und priesen
sie überaus selig... und lobten sie.”
(Hl 6,8) „Wir”,
rufen sie, „auch wir, o seligste Herrin, sind Königinnen
dieses Reiches, du aber bist unsere Königin! Du warst
unser erstes, erhabenstes Vorbild, die Jungfräulichkeit
Gott zu weihen, wir preisen dich, wir danken dir.” Die
hl. Bekenner begrüßen sie darauf als ihre Meisterin, die
ihnen durch ihren hl. Wandel das Vorbild jeder Tugend
gewesen. Die hl. Märtyrer huldigen ihr als Königin,
deren großer Starkmut in den Leiden beim Tod ihres
Sohnes ihnen gezeigt und die Kraft verdient hatte, für
den Glauben zu sterben. Auch der hl. Jakobus, der
einzige aus den Aposteln, der schon im Paradies war,
kommt, im Namen aller zu danken, für die Stärke und
Hilfe, die sie, auf Erden weilend, ihnen gegeben hatte.
Die Propheten nahen mit dem Gruß: „O Herrin, du warst
es, die wir in unseren Prophezeiungen verkündet.” Und
die hl. Patriarchen begrüßen sie: „O Maria, du unsere
Hoffnung, nach der wir so lange mit Inbrunst geseufzt
haben!” Zuletzt nahen Adam und Eva, unsere Stammeltern,
mit höchster Innigkeit danksagend: „O geliebte Tochter,
du hast das Unheil wieder gut gemacht, das wir über die
Menschen gebracht; du hast der Welt den durch unsere
Schuld verlorenen Segen wieder erlangt; durch
dich sind wir gerettet; sei für immer dafür gepriesen.”
Der hl. Simeon küßt ihre Füße, sie mit Frohlocken an den
Tag erinnernd, da er von ihren Armen das Jesuskind
empfangen hatte. Zacharias und Elisabeth danken aufs
neue für den liebreichen Besuch ihrer demütigsten Liebe,
der ihrem Haus widerfahren und ihnen so viele Schätze
der Gnade gebracht hatte. Der hl. Johannes der Täufer
dankt voll Rührung für die mit ihrem Gruß empfangene
Heiligung.
Wie aber mögen die hl. Eltern Joachim und
Anna sie begrüßt haben! O Gott, mit welcher Zärtlichkeit
werden sie lobpreisend sie empfangen haben! „O geliebte
Tochter, welch ein Glück war es für uns, dich als unser
Kind zu haben, Nun aber als Mutter unseres Gottes bist
du unsere Königin, als solche grüßen wir dich, und
huldigen wir dir.” Und erst der hl. Joseph! Wer mag es
fassen, mit welchen Gefühlen er, der teure Bräutigam
sich naht, Maria zu grüßen! Wer kann die Freude des hl.
Patriarchen ermessen, da er seine Braut in solcher
Herrlichkeit als die Königin des Himmel kommen sieht!
Mit welcher Zärtlichkeit ruft er: „O meine Herrin und
meine Braut, wann werde ich je imstande sein unserem
Gott nach Gebühr zu danken, daß Er mich zu deinem
Bräutigam, die du seine wahre Mutter bist, gemacht hat.
Durch dich habe ich verdient, auf Erden der Kindheit des
menschgewordenen Wortes zur Seite zu stehen, das
heiligste Kind so oft auf meinen Armen zu tragen und so
große Gnaden von Ihm zu empfangen. Ich segne jeden
Augenblick, den ich auf Erden Jesus und dir, o hl.
Braut, zu dienen verwenden durfte. Sieh, unser Jesus, zu
unserem Trost liegt Er nicht mehr auf Heu in einem
Stall, wie wir Ihn nach seiner Geburt in Bethlehem
gesehen; Er lebt nicht mehr arm und verachtet in einer
Werkstätte, wie einst mit uns zu Nazareth; Er ist nicht
mehr an das Holz der Schmach geheftet, an dem Er zum
Heil der Welt in Jerusalem den Tod erlitt! Nein, zur
Rechten des Vaters thront Er als König und Herr des
Himmels und der Erde. Und wir, o Königin, weichen nicht
in Ewigkeit mehr von seinen Füßen, Ihn zu preisen und zu
lieben.”
Nun nahen alle hl. Engel zur Huldigung, und
sie, die erhabene Königin, dankt allen für den Beistand,
den sie ihr auf Erden geleistet, besonders dankt sie dem
hl. Erzengel Gabriel, dem glücklichen Botschafter ihrer
Auserwählung, daß sie Mutter Gottes werden sollte.
Sofort betet auf den Knien die demütige, hl. Jungfrau
die Majestät Gottes an, und ganz vertieft in die
Erkenntnis ihres Nichts, dankt sie für alle aus reiner
Güte ihr verliehenen Gnaden, insbesondere für ihre
Erhebung zur
Mutter des ewigen Wortes.
Endlich begreife, wer kann, mit welcher Liebe die
allerheiligste Dreieinigkeit sie segnete, welchen
Empfang der ewige Vater seiner Tochter, der Sohn seiner
Mutter, der Hl. Geist seiner Braut bereitete. Der Vater
krönt sie mit der Teilnahme an seiner Macht, der Sohn an
seiner Weisheit, der Hl. Geist an seiner Liebe. Und alle
drei göttlichen Personen erklären sie, ihren Thron zur
Rechten Jesu setzend, als die Königin des Himmels und
der Erde, und befehlen den Engeln und allen Kreaturen,
sie als ihre Königin zu erkennen, ihr zu dienen und zu
gehorchen.
Nun gehen wir zur Betrachtung über, wie erhaben jener
Thron ist, auf welchen Maria im Himmel erhöht wurde.
II. „Wenn keines Menschen Verstand”, sagt der
hl.
Bernhard, „die unermeßliche Herrlichkeit zu fassen
vermag, die Gott nach dem hl. Apostel
(1 Kor 2,9) denen
im Himmel bereitet, die Ihn auf Erden lieben, wer wird
imstande sein zu begreifen, welche Herrlichkeit seiner
Mutter bereitet ist, die Ihn auf Erden mehr geliebt hat,
als alle Menschen, ja, Ihn schon im ersten Augenblick
ihrer Erschaffung mehr geliebt hat, als alle Menschen
und Engel zusammen.” Darum singt mit Recht die hl.
Kirche, daß sie um dieser Liebe willen über alle Engel
im Himmel erhöht ist: „Erhoben ist die hl.
Gottesgebärerin über die Chöre der Engel zu den
himmlischen Reichen.”
„Ja, erhöht über die Engel”, sagt Abt Wilhelm, „so daß
die Mutter über sich nur ihren Sohn erhoben sieht.”
Darum behauptet der gelehrte Gerson, indem er mit dem
englischen Lehrer und dem hl. Dionysius drei Hierarchien
der Engel unterscheidet, daß Maria eine eigene
Hierarchie und zwar die höchste über allen und
unmittelbar nach Gott selbst für sich ausmache. Und wie
nach dem hl. Antonin die Herrin ohne Vergleich von ihren
Dienern sich unterscheidet, so ist die Herrlichkeit Mariens ohne Vergleich größer als die der Engel. Um
dieses zu begreifen, genügt zu wissen, was David sagte, daß diese Königin zur Rechten des Sohnes gesetzt worden.
„Die Königin steht zu deiner Rechten” (Ps 44,10), Worte,
die der hl. Athanasius als auf Maria bezieht. Der
hl. Ildephons sagt: „Wie das, was Maria vollbrachte, mit
nichts anderem
verglichen werden kann, so unbegreiflich ist auch der
Lohn und die Herrlichkeit, die sie über alle Heiligen
verdient hat.” Und wenn nach den Worten des hl. Apostels
Gott für gewiß einem jeden nach seinen Werken vergilt
(Röm 2,6), so ist es dem gewiß entsprechend, sagt der
hl. Thomas, daß Maria über alle himmlischen Ordnungen
erhöht wurde, da sie es mehr als alle zusammen
verdiente.
Mit einem Wort: „So viel Gnade Maria auf Erden erlangt
hat”, sagt der hl. Bernhard,
„so große ausgezeichnete Herrlichkeit ist ihr im Himmel
zuteil geworden.”
Diese Herrlichkeit ist, nach Erwägung eines gelehrten
Autors, eine volle, eine vollendete, zum Unterschied von
jener, welche die anderen Heiligen im Himmel haben.
Allerdings erfreuen sich alle Seligen im Himmel eines
vollkommenen Friedens und voller Zufriedenheit, dennoch
aber ist es wahr, daß keiner von ihnen jene Herrlichkeit
genießt, die er hätte verdienen können, wenn er mit noch
größerer Treue Gott gedient und ihn geliebt hätte.
Obwohl daher die Heiligen im Himmel nichts weiter
begehren, als was sie genießen, so gäbe es doch in
Wirklichkeit noch mehr, was sie begehren könnten. Ferner
verursachen die begangenen Sünden und die verlorene Zeit
den Seligen zwar keine Leid mehr, aber doch ist nicht zu
leugnen, daß die Seligkeit um so höher ist, je mehr
Gutes im Leben geschehen, je reiner die Unschuld
bewahrt, und je besser die Zeit verwendet worden ist.
Maria vermißt im Himmel nichts, und es gibt nichts, was
sie noch begehren könnte. „Welcher Heilige des
Paradieses”, fragt der hl. Augustinus, „kann außer Maria
mit Nein antworten, so er gefragt würde, ob er im Leben
eine Sünde begangen?”
Es ist gewiß, daß, nach Erklärung des hl. Konzils von
Trient, Maria keine Sünde, noch die geringste
Unvollkommenheit je begangen hat. Sie verlor nie die
göttliche Gnade, noch trübte sie dieselbe, noch ließ sie
dieselbe unbenützt. Sie vollbrachte keine Handlung, die
nicht verdienstlich gewesen wäre; sie sprach kein Wort,
hatte keinen Gedanken, machte keinen Atemzug, ohne nicht
dies alles auf die Mehrung der Ehre Gottes zu beziehen.
Mit einem Worte, nie ließ sie nach, nie hielt sie inne,
jeden Augenblick nach Gott zu streben; nichts ging ihr
je durch irgendein Säumnis verloren, so daß sie ohne
Unterlaß mit allen Kräften der Gnade mitwirkte und Gott
liebte, wie sie Ihn nur lieben konnte. „O Herr”, spricht
sie jetzt im Himmel zu Ihm,
„wenn ich Dich nicht geliebt habe, wie Du es verdienst,
so habe ich Dich doch so geliebt, wie ich gekonnt”.
In den Heiligen sind die Gnaden, wie der hl. Apostel
sagt (1 Kor 12,4), nach verschiedener Art verteilt, so
daß ein jeder je nach der treuen Mitwirkung mit der
empfangenen Gnade einen ausgezeichneten Grad in einer
besonderen Tugend erlangt: der eine im Retten der
Seelen, der andere im bußfertigen Leben, wieder ein
anderer in Erduldung von Leiden, ein anderer endlich in
der Beschauung, weshalb die hl. Kirche in der Festfeier
von jedem sagt: „Keiner ist ihm gleich erfunden worden.”
Nach ihren Verdiensten ist auch ihre Herrlichkeit im
Himmel verschieden, „denn ein Stern ist vom anderen
verschieden an Klarheit. (1 Kor
15,41) Die Apostel unterscheiden
sich von den Märtyrern, die Bekenner von den Jungfrauen,
die Unschuldigen von den Büßern.
Die allerseligste Jungfrau, aller Gnaden voll, war
erhabener als jeder Heilige
in jeder Art von Tugend. Sie war Apostel der Apostel,
Königin der Märtyrer, weil sie mehr als alle gelitten;
war die Bannerträgerin der Jungfrauen, das Vorbild der
Verheirateten, vereinigte in sich die Vollkommenheit der
Unschuld mit der Vollkommenheit der Buße, mit einem
Wort, ihr Herz besaß alle Tugenden in höchster
Vollendung, die je ein Heiliger geübt. Darum ist von ihr
gesagt: „Die Königin steht zu deiner Rechten im goldenen
Kleid, im bunten Gewand” (Ps 44,10);
denn alle Gnaden,
alle Vorzüge, alle Verdienste der anderen Heiligen, alle
zusammen finden sich in Maria, wie der Abt von Celles
sagt: „Die Vorzüge aller Heiligen, alle, o Jungfrau,
hast du in dir vereinigt.”
So wie der Glanz der Sonne den Glanz aller Sterne
zusammen übertrifft, so übertrifft
nach dem hl. Basilius von Seleukia die Herrlichkeit der
göttlichen Mutter jene aller Seligen. Und wie nach dem
hl. Petrus Damianus das Licht der Sterne und des Mondes
beim Aufgang der Sonne erlischt, als wären sie nicht, so
überstrahlt die Herrlichkeit Mariens den Glanz aller
Heiligen und Engel, daß diese im Himmel wie nicht mehr
leuchten. Daher behauptet der hl. Bernhardin von Siena:
„Die Teilnahme an der Herrlichkeit Gottes ist den
übrigen Heiligen nur wie stückweise verliehen, die allerseligste Jungfrau aber ist nach dem
hl. Bernhard,
in diesen Abgrund eingedrungen, so daß sie, soweit es
der erschaffenen Natur möglich ist, in das unnahbare
Licht versenkt erscheint.” Damit stimmt der hl. Albert
der Große überein, wenn er sagt:
„Die selige Anschauung der jungfräulichen Mutter
betrachtet die Majestät Gottes unvergleichlich
vollkommener als die aller anderen Kreaturen.” Und noch
weiter sagt der ebengenannte hl. Bernhardin: „In ähnlicher
Weise, wie die anderen Himmelslichter von der Sonne ihr
Licht empfangen, so strömt aus der Herrlichkeit der allerseligsten Jungfrau die Wonne über alle Chöre der
Himmelsbewohner”; und der hl. Bernhard:
„Die Herrlichkeit der zum Himmelaufsteigenden
Jungfrau hat die Seligkeit der Himmelsbürger erhöht.” Daher
sagt der hl. Petrus Damianus, „daß die Seligen nach Gott
keine größere Herrlichkeit im Himmel haben, als den
Anblick dieser schönsten Königin zu genießen”; ebenso
der hl. Bonaventura: „Nach Gott ist Maria die Ursache
unserer größten Herrlichkeit und Wonne.”
Frohlocken wir also mit Maria über den erhabenen Thron,
auf welchen Gott sie im Himmel erhöht hat, und
beglückwünschen wir uns selbst darüber, denn hat uns
auch Maria in ihrer glorreichen Himmelfahrt
leiblicherweise verlassen, so doch nicht mit ihrer
Liebe. Sie kennt vielmehr, mit Gott nun so innig
vereint, noch besser unsere Bedürftigkeit, trägt
größeres Mitleiden und kommt uns wirksamer zu Hilfe.
„Oder könnte sie um ihrer Verherrlichung willen unserer
Niedrigkeit vergessen?”, fragt der hl. Petrus Damianus.
„Nein”, antwortet er, „ihrem mitleidigsten Herzen ist es
nicht möglich, unseres Elendes nicht zu gedenken”, denn,
wie der hl. Bonaventura bezeugt, ist jetzt die
Barmherzigkeit der Königin des Himmels gegen uns Elende
viel größer, als damals, wie sie noch auf Erden
pilgerte.
Laßt uns also dem Dienst, der Verehrung und Liebe dieser
Königin, so gut wir vermögen, uns weihen, eingedenk der
Worte Richards von St. Lorenz, daß die Königin Maria uns
nicht mit Abgaben drückt, sondern ihre Diener mit
Schätzen,
mit Gnaden, mit der Fülle der Verdienste und Belohnungen
bereichert. Und flehen wir mit dem Abt Guerricus: „O
Mutter der Barmherzigkeit, sättige dich an der
Herrlichkeit deines Sohnes, deinen Kindern aber sende
die Brosamen nieder! Du am Tisch des Herrn, wir die
Hündlein unter der Tafel!”
Beispiel
Der Pater Sylvanus Razzi erzählt, es habe
ein frommer,
unsere Königin Maria eifrig liebender Priester beim Lob
ihrer Schönheit sehnsüchtig begehrt, sie einmal sehen zu
können, und habe mit demütigen Bitten um diese Gnade
gefleht. Die gütige Mutter eröffnete ihm durch einen
Engel, sie wolle ihm unter der Bedingung seine Bitte
gewähren, daß er, nachdem er sie geschaut, das
Augenlicht verliere. Er willigte ein, und eines Tages
erschien ihm die allerseligste Jungfrau. Er aber wollte
sie anfänglich, um nicht ganz zu erblinden, nur mit
einem Auge anblicken; doch hingerissen von ihrer großen
Schönheit, schlug er auch das andere auf; allein schon
war sie verschwunden. Betrübt über die Beraubung ihrer
Gegenwart, konnte er nicht aufhören zu weinen, nicht
über den Verlust des Auges, sondern, daß er sie nicht
mit beiden Augen angeblickt. Unbekümmert um den Verlust
auch des zweiten Auges und die völlige Erblindung, fuhr
er fort, aufs neue um die Gnade ihres Anblickes zu
flehen. „Glücklich und zufrieden werde ich sein”, sprach
er, „muß ich auch ganz erblinden, denn ich werde durch
deine Güte nur um so mehr mit Liebe zu deiner Schönheit
erfüllt werden”. Wiederum wurde er erhört; wieder wurde
ihm der Trost ihres Anblickes! Doch die gütigste
Königin, die keinem weh tun kann, ließ ihm, zum zweiten
Mal ihm erscheinend, das noch gesunde Auge und gab dem
Erblindeten das Augenlicht wieder zurück.
Gebet
O große, erhabene und glorreichste Herrin,
niedergeworfen zu den Füßen deines Thrones huldigen wir
dir aus diesem Tal der Tränen. Wir freuen uns der
unermeßlichen Herrlichkeit, mit welcher dich der Herr
bereichert auf deinem Thron als Königin des Himmels und
der Erde. Ach, vergiß uns deine armen Knechte nicht.
Verschmähe nicht von ihm herab deine barmherzigen Augen
auf uns Elende zu wenden. Je näher du der Quelle der
Gnaden bist, um so mehr kannst du uns damit versehen. Im
Himmel gewahrst du unser Elend besser, darum mußt du mit
uns Mitleid haben und uns noch mehr beistehen. Mache uns
auf Erden zu deinen treuen Dienern, damit wir dich einst
im Himmel lobpreisen dürfen. An diesem Fest deiner
Erhöhung zur Königin des Himmels und der Erde weihen wir
uns deinem Dienst. Aus deiner hohen Glückseligkeit sende
uns den Trost, uns als deine Diener anzunehmen. Du bist
ja unsere Mutter. O süßeste Mutter, o liebenswürdigste
Mutter, siehe, wie so viele andächtige Beter deine
Altäre umgeben, wie der eine um Heilung von seinen
Sünden, der andere um Abhilfe seiner Not, der andere um
glückliche Ernte, der andere um gutes Ende seiner
Streitsache fleht. Wir bitten dich um Gaben, die deinem
Herzen mehr gefallen, erlange uns, demütig, von der Erde
losgeschält, in den göttlichen Willen ergeben zu sein,
erlange uns die hl. Furcht Gottes, einen guten Tod, den
Himmel. Herrin
mache uns Sünder zu Heiligen. Bewirke dieses Wunder, das
dir größere Ehre bringt, als wenn du tausend Blinde
erleuchten und tausend Tote erwecken würdest. Du bist so
mächtig bei Gott, es genügt, wenn du sagst, daß du seine
Mutter bist, seine liebste Mutter, voll seiner Gnade.
Was wird Er dir je versagen können? O schönste Königin,
wir können nicht verlangen, dich auf Erden zu sehen, wir
sehnen uns, dich im Himmel zu schauen. Dies magst du uns
erlangen. So hoffen wir mit festem Vertrauen. Amen.
Anhang - Gebete zu Maria
Das Gebet zur allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter
MARIA
wird oft unterschätzt. Jesus wollte nur durch Maria zu
uns kommen und wir können nur durch Maria zu Ihm
gelangen. Sie ist ‘voll der Gnade’. Denken wir daran, daß sie 1830 in Paris gesagt hat, daß sie viel mehr
Gnaden uns schenken könnte, wenn wir wollten. Wir haben
im Rosenkranz, dem Skapulier, der Andacht der drei Ave,
der lauretanischen Litanei und in den vielen anderen
Gebeten wunderbare Gnadenmittel heil und heilig zu
werden. Jesus hat uns in seiner Todesstunde seine Mutter
zur Mutter gegeben. Das gehört zu seinem Testament -
seinem Neuen Bund! De Maria numquam satis.
Das wichtigste Gebet ist das Ave Maria
- das Gegrüßet
seist du Maria.
- Wenn wir das beten zittert die Hölle,
sagt der hl. Franziskus.
Das Magnifikat
(Lk 1,46-55) - der Lobpreis Mariens
Hochpreist meine Seele den Herrn, und mein Geist
frohlockt in Gott, meinem Heiland.
Denn er hat herabgeschautauf die Niedrigkeit seiner
Magd;
siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn Großes hat der Allmächtige an mir getan, heilig ist
sein Name.
Und sein Erbarmen währt von Geschlecht zu Geschlecht
über allen, die ihn fürchten.
Er übt Macht mit seinem
Arm, zerstreut,
die stolzen Sinnes sind.
Mächtige stürzt er vom Thron, und Niedrige erhöht er.
Hungrige sättigt er, und Reiche läßt er leer ausgehen.
Er nimmt sich Israel, seines Knechtes an, eingedenk
seiner Barmherzigkeit.
Wie er unseren Vätern versprochen hat, Abraham und
seinen Nachkommen auf ewig.
Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Hl. Geist,
wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in
Ewigkeit. Amen.
Dieses Gebet können sie auch zum Dank nach der Beichte
und Kommunion beten. Es ist auch sehr hilfreich bei
Bedrängnis oder Belastungen. Der hl. Paulus betete und
sang im Gefängnis und wurde befreit.
Das Salve Regina - Gegrüßet seist du, o Königin, Mutter
der Barmherzigkeit; unser Leben, unsre Wonne und unsre
Hoffnung sei gegrüßt! Zu dir rufen wir verbannte Kinder
Evas; zu dir seufzen wir trauernd und weinend im diesem
Tal der Tränen. Wohlan denn, unsere Fürsprecherin, wende
deine barmherzigen Augen uns zu, und nach diesem Elend
zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes. O
gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria. Amen.
Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin; verschmähe nicht unser Gebet in unseren
Nöten, sondern erlöse uns jederzeit von allen Gefahren,
o du glorwürdige und gebenedeite Jungfrau, unsere Frau,
unsere Mittlerin, unsere Fürsprecherin. Versöhne uns mit
deinem Sohn, empfiehl uns deinem Sohn, stelle uns vor
deinem Sohn. Amen.
Auch sehr hilfreich für die Reinheit!
Gedenke, o gütigste Jungfrau Maria, es ist noch nie
gehört worden, daß jemand, der zu dir seine Zuflucht
nahm, deine Hilfe anrief und um deine Fürbitte flehte,
jemals sei verlassen worden. Von diesem Zutrauen
beseelt, eile ich zu dir, o Jungfrau der Jungfrauen; o
Mutter zu dir komme ich, vor dir stehe ich seufzend als
Sünder. Verschmähe nicht meine Worte, o Mutter des
Wortes, sondern höre sie gnädig und erhöre mich. Amen.
(Hl. Bernhard) [Ein sehr mächtiges Gebet.]
Der Engel des Herrn
Dreimal täglich rufen die Glocken zum Gebet, morgens,
mittags und abends. Wir werden an die Menschwerdung des
Sohnes Gottes, den Beginn der Erlösung erinnert. Es ist
ein Dankgebet an Jesus und an seine Mutter Maria, die
‚Ja‘ sagte zum Willen Gottes und somit zu unserer
Erlösung. Dieses Gebet wurde vom Papst im Mittelalter
als Schutz vor dem Islam eingeführt!
|
Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft
- und sie empfing vom Hl. Geist.
- Gegrüßet seist du,
Maria...
Maria sprach:
„ Siehe, ich bin eine Magd des
Herrn,
- mir geschehe nach deinem Wort.“
- Gegrüßet seist du,
Maria...
Und das Wort ist Fleisch geworden
- und hat unter uns gewohnt. (Kniebeuge)
- Gegrüßet
seist du, Maria...
Bitte für uns, o hl. Gottesgebärerin,
- auf daß wir würdig werden der Verheißungen Christi. |
Lasset uns beten. Wir bitten dich, o Herr, gieße deine
Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des
Engels haben wir die Menschwerdung deines Sohnes
erkannt. Laß uns durch sein Leiden und Kreuz zur
Herrlichkeit der Auferstehung gelangen, durch Christus
unseren Herrn. Amen.
Abends betet man für die Armen Seelen ein Vater unser
und Ave Maria und:
O Herr, gib ihnen die ewige Ruhe und
das ewige Licht leuchte ihnen.
O Herr, laß sie ruhen in Frieden. Amen. Danach geben wir
ihnen Weihwasser.
Das Gebet des Engel des Herrn bringt uns einen
besonderen Schutz, ähnlich dem
Anfang des Johannesevangeliums. Das Wort, das Fleisch
geworden ist, hat ja die Finsternis vertrieben. Dieses
Wort ist heute noch genauso mächtig und kräftig.
Der Rosenkranz
Im Namen des Vaters... Ich glaube an Gott... Vater
unser...
Drei Gegrüßet seist du, Maria...
mit folgenden
Einfügungen nach ‘Jesus’:
- Der den Glauben in uns vermehre.
- Der die Hoffnung in uns stärke.
- Der die Liebe in uns entzünde. Ehre sei dem Vater...
Es folgen die einzelnen Geheimnisse / Gesetze mit je
einem Vater unser, zehn Ave Maria mit Einfügung des
jeweiligen Geheimnisses nach ‘Jesus’, dann ein Ehre sei
dem Vater und O mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden...
I. Die freudenreichen Geheimnisse
1. Den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen
hast.
2. Den du, o Jungfrau, zu Elisabeth getragen hast.
3. Den du, o Jungfrau, geboren hast.
4. Den du, o Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast.
5. Den du, o Jungfrau, im Tempel wiedergefunden hast.
II. Die schmerzhaften Geheimnisse
1. Der für uns Blut geschwitzt hat.
2. Der für uns gegeißelt worden ist.
3. Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist.
4. Der für uns das schwere Kreuz getragen hat.
5. Der für uns gekreuzigt worden ist.
III. Die glorreichen Geheimnisse
1. Der von den Toten auferstanden ist.
2. Der in den Himmel aufgefahren ist.
3. Der uns den Heiligen Geist gesandt hat.
4. Der dich, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hat.
5. Der dich, o Jungfrau, im Himmel gekrönt hat.
Die lichtreichen Geheimnisse
- am Donnerstag
1. Der von Johannes getauft worden ist.
2. Der sich bei der Hochzeit in Kana offenbart hat.
3. Der uns das Reich Gottes verkündet hat.
4. Der auf dem Berg verklärt worden ist.
5. Der uns die Eucharistie geschenkt hat.
Dieses Gebet kann man alleine oder gemeinsam beten in
der Kirche oder in der Familie. Die Eltern sollen mit
gutem Beispiel vorangehen. In vielen Familien fehlt der
Segen, weil man nebeneinander her lebt, nicht
miteinander redet und nicht betet. Die Kinder lernen das
Beten nur, wenn die Eltern ihnen täglich das gute
Beispiel geben. Die Gesellschaft steht und fällt mit der
christlichen Familie. Die Familie aber steht und fällt
mit dem Gebet! Wo das Gebet fehlt, mangelt der Glaube,
es fehlen die Berufungen!
GEBET ZUR KÖNIGIN DER ENGEL
Hehre Königin des Himmels, höchste Herrin der Engel,
du
hast von Anbeginn von Gott die Macht und die Sendung
erhalten, den Kopf des Satans zu zertreten. Wir bitten
dich demütig, sende deine himmlischen Legionen, damit
sie unter deinem Befehl und durch deine Macht die
höllischen Geister verfolgen, sie überall bekämpfen,
ihre Verwegenheit zuschanden machen und sie in den
Abgrund zurückstoßen. Erhabenste Gottesmutter, schicke
dein unüberwindliches Kriegsheer auch in den Kampf gegen
die Sendlinge der Hölle unter den Menschen; zerstöre die
Pläne der Gottlosen und beschäme alle, die Übles wollen.
Erwirke ihnen die Gnade der Einsicht und der Bekehrung,
auf daß sie dem dreieinigen Gott und dir die Ehre geben.
Verhilf überall der Wahrheit und dem Recht zum Sieg.
Mächtige Schutzfrau, durch deine flammenden Geister
behüte ferner auf der ganzen Erde deine Heiligtümer und
Gnadenstätten. Bewache durch sie die Gotteshäuser,
alle
heiligen Orte, Gegenstände und Personen, namentlich das
Allerheiligste Altarsakrament. Verhindere, daß sie
verunehrt, entweiht, beraubt, zerstört oder geschändet
werden. Verhindere es, unsere Liebe Frau!
Himmlische Mutter, beschütze endlich auch unser
Eigentum, unsere Wohnungen und Familien vor allen
Nachstellungen der sichtbaren und unsichtbaren Feinde. Laß deine heiligen Engel darin walten und Ergebung,
Frieden und die Freude des Heiligen Geistes in ihnen
herrschen.
Wer ist wie Gott? Wer ist wie du, Maria, du Königin der
Engel und Besiegerin der Hölle? 0 gute und zärtliche
Mutter Maria, du makellose Braut des Königs der reinen
Geister, in dessen Angesicht sie zu schauen verlangen,
du wirst immer unsere Liebe und Hoffnung, unser Schutz
und Ruhm bleiben!
Heiliger Michael, heilige Engel und Erzengel, verteidigt
uns, beschützt uns!
Amen.
Gebet des hl. Bernhard zu MARIA
Wenn sich die Stürme der Versuchung gegen dich erheben,
wenn du dich inmitten der Klippen und Felsen der
Drangsale befindest, schaue auf diesen Stern, flehe
Maria um Hilfe an. Wirst du von den Wellen des Stolzes,
der Ehrsucht, des Neides und der Verleumdung aufgewühlt,
wende dich diesem Stern zu, rufe den Namen Mariens an.
Erschüttern der Zorn, der Geiz und die Unkeuschheit das
Schiff deiner Seele, wirf einen Blick auf diesen Stern
und rufe: Maria!
Bist du beunruhigt durch die Schwere deiner Missetaten,
erstaunt über den jämmerlichen Zustand deines Gewissens,
angstvoll vor der Strenge des göttlichen Gerichts;
beginnst du, in das Meer der schwarzen Melancholie und
den Abgrund der Verzweiflung zu versinken, so denke
vielmehr an Maria.
In den Gefahren, den Unruhen, in der Bedrängnis, der
größten Not, erinnere dich an Maria, verlange den Schutz
Mariens. Möge ihr Name immer auf deinen Lippen sein,
möge die Erinnerung an sie nicht dein Herz verlassen. Um
die Erhörung ihrer Gebete zu erlangen, höre nie auf, ihr
Beispiel nachzuahmen.
In ihrer Nachfolge kannst du dich nie verirren, wenn du
zu ihr betest, kann dich die Gefahr der Verzweiflung
nicht erreichen, wenn du an sie dich in ihrer Güte
stützt, wirst du keinen falschen Schritt tun, wenn sie
dich liebevoll führt, wirst du vorwärtsgehen,
ohne zu straucheln, wenn sie sich bemüht, dich zu
führen, so schreitest du ohne Beunruhigung dahin. Wenn
sie dir zugeneigt ist, wirst du glücklich am Ziel des
Heiles ankommen und feststellen, mit wieviel Recht man
ihr den Namen Maria gegeben hat.
Papst Benedikt hat aus
diesem Gebet in Österreich 2007 zitiert.
Gebet zu MARIA
nach der hl. Kommunion
O Jungfrau und Mutter Maria, siehe, ich habe deinen
geliebtesten Sohn empfangen, den du einst in deinem
jungfräulichen Schoß empfangen, den du geboren, genährt
und mit sanfter Umarmung an dich gedrückt hast. Ihn, an
dessen Anblick du dich erfreutest, opfere ich dir
demütig und liebend auf und biete Ihn dir an, daß du Ihn
umarmest, mit dem Herzen liebest und der heiligsten
Dreifaltigkeit zur höchsten Verehrung darbringest zu
deiner eigenen Ehre, für meine und der ganzen Welt
Bedürfnisse.
Ich bitte dich, liebste Mutter, erlange mir Verzeihung
aller meiner Sünden (Schulden und Strafen), reichliche
Gnade, um dir fortan treuer zu dienen und schließlich
die Gnade, damit ich Ihn mit dir in alle Ewigkeit loben
kann. Amen.
(Aus dem röm. Missale)
Die 3 Ave Maria, die Himmelsleiter oder der goldene
Himmelsschlüssel!
Die hl. Mechthild von Hackeborn (+ 1299) dachte gegen
Ende ihres Lebens voller Angst an das Sterben. Darum bat
sie die Mutter Gottes um Beistand für ihre letzte
Stunde. Die Gottesmutter sagte zu ihr: „Ich werde deine
Bitten bestimmt erfüllen, meine Tochter, aber ich
verlange von dir, daß du täglich mir zuliebe drei Ave
Maria betest.
Das erste Ave zu Ehren Gott Vaters, der in seiner
herrlichen Allmacht meine Seele so auszeichnete, daß ich
nach ihm allmächtig im Himmel und auf Erden bin.
Das zweite Ave zur Ehre Gott des Sohnes, der in der
Größe seiner unerforschlichen Weisheit mich mit solchen
Gaben der Wissenschaft und des Verstandes schmückte und
erfüllte, daß ich inniger als alle Heiligen die
Allerheiligste Dreifaltigkeit schauen darf. Er hat mich
überdies mit einem Glanz Übergossen, daß ich wie eine
strahlende Sonne den ganzen Himmel erleuchte.
Das dritte Ave zur Ehre des Hl. Geistes, der die süße
Fülle seiner Liebe in mein Herz gegossen hat und mich so
gut und barmherzig schuf, daß ich nach Gott das
sanfteste und gütigste Wesen bin ..."
Morgens und abends die drei Ave Maria mit folgender
Anrufung beten:
„O, meine Mutter, bewahre mich an diesem Tag / in dieser
Nacht vor der Todsünde."
Die Versprechungen, die die hl. Jungfrau an die drei Ave
Maria knüpfte:
Ich werde dir in der Todesstunde beistehen, dich trösten
und alle Macht des Teufels von dir fernhalten. Ich werde
dir das Licht des Glaubens und der Erkenntnis eingießen,
damit dein Glaube nicht durch Unwissenheit oder Irrtum
versucht werde. Ich werde dir in der Stunde des
Scheidens nahe sein und in deine Seele die Wonne der
göttlichen Liebe überströmen lassen, damit kraft ihrer
Übermacht alle Todespein und Bitterkeit durch die Liebe
sich in Glückseligkeit wandle."
(Liber specialis
gratiae, P.I. Kap.47).
Aus: „Die Drei Ave Maria'", Pasquali, Hacker-Verlag
In den Offenbarungen der hl. Gertrud steht folgendes:
Während sie das Ave Maria
bei der Mette vor Maria Verkündigung sang, sah sie
plötzlich drei Lichtstrahlen aus dem Herzen des Vaters,
des Sohnes und des Hl. Geistes hervorleuchten, die ins
Herz der sel. Jungfrau eindrangen. Dann hörte sie
folgende Worte: „Nach der Macht des Vaters, der Weisheit
des Sohnes, der barmherzigen Liebe des Hl. Geistes ist
nichts der Macht, der Weisheit, der barmherzigen Liebe
der Jungfrau Maria ähnlicher."
Der hl. Antonius von Padua betete die drei Ave Maria
täglich um die Reinheit zu bewahren. Die dreifache
Reinheit des Herzens, Redens und Tuns.
Der hl.
Leonhard von Porto Mauritio, der hl. Alfons
Maria von Liguori, der hl. Pfarrer von Ars, hl.
Don Bosco, hl. Gemma Galgani und andere Heilige
verbreiteten die Andacht der „Drei Ave Maria.“ |
Noch zu erwähnen sind die Skapuliere, die man aber von
einem Priester nach den alten Segensgebeten aufgelegt
bekommen muß. Besonders wichtig sind das Skapulier vom
Berg Karmel und das blaue Skapulier - mit großen
Verheißungen.
Gebet des hl. Pfarrers von Ars zur Muttergottes
O Mutter Jesu, durch deine unermeßlichen Schmerzen beim
Leiden und Sterben deines göttlichen Sohnes und um der
bitteren Tränen willen, die du vergossen hast, bitte ich
dich, opfere du den heiligen mit Blut und Wunden
bedeckten Leib unseres Erlösers in Vereinigung mit
deinen Schmerzen und Tränen dem himmlischen Vater auf
zur Rettung der Seelen und um die Gnade zu erlangen...
um die ich dich anrufe.
Der hl. Petrus
Fourier
bat in
schwerer Zeit seiner Pfarrei, ja hat jedem Bauer
vorgeschrieben, daß er an seine Haus- und
Stalltüren die Worte anbringe: |
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Maria ist ohne Sünde
empfangen. |
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Dies bewirkte, daß seine Gemeinde
im Gegensatz zu den angrenzenden Gemeinden
vor Plünderung, Mord und Seuchen verschont
blieb. |
Kopieren und verbreiten ( PDF), an Wohnungstür
usw. anbringen.
Pdf
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Der hl. Kirchenlehrer Alfons Maria von Liguori sagt:
„Jeder soll in seinem Herzen eine besondere und innige
Andacht zur allerseligsten Jungfrautragen und, um diese
besondere Andacht auch durch die Tat zu beweisen,
täglich einige fromme Übungen zu ihren Ehren verrichten,
wie es alle ihre Diener und besonderen Verehrer zu tun
pflegen. Dazu empfehle ich dir, mein Leser, folgendes:
1. Unterlasse nie morgens, wenn du aufgestanden bist,
und abends, bevor du zu Bett gehst, drei Ave Maria zu
Ehren der unbefleckten Reinheit der seligsten Jungfrau
zu beten und sie zu bitten, daß sie dich vor aller Sünde
bewahren möge.
2. Unterlasse auch nicht, täglich etwas in einem Buch zu
lesen, das von Unserer Lieben Frau handelt, wenn es auch
nur ganz wenig wäre. Bete täglich die Lauretanische
Litanei und den Rosenkranz, und betrachte dabei die
Geheimnisse.
3. Sooft du weggehst und heimkommst, bitte die
Gottesmutter mit einem Ave Maria um ihren Segen, und
begrüße sie ebenso, sooft du an einem ihrer Bilder
vorübergehst.
4. Sooft du die Uhr schlagen hörst, bete ebenso ein Ave
Maria, und sage dazu: Jesus und Maria, Euch liebe ich,
laßt nicht zu, daß ich Euch durch eine Sünde beleidige.
5. Faste endlich an den Samstagen und den Vorabenden der
sieben Hauptfeste der heiligsten Jungfrau, und halte vor
diesen Hauptfesten Novenen oder neuntägige Andachten, in
welchen du diejenigen Bußwerke üben kannst, die dir dein
Beichtvater erlauben wird. Übrigens sollst du solche
neuntägige Andachten auch vor Weihnachten, vor Pfingsten
und vor dem Fest deines hl. Namenspatrons halten.“
Hl. Alfons Maria von Liguori „Lebensordnung eines
Christen“
Das berühmte Gebet zur Muttergottes Salve Regina stammt
von Hermann dem Lahmen (1013- 54), einem Benediktiner
der Abtei Reichenau. Er wurde in Altshausen begraben.
Salve, Regina,
mater misericordiae;
Vita, dulcedo et spes nostra, salve.
Ad te clamamus,
exsules filii Hevae.
Ad te suspiramus,
gementes et flentes in hac lacrimarum valle.
Eia ergo, Advocata nostra,
illos tuos misericordes oculos
ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum ventris tui,
nobis post hoc
exsilium ostende.
O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria. |
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Gegrüßet seist Du (sei gegrüßt, o) Königin,
Mutter der
Barmherzigkeit, unser Leben,
unsre Wonne und unsere
Hoffnung, sei
gegrüßt!
Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas;
zu dir seufzen
wir trauernd und weinend
in diesem Tal der Tränen.
Wohlan denn, unsre Fürsprecherin, wende
deine
barmherzigen Augen zu uns und nach
diesem Elend zeige
uns Jesus,
die gebenedeite Frucht deines Leibes.
O gütige, o milde,
o süße Jungfrau Maria. |
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